Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 33: Erinnerungen ------------------------ Blutrote Schleier vor den Augen... hämmernde Schmerzen, als wollten sie meinen Kopf bersten lassen... und dann noch mehr Schmerzen, wenn auch nicht so heftige, allerdings anderer Art, die den ganzen Körper zu umfangen schienen.... doch all das war nichts im Vergleich zu dem furchtbaren Druck, der wie ein Felsbrocken in meinem Innersten zu lasten und meine Brust mehr und mehr einzuengen schien... gleichzeitig fühlte ich mich unendlich traurig... Das waren so ziemlich die ersten Empfindungen, über die ich mir bewusst wurde, als ich wieder einigermaßen klar denken und fühlen konnte. Doch bevor es mir möglich wurde, diesen Gefühlen intensiver nachzuspüren und meine im Kopf umherwirbelnden Gedankenfetzen zu ordnen, wurde mein ganzer Schädel mit einem Male von widerlich stechenden Schmerzen durchbohrt, die einfach nicht mehr auszuhalten waren. Also tat ich das, was in einem solchen Fall wohl das Sinnvollste ist – ich glitt in die Ohnmacht zurück und ließ mich in eine köstliche Dunkelheit und Empfindungslosigkeit hineinfallen. Das Nächste, was mir in Erinnerung geblieben ist, war eine Hand, die meinen immer noch heftig schmerzenden Kopf unendlich vorsichtig anhob, dann eine weitere Hand, die mir einen Becher mit einem heißen, intensiv nach Kräutern duftenden Getränk an die Lippen setzte, sachte, aber immer wieder, so lange, bis ich den Becher vollständig geleert hatte, was mir unglaublich wohltat. Daraufhin wurde mein Kopf ganz sanft zurück in die Kissen gebettet. Ich öffnete die Augen, um erkennen zu können, wer mich da auf eine solch liebevolle Weise umsorgte, konnte aber nur schemenhaft ein Gesicht sehen, völlig verschwommen, und im gleichen Moment zog sich mein Geist ein weiteres Mal zurück. Träumte ich? Einerseits fühlte ich mich äußerst wohl – war das der Himmel? Die unendliche Glückseligkeit? Urplötzlich aber war die Luft mit einem Mal erfüllt von Geschrei, angstvollem Rufen, fast panikartig, und nun nahm ich auch einen Druck in meinem Herzen wahr, der kaum mehr auszuhalten war. Es schmerzte, tat einfach furchtbar weh; ich dachte, es würde gleich zerspringen - und ich wünschte mir in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als dass alles wieder gut würde, als dass der Grund für diese Angst, die ich sowohl in meinem Innersten als auch um mich herum verspürte, sich wieder zum Guten wenden würde – leben würde.... Später konnte ich mich, zumindest vorerst, nur an diese wenigen Worte erinnern, die ich immer wieder dachte, die mein Geist ständig wiederholte: „Bleib bei mir – bitte, bleib... nicht weitergehen....“ Und irgendwann, ganz allmählich, ganz langsam, verschwand das Grauen. Wieder einige Zeit später erwachte ich erneut und hatte dabei das Gefühl, das stete Hämmern in meinem Schädel hätte zu meinem Erwachen geführt. Erwachen? Ja, war ich denn überhaupt wach – lebte ich? Eine Vielzahl von Empfindungen strömte mit einem Mal auf mich ein, aber ich konnte sie überhaupt noch nicht ordnen. Was war denn nur geschehen? Ich versuchte, mich zu bewegen – es ging nicht. Versuchte, wenigstens die Augen zu öffnen – auch das war mir nicht möglich. Warum nicht? Was war denn nur mit mir los? Ganz ruhig, ermahnte ich mich selbst. Ruhig Blut, einen kühlen Kopf bewahren, das war jetzt das Wichtigste. Mit weiterhin geschlossenen Augen blieb ich also ganz still liegen und versuchte, mit allen Sinnen zu erfassen, in was für einer Lage ich mich eigentlich befand. Mein Kopf schmerzte immer noch, aber inzwischen erinnerte ich mich auch wieder an mein erstes Erwachen und wusste sofort, dass das peinigende Hämmern seitdem deutlich abgenommen hatte. Und der Rest meines Körpers? Hier und da zwickte es wohl, aber das war nun wirklich nicht der Rede wert. Aber warum hatte ich dann das furchtbare Gefühl, dass mein Innerstes vor Schmerzen fast schon brannte? Im gleichen Moment legte sich ein immenser und beklemmender Druck auf meine Brust – aber das war nicht körperlich, das spürte ich sofort. Meine Seele stand in Flammen, was mir jetzt mit aller Deutlichkeit bewusst wurde. Und bevor ich mir noch weiter Gedanken über das Warum machen konnte, überfielen mich die Erinnerungen an die letzten Ereignisse so plötzlich und mit solch einer Macht, dass sie mich unwillkürlich laut und gequält aufstöhnen ließen. Gleichzeitig riss ich die Augen auf – wieso gelang mir das auf einmal so leicht? - mein Blick fiel auf eine mir sehr bekannte steinerne Wand – und jetzt wurde das grauenhafte Gefühl in mir zur furchtbaren Gewissheit: Ich war tatsächlich am Leben! Ich lebte – aber mein geliebter Freund, die Liebe meines Lebens, mein Winnetou – war tot! Erschossen! Durch meine eigene Hand!!! Wer zum Teufel hatte mich nur vor dem Tod bewahrt?? Eine unsägliche Wut machte sich in mir breit; am liebsten hätte ich den Betreffenden sofort mit beiden Fäusten zu Boden geschmettert – wie konnte man mir nur so etwas antun? Warum hatten sie nicht zugelassen, dass ich meinem Blutsbruder folgen konnte? Wie um alles in der Welt sollte ich denn nur ohne ihn leben, leben können? Daran war überhaupt nicht zu denken! Wieder entwich mir ein gequältes Stöhnen, denn jetzt begann ich den Kopf zu drehen, um meine Umgebung abzusuchen, dabei aber die sofort stärker werdenden Schmerzen in meinem Schädel zu ignorieren versuchend. Ich glaube, wenn ich in diesem Moment eine Waffe gefunden hätte – sie wäre von mir höchstwahrscheinlich dazu benutzt worden, mich selbst zu richten! Doch dazu kam es glücklicherweise nicht, konnte es gar nicht kommen, da ich einerseits überhaupt noch nicht in der Lage war, mehr als meinen Kopf zu bewegen, und auch das ging nur langsam und zentimeterweise – andererseits war nun auch mit einem Mal eine mir sehr bekannte Stimme neben mir zu hören, gleichzeitig wurde ich zu beiden Seiten von kräftigen Händen gepackt und regelrecht auf mein Lager fixiert. „Charlie, nicht! Du musst liegenbleiben – ganz ruhig, du darfst dich noch nicht viel bewegen, am besten überhaupt nicht!