Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 41: Keine Ruhe vor dem Sturm ------------------------------------ Mit einem raschen Handgriff hatte ich den Mistkerl, der die Beleidigungen ausgestoßen hatte, am Kragen gepackt und ihm gleich darauf meine Faust ins Gesicht gerammt. Sofort griff der Rest der Bande zu den Waffen oder stürzte sich einfach auf uns, wohl in der Hoffnung, durch ihre deutliche Übermacht einen schnellen Sieg zu erringen. Es waren ungefähr zwanzig Männer, die da auf uns eindrangen, allerdings lagen die ersten wenige Sekunden später schon am Boden oder waren von mir und dem riesigen Schwarzen durch Tür und Fenster – die natürlich geschlossen gewesen waren – auf die Straße befördert worden. Fast zeitgleich hatten Winnetou, Bloody Fox und ich unsere Waffen gezogen und denjenigen Halunken, die gerade ihrerseits auf uns abdrücken wollten, die Revolver aus den Händen geschossen, woraufhin ein großes Wehklagen erscholl. Doch jetzt wurden die Kerle erst richtig wütend. Mit geballten Fäusten gingen sie wieder zum Angriff über, und gleich darauf entbrannte ein wilder Kampf in dem Saloon, bei dem natürlich auch so einiges an Mobiliar zu Bruch ging. Bob, der mit seinen riesigen Pranken gleich mehreren Männern die Zähne ausschlug, schien von Sekunde zu Sekunde mehr Spaß an der Sache zu entwickeln, denn er begann lauthals und voller Begeisterung durch den Raum zu brüllen: „Ah – Oh – Massa Bob hauen alles kurz und klein – Massa Bob sein groß und stark Westmann – alle haben viel Angst vor Massa Bob...“ Dieses Gebrüll ging so in einem fort, während wir vier uns der restlichen Schurken annahmen, die weiterhin voller Wut auf uns eindrangen. Der Raum war recht eng, so dass in dem Gewühl glücklicherweise niemand unserer Gegner soviel Platz bekam, eine weitere Waffe zu ziehen und auch noch in Ruhe auf uns zu zielen. Ich wehrte mich nach Kräften und bemühte mich dabei aber dennoch, die Kerle nur zu betäuben und nicht ernsthaft zu verletzen. Doch dann musste ich mit ansehen, wie sich gleich drei der Männer auf meinen Blutsbruder warfen und ihn dabei fast unter sich begruben. Sofort hieb ich mit deutlich mehr Wucht als vorher angedacht meinem derzeitigen Gegner die Faust an den Kopf, so dass dieser augenblicklich zusammenbrach, und war in der nächsten Sekunde mit einem einzigen Satz an der Seite meines Freundes. Gerade wollte ich seinem ersten Kontrahenten in den Nacken greifen, um ihn von dem Apatschen wegzuziehen, da flog der Kerl mir auch schon entgegen – Winnetou hatte ihn mit einem wahren Kraftakt von sich geschleudert, war jetzt aber in einen heftigen Kampf mit den beiden anderen verwickelt. Mich durchfuhr ein riesiger Schreck: er durfte sich doch auf keinen Fall überanstrengen! Sogleich bekam der Mann, der durch Winnetous Stoß gerade gegen mich getaumelt war, meine Faust auf eine Weise zu spüren, dass es nur so krachte, und war im nächsten Moment ausgeschaltet. Daraufhin zog ich den zweiten Kerl von Winnetou weg, stellte ihn mir zurecht und verpasste ihm eine solch schallende Ohrfeige, dass er sich wie ein Kreisel zweimal um sich selbst drehte, gegen den Angreifer prallte, der gerade auf Bloody Fox eindrang, und diesen dabei mit zu Boden riss. Um den dritten brauchte ich mich dann aber gar nicht mehr zu bemühen, den hatte in diesem Augenblick Winnetou schon mit der Flachseite seines Thomahawks ausgeschaltet. Voller Grimm wandte ich mich nun wieder den anderen Gegnern zu, als mit einem Mal die Flügeltüren des Saloons aufsprangen und der Großteil unserer Gefährten sowie ein paar der Soldaten in den Raum drängten. Innerhalb von Sekunden war dann auch der ganze Spuk vorbei. Die Kerle wurden gefesselt und schließlich auch geknebelt, nachdem sie es trotz ihrer deutlichen und vor allem schmerzhaften Niederlage immer noch nicht lassen konnten, gerade in Richtung des Apatschen sowie auch Bob einige widerliche Beleidigungen loszulassen. Die Westmänner übernahmen diese Aufgabe sehr gerne und ließen dabei ihre Wut über die Schmähungen sowie den Angriff auf uns auf eine nicht gerade zartfühlende Weise an den Halunken aus, die nach den Fesselungen vor Schmerzen nur so stöhnten. Ich kümmerte mich allerdings nicht darum, sondern war sofort an die Seite meines Freundes geeilt, der auch schon wieder aufgestanden war. „Geht es dir gut?“, war dann natürlich auch meine erste Frage, wobei meine aufkommende Panik in der Stimme nicht zu überhören war. Ängstlich tastete ich mit meinen Blicken seine Gestalt ab, konnte aber keine Wunden erkennen; zudem sah der Apatsche auch weiterhin frisch und munter aus – man konnte kaum einen Unterschied zu dem Zeitpunkt vor dem Kampf ausmachen. Trotzdem fragte ich hastig weiter: „Ist dir etwas geschehen? Bist du verletzt?“ „Mein Bruder mag ohne Sorge sein, Winnetou geht es gut!“ antwortete er im gelassenen Ton, doch beruhigt war ich deswegen noch lange nicht. „Willst du dich nicht lieber kurz setzen? Ich denke, das wird im Augenblick das beste...“ Weiter kam ich nicht, denn nun erntete ich einen mahnenden, fast schon strengen Blick des Apatschen und erkannte im gleichen Moment, dass ich aufgrund meiner großen Sorge völlig überzogen und der Situation überhaupt nicht angemessen reagiert hatte. Sicher, meine Fragen hatte ich recht leise gestellt, aber auch sehr überhastet, und meine Tonlage hatte schon ausgereicht, um die ersten Gefährten auf uns aufmerksam werden zu lassen. Glücklicherweise wurden die Gefangenen gerade ganz hinten im Saloon angebunden, so dass sie die für Winnetou wirklich nicht würdige Situation mitbekommen hatten, trotzdem wusste ich doch genau, dass mein Freund so etwas gerade in Gegenwart von anderen Menschen auf den Tod nicht leiden konnte. Ich atmete einmal tief durch, um mich wieder zu sammeln, beugte mich dann zu ihm hinüber und flüsterte ihm zu: „Verzeih mir, mein Bruder! Das war nicht recht von mir – meine Sorge um dich hatte meine Gedanken verwirrt!