Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 23: Flucht voller Strapazen ----------------------------------- „Winnetou!“ Heiser, fast schon flüsternd kam mir der Name meines geliebten Freundes über die Lippen, während meine Hände unstet über seinen Oberkörper glitten, unschlüssig, wie ihm jetzt wohl am besten zu helfen war. Der Apatsche reagierte nicht auf meine leisen Zurufe – natürlich nicht, denn dieser Kampf eben hatte ihm einfach alles abgefordert, und nun war er in eine fast schon gnädige Bewusstlosigkeit abgeglitten. Waren vorhin schon Puls und Herzschlag viel zu langsam und kaum spürbar gewesen, so hatte ich jetzt richtig Mühe, überhaupt irgend etwas zu ertasten. Ich bekam es daher nun wirklich mit der Angst zu tun – Angst, dass sein Kreislauf diesen furchtbaren Strapazen gar nicht mehr gewachsen sein würde; dass sein Herz einfach aufhören würde zu schlagen. In diesem Moment tauchte Emery an meiner Seite auf, der, während er die Kiowa-Pferde auseinandertrieb, die Kampfgeräusche und meinen panischen Schrei aus der Ferne mitbekommen und natürlich sofort den Rückweg angetreten hatte, um uns zu Hilfe zu eilen. Zu Tode erschreckt sah er jetzt auf Winnetou herab, wandte sich dann mir zu und begann, beinahe stammelnd vor Aufregung und mit zittriger Stimme, Fragen nach dem eben Geschehenen zu stellen. Aber sämtliche Erklärungen mussten bis später warten; jetzt hatten wir uns erst einmal um wichtigere Dinge zu kümmern. Ich unterbrach also den Engländer hastig und trug ihm auf, sofort nach Sam Hawkens zu sehen, der immer noch besinnungslos am Boden lag. Emery tat wie ihm geheißen, beugte sich schnell zu Sam hinunter, untersuchte ihn kurz, holte sich dann einen Krug Wasser von dem improvisierten „Buffet“, welches uns die Kiowas netterweise dagelassen hatten, und goss dessen Inhalt kurzerhand über dem Kopf des kleinen Westmannes aus. Die Wirkung trat augenblicklich ein: Sam stieß ein überraschtes Keuchen aus, prustete und nieste einige Male, dann setzte er sich mühsam auf und sah sich äußerst verwirrt im Zelt um, wobei er sich leise stöhnend den offenbar schmerzenden Kopf hielt. Dabei murmelte er vor sich hin: „Brrrr – hat mich eine Lokomotive gerammt, oder … wie ist mir nur geschehen? Wo ist denn....Moment mal! Wo ist Motawateh? Mir ist, als ob er mich niedergeschlagen hat...Aber wie....? Ja, ist das denn die Möglichkeit?!“ Als Sam in diesem Augenblick die beiden bewegungslos am Boden liegenden Häuptlinge entdeckte, der eine tot, der andere ohne Bewusstsein, sprang er sofort auf - ohne Rücksicht auf seinen nicht gerade taufrischen Zustand - und eilte auf uns zu. Dabei aber verhedderte er sich in der Eile mit seinen kurzen Beinchen, geriet ins Stolpern und konnte nur mühsam verhindern, der Länge nach wieder hinzuschlagen. Doch Sekunden später kniete er schon an unserer Seite, ergriff Winnetous Hand, sah ihm ängstlich ins Gesicht und fragte mich stockend und im drängenden Ton: „Was ist denn nur geschehen? Es ist meine Schuld, nicht wahr? Hätte ich nur richtig....“ „Nein, Sam, es ist gut!“, unterbrach ich ihn schnell, doch der kleine Mann redete einfach weiter. „Hat der Kerl mich tatsächlich überwältigt?“ fragte er recht kleinlaut. „Das gibt es doch gar nicht! Schlägt so ein dahergelaufener Indsman einfach den berühmten Sam Hawkens nieder! Und dabei war er sogar noch gefesselt, wenn ich mich nicht irre! Oder etwa nicht? Hatte er sich vielleicht hinter meinem Rücken befreien können? Wie zum Teufel konnte ich denn nur so meine Pflichten vernachlässigen??“ Sam bot nun echt ein Bild der Verzweiflung; er fuhr sich immer wieder mit fahrigen Bewegungen durch seine Haare, besser gesagt, durch seine Perücke, die sich dadurch auch prompt von seinem Haupt löste und zu Boden fiel. Daher bemühte ich mich jetzt auch schnell, ihn irgendwie wieder zu beruhigen: „Euch trifft wirklich keine Schuld, lieber Sam, also unterlasst bitte Eure Selbstvorwürfe! Hier haben wir alle Fehler gemacht: Wir haben unter anderem mein kleines Taschenmesser unbeachtet liegen gelassen, welches sich wohl Motawateh ergriff, während wir alle unser Augenmerk auf die Kiowas vor dem Zelt gerichtet hatten. Ich glaubte zwar, kurz zuvor eine ungewöhnliche Bewegung des Häuptlings bemerkt zu haben, gleichzeitig aber versäumte ich, ihn daraufhin nochmals zu kontrollieren, sonst hätte ich die drohende Gefahr wahrscheinlich noch abwenden können. Wenn also....“ Jetzt wurde ich meinerseits von Emery unterbrochen, der nun doch sehr energisch auf seine vermeintliche Mitschuld hinwies: „Charley, das Messer geht eindeutig auf meine Kappe! Ich hatte es schließlich zuletzt in der Hand, und ich hätte es einfach einstecken müssen, aber...“ „So, Schluss jetzt!“, beendete ich diese wirklich unnütze Diskussion. „Was geschehen ist, ist geschehen – wir können es nicht mehr ändern. Viel wichtiger ist es doch, so schnell wie möglich hier zu verschwinden! Thomson ist verschwunden, und ich befürchte...