“ Das war die Stimme unseres guten Doktor Hendrick, die zu hören mich im Normalfall sehr erfreut hätte, doch mir erschien jetzt überhaupt nichts mehr normal. Verzweifelt schüttelte ich den Kopf, der sich sofort wieder mit stechenden Schmerzen dafür rächte; trotzdem versuchte ich weiterhin wütend, die mich haltenden Hände abzuschütteln, hatte allerdings nicht den Hauch einer Chance. Eine Hand legte sich auf meine Stirn, drückte damit meinen Kopf vorsichtig zurück in die Kissen. Auch dagegen versuchte ich mich noch zu wehren, aber meine Kräfte waren schon verbraucht. Ich konnte jetzt nicht mehr verhindern, dass mir ein lautes Schluchzen entfuhr, als ich meine Augen wieder öffnete, die sich dann auch sofort mit Tränen füllten. Daher erkannte ich das Gesicht von Walter nur schemenhaft, aber er war eindeutig da, und er sah mich mit einer solchen Güte, Liebe und gleichzeitig großen Besorgnis an, dass mir deswegen fast übel wurde. Ich hatte nichts, aber auch wirklich gar nichts davon verdient! Wie konnte ein nur halbwegs anständiger Mensch mir, dem Mörder meines geliebten Blutsbruders, freundschaftliche Gefühle entgegenbringen? Ablehnung, wenn nicht sogar Hass und Abscheu, das müsste ich eigentlich in Walters Augen lesen können, aber doch nicht diese berührende Fürsorglichkeit! Er strich mir jetzt überaus sanft mit seiner Hand über Stirn und Wangen, während er flüsterte: „Charlie – ganz ruhig! Bleib ganz ruhig, es wird alles gut!“ Noch heftiger musste ich schluchzen, während ich versuchte, die richtigen Worte zu finden, zu formen: „Winnetou – oh mein Gott.... mein Winnetou!!!“ Mehr brachte ich beim besten Willen nicht heraus, da mein ganzer Körper nun mit einem Mal von einem heftigen Weinkrampf nur so durchgeschüttelt wurde. Ich schämte mich meiner Tränen nicht, einerseits, weil ich dem Doktor über alle Maßen vertraute, andererseits, weil mir in dem Moment sowieso alles egal war. Sollten andere doch von mir denken, was sie wollten! Ich hatte ein unverzeihliches, nicht wieder gut zu machendes Verbrechen begangen, und würde das für den Rest meines Lebens, das hoffentlich nur noch kurz währen würde, zutiefst bereuen – ja, wahrscheinlich sogar daran zerbrechen, aber das konnte mir doch nun wirklich mehr als lieb sein. Ich war so in meinem Kummer und Schmerz versunken, dass ich kaum bemerkte, dass sich nun eine zweite, etwas größere Hand an meiner Wange befand und dabei liebevoll versuchte, meine Tränen zu trocknen, was aufgrund des steten Stroms im Augenblick ein Ding der Unmöglichkeit war. Eine zweite Hand strich beruhigend durch mein Haar, während ich wieder den Doktor gewahr wurde, der sich nun bemühte, mit einem Tuch meiner Tränenflut Herr zu werden und gleichzeitig in einer fast schon beschwörenden Weise auf mich einsprach, mit Worten, deren Sinn ich im Moment gar nicht verstand. Nur ein Satz, der ragte überdeutlich aus dem ganzen Nebel heraus: „Charlie, so beruhige dich doch! Es ist wirklich alles in Ordnung – alles ist gut, so glaube mir doch endlich!“ Ein empörtes und ungläubiges Schnauben entwich mir; ich konnte es nicht mehr aufhalten, wollte es auch gar nicht. Mit zitternder, krächzender Stimme antwortete ich, im höchsten Grade verbittert: „Nichts wird gut! Nie wieder kann irgendetwas gut werden, also hör doch auf, solch einen Blödsinn zu reden! Mir brauchst du nichts vorzumachen!“ Anstelle von Walter entgegnete mir jetzt auf meiner anderen Seite eine mir ebenfalls wohlbekannte Stimme, die meine Verärgerung sanft zu überspielen versuchte: „Charlie, bitte - jetzt hör doch erst mal einen Moment zu, bevor....“ Weiter kam Emery nicht – denn niemand anderes als er war es, der da neben mir saß – weil ich jetzt richtig wütend wurde. Obwohl mir, wahrscheinlich aufgrund einer lang anhaltenden Bewusstlosigkeit, das Sprechen noch größte Schwierigkeiten bereitete und mein Gezeter deshalb nur sehr leise bei meinen Gefährten ankam, konnten sie meinen Zorn doch wohl mehr als deutlich heraushören: „Hört auf, so zu reden! Lasst mich doch einfach in Ruhe mit eurem „Alles wird gut“-Getue! Ich kann es nicht mehr hören, ich will es auch gar nicht!“ Anstatt nun gekränkt und beleidigt zu reagieren, bemühten sich die beiden aber nur noch intensiver um mich, und Walter war es dann, der mich mit seinen nächsten Worten schlagartig aus meinem verzweifelten Zustand herausholte, wahrscheinlich auch deshalb, weil er sie fast schon brüllte: „Mein lieber Freund, jetzt HÖR ENDLICH ZU: WINNETOU LEBT!! Hast du verstanden, Charlie? Er lebt, er IST NICHT TOT!!!“ Diese wenigen, eindringlichen Sätze ließen meinen Körper sofort erzittern und bewirkten gleichzeitig, dass ich unwillkürlich die Luft anhielt. Ich riss die Augen wieder auf und starrte erst den Doktor, dann den Engländer fassungslos an. „Was sagt er da? Ist er nicht mehr ganz bei Trost?“ „Ganz im Gegenteil, mein Freund, wir sind beide vollkommen Herren über unsere Sinne, im Gegensatz zu dir, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf!“, antwortete Emery. „Warum lügt ihr mich an?“ Ich war drauf und dran, ein weiteres Mal ernstlich böse zu werden. „Ich werde... ich werde damit leben müssen, dass Winnetou.... dass er.... und je früher ich.... umso....“ Ich konnte es einfach nicht aussprechen, das Unfassbare, die grausame Wahrheit, ich konnte einfach nicht! Abermals schossen mir die Tränen in die Augen, doch der Doktor und Emery gaben nicht auf. „Charlie – warum in Gottes Namen sollten wir dich in solch einer ernsten Sache belügen?“, fragte Walter fast schon entsetzt. „Dein Blutsbruder lebt und ist in Sicherheit!“ Absolut sprachlos starrte ich ihn weiterhin an, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen. Meine Gedanken wirbelten völlig unkontrolliert in meinem Gehirn herum, und nur langsam war ich wieder in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Konnte das wirklich wahr sein? Konnte es tatsächlich möglich sein, dass mein geliebter Freund die vergangenen furchtbaren Geschehnisse überlebt hatte? Noch einmal drängten sich mir überdeutlich die Erinnerungen an die letzten Minuten des Kampfes auf: meine Hand, die, ohne auch nur im Geringsten zu zittern, den Revolver hielt, der auf Winnetous Herz zielte, das Messer von Thomson, dessen Klinge kurz davor stand, in den Oberbauch des Apatschen einzudringen, mein Zeigefinger, der sich langsam krümmte und dann den Abzug letztendlich durchzog.... Ich konnte auf keinen Fall mein Ziel verfehlt haben – also wie sollte es dann möglich sein, dass mein Freund noch am Leben war? Ich verstand die Welt nicht mehr. In diesem Augenblick wiederholte der Engländer noch einmal Walters Worte, wie zur Bestätigung, wohl um sicherzugehen, dass sie bei mir auch tatsächlich ankamen: „Charlie, bitte - so begreife es doch endlich: Winnetou lebt, er ist hier in Sicherheit!“ Ich hob meine Hand, griff Emery äußerst unsanft in den Hemdausschnitt und zog ihn daran weit zu mir herunter. „Wo?“, fragte ich krächzend, angespannt. „Wo ist er?“ „Hier, nebenan, dort auf dem Lager!“, fiel Hendrick sogleich ein, sichtlich froh darüber, dass ich endlich auf seine Botschaft reagierte. Doch als er sah, dass ich Anstalten machte, mich aufzurichten und nach meinem geliebten Freund zu rufen, hielt er mich sofort wieder fest und sagte eindringlich: „Er kann dich nicht hören, Charlie – ich habe ihn für die nächste Zeit ruhig gestellt, um sicherzugehen, dass er diese ganze Geschichte hier auch weiterhin überleben wird. Und wenn du jetzt nicht endlich still liegen bleibst, dann werde ich das Gleiche mit dir veranstalten! Du hilfst deinem Freund in keinster Weise, wenn er sich auch noch um dich sorgen muss!“ „Richtig!“, fiel nun auch wieder der Engländer ein. „Winnetou braucht dich jetzt, mein Lieber, aber bitte im möglichst unversehrten Zustand – also sorge lieber dafür, dass du rasch wieder gesund wirst und hör endlich auf, dich hier unnötig zu verausgaben!“ Störrisch schüttelte ich den Kopf und flüsterte mit fast versagender, jedoch sehr eindringlicher Stimme: „Ich WILL ihn aber sehen, Herrgott nochmal!“ Meine Gefährten sahen jetzt endlich ein, dass ich nie und nimmer Ruhe geben würde, bevor sie mir nicht meinen Wunsch erfüllt hatten, und so griffen sie schließlich links und rechts zu, richteten mich so weit auf, dass ich zu der anderen Bettstatt in der Kammer herüber sehen konnte und dort auch tatsächlich – es war wirklich kaum zu glauben - meinen geliebten Freund erkannte, der reglos unter vielen Decken lag. Eigentlich konnte ich von ihm nicht viel mehr wahrnehmen als sein jetzt fast schon blasses und regelrecht spitzes Gesicht, in dem die langen Wimpern und die dichten, schön geschwungenen und tiefschwarzen Augenbrauen viel deutlicher als sonst hervortraten, da sie sich von der unnatürlichen Blässe seiner Haut stark abhoben. Mehrere Sekunden saß ich so und starrte meinen Blutsbruder überaus fassungslos an, beobachtete ihn und auch die Wolldecken und Felle, in die er eingepackt lag, ganz genau. Und erst als ich eine fast schon zaghafte Atembewegung meines Freundes darunter ausmachen konnte, schloss ich erschöpft die Augen und ließ mich mit einem lauten Aufseufzen in die Kissen zurück sinken. Eine gefühlt mindestens haushohe Welle der Erleichterung und der unbändigen Freude durchfluteten mit einem Male mein Innerstes; ich fühlte mich fast schon trunken vor Glück – er lebte! Mein über alles geliebter Freund lebte! Ich war nicht zum Mörder meines Blutsbruders geworden, ich durfte ihn weiterhin ansehen, berühren – ihn lieben! Dann aber kamen mir wieder die letzten Sekunden des Kampfes in den Sinn, und fast schon ungläubig schüttelte ich abermals den Kopf; ich verstand jetzt gar nichts mehr. Wie war das alles nur möglich? Ich öffnete daher erneut meine Augen und starrte, noch immer völlig verwirrt, meine beiden Gefährten eine Zeit lang an, bevor ich mich wieder daran erinnerte, dass meine Sprechwerkzeuge ja noch funktionstüchtig waren und ich sie nur gebrauchen musste. „Ja – habe ich ihn denn nicht getroffen...?“ Fast schon zaghaft kamen mir diese Worte über die Lippen, so unfassbar schien mir das alles zu sein. Emery seufzte nun leise in sich hinein, bevor er wieder zum Sprechen ansetzte: „Ja und nein! Es ist...“. Ich unterbrach ihn sofort. „Was soll das heißen? Wie meinst du das?“ „Bitte, Charlie, nun lass uns das dir in Ruhe erklären, ja?