Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 26: Neue Pläne... ------------------------- Gebannt hörte ich zu, als unser Doktor die letzten Ereignisse seit unserer Trennung von ihm und den anderen Gefährten zusammenfasste. Er berichtete, dass er zusammen mit den Butterfields und den Apatschen nach unserem Auseinandergehen die Stadt Farmington sogar schneller erreichte, als sie es vorher überhaupt für möglich gehalten hatten. Das war vor allem der Tatsache geschuldet, dass es die jungen Goldsuchern danach drängte, ihre Schätze so bald als möglich in Bargeld umzutauschen, da man sie auf diese Weise viel besser und vor allem unauffälliger nach Carlsbad, ihrem Heimatort, transportieren konnte. Außerdem wusste man die Kiowas noch in der Nähe, und das war ein weiterer Grund, die Stadt alsbald aufzusuchen, da man sich erst dann wieder vollständig sicher fühlen konnte. Interessant fand ich dabei übrigens die kleine Anmerkung des Doktors, dass sich die Butterfields ohne Winnetous, Emerys, Sams und meiner Begleitung wohl nicht mehr annähernd so sicher gefühlt hatten, und das war einer der Hauptgründe, warum sie den Ritt so plötzlich ohne ihr übliches Gezetere und der nervtötenden Tolpatschigkeit hinter sich gebracht hatten; man kam nun sogar ohne Stürze oder kleineren Verletzungen voran. Einmal in Farmington angekommen, wollten die Jünglinge dann aber doch nicht mehr auf uns warten, sondern lieber gleich ihr Gold umtauschen, was dem Doktor eigentlich gar nicht so recht war. Er war der Meinung, dass man bei solchen Geschäften dieser Größenordnung gar nicht vorsichtig genug sein konnte, denn die Gefahr, dabei übers Ohr gehauen zu werden, war doch immens. Da die Familie aber mehrfach darauf drängte, begleitete er sie dann doch noch am gleichen Tag zur Bank und tat alles, was er konnte, um ein möglichst gerechtes Ergebnis für sie zu erzielen. Mit der anschließenden Auszahlung war er dann auch sehr zufrieden, wobei er sich allerdings recht sicher war, dass es in meiner Anwesenheit wahrscheinlich gelungen wäre, eine noch höhere Summe herauszuschlagen. Hendrick hatte sich auch in Sachen Vorsicht an uns ein Beispiel genommen und sich während der Transaktion in der Bank des Öfteren genauestens umgeschaut. Dabei war ihm ein unauffällig gekleideter Mann mittleren Alters aufgefallen, der, immer wenn er glaubte, unbeobachtet zu sein, die jungen Goldsucher mit einem seltsam verschlagenen Blick verfolgte. Der Doktor nahm sich vor, den Mann im Auge zu behalten, aber er war nun einmal nicht gerade ein Meister in der unauffälligen Verfolgung, und so verlor sich dann auch rasch dessen Spur in der Menge, nachdem er das Gebäude der Bank verlassen hatte. Ich konnte dem Arzt da auf keinen Fall einen Vorwurf machen, im Gegenteil, er hatte für seine Verhältnisse schon sehr umsichtig gehandelt. Kurz überlegte ich, ob es sinnvoll gewesen wäre, wenn er zusammen mit Tsain-tonkee den Bankbesuch abgehalten hätte, verwarf diesen Gedanken aber gleich wieder, denn mit einem Indianer in Begleitung hätte es dort vermutlich nur Aufregung gegeben und die Butterfields wären in diesem Fall wahrscheinlich auch schlechter weggekommen. Und dann erschien gestern am frühen Mittag, für die Apatschen wie auch die Familie Butterfield gleichermaßen überraschend, Sam Hawkens in der Stadt, völlig erschöpft, übermüdet, auf seiner Mary, die sich nur noch stolpernd fortbewegen konnte. Er lehnte jegliche Angebote ab, die ihn zum Ausruhen oder auch nur zum Essen überreden wollten, trank nur etwas Wasser, berichtete dafür aber in Windeseile über unser, vor allem aber über Winnetous furchtbares Schicksal und erreichte damit, dass die Goldsucher-Familie völlig entsetzt, die Mescaleros aber außer sich vor Wut