Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 21: Gold! ----------------- Mittlerweile hatten wir alles zusammengepackt und waren bereit für den Aufbruch. Wir hatten uns die Waffen der Kiowas genau angesehen und befestigten jetzt die besseren davon auf eines ihrer Pferde, welches uns als Packpferd dienen sollte. Keines der Gewehre war so gut, als dass wir es mit einem von unseren oder von den Butterfields ausgetauscht hätten, denn die Jünglinge waren ja erst vor kurzem von uns in Fort Summer mit hochwertigen Ausrüstungsgegenständen versehen worden, unter anderem natürlich auch mit vernünftigen Waffen. Bei den Pferden sah das schon anders aus. Da waren einige doch sehr gute Tiere dabei, welche wir gerne mit den teils schon altersschwachen Kleppern unsere Schützlinge getauscht hätten, aber die indianisch geschulten Pferde hätten nie und nimmer einen Weißen, und noch dazu solch unerfahrene Reiter, auf ihrem Rücken geduldet. Schweren Herzens beschlossen wir also, die Tiere ein paar Stunden lang mitzunehmen und dann an einer geeigneten Stelle freizulassen, wo wir nicht Gefahr liefen, dass die Kiowas sie fanden. Die Tiere würden sich sehr schnell an ihre neue Freiheit gewöhnt haben und sich vielleicht irgendwann sogar einer Herde Wildpferde anschließen. Dann ritten wir hinein in einen Tag, der für die Butterfields mehr als aufregend zu werden versprach. Dementsprechend nervös und zappelig benahmen sich die Jungspunde jetzt auch, und wieder bedurfte es so mancher Ermahnung unsererseits, um die ganze Bande einigermaßen ruhig zu halten. Natürlich versäumten wir es auch heute nicht, unsere Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten, aber mittlerweile hatte sich bei allen Westmännern und Apatschen doch die feste Annahme eingeschlichen, dass wir wohl alles Gefährliche hinter uns gelassen hatten. Ich könnte jetzt nicht behaupten, dass wir deswegen nachlässiger geworden wären, aber vielleicht fehlte dem ein oder anderen Blick die entscheidene Schärfe der letzten Tage, vielleicht ging der ein oder andere nicht konsequent genug bis in den letzten Winkel auf Suche nach möglichen Spuren. Winnetou und ich waren wachsam wie eh und je, aber selbst ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass auch ich das letzte Quentchen an Aufmerksamkeit ausgeschöpft hatte wie in den Tagen zuvor, obwohl das nagende Gefühl der Unruhe in mir nie ganz verschwand. Der ganze Tag verlief zum Glück völlig ereignislos. Einmal entfernten Winnetou und ich uns von der Gesellschaft und ritten nochmals hinter den von uns besiegten Kiowas her, um wirklich sicherzugehen, dass sie keine weiteren Untaten planten. Hier waren wir auch besonders aufmerksam, denn genauso wie wir gestern falsche Fährten gelegt hatten, genauso könnten die feindlichen Krieger ja jetzt auch verfahren sein. Wir fanden aber nicht den kleinsten Hinweis auf abweichende Spuren und folgten ihnen bis zum Lager der sechzig Kiowas, die wir gestern vor dem Überfall belauscht hatten, und sogar noch darüber hinaus. Diese großen Entfernungen zu überbrücken war uns aber auch nur dank unserer pfeilschnellen Hengste möglich, die es zudem noch sichtlich genossen, sich wieder einmal längere Zeit im ausdauernden Galopp bewegen und so ihre hervorragenden Fähigkeiten einmal mehr unter Beweis stellen zu können. Kurz nach der Mittagsrast ließen wir die Kiowa-Pferde frei und wenig später hatten wir dann auch schon den Fuß des Ship Rock erreicht. Ab jetzt kamen wir nur langsam und recht beschwerlich voran, denn hier ging es nun steil bergauf. Irgendwann hatten wir dann auch keine Möglichkeit mehr, den Weg weiter auf unseren Pferden zurückzulegen, also suchte Winnetou nach einem geeigneten und sicheren Platz für die Tiere, der auch rasch gefunden war. Ab hier ging es zu Fuß weiter. Die Kletterei in der heißen Nachmittagssonne wurde nun zunehmend anstrengender, aber weder die Indianer noch wir Westmänner ließen uns irgendetwas anmerken, selbst der Doktor kam für sein Alter – er war ja schon Anfang der Fünfzig – gut mit, ganz im Gegensatz zu unseren Schützlingen. Diese hechelten und stöhnten schon nach wenigen dutzend Höhenmetern zum Gotterbarmen, also zu einem Zeitpunkt, an dem wir anderen uns gerade erst einmal so richtig warmgelaufen hatten! Eine halbe Stunde hörten wir uns das nervenaufreibende Gequengel noch an, dann platzte Sam Hawkens der Kragen. „Bisher hatte ich ja geglaubt, Mesch'schurs, dass ich der Dienstälteste unter uns Gentlemen bin, wenn ich mich nicht irre! Wenn ich mir allerdings dieses altersschwache Gequake da hinter uns so anhöre, könnte man fast meinen, die Herrschaften, die sich da in unserem Schlepptau befinden, hätten mindestens das Dreifache meines Alters auf dem Buckel, hihihi! Dagegen fühle ich mich ja geradezu wie ein junger Hüpfer, wenn ich mich nicht irre!“ Wieder kicherte er in sich hinein, wurde aber jetzt vom Doktor unterbrochen, der ihm zu widersprechen wagte: „Augenblick einmal! Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das Amt des Dienstältesten innehabe! Immerhin bin ich schon zweiundfünfzig Jahre alt!“ Natürlich hatte unser guter Sam auch gleich eine Erwiderung auf den Lippen: „Na und? Soll mich das jetzt beeindrucken? Außerdem – woher wollt Ihr wissen, dass ich nicht noch mehr Lenze zähle als Ihr? Nur weil mein wundervolles Haupthaar“ - er lupfte jetzt natürlich sofort seine Perücke, wohl in der Hoffnung, Hendrick einen ordentlichen Schrecken mit seiner verunstalteten, blutroten Kopfhaut einjagen zu können - „noch so schön dicht und schwarz ist – oder braun? Braun-schwarz? Na, spielt ja keine Rolle, auf jeden Fall könnt Ihr aufgrund meines falschen Skalps nicht auf mein wahres biblisches Alter schließen, wenn ich mich nicht irre!