Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 10: Gefangen und Gequält -------------------------------- Ich kam gar nicht mehr dazu, auch nur entsetzt aufzuschreien, geschweige denn, Thomson auf irgendeine Art und Weise an seinem schrecklichen Vorhaben zu hindern. Ich registrierte nur noch seinen Blick voller Heimtücke, den er mir zuwarf, bevor er mit dem Messer, dessen Spitze er meinem Blutsbruder auf die linke Schulter gesetzt hatte, ohne Umschweife vollends zustach. In meiner jetzt mit aller Gewalt durchbrechenden Wut und Panik um das Leben meines Freundes hatte ich zwar noch bemerkt, dass der Verbrecher seine Klinge offenbar nicht allzu tief in dessen Fleisch hatte eindringen lassen, aber diese Tatsache erfasste ich nur ganz am Rande, denn in diesem Augenblick war ich einfach nicht mehr zu halten. Ich brüllte auf vor Zorn, zerrte wie verrückt an meinen Fesseln, dass mir das Blut nur so an den Handgelenken herunterlief, erreichte aber damit nur, dass Thomson laut auflachte. Hätte ich nur meine Hände frei gehabt! Ich sehnte mich regelrecht danach, sie diesem elenden Schuft um den Hals zu legen und ganz langsam zuzudrücken! In diesem Moment hätte ich ihn ohne Umschweife getötet, dessen war ich mir sicher. Was für ein Mensch war das nur, der es fertigbrachte, einen wehrlos Daliegenden aus purem Eigennutz noch so zu quälen und zu misshandeln, nur aus der niederen Gier nach Gold! Das war nun wirklich nicht mehr menschlich zu nennen - das kam ja noch nicht einmal in der Tierwelt vor! Vor hilfloser Wut am ganzen Körper zitternd schwor ich mir, die Menschheit von dieser widerlichen Kreatur zu befreien, koste es, was es wolle, selbst wenn es das Letzte war, was ich in meinem Leben tun würde. Der einzige kleine Trost, der mir in dieser furchtbaren Situation noch blieb, war die Tatsache, dass Winnetou offensichtlich weiterhin in tiefer Bewusstlosigkeit lag und somit zumindest die Schmerzen nicht spüren konnte. Gerade wollte Thomson wieder zu sprechen beginnen, da wurde er von Sam und Emery richtiggehend niedergebrüllt, die beide vor Zorn nur so kochten und die sich, ebenso wie ich, dem völlig zwecklosen Versuch hingaben, ihre Fesseln zu sprengen. Da beide durcheinander riefen, konnte ich nur Bruchstücke verstehen, die unter anderem einige handfeste Beschimpfungen enthielten: „Dreckiger Hund! Widerlicher Bastard! Elende feige Ratte! Stinkender Kojote!“, und einiges mehr, und ich konnte meinen Gefährten da nur aus vollem Herzen zustimmen. Der ehemalige Unteranführer der Geierbande aber verstand hier überhaupt keinen Spaß; mit einem wahrhaft mörderischen Ausdruck im Gesicht ging er nun auf die Schimpfenden los und versetzte ihnen mehrfach ein paar saftige Backpfeifen, dass ihre Köpfe nur so flogen. Allerdings konnte auch das Emery mitnichten davon abhalten, weiterhin in aller Deutlichkeit mitzuteilen, was er von unserem Widersacher hielt. Thomson griff deshalb zu seinem altbewährten Mittel, zog wieder sein Messer und hielt es dem Engländer mit einer Miene, die mehr als deutlich zeigte, dass er zu allem bereit war, an die Kehle. Emery erstarrte, aber nur einen Augenblick, dann lachte er lauthals los und zischte anschließend dem Halunken mit einem freudlosen Grinsen zu: „Wenn du glaubst, dass mich dein nettes Spielzeug hier auch nur im Geringsten beeindruckt, dann befindest du dich aber ganz gewaltig auf dem Holzweg! Dreckiger, feiger Kojote!“ Und mit diesen Worten spuckte er zu guter Letzt dem Angesprochenen sogar ins Gesicht. Thomson wich tatsächlich, fast schon erschrocken, ein kurzes Stück zurück, fasste sich aber schnell wieder, und nun waren seine Augen, sein ganzes Innerstes erfüllt mit rasender Wut. Im ersten Moment war ich mir sicher, dass er an meinem Gefährten Rache nehmen und sofort zustechen würde, aber das tat er nicht, dazu war er in seinem Grimm gar nicht in der Lage. Statt dessen ließ er seine Faust mit voller Wucht gegen Emerys Schädel krachen, so dass dieser sofort besinnungslos in sich zusammensackte. Im nächsten Augenblick war der Mordbube schon wieder an Winnetous Seite, setzte ihm jetzt die Messerspitze auf die linke Brust, genau über dem Herzen, und fauchte uns wütend entgegen: „Will noch einer von euch seine Unverschämtheiten loswerden? Wenn es euch schon nichts ausmacht zu sterben, dann werdet ihr aber gewiss etwas dagegen haben, wenn die dreckige Rothaut hier durch eure Schuld jetzt das Zeitliche segnet!