“ Wieder wurde ich unterbrochen, diesmal von Sam: „Wie bitte? Habe ich mich verhört? Dieser Teufel in Menschengestalt ist tatsächlich weg? Geflohen? Und wieso seid Ihr denn nicht sofort hinterher, verehrtes Greenhorn?“ Dabei sah mich mein ehemaliger Lehrer mit einem fast schon bitterbösen Gesichtsausdruck anklagend an. Stumm wies ich auf Winnetou, und Sam wurde sofort wieder kleinlaut: „Hm.... richtig, unser roter Freund hier ist natürlich viel wichtiger als dieses Ekel, wenn ich mich nicht irre. Aber sollten wir dann nicht wenigstens jetzt die Verfolgung aufnehmen? Diese Kreatur werden wir noch erwischen, ganz bestimmt, wenn ich mich nicht irre!“ „Nein, Sam, das werden wir nicht. Der Kerl ist in den Wald gelaufen, und in dieser Dunkelheit haben wir keine Chance, ihn dort zu finden. Im Gegenteil, viel wahrscheinlicher ist doch, dass er uns hinterrücks auflauert und schlimmstenfalls auslöscht, ohne sich dabei selbst in Gefahr bringen zu müssen! Übrigens - da fällt mir gerade etwas sehr Wichtiges ein: Seht doch einmal bitte schnell nach, ob irgendeine unserer Waffen fehlt - nicht, dass der Schurke, trotz seiner Eile, noch die Möglichkeit gehabt hatte, irgendetwas davon mitgehen zu lassen!" Die beiden kamen meiner Aufforderung sofort nach, doch wenig später konnten wir äußerst erleichtert feststellen, dass weder unsere Schusswaffen, noch Messer oder auch nur Winnetous Thomahawk , welches er bei dem Überfall nicht mehr vor den Kiowas verstecken konnte, fehlten - Gott sei dank! Sam drängte mich daraufhin ein weiteres Mal, Thomson doch noch verfolgen zu dürfen, während wir anderen hier bei Winnetou bleiben sollten, aber ich konnte ihm diesen Gedanken zum Glück schnell wieder ausreden mit der Bemerkung: "Wir würden nur Zeit verlieren, Sam, Zeit, die Winnetou vielleicht gar nicht mehr hat. Er braucht dringend einen Arzt!“ Abermals warf der kleine Mann einen Blick auf meinen Freund, und in seinem Gesicht zeichnete sich nun deutlich seine große Sorge um den Apatschen ab. „Natürlich, Ihr habt wie immer recht, mein geliebter Sir, auch wenn Ihr trotzdem ein für allemal ein Greenhorn bleiben werdet, wenn ich mich nicht irre! Aber - wie sollen wir unseren Freund jetzt nur den weiten Weg bis zur Festung transportieren? Und das auch noch durch solch unwegsames Gelände? Es wird wahrscheinlich das Beste sein, wir bauen eine Trage und....“ „Auch dafür bleibt keine Zeit!“, entgegnete ich knapp. „Wir müssen befürchten, dass Thomson innerhalb kürzester Zeit zurückkehren wird, um sich zu rächen! Seine Gier nach dem Gold Winnetous ist wahrscheinlich größer als seine Angst vor uns – wir müssen hier also schnellstmöglich verschwinden! Ich kann deshalb nur hoffen, dass Winnetou diese weiteren Strapazen irgendwie überstehen wird...“ Für einen Moment schwiegen wir alle bedrückt, doch dann sprang Emery auf, holte nochmals einen Krug mit Wasser, riss dem toten Motawateh kurzerhand ein Stück Leder aus dessen Hemd, tunkte es in das Wasser und begann damit, Stirn und Nacken meines Freundes zu benetzen und zu kühlen. Er hatte recht. Es würde unsere Flucht natürlich wesentlich vereinfachen, wenn Winnetou wieder bei Bewusstsein wäre, und somit versuchte ich nun meinerseits, ihm einige Schlucke Wasser einzuflößen, auch wenn es nur ein hilfloser Versuch war, seinen schlechten Zustand irgendwie zum Besseren zu wenden. Leider hatte uns das Glück in dieser Hinsicht wieder verlassen, denn all unsere Bemühungen verliefen völlig erfolglos. Der Körper des Apatschen war einfach zu sehr geschwächt durch die vielen, wenn auch meist nicht sehr tiefen Verletzungen, durch den daraus entstandenen steten Blutverlust und nicht zuletzt natürlich durch den äußerst kraftraubenden Kampf mit Motawateh. Vielleicht aber war dieser Zustand der tiefen Bewusstlosigkeit für meinen Freund im Augenblick sogar das Beste, was ihm passieren konnte, denn jede weitere, auch noch so geringe Anstrengung, würde ihm jetzt vielleicht das Leben kosten. Aber – wir hatten einfach keine Wahl. Wir mussten weiter! Nicht unbedingt wegen Thomson, dieser war im Augenblick unbewaffnet, konnte also nicht aus dem Hinterhalt auf uns schießen. Auch nicht wegen der Kiowas, die gefesselt am Boden lagen und uns selbst dann nicht angreifen konnten – zumindest nicht sofort -, wenn sie von Thomson heimlich befreit werden würden, da wir ihre Schusswaffen ja zerstört hatten. Aber: Mit jeder Stunde, die wir weiter hier blieben, um Winnetou die Gelegenheit zu geben, wieder etwas zu Kräften zu kommen, erhöhte sich die Gefahr, dass Thomson irgendwie doch noch eine Möglichkeit fand, ein vielleicht vergessenes Gewehr in seine Hände zu bekommen, oder auch nur ein Messer oder eine andere gefährliche Waffe. Wir konnten die gefangenen Indianer doch nicht tagelang ununterbrochen bewachen und gleichzeitig mit Nahrung und Wasser versorgen, so dass es dem ehemaligen Unteranführer der Geier von Stunde zu Stunde leichter fallen würde, die Kiowas irgendwann im Schutz der Dunkelheit zu befreien und zusätzlich zumindest mit Stichwaffen zu versorgen. Und würden wir uns dann im Falle eines Angriffes