waren. Tsain-tonkee behielt nach außen hin die Ruhe, aber der Doktor konnte in seinen Augen deutlich den rasenden Zorn auf Thomson und die übergroßen Sorgen um seinen Häuptling erkennen. Es gelang dem jungen Unterhäuptling aber, seine Gefühle in seinem Inneren zu verschließen und mit großer Umsicht die nächsten notwendigen Schritte einzuleiten. Vor allem galt es jetzt erst einmal, den Doktor so schnell wie nur irgend möglich in die Festung an Winnetous Seite zu bekommen, um dessen Überlebenschancen zu erhöhen. Es war jedem einzelnen bewusst - die Begleitung der Familie Butterfield würde dabei nicht nur stören, sondern ein schnelles Fortkommen sogar verhindern. Da aber sämtliche Apatschen sich ebenfalls in Winnetous Nähe wissen wollten und man die jungen, unerfahrenen Männer mit ihrem neuen Reichtum unmöglich alleine in Farmington lassen konnte, entschloss man sich, dass erst einmal nur Sam mit Tsain-tonkee nebst dem Doktor sofort wieder aufbrechen sollten, denn Sam war nun mal der Einzige in der Gesellschaft, der den Weg zur Festung kannte. Die anderen sollten nachfolgen, so schnell es ihnen mit den Jünglingen möglich war. Damit auch diese zweite Gruppe den Weg zur Festung finden konnte, wollte Tsain-tonkee versteckte Zeichen auf der ganzen Strecke hinterlassen, deren Bedeutung nur die Mescaleros kannten. Natürlich konnte Sam diesen Ritt auf keinen Fall mehr auf seiner erschöpften Mary antreten, also überließ man ihm das beste und schnellste Pferd aus den Reihen der Apatschen. Die Butterfields wollten auch etwas zur Rettungsmission beitragen und erstanden daher mit Hilfe des Unterhäuptlings kurzentschlossen ein anderes Pferd in der Stadt, damit der eine, jetzt unberittene Krieger, den Weg nicht auf Sam's Maultier zurücklegen musste. Somit konnte man das Tier während des Ritts nebenher führen, damit es sich währenddessen etwas erholen konnte. Da Sam sogar noch eher, als man eigentlich erwarten durfte, in Farmington eingetroffen war, und auch dort keine unnötige Zeit verloren wurde, war es dem Doktor, der genauso wie Tsain-tonkee hervorragend beritten war, somit möglich, durch einen wahren Gewaltritt einige Stunden früher, als man es überhaupt für möglich halten konnte, in der Festung einzutreffen. Dort angekommen, fiel unser tapferer Sam beinahe vom Pferd, da er ja insgesamt fast zwei Tage sowie eine ganze Nacht, meist sogar im Galopp, durchgeritten und somit vollkommen erschöpft war. Den Weg zum Zielort hatten die drei soweit gut und vor allem unbehelligt überstanden, aber da ihr ganzes Augenmerk besonders darauf lag, so rasch wie nur möglich ihr Ziel zu erreichen, hatten weder Sam noch Tsain-tonkee Zeit damit vergeudet, nach anderen Spuren Ausschau zu halten oder generell ihr Umfeld nach feindlichen Lebewesen abzusuchen. Einzig der Unterhäuptling hatte, wann immer er die Wegmarkierungen für seine Apatschen hinterlegte, in diesen Augenblicken auch einen Blick auf die nähere Umgebung geworfen, aber auf die Schnelle natürlich nichts Verdächtiges feststellen können. Die nachfolgenden Mescaleros hatten da schon aufmerksamer sein können, da sie ja aufgrund der recht bescheidenen Reitkünste der jungen Butterfields viel langsamer unterwegs gewesen waren. Und tatsächlich waren ihnen, als sie sich der Festung bis auf ungefähr zwei Stunden genähert hatten, mehrere Male verschiedene Spuren aufgefallen, teils älter, teils lagen nur wenige Stunden dazwischen, einige von beschlagenen, einige von unbeschlagenen Pferden, wobei die Spuren der Letzteren bei Weitem überwogen. Winnetous Krieger hatten sich zwischendurch auch die Zeit genommen, viele der noch frischen Spuren genauer zu untersuchen, und sie kamen dadurch letztendlich zu dem Ergebnis, dass die Verursacher der Hufabdrücke anscheinend das Bergmassiv, welches Firehands Festung beinhaltete, mehrmals ausgekundschaftet hatten, ohne jedoch herausfinden zu können, wo sich der verborgen gelegene Eingang des Versteckes befand. Nachdem ich den Erzählungen des Doktors bis zum Ende wortlos gefolgt war, saß ich eine Weile sinnend an Winnetous Seite, dabei immer noch seinen Oberkörper fest an mich gedrückt haltend. Einen Moment später hob ich den Kopf und sah Hendrick fragend an: „Wie geht es unserem Sam denn im Augenblick nach all den Strapazen?