“ Fast alle konnten sich jetzt ein Lächeln nicht mehr verkneifen, denn die Farbe dieses seltsamen Fetzens, den Sam da auf dem Kopf trug, war mittlerweile wirklich unmöglich zu bestimmen! Während dieses kurzen Geplänkels hatten die Butterfields, die sich einige Schritte unter uns befanden, unaufhörlich weiter gejammert und gestöhnt, so dass sie Sams Aufmerksamkeit damit nun vom Doktor weg auf sich lenkten, und das bekam ihnen gar nicht gut. „Jetzt ist aber endgültig Schluss da unten mit dem Weibergeheul, wenn ich mich nicht irre!", polterte er mit einem Mal los. "Seid Ihr Männer oder Waschweiber? Wenn Ihr weiterhin so laut heult, bekommen ja selbst die hiesigen Kojoten Angst! Spart Euch die Kraft Eurer Lungen lieber für das Atmen statt für das Schreien auf, dann läuft es sich nämlich leichter! Eines lasst Euch jetzt ein für allemal gesagt sein, meine Herrschaften: Wenn Ihr hier unten zurückbleibt und wir anderen kommen lange vor Euch ans Ziel, räumen wir Eure Bonanza alleine aus und Ihr könnt dann schön dumm aus Euren verweinten Äuglein schauen und Löcher in die Luft starren, wenn ich mich nicht irre!“ Kopfschüttelnd wandte er sich jetzt an mich: „Ist das denn zu glauben? Da denkt man, in meinem Alter hat man schon alles gesehen, selbst das größte Greenhorn des gesamten Westens“ - bei diesen Worten warf er mir einen bezeichnenden Blick zu - „ist einem schon ein paarmal über den Weg gelaufen und dann stellt sich heraus: Es hat sich irgendwie verzehnfacht! Und diesen zehn gelingt es tatsächlich, dieses größte Greenhorn sogar noch bei weitem zu übertreffen, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“ Ich lächelte stillschweigend vor mich hin, während unter uns wirklich so etwas wie Ruhe eingekehrt war. Zwar brummten und murrten die Butterfields, hörbar beleidigt, noch leise vor sich hin, aber die Sorge, Sam Hawkens könnte es vielleicht doch ernst meinen und ihnen das Gold tatsächlich vor der Nase wegschnappen, ließ die jungen Männer auf einmal alle Kräfte zusammennehmen und nun folgten sie uns schon fast flotten Schrittes. Der Weg wurde immer steiler und bald gerieten auch wir anderen ordentlich ins Schwitzen, zumindest was uns Weiße anbelangte. Den Apatschen allerdings konnte man die Anstrengung kaum ansehen, und mein unvergleichlicher Winnetou sah immer noch so aus, als befände er sich auf einem gemütlichen Spaziergang. Jetzt hätte ich es auch verstehen können, wenn sich unsere Schützlinge ausgiebig beschwert hätten, aber sie bissen tatsächlich die Zähne zusammen und kämpften sich mit aller Kraft weiter nach oben. Wahrscheinlich fehlte ihnen jetzt auch die Puste, um überhaupt noch einen Ton von sich geben zu können, denn das Keuchen, welches zu uns hinauf drang, wurde immer lauter. Nun bekam Winnetou offensichtlich doch etwas Mitleid mit unserer ungeübten Begleitung und rief ihnen laut zu: „Meine jungen Brüder werden sich nicht mehr lange quälen müssen. In wenigen Minuten erreichen wir den Ort, der auf der alten Karte verzeichnet ist!“ Mehrfaches erleichtertes Aufstöhnen erklang hinter uns, zu weiteren Äußerungen der Freude fehlte den Goldsuchern allerdings schlichtweg der Atem. Verschmitzt lächelnd raunte mein Freund mir zu: „Ob die jungen Bleichgesichter diesen Weg überhaupt alleine bewältigt hätten?“ „Das wage ich doch sehr zu bezweifeln!“, antwortete ich. „Ich bin sogar überzeugt davon, dass sie es bei weitem nicht bis hierher geschafft hätten – spätestens am Rio Grande wäre ihre Reise ohne uns zu Ende gewesen. Diesen großen Fluss hätten sie niemals ohne Verlust von Leib und Leben überwunden!“ Winnetou nickte zustimmend und meinte dann: „Winnetous Finding Hole liegt noch bedeutend höher als diese Bonanza hier, aber an einer anderen Seite des Berges. Um es zu erreichen, müssen wir den Weg wieder herunter, dann den Berg ein ganzes Stück umrunden und von dort aus auf einem noch steileren Pfad wieder hinauf. Ist mein Bruder wie ich der Meinung, dass wir den Butterfields diesen doch sehr anstrengenden Weg gar nicht erst zumuten sollten?“ „Winnetou hat vollkommen recht“, antwortete ich. „Ich denke eher, dass diese Jungspunde überhaupt nicht in der Lage wären, solch eine Tortour noch einmal durchzuhalten. Was schlägt mein Bruder vor?“ Ich war mir nämlich sicher, dass mein Freund sich schon längst einen Plan zurecht gelegt hatte, und mit dieser Vermutung lag ich dann auch richtig. „Winnetou glaubt, dass es für die Bleichgesichter sicherer wäre, wenn sie so schnell wie möglich mit ihrem Gold nach Farmington gebracht werden würden. Alleine aber dürfen wir sie dort nicht hinschicken, da wären sie in ihrer Unerfahrenheit sofort in größter Gefahr. Und da Winnetou auch gar nicht will, dass irgendjemand außer seinem Blutsbruder überhaupt in die Nähe seiner Bonanza kommt, möchte er, dass die Familie mit allen Apatschen sowie dem Doktor, Sam Hawkens und Emery zu ihrer Begleitung und ihrem Schutz den Weg in die Stadt antritt.“ „Das ist ein sehr guter Gedanke!“, stimmte ich ihm sofort zu, auch weil ich froh war, dass er mich weiterhin an seiner Seite behalten wollte, selbst wenn ich dadurch dem Goldversteck so nahe kam, wie er es sonst wahrscheinlich nicht zugelassen hätte. Winnetou tat das wohl auch nur, weil er um meine Sorgen um ihn wusste und er mich auf diese Art beruhigen wollte. Trotzdem würde ich das Versteck nicht zu sehen bekommen, denn das letzte Stück dorthin würde er natürlich alleine zurücklegen. So aber konnte ich ansonsten ständig in seiner Nähe bleiben und er würde auf dem Weg nach Farmington nicht allein auf sich gestellt sein. Sehr zufrieden mit unserem Plan teilte ich ihn jetzt den Gefährten mit. Die Butterfields sahen so aus, als würden sie gleich in einen lauten Freudenjubel ausbrechen wollen, wenn ihnen dazu nicht die Puste gefehlt hätte, aber dass sie äußerst froh darüber waren, nicht noch einmal einer solchen Kletterei ausgesetzt zu werden, war ihnen deutlich anzumerken. Die Apatschen