gegen diese Übermacht ausreichend verteidigen und gleichzeitig Winnetou schützen können? Vorerst vielleicht, aber auf Dauer? Nein, es half nichts, wir mussten vor allem an meinen Freund denken und ihn schnellstens in Sicherheit bringen, und diese würde nur in Firehands „Festung“ vollständig gewährleistet sein. Ich flößte meinem Geliebten während dieser Gedankenspiele vorsichtig den letzten Schluck Wasser ein und hielt ihn anschließend noch ein paar Sekunden lang fest umschlungen in meinen Armen, wobei er regungslos in meinem Schoß lag. Emery und Sam hatten sich aus Rücksicht auf diesen innigen Augenblick taktvoll zurückgezogen; sie wussten ja, wie sehr mein Herz an dem Apatschen hing, auch ohne dass ihnen das wahre Ausmaß unserer Liebe zueinander bekannt war. Sam kontrollierte jetzt noch einmal die Fesseln der Kiowas, während der Engländer unsere restlichen Habseligkeiten in den Satteltaschen verstaute, da ich ja vorhin bei dieser Tätigkeit von dem fliehenden Thomson unterbrochen worden war. Als all das erledigt und die Zeit zum Aufbruch unweigerlich gekommen war, hob ich Winnetou behutsam vom Boden hoch und trug ihn hinüber zu den Pferden. Dort übergab ich ihn an Emery, während ich mich selbst auf den Rücken Hatatitlas schwang. So vorsichtig wie möglich hievten wir nun den Bewusstlosen zu dritt zu mir hoch und sorgten dafür, dass er vor mir im Sattel zu sitzen kam. Somit konnte ich ihn während des Ritts fest in meinen Armen halten, denn die Zügel musste ich nicht unbedingt nutzen; Hatatitla gehorchte mir nur durch meinen Schenkeldruck ebenso gut. Auf diese Weise konnte ich dafür sorgen, dass der Transport meines Freundes durch das unwegsame Gelände bis zur Festung so schonend wie möglich gelang. Natürlich hatte mein Hatatitla dadurch eine doppelt schwere Last zu tragen, doch wir würden sowieso nur recht langsam reiten können, um zu vermeiden, dass Winnetous Wunden wieder aufbrachen; einen weiteren Blutverlust konnte sein Körper wahrscheinlich nicht mehr verkraften. Außerdem bestand für mich auch die Möglichkeit, zwischendurch mit ihm auf seinen Iltschi zu wechseln, so dass nicht die Gefahr bestand, dass mein Rappe zu sehr überanstrengt wurde. Jetzt saßen auch die beiden Gefährten auf, und dann konnten wir endlich diesen so überaus „gastlichen“ Ort verlassen, der uns beinahe den Tod gebracht und Winnetou solch entsetzliche Qualen beschert hatte. Mir graute fast schon davor, auch nur einen Blick zurückzuwerfen, und ich war mir sicher, dass die furchtbaren Stunden, die wir hier durchleben mussten, mir für immer in Erinnerung bleiben würden. Übrigens plagte uns keinerlei schlechtes Gewissen wegen der Rothäute, die wir bewegungsunfähig, weil gebunden, zurückließen. Wir waren überzeugt davon, dass Thomson in Kürze zurückkehren und seine „Freunde“ dann auch befreien würde, allein deshalb, um eine Unterstützung bei der Jagd auf das Gold Winnetous zu gewinnen. Aber ob die Kiowas dazu noch bereit waren, nachdem ihr Häuptling Motawateh den Tod gefunden hatte? Ich hatte eher den Eindruck gewonnen, dass es vor allem nur diesem sowie Thomson um das Gold gegangen war, die anderen Indianer hatten wohl eher den Marterungen und dem Tod solch berühmter Personen wie Winnetou, Sam Hawkens und mir entgegengestrebt, um dadurch selbst zu großer Berühmtheit zu gelangen. Aber all das interessierte mich im Augenblick nicht im geringsten. Meine ganze Sorge galt allein Winnetou, der immer noch wie leblos in meinen Armen hing. Ihn zu halten, ihn so zu halten, dass ihm während des Ritts kein weiterer Schaden zugefügt wurde und seine Wunden nicht wieder anfingen zu bluten, würde bei weitem keine leichte Aufgabe werden, aber ich war jetzt erst einmal einfach nur froh, dass ich ihn lebend aus dieser Hölle herausgebracht hatte. Die Nacht neigte sich langsam dem Ende zu, als wir die Senke verließen, in der unsere Peiniger ihr Lager aufgeschlagen hatten, und das kam uns sehr gelegen. Da der Weg uns in Kürze durch bergiges Gelände führen würde, war das diffuse Licht des aufkommenden Morgengrauens für uns natürlich eine große Hilfe. Sam ritt voraus und Emery machte den Abschluss. Während ich auf niemand anderen als auf meinen verwundeten Freund achtete, suchten meine Gefährten mit ihren Blicken ständig die ganze Umgebung ab, um eventuelle Verfolger so früh wie möglich zu entdecken. Zusätzlich bemühten wir uns nach Kräften, von uns hinterlassene Spuren zu verwischen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. So ritten wir, wenn irgend möglich, durch kleine Wasserläufe hindurch oder wählten den Weg zwischen den felsigen Hügeln so aus, dass die Pferde fast nur über glatten Steinboden liefen, auf dem so gut wie keine Hufabdrücke entstehen konnten. Unser Weg führte uns aber zuerst zu unserem nächtlichen Lagerplatz, an dem wir in der letzten Nacht eine so böse Überraschung erlebt hatten. Winnetou hatte ja hier seine Waffen versteckt, und ohne diese und vor allem der kostbaren Silberbüchse würden wir auf keinen Fall die Flucht fortsetzen. Wer