“ Winnetou sagte zwar nichts darauf, wohl um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch unbeobachtet von den anderen ergriff er kurz meine Hand, drückte sie fest und warf mir einen liebevollen Blick zu. Natürlich war auch den anderen nicht ganz wohl in ihrer Haut, wenn sie an Winnetou dachten, der solchen Situationen nun mal noch gar nicht ausgesetzt werden durfte; und deshalb maß ihn der ein oder andere auch immer wieder mit einem sorgenvollen Blick. Old Firehand konnte schließlich auch nicht an sich halten und legte dem Apatschen für einen kurzen Moment eine Hand auf die Schulter. Auch ihm schenkte mein Freund einen beruhigenden Blick, doch dann konzentrierte sich alles auf die Ankunft des Sheriff, der aufgrund des Tumults rasch herbeigerufen worden war und in diesem Augenblick den Saloon betrat. Die Aufklärung der Sachlage übernahmen Fox und unsere Gefährten, so dass der Gesetzeshüter mich nur noch kurz fragte, ob ich wirklich nur auf eine Beleidigung reagiert und nicht vielleicht doch selbst den Kampf provoziert hatte. Dadurch und auch aufgrund der Anwesenheit der Soldaten, die letztendlich den Sheriff restlos von unseren guten Absichten überzeugte, wurde Winnetou vollends einer Befragung enthoben, was mir natürlich sehr lieb war. Übrigens war uns der Sheriff geradezu dankbar, denn wir hatten hier mal eben auf einen Schlag fast sämtliche stadtbekannte Galgenvögel außer Gefecht gesetzt, die zumindest in den nächsten Tagen den Bewohnern keinen Kummer mehr machen konnten. Schließlich wurden die Ganoven mit Unterstützung einiger Deputies auf dem schnellsten Weg hinaus und in das Gefängnis der kleinen Stadt verbracht, so dass wir anderen erst einmal durchatmen und zur Ruhe kommen konnten. Dabei wurde der Sieg über die Halunken mit einem kühlen Glas Bier gefeiert – zumindest hatten wir das vor, aber als wir einen Blick auf die schmutzigen Gläser und die undefinierbare Farbe des Getränks geworfen hatten, verging den meisten von uns das Verlangen danach. Fox, der von dem Gebräu ja schon vor unserer Ankunft gekostet hatte, rührte es erst gar nicht mehr an, und auch Winnetou lehnte von vornherein ab – er trank lieber nur etwas Wasser, und zwar aus seiner eigenen Feldflasche. Der Wirt hatte uns zunächst überhaupt nicht bedienen wollen, da er verständlicherweise äußerst verstimmt war über seine zum größten Teil demolierte Einrichtung. Aus den Augenwinkeln sah ich schon Winnetous Hand zu seinem Beutel mit den Nuggets gehen, doch Emery war schneller. Er versorgte den Wirt mit einer solch üppigen Entschädigung, dass dessen Stimmung in Windeseile umschlug und er uns nun hofierte, dass man seine Freude daran hätte haben können – aber leider machte das sein Bier auch nicht besser! Nun begann natürlich das große Erzählen. Bloody Fox brannte geradezu darauf, unsere Erlebnisse aus erster Hand nochmals in aller Ausführlichkeit zu hören, und im Gegenzug dazu wollten wir natürlich auch alles über seine letzten Abenteuer hören. Während des Gespräches bemerkte ich, wie Fox immer wieder einen verstohlenen Blick zu Winnetou riskierte. Ihm ging es wahrscheinlich genauso wie unseren anderen Gefährten, die ja auch anfangs ziemlich entsetzt über die zerbrechlich wirkende und durchscheinende Gestalt meines Freundes gewesen waren. Zwar war der ehemalige „Avenging Ghost“ von Bob schon vorgewarnt worden, aber den Anblick hatte er offenbar nicht erwartet. Gleichzeitig allerdings konnte er sein Erstaunen über das soeben erlebte kämpferische Auftreten des Apatschen nicht ganz verbergen, denn schließlich sah Winnetou im Augenblick beileibe noch nicht danach aus, als könne er auch nur einen einzigen Kampf gewinnen. Übrigens konnten wir hier ungehindert und frei sprechen, denn außer den Ganoven hatte sich noch kein anderer Bürger der Stadt in den Saloon verirrt, und jetzt, nach dem Kampf, sorgten die uns begleitenden Soldaten dafür, dass wir uns in Ruhe austauschen konnten. Ein Gast wurde aber dann doch noch von ihnen durchgelassen – denn jetzt erschien unser Doktor in dem Saloon, völlig außer Atem und mit einem beinahe ängstlichen Gesichtsausdruck. Einer der Soldaten hatte ihn in der Stadt erst suchen müssen und ihn dann schließlich nach längerer Zeit bei einem hier ansässigen Arzt ausfindig gemacht, wo Walter gerade dabei gewesen war, seine medizinischen Vorräte sorgfältig aufzufüllen, was allerdings viel Zeit in Anspruch genommen hatte. Und nun zeigte sich, dass Hendrick in dieser Situation viel mehr Feingefühl besaß als ich vorhin bewiesen hatte. Er warf einen sehr besorgten und kritischen Blick auf Winnetou, sah diesen aber entspannt und gelassen am Tisch sitzen und ihm freundlich zunicken. Daraufhin verzichtete der Doktor auf alle Nachfragen oder Anweisungen, sondern setzte sich gleichfalls an unseren Tisch, sichtlich bemüht, den Apatschen nur ab und an verstohlen zu beobachten, ohne dass es den anderen auffiel. Ich aber war immer noch sehr beunruhigt. Dieser Vorfall heute hatte mir wieder einmal deutlich bewiesen, dass es für Winnetou hier in diesem mehr oder weniger gesetzeslosen Landstrich einfach zu gefährlich war, solange dieser noch unter seiner Erkrankung litt, und er hatte somit meine Entscheidung für die Europareise nur noch einmal bestätigt. Deshalb bestand ich jetzt auch auf einen baldigen Aufbruch und eine schnelle Erledigung unserer Besorgungen, damit wir mit meinem Freund schnellstmöglich wieder zu seinen Mescaleros zurückkehren konnten. Unsere Gefährten dachten