“ Ich war stumm vor Entsetzen, unfähig, auch nur einen Ton von mir hören zu lassen. Sam saß ebenfalls wie erstarrt und so kerzengerade, wie es unter seinen Banden nur möglich war, an seinem Platz. Wir getrauten uns nicht, auch nur die kleinste Bewegung zu tun aus Angst, den Kerl dadurch weiter zu reizen und ihn letztendlich zum Zustechen zu bewegen. Für endlos lange Sekunden blieb er in dieser für Winnetou so bedrohlichen Position, so dass ich irgendwann die Augen schloss, weil ich dieses entsetzliche Bild vor mir einfach nicht mehr ertragen konnte. Er hatte wohl auf eine solch hilflose Reaktion von mir gehofft, denn jetzt hörte ich ihn höhnisch auflachen und er sprach: „Ich wusste es doch, dass Ihr nicht so unantastbar und voller Stolz seid wie Ihr immer tut, Shatterhand! Ihr werdet mir jetzt auf der Stelle Rede und Antwort stehen und dabei hübsch bei der Wahrheit bleiben, ansonsten sehe ich mich leider gezwungen, meine Hand ein wenig tiefer sinken zu lassen!“ Ich hatte während seiner Worte meine Lider wieder geöffnet und sah jetzt, wie er mit seinem Messer fast schon spielerisch Winnetous Haut auf der linken Brust einritzte. Das Gefühl, vor hilflosem Zorn fast platzen zu müssen, wurde fast schon übermächtig. „Aufhören!“, stöhnte ich verzweifelt. „Lasst ihn doch aus dem Spiel! Ich bin es schließlich, von dem Ihr etwas wollt!“ „Ja, natürlich“, antwortete er mit einem zynischen Grinsen. „Aber Ihr würdet mir mit Sicherheit nicht die Antwort geben, die ich gerne von Euch hätte, selbst wenn ich Euch tagelang foltern würde! Aber wenn es um Eure heißgeliebte Rothaut hier geht, da wird Euer Herz doch erweichen müssen, nicht wahr?“ Es schüttelte mich regelrecht vor Grauen über diese Kreatur, die nicht mehr Mensch genannt werden konnte. Mir sind auf meinen Reisen schon viele wahrhaftige Schurken begegnet, und kaum einer von ihnen hatte mehr als einen Fingerhut voll moralischer Werte in sich getragen, aber so etwas wie diese Bestie hier war mir noch nie untergekommen. „So, und jetzt werdet Ihr mir wohl gütigst mitteilen“, begann Thomson wieder, „wo der Hundesohn hier das Gold her hat! Denn wo diese Klunker herkommen, wird mit Sicherheit noch viel mehr zu holen sein, richtig?“ Wieder ließ er während seiner Rede das Messer leicht kreiseln. Mir war jetzt richtiggehend übel aufgrund der für Winnetou fast schon ausweglosen Situation. Ich war ja gar nicht in der Lage, dem Kerl zu geben, was er verlangte! Da musste jetzt eine List her, irgendeine, und das schnell, sofort, aber in meinem Kopf dröhnte es nur so vor Sorge und Angst um den geliebten Freund, meine Gedanken kreisten nur um ihn und waren gar nicht fähig, sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Meine hochgelobte Ruhe und Kaltblütigkeit waren dahin, nichts war mehr davon zu spüren. Mir blieb nur der eine Weg, diesen Dreckskerl so lange wie möglich hinzuhalten und schlussendlich irgendwie von seinem Vorhaben abzubringen. Obwohl ich wusste, dass Winnetou jede Äußerung von mir, die Wayne Thomson anfeindete, mit weiteren Verletzungen würde bezahlen müssen, konnte ich aber gar nicht anders, als dem Mörder mit knirschendem Unterkiefer zu entgegnen: „Wie tief muss ein Mensch sinken, um so zu werden, wie Ihr seid? Wie könnt Ihr Euch nur an einem völlig Wehrlosen vergreifen und darauf auch noch sichtlich stolz sein? Haltet Ihr das für mutig? So wie Euch habe ich noch nie einen Mann handeln sehen. So handelt überhaupt kein Mann, so handelt nur ein Mann, der Weiberröcke trägt! Ihr habt den Mut eines kleinen Mädchens, das.....“ Ich hatte mich zum Ende hin richtiggehend in Rage geredet, ohne dass ich mich noch im Zaum halten konnte, so sehr widerte mich der Kerl an. Tief in meinem Inneren hoffte ich wohl, dass er vielleicht doch noch so viel des ehrlichen Stolzes besaß, dass er sich durch meine Beleidigungen gezwungen sah, von Winnetou abzulassen und sich mit mir anzulegen, um sich zu rächen. Aber leider rührten sich durch meine Worte in ihm weder Stolz noch Moral, im Gegenteil, seine Messerspitze drang sofort noch ein Stückchen tiefer in die Brust des Apatschen ein, und er unterbrach mich mit einem jetzt schon fast satanischen Grinsen: „Nun? Seid Ihr sicher, dass Ihr in dieser Weise weitersprechen wollt? Bedenkt Euch wohl, denn Ihr seht ja: Das Herz Eures Freundes befindet sich in meiner Hand, oder besser gesagt, unter meinem Messer!