Kiss me hard before you go von Karo_del_Green ================================================================================ Kapitel 35: Falscher Tango auf dem Asphalt ------------------------------------------ Kapitel 35 Falscher Tango auf dem Asphalt „Nein, nein, nein, nein, nein... hey Luka, warte gefälligst...“, rufe ich aufgebracht durch das Treppenhaus und schaffe es aus unerfindlichen Gründen, den anderen Mann einzuholen, ehe er die Wohnungstür erreicht. Scheinbar ist mein Vermögen Treppen rauf zu sprinten weniger beeinträchtigt, als das gleiche Prozedere abwärts oder Luka hat getrödelt. Mein hektischer Atem und der Schmerz in meinen Lungenflügeln widersprechen vehement und der Drehwurm in meinem Kopf spricht plötzlich spanisch. Olá. Ich greife nach Lukas Arm und ziehe ihn zurück, noch bevor sein Finger den Klingelknopf erreicht. Das Lächeln in seinem Gesicht ist nicht mehr ganz so entspannt wie zuvor, als er sich mir zuwendet und dazu noch leise seufzt, so als würde ich mich unmöglich verhalten. Ein guter Gastgeber bin ich wirklich nicht, aber er sollte nicht hier sein und das hätte er wissen müssen. Da ich noch auf der Treppe stehe, bin ich wesentlich kleiner als er und dadurch schaut Luka leicht auf mich hinab. Plötzlich fühlt es sich an, als fehlte mir der Mut, ihn weiter mit meinem Groll zu konfrontieren. Lukas Blick ist forsch und wechselt schnell zu amüsiert, als er über das Klingelschild flackert. Er hat meinen Namen darauf erkannt. Der andere Mann ist also wirklich nicht hier, um mich zu ärgern. Er hat es nicht gewusst. „Sieh mal an. Nun weiß ich endlich, wo du wohnst, Eco-Boy und zu deiner Information, ich bin nur hier, um ein bisschen Spaß zu haben, was nicht impliziert, dass dieser Spaß dich beinhaltet. Ihr und euer verqueres Was-auch-immer interessieren mich herzlich wenig“, wiederholt er und zieht ein paar Kreise über unsere Köpfe hinweg. Es wirkt resolut und doch glaube ich ihm kein Wort. Dennoch bin ich mir in diesem Augenblick nicht sicher, ob ich vor Scham im Boden versinken oder vor Wut an die Decke gehen soll. Dank der Schwerkraft bleibe ich an Ort und Stelle. „Sicher“, raunt es hinter mir. Natürlich muss sich auch Antony einmischen. „Du hast deine Nase ja noch nie in die Angelegenheiten anderer Leute gesteckt.“ Jedes seiner Worte ist spottend und schnippisch. Ich lasse seufzend den Kopf sinken. Eigentlich sollte es ein schöner und lustiger Abend werden. Er hat auch so gut angefangen. Und jetzt? Es ist frustrierend und anstrengend. Antony schiebt mich zur Seite, um dem blonden Mann entgegen zu treten. Ich merke sofort, wie sich die Luft um uns herum weiter auflädt und das ist kein gutes Zeichen. „Tja, wenn ich es nicht mache, macht es jemand anderes.“ „Na klar, da ist auch gar kein Eigennutz bei“, erwidert Antony und sein Blick flackert kurz zu mir, als er es sagt. Auch Luca schaut zu mir. „Wenigstens war ich zu jeder Zeit ehrlich zu ihm, kannst du das auch behaupten Herr Dozent?“, kontert Luca und kommt Antony etwas entgegen, jedoch ohne eine Stufe zu ihm runterzugehen, sodass er immer noch über ihm steht. „Von wegen.“ „Von wegen was? Ich habe ihm immerhin nicht verheimlicht, dass ich einen absurden, verrückten Ex habe, der mir regelmäßig auflauert.“ Luka hat nicht unrecht, aber trotzdem geht es ihn nichts an. Es fühlt sich an, als befände ich mich in meinem schlechten Film. Er begann am Anfang des Semesters und scheint nun seinen Höhepunkt zu erreichen. „Ich habe keine Ahnung, woher du dir das Recht herausnimmst, dich einzumischen.