wusste schon, ob wir später noch einmal dazu Gelegenheit bekamen! Außerdem schadete jeder weiterer Tag dem kostbaren Gewehr mehr, an dem es ohne Schutz in dem Erdreich vergraben lag. Und letztendlich bestand ja immer noch die Gefahr, dass die Kiowas, sobald sie frei waren, nochmals danach suchen und vielleicht die Waffe sogar finden könnten - und diesen Verlust würde mein Blutsbruder nur schwerlich verkraften! Winnetou hatte uns nur ganz grob geschildert, wo genau das Gewehr lag, und jetzt konnte er uns das Versteck aufgrund seiner Ohnmacht natürlich nicht mehr mitteilen. Doch ich kannte ihn so gut wie niemand sonst, und da ich aufgrund seiner Erzählungen wusste, wo er sich zum Zeitpunkt des Überfalles ungefähr aufgehalten hatte, konnte ich, als ich den Platz erreichte, recht bald die Stelle finden, an der er die Sachen vergraben hatte - genau den gleichen Ort hätte ich in dieser brenzligen Situation und in der Eile, die geboten war, auch gewählt. Erleichtert nahm ich die so überaus wichtigen Gegenstände an mich, und so schnell wie möglich setzten wir jetzt unsere Flucht fort. Nachdem wir auf die vorhin geschilderte Weise die ersten größeren Hügel hinter uns gebracht hatten, ohne dass auch nur die geringsten Anzeichen von feindlichen Wesen zu sehen waren, ließ Sam Hawkens irgendwann an einem kleinen, in einem Wäldchen gelegenen Wasserlauf anhalten und wandte sich mir zu: „Wir sollten das Risiko eingehen und hier eine kurze Rast halten, um Winnetous Wunden zu kühlen, wenn ich mich nicht irre! Oder was meint Ihr, verehrtes Greenhorn?“ „Da habt Ihr natürlich vollkommen recht, Sam“, bestätigte ich. „Es muss alles getan werden, um ihm zu helfen, den Weg bis zur Festung irgendwie durchzustehen; außerdem denke ich, dass unser Vorsprung wohl noch recht groß sein wird!“ In diesem Augenblick tauchte Emery zwischen den Bäumen auf, der sich ein kurzes Stück des Weges hinter uns befunden hatte, um so eventuelle Verfolger eher entdecken zu können. Auch er war sofort mit einem kurzen Aufenthalt hier einverstanden, deshalb hob er nun gemeinsam mit Sam den Apatschen äußerst vorsichtig vom Pferd herunter und legte ihn behutsam in das weiche Gras am Ufer des kleinen Baches. Sofort sprang auch ich von dem Rücken meines braven Hatatitla und lobte ihn erst einmal ausgiebig für seine Treue – man hatte dem Rappen während des jetzt über drei Stunden andauernden Ritts nicht einmal angemerkt, dass er doppelte Last zu tragen gehabt hatte! Dann aber begab ich mich schnell wieder an die Seite meines Freundes, der soeben von Emery kurz untersucht worden war, bevor er begonnen hatte, die Verbände zu wechseln und die vielen Verletzungen mit Wasser zu kühlen. Ich unterstützte ihn sofort bei seinen Bemühungen, versäumte aber nicht, meinem Blutsbruder immer wieder mal sanft über seine Wangen zu streichen und ihm liebevolle, aufmunternde Worte zuzuflüstern, auch wenn er mich gar nicht hören konnte. Deutlich war zu spüren, dass das hohe Fieber seinen geschwächten Körper weiterhin fest im Griff hatte, und Sam versuchte nun, ihm etwas Linderung zu verschaffen, indem er dem Apatschen kühle, feuchte Tücher auf die Stirn und in den Nacken legte. Als dieser wieder einmal von einem Fieberkrampf förmlich geschüttelt wurde, zog ich meinen Freund vorsichtig in meine Arme und versuchte, ihm in irgendeiner Form möglichst viel Wärme zu spenden, um seinen Schüttelfrost einzudämmen. Sam, der des Öfteren nach dem Puls des Bewusstlosen getastet hatte, schüttelte jetzt hilflos den Kopf. „Wir allein sind einfach nicht in der Lage, ihm in ausreichender Weise die Hilfe zu ermöglichen, die er jetzt so dringend benötigt, wenn ich mich nicht irre“, resümierte er niedergeschlagen. Ich nickte nur, konnte ich doch deutlich sehen, dass Winnetous Zustand weit davon entfernt war, sich zu bessern. Wir konnten nicht mehr für ihn tun als das Wenige, was wir bisher getan hatten, und im Augenblick war es am besten, ihm ein wenig Ruhe zu gönnen, denn dieser Ritt bedeutete größte Strapazen für meinen Blutsbruder. Eine Weile saßen wir schweigend und bedrückt nebeneinander, während ich meinen Freund weiterhin eng bei mir in meinen Armen hielt. Natürlich, wir sollten eigentlich froh sein, dass wir den neuen Tag überhaupt als freie Männer begrüßen durften – und doch, dieser Umstand konnte uns im Moment gar nicht erfreuen, denn gerade dem Mann, dem wir vor allem unsere Freiheit zu verdanken hatten, ging es im Augenblick so schlecht, dass wir wirklich um sein Leben fürchten mussten, und das drückte unsere Stimmung natürlich besonders nieder. Nach einer Weile hob Sam mit entschlossener Miene den Kopf und sah mich an. „Verehrtes Greenhorn – ich habe soeben meine kleinen grauen Gehirnzellen angestrengt und siehe da: Es ist tatsächlich ein guter Gedanke dort entsprungen, wenn ich mich nicht irre, und den möchte ich Euch gerne einmal vorstellen!“ „Na, dann lasst ihn doch einfach heraus, lieber Sam!