Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 16: von Bären und Büffeln (sieben Tage zuvor) ----------------------------------------------------- Sieben Tage zuvor: Winnetou, Emery und ich saßen zusammen mit dem Doktor sowie Tsain-Tonkee am indianisch geschürten Feuer, als ein grauenvolles Brüllen und Fauchen die Stille zerriss, gefolgt von mehreren, in höchster Todesangst ausgestoßene Schreie. Sofort waren wir auf den Beinen, schnappten uns die Gewehre, Walter Hendrick natürlich ausgenommen, und bedeuteten den übrigen Butterfields, ruhig am Feuer sitzen zu bleiben, um auf uns zu warten. Vier Apatschen ließen wir zu ihrem Schutz zurück, wir anderen aber hasteten überstürzt in die Richtung, aus der die fürchterlichen Geräusche zu hören gewesen waren. Natürlich war uns allen sofort bewusst, was uns am Ende erwarten würde; deutlicher konnte sich ein Grizzly ja gar nicht zu erkennen geben! Während wir mit Riesenschritten durch das dichte Gebüsch hetzten, dröhnte erneut das typische heisere und wahrlich nervenzerfetzende Brüllen des Grauen Bären durch den Wald, und wieder war daraufhin das angstvolle Kreischen menschlicher Wesen zu hören. So schnell wie jetzt waren wir selten gelaufen, denn uns graute vor der schauderhaften Vorstellung, zu spät zu kommen! Wenige Augenblicke später hatten wir dann auch den Ort des Schreckens erreicht, und zum Glück schien mittlerweile der Mond so hell, dass man auch Einzelheiten erkennen konnte. Aber dadurch bot sich uns jetzt auch eine grässliche Szenerie, welche uns wahrhaftig das Blut in den Adern gefrieren ließ! Selten habe ich ein solch riesiges Tier gesehen wie jetzt diesen Grizzly, der sich, auf beiden Hinterbeinen stehend, unmittelbar vor Morton und George Butterfield hoch aufgerichtet hatte und die zwei vor Schreck völlig erstarrten Männer bedrohte, wobei er sie noch um einiges überragte. Ich erkannte, dass Morton bereits aus einer Fleischwunde am Arm heftig blutete; der Bär hatte ihn mit seinen riesigen Pranken also schon erwischt. Wie wir später erfuhren, hatten unsere beiden verhinderten Bärenjäger das Tier erst als einen Grizzly erkannt, als sie ihm schon viel zu nahe gekommen waren. Seine Höhle, vor der er geschlafen hatte, lag etwas erhöht in der mehrere Meter ansteigenden Felswand. Von unten hatten unsere Schützlinge den Koloss im Halbdunkel nicht richtig erkennen können; sie hatten ihn wahrscheinlich für einen großen Stein gehalten. Der Bär hingegen hatte mit dem Rücken zu ihnen gelegen und war so lange liegen geblieben, bis sich die beiden Männer dicht genug hinter ihm befanden. Sofort hatte er sich daraufhin mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, die man einem solchen Riesen gar nicht zutrauen mochte, umgedreht und aufgerichtet, so dass für Morton überhaupt keine Möglichkeit mehr zu einem Rückzug gegeben war, woraufhin ihm das Tier schon innerhalb dieser ersten Bewegung den Arm aufgeschlitzt hatte. Es war jetzt deutlich zu sehen, dass nur noch Sekunden vergehen würden, bis der Koloss, der auch durch die vorhergehenden Angstschreie der Jünglinge aufs Äußerste gereizt schien, zum endgültigen Angriff übergehen würde. Winnetou und ich waren am schnellsten bei dem Grauen. Wir mussten uns gar nicht erst absprechen, sondern handelten sofort als eine Einheit, denn unsere Entscheidung über unser Vorgehen hatte in dem Moment festgestanden, als wir die Situation überblicken konnten. Unsere Gewehre konnten wir hier nicht gebrauchen - wir hätten das Tier nur von vorne mit einem gezielten Schuss in die Augen oder mitten ins Herz zur Strecke bringen können, und dieser musste sofort tödlich sein, sonst wäre das Leben der beiden Butterfields im gleichen Moment verwirkt gewesen. So ein Schuss war aber nicht möglich, da die beiden genau in unserem Schussfeld standen. Winnetou und ich brauchten dennoch nur einen Blick miteinander zu wechseln, da wusste der eine schon, was der andere dachte, und so geschah es dann auch. Wir hatten so oder so ähnlich schon oft gehandelt, wenn wir