ähnlich wie ich, und darum wurde meinem Wunsch auch rasch Folge geleistet. Nach nur einer knappen Stunde hatten wir alles Wichtige erledigt und verließen die Stadt nun auf dem schnellsten Wege. Es muss wohl kaum erwähnt werden, dass Bloody Fox sich uns mit großer Freude angeschlossen hatte. Daher hielt er sich auch während des Ritts dicht an Winnetous und meiner Seite, wo wir ausführlich die Aufgaben und Pläne für das kommende Jahr besprachen, während unsere ganze Gesellschaft gutgelaunt und fröhlich schwatzend auf das Wäldchen zuhielt, in dem die übrigen Apatschen mit unseren Gefangenen lagerten. Zwischendurch allerdings kam es dann doch noch zu einem kleineren Scharmützel mit Bob, der von Fox soeben über die Tatsache unterrichtet wurde, dass er jetzt gleich alleine zur Oase zurückkehren sollte, um das kleine Anwesen dort weiterhin zu bewirtschaften und auf seine Mutter achtzugeben. Damit war der Schwarze allerdings überhaupt nicht einverstanden. Mit einer herzergreifenden und theatralischen Rede sowie vielen großen Gesten versuchte er seinen „Massa Fox“ davon zu überzeugen, dass er ein „groß und stark Westmann“ sei, der dem ganzen Unternehmen eine wichtige Hilfe sein würde, wenn nicht sogar nur er alleine er in der Lage wäre, alle in dieser Zeit aufkommenden Schwierigkeiten zu beseitigen. Eine kleine Weile stritt er sich mit Bloody Fox herum, sehr zum Vergnügen der ganzen Gesellschaft, wobei er einfach nicht einsehen wollte, dass er diesem „wundervoll und groß Abenteuer“ nicht beiwohnen durfte – bis Winnetou dem unnötigen Palaver endlich ein Ende bereitete. Es war schließlich einfach unmöglich, dass der riesige Schwarze Einzug in das Pueblo der Apatschen halten sollte. Kaum einer der Mescaleros würde einen Neger vorbehaltlos in ihren Reihen akzeptieren, zumal Bob auch kaum eine Gelegenheit ausließ, um in irgendein Fettnäpfchen zu treten. Außerdem war er in der Lage, ganz allein den kompletten Stamm mit seinen verworrenen Aktionen durcheinanderzuwürfeln oder aufgrund seiner grenzenlosen Unvernunft sogar gewisse Gefahren für diesen heraufzubeschwören. All das hatte Fox fast schon verzweifelt als Gegenargument angeführt, natürlich auf eine freundliche Art verpackt, doch Bob blieb stur. Aber jetzt kam Winnetou ins Spiel, und mit seiner unvergleichlichen Art gelang es ihm binnen kürzester Zeit, Bob davon zu überzeugen, dass er auf dem Anwesen in der einzigartigen Oase des Llano Estacado dringend gebraucht wurde und es niemanden anderem als ihm gelingen könnte, während Fox' Abwesenheit diesen Ort vor unerwünschten Eindringlingen zu beschützen. Mein Freund brachte es sogar fertig, dass der Schwarze sich trotz der Zurückweisung keinesfalls unnütz vorkam, sondern im Gegenteil nach kurzer Zeit mit stolzgeschwellter Brust von dannen zog, vor allem da Winnetou seine kurze Rede mit den Worten geschlossen hatte: „Mein schwarzer Bruder ist ein starker und tapferer Mann, was er während des Kampfes vorhin auch allen bewiesen hat – und daher wird Bloody Fox auch nur ihm sein Heim und sein Hab und Gut anvertrauen können!“ Nachdem Bob sich verabschiedet hatte und zumindest uns Weiße mit einem breiten Grinsen im Gesicht zurückließ, begab sich der Anführer des kleinen Soldatentrupps, der uns auf Befehl von Kommandant Collister begleitete, an unsere Seite, da er eine wichtige Mitteilung für uns hatte: „Mr. Shatterhand“, begann er eilfertig. „Vorhin in Portales habe ich einen Soldaten aus Fort Lowell getroffen, der mir von einer Bande herumstreunender Halunken berichtete, die sich in der Gegend zwischen den Zuni Mountains und dem San-Juan-River herumgetrieben habe. Da diese offenbar nur von dem lebten, was sie unschuldigen Reisenden während ihrer Raubzüge abgenommen hatten, waren die dort stationierten Soldaten ausgezogen, um diese Ganoven dingfest zu machen, was ihnen glücklicherweise auch recht schnell gelungen ist!“ „Zwischen Zuni-Mountains und dem San Juan?“ Jetzt wurde ich hellhörig. „Also schon in der Nähe des Ship Rocks, nicht wahr?“ „Richtig. Der Anführer der Bande war so dermaßen wütend über die Gefangennahme, dass er seine Kumpane mehrmals kräftig zusammenstauchte – er gab ihnen die ganze Schuld für die Situation, da sie alle angeblich völlig dilettantisch gehandelt hätten – und während dieser Strafreden ließ er in seiner Wut durchblicken, dass die ganze Bande sich dort aufgehalten habe, weil sie auf ihren Oberboss warteten, der sich offenbar mit einem großen erbeuteten Goldschatz in der Gegend aufhalten sollte. Ich könnte mir vorstellen, dass damit Thomson gemeint war, denkt Ihr nicht auch?“ „Ja, da bin ich mir fast sicher“, antwortete ich und wandte mich sofort an Winnetou. „Könnte es sein, dass Thomson auf eine Befreiung genau durch diese Bande gewartet hat? Immerhin hat er sich ja vor allem in den ersten Tagen unserer Reise, als wir noch in der Nähe der besagten Gegend gewesen waren, recht auffällig benommen, indem er beinahe jedes Gebüsch, an dem wir vorbeigekommen sind, mit seinen Blicken geradezu durchleuchtet hatte!“ „Mein Bruder mag sicher sein, dass es genau so war“, antwortete mein Freund. „Na – dann wird der Kerl aber sehr erfreut sein über die Tatsache, dass er weiterhin unser Gast bleiben darf, weil sich seine vermeintlichen Retter nun auf Staatskosten in der Zelle ausruhen! Sollen wir ihm, wenn wir den Lagerplatz erreicht haben, sogleich die gute Nachricht überbringen?