nahmen die Weisung ihres Häuptlings natürlich ohne Widerrede zur Kenntnis, obwohl ich auch in einigen von ihren Gesichtern ein leises Bedauern zu erkennen glaubte - ich war mir ziemlich sicher, dass sie alle lieber weiterhin ihren Anführer begleitet hätten. Der Doktor war mit dem Plan einverstanden, denn auch er fand ihn sehr vernünftig, ganz im Gegensatz aber zu Emery und Sam. Dieser erklärte uns lautstark und ohne Rücksicht auf die Jünglinge hinter uns, die natürlich jedes Wort mitbekamen, dass er keine Lust habe, diese Heißsporne in einem gemütlichen Ritt, wie auf einem Wanderausflug mit einer Volksschulklasse, bis nach Farmington zu chauffieren, während Winnetou und ich uns alleine der vielleicht noch ein oder anderen Gefahr stellen mussten. „Tut mir leid, aber wir lassen euch ganz bestimmt nicht mutterseelenallein weiter reiten, wenn sich hier in der Nähe immer noch ein Haufen Kiowas herumtreibt oder sogar dieser dreckige Bandit namens Thomson euch vielleicht auf der Lauer liegt! Das könnte euch aber so passen!“ ereiferte sich nun auch Emery. Über diesen lautstarken Protest musste ich jetzt doch lachen und wechselte einen Blick mit Winnetou, bevor ich den beiden, immer noch grinsend, antwortete: „Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass es Thomson bis hierher geschafft hat, ohne dass wir oder vor allem die Kiowas ihn bemerkt hätten! Und die Rothäute haben auch keinerlei Möglichkeiten, jetzt schon unsere Verfolgung aufzunehmen, also macht euch da mal keine unnötigen Sorgen!“ Die Mienen der beiden zeigten mir aber deutlich, dass sie weiterhin auf ihrer Meinung beharren würden, wobei aber vielleicht nicht unbedingt die Sorge um uns den Ausschlag dazu gab, sondern eher die Unlust, sich weiterhin mit den Jungspunden abgeben zu müssen. Winnetous Mundwinkel zuckten mehrfach, und ich konnte ihm ansehen, dass auch er dieselben Gedanken hatte, vor allem, was die Butterfields betraf. Leise flüsterte er mir zu: „ Wir könnten unsere beiden „Beschützer“ vielleicht weit unten am Berg bei unseren Pferden lassen, während mein Bruder und ich anschließend alleine hoch zum Finding Hole klettern!“ Ich nickte ihm lächelnd zu und erfreute unsere Gefährten dann mit der Nachricht, dass wir natürlich nichts gegen ihre reizende Gesellschaft einzuwenden hätten und wir uns freuen würden, wenn sie uns weiterhin begleiteten, was sie dann auch zufrieden zur Kenntnis nahmen. Winnetous Orientierungssinn hatte wie immer Recht behalten: Zehn Minuten später waren wir am besagten, auf der Karte des alten Indianers eingezeichneten Ort angelangt. Der Berg bildete hier einen Sattel, fast schon ein kleines Hochplateau, bevor er sich mit seinem restlichen Gipfel dann wieder hoch über unseren Köpfen bis in den Himmel zu erstrecken schien. Unsere Schützlinge ließen sich, nachdem auch sie ihr heißersehntes Ziel wenige Minuten später heftig keuchend erreicht hatten, erst einmal völlig erschöpft zu Boden sinken, wo sie zu unserem Glück auch eine Zeit lang sogar still sitzen blieben und sich bemühten, irgendwie wieder zu Atem zu kommen. Ihnen fehlte sogar die Kraft, sich entgegen ihren Vorsätzen sofort auf die Suche nach ihrer Bonanza zu begeben, obwohl sie darauf den ganzen Tag lang hingefiebert hatten. Auf dem Leder war keine genauere Ortsbezeichnung angegeben, aber der untrügliche Sinn für die Natur und sein Gespür für erdgeschichtliche Vorgänge sagten meinem Freund auch so, wo er zu suchen hatte. Es dauerte auch nicht lange, und er begann an einem Felsvorsprung am Fuß des Gipfels zu graben. Jetzt wollten die Butterfields, die ihn bis dahin voller Ungeduld und mühsam gebändigter Aufregung zugesehen hatten, mit einem Mal Winnetou unterstützen, doch er schickte sie sofort mit einem strengen Befehl wieder weg – unsere Heißsporne hätten mit Sicherheit, trotz ihrer Erschöpfung, jede Menge Fels und Erde aufgewühlt und ein riesiges Durcheinander veranstaltet, aber gefunden hätten sie dabei bestimmt nichts. Gespannt beobachtete auch ich meinen Freund, wie er mal hier und mal da vorsichtig grub oder auch nur einfach den Fels betrachtete oder kurz betastete. Dann, nach für die verhinderten Goldsucher wohl endlos erscheinenden Minuten, rief er sie herbei und wies sie an, vorsichtig an einer bestimmten Stelle zu graben, aber nur so viel, wie er es erlaubte. Den Männern gelang es auch tatsächlich, sich zu beherrschen; sie gruben so zurückhaltend wie möglich. Ein wenig später ertönte von dem Apatschenhäuptling ein kurzer Befehl, woraufhin sie sofort innehielten, er selber entfernte an einer bestimmten Stelle nur noch ein wenig Geröll – und nun wurde die Ruhe des Berges abrupt durch lautstarke Jubelrufe, Freudengebrüll und einen unglaublichen Lärm gestört, der von den umliegenden Felsen widerhallte und die Luft förmlich erzittern ließ. Die Familienmitglieder lagen sich sofort in den Armen, weinten und lachten gleichzeitig, hauten sich gegenseitig auf die Schultern, führten Freudentänze auf, ließen sich dann wieder tränenüberströmt zu Boden sinken – kurz, sie benahmen sich wie eine Horde Elefanten oder wie kleine Kinder, die gerade erfahren hatten, dass Weihnachten und Ostern in diesem Jahr auf einen Tag fallen würden. Obwohl das Geschrei und dieses kindische Gebaren meinem Freund absolut fremd war und ihm gegen die Natur ging, ließ er die Jünglinge lange Zeit gewähren; er sah ihnen sogar leise lächelnd eine Weile zu, und auch wir freuten uns herzlich für unsere Schützlinge. Ich konnte nur hoffen, dass ihnen das Gold auch wirklich Glück bringen und dass die Familie sich nicht, wie in ungezählten anderen Fällen auch, im Streit um den Reichtum entzweien würde. Nach einiger Zeit wurde es dann doch langsam ruhiger um unsere Glückspilze, und das war auch gut so, denn wir mussten ja noch den Abstieg antreten, wollten wir nicht hier oben übernachten. Also