den Grauen Bären gejagt hatten. Eigentlich stellte sich jetzt nur noch die Frage, wer von uns beiden sich in die unmittelbare Gefahr begeben sollte, doch ich kam nicht mehr dazu, diese zu stellen, denn schon sprang Winnetou mit einem lauten Schrei in die Lücke zwischen dem Bären und den beiden völlig verängstigten Männern. Er wedelte mehrmals mit den Armen, um sicherzugehen, dass die gesamte Aufmerksamkeit des Grizzlys jetzt ihm galt und nicht mehr den Butterfields - und dann, als der Bär sich mit einem erneuten ohrenbetäubenden Brüllen blitzschnell in seine Richtung bewegte, sprang mein Freund ebenso schnell wieder zurück. Ich hatte mich im gleichen Moment von der Seite so nahe wie möglich an das Tier herangewagt, und als der Koloss sich vor Winnetou, der erneut stehengeblieben war, wieder hoch aufrichtete, war meine Zeit gekommen. Mein Messer hatte ich schon längst griffbereit gehalten und stieß es nun so schnell wie möglich zwei Mal hintereinander dem Bären zwischen die beiden wohlbekannten Rippen. Es bedurfte einer unglaublichen Kraftanstrengung, den Stahl überhaupt durch den schweren Herzbeutel zu stoßen, und beinahe noch schwieriger war es, ihn wieder herauszuziehen. Rasch zog ich mich nun zurück, und auch Winnetou hielt ausreichend Abstand. Gespannt beobachteten wir jetzt den grauen Riesen. Dieser wankte bedrohlich, drehte sich dann aber urplötzlich in meine Richtung und schickte sich an, nun auf mich loszugehen. Sofort war der Häuptling der Apatschen an seiner Seite, um dem Bären zwei weitere Male – nun aber sein Messer - tief in das Herz zu stoßen. Blitzschnell sprang mein Freund wieder zurück, und nun warteten wir beide ab, ob der Koloss nochmal zu einem weiteren Angriff fähig sein würde. Aber alle vier Messerstiche hatten ihr Ziel wohl sehr gut getroffen. Der Grizzly stieß ein letztes Mal ein fürchterliches Brüllen aus, kurz darauf ging ein Zittern durch seinen Körper; er fiel um wie ein gefällter Baum und regte sich nicht mehr. Einen Augenblick herrschte Totenstille, dann aber brachen sämtliche Anwesende in einen ohrenbetäubenden Jubel aus, mit Ausnahme der beiden Butterfields, die leichenblass auf dem Boden hockten und zu keiner Regung, geschweige denn zu irgendwelchen Worten fähig waren. In dem Moment, als der Graue Riese sich Winnetou zugewandt hatte, war Emery herbei gesprungen und hatte die beiden Greenhorns in höchster Eile aus der Gefahrenzone gebracht. Er saß jetzt bei den unglücklichen Helden und versuchte zu verhindern, dass den beiden durch den erlittenen Schock noch nachträglich die Sinne schwanden. Ich holte erst einmal tief Atem und sah meinen Blutsbruder an. In dessen Gesicht zuckte kein Muskel, mit keiner Regung verriet er seine Gedanken oder ließ sich anmerken, dass wir gerade einen äußerst gefährlichen Nahkampf mit einem ausgewachsenen, nein, sogar riesigen Grizzly-Bären absolviert hatten, was bei den meisten Menschen wohl den unweigerlichen Tod zur Folge gehabt hätte. Er atmete sogar so langsam und ruhig, als ob er gerade aus dem tiefsten Schlaf erwacht wäre. Ich aber konnte anhand seiner minimal zusammengezogenen Augenbrauen erkennen, wie sehr es in ihm brodelte. Greenhorns durch eine ihnen unbekannte Wildnis zu geleiten, war schon oft unsere Aufgabe gewesen und es war ganz natürlich, dass so ein Vorhaben ein gewisses Maß an Problemen mit sich brachte. Aber solch einen ausgemachten Leichtsinn, wie ihn heute Abend diese beiden jungen Männer an den Tag gelegt hatten, war mit Sicherheit Grund genug, in einen anständigen Wutausbruch zu verfallen! Auch ich kochte vor Zorn, und den behielt ich verständlicherweise nicht lange für mich. Mit wenigen Schritten näherte ich mich den völlig verschreckten Greenhorns, baute mich vor ihnen auf und herrschte sie wutentbrannt an: „Seid Ihr eigentlich noch zu retten? Was fällt Euch ein, Euch einfach auf eigene Faust so weit vom Lager zu entfernen und damit auch uns alle dermaßen in Gefahr zu bringen? Und nicht nur das, mit dem Lärm, den Ihr dadurch veranstaltet habt, könntet Ihr jede Menge Feinde angelockt haben, ist Euch das eigentlich klar? Wie kann man nur so dumm sein?