“, fiel der Doktor wieder ein. „Du wirst jetzt alles erfahren, aber ich will, dass du dabei ruhig liegen bleibst, hörst du? Dein Kopf hat einen furchtbaren Schlag von einem Stein abbekommen, und außerdem war das Schlangengift zu dem Zeitpunkt noch nicht völlig neutralisiert worden, so dass wir wirklich einige Schwierigkeiten hatten, dir deine Gesundheit, vielleicht sogar das Leben zu erhalten! Wenn Winnetou nicht gewesen wäre....“ „Was?“, rief ich erschrocken aus und wollte schon wieder hochfahren, um noch mal einen Blick auf meinen Blutsbruder werfen zu können – und erneut pressten mich meine beiden Aufpasser fest in die Kissen, wurden dabei aber nun deutlich ungehaltener. „Noch ein Mal, mein Freund“, drohte mir der Doktor jetzt auch unverblümt. „Noch ein Mal so eine Aktion, und ich lege dich ebenfalls sofort schlafen, hast du verstanden?“ Sein grimmiger Gesichtsausdruck sprach Bände, und somit nickte ich ergeben und sah beide Gefährten wieder erwartungsvoll an, begierig darauf, endlich zu erfahren, was genau meinem Winnetou und letztendlich uns allen widerfahren war und das Leben gerettet hatte. Außerdem wurde mir erst jetzt so richtig bewusst, dass Emery an meiner Seite saß, obwohl er doch eigentlich mit den anderen Gefährten den Kiowas gefolgt war – aber ich konnte ja nicht wissen, wie lange ich ohne Besinnung gelegen hatte, und eigentlich war mir das alles im Moment auch wirklich völlig gleichgültig; für mich zählte nur eines: dass mein Winnetou tatsächlich am Leben war - und so ganz allmählich machte sich in mir ein beruhigendes und gleichzeitig ermattetes, aber äußerst wohliges Gefühl breit. Also blieb ich den Anweisungen des Arztes gemäß ruhig liegen und hoffte dabei, dass die Freunde mich schleunigst über die vergangenen Geschehnisse aufklären würden. Und schließlich begann der Engländer dann auch endlich mit folgenden Worten: „Ich nehme einfach mal an, dass das Letzte, an das du dich erinnern kannst, der Moment ist, an dem du abgedrückt hast?“, fragte er mich vorsichtig. Ich nickte beklommen, und er fuhr fort: „Es war in der Tat noch genau eine Kugel in dem Revolver – und du hast Winnetou auch tatsächlich getroffen, wenn....“. Er wurde ein wenig lauter, als er bemerkte, dass ich vor Schreck zusammenzuckte, und ließ vorsorglich seine Hand auf meine Schulter gedrückt, um mir gar nicht erst eine Gelegenheit zu bieten, wieder hochzukommen. „....wenngleich auch nicht dort, wohin du gezielt hattest!“, vollendete Emery nun den Satz. „In dem Augenblick, in dem du abgedrückt hattest, sind nämlich zwei Dinge gleichzeitig geschehen: Zum einen hat dir unser netter Herr Doktor hier einen faustgroßen Stein an den Kopf geworfen, um dich irgendwie noch im letzten Moment an dem tödlichen Schuss zu hindern – wobei ich neidlos anerkennen muss, dass er in dieser Hinsicht wirklich äußerst treffsicher ist!“ Ich bemerkte den jetzt etwas betretenen Gesichtsausdruck des Arztes, doch anscheinend war der gleiche Ausdruck auch auf meinem Gesicht zu sehen gewesen, zumindest seit dem Zeitpunkt, als mir der Engländer meine Befürchtung bestätigt hatte, dass ich wirklich auf meinen Blutsbruder geschossen hatte. Emery erkannte das sofort und bemühte sich schnell, mir meine Gewissensbisse wieder zu nehmen: „Aber jetzt mach dir bloß keine Vorwürfe wegen deines Tuns, Charlie! Ich glaube nämlich ganz bestimmt, dass an deiner Stelle jeder von uns so gehandelt hätte; außerdem konntest du ja auch in keinster Weise ahnen, dass noch rechtzeitig Hilfe nahen würde!“ Trotz dieser Worte fühlte ich mich immer noch tief beschämt über die Tatsache, dass jemand anderer hatte verhindern müssen, dass ich meinen besten Freund erschoss. Und um mich davon irgendwie wieder abzulenken, erklärte mein Gefährte jetzt auch schnell weiter: „Zum anderen ist Winnetou genau in diesem Augenblick zum ersten Mal aufgrund seines schlechten Zustandes zusammengebrochen; und gerade als er in sich zusammensackte, fiel dein Schuss, streifte ihn aber nur noch oberflächlich an der Seite seiner Schulter!“ „Großer Gott!“, flüsterte ich betroffen, mir dabei die Hand vor dem Mund haltend. Der Doktor ergriff jetzt meine andere Hand und fuhr anstelle des Engländers fort: „Und noch etwas: Nicht nur Winnetous Schulter hattest du getroffen – die Kugel drang anschließend auch in den Hals des Tramps ein, der ihn festhielt, und tötete den Kerl auf der Stelle Aber – jetzt kommt das Wichtigste: Auch wenn diese beiden Dinge nicht geschehen wären – du hättest Winnetou eigentlich gar nicht tödlich treffen können, zumindest, wenn du genau gezielt hättest...“. Er bemerkte meinen jetzt äußerst verwirrten Blick und lächelte leise: „Ja, mein Freund – das Schicksal hat es wirklich definitiv anders gewollt: Der Lauf deines Revolvers hatte sich nämlich, wahrscheinlich in dem ganzen Kampfgetümmel, leicht verzogen, da er auf dem Boden gelegen hatte; er zeigt jetzt eine leichte Krümmung auf – hier, sieh selbst!