Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 25: Bestandsaufnahme ---------------------------- „Winnetou!“ Meine Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung, als ich meinen Freund nicht nur wach, sondern sogar leise lächelnd an meiner Seite gewahr wurde. Er lag neben mir, und seine Augen strahlten mich mit einem klaren Blick aus ihrem samtenen Schwarz an, doch dieser Anblick war allerdings das Einzige, das mir einen Grund zur Freude gab – der Rest seines Körpers hingegen sah nämlich einfach nur zum Gotterbarmen aus! Er wurde weiterhin über eine Infusion mit Flüssigkeit versorgt, die gesamte linke Schläfe bis hin zur Mitte seiner Stirn war blau-rot verfärbt, geschwollen und wurde zusätzlich noch mittendrin von einem großen Verband beherrscht. Auch sein nackter Oberkörper war kaum mehr wiederzuerkennen vor lauter Verbänden, blau-rot-grün verfärbten Hautpartien und großflächigen Schwellungen, und sein Gesicht war immer noch schwer gezeichnet von dem anstrengenden Überlebenskampf sowie dem hohen Fieber; es war auch deutlich schmaler geworden. Aber: er war nicht nur ansprechbar, er schien auch vollkommen bei sich zu sein und sich sogar etwas besser zu fühlen! Sofort drehte ich mich mit vor Freude laut klopfendem Herzen ganz zu ihm hin, nahm sein Gesicht mit äußerster Vorsicht in meine Hände und drückte ihm einen Kuss auf eine der wenigen unverletzten Stellen an seiner Stirn. Er lächelte noch etwas breiter, und sofort wiederholte ich mein Tun, diesmal aber auf seinem Mund, natürlich nicht, ohne mich vorher schnell im Raum umgesehen zu haben, ob sich auch ja niemand anderer darin aufhielt. Dieser Kuss fiel deutlich intensiver aus, als ich ursprünglich aufgrund meiner überschwänglichen Freude vorgehabt hatte, und eigentlich wollte ich mich jetzt auch gar nicht mehr von meinem Freund lösen. Doch ich musste wissen, wie es ihm ging, ob er Schmerzen verspürte, ob er noch unter dem Fieber litt, und versuchte daher, irgendwie wieder hochzukommen, aber – Winnetou ließ mich nicht, er schien sogar absolut etwas dagegen zu haben, dass ich auch nur ein wenig Abstand zwischen uns brachte. Deshalb schlang er nun seine Arme um meinen Nacken, zog mich sofort wieder zu sich hinunter – wobei ich größte Mühe hatte, nicht zu unsanft auf und neben ihm zu liegen zu kommen, aus Rücksicht auf seine Wunden – und dann ergriff er die Initiative, das jedoch mit solch einem Nachdruck und einer Intensität, die ich ihm in seinem Zustand eigentlich noch gar nicht zugetraut hätte. Gleichzeitig aber war ich unglaublich froh darüber, zeigte er mir dadurch doch, dass er seine große Schwäche wohl schon, zumindest teilweise, überwunden haben musste. Lange Zeit blieben wir halb nebeneinander, halb aufeinander liegen, und ich verlor mich vollkommen in diesem Kuss und seiner unendlichen Liebe zu mir, die mich fast schon greifbar zu umfangen schien. Ich fühlte mich so unfassbar glücklich, so glücklich wie schon seit langem nicht mehr – bei Gott, ich liebte diesen Mann so sehr, dass es mir das Herz zusammenzog und es beinahe schon schmerzte. Irgendwann aber wagte ich schließlich doch einen erneuten Versuch, mich von seinen wundervollen Lippen zu lösen, da ich mir langsam Sorgen machte, dass wir von den Freunden in dieser Position überrascht werden könnten. Ich blieb aber so eng es ging bei ihm liegen, ergriff seine Hand, strich ihm mit meiner anderen immer wieder durch sein herrliches Haar und vorsichtig über seine Wangen, bevor ich ihn fragte: „Wie geht es meinem guten Bruder? Hast du Schmerzen?“ Lächelnd schüttelte er leicht seinen schönen Kopf und antwortete: „Hab keine Sorge, Scharlih – Winnetou geht es schon viel besser! Und er ist so unendlich froh, dass sein Blutsbruder bei ihm sein kann und nicht ein Opfer von Motawatehs Rachsucht wurde!