“, gab ich zurück, neugierig, was jetzt wohl kam. Sam musterte den bewusstlosen Apatschen in meinen Armen nochmals sehr besorgt und kratzte sich dann heftig den Kopf, bis seine Perücke wieder einmal verrutschte, bevor er weitersprach: „Es ist doch unschwer zu erkennen, dass es unserem roten Freund hier offenbar alles andere als gut geht; und selbst wenn wir die Festung schnell und vor allem unbehelligt erreichen sollten, ist ihm dadurch wohl auch noch nicht viel geholfen. Er benötigt nun mal dringend ärztliche Hilfe, und wie wir ja wissen, befindet sich der beste Arzt, den wir kennen, im Augenblick in Farmington. Was haltet Ihr also davon, wenn sich unsere Wege hier trennen und ich mich sofort in die Stadt aufmache, um Dr. Hendrick schnellstmöglich zur Festung zu bringen? Wie Ihr wisst, kenne ich den Weg dorthin in- und auswendig, wenn ich mich nicht irre, während unser Engländer hier diese bezaubernde Gegend wohl noch nicht so oft in seinem Leben durchwandern durfte - hihihi – außerdem ist er deutlich besser als ich dazu geeignet, eventuelle Feinde in alle Himmelsrichtungen zu pusten, wenn nötig, auch nur allein durch seine Körperkraft!“ „Sam – das ist eine hervorragende Idee!“, rief ich erfreut, und auch Emery zeigte sich fast schon begeistert, denn er hieb mit der geballten Faust in die Erde und erklärte: „Natürlich! Mensch, Sam, dass wir darauf nicht selbst gekommen sind! Das hätten wir schon von Anfang an tun sollen, denn umso schneller Walter unseren Winnetou behandeln kann, umso höher werden doch dessen Chancen, wieder gesund zu werden!“ „Ja, Verehrtester, da könnt Ihr doch mal sehen: von mir kann man immer noch etwas lernen, wenn ich mich nicht irre!“, freute sich der kauzige Westmann über die Zustimmung für seinen Vorschlag. „Vor allem unser Greenhorn hier sollte sich an mir des Öfteren mal ein Beispiel nehmen, dann könnte er auch einmal mit sinnvollen Vorschlägen glänzen und müsste sich nicht immer hinter mir verstecken, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“ Er lachte wieder in seiner eigentümlichen Weise in sich hinein, wurde aber schnell wieder ernst. Noch einmal warf er einen sorgenvollen Blick auf meinen Freund, beugte sich dann vor und küsste ihm die Stirn, bevor er mit einer entschlossenen Bewegung aufstand. „Ich breche am besten sofort auf“, erklärte er uns und ergänzte: „Passt Ihr inzwischen gut auf ihn auf, ja? Bringt ihn sicher in die Festung, und wenn dann auch noch der Doktor da ist, dann wird er wohl hoffentlich gute Chancen haben, zu überleben!“ „Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, Sam – aber seid auch Ihr vorsichtig, hört Ihr? Ihr seid ganz allein auf Euch gestellt, und das in einer Gegend, wo sich durchaus einige Kiowas herumtreiben könnten, nicht zu vergessen den flüchtigen Thomson! Ihr begebt Euch in große Gefahr, und ich bitte Euch inständig, gut auf Euch aufzupassen!“ „Da macht Euch mal keine unnützen Sorgen, geliebter Sir! Da es sich nicht nur um meines, sondern vor allem um das Leben Winnetous handelt, werde ich auf eine Weise durch diese Gegend schleichen, als wenn ich völlig unsichtbar wäre, das könnt Ihr mir getrost glauben, wenn ich mich nicht irre!“ Mit diesen Worten schwang er sich auf den Rücken seiner Mary, welche während unserer Rast genügend Zeit gehabt hatte, ordentlich zu fressen und zu saufen. Sam nickte uns noch einmal grüßend zu und verschwand dann zwischen den Bäumen. Uns blieb nur zu hoffen, dass er den Weg unbehelligt und vor allem unbeschadet überstehen würde. Ich wandte mich wieder meinem geliebten Freund zu, der weiterhin flach atmend in meinem Schoß lag. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit gewesen, die Rast zu beenden und unseren Weg fortzusetzen, aber irgendwie brachte ich es nicht übers Herz, Winnetou aus seiner doch recht schonenden Position wieder herauszureißen und den neuerlichen Strapazen auszusetzen. Emery war noch einmal zu dem Bachlauf gehuscht und hatte unsere Tücher ein weiteres Mal befeuchtet, die er jetzt dem Apatschen wieder auf die Stirn und in den Nacken legte. Gedankenverloren streichelte ich meinem Freund leise über die Wangen, während mein Geist in die vergangenen Wochen und Monate abschweifte und in der Erinnerung an die schönen Stunden verweilte, die ich mit ihm bisher erleben durfte. Ich hoffte so sehr, dass uns noch viele, viele weitere erfüllende Tage, Monate und Jahre vergönnt sein würden! Noch während ich in teils wunderschönen Erinnerungen schwelgte, bemerkte ich mit einem Mal eine Bewegung in meinen Armen. Winnetou! Er drehte seinen Kopf langsam erst zur einen, dann zur anderen Seite, seine Lider flatterten, und nun öffnete er tatsächlich die Augen! Sein Blick war noch verschwommen, als er in den Himme sahl, dann aber schlossen sich seine Lider vor Erschöpfung wieder. Ich ergriff das kühle Tuch auf seiner Stirn und tupfte ihm damit den Schweiß von Stirn und Wangen, während ich ihn leise beim Namen rief. Auch Emery neben mir rührte jetzt kein Glied mehr und wartete gespannt auf eine weitere Reaktion meines Freundes. Dieser atmete einige Male tief ein und aus und