“ Nun ist es Antony, der eine Stufe nach oben nimmt, sodass er dem angehenden Journalisten näherkommt. Luka lässt ein abschätziges Schnauben hören und beugt sich seinerseits dem Portugiesen entgegen. „Du bist das allerletzte, weißt du das? Wie kannst du das nur zulassen und ihn dieser Gefahr aussetzen.“ Er stößt Antony seine flache Hand gegen seine Schulter. Nicht so stark, dass der Portugiese ins Wanken gerät, aber so heftig, dass er einen Schritt auf der Treppe nach unten machen muss. „Du bist ein elender Heuchler, Rochas“ „Hey, Luka, lass das bitte...“, flehe ich. Die Anspannung in der Luft lässt meine Glieder kribbeln und in keiner guten Art. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll und wenn wir jetzt auch noch den Notarzt rufen müssen, weil sich die beiden auf der Treppe prügeln, wäre es eine Katastrophe. Luka dreht sich augenblicklich zu mir und die Wut in seinem Gesicht lässt mich erzittern. „Hör auf, ihn in Schutz zu nehmen!“, fährt er mich an, „Schnallst du es nicht oder willst du es einfach nicht sehen? Ben, das ist kein Spaß mehr und er macht nichts dagegen. Er sieht nur dabei zu.“ „Was ist denn hier los?“ Eine bekannte Stimme echot durch den Treppenflur und lässt alle verstummen. „Ist das so eine Treppenparty? Die kommen wohl nie aus der Mode“, witzelt sie weiter. Als ich mich umdrehe, erkenne ich Anni, die hinter Antony auf der Treppe aufgetaucht ist und an ihrem Gesicht sehe ich, dass ihr die prekäre Mischung der Anwesenden durchaus aufgefallen ist. Sie schenkt mir einen vielsagenden Blick, der mehr aufgeregtes Mitleid bekundet als Beistand. Deswegen auch ihr schlechter Versuch eines Witzes. Mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken und ich verspüre das dringende Bedürfnis, der Szenerie zu entkommen. Nur wo sollte ich hinlaufen? Mein Zimmer befindet sich im Zentrum des Partykraters und der Weg nach draußen ist versperrt. Es würde auch nichts bringen. Weglaufen ist niemals die Lösung, das haben mir die wiederholten Male in meiner Vergangenheit deutlich aufgezeigt. „Also?“ Weil niemand etwas sagt, ist es erneut Anni, die mit übertrieben heller Stimme ein Echo im Flur erzeugt. „Ich brauche frische Luft“, erklärt Antony und macht auf dem Absatz kehrt. „Antony…“, rufe ich ihm hinterher und rühre mich aber erst, als sein Haarschopf nicht mehr zu erkennen ist. „Verdammt… sag nichts…“, mahne ich den Journalisten an, da ich kurz vorher höre, wie er auffällig laut Luft holt. Ich schaue ihn streng an und ersticke damit alles weitere im Keim. Luka hebt abwehrend die Hände in die Luft und betätigt die Klingel, was ich geschehen lasse. Besser da drin, als in Antonys Nähe. Ich schaue zu Anni und schüttele den Kopf, als sie erneut mimisch versucht zu erfragen, was genau gerade passiert ist. Ich habe weder die Nerven noch die Zeit, ihr alles zu erklären. Es ist zu kompliziert und ich begreife es selbst noch nicht. Ich will nur eins, zu Antony. Anni nickt und folgt dem blonden Journalisten in die Wohnung. Danach mache auch ich mich auf den Weg nach unten, in der Hoffnung, dass Antony nicht abgehauen ist. Ich finde den Portugiesen ein paar Meter von der Haustür entfernt. Auf und abgehend. Gehetzt. Auch ich fühle eine Unruhe, die sich bei mir jedoch aus den Befürchtungen nährt, dass mich mein geliebter Dozent wieder vertrösten könnte, dass er mich erneut ausklammert. So, wie er es bereits