“ Bei diesen Worten fühlte ich mich sofort wieder an seine furchtbaren Fieberphantasien erinnert, und da er seine große Sorge um mich ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit jetzt beinahe als erstes erwähnte, war ich mir schon fast sicher, dass er immer noch unter dem Eindruck der bösen Träume stand, die ihn während seiner Krämpfe heimgesucht hatten. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie er sich daher im Augenblick fühlte, erinnerte ich mich doch selbst viel zu oft und zu genau an meine eigenen furchtbaren Träume während der Nacht am Ship-Rock. Wie froh war ich nach meinem Erwachen gewesen, Winnetou unversehrt an meiner Seite zu sehen, obwohl mir der Alb Sekunden zuvor seinen Tod vorgegaukelt hatte! Wie heftig hatte ich ihn daraufhin an mich gerissen und festgehalten und mich gleichzeitig immer wieder davon überzeugen müssen, dass das jetzt auch tatsächlich die Wirklichkeit und kein Traum war! Als ich nun in Winnetous wunderschöne Augen sah, erkannte ich sofort, dass es in ihm genau so aussah wie damals in mir, und darum zog ich ihn sofort wieder in meine Arme – mit äußerster Vorsicht natürlich – und hielt ihn so schonend wie nur möglich ganz fest, um ihn schnell wieder zu beruhigen. „Motawateh ist tot, mein Bruder, er kann weder mir noch dir jemals wieder etwas anhaben! Wir beide leben, sind beisammen und haben einander – und das ist alles, was wirklich wichtig ist! Und für mich bist du am allerwichtigsten! Du... du ahnst ja gar nicht, wie unendlich froh ich bin, dich wieder bei Bewusstsein zu sehen... ich hatte mehr als einmal in den letzten Stunden befürchtet, ich würde dich verlieren!“, flüsterte ich ihm leise zu. Auch mein Freund hielt mich jetzt wieder fest an sich gedrückt und erwiderte: „Aber Scharlih – Winnetou hat dir doch versichert, dass....“ „Ich weiß, mein Freund, ich weiß es ja – und genau dieses Versprechen von dir hat mich letztendlich ja auch davor bewahrt, völlig zu verzweifeln! Es ging dir so schlecht, so furchtbar schlecht, und es gab für mich nichts, was ich für noch dich hätte tun können....Das war schrecklicher als jede Qual am Marterpfahl...“ Schaudernd presste ich ihn unwillkürlich noch fester an mich und spürte gleichzeitig, wie er kurz zusammenzuckte – natürlich, ich hatte zu viel Druck auf seine Schulterwunde und seine geprellten Rippen ausgeübt! Sofort lockerte ich meinen Griff und bat ihn, fast schon erschrocken, um Verzeihung. Als Antwort drückte er mir erneut einen Kuss auf die Lippen, sah mich dann mit leuchtenden Augen an: „Scharlih – du hast Winnetou doch deine ganze Liebe geschenkt, und das ist das Größte, was ihm in seinem Leben geschehen konnte! Ich könnte nicht mehr sein ohne dich, mein Leben würde dem einer verkümmerten Pflanze gleichen – und in dem Moment, wo du bei mir bist, tust du doch schon alles, was in deiner Macht steht! Du gibst mir so unglaublich viel Kraft, die mir sicherlich auch jetzt geholfen hat, das alles zu überstehen. Könnte Winnetou doch auch so viel für seinen geliebten Bruder sein....“ Seine Worte rührten mich zutiefst, trieben mir fast die Tränen in die Augen und sorgten dafür, dass ich im ersten Augenblick keine Worte fand und erst mehrmals schlucken musste, bevor ich mich wieder in meiner Gewalt hatte. Währenddessen sah mir mein Freund tief in die Augen, und ich erwiderte seinen Blick, sah hinein in dieses unglaublich samtene Dunkel, in dem die Sterne nur so zu funkeln schienen, fühlte mich umarmt, wie mit einer warmen Decke umhüllt von diesem so geliebten Blick, und ich hätte ewig so liegen und ihn anschauen können – er war da, er lebte, er lächelte, und mein Herz wurde so leicht, so unendlich leicht! Ganz sanft strich ich mit meiner Hand über seine Wange, währenddessen ich ihm versicherte: „Mein geliebter Bruder! Winnetou ist für mich ein Geschenk des Himmels, er bedeutet mir mehr als mein eigenes Leben – sei dir sicher, dass du mir viel mehr gibst und bist, als du es dir überhaupt vorstellen kannst!