“ Die Gescholtenen sanken daraufhin so weit in sich zusammen, wie es noch irgendwie ging und hielten ihre Köpfe noch tiefer, obwohl sie jetzt schon fast den Boden berührten. Ich aber war noch lange nicht fertig, sondern hielt ihnen nun eine so gewaltige Standpauke, wie sie sie in ihrem Leben wohl noch nicht zu hören bekommen hatten. Das hätte ich wahrscheinlich noch eine kleine Ewigkeit so weitergeführt, wenn mir Emery nicht die Hand auf die Schulter gelegt und mich sanft von den verhinderten Helden weggeführt hätte. „Lass sie, Charley!“, versuchte er mich zu besänftigen. „Die sind im Moment doch gar nicht mehr aufnahmefähig! Außerdem bin ich der Meinung, dass die Todesangst, die die Herrschaften ausgestanden haben, eigentlich schon Strafe genug ist, glaubst du nicht auch?“ Er sah mich fragend an. Mein Zorn war aber noch lange nicht verraucht, und so zürnte ich weiter: „Sie haben nicht nur sich, sondern uns alle mit dieser unendlich dummen Aktion in Gefahr gebracht! Was, wenn sie vor dem Bären ausgerissen und das Tier dadurch in unser Lager gelockt hätten? Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Winnetou von dem Tier hätte verletzt oder sogar getötet werden können!“ „Ach, und du nicht?“, lächelte Emery mich jetzt an. „Und außerdem: Winnetou und sich von einem Grizzly besiegen lassen – das glaubst du doch nicht wirklich im Ernst, oder?“ „Er ist ebenso wie ich nicht unverwundbar, das weißt du genau! Da genügt ein winziger Augenblick der Unaufmerksamkeit, ein einziger Fehltritt oder eine erneute Störung durch diese Unglücksraben da drüben, und auch Winnetou hätte ein Opfer des Grizzlys werden können!“, beharrte ich weiter auf meinem Standpunkt, wenn auch zugegebenermaßen etwas störrisch. Ich dachte nämlich in diesem Moment wieder an meine unerklärliche Unruhe, was meinen Blutsbruder anbelangte, und daher war es mir ein Gräuel, zusehen zu müssen, wie die Butterfields in ihrer übergroßen Dummheit meinen Freund durch solch irrsinnige Handlungen immer wieder in Gefahr brachten! Dass mir die Tatsache, Thomson und seinen Kumpan vielleicht irgendwo hinter und feindliche Kiowas zusätzlich vor uns zu wissen, fast noch größere Kopfschmerzen bereitete, davon wollte ich gar nicht erst reden. Emery betrachtete mich jetzt daher auch mit etwas verwunderten Blicken, war er doch solch heftige Gefühlsausbrüche meinerseits überhaupt nicht gewöhnt. Mir tat es zwar leid, ihm gegenüber so unwirsch reagiert zu haben, aber der Zorn hielt mich weiterhin fest in seinem Bann umklammert und ich wollte ihm jetzt einfach noch mehr Luft verschaffen! Ich öffnete also schon wieder den Mund, um Emery nochmals den Leichtsinn der Jünglinge vor Augen zu führen. Dabei wollte ich ihm auch mit aller Deutlichkeit die Gefahr nahebringen, in der Winnetou sich dank dieses Leichtsinns befunden hatte, um sein Verständnis für meine Wut zu erwecken, als mein Blick zufällig auf Winnetou traf. Dieser hatte sich erst einmal zu dem Bären niedergebeugt und ihn genauestens untersucht, um sich seinen Groll nicht anmerken zu lassen und um Zeit zu gewinnen, seine Beherrschung wiederzuerlangen. Dabei hatte er unwillkürlich meine Worte gehört, ich war ja auch laut genug gewesen. Er erhob sich wieder und versuchte, meinen Blick einzufangen. Als ich in seine dunklen, sprechenden Augen sah, erkannte ich, dass meine Sorge um meinen Freund auffällig wurde und ich mich jetzt schnellstens zur Ordnung rufen sollte, um Winnetou nicht in eine unangenehme Lage zu bringen. Ich sammelte mich also einen Moment lang, dann legte ich Emery die Hand auf die Schulter und sagte in einem leichten Ton, wobei ich mir etwas mühsam ein Lächeln abrang: „Tut mir Leid, alter Freund, verzeih mir meine harschen Worte! Aber soviel Dummheit auf einmal, da fällt es selbst mir schwer, dabei ruhig zu bleiben!