“ „Oh, bestens, mein Freund, da mach dir mal keine Sorgen“, antwortete Hendrick. „Es ist ja mittlerweile genügend Zeit ins Land gezogen“ - er sah mich mit einer gewissen Belustigung an und zwinkerte gleichzeitig Winnetou zu, der daraufhin tatsächlich ebenfalls ein Lächeln sehen ließ - „und der kleine Mann hatte daher ordentlich Gelegenheit, sich gründlich auszuruhen!“ Ich musste nun auch leicht grinsen aufgrund der Spitze, die mir der Doktor wegen meines Langschläfer-Daseins verpasst hatte, wurde aber sofort wieder ernst. „Ich nehme mal an, dass sich beide, Sam und Tsain-tonkee, hier in der Festung befinden?“, fragte ich weiter. „Oder sind sie im Augenblick als Kundschafter unterwegs?“ „Nein nein!“, entgegnete Hendrick direkt. „Die zwei befinden sich nebenan und brennen förmlich darauf, mit dir zu sprechen und sich vor allem von Winnetous leicht verbessertem Gesundheitszustandes überzeugen zu können!“ „Das ist gut – ich würde nämlich gleich gerne selbst noch einmal mit ihnen über ihre Entdeckungen sprechen!“, meinte ich. Bevor ich aber Gelegenheit fand, den Grund dafür zu erklären, kam Winnetou mir zuvor. „Mein Bruder glaubt, dass es sich bei den fremden Kundschaftern um die Kiowas sowie dem Bleichgesicht Thomson handelt?“, fragte er mich leise, und mir wurde bewusst, dass er sich, im Gegensatz zu vorher, schon wieder viel mehr beim Sprechen anstrengen musste. „Da bin ich mir sogar sehr sicher!“, antwortete ich mit Nachdruck. „Und es freut mich außerordentlich zu hören, dass sich dieser Dreckskerl hier in der Nähe befindet! So wird es nicht mehr lange dauern, bis wir ihn in unserer Gewalt haben, und dann.... oh, wie sehne ich diesen Tag, diese Stunde herbei, in der ihn durch uns seine gerechte Strafe ereilen wird!“ Ich glaube, dass ich selten, nein, eher nie, solch enorme Rachegelüste verspürt hatte wie in jenen Tagen in der Gegend zwischen Ship Rock und Farmington. Doch das war auch nicht sonderlich schwer, ich brauchte mir ja nur meinen Blutsbruder anzusehen, dessen gemarterter Oberkörper eine deutliche Sprache für all die Qualen sprach, die mein Geliebter hatte erleiden müssen, und schon mehrmals hatte ich mir geschworen, dass der Verursacher seines Leidens für jede einzelne Wunde, für jede einzelne Quälerei furchtbar würde bezahlen müssen! Jetzt war es aber erst einmal immens wichtig, den Kerl zu finden und nicht mehr aus den Augen zu lassen, zumal wir ja auch noch in Erfahrung bringen mussten, um wie viele Gegner es sich insgesamt handelte. Aber dann fiel mir ein, dass seit dem Eintreffen von Sam und Tsain-tonkee ja schon ein ganzer Tag vergangen war! Und so, wie ich die Gefährten kannte und einschätzte, hatten diese mit Sicherheit schon alles Wichtige in die Wege geleitet – und darum brannte jetzt natürlich um so mehr die Neugier in mir, alles zu erfahren, was sich in den letzten Stunden noch so ereignet hatte. Aber das musste warten, denn natürlich war mir mein Freund viel wichtiger, und ich wollte ihn nicht eher alleine lassen, als bis dass der Schlaf ihn wieder übermannt hatte. Bis dahin konnte ich ja versuchen, so viel wie möglich von dem Doktor zu erfahren, den ich darum auch jetzt sofort weiter ausforschte: „Walter – es sind doch garantiert während der letzten vierundzwanzig Stunden von uns Späher ausgesandt worden, die die feindlichen Kundschafter zu entdecken versucht haben, oder nicht?