“ Seine Antwort bestand aus einem erneuten innigen Kuss, und allmählich machte sich in mir immer mehr das Gefühl breit, vor Freude, Erleichterung und Glück mehrere Meter über dem Boden zu schweben. Aber – wir waren nun einmal nicht alleine in der Festung Old Firehands, und daher bestand auch die ganze Zeit über die Gefahr, dass einer unserer Gefährten die steinerne Kammer betreten würde, und sei es nur, um mir oder besser gesagt, uns, einen guten Morgen zu wünschen. Morgen? Ein wenig irritiert sah ich nun ein weiteres Mal Richtung Eingang und erst jetzt wurde ich mir darüber bewusst, dass der Stand der Sonne nicht zu der Tageszeit passen konnte – ich hatte mich ja schon des Öfteren hier in der Festung aufgehalten und wusste somit, dass die Sonne morgens nicht in diesem Winkel in die Kammer hineinscheinen konnte. Nach meiner letzten Erinnerung war ich am frühen Abend, kurz nach der Ankunft des Doktors, sofort eingeschlafen, und jetzt war es augenscheinlich immer noch früher Abend. Aber wie konnte ich mich denn dann so ausgeschlafen fühlen? Etwas verwirrt sah ich von dem Eingang zu meinem Blutsbruder und wieder zurück zum Eingang, aber bevor ich überhaupt etwas sagen oder eine Frage stellen konnte, klärte mich Winnetou, der mir natürlich sofort meine Irritation angesehen hatte und den Grund dafür erriet, über den aktuellen Stand auf. „Der Körper meines Bruders Scharlih bedurfte nach zwei Nächten ohne Schlaf und den letzten anstrengenden Geschehnissen dringend Erholung, und er hat sich diese auch genommen. Das ist der Grund, warum du eine ganze Nacht und einen ganzen Tag lang durchgeschlafen hast!“ Vollkommen erstaunt betrachtete ich abermals das schöne Gesicht meines Freundes, einen Moment lang dabei ernsthaft überlegend, ob er sich vielleicht sogar einen Scherz mit mir erlaubte. So lange sollte ich geschlafen haben? Ich konnte es mir überhaupt nicht vorstellen, da ich schon mein ganzes Leben lang immer mit wenig Schlaf ausgekommen war. „Sag, mein Freund – bist du etwa schon die ganze Zeit über wach gewesen?“ fragte ich ihn, immer noch etwas verdattert, wenig später, woraufhin er wieder leise lächelte. „Nein – Winnetou hat auch erst vor ungefähr einer Stunde seine Augen zum ersten Mal geöffnet. Doch sein weißer Bruder Hendrick war in dem Moment an seiner Seite und klärte den Apatschen über die letzten Geschehnisse auf.“ Er zögerte einen kurzen Augenblick und fragte mich dann, mit einer kaum merklichen Anspannung in der Stimme „Scharlih – Winnetou hat nicht mehr viel von dem Ritt hierher zur Festung in seiner Erinnerung... Hat – hatte mein Bruder die Zeit gefunden, das Versteck der Silberbüchse aufzusuchen?“ Na, das konnte ich mir denken, dass er von dem Weg hierher nicht mehr viel wusste; und noch viel mehr konnte ich mir vorstellen, wie sehr er sich jetzt um sein kostbares Gewehr sorgte, dem einzigen Gegenstand aus seinem Besitz, der ihm wirklich unendlich viel bedeutete, da es ein unersetzbares Andenken an seinen ermordeten Vater war. Darum antwortete ich ihm auch schnell, während ich ihn wieder leicht an mich drückte: „Hab keine Sorge, mein Bruder, die Silberbüchse befindet sich hier in unserem Gewahrsam, wie auch all die anderen Waffen, die du an unserem Lagerplatz noch schnell verstecken konntest – und keine davon hat irgendeinen Schaden genommen!“ Sichtlich erleichtert schloss mein Freund kurz die Augen, um mich gleich darauf wieder mit seinem unvergleichlich liebevollen Blick anzusehen. „Winnetou hätte gar nicht fragen brauchen – er kennt seinen Blutsbruder doch zu genau, um zu wissen, dass dieser nichts unversucht lassen würde, ihm die kostbare Waffe zu erhalten!