mehrere Mal getan hat. Dennoch atme ich erleichtert aus und schreite auf ihn zu. Er ist noch hier, das ist gerade das Wichtige für mich. Ich will keine unausgesprochenen Dinge mehr zwischen uns stehen sehen. Antony bemerkt mich nicht sofort, denn er ist tief in seinen eigenen Gedanken gefangen. Er erschreckt sich, als ich nach dem Saum seiner geöffneten Jacke greife und verhindere, dass er sich weiter fortbewegt. Seine Hand fasst nach meiner und die Berührung unserer Finger erzeugt einen kleinen Strudel aus Schmetterlingen in meinen Inneren. „Hey“, flüstere ich ihm entgegen, kann nicht verhindern, dass meine Stimme am Ende etwas hüpft. Wie ein Schluckauf vor Nervosität. „Hey“, echot er ruhig. „Ich wusste nicht, dass er kommen würde“, presche ich hervor, ehe er zu etwas anderem ansetzen kann. Die Rechtfertigung folgt wie ein Reflex. Ebenso wenig wie ich wusste, dass Antony herkommen würde. Nichts von beidem lag in meiner Hand und doch musste beides scheinbar so kommen. „Das weiß ich“, sagt er knapp und schweigt erneut. Luka macht, was er will und das wissen wir beide, dennoch habe ich das Gefühl, dass Antony mir die Schuld dafür gibt, dass er hier aufgetaucht ist. Ich weiß nicht mal warum. Es ist ein nagendes Gefühl in meinen Knochen, in meinem Schädel und tief in meinen Gedärmen. „Hör nicht auf das, was er sagt… Er will nur provozieren und dich verletzten“, fahre ich unsicher fort. „Ben, bitte. Du musst ihn nicht entschuldigen und ihn auch nicht erklären. Ich bin mir seiner Methoden durchaus bewusst, denn ich kenne ihn wesentlich länger als du. Es ist nur…“ „Er hätte es trotzdem nicht sagen dürfen“, werfe ich dazwischen. Antony schnaubt und schüttelt den Kopf. „Selbst wenn… er hat Recht“, setzt er seine vorangegangenen Worte fort und lässt mich augenblicklich verstummen, „So ungern ich es zu gebe. Er hat Recht. Mateo ist gefährlich. Er ist ein Pulverfass und ich lasse zu, dass du der bevorstehenden Explosion zu Nahe kommst. Das ist nicht richtig.“ Der Ernst in diesen Worten lässt mich erschaudern und obwohl ich die Wahrheit darin erkenne, schüttele ich den Kopf, weil ich es dennoch nicht wahrhaben will. „Ich weiß nicht, was ich machen soll, Ben. Ich weiß nicht, wie ich es verhindern kann“, gesteht Antony flüsternd. Er schafft es nicht, mich dabei anzusehen und allein das erzeugt ein unangenehmes Kitzeln in meiner Brust. „Lass uns zur Polizei gehen, versuch ein Kontaktverbot zu erwirken“, schlage ich vor. „Und was soll das bringen? Es macht ihn nur wütend und provoziert ihn weitaus mehr, als nötig.“ „Aber du kannst nicht ewig so tun, als wäre es okay, was er macht und dass er in der Uni auftaucht oder bei dir zu Hause. Hast du eine bessere Idee?“ „Nein, ich…“ Er unterbricht seinen Ausbruch selbst und holt tief Luft ehe er fortfährt. „Okay, also ein Kontaktverbot, gut, dann haut er nach Portugal oder Spanien ab und kommt wieder, sobald es ausgelaufen ist. Die gelten nur sechs Monate lang, Ben.“ „Sechs Monate sind ein Anfang. Er wäre immerhin weg und du müsstest nicht jedes Mal damit rechnen, dass er plötzlich wieder bei dir auftaucht oder bei mir.“ „Es ist doch auch nur das Schöpfen falscher Hoffnung und das kann ebenso böse enden.“ „Aber es ist besser als nichts tun. Du würdest ein Zeichen setzen.“ „Und was bringt das?“ Dieses ewige Vor und Zurück. Hin und her. Wie ein Tanz auf barem Fuß. „Was es bringt? Du zeigst ihm, dass du dir nicht alles gefallen lässt. Du würdest es für uns tun!