“ Meine Schadenfreude war nicht zu überhören, als ich diese Frage stellte. Winnetou ließ deshalb auch ein mildes Lächeln sehen, weigerte sich aber weiterhin, unseren Gefangenen auch nur eines Blickes zu würdigen, geschweige denn mit ihm zu sprechen. Ich hingegen freute mich schon regelrecht darauf, dem Kerl nun auch noch seine letzten Hoffnungen zu nehmen und konnte es daher kaum erwarten, wieder zurück ins Lager zu kehren. Dort angekommen, wurden natürlich zuerst die Apatschen über den Vorfall im Saloon unterrichtet, und während das geschah, konnte unser Doktor meinen Freund endlich unauffällig beiseite nehmen. Derweil er ihn beim Handgelenk fasste und seinen Puls überprüfte, fragte er ihn leise nach seinem Befinden, woraufhin ihm Winnetou freundlich, aber bestimmt mitteilte, dass ihm wirklich nichts geschehen sei. Überhaupt hätte mein Blutsbruder solch eine Behandlung, und das auch noch in unmittelbarer Nähe zu seinen Apatschen, bei jeden anderen abgelehnt, aber aus den bekannten Gründen ließ er Walter einmal mehr nach Herzenslust gewähren, während ich stumm daneben stand und achtgab, dass uns jetzt auch ja niemand störte. Ich hielt mich aber vor allem deshalb zurück, weil ich Winnetou vorhin schon in eine für ihn unangenehme Situation gebracht hatte – und das durfte auf keinen Fall nochmals geschehen! Zudem war ich ja auch nicht ganz unschuldig daran, dass diese Prügelei überhaupt stattgefunden hatte, schließlich hätte ich auf die Schmähung eigentlich gar nicht zu reagieren brauchen – selbst Winnetou als der Beleidigte hatte es in keinster Weise für nötig befunden, darauf zu antworten, weil es einfach unter seiner Würde war. Natürlich war ich sehr erleichtert, als der Doktor uns schließlich mitteilte, dass mein Freund den kurzen, aber heftigen Kampf wahrscheinlich ohne gesundheitliche Schäden überstanden hatte – zumindest konnte Walter im Augenblick nichts Besorgniserregendes feststellen, wie er das gute Ergebnis sogleich wieder relativierte. Auch deshalb ließ er am Schluss seiner ärztlichen Begutachtung noch die mahnenden Worte folgen: „So etwas darf einfach nicht noch einmal vorkommen, Herrschaften! Ich weiß ja, dass ihr beide an der Auseinandersetzung keine Schuld tragt – aber es gilt immer noch der eiserne Grundsatz: Keine Überanstrengungen! Das hätte jetzt tatsächlich ernste Folgen haben können, und schlimmstenfalls könnte es sogar deinen Tod bedeuten, Winnetou! Ihr beide MÜSST in Zukunft wirklich jedem Kampf ausweichen, und wenn es euch noch so schwer fällt, weil es natürlich jedem Ehrgefühl widerspricht!“ Ich nickte bedrückt und sah meinen Blutsbruder an. Dieser ließ einen leisen Seufzer hören und meinte dann: „Winnetou kann nicht versprechen, dass er in Zukunft jeder gefährlichen Situation ausweichen kann – aber er wird sich sehr darum bemühen!“ Allein dieses Versprechen zu geben fiel ihm sichtlich schwer, aber es in die Tat umzusetzen, vor allem in Situationen, in denen es um unser Leben gehen könnte, würde ihm in Zukunft noch viel mehr abverlangen und wahrscheinlich auch einiges an Selbstbeherrschung kosten. Seine Mimik sprach in diesem Augenblick Bände, weshalb ich einfach nicht mehr an mich halten konnte und einen Arm um seine Schultern legte. Kaum merklich lehnte er sich leicht in meine Umarmung hinein, woraufhin ich ihm ganz leise ins Ohr flüsterte: „Wir stehen das zusammen durch! Ich bleibe an deiner Seite, egal was kommt – und wenn es einst darum gehen wird, dein oder unser Leben zu verteidigen, dann werde ich eben für dich mitkämpfen!“ Er ließ ein leises Lächeln sehen und antwortete, ebenfalls flüsternd: „Old Shatterhand und Winnetou sind eins. Wenn Old Shatterhand kämpft, wird es genauso sein, als würde Winnetou an seiner Stelle stehen!“ Ich nickte bekräftigend und drückte ihn noch einmal kurz an mich, bevor wir uns wieder dem Lagerleben zuwandten. Mein Vorhaben hatte ich darüber hinaus aber nicht vergessen, und so begab ich mich eine halbe Stunde später zu dem Platz, wo die Gefangenen sitzend an drei Bäumen angebunden waren. Thomson starrte mir schon hasserfüllt entgegen, woraufhin ich mit noch mehr Schadenfreude in der Stimme daranging, ihm von dem Schicksal seiner jämmerlich gescheiterten Kumpane zu berichten. Dass wir mit unserer Vermutung voll ins Schwarze getroffen hatten, zeigte sich jetzt deutlich, denn der Schurke brach auf meine Worte hin in solch wüste Beschimpfungen aus, dass man sich hätte die Ohren zuhalten mögen. Stattdessen verpasste ich ihm als Antwort darauf einige schallende Ohrfeigen, vor allem nachdem seine Wutrede in eine Litanei nicht enden wollender Beleidigungen uns gegenüber übergegangen war – und das ließ ihn erst einmal für eine lange Zeit verstummen. Sehr viel später am Abend vernahm ich mit einem Mal, dass der Schurke jämmerlich zu stöhnen begonnen hatte und ging deshalb nachsehen, was es damit wohl auf sich haben könnte. Thomson hielt sich bei meiner Ankunft seine Wange und stöhnte immer wieder auf eine beinahe herzzerreißende Weise. Überhaupt hatte er jetzt eine ganz andere Haltung angenommen: Aus dem selbstbewussten und aggressiven Widerling schien nun mit einem Mal ein Häufchen Elend geworden zu sein, der keiner Fliege mehr etwas zu leide tun konnte und selbst dringend der Hilfe bedurfte. Doch wir sahen auf dem ersten Blick, dass sich der Kerl nur verstellte, und das auch noch relativ schlecht – was ihm das bringen sollte, war mir allerdings ein Rätsel. Sicherheitshalber ließ ich aber trotzdem den Doktor einmal auf die sichtlich geschwollene Wange des Halunken schauen, wobei ich natürlich mit gezogenem Revolver direkt daneben stand, um ja kein Risiko einzugehen. Das fehlte gerade noch, dass Thomson die Möglichkeit bekam, unserem guten Walter etwas anzutun! Dieser bestätigte dann auch nach einer kurzen Untersuchung meine Vermutung, indem er die kleine Verletzung als völlig belanglos abtat, und somit überließen wir den sterbenden Schwan lachend sich selbst, um uns lieber wieder den Gefährten zu widmen. Der nächste Tag brachte uns dem