“ „Natürlich!“, bestätigte Hendrick meine Vermutung auch sofort. „Und dreimal darfst du raten, wer diese dann auch tatsächlich zuerst entdeckt hat...“ Na, das war einfach, fand ich und erwiderte: „Das wird natürlich Tsain-tonkee gewesen sein, habe ich recht?“ Der Arzt lachte leise in sich hinein und meinte dann: „Ich habe auch schon mal intelligentere Fragen gestellt, richtig? Ja, natürlich ist es der Unterhäuptling gewesen, und er hat anscheinend sowohl die Rothäute als auch die beiden Weißen nicht nur identifiziert, sondern auch, sofern ich alles richtig verstanden habe, das derzeitige Versteck der Kerle ausfindig gemacht!“ „Wie bitte?“ Fast schon zu laut verließen diese beiden Worte meinen Mund, und nur die Rücksicht auf meinen Freund hinderte mich daran, wie von der Tarantel gestochen vom Bett hochzufahren. „Bist du sicher? Bist du dir da ganz sicher?“, ereiferte ich mich, mit einem Male heftig atmend. Das wäre ja ein äußerst glücklicher Umstand gewesen – damit wäre es ja nur noch eine Frage der Zeit, bis uns der ehemalige Unteranführer der Geier in die Hände fallen würde! „Nun beruhige dich doch wieder! Wie gesagt, ich habe diese Gespräche und all die Geschehnisse nicht vollständig mitbekommen, da ich mich voll und ganz auf unseren Freund hier konzentriert habe. Aber du kannst sicher sein, dass unsere Gefährten schon das Richtige getan haben werden!“ Ja, er hatte natürlich recht; auch mir war klar, dass ich mich auf Firehand, Surehand, Sam Hawkens und Tsain-tonkee felsenfest verlassen konnte, und so bemühte ich mich auch schnell, meine Beherrschung wieder zurückzugewinnen. Ich fragte Walter noch eine kleine Weile gezielt aus, aber er konnte mir nicht mehr viel mitteilen; er hatte in den letzten Stunden wirklich ausschließlich Winnetous Wohlergehen im Sinn gehabt. Jetzt erst fiel mir auf, dass dieser noch gar nichts zu der bemerkenswerten Tatsache gesagt hatte, dass das Versteck unseres und vor allem seines Todfeindes ganz in der Nähe der Festung ausgemacht worden war. Also senkte ich meinen Blick, um ihn darauf anzusprechen – nur um im gleichen Augenblick festzustellen, dass er mit geschlossenen Augen in meinen Armen lag und dabei tief und recht gleichmäßig atmete. Im gleichen Moment wurde auch der Doktor auf den Schlafenden aufmerksam, doch er reagierte etwas anders, als ich erwartet hätte: „Oh nein! Nicht doch! Er sollte doch noch...wir müssen...“ Abrupt wirbelte er herum, lief rasch aus dem Raum – und ließ mich einigermaßen verwirrt zurück. Nicht lange danach hörte ich vor dem Eingang schnelle Schritte, und Sekunden später betrat Walter wieder die Kammer, dicht gefolgt von Tsain-tonkee – ein Umstand, der nicht gerade dazu beitrug, meine Verwirrung wieder aufzulösen. Der Unterhäuptling begrüßte mich erfreut, wandte sich aber gleich darauf Winnetou zu. Walter hatte meine fragenden Blicke natürlich bemerkt und klärte mich darum jetzt schnell über sein etwas seltsames Verhalten auf: „Das Fieber ist noch nicht vollständig gesunken, es tritt immer wieder mal phasenweise auf, wenn auch nicht so heftig wie am gestrigen Tag; und darum hat unser roter Freund hier Winnetou seit unserer Ankunft ständig mit einem fiebersenkenden Kräutertee versorgt. Der ist mir aber jetzt ausgegangen, doch vorhin habe ich bemerkt, dass die Temperatur wieder leicht ansteigt – also wollte ich ihn, bevor er wieder einschläft, schnell noch einen Becher Tee zu sich nehmen lassen, hatte aber über unsere Unterhaltung hinweg einfach die Zeit vergessen!