“ Wieder schüttelte es mich, vor Furcht und Angst um das Leben meines geliebten Blutsbruders, vor Zorn, vor Abscheu, wahrscheinlich auch vor Hass auf Winnetous Peiniger. Ich zischte ihm zu: „Ihr widert mich an! Aber Ihr könnt mir Eure Frage noch so oft stellen, ich kann sie einfach nicht beantworten! Ich kann mich nur wiederholen: Niemals hat der Häuptling der Apatschen mich in die Geheimnisse seiner Goldminen eingeweiht, niemals! Es ist ein Schwur, ein Eid, der schon seit Generationen von Häuptlingen, ja, schon seit Jahrhunderten gilt: Niemals wird ein Außenstehender, und wenn er dem Apatschenvolk noch so nahe steht, diese Minen zu sehen bekommen. Und da Winnetou ein äußerst verantwortungsbewusster und loyaler Häuptling seines Stammes ist, hat er sich auch stets daran gehalten, das schwöre ich beim Leben meiner Freunde!“ Ich, gerade ich, der noch niemals einen Schwur getan hatte, weil ich so etwas stets für blanken Unsinn gehalten hatte, schwor einem Verbrecher, ihm die Wahrheit zu sagen! Allein daran musste jeder, der mich genau kannte, sehen, was ich von diesem Halunken hielt. Bis heute weiß ich allerdings nicht, was ich getan hätte, wenn ich tatsächlich die Orte, an denen sich Winnetous Placer befanden, gekannt hätte. Hätte ich sie dem Verbrecher letztendlich doch verraten, um das Leben meines Freundes zu retten? Kurz zuvor hatte ich im Zelt der Kiowas noch im Brustton der Überzeugung meinen Gefährten erklärt, dass Winnetou, selbst wenn ich vor seinen Augen zu Tode gefoltert werden würde, niemals das ihm anvertraute Geheimnis verraten würde. Wäre es wirklich so gewesen? Man konnte noch so sehr von der Richtigkeit seiner Wertvorstellungen überzeugt sein, spätestens wenn es einen direkt betraf, wie jetzt gerade meinen Freund und mich, war man sich der Sache dann doch alles andere als sicher. Hätte ich es wirklich fertiggebracht, das Leben meines Freundes zu riskieren? Hätte ich es fertiggebracht, zuzusehen, wie man ihn quält bis zum Tode, nur des Goldes wegen? Gold, was erstens nicht mir gehörte und zweitens überhaupt keinen Wert für mich besaß, und das nur eines Eides wegen, der mich eigentlich gar nichts anging? Hätte ich das jemals mit meinem Gewissen vereinbaren können? Wäre ich an der Tatsache nicht irgendwann seelisch und auch körperlich zugrunde gegangen, für den Tod meines besten Freundes und des wichtigsten Menschen, den es für mich auf der Welt gab, verantwortlich zu sein? Ja, das wäre ich, davon bin ich auch heute mehr als überzeugt – ich hätte ihn auf keinen Fall der Ehre wegen dem Tod preisgegeben! Dieses für mich so kostbare Leben zu opfern, hätte mich niemals wieder ruhig schlafen lassen. Und was wäre gewesen, wenn ich sein Leben gerettet hätte, indem ich die Fundorte verraten hätte? Wie würde Winnetou reagieren, wenn wir beide das überlebt hätten? Wäre ich in seinen Augen zum Verräter geworden? Würde er in mir ab dann nur noch den Feigling sehen, der seine inneren Werte aufgegeben, der sich dem Willen eines Verbrechers gebeugt hätte? Oder würde er vielleicht doch Dankbarkeit zeigen oder zumindest Verständnis für meine fürchterliche Lage aufbringen? Mir kam der Gedanke, dass das vielleicht einer der Gründe, vielleicht sogar der Hauptgrund dafür war, dass er mich niemals in sein Wissen eingeweiht hatte – wollte er mir dadurch einen solchen Gewissenskonflikt ersparen? Auf all die Fragen hatte ich im Augenblick keine Antwort, aber eines wusste ich ganz gewiss: Ich musste diesen Widerling dazu bringen, sein Messer von der Brust meines Freundes zu nehmen und von ihm abzulassen, und zwar sofort. Man konnte es Thomson gut ansehen, dass ihn meine eindringlichen Worte und der anschließende Schwur nun doch etwas nachdenklich machten. Er sah mir direkt in die Augen, so als prüfe er, ob ich wirklich die Wahrheit gesprochen hatte und ließ dabei seine Messerhand sinken. Jetzt galt es, dranzubleiben, nachzusetzen, ihn zu irgendwie zu zwingen, sich auf mich zu konzentrieren, um die Todesgefahr von Winnetou zu nehmen. Dann plötzlich hatte ich einen Einfall; wie aus dem Nichts sah ich die wohl im Augenblick einzige Möglichkeit glasklar vor mir. Und somit redete ich weiterhin energisch auf den Kerl ein: „Natürlich kann ich Euch nicht daran hindern, Winnetou zu töten, genauso wie anschließend meine Gefährten und mich! Tut also, was Ihr nicht lassen könnt, aber bedenkt dabei, dass Ihr damit Euch selbst jeder Möglichkeit beraubt, doch noch an das Gold zu kommen!