Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 7: Das Schicksal der Goldsucher (zwei Wochen zuvor) ----------------------------------------------------------- Wieder zwei Wochen zuvor: Wir beendeten in aller Ruhe unser Mahl und danach gab es leider keinen Grund mehr, unseren Aufbruch zu verzögern, so gern ich meinem Blutsbruder auch noch etwas Schonung und Erholung gegönnt hätte. Er selber verspürte allerdings offenbar überhaupt kein Bedürfnis mehr nach Ruhe, sondern war schon auf den Beinen, kaum dass auch der Letzte der Anwesenden die restlichen Bissen heruntergeschlungen hatte. Er erntete dafür einen kritischen Blick des Doktors, der sich ansonsten aber mit Belehrungen zurückhielt; er kannte meinen Winnetou mittlerweile zur Genüge und wusste, dass diesen jetzt nichts mehr halten konnte. Wir packten also alles zusammen, und dann machte sich die ganze Gesellschaft auf zu der neuen Siedlung unserer Auswanderer. Ich freute mich ehrlich auf ein Wiedersehen mit den deutschen Siedlern, die mir in den vergangenen Monaten sehr ans Herz gewachsen waren. Es waren alles rechtschaffene Leute, die sich nicht nur uns Weißen, sondern vor allem auch den Apatschen gegenüber stets freundlich, höflich und zuvorkommend verhalten hatten; niemals hatten sie auf irgendeine Weise ihre Mitmenschen glauben lassen, dass sie sich den Indianern gegenüber als höhergestellte Rasse fühlten, sondern sie hatten diese immer als ihnen ebenbürtig behandelt. Vor allem aber vor Winnetou besaßen sie allergrößte Ehrfurcht und hohen Respekt, denn er hatte ihnen unter Einsatz seines eigenen Lebens das ihrige erhalten, weshalb sie ihm seitdem absolut treu ergeben waren und diese Treue, ja, fast möchte ich sagen, innige Liebe, bewiesen sie ihm, wo immer sie konnten. Auch aus diesem Grund hatte Winnetou ihnen großmütig ein Stück Land auf dem Gebiet der Apatschen geschenkt, was die Siedler seitdem mit wahrem Feuereifer urbar machten, und der Erfolg konnte sich jetzt schon sehen lassen. Aus ihren ersten Ernten hatten sie die Apatschen mit großem Eifer mitversorgt, und dass innige Band der Freundschaft schlang sich seitdem immer enger um beide Volksgruppen. Mittlerweile war es später Nachmittag geworden, und da wir unsere Pferde jetzt ein wenig anstrengten, sollte es wohl möglich sein, kurz nach Einbruch der Dunkelheit an unser Ziel zu gelangen. Unwillkürlich hielt ich mich während des Ritts so nahe wie möglich an Winnetou, um notfalls eingreifen zu können, sollte er wider Erwarten doch noch von einem Schwächeanfall übermannt werden. Innerlich schmunzelnd musste ich feststellen, dass Walter Hendrick offenbar von den gleichen Sorgen geplagt wurde und die ganze Zeit über knapp hinter meinem Freund ritt. Winnetou selbst konnte sich natürlich wieder vollständig in mich hineinfühlen und versuchte, meine Bedenken zu zerstreuen, indem er sich voller Tatendrang zeigte und mit mir über die Ereignisse hinsichtlich der Goldsucher diskutierte. Ihm war wirklich keinerlei Schwäche mehr anzumerken, und so legte sich meine Besorgnis auch allmählich. Trotzdem konnte ich kaum meinen Blick von ihm wenden. Wie er so aufrecht im Sattel saß, jeder Zoll von ihm ein Mann, ein Anführer, ein Wunder an körperlicher, seelischer und geistiger Schönheit und Vollkommenheit - ich konnte nicht anders, als ihn immer wieder liebevoll anzusehen. Ich war so froh und so