“ Der Unterhäuptling der Mescaleros ergänzte an dieser Stelle: „Tsain-tonkee ist es zudem gelungen, einen geeigneten Baum hier in der Nähe zu finden, aus dessen Rinde sich Baststreifen schneiden ließen. Diese werde ich jetzt unserem Häuptling im Brustbereich anlegen, um die angebrochenen Rippen zu stützen und ihm dadurch auch die größten Schmerzen zu nehmen!“ Ich nickte nur, aber innerlich jubilierte ich fast vor Erleichterung. Diese Maßnahmen klangen sehr wirkungsvoll, und alles, was die Qualen meines geliebten Freundes erleichterte, war mir sehr willkommen, auch wenn das jetzt bedeutete, dass wir ihn leider noch einmal aus seinem so dringend benötigten Schlaf reißen mussten. Gemeinsam machten sich der Doktor und der Unterhäuptling nun auch sofort ans Werk und begannen, Winnetou zuerst die durchnässten Baststreifen um den linken Brustkorb zu legen, wobei ich sie nach Kräften unterstützte, indem ich meinen Freund währenddessen so gut wie möglich aufrecht hielt. Wenn diese Baststreifen nach einiger Zeit getrocknet waren, würden sie sich gleichzeitig so fest zusammengezogen haben, dass sie eine fest anliegende, schützende Hülle bildeten, die einen angebrochenen Knochen genauso fest zusammen hielten, als wäre er geschient worden, was gerade im Brustbereich natürlich sonst gar nicht möglich war. Während dieser im Augenblick mit Sicherheit recht schmerzhaften Prozedur erwachte mein Freund ganz allmählich wieder aus seinem Tiefschlaf, und diesen Umstand nutzten wir sofort, um ihm schnell auch noch den Tee einzuflößen. Zwischendurch bemerkte ich sehr wohl, dass sein Körper wieder begann, vermehrt Hitze auszustrahlen, und dankte daher im Stillen dem Herrgott dafür, dass es Tsain-tonkee und sein naturheilkundliches Wissen gab, von unserem Doktor mal ganz zu schweigen! Winnetou ließ das alles fast schon teilnahmslos über sich ergehen und hielt dabei seine Augen auch die ganze Zeit über geschlossen – ihm fehlte jetzt einfach die Kraft, auch nur ein wenig mitzuhelfen, und außerdem wurde er schon wieder von seiner Müdigkeit übermannt. Kaum hatte er den letzten Schluck getrunken, zog ich ihn sanft in meine Arme und behielt diese Stellung mehrere Minuten lang bei, bis er wieder eingeschlafen war. Mit einem wohligen Seufzer hatte er sich mit dem Kopf an meine Brust gelehnt und dabei sichtlich meine Nähe, meine Wärme und die Geborgenheit genossen, die ihn in meinen Armen mit aller Macht umfing. Ich warf einige Male einen kurzen Blick auf den Unterhäuptling, um herauszufinden, ob der unsere Position oder mein Verhalten als seltsam oder vielleicht sogar als verwerflich empfinden würde, aber er bedachte seinen Häuptling nur mit einem warmen, liebevollen Blick, bevor er mir half, diesen wieder sanft zurück in die Felle zu betten. Als ich sicher sein konnte, dass mein Freund tief und fest schlief, löste ich mich sehr, sehr vorsichtig von ihm, ließ mir von dem Doktor vorsichtshalber noch einmal versichern, dass er bei Winnetou bleiben und ihn nicht aus den Augen lassen würde, und begab mich dann nach draußen, um zusammen mit Tsain-tonkee die Gefährten aufzusuchen, damit ich mit ihnen alle vergangenen Geschehnisse sowie unsere weitere Vorgehensweise besprechen konnte. Die Begrüßung mit Sam Hawkens fiel außerordentlich herzlich aus, und ich bedankte mich bei dem kauzigen Westmann jetzt auch erst einmal ausführlich für seinen aufopferungsvollen Einsatz, der es ihm möglich gemacht hatte, schnellstens Hilfe für meinen Winnetou holen zu können. Sam jedoch winkte lachend ab und meinte nur: „Lasst mal gut sein, verehrtes Greenhorn! Da Ihr Euch immer so viel auf Euer Brauereipferd einbildet, wenn ich mich nicht irre, dachte ich mir, dass es an der Zeit ist, Euch einmal zu zeigen, was meine Mary so alles kann – hihihi, und Ihr könnt es mir getrost glauben, mit Eurem Gaul nimmt sie es aber mit Leichtigkeit auf, wenn ich mich nicht irre! Ist gerannt, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihr her, die gute Mary! Werde Ihr diesen Ritt in meinem Leben nicht mehr vergessen – und wenn Ihr Euch bei irgend jemanden bedanken wollt, mein geliebter Sir, dann nehmt Euch einmal beizeiten mein Maultier vor, die würde sich über eine extra große Mohrrübe bis über ihre beiden riesigen Ohren freuen, wenn ich mich nicht irre!