“ Emery haute mir seine Pranke ebenfalls, aber mit deutlich mehr Wucht auf meine Schulter und erwiderte grinsend: „Ist schon gut! War es doch auch für mich mal ein seltenes Erlebnis, dich in einer solch unbeherrschten Wut zu sehen – da könnte man ja richtig Angst bekommen....“ Er lächelte breit bei diesen Worten, aber seine Augen blieben ernst und es war ihm anzusehen, dass er mit meiner Erklärung nicht vollständig zufrieden war. Die Apatschen waren jetzt mit dem Bären beschäftigt, denn sein Fleisch würde in den nächsten Tagen unseren Speiseplan ungemein bereichern. Zwischendurch ließen die Krieger immer wieder bewundernde Ausrufe hören, da jeder unserer Messerstiche sein Ziel genau getroffen hatte. Die Männer erkannten damit den Mut und die Kaltblütigkeit an, mit der wir diesem riesigen Tier entgegengetreten waren. Ich trat hinzu, um mitzuhelfen, wobei ich die verhinderten Bärenjäger keines Blickes würdigte – es fiel mir immer noch schwer, meinen Zorn endgültig herunterzuschlucken. Winnetou hingegen hatte sich wieder vollständig unter Kontrolle. Sein gutes Herz und seine Menschlichkeit geboten ihm, sich um die stark blutende Armverletzung von Morton Butterfield zu kümmern, denn unser Doktor befand sich ja noch an unserem Lagerplatz. Mein Freund sprach während seiner Bemühungen zwar kaum ein Wort, behandelte den jungen Mann aber so gefühlvoll und vorsichtig, dass dieser es danach wagte, ihm zwar zaghaft, aber äußerst dankbar zuzulächeln. Anschließend traf der Apatsche, umsichtig wie immer, den Entschluss, nochmals die Umgebung des Lagers großräumig abzusuchen, denn durch den von den Butterfields verursachten Heidenlärm war es durchaus möglich, dass nun doch Feinde angelockt worden waren. Sogleich bot ich ihm meine Unterstützung an, und so huschten wir wenige Augenblicke später in entgegengesetzte Richtungen davon. Jeder suchte mit äußerster Sorgfalt einen Halbkreis ab, an dessen Endpunkt wir wieder zusammentreffen wollten. Das kostete natürlich viel Zeit, denn wir mussten uns möglichst ohne jedes Geräusch durch dichtes Gestrüpp arbeiten, und das im Stockdunklen. So trafen wir erst nach über einer Stunde wieder zusammen, aber keiner von uns hatte auch nur die Spur eines verdächtigen Umstandes entdeckt, so dass wir beruhigt ins Lager zurückkehren konnten. Unterwegs flüsterte Winnetou mir zu: „Noch eine solche Unbedachtheit der Bleichgesichter, und Winnetou schickt sie augenblicklich zurück zu ihren Familien, damit sie bei ihren Müttern vielleicht doch noch das Nachdenken erlernen können!“ Er sagte das in einem ruhigen, gefassten Ton, aber allein die Art und Weise, wie er die Worte aussprach, sagte mir, dass auch er sich nicht wenig über unsere Schützlinge ärgerte. Zurück am Lagerfeuer wurde mit allen Anwesenden, ausgenommen natürlich den Butterfields, ausführlich besprochen, was mit dem Bären geschehen sollte. Schnell war klar, dass wir soviel von seinem Fleisch wie möglich braten und mitnehmen wollten, aber was sollte mit dem wertvollen Fell geschehen? Es war zu schwer, um hinter einem Reiter aufs Pferd geschnallt zu werden; also würden wir ein separates Packpferd benötigen, und das hatten wir natürlich nicht. Schweren Herzens entschlossen wir uns darum, das Fell so zu behandeln, dass es ein Vergraben in die Erde für Tage oder Wochen ohne Schäden überstehen würde, denn wir hofften auf eine Möglichkeit, es innerhalb dieses Zeitraumes dann doch noch zum Pueblo transportieren zu können. Als das mit Hilfe fast aller Apatschen, mit Ausnahme der Wachposten natürlich, geschehen war, legten wir uns endlich zur Ruhe. Während ich ganz allmählich wegdämmerte, verfolgte mich noch das Gemurmel des Doktors, der auf die zwei verhinderten Bärenjäger einredete in dem Bemühen, ihnen irgendwie den Schreck und die Ängste zu nehmen, die beide natürlich noch fest im Griff hatten. Die Jünglinge hatten uns übrigens kurz zuvor noch Rede und Antwort stehen müssen, da wir natürlich genaustens wissen wollten, wie es zu diesem Desaster hatte kommen können. Allerdings befanden sie sich immer noch in einem enormen Schockzustand und daher war es fast nicht möglich, mehr