“ „Das ist nun wirklich das Mindeste, was ich für dich tun kann“, erwiderte ich lächelnd. „Denn du lässt ja auch nichts unversucht, mir mein Leben zu erhalten – wie jetzt erst zu sehen war, als du dich meinetwegen an die Kiowas ausgeliefert hast, obwohl du genau wusstest, was für schreckliche Folgen das für dich haben würde!“ „Aber Scharlih!“ Auch Winnetou lächelte jetzt und bedachte mich dabei mit einem milden Gesichtsausdruck. „Winnetou weiß doch genau, dass du dasselbe, ohne zu zögern, auch für ihn getan hättest!“ „Hm – das mag ja sein, aber da du genau wusstest, dass du mit deiner Auslieferung unweigerlich Motawatehs Rache zum Opfer fallen würdest....“ Für einen Augenblick konnte ich nicht weitersprechen, zu deutlich hatten sich die Bilder von Motawatehs Folterungen an meinem Blutsbruder in mein Gedächtnis eingebrannt, zu sehr hatte ich unter seinen Qualen zu leiden gehabt, als wären es meine eigenen gewesen. Mein Freund spürte natürlich wieder einmal genau, wie es in mir aussah, und zog mich noch ein wenig näher an sich heran. „Winnetou hätte niemals zulassen können, dass der verlogene Kiowa-Häuptling seinen geliebten Blutsbruder tötet - niemals!“, flüsterte er mir mit Nachdruck in der Stimme zu. Zu sehen und am eigenen Leib zu spüren, dass er, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, mein Leben hoch über seines stellte, bewies mir noch einmal die unendliche Intensität seiner Liebe zu mir und löste damit ein Glücksgefühl in mir aus, welches sich gar nicht beschreiben ließ. Ich wusste im Augenblick überhaupt nicht, wohin mit meinen überquellenden Gefühlen und tat daher das erste, was mir in den Sinn kam: ich nahm seine Linke in beide Hände und küsste sie voller Inbrunst, bis er meine Hände mit seinen, fast schon etwas verlegen, festhielt und mich anschließend in eine nochmalige Umarmung zog. Eine kurze Zeit lagen wir in dieser innigen Position, dann aber fiel mir ein, dass ich von meinen Freund noch etwas Wichtiges wissen wollte. Also hob ich den Kopf, um ihn besser ansehen zu können, und fragte leise: „Winnetou – warum hat Motawateh meinem Bruder einst so fürchterliche Rache geschworen?“ Der Gefragte holte tief Luft und setzte gerade an, zu antworten, aber er kam wieder einmal nicht dazu, denn in diesem Augenblick lugte ganz vorsichtig und leise unser Doktor in die steinerne Kammer hinein. Als er sah, dass ich wach war, lachte er übers ganze Gesicht und trat nun vollends ein. Mein Freund und ich hatten uns natürlich, obgleich der Arzt über unser wahres Verhältnis Bescheid wusste, sofort voneinander gelöst, lagen aber doch noch nah beieinander und ich behielt auch Winnetous Hand in meiner. Uns beide erfasste nicht die Spur einer Verlegenheit aufgrund der Position, in der uns Hendrick vorgefunden hatte, da er es ja selbst gewesen war, der immer wieder auf unserer Reise versucht hatte, uns eine Möglichkeit der intensiven Nähe zu schaffen. Aus diesem Grund fragte er jetzt wohl auch noch einmal sicherheitshalber nach: „Ich würde gerne noch eine Untersuchung und einen Verbandswechsel durchführen, wenn euch das recht ist – oder möchtet ihr lieber noch etwas allein sein?