“ Lachend sicherte ich ihm zu, dass ich natürlich seinem Wink folgen würde und mich später am Abend einmal ausführlich mit seiner Mary „unterhalten“ wolle, woraufhin Sam wieder in sich hineinkicherte und mir dabei riet: „Aber passt ja auf, dass Ihr diese liebevolle Zeit mit der Mary nicht vor den anderen Pferden abhaltet, denn sonst könnte es passieren, dass Euer schwarzer Kutschen-Gaul sehr eifersüchtig wird, wenn ich mich nicht irre!“ Lächelnd klopfte ich ihm auf die Schulter und wandte mich dann den anderen Gefährten zu, die sich alle hocherfreut nicht nur über unser Wiedersehen und mein „Wiedererwachen“ zeigten, sondern vor allem über den verbesserten Zustand Winnetous. Nachdem wir uns eine Zeit lang über die vergangenen Geschehnisse unterhalten hatten, legten wir nun unser Augenmerk auf die vor uns liegenden Aufgaben. Nacheinander berichteten mir die Freunde nun, was sie auf ihren Erkundungsgängen entdeckt hatten. Tsain-tonkee hatte mehrmals seiner Aufgabe als Spähfuchs nachkommen müssen, bevor er zwei Kiowa-Krieger entdecken konnte, die an dieser Stelle offenbar eine Art Posten eingerichtet hatten, wohl in der Hoffnung, dass ihnen irgendwann einmal einer der Bewohner der Festung über den Weg lief, die sie wohl in einem ihnen unbekannten Versteck in dem Felsmassiv vermuteten. Dem Unterhäuptling war es dann zum Glück auch noch gelungen, die Krieger zu belauschen, aber er musste dafür eine lange Wartezeit in Kauf nehmen, bis seine Geduld belohnt wurde und er endlich einige auch für uns wichtige Dinge erfuhr. So konnte er zum Beispiel den wenigen Gesprächen entnehmen, dass die Kiowas den Eingang zur Festung, wie überhaupt den genauen Aufenthaltsort von uns gar nicht kannten. Sie wussten trotzdem aber sehr wohl, dass sich nicht nur Firehand, sondern auch Sam, Emery, Winnetou und ich uns dort befinden mussten. Woher aber hatten sie überhaupt erfahren, dass wir hier an dem Berg Unterschlupf gefunden hatten? Auch das hatte Tsain-tonkee erlauschen können, dieses Mal allerdings von zwei weiteren Posten, die er Stunden später an einer ganz anderen Stelle entdeckt hatte. Diese Männer hatten davon gesprochen, dass ein kleiner Trupp der von uns am Nebenfluss des San-Juan-Rivers überwältigten Krieger versucht hatte, unseren Spuren zu folgen, aber offensichtlich hatten wir unsere Fährte bei unserer Flucht vor den Kiowas so gut verwischen können, dass sie dieses Unterfangen bald wieder aufgaben. Allerdings gab es da ja noch den Wachposten, den ich vor dem Zelt, in dem wir gefangen gehalten worden waren, niedergeschlagen und ins Innere des Zeltes fest verschnürt und für den Rest unseres Aufenthaltes liegen gelassen hatte. Dieser hatte uns aber die meiste Zeit über seine tiefe Bewusstlosigkeit leider nur vorgetäuscht – tatsächlich konnte er wohl genau mitbekommen, dass ich mich mit Sam über einen möglichen Zufluchtsort ausgetauscht hatte. Wir hatten damals zwar nicht die genaue Lage des Versteckes erwähnt, aber den Ort doch so beschrieben, dass die Feinde ungefähr wussten, wo sie in etwa suchen mussten. Zudem konnte der junge Unteranführer der Mescaleros den spärlichen Unterhaltungen entnehmen, dass man bisher noch keinen Bewohner der Festung ausmachen konnte – zu unserem Glück, denn