versuchte dann erneut, die Augen zu öffnen. Er vernahm wohl meine Stimme, denn als ihm sein Versuch gelang, sah er sofort zu mir hoch und schenkte mir gleich darauf ein schwaches, aber doch so wunderschönes Lächeln, dass es mich sofort bis ins Mark traf und mein Innerstes mit einer wohligen Wärme erfüllte. Ich konnte es nicht verhindern; alles in mir drängte sich danach, ihn auf beide Wangen zu küssen und anschließend fest, aber doch äußerst vorsichtig in meine Arme zu ziehen, mein Gesicht dabei in seiner Halsbeuge vergrabend. Es kostete mich eine enorme Willenskraft, den Tränen, dir mir hinter den Augenlidern brannten, keinen freien Lauf zu lassen. Aus Sorge um seine Verletzungen entließ ich Winnetou ein wenig später dann doch aus meiner recht festen Umarmung und sah ihm ins Gesicht, um zu erkunden, wie er sich wohl fühlen mochte. Hatte er starke Schmerzen? Wie schlecht ging es ihm jetzt aufgrund des hohen Fiebers? Doch meinen Freund beschäftigten derweil offenbar ganz andere Gedanken. Sein Blick verfinsterte sich, als er mich leise, fast schon hauchend, fragte: „Scharlih...Was geschah mit Motawateh? Ist er....“ „Er ist tot, mein Bruder!“, beeilte ich mich, ihn zu unterbrechen, denn allein das Sprechen strengte ihn schon deutlich sichtbar an. „Du selbst hast ihn mit meinem Taschenmesser getötet – der Kiowa-Häuptling hat somit seine gerechte Strafe erhalten!“, gab ich ihm weiter Auskunft. „Und Thomson...?“, fragte er weiter. „Wir konnten leider nicht verhindern, dass er während des Kampfes zwischen Motawateh und dir entfliehen konnte“, klärte ich den Apatschen weiter auf. „Und daher haben wir drei durch unsere fehlende Umsicht eine große Schuld, gerade dir gegenüber, auf uns geladen, denn diese Bestie hat dir schon so viel angetan – und es droht auch weiterhin große Gefahr durch ihn! Aber wir werden ihm irgendwann und irgendwo wieder begegnen, da bin ich mir sicher – und dann gnade ihm Gott!“ Wieder strich ich ihm sacht über die Stirn, bevor ich ihn leise fragte: „Mein Bruder – wie geht es dir? Kann ich irgendetwas für dich tun, um dir zumindest ein wenig Linderung zu verschaffen?“ Ein warmherziger Blick traf mich aus seinen wundervollen Sternenaugen, und mit sanfter Stimme, die meine Seele zu streicheln schien, antwortete er ganz leise und zwischendurch immer wieder stockend: „Mein Scharlih.....mein guter Scharlih! Du bist doch bei mir – mehr brauche ich gar nicht! Du bist für mich wie der helle, warme Strahl der Sonne, der durch die Wolken bricht, und ich … ich bin so dankbar dafür!“ Seine Worte rührten mich zutiefst, ergriffen senkte ich mein Haupt und legte meine Stirn an die seinige. Kurz darauf besah er sich seine Umgebung genauer und erkannte, dass wir das Lager der Kiowas mittlerweile verlassen haben mussten. Wieder traf mich sein fragender Blick, doch bevor er zu sprechen beginnen konnte, kam ich ihm schnell zuvor, um zu verhindern, dass er sich noch weiter anstrengte. „Wir sind vor etwas weniger als vier Stunden aufgebrochen, um uns deinem Vorschlag gemäß zur Festung Old Firehands zu begeben. Das ist jetzt wirklich der für uns sicherste Ort, an dem du dann auch in Ruhe genesen können wirst, weil wir dort vor eventuellen Verfolgern sicher sein werden. Und ich hoffe so sehr, dass du bis dorthin irgendwie durchhalten wirst, trotz des beschwerlichen Ritts!“ Meine Mimik musste wohl einiges an Ängsten offenbart haben, denn Winnetou hob nun seine rechte Hand und strich mir damit leicht über die Wange, bevor er leise antwortete: „Mein Bruder darf sich nicht so viel sorgen! Winnetou wird den Weg unbeschadet überstehen, und auch von allen anderen Verletzungen wird bald nichts mehr zu sehen sein. Scharlih, glaube mir: Winnetou wird seinen geliebten Bruder nicht verlassen, er liebt ihn zu sehr!“ Er schloss wieder die Augen, ergriff meine Hände und drückte sie, krallte sich dann aber mit einem Mal richtiggehend an ihnen fest, denn in diesem Augenblick wurde er erneut von einem heftigen Fieberkrampf durchgeschüttelt – es war ein Anblick zum Gotterbarmen! Natürlich, er hatte mir gerade nochmals versichert, dass ich keine Angst um sein Leben haben musste, und ich glaubte ihm das auch, hatte ich doch schon einmal erlebt, dass er mit genau der gleichen präzisen Vorhersage in einer ähnlich ausweglos erscheinenden Situation Recht behalten hatte, aber: Es war so unendlich schwer, ihm diesen strapaziösen Weg weiterhin zuzumuten, ihn so leiden zu sehen und nicht richtig helfen zu können; und doch mussten wir weiter, und zwar schnell, wollten wir nicht Gefahr laufen, von den Verfolgern eingeholt zu werden! Wenn das geschah, würde sich vor allem Winnetous Leid ins Unermessliche steigern, wie uns allen ein äußerst qualvoller Tod bevorstehen würde, und an eine erneute Flucht wäre dann überhaupt nicht mehr zu denken. Ich zog meinen Freund nochmals fest in meine Arme und wartete, bis der Krampf vorüber war. Emery, der sich während unseres Gespräches taktvoll etwas entfernt hatte, trat jetzt wieder an unsere Seite, räusperte sich und sprach mich dann leise an: „Charley – so leid es mir tut, aber wir müssen aufbrechen! Wir werden einen nochmaligen Überfall in dieser Situation nicht mehr abwehren können, und....