als ein zusammenhangloses Gebrabbel aus ihnen herauszubekommen. Nur mit viel Geduld und durch ständiges Nachfragen erschloss sich uns nach einiger Zeit das ganze Geschehen und nötigte uns mehr als einmal ein ungläubiges Kopfschütteln ab. Am nächsten Morgen hatte kaum die Dämmerung eingesetzt, da war Winnetou schon wieder auf den Beinen, um ein weiteres Mal das Gebiet rund um das Lager abzusuchen. Wir hatten zwar nicht darüber gesprochen, aber da ich vorhatte, den Butterfields noch einmal vor versammelter Mannschaft ordentlich ins Gewissen zu reden und Winnetou das wahrscheinlich ahnte, nahm ich an, dass er nicht dabei sein wollte und deshalb zu seinem ausführlichen Rundgang angetreten war. Währenddessen ließ ich unsere Schützlinge allesamt vor Emery und mir antreten und klärte sie mit seiner Hilfe unbarmherzig über jeden einzelnen Fehler auf, den sie sich in den vergangenen Tagen und vor allem am gestrigen Abend geleistet hatten. Anschließend machte ich ihnen mit großem Nachdruck deutlich, dass wir nicht gewillt waren, ihnen auch nur noch den geringsten Ausrutscher durchgehen zu lassen, ansonsten würden wir sie entweder postwendend nach Hause bringen oder sie einfach hier in der Wildnis sitzen lassen. Ich glaube, dass die Jünglinge spätestens jetzt erkannt hatten, wie todernst es mir mit meiner Ansprache war; eifrig nickend standen sie aufgereiht wie die Schulbuben vor mir und versprachen hoch und heilig, sich in Zukunft all unseren Anordnungen zu fügen und, vor allem, keine Alleingänge mehr zu unternehmen. Unsere zwei Helden hatten ihren Schockzustand mit Hilfe des Doktors so gut wie überwunden, und auch Mortons Arm war erst von Winnetou und dann auch von Hendrick so gut versorgt worden, dass er keinerlei Schmerzen verspürte und nur wenig in seinen Bewegungen eingeschränkt war. Es war den jungen Männern aber anzusehen, dass ihnen sämtlicher Übermut und jeglicher Abenteuersinn abhanden gekommen war – ihnen würde es in Zukunft ein Leichtes sein, sich an unsere Regeln zu halten! Außerdem entschuldigten sie sich auch nochmal in aller Form bei mir, und ich nahm diese Entschuldigung natürlich an, bat sie aber gleichzeitig, diese auch an Winnetou zu richten, wenn er wiederkam, was sie dann später auch taten. Jetzt gab ich auch endlich meine gestrenge Miene auf und bat die jungen Männer lächelnd zum Frühstück, was sie alle dankbar und auch sehr erleichtert annahmen. Nun schmeckte ihnen das wunderbar zubereitete Bärenfleisch doppelt so gut, das war ihnen allen deutlich anzusehen. Auch ich freute mich sehr über diese unerwartete köstliche Mahlzeit und genoss sie in aller Ruhe. Winnetou allerdings hatte, bevor er aufgebrochen war, noch gar nichts zu sich genommen, und ich begann ihn nun sehnsüchtig zu erwarten, zumal er schon über eine Stunde fort war. Ich überbrückte die Zeit, indem ich ihm ein besonders gutes Stück vom Schinken zubereitete, und dann blieb mir nichts anderes übrig, als auf die Rückkehr meines Freundes zu warten und die Sorge um ihn, die wieder einmal in mir hoch kriechen wollte, so gut wie möglich zu unterdrücken. Eineinhalb Stunden waren mittlerweile vergangen, da kam der Apatsche endlich wieder. Er setzte sich sofort an meine Seite, und ich gab mir große Mühe, mir meine Freude und Erleichterung nicht zu sehr anmerken zu lassen, denn natürlich zog er die Blicke aller Anwesenden auf sich, so dass ich gezwungen war, Haltung zu wahren. Während ich ihm den Bärenschinken reichte, berichtete Winnetou mit knappen Worten, dass ihm trotz sorgfältigster Suche kein Umstand aufgefallen war, der Anlass zur Sorge geben musste; wir konnten also getrost davon ausgehen, dass wir auf weiter Flur alleine waren und nicht verfolgt wurden. Trotzdem wollte der leise Hauch des Zweifels nicht aus Winnetous Gesicht weichen, und er bestand darauf, dass wir so schnell wie möglich aufbrachen. Ich aber nötigte ihn dazu, sitzen zu bleiben und in Ruhe zu Ende zu essen, während Emery und ich das Zusammenpacken und Aufsitzen leiteten und vor allem unsere