“ Im gleichen Moment hielt er mir meine Waffe entgegen, und ich konnte sofort erkennen, dass er Recht hatte – mit dem Ding würde ich nie wieder geradeaus schießen können! Ich konnte es einfach nicht fassen. Was für ein unglaubliches Zusammentreffen gleich mehrerer Zufälle! Zufall? Nein, das war es nicht, das spürte ich in dem Augenblick ganz genau – da hatten ja wohl eher gleich mehrere Schutzengel über mich, vor allem aber über meinen Blutsbruder gewacht! Mit Schaudern dachte ich an seinen Blick, den letzten, den ich von Winnetou noch bewusst wahrgenommen hatte – ich sah ihn ganz deutlich vor mir, vor allem aber sah ich auch die Hoffnung und die Vorfreude darin.... Hatte ich mich etwa getäuscht? War es die Zuversicht auf ein Weiterleben gewesen, was ich da in Wirklichkeit in Winnetous Augen gesehen hatte? Oder hatte mein Freund, wie ich es in diesem Moment eigentlich auch geglaubt hatte, seinen Tod vor sich gesehen, ihn sogar mit einer gewissen Vorfreude begrüßt – und war er jetzt vielleicht sogar.... enttäuscht? Oder doch glücklich? Mein Blutsbruder hatte mir einmal gesagt, er sei sicher, dass er es rechtzeitig wissen würde, wenn sein Lebensweg dem Ende entgegen gehe. Hatte er dieses Ende jetzt wirklich gespürt und war dabei einem Irrtum auferlegen? Und warum hatte er mir dann vorher nichts gesagt, hatte uns keine Gelegenheit gegeben, dass wir uns in Ruhe und in Liebe voneinander verabschieden konnten? Weil er gleichzeitig meinte zu wissen, dass auch ich gehen würde? Oder weil er sich seiner Sache nicht sicher war? Oder war es in Wirklichkeit so, dass zwar alles in dieser scheinbar ausweglosen Situation danach ausgesehen hatte, als dass wir den nächsten Morgen nicht mehr erleben würden – mein Freund es aber deshalb nicht gespürt hatte, weil das Schicksal es noch gar nicht so wollte? Und ich – hatte mich nicht auch während meiner Bewusstlosigkeit solch ein grauenhaftes Gefühl gepackt, welches dann aber wieder verschwunden war? Hätte ich es nicht auch mit absoluter Sicherheit wissen müssen, wenn mein Winnetou gestorben wäre, aufgrund der unglaublich tiefen Verbundenheit, die zwischen uns war? Hätte dieses Gefühl also dann nicht weiter Bestand haben müssen? Ich konnte diesen Gedanken im Augenblick nicht weiter nachspüren, da jetzt Emery wieder das Wort ergriff: „Kaum lagt ihr beide bewusstlos am Boden, waren unsere Apatschen, die anderen Westmänner und die Soldaten auch schon über die Angreifer hergefallen. Doch so viel hatten wir da eigentlich gar nicht mehr zu tun - ihr hattet ja schon eine äußerst effiziente Vorarbeit geleistet, so dass es nicht mehr allzu viele Gegner waren, die es zu überwältigen galt.“ Der Engländer hatte natürlich meinen völlig erstaunten Blick bemerkt, als er die Soldaten erwähnte, und deshalb berichtete er jetzt auch ausführlich von den vergangenen Geschehnissen. Emery hatte sich mit den restlichen Gefährten aufgemacht, um, wie vorher beschrieben, die Kiowas samt Thomson und seinem weißen Begleiter zu verfolgen. Sie taten das, indem sie der wahrhaft gewaltigen Fährte nachgingen, die vor allem bei Tagesanbruch aufgrund der Vielzahl von Indianern, Weißen sowie über einhundert Pferden gar nicht zu verfehlen war. Es war dann aber mal wieder Tsain-tonkee, dem es aufgrund seines ausgezeichneten Spürsinns irgendwann auffiel, dass die Anzahl dieser Spuren nach und nach abnahm, so als ob sich immer mal wieder einige wenige Teilnehmer von der indianischen Karawane auf eine möglichst unauffällige Weise und an dafür günstigen Stellen entfernt hätten, zum Beispiel an Bachläufen. Es bedurfte schon der scharfen Augen eines Tsain-tonkee, um die winzigen Details erkennen zu können, die auf die Fährte der Abweichler hinwiesen. Und gerade weil das Ganze so nach und nach geschah, wäre es einem weniger aufmerksamen Beobachter wohl kaum aufgefallen – dank dem Mescalero aber wussten unsere Gefährten einige Zeit später, dass innerhalb eines Tages fast die Hälfte der Rothäute den Haupttrupp der Kiowas verlassen hatte. Natürlich war Tsain-tonkee zwischendurch vielen dieser abweichenden Fährten auch gefolgt, die nach einigen hundert Metern zum Glück wieder deutlich zu sehen gewesen waren – ab diesem Punkt waren sich die feindlichen Krieger wohl sicher gewesen, dass ihnen bis hierhin niemand gefolgt sein konnte. Und dann musste der Apatsche irgendwann zu seinem Entsetzen feststellen, dass die besagten Rothäute sich nach kurzer Zeit wieder zusammengefunden und auf den Weg zurück zur Festung gemacht hatten! Was nun? Alleine konnte er nichts ausrichten – also schnell zurück zu den Gefährten, um sie über die drohende Gefahr für uns Daheimgebliebene zu informieren. Spätestens ab diesen Moment war allen klar, dass das Ganze eine ausgeklügelte Falle darstellte. Um völlig sicher zu gehen, schlichen sich Firehand nebst Tsain-tonkee am Abend ganz nahe an die von ihnen weiterhin verfolgten Kiowas heran, um sie zu belauschen, und es gelang ihnen in der Tat, einen kleinen Einblick in den perfiden Plan der roten und weißen Verbrecher zu bekommen. Diese hatten vor, ihre Verfolger, von deren Existenz sie offenbar schon länger wussten, noch einen Tag lang in die Irre zu führen und sie dadurch auch noch weiter von der Festung weg und anschließend in eine Falle zu locken, sie gefangenzunehmen, den Großteil unserer Gefährten zu töten und nur die herausragendsten Westmänner wie Firehand, Surehand, Emery und Sam Hawkens als Geiseln zu nehmen. Danach wollte man mit dem abgetrennten Teil der Truppe wieder zusammentreffen, welcher kurz vor der Festung auf sie warten und in der Zwischenzeit nochmals intensivst den Eingang des Tales ausspionieren wollte, damit dann alle gleichzeitig die restlichen Bewohner überfallen und somit, notfalls mit Hilfe der Geiseln als Druckmittel, an Winnetou und sein Gold herankommen konnten. Übrigens wussten unsere Gegner zu diesem Zeitpunkt schon so ungefähr, wo sich der Eingang zur Festung befand, und das war folgendem Umstand geschuldet: Sie hatten vor wenigen Tagen in dessen Nähe einen der Pelzjäger entdeckt, der dort Wache geschoben hatte. Klugerweise