“ „Nein, nein, Walter, tritt ruhig näher“, antwortete ich mit einem breiten Grinsen, denn eigentlich hatte die Situation an sich ja schon etwas Belustigendes an sich. Außerdem befand ich mich, seitdem ich erwacht war und Winnetou in einem deutlich besseren Zustand vorgefunden hatte, in einer regelrechten Hochstimmung; ich hätte die ganze Welt umarmen können und hatte gleichzeitig das Gefühl, jeden Augenblick laut loslachen zu müssen – einfach so, es brauchte nur noch ein Ventil. Im Moment aber konnte ich mich noch beherrschen, auch wenn es mir wirklich schwer fiel. Schnell hatte ich mich in eine sitzende Position gebracht und musste nun feststellen, dass auch Winnetou Anstalten machte, sich langsam aufzurichten, wobei sein Gesichtsausdruck ganz starr und unbeweglich wurde – ein sicheres Zeichen für mich, dass ihm diese Bewegung starke Schmerzen bereitete, er sich aber natürlich nichts anmerken lassen wollte. Doch Walter Hendrick ließ das nicht zu. Sofort war er an der Seite meines Freundes und drückte ihn sanft, aber bestimmt wieder in die Felle zurück. „So nicht, mein Junge – das ist aber noch deutlich zu früh! Das kann ich jetzt auf keinen Fall schon zulassen, und eines ist sicher: In den nächsten Tagen wirst du dich nur minimal bewegen dürfen, und wenn du dich nicht daran hältst, binde ich dich persönlich auf diesem Lager fest, so wahr ich hier stehe!“ Er sagte das mit einem solchen Ernst in der Stimme, wenngleich auch seine Augen den Apatschen liebevoll betrachteten, dass diesem nichts anderes übrig blieb, als zu gehorchen. Ich wusste genau, selbst der Medizinmann der Mescaleros hätte es nicht gewagt, so mit seinem Häuptling zu sprechen, und mein Blutsbruder hätte ihm und jedem anderen gegenüber auf jeden Fall auch seinen Willen durchgesetzt – doch unserem Doktor gegenüber fühlte er sich verpflichtet, nicht nur, weil dieser ihm mehrmals das Leben gerettet hatte, sondern weil er, ausgerechnet ein Weißer, Winnetou jeden Tag spüren ließ, was für eine unglaublich liebevolle Freundschaft er dem Apatschen entgegenbrachte. Ich war mir sicher, dass mein Freund dem Doktor jeden Wunsch erfüllt hätte; Hendrick dagegen besaß nun mehr als genügend Feingefühl, als dass er Winnetous Kriegern gegenüber niemals eine Schwäche oder eine Krankheit des Häuptlings zum Thema machen würde. Der Arzt wandte sich jetzt mir zu: „Und wie geht es dir, Charley? Ich bin wirklich froh, dass du dich endlich einmal vernünftig ausruhen konntest, zumal du ja auch nicht ganz ohne Blessuren davongekommen bist!“ „Ich fühle mich wie neugeboren – mach dir also keine Sorgen, Walter!“, entgegnete ich, wobei ich ihm einen bezeichnenden Blick zuwarf. Er verstand sofort und begann daher ohne Verzögerung, mich über Winnetous Zustand aufzuklären, wohl auch, um diesem jede Illusion zu nehmen, er könne in Kürze wieder umherlaufen, als wenn nichts geschehen wäre. „Wie ich unserem Häuptling hier vorhin schon grob geschildert hatte – wir konnten da noch nicht viel reden, weil wir dich natürlich schlafen lassen wollten – steht es mit seiner Gesundheit im Augenblick leider noch nicht zum Besten.“ Ich zuckte erschrocken zusammen, denn eigentlich hatte ich aufgrund Winnetous Verhalten mit einer besseren Nachricht gerechnet. Hatte er denn immer noch Fieber? Als ich ihn umarmte, hatte ich davon überhaupt nichts bemerkt... Doch Hendrick klärte mich sogleich auf: „Zum Glück hatten die Medikamente sowie die Kräuter von Tsain-tonkee gleich angeschlagen, so dass das Fieber recht schnell gesunken und mittlerweile auch fast verschwunden ist – und darüber bin ich wirklich froh, denn es hatte ja über eine enorm lange Zeitspanne standgehalten und dadurch dem Körper, vor allem aber dem Herzen, schon sehr zugesetzt. Dazu kommt natürlich noch der hohe Blutverlust, der in Kombination mit dem Fieber für leichte Herzrhythmusstörungen gesorgt hat. Das bedeutet, mein Freund“, und jetzt warf der Doktor Winnetou einen äußerst strengen Blick zu, „Das bedeutet, dass ich wünsche, dass du erst dann aufstehst, wenn ich es dir erlaube – und ich hoffe, dass du“ - jetzt bekam ich den gleichen strengen Blick ab - „dass du mich darin uneingeschränkt unterstützen und nicht heimlich gegen mich arbeiten wirst! Die Folgen wären für unseren Häuptling hier nämlich lebensgefährlich!