Greenhorns nach Kräften unterstützten. In kürzester Zeit waren wir dann auch reisefertig. Weiter ging es jetzt, genau den Teil des Weges entlang, den Winnetou und ich vorgestern ausgekundschaftet hatten, immer an den Ausläufern der Zuni- und der Chuska Mountains entlang. Kleinere Flüsse und kurze Täler wurden dabei durchquert, und während sich die Familie Butterfield geradezu vorbildlich benahm und alle Anweisungen widerspruchslos befolgten, hatten die Apatschen sowie Emery und ich unsere Augen und Ohren überall. Allerdings war es in diesem unübersichtlichen Gelände nicht einfach, auf Spuren eventueller Verfolger oder Späher zu achten, trotzdem wir genauso wie in den Tagen zuvor unseren Trupp immer wieder weitläufig umrundeten und vor allem Winnetou und ich uns auch mal weiter entfernten. Doch aufgrund der Landschaft wurden unseren Erkundungsritten manchmal einfach natürliche Grenzen gesetzt. Der Tag ging dahin, und soviel wir uns auch anstrengten und trotz größtmöglicher Aufmerksamkeit fanden wir wieder einmal nicht den geringsten Anhaltspunkt für die Anwesenheit von Spähern der Kiowas, von Verfolgern wie Wayne Thomson mal ganz zu schweigen. War das nun gut oder schlecht? Was die Kiowas anbelangte, da teilte ich Winnetous leise Sorge, dass wir hier eventuell in einen Hinterhalt gelockt werden sollten. Und in Bezug auf Thomson war ich mir mittlerweile sicher, dass dieser unsere Spur verloren hatte und uns im Augenblick nicht mehr gefährlich werden konnte. Wie hätte ich auch ahnen können, dass ich in dieser Hinsicht so dermaßen irrte? Woher sollte ich wissen, dass dieser Verbrecher weitaus gerissener war, als ich es jemals für möglich gehalten hatte? Woher sollte ich wissen, dass ihn der Hass auf Winnetou und seine unbändige Gier nach Gold zum Äußersten trieben? Ich würde noch heute alles dafür geben, wenn ich diesem Erzschurken früher auf die Schliche gekommen wäre und dadurch Winnetous Qualen vielleicht hätte verhindern, vollständig verhindern können! So aber ritten wir auch noch den nächsten Tag völlig unbehelligt durch dieses eigentlich für uns so gefährliche Gebiet, welches an die Weidegründe der Kiowas angrenzte und trotzdem keinen einzigen feindlichen Indianer preisgab. Mein Gefühl der Unruhe ließ mich allerdings nicht im Stich, sondern blieb beharrlich an meiner Seite, wuchs von Tag zu Tag sogar noch ein wenig mehr. Ich wich meinem Winnetou, wann immer es nur ging, nicht mehr von der Seite, und irgendwann fiel mein angespanntes Verhalten sogar Emery auf, obwohl ich es so gut wie möglich zu verstecken versuchte. Er fragte mich dann auch ganz direkt, worüber ich mir eigentlich Sorgen machte, und da Winnetou in diesem Moment weiter vorne ritt, uns also nicht hören konnte, erzählte ich dem Engländer, dem ich schon immer mein ganzes Vertrauen geschenkt hatte, von meinen unguten Ahnungen, auch mit dem Hintergedanken, dass vier Augen sicherlich mehr sehen können als zwei. Emery reagierte auch genauso, wie ich es von ihm erwartet hatte: Er nahm meine Bedenken sehr ernst und hielt nun seinerseits auch vermehrt Augen und Ohren offen. Er kannte mich ja zur Genüge und wusste, dass meine Ahnungen uns schon manches Mal vor Schlimmerem bewahrt hatten. Aber zwei Tage lang geschah nichts, rein gar nichts und unsere Reise verlief bis zum Morgen des dritten Tages völlig unspektakulär. Dieser aber brachte ein weiteres Abenteuer mit sich, welches nur leider nicht so glimpflich ablief wie bei den letzten Geschehnissen! Winnetou war am späten Vormittag wieder einmal etwas weiter voraus geritten, um sich als Kundschafter für uns zu betätigen. Ich hatte mich noch kurz mit unseren Schützlingen unterhalten und wollte gerade aufbrechen, um unsere Gesellschaft zu unserer Sicherheit weitläufig zu umkreisen, da sah ich Winnetou wider Erwarten im schnellen Galopp zurückkommen. Das war sehr auffällig und konnte eigentlich nichts Gutes bedeuten, also ritt ich ihm schnell entgegen. Dann aber konnte ich mich nur noch wundern über sein Gesicht, welches vor Vergnügen fast schon strahlte. Bevor ich auch nur eine Frage stellen konnte, kam er mir zuvor und rief mir freudig zu: „Der große Geist meint es heute sehr gut mit uns! Wir werden wieder frisches Fleisch bekommen – Büffelfleisch!