Llano Estacado wieder ein ganzes Stück näher, was man auch der sonst so üppigen Vegetation allmählich ansehen konnte. Die farbenfrohe und blühende Prärie verwandelte sich nach und nach in eine mit nur spärlichem Graswuchs versehene Steppe, auch die Trockenheit nahm zu, so dass die durch die vielen Pferde aufgewirbelte Staubwolke hinter uns immer dichter wurde. Ansonsten geschah bis zum Abend hin nichts Besonderes, außer dass Thomson weiterhin den Schwerverletzten mimte, das aber mit solch einer nervtötenden Intensität, dass die ihn bewachenden Apatschen irgendwann von dem Gejammer einfach die Nase voll hatten und ihm kurzerhand einen Knebel verpassten. Dass der Kerl daraufhin dunkelrot anlief, war wohl nicht einer beginnenden Luftnot geschuldet, sondern eher der Tatsache, dass er wieder einmal vor Wut zu kochen begann. Dieser Anblick hatte wirklich etwas Urkomisches an sich, denn unser und vor allem Winnetous Erzfeind wurde dadurch einfach nur ins Lächerliche gezogen, was die ganze Gesellschaft mehr und mehr amüsierte, so dass wir uns letztendlich gutgelaunt und entspannt zum Nachtmahl an das gemeinsame Lagerfeuer setzten. Es würde wahrscheinlich das letzte Mal sein, dass wir ein so großes Feuer anbrennen konnten, denn am nächsten Abend würden wir schon den Rand der Wüste erreichen und damit der Grenze des Jagdgebietes der Comanchen sehr nahe kommen. Das hieß dann natürlich, erhöhte Vorsicht walten zu lassen, denn trotz unserer kampfstarken Truppe wollte niemand unbedingt einen Zusammenstoß mit dem den Apatschen feindlich gesonnenen Stamm riskieren. Die Reiseroute würde uns anschließend zwei Tage lang am Rande des Llano entlangführen, bis wir am Ende des dritten Tages in Carlsbad eintreffen sollten - wenn bis dahin nichts Unvorhergesehenes geschah – und dort würde die Familie Butterfield endlich, endlich am Ziel ihrer langen und gefährlichen Reise sein! Man merkte den jungen Leuten von Tag zu Tag, nein, inzwischen beinahe von Stunde zu Stunde mehr an, dass sie diesen Glückstag für ihre große Familie kaum mehr abwarten konnten. Was würden ihre Verwandten nur für Augen machen, wenn die jungen Männer, wahrscheinlich entgegen jeder realistischen Erwartung, tatsächlich mit einem solch immens großen Reichtum dort eintrafen? Unsere Greenhorns malten sich diese glücklichen Stunden in den schönsten Farben aus, und das nicht nur jetzt am Lagerfeuer, nein, das hatten sie schon während des ganzen Tages getan, wobei sie zunehmend unruhiger geworden waren. Natürlich freuten wir uns mit den Jünglingen, aber ihre rastlose Nervosität machte uns dann doch allmählich ziemlich zu schaffen, so dass wir alle wahrscheinlich insgeheim froh sein würden, wenn wir die Familie sicher in Carlsbad abgeliefert hatten – und damit auch das Restrisiko des Heraufbeschwören von gefährlichen Situationen für unsere Gesellschaft auf ein Minimum reduziert werden würde! Die jungen Männer hatten sich zwar seit vielen Wochen nichts mehr zuschulden kommen lassen, aber in der Festung war das nun auch nicht allzu schwer gewesen, und während unserer bisherigen Reise hatten sie noch nicht viele Gelegenheiten erhalten, irgendwelchen Unfug anzustellen. Das aber sollte sich in Kürze ändern. Wir hatten dem ehrenwerten Mr. Thomson zum Abend, vor allem auf meinem Wunsch hin, seinen Knebel abgenommen, woraufhin der Kerl zum Dank seine Rolle konsequent weiter spielte und in einem fort jammerte, mal leise, mal lauter, aber immer in einem wirklich nervenaufreibenden Singsang. Das hatte zur Folge, dass er irgendwann in die hinterste Ecke unseres Lagers verbannt wurde, natürlich weiterhin stramm gefesselt – allerdings mit nach vorne zusammengebundenen Händen, da ihm sonst unweigerlich körperlicher Schaden zugefügt worden wäre, wenn er die ganze Nacht mit auf dem Rücken gefesselten Händen zugebracht hätte – und dabei zusätzlich noch an einen der Bäume gebunden war. Wir konnten uns sicher sein, dass ihm alleine dadurch schon keinerlei Möglichkeiten für eine Flucht geboten wurden, und wollten daher auf eine direkte Bewachung verzichten, um denjenigen nicht die ganze Zeit über dem weinerlichen Gejammere auszuliefern – zumal ja noch um das Lager herum die übliche großzügige Anzahl an Wachposten für zusätzliche Sicherheit sorgten. Das jedoch gaben die Apatschen nicht zu. Sie wollten auf keinen Fall auch nur eine Spur weniger Aufmerksamkeit im Hinblick auf ihren Gefangenen walten lassen und losten darum unter sich die zuständigen Wachposten aus, die aber gnädigerweise schon nach jeweils einer Stunde wieder abgelöst werden sollten. Auch die Butterfields hatten sich weit in den hinteren Teil des Lagers zurückgezogen, da sie spürten, dass sie uns mit ihrer immer größer werdenden Unruhe nicht unbedingt einen Gefallen taten. Ich dachte mir nichts weiter dabei, vielleicht auch deshalb, weil die Jünglinge sich in der letzten Zeit wirklich ausnehmend gut benommen hatten. Auch das lange Gespräch über Humanität und Gnade vor Recht, das ich mit Elias Peterson vor Tagen geführt hatte, kam mir nicht mehr in den Sinn – sonst hätte ich die Greenhorns mit Sicherheit nicht in die Nähe des Erzschurken gelassen, der sich noch dazu weit außerhalb unseres Blickwinkels befand! Winnetou und ich saßen nebeneinander am Lagerfeuer, zusammen mit Til Lata, Entschah-koh sowie Firehand, Surehand und Sam Hawkens, und ein großer Teil der anderen Westmänner sowie einiger Apatschen saß uns gegenüber. Trotzdem konnte ich irgendwann nicht mehr an mich halten und begann, mich ganz langsam und vorsichtig näher an meinen Freund heranzuschieben. Er bemerkte es natürlich sofort und bemühte sich nun auch seinerseits, sich mir ebenfalls Stück für Stück näher zu kommen. Als sich kurz darauf auch noch Emery zwischen Surehand und Sam Hawkens quetschte, bekam ich dadurch die wunderbar günstige Gelegenheit, eng an Winnetous Seite aufzurücken. Fast hätte ich wohlig aufgeseufzt, als ich seine Wärme verspürte und den ihm so eigenen Duft seiner Haut einsog – am liebsten hätte ihn mir sofort gepackt und wäre mit ihm in die Dunkelheit verschwunden, aber das war ja leider völlig unmöglich. Aber wenn wir erst einmal in Deutschland wären... dort würde ich ihn die ganze Zeit über nur für mich haben... für mich ganz alleine... Dieser Gedanke erfüllte mich mit einem Mal mit solch großer Freude, dass ich selig zu lächeln begann, ohne mir darüber eigentlich so richtig bewusst zu werden. „Na – du scheinst dich ja heute besonders wohl zu fühlen, nicht wahr, Charlie?