“ Thomson wurde sofort wieder wütend: „Wollt Ihr mich veralbern? Ihr sagtet doch selber, dass Ihr angeblich die Lage der Bonanza nicht kennt, und die stinkende Rothaut hier kann ich wohl nicht fragen, oder? Zudem das schon mehrfach geschehen ist und er noch nicht einmal mit einer Wimper gezuckt hatte, als Motawateh ihn bei jedem Mal mit seinem Messer zu einer Antwort zu zwingen versucht hat! Wollt Ihr also jetzt doch vernünftig werden und mir sagen, was ich wissen will, oder soll ich diesen Indsman hier doch lieber vor Euren Augen langsam in Stücke schneiden?“ Seine Hand umklammerte das Messer wieder fester und bewegte sich nochmals auf die Brust des Apatschen zu. Schnell erwiderte ich: „Ich selber habe nun mal tatsächlich keinerlei Kenntnisse über die Goldminen der Apatschen, ich kann es Euch wirklich hoch und heilig versichern, da könnt Ihr machen, was Ihr wollt. Und auch Winnetou würde niemals sein Geheimnis verraten, selbst wenn er es könnte... zumindest nicht Euch!“ Die letzten Worte hatte ich mit einer besonderen Betonung ausgesprochen und spürte sofort, dass ich damit die Neugierde des Banditen geweckt hatte. „Was heißt das: Zumindest nicht mir?“, fragte er auch sofort nach. „Wollt Ihr damit sagen, er würde es jemand anderem verraten? Wem denn?“ Offensichtlich war der Kerl nicht gerade mit großer Intelligenz gesegnet worden, da er jetzt nicht auf das Naheliegende kam. Also versuchte ich weiter, ihn auf meine Fährte zu locken: „Ich könnte mir vorstellen, dass es mir gelingt, Winnetou unter diesen besonderen Umständen dazu zu bringen, Euch die Lage eines seiner Placer mitzuteilen – ich brauche dafür allerdings Zeit, um ihn von der einzigen Möglichkeit, uns zu retten, zu überzeugen!“ Jetzt richtete sich Thomson zu seiner vollen Größe auf, wobei sein Messer endlich aus dem für Winnetou so gefährlichen Bereich verschwand – und innerlich entwich mir ein erleichterter Stoßseufzer. Der Gesichtsausdruck des Verbrechers hatte nun etwas von einem Raubtier an sich, welches seine Beute nochmals musterte, bevor es zum tödlichen Sprung ansetzte. „Wie wollt Ihr das anstellen?“, fragte er mich angespannt. „Ganz einfach!“, setzte ich sofort nach. „Ich bin der Einzige, dem Winnetou vollkommen vertraut, und er schließt sich oftmals meiner Meinung an. Ich bin mir sogar sicher, ich könnte ihn überreden, Euch letztendlich zu Willen zu sein. Allerdings weiß ich nicht, wie schwer Ihr ihn verletzt habt und ob er überhaupt noch einmal zu sich kommen wird. Ich müsste ihn erst einmal untersuchen und dann alles daransetzen, dass er wieder ins Leben zurückkehren kann. Sicher aber ist: Wenn er erst einmal von Euch getötet worden ist, dann werdet ihr niemals an das Gold herankommen!“ Die zwingende Logik meiner Worte fand ihren Weg ganz allmählich in das Hirn des Mordbuben, das war für mich deutlich zu sehen. Aus den Augenwinkeln registrierte ich, dass Sam Hawkens unserem Wortwechsel hochgradig angespannt und mit angehaltenem Atem verfolgte und konnte förmlich spüren, dass er sich von Herzen wünschte, meine Taktik möge doch zum Erfolg führen! Wayne Thomson war zwischenzeitlich offenbar zu der Ansicht gelangt, dass es nicht schaden könne, meinen Worten vorerst Glauben zu schenken. Er sah abwechselnd zu mir und zu Winnetou, wohl um darüber nachzudenken, wie er jetzt weiter vorgehen sollte. Schließlich fasste er einen Entschluss, den er mit einem Nicken bekräftigte, um mir daraufhin mitzuteilen: „Ich kann es nicht alleine entscheiden, ob man Euch die Fesseln abnehmen wird, damit Ihr Euch um den Indsman hier bemühen könnt. Deshalb werde ich mich mit Motawateh beraten. Seid Euch aber über eines im Klaren: Jeder Versuch einer Flucht oder auch nur der geringsten Gegenwehr wird Euch, aber vor allem Eurer geliebten Rothaut zum Verhängnis werden – vor allem er würde hundertfach dafür büßen müssen!“ Nach dieser Ansage drehte er sich abrupt um und verließ das Zelt. Langsam, ganz langsam stieß Sam seinen angehaltenen Atem wieder aus, und auch mir schwindelte fast vor Erleichterung, dass ich den Verbrecher vorerst davon abhalten konnte, sich weiter an Winnetou zu vergreifen. Wir sahen uns an, und in den Augen des kleinen Mannes konnte ich die gleichen grauenvollen Sorgen um den Apatschen erkennen, die mich auch umtrieben. Ich sah wieder zu meinem Freund, der weiterhin unbeweglich in tiefer Bewusstlosigkeit lag, dem aber jetzt frisches Blut aus der neuen Schulterwunde den Oberkörper hinablief. Ich verging fast vor Angst um ihn - es war wirklich zum Verrücktwerden, zur Untätigkeit verdammt neben meinem verletzten Freund sitzen zu müssen und ihm überhaupt