halfen jetzt alle Anwesenden mit, das Gold aus dem Berg zu holen, und nachdem wir so viel herausgebrochen hatten, dass es für die Butterfields für den Rest ihres Lebens mehr als reichen würde und wie wir auch gerade noch tragen konnten, entschieden die jungen Männer vernünftigerweise, das immer noch reichlich vorhandene Gold in der Mine zu belassen, weil sie es höchstwahrscheinlich niemals brauchen würden. Nun wurde es wirklich Zeit für den Abstieg, denn die Sonne sank immer schneller. Die Jungspunde liefen auf einmal so dermaßen beschwingt den Berg herunter, dass es dieses Mal wir waren, die kaum nachkamen, und wir mussten unsere neuen Glückspilze mehr als einmal zur Ordnung rufen, aus Sorge, es könnte einer von ihnen vor lauter Übermut unvorsichtig werden und abstürzen. Zum Glück aber ging dann doch alles gut, und als wir am Fuß des Berges angelangt waren, führte uns mein Blutsbruder durch mehrere Felsspalten hindurch auf eine lauschige und sehr versteckt liegende Lichtung, auf der wir unser Nachtlager aufschlugen. Es war sehr gut, dass diese Lichtung so tief versteckt in den Felsen lag und von Feinden noch nicht einmal per Zufall gefunden werden konnte, denn unsere Schützlinge feierten ihren neuen Reichtum bis tief in die Nacht. Wir übten uns in Nachsicht und ließen sie gewähren, denn das war für die vom Schicksal vorher so geplagte Familie eine solch außergewöhnliche Situation, die sie in ihrem Leben mit Sicherheit nie wieder erleben würde, und diese überschäumende Freude musste jetzt einfach mal raus. Wir anderen befanden uns aber auch in sehr fröhlicher Stimmung, denn wir hatten unser Ziel erreicht und hatten dabei auch noch alle Gefahren überstanden, die sich uns entgegengestellt hatten, ohne dass es dabei Verwundete oder gar Tote gegeben hatte, wenn man mal von der Rückenverletzung meines Freundes absah. Dieser hatte sich aber offensichtlich gut davon erholt, worüber ich mich auch am heutigen Abend selbst hatte überzeugen können, als ich ihm wie jeden Morgen und jeden Abend die Salbe von Tsain-tonkee auf seinem Rücken aufgetragen hatte. Die Haut war zwar noch teils bläulich verfärbt, aber ich konnte seine Muskeln schon kräftig massieren, ohne dass er auch nur den geringsten Schmerz dabei verspürte. Außerdem würde es nun nicht mehr lange dauern, bis wir Farmington erreicht hatten, wo wir uns ein paar Tage von der doch recht anstrengenden Reise erholen wollten, und insgeheim waren wohl alle, Apatschen wie Westmänner, recht froh, wenn man mal für einige Zeit nicht auf die junge Familie aufpassen musste. Irgendwann nach Mitternacht wurde es dann auch bei den Goldsuchern endlich ruhiger. Sie alle waren nach der schweißtreibenden und kräftezehrenden Kletterei doch rechtschaffen müde und legten sich jetzt nach und nach zur Ruhe. Die Gefährten und wir hielten es ebenso – müßig zu erwähnen, dass unser Doktor mal wieder für ein abseits von den Freunden liegendes Plätzchen für Winnetous und meine Decken gesorgt hatte. Aber die Lichtung war dafür nun doch zu klein, als dass wir uns so weit von den anderen entfernt befanden, dass ich meinen Freund ungesehen hätte in meine Arme ziehen können. Er wünschte mir somit liebevoll eine gute Nacht, seine Hände drückten dabei die meinigen und seine Augensterne ruhten mit einer unvergleichlichen Wärme auf mir, hüllten meine Seele mit seiner wunderbaren Liebe zu mir wie mit einer warmen Decke ein, und erfüllten mich damit mit einem Glück, welches sich nicht beschreiben lässt. Lächelnd legte ich mich neben meinen Freund, beobachtete noch eine Weile den wunderschönen Sternenhimmel über uns, bevor ich dann irgendwann langsam in den Schlaf hinüber driftete. Trotz des bisher optimalen Ausgangs unseres Unternehmens schlief ich wider Erwarten nicht gut in dieser Nacht. Immer wieder schreckte ich hoch, weil mir im Halbschlaf regelrechte Dämonen erschienen, Dämonen der Vorahnung? Glasklar standen mir zwischendurch entsetzlich reale Bilder vor Augen, real deshalb, weil sie wirklich so geschehen waren: Winnetou, wie er mit vor Schmerz verzerrter Miene in sich zusammensackte, nachdem die Kugel Wayne Thomsons ihn getroffen hatte; Winnetou mit leichenblassem Gesicht und blau angelaufenen Lippen, ohne Atmung; Winnetou während seines Herzstillstandes, als Dr. Hendrick sich schweißgebadet um ihn bemühte. Und immer wieder kam ich in diesen Träumen zu spät, um ihn zu retten. Ich wollte an seine Seite eilen, ich wollte alles tun, um ihm zu helfen, für ihn da zu sein, wie ich es ihm unzählige Male versprochen hatte, aber es ging nicht, ich konnte mich einfach nicht vom Fleck rühren! Und dann erschien mir im Schlaf das Schlimmste, das Unvorstellbarste, das, worum ich jeden Tag inbrünstig betete, dass es niemals geschehen möge: Hendrick ließ von seinen kraftraubenden Bemühungen ab, sah mich mit unendlich traurigen Augen an, zuckte die Schultern und schüttelte wortlos den Kopf. Mein Blick fiel jetzt auf meinen geliebten Freund und ich erfasste sofort die schmerzhafte und qualvolle Wahrheit: Er war von mir gegangen. Fort. Unrettbar verloren. Nun weinte ich hemmungslos über diesen für mich so unfassbaren und unersetzlichen Verlust, schrie meinen Kummer regelrecht heraus. Die fürchterliche Verzweiflung, die ich in diesem Alptraum verspürte, war so echt, so grausam real, dass ich mich sogar jetzt noch nicht nur ganz genau an sie erinnern, sondern sie auch förmlich fühlen kann, so dass es mich dabei genau wie seinerzeit innerlich erschauern lässt. Diese Bilder wiederholten sich in meinen Träumen immer wieder, und jedes Mal sah ich alles noch schärfer, noch realer vor mir, und jedes Mal erschütterte mich das Sterben Winnetous aufs Neue, aufs Entsetzlichste. Irgendwann fuhr ich dann plötzlich schweißgebadet auf, mit tränennassem Gesicht, und konnte gerade noch verhindern, dass ich vor Verzweiflung und