“ Ein kräftiger Schlag auf meine Schulter und der joviale Ton von Old Firehand rissen mich so plötzlich aus meinen Träumereien, dass ich heftig zusammenzuckte, was bei unseren Gefährten ein herzliches Gelächter auslöste. Winnetou senkte schnell den Kopf und sah zu Boden, aber ich kannte ihn einfach zu gut, um nicht zu spüren, dass er krampfhaft bemüht war, seine Heiterkeit nicht für jeden sichtbar werden zu lassen. Alle Blicke waren jetzt auf mich gerichtet, so dass ich mich beinahe schon gezwungen sah, eine Erklärung für mein befremdliches Verhalten abzugeben. Also entgegnete ich auf Firehands Vermutung, wenn auch nur ganz vage: „Nun ja – ich habe wohl auch allen Grund dazu, nicht wahr? Wir alle haben überlebt, und ich bin so dankbar für das größte Geschenk, welches mir gemacht worden ist – und damit meine ich natürlich das Leben Winnetous!“ Mein Blick blieb an der schlanken Gestalt neben mir haften, und ich konnte gar nicht anders als ihn dabei liebevoll anzulächeln. Mein Blutsbruder erwiderte dieses Lächeln auf seine feinsinnige Art, und sein Blick ruhte nun innig und voller Wärme auf mir. „Recht hast du, mein Junge!“, dröhnte Firehand mit lauter Stimme und haute mir zur Bestätigung noch einmal mit Wucht auf die Schulter, so dass ich unwillkürlich mit dem Oberkörper leicht einknickte, was die Männer ringsherum wieder in gröhlendes Gelächter ausbrechen ließ. Doch dann widmete sich der Hüne glücklicherweise wieder den Gefährten, so dass ich mich nach einigen Sekunden wieder ganz auf den herrlichen Menschen neben mir konzentrieren konnte. Aber leider war mir dieses Glück nicht lange hold. Ein plötzlicher Tumult aus der hintersten Ecke des Lagers, in der sich die Gefangenen befanden, ließ uns alle mit einem Male aus der friedlichen Stimmung hochschrecken. Nun drang auch noch lautes Rufen und Schreien zu uns hinüber, gefolgt von lautem Schmerzensgeheul, so dass wir uns sofort und auf das Schlimmste gefasst zu der Quelle der Geräusche aufmachten, jeder schon mit einer Waffe in der Hand. Als wir dort ankamen, blieben wir alle wie auf Kommando stehen, als ob wir gegen eine unsichtbare Wand gerannt wären, denn vor uns bot sich ein erschreckendes Bild: Alle zehn Mitglieder der Familie Butterfield befanden sich, warum auch immer, plötzlich bei den Gefangenen, und diese waren auch glücklicherweise weiterhin unsere Gefangenen, das heißt, sie waren allesamt noch gefesselt. Das allerdings hatte den Dreckskerl namens Thomson nicht daran hindern können, seine immer noch nach vorn gebundenen Hände samt seiner Unterarme um den Hals des vor ihm knienden Elias Peterson zu legen und mittlerweile damit so fest zuzudrücken, dass dem armen Kerl schon fast die Augen aus den Höhlen traten und sein Gesicht eine fürchterliche blaurote Färbung angenommen hatte. Nach der ersten Schrecksekunde zielten im nächsten Moment mindestens dreißig Gewehre und Revolver auf den Widerling, der aber entgegen aller Erwartungen darüber nur lauthals zu lachen begann. Noch bevor einer von uns zum Sprechen ansetzen konnte, spürte ich neben mir eine leise Bewegung und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich mein Winnetou ganz langsam und äußerst vorsichtig von uns zurückzog. Was hatte er nur vor? Wollte er den Schurken von hinten überraschen und überwältigen? Das Gebüsch hinter Thomson war gespickt mit großen Dornen, da würde selbst für den Apatschenhäuptling ein Durchkommen unmöglich werden, ohne auch nur das geringste Geräusch zu verursachen oder sich die Haut in Fetzen reißen zu lassen! Trotzdem ließ ich mir natürlich nichts anmerken, sondern wandte mich Thomson zu, indem ich ihn wütend anfauchte: „Was soll das, Thomson? Lasst den jungen Mann los, aber sofort!“ Auch das machte keinerlei Eindruck auf den Halunken, im Gegenteil, er begann nur noch lauter zu lachen. Es dauerte aber nicht lange, da wurde seine Mimik wieder ernst und sein Gesicht verwandelte sich in eine hasserfüllte Fratze, als er mich anraunzte: „Das werde ich ganz sicher nicht tun, Shatterhand! Und wenn Ihr jetzt nicht sofort gehorcht und macht, was ich Euch sage, dann wird dieses Bürschchen hier die nächsten Minuten garantiert nicht mehr überleben, das schwöre ich!“ „Euren Schwur könnt Ihr Euch sonst wo hin stecken, Thomson! Was bezweckt Ihr mit dieser Farce hier eigentlich? Glaubt Ihr etwa im Ernst, dass Ihr mit einer Geisel im Schlepptau in dieser wasserarmen Gegend weit kommen werdet?“ Ich sah Winnetou nicht mehr, und egal was mein Blutsbruder auch vorhaben mochte, ich konnte ihn jetzt nur unterstützen, indem ich den Mistkerl hier vor mir so gut wie möglich ablenkte, weshalb ich immer weiter redete: „Ganz abgesehen davon, dass wir Euch auch mit einer Geisel ganz bestimmt nicht einfach mal eben so laufen lassen werden!