wurde dieser von den Kiowas nicht sofort überwältigt und gefangen genommen, sondern weiterhin nur beobachtet. Dieser Jäger war übrigens Pete Muller, wie die Gefährten später herausfanden. Er hatte allerdings zu unserem Glück die Feinde nicht, natürlich unwissentlich, direkt zum Eingang geführt, sondern er ging gerade an diesem Tag weiter um das große Felsmassiv herum, um es von der anderen Seite zu überwachen. Auch dieser Weg war äußerst schwer zu finden und kaum einsehbar, dank des unvorsichtigen Pelzjägers aber wussten ab diesem Moment die Kiowas nun genau, wie man zu dieser Hangseite hinkam – und das hatte ihnen höchstwahrscheinlich auch später dabei geholfen, die uns umgebenden Talwände zu erklettern und den Überfall auf uns von oben herab einzuleiten! Unklar blieb mir allerdings an dieser Stelle von Emerys Bericht, ob die Kiowas zu dem Zeitpunkt, an dem ich meinen ersten Kundschaftergang am Morgen nach dem Aufbruch der Freunde angetreten hatte, schon vollständige Kenntnis über alle Möglichkeiten, in die Festung einzudringen, bekommen hatten. Ich hatte ja ein gutes Stück weit entfernt vom Tunnelausgang einen Kiowa beobachtet, der offenbar an der völlig falschen Stelle des gewaltigen Massivs einen Eingang zum Tal auszuspähen versucht hatte – doch mittlerweile konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass man den Mann einfach dort postiert hatte, um eventuelle Kundschafter aus der Festung über das wahre Wissen der Kiowas zu täuschen. Ich glaubte nicht daran, dass man mich damals entdeckt hatte – in diesem Fall hätten die Feinde mich sofort ergriffen und als Druckmittel gegen Winnetou eingesetzt, um an ihn und sein Gold zu gelangen. Unsere Freunde waren nun natürlich völlig entsetzt, als sie von dem Vorhaben der Gegner erfuhren und überlegten fieberhaft, wie sie die drohende Gefahr von uns noch abwenden könnten. Vor allem mussten sie sich erst einmal selbst in Sicherheit bringen, um nicht Opfer der wie auch immer gearteten Falle von den vor ihnen befindlichen Roten zu werden. Sie versteckten sich also in der Nacht, doch leider war das Glück nicht auf ihrer Seite. Wer letztendlich durch eine Unvorsichtigkeit die Aufmerksamkeit der umherstreifenden Späher der Kiowas auf sich gezogen hatte, blieb auf ewig ungeklärt – aber es führte dazu, dass unsere Gefährten kaum zwei Stunden später von den Rothäuten überfallen und gefangengenommen wurden! Trotzdem konnte man es Glück im Unglück nennen, dass die Kiowas ihre Gefangenen, bis auf ein paar mögliche Geiseln, nicht sofort töteten, ganz entgegen ihres Vorhabens, welches sie noch abends an ihrem Lagerfeuer geäußert hatten – nein, sie fühlten sich durch ihren überraschend schnellen Erfolg anscheinend schon so sicher, was das Gelingen ihres Unternehmens anbelangte, dass sie sich entschlossen, alle Gefangenen in einer großen Zeremonie in den nächsten Tagen an den Marterpfählen in ihrem Heimatdorf zu töten, und der absolute Höhepunkt dieser Veranstaltung sollte natürlich der Tod Winnetous sein, der sich über viele Stunden und Tage hinziehen sollte. Auch auf die Geiselnahme der Westmänner wurde verzichtet, da man zu der Überzeugung kam, dass ihnen diese auf dem Weg zurück nur hinderlich sein würden, da man davon ausging, dass die Männer alles dafür tun würden, um ihre Freiheit wiederzuerlangen oder zumindest die restlichen Bewohner der Festung irgendwie noch zu warnen. Sie ließen nur drei Krieger als Wachen bei den Gefangenen, die wie Pakete verschnürt an den Bäumen angebunden standen, vor Ort zurück und machten sich dann auf, dem anderen Teil der Truppe zu folgen und mit ihnen vor der Festung wieder zusammenzutreffen. Allerdings hatte niemand von ihnen gewusst, dass unsere Gruppe zu diesem Zeitpunkt gar nicht vollständig in ihrem Nachtlager versammelt gewesen war – Tsain-tonkee hatte sich nämlich kurz zuvor aufgemacht, das Lager nochmals zur Sicherheit zu umrunden. Er hatte natürlich die herannahenden Feinde bemerkt, sich sofort versteckt und erst einmal abgewartet, was als nächstes geschehen würde. Und jetzt, mit nur drei Bewachern, bot sich ihm natürlich eine überaus gute Gelegenheit, unsere Gefährten wieder zu befreien. Er stellte es klug an und überwand die doch recht aufmerksamen Posten trotzdem ohne Schwierigkeiten. Die Apatschen machten dann auch keine großartigen Umstände mehr: um sicherzugehen, dass von ihren drei Aufpassern nie wieder eine Gefahr ausgehen würde, wurden diese sofort getötet und noch an Ort und Stelle verscharrt. So schnell es ging, setzten sich die Freunde nun wieder auf die Spur ihrer Bezwinger, in der Hoffnung, sie noch vor der Festung und auch möglichst noch vor deren Zusammentreffen mit der anderen Hälfte der Rothäute einzuholen und eventuell auch direkt auszuschalten. Dadurch wäre es deutlich einfacher geworden, die Hundertschaft der Kiowas zu überwältigen, wenn man erst den einen und danach den anderen Teil überwinden könnte. Doch es sollte anders kommen. Aufgrund der fehlenden Helligkeit gelang es den Verfolgern einfach nicht, schleunigst nahe genug an ihre Gegner heranzukommen. Auch als es schon Tag wurde, kamen die Freunde nicht schnell genug voran - man durfte ja nicht einfach blindlings in Richtung des gemeinsamen Ziels losrennen, sondern musste sich ständig vergewissern, dass man sich immer noch hinter den Indianern befand und nicht aus Versehen von deren Kundschafter entdeckt wurde; immerhin war ihre Anzahl insgesamt ja mehr als dreimal so groß wie die unserer