Schmerz laut aufschrie, so wie gerade eben geträumt, als mein Freund wieder gestorben war, diesmal in meinen Armen. Kerzengerade und zitternd saß ich jetzt auf meinem Lager, starrte in die Dunkelheit und versuchte krampfhaft, mich irgendwie wieder zurechtzufinden. Mein Herz raste, ich atmete heftig und auch nicht gerade leise, während ich mich weiterhin bemühte, Realität und Fiktion auseinanderzuhalten. Winnetou – tot? Das konnte, das durfte nicht sein, das konnte ich doch nur geträumt haben! Aber dieser grausame, quälende Schmerz, der jetzt mein Innerstes beherrschte, den ich sogar körperlich spürte – den bildete ich mir doch nicht ein? Dieses Gefühl des unrettbaren Verlustes, das Gefühl, das Wichtigste in meinem Leben für immer, unwiederbringlich, verloren zu haben, diese unerträgliche Leere in mir war so echt; ich wusste einfach, dass gerade ein Teil von mir gestorben war und nichts mehr so war, wie es sein sollte. Es fühlte sich an wie eine brennende, eiternde Wunde, die nie mehr aufhören würde zu bluten. Aber war das wirklich die Realität? Durch den Tränenschleier hindurch konnte ich den friedlichen Sternenhimmel sehen, die hohen Felsen, die den Platz umgaben, auf dem ich mich befand, und das ganze Szenario war jetzt irgendwie ein völlig anderes, wie ich es gerade eben noch vor mir gesehen hatte. Und nun kam auch langsam die Erinnerung an die vergangenen Tage, an den vergangenen Abend zurück, und eine leise Hoffnung brandete in mir auf. Ich schloss kurz die Augen und wollte dann zur Seite sehen, um mich zu vergewissern, dass ich das alles vielleicht wirklich nur geträumt hatte, getraute mich aber nicht recht; ich hatte richtiggehend Angst vor einem neuerlichen Schock. Und in diesem Augenblick spürte ich eine Hand auf meinem Arm, und die von mir so sehr geliebte Stimme meines Winnetou tönte sanft in meinen Ohren; für mich so schön und so heißersehnt wie Engelsgesang. Jetzt endlich drehte ich den Kopf und gewahrte meinen so unsagbar geliebten Blutsbruder vor mir, wunderbar lebendig, wunderbar gesund, und seine einzigartigen Augen ruhten fragend auf mir. In diesem Moment war es mir völlig egal, wo wir uns befanden, egal, ob die Kameraden schliefen oder wachten, egal, ob irgendjemand etwas bemerken könnte – ich riss meinen Geliebten abrupt, fast schon brutal in meine Arme, presste ihn an mich, fühlte seinen Atem, seinen Herzschlag, seine kostbare Lebendigkeit an meinem Körper und in diesem Augenblick glaubte ich, ihn niemals wieder loslassen zu können. Wieder stiegen mir die Tränen in die Augen, ich konnte sie gar nicht unterdrücken, ließ sie jetzt auch einfach die Wangen hinunterlaufen. Daraufhin löste sich mein Freund fast schon erschrocken von mir, wobei er einige Kraft aufwenden musste, denn ich hielt mich an ihm fest wie ein Ertrinkender. „Scharlih!“ rief er so leise wie möglich, aber seine Erschütterung war trotzdem deutlich herauszuhören. Er hielt mich mit seinen Händen an beiden Schultern fest, brachte dadurch etwas Abstand zwischen uns, sah mir bittend in die Augen und versuchte es erneut. „Scharlih – was ist mit dir? Was ist dir im Schlaf denn so Schlimmes begegnet?“ Trotz meiner Tränen musste ich jetzt sogar leise lächeln. Mein unvergleichlicher Winnetou hatte sofort erkannt, dass ich einen furchtbaren Alptraum erlebt haben musste. Ich wollte ihm auch eigentlich gleich davon erzählen, aber immer noch standen mir die entsetzlich realen Bilder vor Augen, immer noch hatte ich das Gefühl, dass meine Seele, mein Herz, wie von Rasiermessern zerfetzt, unendlich schmerzten, und ich konnte das Schreckliche noch gar nicht aussprechen. Aber Winnetous sanfte Stimme hatte eine solch treibende Kraft, lockte mich mit ihrem so liebevollen und zärtlichen Ton, mich ihm doch zu offenbaren, und schließlich tat ich es auch, leise, stockend, während der Tränenstrom einfach nicht versiegen wollte. Mein Freund hielt mich währenddessen in seinen Armen, drückte mich immer wieder an sich, strich mir mit seinem Handrücken mehrmals sanft über das Gesicht, um die Tränen zu trocknen, flüsterte mir zwischendurch beruhigende Worte zu, und als ich geendet hatte, versank er in tiefes Schweigen. Ich aber legte meinen Kopf auf seine Schulter, fühlte die Wärme seines Körpers, und diese Wärme begann sich jetzt wohlig in meinem Innersten auszubreiten. Selten war ich von einer solchen Dankbarkeit erfüllt gewesen wie jetzt in diesem Augenblick, als sich die Erkenntnis endgültig in mir Bahn brach, dass ich meinen Geliebten doch nicht verloren hatte und er mich mit seinem Körper und seiner Liebe eng umschlungen hielt. Gleichzeitig machte sich aber auch eine tiefe Erschöpfung in mir breit, gepaart mit einer kaum noch zu unterdrückenden Müdigkeit. Ich fühlte mich so wohl, so selig, so geborgen und vor allem so unendlich glücklich, und da ich bis dahin überhaupt keinen erholsamen Schlaf genossen hatte und der Tag, vor allem wegen der langen Kletterpartie, auch sehr anstrengend gewesen war, wäre ich in Winnetous Armen wahrscheinlich in kürzester Zeit eingeschlafen, doch nun begann mein Blutsbruder zu sprechen, und seine Worte vertrieben sofort jede Müdigkeit. „Schau einmal hoch zu den Sternen, Scharlih. Such dir einen von ihnen aus und sieh ihn dir lange und ganz genau an, ja?“ Ich folgte sofort seiner Aufforderung, gespannt, was genau er jetzt vorhatte. Nachdem ich eine Zeit lang einen der funkelnden Himmelskörper intensiv beobachtet hatte, bekam ich das Gefühl, dass dieser immer größer wurde, immer heller, irgendwie auch wärmer erschien, und schlussendlich hätte ich fast darauf wetten können, dass mir dieser Stern gerade eben sogar zugezwinkert hatte. Unwillkürlich musste ich wieder lächeln, und mein Freund bemerkte es sofort. „Hast du es gesehen?