“ „Das lasst mal alles hübsch meine Sorge sein, Shatterhand! Ihr werdet jetzt sofort das Jüngelchen dort hinten“ - er deutete auf Morton Butterfield, dem jüngsten Mitglied der hier anwesenden Familie – „meine Fesseln lösen lassen. Dann wird er mir einen geladenen Revolver überreichen und sich anschließend um die Befreiung meiner Kumpane kümmern, und auch diese werden von ihm bewaffnet, und zwar mit Euren eigenen Revolvern und Gewehren!“ „Habt Ihr getrunken?“, fragte ich kopfschüttelnd. „Wie kommt Ihr nur auf den Gedanken, dass wir Euch zu Willen sein werden? Ihr werdet noch nicht einmal einen rostigen Nagel von uns in die Hände bekommen, so wahr ich hier stehe!“ „Meint Ihr?“, entgegnete Thomson mit einem höhnischen Grinsen im Gesicht. „Wenn nicht binnen zweier Minuten alles genauso geschehen ist, wie ich es will, dann ist das Greenhorn hier ein toter Mann, darauf könnt Ihr Euch verlassen!“ „Ebenso wie Ihr, und zwar noch in derselben Sekunde!“, stellte ich unmissverständlich klar. Thomson aber befand meine Antwort wohl für recht belustigend, denn schon wieder begann er, lauthals zu lachen. „Ach, Shatterhand – macht Euch doch nicht lächerlich! Als ob gerade Ihr kaltblütig dabei zusehen könntet, wie ein so junges Leben einfach ausgelöscht wird, noch dazu, wenn es Euch möglich ist, dieses durch kleine Zugeständnisse zu retten! Außerdem seid Ihr viel zu gutmütig und viel zu christlich, als dass Ihr einem Mord an mich zustimmen könntet – habe ich Recht?“ Als ich nichts darauf antwortete, und auch keiner unserer Gefährten irgendetwas sagte, begann er wieder zu lachen. „Seht Ihr? Also, ab jetzt habt Ihr nur noch eine Minute – und dann will ich meine Kumpels samt meiner Wenigkeit befreit und bewaffnet sehen, sonst macht Ihr Euch des Mordes an diesem Kind hier mitschuldig!“ Was für eine zynische Verdrehung der Tatsachen! Und tatsächlich war ich einen Augenblick lang richtiggehend hilflos, denn weder wollte ich den Mörder befreien, noch wollte ich mit ansehen, wie er Elisas Peterson vor meinen Augen erwürgte! Dieser begann nun auch noch laut zu röcheln und zu keuchen, und an seinen hervorquellenden Augen konnte ich gut erkennen, dass er gar nicht mehr richtig bei Bewusstsein war. Meine Gefährten schauten alle genauso ratlos drein wie ich, während die Sekunden verrannen – doch jetzt war auf einmal ein sirrendes Geräusch zu vernehmen – und nun zuckte Thomson plötzlich heftig zusammen und stieß im gleichen Moment ein wahrhaft ohrenbetäubendes Gebrüll aus, während er sich mit beiden Händen an seine Schulter fasste, wo mit einem Male ein Pfeil steckte, der tief in das Fleisch eingedrungen war. Glücklicherweise entließ er dabei unbewusst Elias Peterson aus seinem Würgegriff, ohne ihm noch weiteren Schaden zufügen zu können. Der Jüngling brach keuchend und nach Atem ringend auf der Erde zusammen, doch im gleichen Augenblick waren schon drei, vier Westmänner bei ihm, packten ihn unter den Armen und zogen ihn schnellstmöglich aus dem Gefahrenbereich. Zeitgleich dazu warfen sich mindestens ein Dutzend Apatschen auf den immer noch schreienden Thomson, schnitten ihm die Fesseln an den Handgelenken durch, rissen ihm dann die Hände auf den Rücken und verschnürten ihn in Windeseile zu einem kunstvollen Paket, ungeachtet seines fortdauernden Schmerzensgeheul, welches aufgrund dieser brutalen Behandlung natürlich noch an Stärke deutlich zunahm. Offenbar wurde dieses den Mescaleros dann auch schnell zu viel, denn kurzerhand stopften sie dem Halunken sein eigenes Halstuch in den Mund und knebelten ihn anschließend auf eine nicht minder unzarte Art und Weise. Ich hatte mich derweil suchend umgesehen und schnell meinen Blutsbruder ausgemacht, der mit Pfeil und Bogen in der Hand auf einer kleinen Anhöhe stand. Kurz zuvor musste er sich tief in den Schatten eines großen Felsens zurückgezogen haben, um unbemerkt den Pfeil auf Thomson abschießen zu können, was aus dieser Entfernung wirklich nur ein wahrer Meisterschuss genannt werden konnte. Jetzt sprang er leichtfüßig von den Felsen herunter und wurde sogleich von den Gefährten umringt, die ihm lautstark zu diesem Kunststück gratulierten. Das wurde Winnetou allerdings schnell zu viel, und daher begab er sich rasch an meine Seite in der Hoffnung, dem Ganzen so irgendwie entgehen zu können. Ich machte aus diesem Grund unseren Freunden mittels einiger Zeichen deutlich, dass sie sich jetzt bitte zurückhalten sollten, und diesem Wunsch wurde auch schnell Folge geleistet. Nun begaben wir uns schnell zu den Butterfields, die ihr völlig unter Schock stehendes Familienmitglied umringt hatten und sich mit vor Aufregung zitternden Händen um ihn bemühten. Als ich mit Winnetou an ihre Seite trat, machte man uns rasch Platz, so dass der Apatsche den Zustand des jungen Mannes begutachten konnte. Dieser bekam zwar mittlerweile wieder etwas Luft, doch seine Atmung ging noch laut und pfeifend und viel zu schnell, außerdem zitterte er wie Espenlaub. Winnetou betastete in seiner unvergleichlichen sanften Weise die Würgemale am Hals des Unglücklichen und sorgte schließlich dafür, dass dieser sich in einer etwas bequemeren Lage hinlegen konnte. Dann war auch schon unser Doktor da, der direkt nach Beendigung der Geiselnahme losgesaust war, um im Eiltempo seine Tasche mit allen notwendigen medizinischen Utensilien zu holen. Gemeinsam mit Winnetou bemühte er sich einige Zeit lang um Peterson, und kurz darauf gaben sie die Anweisung, dass der junge Mann in einer ruhigen Ecke, natürlich weit entfernt von den Gefangenen, zu liegen kam, wo er mittels einiger Medikamente in einen erholsamen Schlaf fallen konnte, während einige seiner Verwandten bei ihm wachten. Die anderen wurden jetzt aber sofort an das Feuer beordert, wo sie nun aufgrund ihres sichtlich schlechten Gewissens mit äußerst betretenden Mienen in Reih und Glied aufgestellt vor uns