dankbar, dass es mir vor wenigen Stunden glücklicherweise irgendwie gelungen war, ihn wieder zurück ins Leben zu holen, und verspürte jetzt solche Hochgefühle, an seiner Seite sein zu dürfen, dass mein Herz förmlich überquoll. Irgendwann bemerkte er meine innigen Blicke und sah mich mit seinen wunderschönen dunklen Sternenaugen lange an. Um seine Mundwinkel herum spielte ein leises Lächeln, und dann ergriff er für einen kurzen Moment meine Hand und drückte sie zärtlich. Unsere Herzen, unsere Seelen waren in diesem Augenblick eins, wir waren in unserer grenzenlosen Liebe und unserem Glück vereint. So verlief der weitere Ritt ohne besondere Vorkommnisse, und am späteren Abend erreichten wir schließlich glücklich unser Ziel. Die Siedler waren im Vorfeld schon durch die Väter der Kinder von den Geschehnissen am Pecos informiert worden und hatten unsere Ankunft kaum noch erwarten können, so dass die Begrüßung dementsprechend freudig, herzlich und hochemotional ausfiel. Unter großem Hallo und teils auch unter Tränen wurden Winnetou und ich fast schon von den Pferden gezogen, von allen Seiten schüttelte man uns die Hände oder schloss uns gleich einfach in die Arme. Unterdessen berichteten die uns begleitenden Siedler den daheimgebliebenen Bewohnern noch einmal genauestens von unserer Rettungstat, und die Information über die Tatsache, dass Winnetou dabei fast den Tod gefunden hätte, führte dazu, dass jetzt wirklich niemand mehr an sich halten konnte. Es herrschte ein Durcheinander, welches sich nicht beschreiben lässt! Mein Freund und ich wurden unter Bravo- und Hurra-Rufen regelrecht ins Haus der Schumanns gespült, Hände legten sich auf unsere Schultern, zwangen uns auf die Stühle, setzten uns in Windeseile Getränke und ein reichhaltiges Abendmahl vor und dann bestürmten uns die Auswanderer mit ihren Fragen und Glückwünschen, es wurde gelacht und geweint, alle riefen durcheinander, so dass wir überhaupt nicht zu Wort kamen. Zwischendurch ließ ich meinen Blick in die Runde schweifen, um zu sehen, ob ich ein fremdes Gesicht entdecken konnte, denn natürlich war ich sehr neugierig auf die Goldsucher, die bei den Siedlern Schutz gesucht hatten. Ich konnte aber niemanden erkennen, zu groß war das Gewimmel und Gewühl in der Stube. Nach einer halben Stunde etwa legte sich dann endlich die Aufregung. Irgendwie hatte jeder zwischenzeitlich in dem Raum einen Platz gefunden, der zwar groß, aber nicht unbedingt für fast achtzig Personen ausgelegt war, und ich konnte es Winnetou ansehen, dass er sich in einer solch bedrückenden Enge nicht gerade sehr wohl fühlte. Wir hatten inzwischen fertig gegessen und mussten dennoch alles aufbieten, um uns der vielen Versuche der Damen zu erwehren, die uns immer wieder von neuem auftischen wollten, was uns aber nur leidlich gelang. Irgendwann aber führten die Gespräche dann doch noch zu dem naheliegenden Thema, nämlich auf das der Rettung der Goldsucher, und mit großem Interesse folgten wir dem ausführlichen Bericht der Männer, die mit den flüchtenden Diggern gesprochen hatten. Viel Neues erfuhren wir allerdings nicht mehr, und so fragte ich einen dieser Männer namens Peter Regner: „Master Regner, wo befinden sich die Herrschaften denn im Augenblick? Ich kann sie hier nicht entdecken!