“, fragte er mich. „Glaubst du mir, mein Bruder, wenn ich dir sage, dass die Sterne lebendig sind? Dass die Seelen unserer Ahnen, die Seelen unserer geliebten Verstorbenen, die Seelen von allen Menschen, die wir lieben und die uns vorausgegangen sind, in ihnen wohnen und durch sie zu uns sprechen? Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass wir niemals wirklich alleine sind? Wann immer wir mal wieder voller Sorge, voller Angst, voller Hoffnungslosigkeit sind, dann brauchen wir uns nur den Sternen zuzuwenden und unsere Lieben werden uns trösten, uns wieder Hoffnung geben und uns von dem guten Manitou erzählen, der über alles wacht, der unsere Ahnen aufgenommen hat und in seinen Armen geborgen hält, so wie auch wir einmal von seiner Geborgenheit und seiner Liebe umfangen sein werden. Wir sind es sogar schon, wenn wir es denn nur glauben und auch zulassen!“ Er drückte mich etwas fester an sich und schwieg eine Weile. Ich selber war wirklich unglaublich beeindruckt. Aus den Worten meines Freundes war eine solche Sicherheit, eine solche Überzeugung herauszuhören, sie enthielten eine Weisheit und gleichzeitig eine Anziehungskraft, der man sich einfach nicht entziehen konnte. Und dann sprach er auch schon weiter: „Scharlih, mein lieber Bruder, glaube mir: Der letzte Gang eines Menschen, dieser letzte Gang zu den Sternen – er ist so leicht zu gehen, mein Freund!“ Sofort schrak ich hoch, starrte ihn fast schon entsetzt an. Was sprach er da nur? Was meinte er damit? Sollten seine Worte bedeuten, dass auch er Vorahnungen hatte? Vielleicht sogar Todesahnungen? Mir lief es jetzt eiskalt den Rücken herunter, ein Schauder nach dem anderen durchfuhr meinen Körper, und als mein Geliebter sich anschickte, fortzufahren, hätte ich ihm am liebsten das Wort verboten, aus Angst, etwas zu hören, was ich einfach nicht hören wollte. Aber schon sprach er weiter: „Winnetou weiß das so genau, weil er diesen Weg doch schon einmal gegangen ist, erinnerst du dich, mein Bruder?“ Oh ja, und wie ich mich erinnerte! Wie sollte ich auch jemals diese schrecklichen Minuten, Stunden, ja Tage vergessen, in denen mein Winnetou um sein Leben gekämpft hatte, diese Minuten, in denen unser Doktor sein Herz wieder zum Schlagen brachte, diese Stunden, in denen er die Kugel aus Winnetous Brust herausoperierte, die eigentlich mir gegolten hatte, und in denen der Arzt anschließend alles tat, was in seiner Macht stand, um meinem Freund das Leben zu erhalten? Als dieser dann nach zwei Tagen zum ersten Mal wieder erwacht war – hatte er da nicht ein fast schon überirdisches Leuchten im Gesicht gehabt? Ein Lächeln, welches aus einer anderen Welt zu kommen schien? Und wie hatte er da zu mir gesagt: „Scharlih – ich hatte die Wahl, weißt du? Die Wahl, zu leben oder für immer in den Händen des guten Manitou zu bleiben!“ Oder direkt nach dem Anschlag, als der Doktor ihn nach seinem Herzstillstand wieder zurück ins Leben geholt und mein Freund mir mit letzter Kraft zugeflüstert hatte: „Ich kann die Sterne singen hören, Scharlih … Ich habe den Himmel gesehen … Es gibt nichts Schöneres, weißt du ….“ Wieder erschauerte ich, als ich den Zusammenhang zu seinen vorherigen Worten erkannte. Mir war ja schon seit längerer Zeit bewusst, dass in meinem Freund seit dieser Zeit eine leise Wesensveränderung vorgegangen war. Wie oft hatte ich seitdem das Gefühl gehabt, dass sein Geist, seine Seele sich manchmal gar nicht bei ihm befand, wenn er mal wieder völlig in sich versunken schien? Das Gefühl, dass er in diesen Momenten innige Zwiesprache mit seinem Manitou hielt? Wie oft hatte ich mich über seinen feinsinnigen Humor gefreut, der seit dem Anschlag immer öfter zutage trat, ganz entgegen seiner sonstigen Zurückhaltung? Konnte es denn wirklich sein, dass er damals tatsächlich mit dem Jenseits in Kontakt getreten und seinem Manitou begegnet war? Ich jedenfalls war überzeugt davon, auch, dass er jetzt genau davon sprach. Und nun begann Winnetou weiter zu sinnieren: „Mein Bruder – ich bitte dich, glaube mir: Dort oben erwartet uns nichts als Frieden, Ruhe und absolute Vollkommenheit. Aller Hass, alles Böse ist dann fort, und nie mehr wieder wird uns die Angst oder die Hoffnungslosigkeit begegnen. Wenn Winnetou nun einst diesen Weg als erster gehen wird, und sein Bruder Scharlih ist gezwungen, dieses mit anzusehen, so darf er nicht traurig sein. Er möge sich dann immer sagen, dass sein Winnetou nun die vollendete Liebe und die vollkommene Geborgenheit in den Armen Manitous gefunden hat. Alles Elend, aller Schmerz, alles Leid aus Winnetous Leben wird vergessen sein, und der Apatsche wir dort sehnsüchtig auf seinen Blutsbruder warten. Zudem wird Winnetou einfach nur glücklich sein, wenn sein Scharlih zu diesem Zeitpunkt bei ihm ist und er in dessen Armen hinauf zu den Sternen gehen darf!“ Schon wieder liefen mir die Tränen mit aller Macht über das Gesicht; es war mir unmöglich, sie aufzuhalten. Seine Worte hatten so viel in mir aufgewühlt, aber ich hatte verstanden, was er mir sagen wollte. Er wusste genau, was ihn, was uns auf der anderen Seite erwartete, und hatte deshalb jede Angst vor dem Ungewissen verloren. Im Gegenteil, fast schon hatte ich das Gefühl, dass er sogar glücklich darüber sein würde, wenn es soweit war, denn er war sich vollkommen sicher, dass dann alles Leid, welches er bis jetzt schon durchlebt hatte und noch weiterhin durchleben würde, ein Ende hatte. Mir wurde bewusst, dass Winnetou wollte, dass ich dann nicht um ihn trauern, sondern mich für ihn freuen sollte, und ich konnte mir im Augenblick sogar vorstellen, dass mir das vielleicht wirklich gelingen könnte, wenn es nicht gleichzeitig bedeuten würde, für den Rest meines Lebens von ihm getrennt zu sein. Wie sollte ich das denn nur ertragen können? Oder war das einfach zu egoistisch gedacht? Ich wusste es nicht, ich wünschte mir nur, dass dieser Tag hoffentlich in noch weiter Ferne liegen würde. Dass es ja vielleicht auch mich als ersten von uns beiden treffen könnte – an diesen Gedanken verschwendete ich seltsamerweise keine einzige Sekunde. Mir war nur eines klar: Bis zu dem Tag der Trennung, der ja irgendwie doch unausweichlich war, würde ich jede Minute, die ich mit meinem geliebten Blutsbruder verbringen durfte, mit allen Sinnen genießen! Eines aber lag mir noch auf dem Herzen, und das sprach ich jetzt auch laut aus: „Ich verstehe dich ja, mein Bruder, ich verstehe dich wirklich!