nicht helfen zu können! Ich hoffte von ganzem Herzen, dass meine List zum Erfolg führte und ich meinen Freund irgendwie hier herausbringen konnte, damit er die dringend notwendige Hilfe bekam. Dabei konnte ich noch nicht einmal sagen, ob es nicht schon zu spät war; davon war Motawateh ja überzeugt gewesen. Ich wurde von dem halblauten Rufen von Sam aus meinen trüben Gedanken gerissen. Diese galten Emery, dessen Kopf bis auf die Brust herunterhing; offensichtlich war er immer noch nicht bei Bewusstsein. Mein Herz wurde mir schwer angesichts dieser scheinbar ausweglosen Situation – wie um Himmels Willen sollte uns mit zwei Verletzten nur die Flucht gelingen? Emery reagierte genauso wenig wie Winnetou auf Sams Rufen, und ich konnte nur hoffen, dass er keine schwere Verwundung davongetragen hatte. Wenn sich wider Erwarten irgendeine Gelegenheit zur Flucht ergeben sollte, war ich dringend auf die Hilfe des Engländers angewiesen, ansonsten war die Sache beinahe aussichtslos. Verzweifelt atmete ich tief durch, und Augenblicke später betrat der Kiowahäuptling wieder das Zelt, dessen Laune sich augenscheinlich nicht unbedingt gebessert hatte. Mit wütender Miene kam er auf mich zu, sah mich einen Moment lang finster an, wandte sich um zu Winnetou und trat diesem wieder mit Wucht in die Rippen, woraufhin ich ihn wutentbrannt anfauchte: „Du feige Ratte! Ich habe noch niemals einen Krieger der Kiowas gesehen, der so niederträchtig und mutlos gehandelt hätte wie du! Noch nicht einmal eine alte, zahnlose Squaw würde so etwas tun!“ Weiter kam ich nicht, denn nun giftete der Rote zurück: „Schweig, augenblicklich! Old Shatterhand hat sich das selber zuzuschreiben! Warum muss er auch dem Bleichgesicht namens Thomson solche Lügen erzählen? Er weiß genau, dass....“. Jetzt unterbrach ich ihn, immer noch voller Zorn: „Old Shatterhand lügt nicht! Ich habe noch nie gelogen, im Gegensatz zu dem unbekannten Kiowa-Häuptling hier vor mir!“ Motawateh spuckte mir grimmig vor die Füße, als er erwiderte: „Deine Worte sind falsch. Old Shatterhand spricht mit gespaltener Zunge, wie eine Schlange! Du weißt, dass du den Apatschenhäuptling niemals dazu bringen wirst, ein seit Generationen gehütetes Geheimnis zu verraten! Zudem er...“ Wieder fiel ich ihm ins Wort. „Woher willst du das wissen? Willst du etwa ernsthaft behaupten, dass du Winnetou ebenso gut kennst wie ich? Ich sage dir im vollem Ernste, er vertraut mir mehr als jedem anderen, dass hast du heute morgen doch selber gesagt! Eure einzige Chance, an das Gold zu kommen, besteht darin, ihn am Leben zu lassen und nicht mehr weiter zu martern!“ Jetzt lachte der Kiowa laut auf: „Old Shatterhand hat wohl nicht zugehört heute morgen? Die Kröte namens Winnetou ist nicht mehr zu retten, er stirbt, daran kannst auch du nichts mehr ändern! Du willst mit deinen Lügen nur erreichen, dass man dir die Hände freigibt – angeblich, um Winnetou zu helfen, in Wirklichkeit aber nur, um Gegenwehr zu leisten!“ Er verpasste meinem Freund noch einen weiteren Fußtritt, ging dann hinaus und ließ mich in einer solch rasenden Wut zurück, dass es fast schon schmerzte. Vor dem Zelt wurde es plötzlich laut. Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde dort lauthals gestritten, und diesmal konnte ich die Stimmen eindeutig dem Kiowa-Häuptling und Wayne Thomson zuordnen. Sie gaben sich keinerlei Mühe, leise zu sprechen, so erregt waren beide. Angespannt lauschte ich eine Weile, und nach ein paar Minuten war mir nicht nur der Grund des Streites zwischen dem Weißen und dem Roten klar geworden. Beide kannten sich offenbar schon länger und bildeten seither eine Art Zweckbündnis. Thomson hatte in dieser Zeit den Kiowas mehrere Siedlertrecks zum Ausrauben in die Hände geliefert und sie nebenbei auch mit Feuerwasser versorgt. Dafür konnte er jederzeit auf den Schutz des Stammes hoffen, wenn er mal wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Außerdem standen ihm immer so viele Krieger zur Verfügung, wie er für seine Raubzüge und seine gesetzeswidrigen Geschäfte benötigte. Als er jetzt durch Zufall auf die Goldsucher gestoßen war, hatte er sich wieder der Krieger Motawatehs bedient, um diese zu überfallen und das Leder zu stehlen, auf dem der Fundort des Goldes vermerkt war. Der Überfall war, wie wir ja wussten, misslungen, da die Kiowas statt auf die Digger auf uns gestoßen waren und wir sie auch mit der Hilfe von dem vorher zufällig hinzugekommenen Sam Hawkens in die Flucht schlagen konnten. Für Thomson gab es nun keine Möglichkeit mehr, die Goldsucher vor ihrem Eintreffen in Farmington, wo sie auf uns warten wollten, zu ergreifen, und so hatte er sich auf die einzige Chance konzentriert, die er noch hatte, um an sein Gold zu kommen, und das war Winnetou. Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, wie schwierig es sein würde, aus uns das Geheimnis herauszupressen und hatte deswegen zunehmend die Nerven verloren. Im Moment stritt er sich mit Motawateh um das weitere Vorgehen. Der Kiowahäuptling wollte auf keinen Fall meine Fesseln lösen, damit ich Winnetou helfen konnte, da er sowieso nicht daran glaubte, dass dieser sein Geheimnis verraten würde, auch mir nicht. Insgeheim stimmte ich mit ihm da völlig überein, aber Thomson sah das anders und drohte Motawateh, ihm in Zukunft sämtlichen Alkohol vorzuenthalten, sollte dieser nicht alles Menschenmögliche tun, um doch noch an das Gold heranzukommen. Der Streit währte mittlerweile schon ein paar Minuten, doch jetzt entfernten sich die lauten Stimmen langsam, so dass mir wieder leisere Geräusche ans Ohr dringen konnten. Eines davon war ein unterdrücktes Stöhnen, welches zweifellos von Emery stammte, dessen Kopf sich jetzt auch zu bewegen begann. Sofort rief ich ihn an, und nach einigen Schwierigkeiten gelang es ihm dann auch, langsam den Kopf zu heben und mich anzusehen, wobei sein Blick noch etwas verschwommen wirkte. Kurz darauf hatte er aber wieder alle fünf Sinne beieinander. Er schüttelte sich kurz, als ob er den letzten Schwindel vertreiben wollte und war dann wieder voll aufnahmefähig. Er konnte sich auch an alles bis dahin Geschehene erinnern, was sich unter anderem dadurch zeigte, dass er sich wieder in lauten Flüchen erging und unseren Gegnern die schlimmsten Konsequenzen androhte, sollte er jemals wieder die Hände frei bekommen. Wir erzählten dem Engländer kurz, was während seiner Besinnungslosigkeit geschehen war, und als er von den Misshandlungen gegenüber Winnetou erfuhr, bebte sein ganzer Körper vor ohnmächtiger Wut: „Wartet nur, bis ich die Kerle in die Finger bekommen“, zischte er. „Ich werde sie wie Würmer zerquetschen!“ Gerade wollte er uns in aller Ausführlichkeit unterbreiten, was er mit den Verbrechern im Falle unserer Freiheit zu tun gedachte, da wurde wieder einmal das Fell vor dem Zelteingang zurückgeschlagen und Wayne Thromson trat ein. Er beachtete Emery gar nicht, aus dessen Augen wahre Blitze schossen, sondern kam direkt auf mich zu. Ohne Umschweife begann er: „Motawateh erlaubt nicht, dass ich Euch auch nur eine Hand freigebe, damit Ihr Euch um die Rothaut hier kümmern könntet. Er ist der Meinung, dass Ihr daraus sofort eine Fluchtmöglichkeit herleiten würdet. Lächerlich! Selbst wenn ich Euch sämtliche Stricke abnehmen würde, kämt Ihr hier nicht raus!“ Ich sah ihn nur unverwandt an, zeigte sonst keine Reaktion. Fieberhaft suchte ich im Stillen nach einer Möglichkeit, den Kerl doch noch dazu zu bringen, mir die Fesseln abzunehmen. Thomson fuhr fort: „Der Häuptling ist übrigens fest davon überzeugt, dass Euer Indianer hier nicht mehr lange leben wird. Er wurde, wie Ihr seht, von einem Thomahawk an der Stirn getroffen, und dieser Hieb war so heftig, was zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht beabsichtigt war, dass er sofort bewusstlos zusammenbrach. Seitdem wird sein Puls immer schwächer. Motawateh hat seinen fähigsten Medizinmann zu Rate gezogen, und der hat ihm Winnetous baldigen Tod vorausgesagt, ohne dass er nochmal zu sich kommen wird.“ Wider Erwarten begann der Schurke jetzt lauthals zu lachen: „Das Gesicht des Häuptlings hättet Ihr mal sehen sollen! Er hatte sich seine blutige Rache an dem Apatschen in den prächtigsten Farben ausgemalt, wollte diesen vor Schmerzen brüllen sehen und jetzt hat er sich selber dieser Möglichkeit beraubt, hahahaha!“ Der Kerl schlug sich doch tatsächlich vor Lachen auf die Schenkel, und mich fröstelte innerlich angesichts der Gottlosigkeit des Verbrechers. Dieser erzählte unaufgefordert weiter: „Na ja, der Krieger, der mit dem Thomahawk zugeschlagen hatte, ist dem Apatschen jetzt schon mal in die ewigen Jagdgründe vorausgegangen, denn Motawateh hatte seine Wut an ihm ausgelassen, nachdem der rote Hund hier dafür bedauerlicherweise nicht mehr zur Verfügung stand!