“ Er erwiderte: „Das könnt Ihr auch nicht, Mr. Shatterhand, denn die Leute waren sehr erschöpft und haben sich schon vor geraumer Zeit zur Ruhe gelegt. Ich kann sie aber wecken lassen, wenn Ihr es wünscht?“ „Nein, um Himmels Willen, gönnen wir ihnen die Ruhe!“, antwortete ich schnell. „Wir werden ihnen morgen früh noch etwas auf den Zahn fühlen....“ Ich unterbrach mich, weil ich einen Blick von Winnetou aufgefangen hatte, der fast schon sehnsüchtig wirkte. Ich sah ihm an, dass er dem Gedränge und der stickigen Luft hier im Raum am liebsten sofort entfliehen wollte, und da es mir einerseits ebenso erging und ich andererseits immer bestrebt war, alles für sein seelisches und körperliches Wohlbefinden zu tun, was mir möglich war, leitete ich unseren Abschied von der überfürsorglichen Gesellschaft mit folgenden Worten ein: „Ladies und Gentlemen, wir danken Euch von Herzen für den zutiefst freundlichen Empfang und Eurer liebenswerten Gastfreundschaft, aber es ist schon spät, und da ich davon ausgehe, dass wir morgen in aller Frühe aufbrechen werden, um die Gefangenen aus den Händen der Verbrecher zu befreien, möchten der Häuptling und ich uns jetzt lieber schon verabschieden, um uns doch noch ein wenig Schlaf gönnen!“ In vielen Gesichtern spiegelte sich nicht wenig Enttäuschung wieder; die guten Leute hatten sich doch sehr über unsere Anwesenheit gefreut, und vor allem die Ladies hätten Winnetou noch liebend gerne länger in ihrer Nähe gehabt, aber alle zeigten größtes Verständnis für mein Anliegen. Ihnen war die große Gefahr natürlich mehr als bewusst, in der der Apatsche und ich uns befunden hatten, und alle wussten, wieviel Kraft und Mühen uns die vergangenen Ereignisse gekostet hatte. Frau Schumann hatte natürlich schon längst dafür gesorgt, dass uns ein ruhiges Gästezimmer mit einem gemütlichen Bett zur Verfügung gestellt wurde; Emery, der Doktor und die Apatschen dagegen hatten in den anderen Häusern der Siedler ein weiches Nachtlager erhalten. Also zogen wir uns langsam zurück, und ich sage absichtlich langsam, denn noch einmal wurden wir beim Verlassen des Raumes von allen Seiten mit Dank und Lob überschüttet, so dass es recht lange dauerte, bis wir in unserem Zimmer erleichtert aufatmen konnten. Ich schloss schnell die Tür ab, zog dann meinen Freund sofort und ohne Umschweife in meine Arme und drückte ihn dabei eng an mich. Er erwiderte die Umarmung augenblicklich, und so hielten wir uns für einige lange Momente ganz fest; genossen diese kostbaren Sekunden mit allen Sinnen. Leise flüsterte ich ihm ins Ohr: „Ich bin so unendlich froh, dass du überlebt hast, mein Bruder!“ Er antwortete ebenso leise: „Winnetou wird alles tun, was in seiner Macht steht, um dich nicht verlassen zu müssen, Scharlih – aber du musst mir dieses Versprechen ebenfalls geben, ja? Du musst wissen, dass du einfach alles für mich bedeutest!“ Ich nickte nur, stumm vor Rührung und drückte ihn dann kurz noch fester an mich, küsste ihn sanft und konnte nicht verhindern, dass sich in mir schon wieder alles zusammenzog; gleichzeitig spürte ich deutlich, dass es ihm ebenso ging. Etwas widerstrebend lösten wir uns dann aber doch einige Augenblicke später voneinander. Wir hatten das Zimmer zwar ganz für uns allein, ich hatte es auch abgeschlossen, aber drumherum befanden sich einfach zu viele Leute, die vielleicht doch eventuelle Geräusche vernehmen könnten, die wir, und vor allem ich, in unserer Leidenschaft meistens nicht zu verhindern