“ „Ich weiß, mein Freund!“, unterbrach ich ihn seufzend. Winnetou warf mir einen fragenden Blick zu und begann, sich langsam aufzurichten, wobei ich ihn sofort unterstützte. „Ist Sam Hawkens etwas geschehen? Winnetou kann ihn nicht entdecken“, fragte er mich mit aufkommender Bestürzung in der Stimme. „Hab keine Sorge, mein Bruder!“, beruhigte ich ihn sofort. „Sam ist vorhin nach Farmington aufgebrochen, um deine Krieger und vor allem unseren Doktor über die Geschehnisse zu informieren und anschließend zur Festung zu führen. Du benötigst dringendst einen Arzt, und auf diesem Weg geht es am schnellsten!“. „So wollen wir hoffen, dass unser Bruder unbeschadet durchkommt“, murmelte Winnetou leise. Auch ich konnte mich einer gewissen Besorgnis nicht erwehren, doch wir hatten nun mal keine andere Wahl. Der Engländer hatte derweil die Pferde direkt an unsere Seite herangeführt, und ich machte Anstalten, meinen Freund hochzuheben, doch er wehrte mich sofort ab. Schnell versuchte ich ihm zu erklären, dass ich mit ihm zusammen auf seinem Iltschi weiter reiten wolle, um ihn während des Ritts halten und stützen zu können, aber Winnetou war jetzt nun einmal bei Bewusstsein und wollte daher auch partout selbstständig reiten. Emery und ich bemühten uns nach Kräften, ihn von diesem Vorhaben abzubringen – vergeblich! Er ließ sich noch nicht einmal hoch auf sein Pferd helfen, und ich fragte mich zum wiederholten Male, wo um alles in der Welt er nur die Kraft für solcherlei Anstrengungen hernahm? Und nun ging es weiter, fort, nur weiter fort von dem Unglücksort, so schnell und so weit wie möglich. Das Gelände war schwierig: Berg und Tal wechselten einander ab, es ging durch steiniges Terrain, zwischen großen Felsblöcken hindurch, und man musste sich teilweise seinen Weg durch diese Hindernisse erst suchen. Aufgrund des überwiegend felsigen Untergrundes mussten wir uns aber wenigstens nicht mehr um die Spurenvernichtung kümmern – auf den Felsen hinterließen die Hufe keine Abdrücke und es gab auch so gut wie kein Geröll oder auch nur kleine Steinchen, die von den Pferden hätten zertrampelt werden können, so dass eventuelle Verfolger auch hier keinerlei Anhaltspunkte vorfinden würden. Vorhin hatten wir den richtigen Weg nur grob einschätzen können, jetzt aber, wo Winnetou uns führen konnte, ging es auf der kürzesten und sichersten Strecke relativ schnell unserem Ziel entgegen, auch wenn es meist nur im Schritttempo voran ging, um meinen Freund so gut wie möglich zu schonen. Emery und ich hielten unsere Blicke sowieso die meiste Zeit auf den Apatschen gerichtet, denn unsere Sorge um ihn nahm von Stunde zu Stunde zu. Wir konnten es kaum glauben, dass er am späten Nachmittag immer noch aufrecht im Sattel saß, obwohl ihm deutlich anzusehen war, wie sehr er unter den Strapazen, dem Fieber und erst recht den schmerzhaften Verletzungen litt. Natürlich hatten wir zwischendurch, so oft es ging, Halt gemacht, vor allem an jedem Wasserlauf, um seine Wunden zu kühlen und ihn vor allen Dingen zum Trinken zu nötigen, doch ich war mir sicher: jeder andere an seiner Stelle wäre spätestens nach zwei Stunden bewusstlos vom Pferd gefallen. Winnetou aber hielt sich allein nur durch seine ungeheure Willenskraft im Sattel und rang uns dadurch unsere tiefste Bewunderung ab. Jetzt aber ging es schon auf den Abend zu, und ich hielt mich mittlerweile eng an seiner Seite, denn innerhalb der letzten Stunde war klar zu erkennen gewesen, dass die Gestalt meines Freundes mehr und mehr in sich zusammensackte. Da die Gegend mir hier jetzt auch immer bekannter vorkam und ich mir inzwischen relativ sicher war, auch ohne Winnetous Führung und ohne Umwege unser Ziel erreichen zu können, glitt ich kurzerhand vom Rücken meines Hatatitla herunter und schwang mich einen Moment später hinter meinen Blutsbruder wieder in den Sattel. Richtiggehend erschrocken zuckte er zusammen, denn sein Bewusstsein hatte sich schon leicht eingetrübt, so dass er nicht mehr viel um sich herum wahrgenommen hatte. Ohne ein weiteres Wort zog ich ihn fest an mich heran, ergriff Iltschis Zügel, obwohl ich sie eigentlich gar nicht brauchte, und übernahm dann die Führung. Mein Freund machte noch einen schwachen Versuch der Abwehr, musste aber erkennen, dass er kaum die Kraft besaß, sich überhaupt noch irgendwie im Sattel zu halten. Ich spürte, wie er sich mehr und mehr an mich lehnte und mit jeder weiteren Minute mehr die Kontrolle über seinen Körper verlor. Kurz vor Erreichen der Festung hatte er dann auch vollends das Bewusstsein verloren, und ich war heilfroh, dass wir unsere Zufluchtsstätte nun endlich vor Augen hatten. Es war fast nicht zu glauben: Wir hatten es tatsächlich geschafft! Winnetou lebte, wir waren jetzt in Sicherheit, und wenn alles gut lief, wurden wir auch nicht mehr verfolgt, entweder weil man unsere