“ Natürlich sicherte ich ihm sofort meine Mitarbeit zu und bedachte nun meinerseits meinen Freund mit einem ebenfalls strengen Blick, woraufhin er kurz mit den Augen nach oben rollte und dann gespielt demütig nickte – das leise Zucken seiner Mundwinkel entging mir natürlich nicht, welches darauf hinwies, dass er offensichtlich begann, sich allmählich zu amüsieren. Dadurch fiel es mir auch nicht gerade leicht, meine immer noch vorhandene Heiterkeit weiterhin zu unterdrücken, die gleichzeitig mit der latenten Sorge um den Apatschen um die Vorherrschaft in meinem Inneren kämpfte. Doch da half mir der Doktor unbewusst weiter, indem er noch mehr zu Winnetous Zustand zu sagen wusste: „Das ist aber noch nicht alles: Linksseitig sind zwei Rippen angebrochen, und zusammen mit den schweren Prellungen am ganzen Brustkorb wird dieser Umstand dir in der nächsten Zeit heftige Schmerzen bereiten – die ich aber mit Medikamenten zu unterbinden gedenke, und diese Behandlung wirst du solange zulassen, wie ich es für nötig halte – das ist dir doch hoffentlich klar, mein Freund?“ Winnetou entgegnete nichts, er sah Walter nur unverwandt mit seinen wunderschönen Sternenaugen an. Dieser Blick war wirklich geeignet, auch das härteste Herz zu erweichen, und der Ausdruck in Walters Gesicht wurde deshalb auch sofort um einiges milder. Trotzdem fuhr er, immer noch um eine gewisse Strenge in seiner Stimme bemüht, fort: „Auch die vielen Stichwunden werden noch einige Zeit für nicht geringe Probleme sorgen, und ich hoffe so sehr, dass der Kerl, der dir das angetan hat, mit aller Härte dafür bestraft wird!“ Ich setzte an, um ihm zu versichern, dass wir alle nicht eher ruhen würden, bis dieser Wunsch in Erfüllung ging, doch Walter wehrte mich vorher mit einer Handbewegung ab und sprach weiter: „Winnetou – in Anbetracht der Tatsache, dass du erst vor wenigen Wochen vollständig von der schweren Schussverletzung genesen bist und jetzt schon wieder mehrfach schwer verwundet wurdest, bitte ich dich inständig, meinen Anweisungen auf jeden Fall Folge zu leisten! Auch dein Körper ist nicht unbesiegbar, und eine zu frühe Beanspruchung desselben könnte jetzt eine lebenslange Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Herzens nach sich ziehen, weil die ständig an die Grenzen gehenden Belastungen nun einfach zu viel werden!“ Jetzt schrak ich wirklich heftig zusammen, mein Freund hingegen blieb weiterhin ruhig und erwiderte im freundlichen Ton: „Mein älterer weißer Bruder mag sicher sein, dass der Häuptling der Apatschen, wie schon so oft, seinem Wunsch entsprechend handeln wird – solange er es seinem Volk gegenüber verantworten kann!“ Wieder wollte ich etwas sagen, und wieder kam mir Walter zuvor: „Mein Freund – gerade weil du das Oberhaupt dieses stolzen Volkes bist und gerade weil du wahrscheinlich der einzige Apatsche weit und breit mit einer solch bemerkenswerten Klugheit und Weitsicht bist, der in diesen turbulenten Zeiten die so nötige Ruhe und Übersicht behält – gerade deshalb ist es so wichtig, dass du auf deine Gesundheit achtest, damit du deinen Stamm unbeschadet in eine neue Zeit führen kannst und ihm noch lange, lange erhalten bleibst!“ Jetzt konnte ich nicht anders als mehrmals bekräftigend nicken; das hätten auch meine Worte sein können. Und Walter hatte so recht – wir durften auf keinen Fall riskieren, dass Winnetou sich auf der Suche nach Thomson schon wieder vollkommen verausgabte, was natürlich bedeutete, dass wir ihn unter allen Umständen hier in der Festung halten mussten, während wir anderen den elenden Verbrecher jagen würden... und noch während ich diesen Gedanken in meinem Kopf formulierte, wusste ich schon, dass es eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit sein würde, von