in der Lage waren. Und es war wahrscheinlich auch ganz gut so, dass wir uns jetzt zurückhielten, denn ich war der Meinung, dass Winnetou sich ruhig noch etwas Schonung und Erholung gönnen sollte, zumindest in dieser Nacht noch. Also begaben wir uns schnell zur Ruhe, wobei ich es mir aber nicht nehmen ließ, meinen Freund sofort wieder fest in die Arme zu schließen und diese Stellung beizubehalten, bis wir eingeschlafen waren. Der nächste Morgen erwachte wieder einmal mit einer diesem Land so vertrauten strahlenden Schönheit. Ich schlug die Augen auf, und erneut galt mein erster Gedanke meinem geliebten Blutsbruder - der Schreck des gestrigen Tages saß mir wohl immer noch deutlich in den Knochen. Winnetou schlief noch fest. Er hatte des Nachts zwar ein paar Mal husten müssen, ansonsten schien es ihm aber gut zu gehen. Zärtlich betrachtete ich sein wunderschönes Antlitz, welches im Schlaf einen so sanften, fast schon engelsgleichen Ausdruck aufwies. Ich konnte mich daran gar nicht sattsehen und musste wirklich an mich halten, um ihm nicht einen Kuss auf seine halbvollen, leicht geöffneten Lippen zu drücken. Allerdings konnte ich mich dann doch nicht der Versuchung erwehren, ihm eine Strähne seines samtig-weichen schwarzen Haars aus dem Gesicht zu streichen, woraufhin seine langen, dunklen Wimpern sofort zu flattern begannen und er einen Augenblick später langsam seine Lider öffnete. Ein warmer, liebevoller Blick traf mich, den ich lächelnd erwiderte, und nun konnte ich einfach nicht mehr widerstehen, ich musste diesen herrlichen Menschen küssen. Er schlang seine Arme um meinen Nacken, zog mich noch näher heran und erwiderte innig meine Zärtlichkeiten. Bevor uns unsere Gefühle endgültig übermannen konnten, löste ich mich von meinem Freund und frage ihn leise: „Wie geht es dir, mein Bruder?“ „Es ist alles gut, Scharlih“, antwortete er sanft. „Mein Bruder muss wirklich keine Sorge mehr haben.“ Noch einmal zog er mich liebevoll in seine Arme, dann aber besannen wir uns doch endlich auf unsere kommenden Aufgaben und standen schnell auf. Doch noch bevor wir uns ankleiden konnten, klopfte es. Ich schloss die Tür auf, und herein trat Walter Hendrick, der unbedingt noch einmal einen Blick auf unsere Blessuren und vor allem auf Winnetou werfen wollte, bevor dieser sich wieder in neuerliche Abenteuer und Gefahren stürzte, wie der Doktor halb im Scherz, halb im Ernst bemerkte. Schmunzelnd ließen wir ihn gewähren. Er stellte bei Winnetou noch eine leichte Reizung der Atemwege fest, die aber im Moment keinen Grund zur Besorgnis ergab, solange sich dieser Zustand nicht verschlechterte. Anschließend gingen wir hinunter in die Stube, wo uns ein schmackhaftes und wirklich üppiges Frühstück erwartete. Ich langte herzhaft zu und sah mit Freude, dass auch mein Freund mit großem Appetit aß. So ausgeruht und frisch gestärkt ging es anschließend hinüber zu einem noch nicht ganz fertiggestelltem Gebäude, welches einmal der Saloon werden sollte. Dort befand sich der größte Raum der Siedlung, und dort traf sich heute morgen alles, was zwei Beine hatte, einschließlich der Goldsucher, und auf diese war ich wirklich äußerst gespannt. Als ich die Männer dann zum ersten Mal sah, war ich doch aufs höchste überrascht. Es waren ausnahmslos junge, unerfahrene Gesichter, die uns teils freudig, teils neugierig entgegen sahen. Keiner