Gefährten. Und erst als die sich am frühen Nachmittag schon in unmittelbarer Nähe der Festung befanden, konnten sie den ersten Posten der Kiowas entdecken, daher schwand auch die Hoffnung ganz schnell, die Gegner noch irgendwie aufhalten zu können. Mühsam mussten sich die Gefährten jetzt so nahe wie möglich an die Feinde heranschleichen und sich dabei strategisch klug verteilen, und als ihnen all das gelungen war, stellten sie zu ihrem Schrecken fest, dass ein Teil der Indianer offenbar den versteckten Pfad zur hinteren Talwand der Festung entdeckt hatte und die Rothäute nun auch schon im Begriff standen, diese für sie völlig unbekannte Gegend zu erforschen, um sie irgendwann für den geplanten Überfall nutzen zu können! Und am späten Nachmittag dann geschah nahe des Tunnelausganges etwas Unglaubliches, von dem Surehand sowie Emery Zeugen wurden, da sie sich gerade dort in der unmittelbaren Umgebung befanden. Mit einem Male waren ein, zwei, nein, sogar drei Mitglieder der Butterfield-Familie zu sehen, unter anderem sogar der Älteste, George Butterfield, die alle tief gebückt das dichte Gebüsch ringsherum durchsuchten, wonach, konnten die Westmänner nicht feststellen und natürlich auch nicht wissen. Fassungslos beobachteten die beiden die leichtsinnigen Männer und überlegten fieberhaft, wie sie die Jünglinge warnen und von dort weg scheuchen könnten, ohne die Aufmerksamkeit der Belagerer auf sich zu ziehen, aber es war schon zu spät. Gerade in diesem Moment konnte Emery ganz kurz den Kopf eines Kiowa zwischen den Büschen an einem Felsabsatz entdecken, und somit war klar, dass ab diesem Augenblick auch dieser Zugang zur Festung nicht mehr sicher war. Tief in das Gebüsch geduckt beobachteten die Freunde noch eine Weile das Geschehen, aber keiner der Kiowas gab sich zu erkennen oder machte Anstalten, die Butterfields zu überfallen, die sich nach einer Weile schließlich wieder in das Versteck zurück zogen. Sie waren die ganze Zeit über erstaunlich leise geblieben, nur etwas Rascheln und Knacken von Büschen und Gezweig war zu hören gewesen. Doch kurz bevor sie den Rückweg antraten, riss einer von ihnen seine Hand hoch, in der er ein Bündel Grünzeug hielt, und konnte dabei einen leisen freudigen Ruf nicht mehr unterdrücken. Auch die anderen, die zwar still geblieben waren, schlugen sich vor Begeisterung gegenseitig auf die Schultern und strahlten dabei übers ganze Gesicht. Old Surehand und Emery, die natürlich überhaupt nicht verstanden, was die Wahnsinnigen da trieben, konnten nur noch den Kopf schütteln über so viel Unverstand. Doch ausrichten konnten sie nichts mehr, und jetzt galt es auch schleunigst die Gefährten zu benachrichtigen, um zu überlegen, was man nun tun sollte, um gegen diese Übermacht anzukommen, die zudem noch alle Vorteile in der Hand hatte. Man traf sich in einem sicheren Versteck unweit der Festung und beratschlagte eine Weile. Firehand erwähnte dabei, dass er sich schon in früheren Zeiten so seine Gedanken gemacht habe, wie man das Tal im Falle einer Entdeckung verteidigen könnte, und er hatte daher auch einige Vorbereitungen für den Notfall getroffen. In mehreren versteckten Lagern auf halber Höhe der äußeren Hangseiten hatte er große Rollen getrockneten Buschwerks gesammelt und zusammengebunden, die man angezündet als riesige Feuerbälle den Hang ins Tal herunterrollen lassen könnte, um die Feinde abzulenken und unter ihnen ordentlich Verwirrung zu stiften. Er hatte von diesen vorbereiteten Maßnahmen übrigens auch schon vor einigen Tagen zu Emery und Surehand gesprochen, die ja beide vorher noch nie die Festung besucht hatten, aber das war wohl gerade immer dann geschehen, wenn ich mit Winnetous Pflege beschäftigt gewesen war, so dass ich letztendlich von dieser Sache noch gar nichts wusste. Natürlich war solch ein Überraschungsangriff von großem Vorteil, aber er konnte leider erst dann erfolgen, wenn die Gegner ihrerseits schon mit einem Überfall auf das Tal begonnen hatten. Vorher würde man ihrer nämlich niemals zusammen habhaft werden können, da sie sich ständig in Bewegung befanden und sich um das ganze Felsmassiv verteilt hatten. Die Frage war, wie lange der Überraschungsmoment anhalten würde, bevor die Kiowas den Vorteil ihrer Übermacht wieder voll ausschöpfen würden? Gerade die vier Westmänner, aber auch die neun Apatschen waren in größter Sorge um uns, vor allem um Winnetou, der einem Kampf ja noch gar nicht gewachsen war! Und dann hatte Sam Hawkens mit einem Male endlich die rettende Idee! „Es besteht vielleicht die Möglichkeit, einige Soldaten herbeizuholen – sofern sich diese noch in Farmington aufhalten....“ begann er zögernd. Alle Köpfe fuhren zu ihm herum, und Surehand fragte, fast schon fassungslos: „Soldaten? Welche Soldaten?