Winnetou so etwas zu verlangen. Er sollte sich schonen, während wir uns in Gefahr begaben? Ich ahnte, dass er das niemals zulassen würde. Und so würde es immer weitergehen – hier, in einer der gefährlichsten Gegenden Nordamerikas, würde meinem Freund und seinem Stamm immer wieder Gefahren drohen, die es eigentlich unmöglich machten, dass er sich für längere Zeit einmal gründlich erholen könnte. Es war ja schon fast ein Wunder zu nennen, dass wir nach den Ereignissen bei Helmers Home fast ein halbes Jahr lang vollkommene Ruhe genießen konnten, ohne Störungen von außerhalb! In mir begann sich daher ein Gedanke zu regen, nein, fast schon zu verfestigen, der mir schon mehrmals flüchtig, eher im Unterbewusstsein, durch den Kopf gegangen war, den ich aber nie so richtig zu fassen bekommen hatte. Winnetou hatte auf Walters Worte hin den Kopf gesenkt und einige Augenblicke lang still vor sich hingesehen. Jetzt hob er sein schönes Haupt wieder an, maß uns beide nacheinander mit festem Blick und fragte leise: „Winnetou soll nicht den Mörder und Verbrecher jagen und ihn für seine Taten bestrafen?“ Seufzend legte ich meine Hand an seine Wange, zwang ihn, mich anzusehen. „Ich bitte dich von Herzen, es nicht zu tun, zumindest so lange, wie unser Doktor dir eine Ruhepause verordnet. Sollte Thomson in der Zwischenzeit hier auftauchen, so wird der Häuptling der Apatschen so stark sein müssen, dieses Mal der Jagd nur aus der Ferne beizuwohnen, und das nicht nur um seinetwillen, sondern auch aus Rücksicht auf unsere Freunde – und auch auf seinen Blutsbruder, weil wir alle hier ansonsten vor Angst und Sorge um dich nicht mehr klar denken könnten. Wenn die feige Ratte sich allerdings erst einmal von uns fern hält und wir irgendwann in naher Zukunft wieder auf seine Spur treffen, dann – ja, dann wirst du der Erste sein, der Hand an ihn legen soll! Obwohl ich überhaupt nichts dagegen hätte, dem Mistkerl auf meine Weise zu zeigen, was ich von ihm halte!“ Wütend hatte ich, ohne es zu merken, meine Fäuste geballt, denn allein der Gedanke an den Peiniger meines Freundes brachte mein Blut in Wallung und weckte den heißen Wunsch in mir, den Halunken angemessen zu bestrafen. Winnetou hingegen rang nun sichtlich mit sich. Er sah sich gezwungen, zu wählen zwischen seiner Würde und seiner Funktion als Oberhaupt aller Apatschen, der auch trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen in der Lage sein muss, seine Feinde zu vernichten, oder seiner Pflicht als mein bester Freund, mir keinen Kummer und keine Sorge zu bereiten. Es war ein harter Kampf, den er da in der kurzen Zeit mit sich selbst ausfocht, und wie gut konnte ich ihn verstehen! Es war leicht, mir auszumalen, wie ich mich in seiner Situation fühlen würde und ich war mir dabei nicht sicher, ob ich die Notwendigkeit, meinen Körper zu schonen, überhaupt eingesehen hätte. Auch Winnetou fiel diese Entscheidung sichtlich schwer, aber letztendlich siegte seine Liebe zu mir über seine Rachegedanken und dem Anspruch an sich selbst, immer ein perfektes Vorbild für seine Krieger zu sein. Nochmals senkte er seinen Kopf und nickte stumm, ergeben, aber bereit, alles zu tun, was der Doktor und ich von ihm verlangten. Er tat mir jetzt, in diesem für ihn doch recht schwierigen Moment, wirklich leid, und so versuchte ich, ihm ein wenig Trost zu spenden: „Vielleicht hat der Kerl für das Erste die Nase voll von uns und hält zunächst einmal ausreichend Abstand“, flüsterte ich ihm leise zu. „Und später werden wir beide nichts unversucht lassen, ihn in unsere Hände zu bekommen – aber dann Gnade ihm Gott!