“, schmettere ich ihm an den Kopf und mir wird erst jetzt bewusst, wie schwer mich seine anhaltende Zurückhaltung trifft. Falsche Hoffnung. Das ist, was er denkt. Ich bin wieder nüchtern. Schlagartig und so desillusioniert, dass es fast schmerzt. Antony sieht mich an, mit diesen atemberaubenden kühlen Iriden. Es spiegelt sich Frustration darin, ebenso Resignation. Alles aufgrund dieser Ungewissheit und der Hilflosigkeit, die uns quasi die Füße fesselt. Alles aufgrund diesen einen Mannes, der Antony nicht loslassen will. Ich bin mir sicher, dass der Portugiese all die Überlegungen selbst schon hunderte Male durchdachte, dass er seine Möglichkeiten und das Für und Wider abwog, wieder und wieder, aber ich weiß nicht, wieso es noch kein Ergebnis brachte. Wieso es nicht schon längst ein Kontaktverbot gab. Wieso er sich nicht traute. Doch, was weiß ich schon. Ich weiß nicht, was ihm wirklich durch den Kopf geht und er ist nicht willig, es mir Preis zugeben. „Ich wünschte es wäre so einfach“, gibt er seufzend von sich. „Aber es könnte einfach sein“, entflieht es mir, bevor ich es wirklich durchdenken oder zurückhalten kann. Bin ich naiv, weil ich hoffe? „Kann es nicht, du versteht nicht, was alles daran hängt“, gibt er energisch zurück. Ich weiß sehr wohl, welche Verbindungen Mateo hat und das auch Antonys Karriere ein Faktor ist, der nicht ausgeschlossen werden darf. Aber steht das wirklich vor der eigenen Sicherheit? „Dann erkläre es mir.“ „Ich will dich aber nicht noch weiter darin verwickeln, verstehst du das nicht?“, begründet er ehrlich und meint es endgültig. Ich will es nicht hören. Ich möchte nicht, dass er mich ausschließt, denn nicht zu wissen, was passiert, ist ein noch wesentlich schlimmeres Gefühl. „Aber ich bin doch schon mittendrin und wenn du sagst, dass du mich nicht weiter mit hineinziehen willst, heißt das, du schließt mich aus und das heißt dass unsere Beziehung nicht weitergeht“, plappere ich laut und aufgebracht all die Gedanken aus, die sich in meinem Kopf tummeln und die mir seit Wochen mein Gemüt beschweren. Ich versuche das Wirrwarr in meinem Kopf halbwegs in Worte zu fassen und doch fühlt es sich an, als könnte ich es nicht richtig machen. Als könnte ich nichts richtig machen. Dieses Gefühl ist mir nicht fremd. Ich fühle es jedes Mal, wenn ich mit meiner Familie zusammentreffe und es schreit nach Unvermögen und Bedeutungslosigkeit. Antonys Blick ist getrübt. „Ben… mach es nicht…“, setzt er an und bricht ab. Stattdessen schließt er seine Augen für einen Moment und es scheint, als würde er meinen Wunsch nach Vertrauen und sein Bestreben ungehört wegsperren. „Ich sollte… Ich muss jetzt fahren. Im Moment treten wir auf der Stelle und… Ich weiß nicht... ich…“, stammelt mein Dozent auffällig und als er nicht die richtigen Worte findet, lächelt er mich unsicher an. Ich wünschte es wäre nicht so. Ich wünschte wir würden noch hier und jetzt eine Lösung finden. Gemeinsam. Doch ein Wunsch bleibt ein Wunsch, ohne den Eifer ihn zu erfüllen. „Du musst nicht, bleib einfach… Antony, bitte bleib hier und lern meine Freunde kennen. Verbring den Abend mit mir“, flehe ich und unternehme einen letzten Versuch, den Abend nicht gen Jordan gehen zu lassen. Es fühlt sich zunehmend danach an, als müsste ich die Welt umrunden, um ihn wiederzusehen. Sollte es nicht einfacher sein? Ich fasse nach seiner Hand, doch er zieht sie weg und mein Herz stottert. So arg, dass es schmerzt. „Es tut mir leid, es wäre keine gute Idee. Schon her zu kommen, war ein Fehler. Ich muss einen klaren Kopf bekommen und über ein paar Dinge nachdenken. Du solltest zurück zur Party. Sei unbeschwert. Genieße es… sie warten sicher schon auf dich.