dieser Leute sah aus, als hätte er jemals die Städte des Ostens verlassen. Und das sollten Goldsucher sein? Die Digger, denen ich bisher begegnet war, hatten stets verwegene Gesichter, waren mutig bis zur Selbstaufgabe, mit allen Wassern gewaschen und vor allem geschickt im Umgang mit jeglichen Waffen, vor allem mit Schusswaffen. Diese Jünglinge hier wirkten dagegen, als hätten sie in ihrem Leben noch kein Gewehr in den Händen gehalten, geschweige denn daraus geschossen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt gut beritten waren und wenn doch, hatten sie eigentlich schon einmal über längere Zeit im Sattel gesessen? Alles an ihnen sah so neu, so gepflegt aus, besaß aber allen Anschein nach keine gute und vor allem haltbare Qualität. Was wollten diese jungen Männer hier im Westen, wo man abends stets damit rechnen muss, dass man den nächsten Tag nicht erlebt oder überlebt? Jetzt konnte ich mir im übrigen auch genauestens vorstellen, wie diese augenscheinlichen Neulinge vor den Banditen Hals über Kopf Reißaus genommen hatten. Ich brauchte Winnetou gar nicht anzusehen, um zu bemerken, dass er genau den gleichen Eindruck von der kleinen Gruppe gewonnen hatte. Trotzdem begrüßte er die Jünglinge auf seine ruhige, höfliche Weise, und ich tat es ihm nach. Es war gut zu sehen, dass nicht mehr viel fehlte, und einige der Burschen wären fast vor uns auf die Knie gegangen, solch eine Ehrfurcht empfanden sie wohl. Vor allem Winnetou schien einen unglaublichen Eindruck auf sie zu machen, denn bei ein oder zwei der Leute zitterten sogar leicht die Hände, als sie sie ihm zum Gruß reichten. Über das schöne Gesicht meines Freundes flog ein leises Lächeln, und spätestens damit hatte er all ihre Herzen im Sturm erobert. Wir setzten uns mit Schumann, Emery, Entschah-koh sowie Tsain-tonkee an einen etwas abgelegenen Tisch, um erst einmal in Ruhe die Geschichte der jungen Digger zu hören, damit wir uns einen Plan zurechtlegen konnten. Zuerst berichteten sie uns nochmals über den Moment ihrer Gefangennahme und der anschließenden ziemlich chaotischen Befreiung samt überstürzter Flucht, und danach bekamen wir den wahren Grund ihres Aufenthalts im für sie so unbekannten und dadurch gefährlichen Westen zu hören, der uns auch wirklich zu Herzen ging. Die insgesamt zehn jungen Männer, von denen sich im Moment zwei in Gefangenschaft der Schurken um den Geier Wayne befanden, waren allesamt miteinander verwandt; es waren teils Brüder, teils Cousins, teils waren sie miteinander verschwägert. Sie alle bildeten die männliche Seite einer großen Familie, deren Mittelpunkt der Urgroßvater William Butterfield darstellte. Die gesamte Familie war zwar sehr arm, aber es waren alles rechtschaffene und fleißige Leute, die sich liebevoll umsorgten und stets füreinander da waren. Vor einigen Wochen nun war ein großes Unheil über diese Familie hereingebrochen. Ein Enkel dieses William Butterfield hatte insgesamt sieben Kinder, alle noch sehr jung an Jahren. Eines der Kinder hatte sich spätabends mit einer Kerze in den am Haus angrenzenden Stall geschlichen, weil es nochmals einen Blick auf ein neugeborenes Kalb werfen wollte, welches erst ein paar Stunden zuvor das Licht der Welt erblickt hatte. Unglücklicherweise wurde der etwa fünf Jahre alte Junge dabei von dem Kälbchen heftig angestubst, so dass ihm die Kerze aus der Hand fiel. Sie