standen, die Köpfe zu Boden gesenkt und wie die Schulbuben eine geharnischte Strafpredigt erwartend. Und die erfolgte auch gleich darauf, denn die unvernünftigen Jünglinge hatten mal wieder in einer Weise gehandelt, die selbst dem größten Greenhorn noch alle Ehre gemacht hätte! Aufgrund des ständigen und qualvollen Wehklagens von Thomson waren einige der Butterfields von tiefem Mitleid erfüllt worden, zumal der gerissene Halunke immer dann, wenn wir es nicht mitbekamen, einen oder gleich mehrere der Jünglinge mit jammervoller Miene um Hilfe gebeten hatte. Gleichermaßen war in Elias Peterson die Erinnerung an das Gespräch mit mir von vor einigen Tagen, wo es um Menschlichkeit und Gnade vor Recht ging, wieder hochgekommen, und zu guter Letzt hatte er aus unserer Entscheidung, Thomson die Hände nach vorne anstatt auf den Rücken fesseln zu lassen sowie meiner dahingehenden Fürsprache, dem Halunken die Knebel abzunehmen und ohne besondere Bewachung zu lassen, zu erkennen geglaubt, dass ich im Grunde mit einer medizinischen Behandlung des Kerls einverstanden gewesen wäre, mich aber nicht gegen die Gefährten hatte durchsetzen können. Als er sich am späten Abend dann zu den Gefangenen begeben und den wachhabenden Apatschen davon überzeugt hatte, dass ich damit einverstanden gewesen sei, glaubte er sicher, dass ich sein Handeln im Nachhinein noch gutheißen würde, da er die Milde walten lassen wollte, für die ich ja so bekannt sei. Der Apatsche hatte sich, während sich Peterson die immer noch geschwollene Wange des Erzschurken betrachtete, nur einmal kurz umgedreht, nämlich genau in dem Augenblick, als unsere ganze Gesellschaft wegen meiner Träumerei vorhin am Feuer in lautes Gelächter ausgebrochen war. Dadurch war der Indianer nur einen kleinen Moment abgelenkt gewesen, so dass Thomson blitzschnell seine Arme über den Kopf des jungen Mannes werfen und sogleich fest zudrücken konnte. Kopfschüttelnd hörten wir uns den kleinlauten Bericht der jungen Leute an. Dann aber führten wir ihnen in aller Strenge ihr Fehlverhalten ausgiebig vor Augen, und diesen Part übernahm nun ganz bewusst Old Firehand, denn der Westmann machte allein schon durch seine hünenhafte Statur und seine kraftvolle Stimme den meisten Eindruck auf die Jünglinge. Er ließ dann auch in seiner langen Strafpredigt nichts aus und genoss deren Wirkung auf die Butterfields sichtlich, so dass ich fast in Versuchung gekommen wäre, ihn um ein schnelleres Ende zu bitten, denn die jungen Männer sahen mittlerweile so aus, als würden sie gleich in Tränen ausbrechen. Ihr Leichtsinn war schließlich auch sofort bestraft worden, so dass ich mir sicher war, dass sie aus diesem Fehler recht viel würden lernen können. Trotzdem stimmte ich mit den anderen Gefährten überein, dass wir alle wohl einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen konnten, wenn wir diese unvergleichlichen Greenhorns an ihrem Zielort sicher ihrer Familie übergeben haben würden! Am nächsten Tag ging es dem jungen Butterfield schon viel besser, wenngleich die großflächigen Male an seinem Hals einfach schauderhaft aussahen und ihn noch lange an den gestrigen Abend erinnern würden. Stumm hielt er sich während des Ritts in der Mitte seiner Familie und wagte kaum aufzusehen, so sehr schämte er sich für seine Dummheit, die ja schließlich nicht nur ihn in große Gefahr hätte bringen können. Wir überließen die jungen Männer dann auch für den Rest des Tages sich selbst – Strafe muss schließlich sein! Thomson hingegen lag mehr auf seinem Pferd, als dass er saß. Die Schulterwunde war zwar professionell vom Doktor versorgt worden, der dazu allerdings nur deshalb bereit gewesen war, „damit der Kerl auch ja noch bis zum Pueblo durchhält, wo wir ihn endlich hängen sehen können!“, wie er sich so treffend ausdrückte. Allerdings musste der Verbrecher wohl unter den größten Schmerzen leiden, doch weder Winnetou noch Walter Hendrick fühlten sich in irgendeiner Weise genötigt, ihm diese etwas zu erleichtern. Am frühen Abend konnten wir die ersten Ausläufer des Llano Estacado ausmachen. Der Boden wurde immer sandiger, und es gab kaum noch etwas Grün zu sehen, mit Ausnahme einzelner Kakteen, deren Anzahl mit jedem Kilometer nach Osten mehr und mehr zunahm. Winnetou hielt sich die meiste Zeit stumm an meiner Seite. Bisher hatte ich geglaubt, dass er den Ritt einfach weiterhin mit allen Sinnen genießen wollte, und das tat er ja am liebsten ohne irgendwelche Worte zu verlieren. Doch je öfter ich sein schönes Gesicht betrachtete, umso mehr gewann ich den Eindruck, dass ihn irgendeine Sorge bedrückte. Jetzt, am späten Nachmittag, fiel mir auch auf, dass sein Blick immer öfter zum Himmel ging, so dass ich es schließlich genau wissen wollte und ihn kurzerhand fragte: „Mein Bruder macht sich über irgend etwas Gedanken – will er mich nicht daran teilhaben lassen?“ Etwas überrascht sah er mich an, dann aber ging ein verstehendes Lächeln über sein Gesicht und er antwortete: „Old Shatterhand bleibt auch wirklich nichts verborgen!“ „Vor allem dann nicht, wenn es um dich geht, mein Freund! Also: was genau macht dir Sorgen?“ „Winnetou fühlt großes Unheil nahen – und er fürchtet, dass es nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Sieh dir den Himmel an, Scharlih – kannst du dort hinten am Horizont nicht die rötlichen Verfärbungen erkennen? Es braut sich ein Sturm zusammen, und dieser wird heftiger werden als alles, was wir in dieser Hinsicht bisher erlebt haben!“ Sogleich folgte mein Blick der ausgestreckten Hand meines Blutsbruders, die in Richtung des Llano wies, und seine letzten Worte bewirkten, dass sich mir die Nackenhaare hochstellten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)