“ Recht erstaunt parierte ich mein Pferd direkt vor ihm. „Was? Sag nicht, du hast weiter vorne eine Bisonherde entdeckt? Die Zeit dafür ist doch noch gar nicht da!“ „Mein Bruder hat recht!“, entgegnete er breit lächelnd. „Aber es kommt doch immer wieder mal vor, dass sich eine Herde zu früh auf den Weg macht, und somit wird uns heute wirklich ein großes Glück zuteil!“ Man konnte förmlich spüren, wie das Jagdfieber meinen Freund gepackt hatte, und das war richtig ansteckend. Trotzdem hatte ich Bedenken, die ich jetzt auch äußerte: „Meint Winnetou nicht, dass wir durch eine Büffeljagd auf jeden Fall den Kiowas auffallen werden?“ Der Apatsche sah mich kurz an und erwiderte dann im Brustton der Überzeugung: „Ob wir jagen oder nicht - es spielt keine Rolle mehr, denn wir sind ihnen mit Sicherheit schon längst aufgefallen!“ Überrascht von der Endgültigkeit seiner Aussage starrte ich ihn an, aber dann begriff ich. Gerade die Tatsache, dass wir in all der Zeit nicht die geringste Spur von den Rothäuten entdeckt hatten, genügte Winnetou zu der Erkenntnis, dass diese uns zumindest beobachteten, wenn nicht sogar in eine Falle locken wollten. Die letztere Möglichkeit erschien ihm aber eher unwahrscheinlich, wie er mir jetzt auch mitteilte. „Warum sollten sie uns über eine so lange Zeit im Auge behalten, ohne uns anzugreifen? Gelegenheiten dazu hatten sich ihnen in den letzten Tagen viele geboten, warum haben sie diese nicht wahrgenommen?“ Ich musste ihm Recht geben, denn auch mir fiel keine vernünftige Antwort auf diese Frage ein. Dafür konnte ich den Grund erkennen, warum die Kiowas uns nur beobachteten und nicht angriffen. „Wenn sie uns gesehen haben, dann mussten sie auch deine Krieger und dich entdecken. Du hast gesagt, die Kiowas sind seit vielen Sommern den Bleichgesichtern nicht mehr wohlgesonnen, aber wie steht es denn mit den Apatschen?“ Winnetou antwortete: „Wir haben schon eine lange Zeit das Kriegsbeil nicht mehr gegeneinander ausgegraben, aber mein Bruder weiß genau wie ich, dass das Verhältnis zwischen unseren Stämmen kein freundschaftliches ist.“ „Hm“, meinte ich. „Trotzdem könnte es gut möglich sein, dass ihnen die Tatsache ausreicht, dass ihr im Augenblick nicht in Feindschaft lebt. Wenn wir Weißen alleine unterwegs gewesen wären – ich bin mir sicher, man hätte uns schon längst angegriffen. So aber ist es gut möglich, dass die Kiowas sich nur davon überzeugen wollen, ob wir in ihre Jagdgründe eindringen oder ihr Volk unbehelligt lassen!“ „Howgh!“ stimmte Winnetou zu. „Auch der Häuptling der Apatschen glaubt, dass dieser Gedanke der naheliegendste ist!“ Nachdem sich diese Meinung bei uns festgesetzt hatte, kehrten wir zu den Gefährten zurück und unterrichteten sie von der bevorstehenden Büffeljagd, was bei allen Anwesenden große Freude auslöste, sogar bei den Butterfields. In manchen Gesichtern glaubte ich schon wieder einen Hauch von Übermut zu entdecken, weshalb ich die Herrschaften nochmals ermahnte, sich auf jeden Fall bedingungslos unseren Anordnungen zu fügen. Sie versprachen es alle, aber auch sie hatte das Jagdfieber gepackt und ihre Augen glänzten voller Vorfreude darauf, zum ersten Mal in ihrem Leben eine Herde freilebender Bisons zu Gesicht zu bekommen. Emery hatte die gleichen Vorbehalte wie ich kurz zuvor, was diese Jagd und die damit verbundene Gefahr einer Entdeckung durch die Kiowas anging, aber als wir ihm unsere Sicht der Dinge darlegten, schloss er sich schnell unserer Meinung an; er konnte sich das Ganze ja auch nicht anders erklären. Wir bereiteten uns also eilig, aber gründlich auf die Jagd vor, instruierten unsere Schützlinge aufs Genaueste, wie sie sich zu verhalten hatten und wo genau sie sich währenddessen aufhalten durften, damit sie nicht in Gefahr gerieten, von der fliehenden