landete im Stroh, welches im Nu Feuer fing, dass sich rasend schnell ausbreitete. Der kleine Junge konnte sich im letzten Moment noch zu seinen Eltern retten, aber da brannte der Stall auch schon lichterloh und das Feuer begann jetzt auf das Wohnhaus überzugreifen. Den Eltern gelang es gerade noch eben in größter Not, alle Kinder vor den höllischen Flammen in Sicherheit zu bringen, zu einem Löschversuch allerdings blieb dabei überhaupt keine Zeit mehr und dieser wäre höchstwahrscheinlich auch vergebens gewesen. So kam es,wie es kommen musste, das Wohnhaus mit allen angrenzenden Stallungen und Wirtschaftsgebäuden wurde völlig zerstört und damit auch die Lebensgrundlage der Familie zunichte gemacht. Zu all dem Übel kam hinzu, dass die Mutter der sieben Kinder aufgrund des Schocks und der mühsamen Rettung der Kinder, wobei sie bis an ihre körperlichen Grenzen und wohl auch darüber hinaus gegangen war, wenige Tage nach dem tragischen Unglück ernsthaft erkrankte und es im Augenblick kaum Hoffnung auf Heilung gab, so dass sie nicht in der Lage war, für ihre Kinder zu sorgen. Somit hatte die Familie ein schwerkranke Mutter, sieben kleine Kinder und einen völlig niedergeschlagenen Vater, der im Moment überhaupt keinen Ausweg mehr sah, zu verkraften, noch dazu war ihr Heim bis auf die Grundmauern zerstört worden. Seitdem hatten die Kinder und die Eltern Unterschlupf bei ihren Verwandten gefunden, wodurch sie aber voneinander getrennt worden waren, da keiner in der Lage war, diese Großfamilie gemeinsam unterzubringen. Niemand wusste im Augenblick, wie es weitergehen sollte, da die anderen Familienmitglieder kaum sich selbst ernähren konnten und jetzt noch diese zusätzliche Last aufgebürdet bekommen hatten. Den hochbetagten Urgroßvater hatte dieser entsetzliche Schicksalsschlag seiner Familie sehr betroffen gemacht. Dann aber erinnerte er sich an ein Geschenk eines Indianers, dem er in jungen Jahren einmal das Leben gerettet hatte und der ihm daraufhin ein Stück Leder vermacht hatte, auf dem angeblich der Fundort einer Goldader, also einer sogenannten Bonanza, verzeichnet sein sollte. Das Familienoberhaupt hatte diesen vermeintlichen Schatz immer für ein Ammenmärchen gehalten; er konnte sich nämlich nicht vorstellen, dass eine einfache Rothaut im Besitz solcher Reichtümer gewesen sein sollte. Jetzt aber, wo ein großer Teil seiner Familie in größter Not lebte, besann er sich wieder auf diese sagenhafte Karte, rief die männlichen Mitglieder zu einem Familienrat zusammen und besprach die Angelegenheit ausführlich mit ihnen. Die jungen Leute waren sogleich im hohen Grade begeistert von der Aussicht, mit Hilfe des Goldes dem Elend ein Ende zu bereiten und allen eine sorgenfreie Zukunft ermöglichen zu können. Obwohl der Urgroßvater immer noch voller Skepsis war, was den Wahrheitsgehalt des Schatzes betraf, wurde er von allen anderen überstimmt und man begann ohne Umschweife mit den Vorbereitungen zu dieser waghalsigen und gefährlichen Reise, deren Risiken die im Westen völlig unerfahrenen Männer überhaupt nicht einschätzen konnten. Die gesamte Familie legte ihre wenigen Ersparnisse zusammen und verkaufte alles von ihrem Hab und Gut, was sie irgendwie entbehren konnte, um eine geeignete Ausrüstung für die angehenden Goldsucher zu besorgen, waren aber dann durch ihre Gutgläubigkeit und Unwissenheit dabei ordentlich