“ Wieder lachte Thomson lauthals los, und in den Gesichtern meiner Gefährten spiegelte sich der gleiche Ekel wieder, den ich auch vor dem Kerl empfand. Jetzt aber schien sich der Bandit wieder daran zu erinnern, warum er mir das alles überhaupt mitteilte. Er sah mich mit einem finsteren und zugleich doch erwartungsvollen Blick an und begann: „Ihr spracht davon, dass der Apatsche auf Euch hören wird und Euch sein Versteck verrät. Ich könnte mir vorstellen, dass sich dieser alberne Medizinmann mit seiner Vorhersage getäuscht hat und Euer Lieblingsindianer vielleicht doch noch mal erwacht.“ Er sah mich jetzt durchdringend an. „Da Ihr Eure Hände nicht benutzen könnt, werde ich sie Euch jetzt ersetzen. Also, was würdet Ihr nun tun, um die Rothaut wieder zur Besinnung zu bringen?“ Einen Augenblick lang starrte ich ihn fast sprachlos an. Glaubte der Kerl ernsthaft, dass ich ihm wirklich erlauben würde, Winnetou auch nur zu berühren? In Windeseile ging ich sämtliche Möglichkeiten durch, die mir blieben, nur um feststellen zu müssen, dass ich keine Wahl hatte. Wenn ich mich jetzt weigerte, ihm die gewünschte Auskunft zu erteilen, würde er seine cholerische Wut gnadenlos wieder an meinem Freund auslassen, soviel war sicher. Aber wenn es Thomson tatsächlich gelingen würde, dass der Apatsche wieder zu sich kam – würde ich dadurch nicht Winnetous Qualen nur verlängern? Oder würde sich eher vielleicht doch noch eine Möglichkeit bieten, in der wir einen Fluchtversuch wagen konnten? „Nun? Soll ich Euch Beine machen? Oder soll ich es auf meine Art versuchen, Euren Freund hier aufzuwecken?“ Thomson war schon wieder nahe dran, die Geduld zu verlieren, also erklärte ich ihm schnell, wie er am besten vorzugehen hatte. Es kostete mich allerdings unendlich viel Kraft, ruhig mit anzusehen, wie er seine dreckigen Finger erst an das Handgelenk und dann auf die Brust meines Freundes legte, um die Herzschläge zu zählen. Aber all das war besser als eine Messerspitze! Kurze Zeit später stand für mich fest: Wenn der Schurke sich nicht verzählt hatte, dann war davon auszugehen, dass Winnetous Herz sehr langsam und unregelmäßig schlug, außerdem war es wohl äußerst schwierig gewesen, die einzelnen Pulsschläge überhaupt zu ertasten. Ihm ging es alles andere als gut, und ich konnte mir eigentlich nicht mehr vorstellen, dass er ohne medizinische Hilfe überhaupt wieder zu sich kommen würde. Thomson bestand aber darauf, dass jetzt irgend etwas getan werden musste. Er war besessen von seiner Goldgier und wollte jede noch so kleine Möglichkeit ausschöpfen, um an sein Ziel zu kommen. Also riet ich ihm, meinem Freund mit kaltem Wasser getränkte Tücher so vorsichtig wie möglich auf die Stirn und in den Nacken zu legen, mehr konnten wir beim besten Willen nicht tun. Er folgte meiner Aufforderung, wobei ich mir aber auf die Lippen beißen musste, um nicht laut aufzustöhnen bei dem Anblick, denn sein Tun war alles andere als sanft oder vorsichtig zu nennen. Danach blieb er noch eine Weile abwartend neben uns sitzen, doch der Apatsche rührte sich nicht, und das hatte ich, ehrlich gesagt, angesichts seines schlechten Zustandes auch gar nicht erwartet. Trotzdem erklärte ich dem Banditen, dass er noch etwas Geduld haben müsse, da man manchmal bis zu einer Stunde oder mehr warten müsse, bis sich ein Erfolg einstellen würde. Geduld war aber alles andere als eine Stärke des Schurken, und so erging er sich nochmals in wüsten Beschimpfungen und Beleidigungen, bevor er wütend das Zelt verließ und dabei ankündigte, später wiederzukommen. Zum Glück ließ er seine Wut nicht wieder an Winnetou aus; aber er hatte offensichtlich doch eine leise Hoffnung, dass dieser ihm noch nützlich sein konnte, und diese Hoffnung würde ich weiter schüren, so lange es nur ging. Mittlerweile war der Nachmittag schon angebrochen. Bisher hatte man uns weder Speise noch Trank gereicht, aber ich verspürte auch überhaupt keine Lust darauf; zu sehr hatten meine Sorgen um Winnetou mich in ihren Bann gezogen. Selbst die strammen Fesseln oder die Auswirkungen der Schläge konnten mir in diesem Zustand nichts anhaben, und meinen Gefährten ging es genauso. Außerhalb des Zeltes war kein Geräusch zu hören, aber da wir nicht sicher sein konnten, ob man uns nicht doch heimlich belauschte, unterhielten wir uns nur leise flüsternd. Plötzlich wurde unser Gespräch von einem heftigen Aufatmen, ja, fast schon einem unterdrückten Stöhnen unterbrochen. Ruckartig flogen unsere Köpfe in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und – es war niemand anderes als Winnetou, der sich ganz langsam zu bewegen