“ Seine Stimme ist sanft und er streckt seine Hand nach mir, streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Ich lehne mich automatisch in die Berührung, sauge sie ihn mich auf, wie ein wüstentrockener Schwamm. Ich folge ihm bis zum Wagen. Ich bin fast überrascht, als er sich noch einmal umdreht, mich in den Arm nimmt und küsst. Es ist nur eine kurze Beruhigung unserer Lippen, die trotz ihrer Sanftheit eine brutale Enttäuschung mit sich bringt. „Ich melde mich morgen. Versprochen“, flüstert er gegen meine Lippen, ehe er sie erneut küsst. Ich nicke und sehe dabei zu, wie er in seinen Wagen steigt. Ich starre noch auf die Stelle, als er längst weggefahren ist. „Sag, wie ist es, einen Feigling zu daten? Macht es Spaß? Bist du glücklich?“, höre ich jemanden hinter mir sagen. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, wer mir diese Pein erfüllten und fast spottenden Fragen stellt. Ich erkenne die Stimme. Ich erkenne den Tonfall im Schlaf. „Was willst du?“, murre ich Luka zu, ohne mich zu ihm umzudrehen und spüre, wie das Herz in meiner Brust so heftig schmerzt, dass ich mich unbewusst ein wenig krümme. „Ich dachte, die brauchst du vielleicht“, sagt er schlicht und hält mir die Jacke hin, die er in der Hand hält. Erst jetzt erkenne ich, dass es meine eigene ist. „Was interessiert es dich?“, murmele ich und sehe dabei zu, wie Luka eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche zieht und mir weiterhin mit der anderen Hand die Jacke hinhält. Ich nehme sie ihm schnell aus der Hand und ziehe sie aus Trotz heraus nicht gleich über. Erst als eine Böe wie ein eiskalter Schatten über uns hinwegfegt, rolle ich mich förmlich in die Klamotte ein. Ich verhindere gerade so, dass meine Zähne klappern und beiße mir stattdessen auf die Unterlippe. „Du hältst mich für ein totales Arschloch, oder?“, fährt er fort. Es ist eine rhetorische Frage, die ich ihm dennoch nur zu gern beantworten möchte. „Bist du das nicht?“ „Es gibt Feinheiten zu beachten…“ „Ach wirklich?“ „Verdammt, Ben, ich weiß, ich bin nicht gerade der Edelmütigste und ja, ich bin ein ziemlicher Arsch, wenn es mir nützt und weil ich nun mal so bin, aber ich bin mit meinen Absichten immer ehrlich und offen. Ich möchte nicht dabei zusehen, wie du in dein Verderben rennst, weil dieser Möchtegernheilige hofft, dass Mateo irgendwann von allein aufgibt. Das wird nämlich nicht passieren“, sagt er und steckt sich, während er monologisiert, einen Glimmstängel zwischen die Lippen, sodass der letzte Teil etwas vernuschelt klingt. Für die bittere Deutlichkeit reicht es dennoch. „Ben, ernsthaft, da draußen rennen so viele hinnehmbare Kerle rum. Wieso er? Was ist es, was dich die Sinne verlieren lässt? Ich meine damit nicht mich, glaub mir, aber du findest doch ohne Probleme jemand, der es wirklich...“ „Der es wert ist? Antony ist es wert“, entgegne ich ohne zu zögern und nehme ihm die Zigarette aus dem Mund. Ich bin zu langsam, denn er klaubt sie sich sofort zurück. „Wow, das ist…“ Luka seufzt. „… wie in einer dieser lächerlichen RomComs aus den 2000er Jahren. Wahrscheinlich war es Liebe auf dem ersten Blick, ist es das, was du mir sagen willst?