noch am Abend von Emerys, Winnetous und meiner Ankunft hatte sich Old Firehand ja direkt auf Spurensuche rund um die Festung begeben, ebenso wie am folgenden Tag, und das gleich mehrere Male. Wie leicht hätte er dort entdeckt werden können, zumal er da ja noch gar nicht wissen konnte, dass sich die Kiowas schon in der Nähe aufhielten! Obwohl diese mit Sicherheit einen anderen Weg als wir zur Festung genommen hatten – wäre es anders gewesen, hätten sie uns ja einholen müssen – war es ihnen wohl möglich gewesen, schneller als wir dort anzukommen, da wir ja durch den Transport des schwerverletzten Winnetou sehr langsam geritten waren. Sam, Emery, Old Surehand, Old Firehand und Tsain-tonkee nebst einigen Apatschen hatten sich den ganzen heutigen Tag über damit abgewechselt, die Umgebung weiter auszuspähen, und es waren dann auch Firehand und Surehand gemeinsam, die letztendlich das Hauptlager der feindlichen Rothäute entdeckten und in diesem auch Thomson sowie einen anderen Weißen ausmachen konnten. Firehand geriet bei dessen Anblick wieder außer sich vor Zorn und konnte von Surehand gerade noch und in buchstäblich letzter Sekunde davon abgehalten werden, sich mitten hinein in das Lager zu stürzen und den Verbrecher dort sofort zu eliminieren. Es lag durchaus innerhalb meiner Vorstellungskraft, dass dem Hünen eine solche Wahnsinnstat wahrscheinlich auch gelungen wäre, allerdings hätte er damit, noch im gleichen Augenblick, mit Sicherheit sein eigenes Leben verwirkt. Surehand hatte etwas über einhundert Krieger gezählt, und aus einer solch großen Schar wäre wohl kaum ein Entkommen mehr möglich gewesen. Die beiden hatten daraufhin noch einige Zeit das Lager beobachtet, auch in der Hoffnung, dass sich Thomson eventuell einmal kurz absonderte, so dass man ihm vielleicht auf dieser Weise hätte habhaft werden können, aber es bot sich leider keine geeignete Gelegenheit. Auch Tsain-tonkee, Emery und Sam versuchten später, im weiteren Tagesverlauf und teils getrennt voneinander, eine Möglichkeit zu finden, auf irgendeine Weise diesen Erzschurken aus der Horde Rothäute herauszulocken, ebenfalls ohne Erfolg. Allerdings waren sich alle einig über die Tatsache, dass dieser Lagerplatz auf eine Art und Weise eingerichtet worden war, aus der man schließen musste, dass die Kiowas einen längeren Aufenthalt eingeplant hatten – wahrscheinlich wollten sie so lange bleiben, bis sie sämtliche Bewohner der Festung vernichtet und Winnetous Gold ihr Eigentum nennen konnten. Na, die Suppe würden wir den Rothäuten aber gründlich versalzen, so wahr mir Gott helfe! Doch um dieses Vorhaben in die Tat umsetzen zu können, galt es jetzt erst einmal, einen guten Plan zu ersinnen. Eines stand fest – selbst wenn wir Thomson in unsere Gewalt bekommen würden, wären wir diese große Kriegerschar dadurch natürlich noch lange nicht los! Wahrscheinlich würden sie uns anschließend wochenlang belagern, wenn sie auch nicht in das Innere der Festung vorzudringen mochten – aber wir würden Tag und Nacht auf der Hut sein müssen, und diese ständige Gefahr, der wir, und erst recht der im Augenblick eher hilflose Winnetou, dann ständig ausgesetzt wären, empfanden wir einfach als ein zu hohes Risiko. Es war für mich wichtig, zu wissen, ob diese hundert Kiowas allesamt zu Motawateh gehörten, die uns natürlich aufgrund des gewaltsamen Todes ihres Häuptlings Rache geschworen haben mussten, oder ob es sich vielleicht auch um einige zusätzliche Krieger des am San-Juan-Rivers ansässigen Apsarokee-Stammes handelte, die ihre Verwandten unterstützen wollten. Rasch zählte ich daher noch einmal in Gedanken durch: Winnetou und ich hatten vor einigen Tagen, kurz bevor wir die zwanzig Krieger in der Schlucht in die