Spuren verloren hatte oder die Kiowas sich geweigert hatten, Thomson zu helfen, uns wieder in seine Hände zu bekommen. Ein paar Minuten später tauchte ein Reiter unmittelbar vor dem Bergmassiv auf, welches die Mauern der Festung in seinem Inneren bildete, und das so plötzlich, als hätte ihn der Berg mit einem Male ausgespuckt. Ich aber wusste, dass sich hinter dem undurchdringlich erscheinenden Vorhang aus Brombeer-Ranken und Efeu-Girlanden, vor der er sich befand, eine Art Tunnel erstreckte, der durch den Berg bis in den Talkessel führte, der die sogenannte „Festung“ bildete. Ich erkannte den Mann sofort, es war Bill Bulcher, einer der Pelzjäger, der zu Old Firehands Jägerschaft gehörte. Als er nahe genug war, dass auch er uns erkennen konnte, jubelte er laut auf vor Freude und machte, dass er an unsere Seite kam. „Mensch, welch eine Freude!“, rief er beinahe strahlend vor Glück. „Wenn Firehand und Surehand Euch zu sehen bekommen! Die beiden hatten schon nach kürzester Zeit größtes Heimweh nach Euch und den Mescaleros und....“ Mitten im Satz erstarrte er, denn jetzt erst hatte er realisiert, dass Winnetou ohnmächtig und schwer verletzt in meinen Armen hing. Vollkommen erschrocken holte Bill erst einmal tief Luft, um dann mit größter Bestürzung zu fragen: „Um Himmels Willen! Was ist denn nur geschehen? Seid Ihr unterwegs feindlichen Rothäuten begegnet? Oder was....“ „Bill, bitte, haltet kurz die Luft an!“, unterbrach ich ihn rasch. „Wie Ihr seht, braucht unser roter Freund hier dringendst Hilfe, alles andere wird sich sicher später klären, einverstanden?“ Er nickte, sein Blick drückte immer noch großen Schrecken aus, dann aber wendete er sein Pferd und bedeutete uns, ihm rasch zu folgen. Kurz darauf, im milden Schein des weichenden Abendlichtes, sahen wir endlich den friedlich daliegenden und wunderschönen Talkessel, die sogenannte Festung, vor uns liegen – noch am frühen Morgen hatten weder Emery noch ich damit gerechnet, dass wir es jemals bis hierhin schaffen könnten, und gerade um meines Winnetous Willen war ich ungemein froh, dass wir uns jetzt in Sicherheit befanden. Leider aber konnte ich unseren guten Freunden, Old Surehand und Old Firehand, die jetzt rasch herbei traten, um uns zu empfangen, den Schock nicht ersparen, den sie bei dem Anblick Winnetous erlitten. Old Surehand stand wie erstarrt, keiner Regung und keines Wortes fähig, Firehand jedoch griff sofort zu und hob meinen Freund mit einer einzigen Bewegung seiner starken Arme, aber doch außerordentlich behutsam, aus dem Sattel. Einen Augenblick lang besah er sich den Apatschen, schüttelte dann ungläubig den Kopf und trug ihn schließlich mit raschen Schritten hinüber zu den in die Bergwand gehauenen Höhlen, die teils als Lager für die Pelze, teils aber auch als Wohnräume für die Bewohner der Festung dienten. Surehand, der sich nun wieder auf seine Aufgaben besann, winkte einen weiteren Jäger herbei, der sich zusammen mit Bill um unsere Pferde kümmern sollte, während er uns bat, ihm zu folgen. Er selber rannte jetzt an Firehand vorbei in eine der Höhlen, um Winnetou rasch ein möglichst bequemes Lager zu bereiten, wie ich beim Eintreten in diesen Wohnraum erkennen konnte. Firehand bettete meinen Freund anschließend so vorsichtig wie möglich in die Felle, und dann begann ein Rennen und Laufen und eine Hektik, dass einem schwindelig zu werden drohte. Während Firehand meinen Freund behutsam entkleidete und die Verbände löste, besorgten andere frisches Wasser, teils warm, teils kalt, wieder andere rannten, um Verbandsmaterial herbeizuschaffen, und zu guter Letzt wurde auch nicht versäumt, Emery und mir soviel Speise und Trank anzubieten, wie zehn Mann nicht hätten verdrücken können. Eigentlich hätte ich auch einen enormen Hunger verspüren müssen, hatte ich doch seit weit mehr als vierundzwanzig Stunden nichts zu mir genommen, aber die große Sorge um meinen geliebten Freund ließ mich nur das Nötigste essen. Während Surehand und Firehand Winnetou versorgten und seine Wunden neu verbanden, saß ich an seinem Kopfende und hielt seine Hand. Er lag immer noch in tiefer Bewusstlosigkeit, und aufgrund seines außerordentlich schlechten Zustandes war abzusehen, dass sich dieser Umstand auch so schnell nicht ändern würde. Den beiden Westmännern hingegen war anzusehen, dass sie es gar nicht glauben konnten, was sie da vor sich sahen, als sich ihnen eine Verletzung nach der anderen offenbarte und sie erkennen mussten, dass man den Apatschen auf brutalste Weise gefoltert hatte. Kurz darauf, als sie ihre Arbeit beendet hatten, setzten sich die Gefährten mit grimmigen Mienen ebenfalls an Winnetous Seite und sahen uns an, darauf bedacht, sofort eine Erklärung für den fürchterlichen Zustand des Freundes zu bekommen. Also begannen der Engländer und ich abwechselnd zu erzählen, was seit unserer Trennung vor fast drei Wochen alles geschehen war, und das Entsetzen in ihren Blicken wurde von Minute zu Minute deutlicher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)