“ Und Sam berichtete, was damals in der Aufregung wegen Winnetous schlechtem Zustand völlig vergessen worden war, als er in einem wahren Gewaltritt in die Stadt geritten war, um Hilfe für den schwer verletzten Apatschenhäuptling zu holen. Gerade zu diesem Zeitpunkt hatte sich nämlich in Farmington ein großer Trupp von etwa siebzig Soldaten aus Fort Summer aufgehalten – und jetzt erinnerte sich auch Tsain-tonkee an diese Gruppe, der er damals kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Zur Erinnerung: Einige Wochen zuvor hatten Emery, Winnetou und ich nebst Tsain-tonkee und den zehn Apatschen zwei der Butterfields in das Fort begleitet, die wir kurz zuvor aus den Händen der damals Thomson umgebenden Ganoven befreit hatten. Dabei waren bis auf Thomson und einen seiner Kumpane alle Gangster von uns gefangen genommen worden, und diese hatte unsere Gruppe anschließend zu den Soldaten geschleppt, um sie dort von einem Militärgericht aburteilen zu lassen. Die Entscheidung war nun schnell getroffen – irgendjemand musste sich schleunigst auf den Weg machen und versuchen, die Soldaten entweder in der Stadt oder in der näheren Umgebung ausfindig zu machen und sie um Hilfe bitten. Dass uns allen diese Hilfe nicht verwehrt werden würde, dessen war sich Emery mehr als sicher, hatte doch der Kommandant des Forts, der Winnetou sehr verehrte, damals fest zugesichert, dass er ihm jede erdenkliche Unterstützung bieten würde, sollte sie der Apatschenhäuptling irgendwann einmal einfordern. Dass sich jetzt ausgerechnet von Fort Summer eine Delegation in Farmington befunden hatte, konnte man eigentlich nur als Wink des Schicksals betrachten, denn wenn die Soldaten noch rechtzeitig Hilfe brachten, dann konnte man sicher sein, dass man den feindlichen Kriegern den Garaus machen würde. Und somit wurde unser guter Sam Hawkens ein weiteres Mal dazu auserkoren, sich wieder auf den Weg in die Stadt zu machen, gerade weil er diesen von allen Weißen am besten kannte. Sicher hätte man auch einen der Apatschen, die uns damals in das Fort begleitet hatten, als Bote schicken können, aber ob die führenden Militärs auf dessen Hilferuf genauso schnell reagiert hätten, als wenn er von einem Weißen erfolgt wäre? Sam war natürlich ganz und gar nicht begeistert gewesen von der Tatsache, eventuell bei der entscheidenden Schlacht nicht dabei sein zu können, aber er fügte sich ins Unvermeidliche und machte sich sofort auf den Weg. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich einigermaßen aufmerksam zuhören können, mich jedoch im Unterbewusstsein weiterhin mit Winnetou beschäftigt, und jetzt wurde mein Geist auch mehr und mehr von der quälenden Frage abgelenkt, warum mein Freund eigentlich so reglos und offenkundig gesundheitlich stark beeinträchtigt dort nebenan auf der Bettstatt lag? Was hatte Hendrick damit gemeint, als er vorhin erwähnte, er hätte den Apatschen erst einmal ruhiggestellt, damit der auch weiterhin überleben würde? Und dann fiel mir noch ein weiteres Detail von dem Kampf ein: Thomson war aufgetaucht, hatte in die Luft geschossen und dabei die recht große Anzahl Kiowas, mit denen Winnetou und ich gekämpft hatten, auseinander gescheucht. Allerdings nutzten diese dann auch sofort meinen kurzen Überraschungsmoment, um mich von hinten wieder zu ergreifen – ganz anders Winnetou, der unermüdlich den Kampf weiter fortführte. Doch dann war auch er brutal gestoppt worden – nämlich als von irgendwoher ein Schuss fiel. Ich hatte damals nicht viel sehen können, musste aber zu meinem großen Schrecken feststellen, dass der Apatsche offensichtlich das Bewusstsein verloren hatte und nun regungslos und am Kopf blutend in den brutalen Griffen der weißen Banditen gehangen hatte. Unvergessen war mir ebenfalls noch der erschrockene Aufschrei Thomsons geblieben, der mehr als wütend seine Kameraden angeschrien hatte, dass er den Häuptling noch lebend bräuchte! Was war da nur geschehen? Sicher, Winnetou hatte kurze Zeit später seine Besinnung wiedererlangt, spätestens zu dem Zeitpunkt, als ich meine Waffe auf ihn..... Nein! Nein - weiter wollte ich darüber nicht nachdenken, auf keinen Fall; die folgende schreckliche Szene hatte sich auch so schon deutlich genug in meinem Kopf eingebrannt. Aber mein Blutsbruder war mit großer Wahrscheinlichkeit von dem ersten Schuss ein weiteres Mal verletzt worden – nur, wie schwer mochte diese neuerliche Verwundung gewesen sein? Jetzt wurde es mir wirklich unmöglich, Emerys Bericht weiter zu folgen, also unterbrach ich ihn hier, indem ich die Hand des Doktors ergriff und ihn leise und immer noch krächzend fragte: „Walter – Winnetou geht es nicht gut, richtig?“ Fast schon erschrocken sah Hendrick auf mich herab - offenbar hatte er nicht damit gerechnet, mir über den Gesundheitszustand meines Freundes so schnell Rede und Antwort stehen zu müssen; viel eher hatte er wohl angenommen, dass ich von Emery's Erzählung völlig eingefangen worden wäre. Er begann daher auch etwas verwirrt herumzudrucksen, doch als mein bohrender Blick weiterhin fordernd auf ihm ruhte, fasste er sich ein Herz und versuchte, mir folgende Erklärung möglichst schonend beizubringen: „Ach, mein Freund – was soll ich nur sagen? Es ist leider das eingetreten, was ich befürchtet und auch mehrmals angemahnt habe!“ Mein hochgradig erschrockener Blick sorgte dafür, dass er sich an dieser Stelle unterbrach und erst einmal einen fast schon hilflosen Versuch wagte, meine aufkommende Angst um den Apatschen zu schmälern. „Aber, Charlie – eines musst du mir glauben: Im Augenblick geht es unserem Freund einigermaßen gut, und da wir wohl auf lange Zeit keine Gefahr mehr zu befürchten haben, so dass überhaupt kein Grund mehr besteht, dass er sich in irgend einer Weise noch anstrengen müsste, wird das vorerst – hoffentlich – auch so bleiben!“ Ich nickte stumm, hielt aber meinen Blick weiterhin unverwandt auf ihn gerichtet. Hendrick jedoch sprach nicht weiter, so dass ich ihn schließlich mit Nachdruck an meine Frage erinnerte: „Jetzt rede endlich mit mir – was ist mit Winnetou geschehen?“ Der Gefragte seufzte leise, wusste er doch genau, dass er keine Wahl hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)