Herde überrannt und zu Brei getrampelt zu werden. Nicht einen Schuss sollten die Jünglinge abgeben dürfen, denn sie hätten einen Bison niemals da getroffen, wo es ihm ans Leben ging, nämlich seitlich hinter dem Schulterblatt oder in die Augen. Im Gegenteil, sie würden so ein Tier, wenn überhaupt, mit viel Glück an einer nicht tödlichen Stelle treffen und den Büffel dadurch aufs Äußerste reizen, so dass sich der Schütze augenblicklich in Lebensgefahr befinden würde. Aufgrund dieser Jagdvorbereitungen unterließen wir es an diesem Tag, wie sonst unsere Ritte rund um unsere Truppe durchzuführen. Wie sehr, ach wie sehr wünsche ich mir heute, wir hätten das gerade an diesem Tag nicht unterlassen! Denn gerade heute hätten wir wahrscheinlich etwas für uns äußerst Wichtiges entdeckt und vor allem Winnetou wäre dadurch viel Leid erspart geblieben! Die Büffelherde befand sich nur zwei, drei Meilen vor uns in einem kleinen, abgelegenen Seitental, und dieser Umstand hatte auch dazu beigetragen, dass sie uns noch nicht entdeckt oder auch nur gewittert hatten. Wir beschlossen, fünf Apatschen den hinteren Ausgang des Tales besetzen zu lassen. Diese fünf Männer sollten dann ganz langsam vorrücken und dadurch die Herde in unsere Richtung treiben, so dass wir wohl ohne große Schwierigkeiten eine junge Büffelkuh würden schießen können. Mehr sollte es auf keinen Fall werden, denn meine roten Freunde töteten nie mehr Tiere, als sie unbedingt zum Leben benötigten, und genauso hielt ich es auch. Unser Vorrat an Bärenfleisch war im Übrigen schon fast wieder aufgebraucht, so dass uns diese Bisons gerade recht kamen. Wir hatten unsere Vorbereitungen abgeschlossen, die Jagd konnte also beginnen. Gespannt warteten wir auf den Moment, in dem die Mescaleros die Büffelherde aufschrecken und zu uns treiben würden. Und dann war es endlich soweit! Am Ende des Tales konnte man eine große Staubwolke erkennen, die rasch näher kam. Ich packte meinen Bärentöter fester, ebenso wie die Zügel von Hatatitla, der auch schon ganz aufgeregt schien und nervös umher getänzelt wäre, wenn ich ihn nicht fest zwischen die Schenkel genommen hätte. Ich sah wieder nach vorne – jetzt konnte man schon Einzelheiten erkennen; die Büffel rasten auf uns zu, vorneweg ein riesiger Bulle, der sicherlich gut zwei Meter hoch war und an die dreißig Zentner wiegen durfte. Auf ihn galt es besonders zu achten, denn wenn dieser Koloss einen von uns angreifen würde, wäre es höchstwahrscheinlich um denjenigen geschehen. Hochgradig angespannt beobachteten wir die Herde, die immer näher kam, bis sie schließlich soweit herangekommen war, dass Winnetou das Signal zum Angriff geben konnte. Er hob kurz den Arm, und schon stürzten wir auf die Bisons zu. Diese erschraken natürlich heftig und stoben sofort nach allen Seiten davon, so dass wir uns schnell auf eine Kuh einigen konnten, die etwas abseits lief und somit leicht von der Herde getrennt werden konnte. Das geschah auch sofort durch die restlichen Apatschen, während Winnetou, Emery und ich die Kuh von den anderen Seiten umringten. Mein Freund und ich verständigten uns nun mit einem einzigen Blick, woraufhin wir uns etwas zurückhielten, um Emery den Vortritt zu lassen. Wir beide hatten ja schon das Vergnügen mit dem Bären gehabt; nun sollte der Engländer mal wieder sein Können beweisen dürfen! Er stutzte, aber nur kurz, dann nahm er unser Angebot dankend an, legte sein Gewehr an und traf mit nur einem einzigen gezielten Schuss das Tier mitten ins Leben. Die Büffelkuh zuckte zusammen, stolperte noch einige Meter vorwärts und brach dann tot zusammen, während der Rest der Herde weiter talauswärts raste Einige Apatschen ließen nun laute Jubelrufe hören, in die sich aber mit einem Male sehr laute Entsetzensschreie mischten, die von der gegenüberliegenden Seite des Tales zu kommen schienen! Sofort waren alle Blicke auf die in Frage kommende Stelle gerichtet, und dann konnten wir kaum glauben, was wir da sahen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)