“ Mit diesen Worten richtete ich mich wieder auf und sah ihn entschlossen an, während er nochmals auf seine so wunderbar sanfte Weise mein Gesicht von den Tränen befreite. „Aber dennoch habe ich eine große Bitte an dich, Winnetou: Gib nicht leichtfertig dein Leben hin, auch wenn dir der Weg so einfach erscheint, ja? Ich liebe dich doch, ich liebe dich so sehr!“ Trotz der Dunkelheit sah ich, wie sich sein unvergleichliches und wunderschönes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. „Aber Scharlih“, begann er, in einem Ton, als hätte ich etwas absolut Dummes gesagt. „Winnetou wird dich niemals freiwillig verlassen! Du bist doch der Grund, warum ich überhaupt lebe, du allein bist der Sinn meines ganzen Daseins!“ Ich war sprachlos über diese Worte, die eine einzigartige Liebeserklärung an mich darstellten, und deshalb zog ich ihn auch einfach nur wieder in meine Arme, so fest ich konnte. Er erwiderte die Umarmung, und so saßen wir noch eine lange Zeit eng umschlungen zusammen, bis ich irgendwann spürte, dass mir die Augen zufielen. Ich bekam nicht mehr mit, dass mein Freund sich wieder hinlegte und mich dabei in seine Arme bettete. Ich spürte auch nicht, wie er, etwas später in der Nacht, mich wieder vorsichtig aus seinen Armen entließ und seine Wache antrat, und ich wurde auch nicht wach, als er nun auch noch meine Nachtwache mit übernahm, um meinen Schlaf nicht zu stören. Als ich am nächsten Morgen erwachte, allerdings um einiges später als gewöhnlich, fühlte ich mich so frisch und ausgeruht wie schon lange nicht mehr. Hinzu kam, dass ich ein solches Glück und eine solche Zufriedenheit in mir spürte, dass es mich selber verwunderte. Ich horchte in mich hinein, ob sich meine seltsame Unruhe der vergangenen Tage vielleicht jetzt verflüchtigt hatte, aber im Augenblick war da nichts anderes als eine fröhliche Leichtigkeit vorhanden, und darüber war ich auch wirklich nicht unglücklich. Winnetou war natürlich schon längst aufgestanden, hatte auch schon gegessen und bereitete gerade mein Frühstück vor. Erst jetzt registrierte ich, dass er mich nicht für die nächtliche Wache geweckt hatte. Ich stand schnell auf, und als ich mich zu ihm setzte, begrüßte mich mein Freund mich einem innigen Lächeln und ergriff meine Hand. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ihm meinen Unmut wegen seiner doppelten Wache kundzutun, doch er ahnte wieder einmal voraus, was ich sagen wollte und kam mir gleich zuvor. „Mein Bruder hatte seinen Schlaf heute Nacht viel nötiger gehabt als Winnetou. Er mag jetzt also nicht mehr davon sprechen!“ Ich nickte ergeben, innerlich wohl leise schmunzelnd, hatte es doch am gestrigen Morgen genau die gleiche Situation gegeben, da allerdings mit umgekehrten Rollen. Nach dem Frühstück war dann auch sehr schnell die Zeit des vorläufigen Abschieds von dem Großteil unserer Gefährten gekommen. Eigentlich waren wir davon ausgegangen, dass alle mit unserem Plan einverstanden waren, doch jetzt wurden wir von den Butterfields überrascht, die sich offenbar doch nur ungern von uns trennen wollten und sich deshalb am gestrigen Abend einen Weg überlegt hatten, wie sie uns, vor allem Winnetou, von unserem Alleingang vielleicht abbringen könnten. Schon seit einigen Minuten war mir aufgefallen, dass der Älteste von ihnen, Elias Peterson, Winnetou und mich die ganze Zeit über beobachtete. Ich überlegte gerade, ob ich ihn darauf ansprechen sollte, aber da hatte er sich wohl endlich ein Herz gefasst und kam zu uns herüber. Etwas unsicher sah er von einem zum anderen, warf auch einen Blick auf Emery und Sam, die sich ebenfalls bei uns befanden, und wandte sich dann letztendlich an den Apatschen. „Verzeiht mir, Häuptling Winnetou, wenn ich Euch jetzt störe, aber meine Familie und ich haben eine Bitte oder vielmehr einen Wunsch an Euch...“ Jetzt geriet er doch ins Stocken, denn mein Freund bedachte ihn mit einem seiner unergründlichen Blicke, wobei er äußerlich immer so ernst und unnahbar aussah, ich aber genau wusste, dass er sich insgeheim sehr wohl amüsierte. Ich musste jetzt innerlich auch über das betreten wirkende Gesicht des Jünglings schmunzeln, und Emery sowie Sam sahen ebenfalls so aus, als ob sie sich ein Lachen verbeißen müssten. Schüchtern fuhr der junge Mann nun fort: „Ja – ähm – ich wollte sagen....Häuptling Winnetou, wir haben uns überlegt....Wisst Ihr, wir haben gestern nun wirklich so viel Gold aus der Bonanza herausgeholt, dass wir es im Leben wahrscheinlich nicht werden ausgeben können, und das alles haben wir nur Euch zu verdanken. Es ist also doch gar nicht nötig, dass Ihr uns heute verlasst, um Euer eigenes Gold zu holen, denn wir haben ja hier so viel, und wir würden Euch gerne einen großen Teil davon schenken, zum Zeichen unserer Dankbarkeit! Ihr bräuchtet Euch also gar nicht von uns zu trennen und Euch dadurch unnütz in Gefahr zu begeben!