übers Ohr gehauen worden, wie ich später feststellen musste. So waren die Schusswaffen zwar ganz hübsch anzusehen, aber relativ wertlos, das Pulver bestand nur zur Hälfte aus den dafür vorgesehenen Bestandteilen, der Rest war aus Kohlenstaub und anderem wertlosen Zeugs hinzugemischt worden, und ihre Trapper-Bekleidung hatte nicht einmal den ersten Regenguss überdauert; sie ging teilweise schon aus den Nähten. Die ersten fünf Tagesreisen hatte die Gruppe dann auch mehr recht als schlecht überstanden und dabei wohl auch mehr Glück als Verstand gehabt, dass sie bis dahin noch keinem feindlichen Indianerstamm in die Arme gelaufen war. Die Gefangennahme durch die Banditen hatte sie jetzt zudem noch völlig verschreckt - die Männer wirkten im Augenblick äußerst konfus und waren nicht in der Lage, rational zu handeln oder auch nur einen halbwegs logischen und durchführbaren Plan zu entwickeln. Am liebsten hätte ich die jungen Menschen postwendend wieder nach Hause geschickt, denn in dieser menschenfeindlichen Wildnis hier mit all ihren versteckten Gefahren waren sie unrettbar verloren; es war fast schon ein Wunder zu nennen, dass sie es überhaupt bis hierher geschafft hatten! Aber die Geschichte dieser von solch einem großen Unglück heimgesuchten Familie rührte mich doch sehr an. Den Männern hier vor mir war anzusehen, dass sie alle das Herz auf dem rechten Fleck trugen. Es waren fleißige, ehrliche und gottesfürchtige Menschen, das hatte ich schon aus diesen ersten Gesprächen mit ihnen heraushören können, und sie verdienten es, dass man ihnen Hilfe zuteil werden ließ. Aber wie sollte die nur aussehen? Mit den jungen Leuten war beileibe kein Staat zu machen, sie würden jedem Unternehmen nur hinderlich werden und durch ihre Unerfahrenheit die möglichen Gefahren wahrscheinlich sogar heraufbeschwören. Ich brauchte nur einen Blick auf meinen Winnetou zu werfen, um zu sehen, dass er sich mit genau den gleichen Gedanken trug. Sein Herz war voll des Mitleids für die vor ihm sitzenden Jünglinge, ich sah es in seinen Augen, die mit Wärme und Zuneigung auf ihnen ruhten. Jetzt sah er mich an, und beide teilten wir denselben unausgesprochenen Gedanken. Wir würden helfen, wie, das würde sich noch finden. Im Augenblick aber stand die Rettung der beiden gefangenen Goldsucher im Vordergrund. Dank Emery und Tsain-tonkee wussten wir genau, wo die Verbrecher lagerten; und in der Art und Weise, wie sie ihren Lagerplatz aufgebaut hatten, hatte Emery erkennen können, dass sie dort wahrscheinlich mehr als zwei Tage verbringen wollten – genug Zeit für uns, so dass wir uns diesem Ort vorsichtig nähern und ihn auskundschaften konnten, bevor wir zur Tat schritten. Die Schurken lagerten etwa vier Stunden nordwestlich von der Siedlung entfernt. Winnetou und ich berieten uns kurz mit Emery und Entschah-koh und beschlossen dann, ungefähr zur Mittagszeit aufzubrechen, damit wir am späteren Nachmittag einen in der Nähe liegenden Berg erreichen würden, der mit zahlreichen großen Felsen sowie vielen Bäumen besetzt war; also ein idealer Platz, der uns und den Pferden als Versteck dienen sollte. Im letzten Tageslicht wollten wir dann die Lagerstätte der Verbrecher genauestens ausspionieren, um anschließend im Schutz der Dunkelheit eine wie auch immer geartete Befreiungsaktion zu beginnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)