Falle gelockt hatten, ja noch einmal einen größeren Trupp Kiowas belauschen können, das waren etwa sechzig an der Zahl gewesen. Diese hatten dann die besagten zwanzig Krieger für den Überfall auf uns abgestellt, der ihnen aber bekanntlich vollständig misslang. Die anderen vierzig wollten sich derweil zu Motawateh begeben, der mit einem weiteren Trupp am San-Juan-River gelagert hatte. Nachdem wir die zwanzig Krieger ohne Waffen und Pferde wieder freigelassen hatten, gesellten diese sich ebenfalls zu den anderen Kiowas am Fluss. Von dort aus hatte Motawateh ungefähr fünfzig Krieger beauftragt, uns in der darauffolgenden Nacht zu überfallen, was ihnen ja, vor allem zum Leidwesen Winnetous, leider geglückt war. Von dort aus begab man sich wieder mit uns als Gefangene in Richtung des Haupttrupps am Fluss, allerdings hatte Motawateh schon nach zwei Stunden rasten lassen, wie Winnetou mir im Zelt noch berichten konnte, und der Häuptling hatte dann nur zwanzig dieser Krieger bei sich behalten, während der Rest weiter reiten sollte. Warum eigentlich? Warum wollte der verschlagene Kiowa-Häuptling nur so wenige Krieger bei sich behalten, zumal uns auch aufgrund der geringen Anzahl der Rothäute die Flucht gelungen war? Aber darüber wollte ich mir ein anderes Mal den Kopf zerbrechen, jetzt kam ich erst einmal zu dem Schluss, dass diese einhundert Krieger hier in der Nähe wohl allesamt zu Motawateh gehörten. Natürlich, sie wollten Rache an uns üben und waren ja aufgrund ihrer indianischen Gepflogenheiten dazu auch verpflichtet, aber: Ich hatte nicht gerade den Eindruck gewonnen, dass sie Motawateh unbedingt so treu ergeben waren wie zum Beispiel die Mescaleros ihrem Winnetou. Wenn wir sie jetzt einfach zappeln ließen, bis sie sich selber sagen mussten, dass sie ihrer Pflicht vorerst Genüge getan hatten – es mussten ja auch mit Sicherheit irgendwo Frauen und Kinder versorgt werden – dann bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie ihre Zelte hier abbrachen und zu ihren Familien zurückkehrten. Thomson hingegen würde nicht so schnell aufgeben, dessen war ich mir sicher, und wenn das hieß, dass er mit seinem Gefährten solange allein hier in der Gegend bleiben wollte, bis er Winnetous Gold in den Händen hielt - dann, ja dann hatten wir so gut wie gewonnen! Ich teilte meine Gedanken meinen Gefährten mit, und diese gaben mir ausnahmslos recht. Der große Vorteil des Planes war, dass wir damit eine Menge Zeit gewinnen würden, Zeit, die Winnetou dringend benötigte, um zu genesen, auch wenn ihm das wahrscheinlich nicht vollständig gelingen würde – und so lange würden die Kiowas dann doch nicht hierbleiben wollen, zumindest war das unsere große Hoffnung. Über die Versorgung der jetzt fast fünfzig Bewohner der Festung brauchten wir uns auch keine Gedanken machen: Die Vorratskammern waren, wie immer für den Ernstfall einer Belagerung, gut gefüllt, Wasser war genügend vorhanden, da sich durch das kleine Tal ein klarer Bach hindurch wand, und für den Notfall gab es ja noch die zehn Apatschen, die mit Pfeil und Bogen auf Jagd gehen konnten, denn Schusswaffen durften wir natürlich in der nächsten Zeit nicht benutzen, da uns der Lärm unweigerlich verraten würde. Zum Kundschaften waren wir natürlich weiterhin gezwungen, einerseits, um zu erfahren, ob die Kiowas wirklich so handelten, wie wir uns das erhofften, und andererseits, um Thomson nicht aus den Augen zu lassen. Mindestens fünfzehn Männer – elf Apatschen und vier Westmänner, Winnetou noch gar nicht eingerechnet - wollten ihn mit aller Härte für seine Taten zur Verantwortung ziehen, und darum durften wir auf keinen Fall zulassen, dass er uns noch einmal entwischte! 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