“ Nun musste mein Freund doch leise lächeln ob meines unbeholfenen Versuches, ihn irgendwie wieder aufzumuntern – aber wahrscheinlich war er sich von Anfang an sicher gewesen, dass Thomson von seiner Goldgier so verblendet war, dass er jede Gefahr für sich einfach ignorieren und alles daransetzen würde, das Edelmetall schnellstmöglich in seine Finger zu bekommen, koste es, was es wolle. Auch Hendrick hatte wohl das Gefühl, irgendetwas wieder gut machen zu müssen, und meinte darum: „In den nächsten zwei, drei Tagen wird dir ein Aufstehen sowieso unmöglich werden, mein Freund – bei jedem Versuch wird dein Körper vehement dagegen protestieren, so dass dein Kreislauf wahrscheinlich einfach zusammenbrechen wird, und nach einem solchen Kollaps wird es dir mit Sicherheit noch schlechter ergehen als vorher! Es macht einfach keinen Sinn, sich dagegen zu wehren, und daher ist es wirklich am besten, wenn du vorerst deinem Körper die Führung überlässt, in Ordnung?“ Wieder nickte Winnetou, doch dieses Mal hatte ich den Eindruck, dass er dem Doktor innerlich wohl recht gab, da ihm sein schlechter gesundheitlicher Zustand unmöglich verborgen bleiben konnte. Vielleicht verspürte er in diesem Moment auch ein erneut aufkommendes Schwächegefühl, nachdem er schon seit geraumer Zeit nicht nur bei Bewusstsein war, sondern wahrscheinlich auch seitdem jegliche Unpässlichkeiten gekonnt überspielt hatte – seinem Körper aber konnte er auf die Dauer nichts vormachen. Nun bemerkte ich auch feine Schweißperlen auf seiner Stirn und Oberlippe, und sein Blick, eigentlich seine ganze Haltung ließ mich erahnen, dass er ganz allmählich wieder von einer körperlichen Schwäche übermannt wurde. Dem Doktor begann dieser Umstand gerade offenbar auch aufzufallen, denn er begab sich ohne ein weiteres Wort zu dem kleinen Tisch an der Wand, auf dem er alle notwendigen medizinischen Utensilien abgestellt hatte, goss dort etwas Wasser in ein Glas, rührte ein Pulver hinein und stand Augenblicke später schon wieder an Winnetous Seite, den er dann auch sofort, ohne eine Widerrede duldend, zum Trinken desselben nötigte. Während der Apatsche tat, wie ihm geheißen, dachte ich darüber nach, womit ich ihm denn wohl ein wenig Ablenkung zuteil werden lassen könnte. In dem Moment fielen mir die Worte des Doktors ein, als er mich vorhin über Winnetous Gesundheitszustand informiert und dabei unseren Spähfuchs und frisch gekürten Unterhäuptling der Mescaleros erwähnt hatte. Jetzt erst wurde mir klar, dass ich noch gar nicht darüber nachgedacht hatte, wieso der Arzt früher als erwartet gestern die Festung erreicht hatte. War er vielleicht nur in Begleitung Sam Hawkens und Tsain-tonkees gekommen, oder war es dem kleinen Westmann gelungen, auch sämtliche Apatschen nebst der Familie Butterfield im Eiltempo zu Firehands Versteck zu führen? Zumindest war ich mir sicher, dass Sam wohl unbehelligt Farmington erreicht haben musste, denn ansonsten hätte der Doktor es niemals so schnell bis hierher schaffen können. Er konnte auch nicht durch einen bloßen Zufall diesen Ort gefunden haben, da er erstens überhaupt nichts von unserer Anwesenheit hier wissen konnte und zweitens die Festung so versteckt lag, dass man sie nur mit genauer Ortskenntnis betreten konnte. Trotzdem wollte ich jetzt natürlich alles Wesentliche über die letzten Tage sowie die Anreise unserer Gefährten erfahren, und bat den Doktor darum, uns über alles, was seit unserer Trennung geschehen war, zu informieren. Fast unmerklich zog ich währenddessen Winnetou so vorsichtig und so nah wie möglich an mich heran und sorgte dafür, dass er sich mit seinem Kopf an meine Brust lehnen konnte, um so vielleicht etwas Entspannung und Ruhe zu finden. Hendrick setzte sich nun auch an die Seite meines Freundes, ergriff dessen Hand und tastete nach seinem Puls, währenddessen er uns über die letzten Geschehnisse in Kenntnis setzte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)