“ Das hatte ich jetzt nicht erwartet. Bis dato hatte ich unsere Schützlinge zwar als brave und ehrliche Männer kennengelernt, aufgrund ihrer Jugend zwar noch sehr unerfahren und ungestüm, aber trotzdem mit dem Herz auf dem rechten Fleck und ohne Falsch. Allerdings war ich bisher davon überzeugt gewesen, dass sie die Welt doch etwas oberflächlich betrachteten, aber jetzt wurde ich eines Besseren belehrt. Nicht nur, dass sie sich durch ihr Angebot als sehr großzügig erwiesen, nein, sie schienen auch durchaus besorgt um Winnetou zu sein und wollten ihm eventuelle Unannehmlichkeiten ersparen. Ein Blick in das Gesicht meines Freundes und ich wusste, dass ihn genau die gleichen Gedanken und Empfindungen beherrschten. Seine Mimik veränderte sich, wurde nun sehr weich, und er lächelte Peterson jetzt so herzlich an, dass dieser den Apatschen unwillkürlich regelrecht anstrahlte. Mein Freund ergriff nun das Wort: „Winnetou dankt den jungen Bleichgesichtern sehr herzlich für ihr großzügiges Angebot. Sie beweisen ihm damit, dass er recht gehandelt hatte, die Familie zu ihrer Bonanza zu führen, da sie sich das Gold wirklich verdient haben. Aber Winnetou wird niemals Gold oder Geld als Geschenk annehmen. Wenn seine jungen Freunde ihm einen Wunsch erfüllen möchten, dann diesen: Lasst niemals zu, dass das Gold Euch verdirbt oder Eure Familie entzweit! Lasst niemals Missgunst, Hass oder Habgier in Eure Herzen Einzug halten! Und wenn Ihr glaubt, dass Ihr soviel Geld nicht benötigt, dann gebt das, was Ihr entbehren könnt, den Menschen, die unschuldig in Not geraten sind. Das ist der größte Wunsch, den Winnetou an Euch hat. Werdet Ihr seine Bitte erfüllen?“ „Von...von Herzen gern!“, stammelte Elias Peterson, sichtlich bewegt. „Wir versprechen Euch, Häuptling Winnetou, wir werden ganz in Eurem Sinne handeln, wann immer es nötig und möglich ist!“ Der Apatsche nickte zufrieden. „Winnetou dankt Euch für dieses Versprechen. Und nun lasst uns Abschied nehmen. Es ist nur für kurze Zeit, schon bald werden wir uns ja in Farmington wiedersehen, also seid unbesorgt!“ Somit verabschiedeten wir uns voneinander, und dann ritten die Apatschen samt Walter Hendrick und den Butterfields auf geradem Weg nach Farmington, während wir anderen den Ship Rock nun halb umrundeten. Aus diesem Grund würden wir auch später auf einem anderen Weg in die Stadt reiten. Kurz darauf ritten wir auf einem steilen Pfad auch schon wieder bergauf. An der Stelle, ab der es jetzt nur noch zu Fuß weiterging, blieben Sam und Emery bei den Pferden, während mein Freund und ich wieder einmal eine sehr anstrengende Kletterpartie absolvierten. An einem schattigen Plätzchen unter mehreren Kiefern direkt an der Baumgrenze ließ Winnetou mich dann zurück, um das letzte Stück alleine zu gehen. Es wurde von uns wegen dieser Tatsache keinerlei Aufhebens gemacht, denn für mich war es ganz natürlich, dass ich niemals Kenntnis von seinen Goldgruben bekommen würde, ich wollte es auch gar nicht. Ich wusste, er tat es, um mich zu schützen, und damit bewies er einmal mehr seine tiefe Liebe zu mir. Zwei Stunden musste ich warten, dann kam er wieder, bepackt mit zwei Ledersäckchen, die etwa so groß waren wie meine Hand samt Handgelenk, und die sich verdächtig nach allen Seiten ausbeulten. Ich nahm ihm eines ab und wunderte mich einmal mehr, wie schwer dieses Edelmetall doch war. Am frühen Nachmittag hatten wir unsere Freunde wieder erreicht und machten uns an die letzten zweihundert Höhenmeter, die wir jetzt mit den Pferden bewältigen konnten. Es war interessant zu sehen, wie Sam und Emery auf das viele Gold reagierten: nämlich gar nicht. Sam machte sich überhaupt nichts aus dem Edelmetall; er sagte immer, das sei ihm viel zu schwer, um es mit sich rumzuschleppen, und aller Pomp und Tand dieser Erde sei sowieso „so unnütz wie ein Furunkel auf meinem Riesenzinken“, wie er sich immer auszudrücken pflegte. Auch der Engländer verschwendete keinen einzigen Blick auf die gut gefüllten Ledersäckchen, denn er war selber so reich, dass er sein Geld in diesem Leben sowieso nicht mehr ausgeben konnte. An diesem Tag herrschte eine große Hitze, die uns die Kletterpartie zusätzlich erschwert hatte. Auch jetzt noch, am späten Nachmittag, brannte die Sonne heiß auf Mensch und Tier, so dass wir früher als geplant ein Nachtlager suchten, welches auch schnell an einem Nebenarm des San Juan River gefunden war. Wir nahmen ein ausgiebiges Bad in dem kleinen Fluss, verzehrten dann genüsslich das Büffelfleisch, von dem wir noch genug Vorrat hatten, und schon begann die Sonne zu sinken. Emery und Sam sammelten noch etwas Holz, ich schürte jetzt das Feuer und bereitete unser Nachtlager vor, während Winnetou die Pferde versorgte. Er wollte auch die erste Nachtwache übernehmen und wünschte mir darum jetzt schon eine gute Nacht, wobei er wie immer meine Hände ergriff und mir einen liebevollen Blick mit seinen einzigartigen Augensternen zuwarf. Ich hätte ihn ihnen versinken können, und wie gern hätte ich meinen geliebten Freund an meine Brust gezogen, wenn die Gefährten nicht in der Nähe gewesen wären! So aber musste ich mich mit einem innigen Händedruck begnügen. Als er in der Dunkelheit verschwand, sah ich ihm noch lange nach, ohne natürlich irgendetwas zu erkennen, und ich hätte mir niemals vorstellen können, dass diese Nacht auf eine so schreckliche Art und Weise enden würde! Wir anderen legten uns kurz darauf aufs Ohr, denn wir waren durch die Hitze des Tages und vor allem ich durch die anstrengende Kletterei rechtschaffen müde. Vielleicht war es auch der Tatsache geschuldet, dass ohne die Butterfields eine richtig ungewohnte, aber wunderbare Stille herrschte, so dass wir alle sehr schnell einschliefen. Ich erwachte, weil ich plötzlich einen fürchterlichen Druck auf der Brust verspürte. Zuerst glaubte ich wieder an einen Traum, denn es saß mir wie ein Alp auf der Brust, jetzt auch auf der Kehle und schnürte mir fast die Luft ab. Plötzlich war die Luft erfüllt von durchdringendem Kriegsgeschrei, und noch bevor ich richtig erfassen konnte, dass wir gerade überfallen wurden, verspürte ich auf einmal einen fürchterlichen Schmerz an der Schläfe, mein Schädel schien zu explodieren, und dann wusste ich auch nichts mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)