begann und dabei tief Luft holte! Völlig gebannt beobachtete ich meinen Freund und konnte kaum glauben, was ich da sah. Er begann, nacheinander kurz alle Gliedmaßen, soweit es ging, zu bewegen, hielt die Augen aber noch geschlossen. Dabei registrierte er wohl, dass man ihn gefesselt hatte, und sofort lag er wieder bewegungslos und ließ keinen Ton mehr hören. Ich wusste sofort, warum. Er hatte natürlich bemerkt, dass er gefangen war, und vermutete jetzt, dass seine Bezwinger sich noch in seiner Nähe befanden. Winnetou und ich waren ja schon mehrfach gefangen gewesen und hatten immer wieder festgestellt, dass es sinnvoller ist, so lange wie möglich den Bewusstlosen zu spielen, da man so meistens mehr über die Pläne der Gegner in Erfahrung bringen konnte. Um ihn dahingehend zu beruhigen und ihm meine Anwesenheit mitzuteilen, rief ich ihn leise flüsternd, fast schon hauchend, beim Namen, so dass selbst Emery Schwierigkeiten hatte, mich zu verstehen. Ich aber war in großer Sorge, dass man außerhalb des Zeltes Winnetous Erwachen mitbekam, da ich mir denken konnte, dass man ihn dann wieder den schlimmsten Qualen aussetzen würde. Trotzdem ich so leise gerufen hatte, hörte Winnetou meine Worte und drehte sofort den Kopf in meine Richtung. Jetzt hatte er die Augen geöffnet, konnte mich aber dennoch nicht richtig erkennen, da ihm das Blut aus der Stirnwunde immer wieder in die Augen lief. Zum ersten Mal sah ich jetzt richtig sein Gesicht, und es war ein Anblick zum Gotterbarmen! Mein Freund rief genauso leise zurück: „Scharlih?“, und aus diesem einen geflüsterten Wort war seine ganze Liebe zu mir, seine Freude und gleichzeitig eine unbändige Erleichterung zu hören, die er auch gleich darauf leise und stockend äußerte: „Mein Bruder – Manitou sei Dank, du bist am Leben!“ Offenbar hatte sich während meiner Bewusstlosigkeit bei unserer Gefangennahme etwas ereignet, was Winnetou im Glauben gelassen hatte, dass ich vielleicht getötet worden war. Mir selber traten jetzt die Tränen in die Augen, so unendlich froh war ich, den geliebten Freund bei Bewusstsein zu sehen! Sofort erklärte ich ihm die Lage und betonte nochmals, wie wichtig es jetzt war, dass wir so leise wie möglich waren. Es fiel mir schwer, aber ich musste ihm auch von der Folter ihm gegenüber berichten, damit er die für ihn so gefährliche Situation richtig einschätzen konnte. Während meines Berichtes hoffte ich von ganzem Herzen, dass niemand unserer Feinde hereinkommen würde. Winnetou verstand sofort, vor allem begriff er die seelische Not, in der ich mich befunden hatte und immer noch befand, und tat alles, um mich zu beruhigen. Es war deutlich zu sehen, dass die Martern und der dadurch entstandene Blutverlust ihn sehr geschwächt hatten, und auch wenn er alles daransetzte, um sich seine starken Schmerzen nicht anmerken zu lassen, ich konnte sie in seinen Augen sehen. Es ging ihm überhaupt nicht gut, und bei seinem Anblick war es wirklich ein Wunder zu nennen, dass er überhaupt wieder zu sich gekommen war. Für uns aber, und wahrscheinlich vor allem für mich, täuschte er nun Stärke und fast schon Wohlbefinden vor. Wie gerne, oh wie gerne hätte ich ihn jetzt in meine Arme genommen, um ihm Trost und Halt zu spenden! Es war einfach zum Verzweifeln! Während er meinem leise geflüsterten Bericht lauschte, bemerkte ich, dass er seine Hände, die ihm auch auf den Rücken gefesselt waren, ständig hin und her bewegte. Als ich ihn nach dem Grund fragte, antwortete er: „Diese feige Kröte namens Motawateh irrt sich, wenn sie glaubt, uns vollständig in ihrer Hand zu haben. Die Kiowas nahmen an, dass Winnetou nicht mehr erwachen wird und haben ihn deshalb viel zu nachlässig an den Händen gefesselt. Winnetou denkt, dass er nach kurzer Zeit die Fesseln lösen kann!“ Welche Wirkung seine Worte auf uns hatten, kann man sich wohl denken. Zum ersten Mal, seitdem ich am Morgen wieder zu mir gekommen war, tauchte so etwas wie ein Hoffnungsschimmer am dunklen Horizont auf! Trotzdem bat ich den Apatschen voller Sorge: „Ich bitte dich, mein Freund, sei vorsichtig! Du hast so viel Blut verloren, deshalb darfst du dich auf keinen Fall zu sehr anstrengen! Du musst dich wirklich schonen, hörst du?“ Winnetou nickte nur, während er weiterhin unermüdlich an seinen Fesseln zerrte. In der Zwischenzeit begann er uns zu berichten, was seit dem Überfall der Kiowas alles geschehen war. Hosted by Animexx e.V. 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