“ Der Spott trifft mich hart und ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Dabei ist sein Tonfall sogar ruhig und bedacht und ich glaube nicht, dass er mich per se damit verletzen will. Doch so ist es. Ist es lächerlich, daran zu glauben? Es sich zu wünschen? Ist an diese Liebe zu glauben wirklich etwas aus dem vergangenen Jahrhundert? Mein Schweigen liest er als genau das, was es ist. Die stupide Gefühlsansammlung, die seit Anfang des Semesters dafür sorgt, dass ich meinem Dozenten date und mich zwischen Himmel und Hölle wandern lässt, als wäre ich ein bemitleidenswerter Zirkusclown auf dem Trapez. Mein Sicherheitsnetz bekommt langsam Risse und ich bin mir dessen absolut bewusst. Deswegen fehlt mir jegliche Kraft weiter zu argumentieren. „Herrje Ben.“ „Ich nehme ihn nicht in Schutz…“, erkläre ich verspätet den Vorwurf, den er mir bei der Diskussion auf der Treppe machte. „Wie bitte?“ „Ich nehme Antony nicht in Schutz.“, wiederhole ich, „Ich war schockiert und wütend, als ich von all dem erfahren habe. Und verletzt, aber…“ Ich führe den Satz nicht aus, weil ich mir nicht sicher bin, was ich genau sagen möchte. Was genau erklärt, wieso ich danach die Schritte gegangen bin, die mich hierhin brachten. Vielleicht ist unsere Beziehung einzig geborgte Zeit. „Aber was?“, hakt er nach, „Dachtest du dir, dass das schon klappen wird und Mateo schon aufhört, wenn ihm langweilig wird? Er gehört nicht zu der Sorte Mensch, die einfach aufgeben und dein lieber Dozent macht nichts anderes als ständig davor wegzulaufen. Ich habe Mateo damals angezeigt, wusstest du das?“ Ich schüttele den Kopf. Woher auch sollte ich das wissen. „Und weißt du, was Antony gemacht hat?“ Es folgt eine dramatische Pause, so wie man es von jemanden wie Luka erwartet. „Nichts. Seine Aussage lautet wie folgt: Ich kann keine dieser schwerwiegenden Anschuldigung bestätigen.“ Die Wut, die er noch immer empfindet, äußert sich darin, dass die Zigarette in seiner Hand gerade zerbröselt zu Boden segelt. Ich sehe dabei zu, wie trockene Tabakfusseln kurzzeitig in der Luft segeln und das weiße, zarte Papier auf dem feuchten Steinen verschwindet. Diese Dinge über Antony zu hören, treffen mich mehr als gedacht. Ich glaube Luka mehr als ich will und das Gefühl der Enttäuschung, die all das mit sich bringt, breitet sich in mir aus wie unerbittliche Flammen. „Er wollte sicher nicht…“ „Jetzt fängst du doch an, ihn zu verteidigen?“, fährt er mir prompt dazwischen und er hat recht. Ich wollte etwas sagen, um ihm zu entschuldigen. Aus reinem Reflex. Das Wissen darum lässt mich schwer schlucken. Lukas Grinsen ist wissend und weniger überheblich als erwartet. „Hey, Ben“, setzt er an und macht einen Schritt auf mich zu. Ich halte seinen Blick stand und schaue dabei zu, wie er seine Hand nach mit ausstreckt und nach dem Reißverschluss meiner Jacke greift. Er zieht ihn höher, schließt die Jacke sorgsam und richtet meinen Kragen. Seine Hände riechen nach getrocknetem Tabak und einem Desinfektionsmittel mit blumiger Note. „Pass bitte auf dich auf, Eco-Boy. Ich möchte deinen Namen ungern in der Verbrechensseite der Unizeitung lesen.“ „Du bist verdammt dramatisch.“, erwidere ich ruhig. Luka lacht. „Ich weiß, du willst es nicht hören und gewiss ist es meine eigene Meinung, aber du hast etwas Besseres verdient. Jemand, der mit dir zusammen dort oben wäre ohne Ausreden und Zurückhaltung. Das ist alles.“ Diesmal zündet er die Zigarette zwischen seinen Lippen wirklich an. Ich sehe, wie der Tabak glüht, als er einen tiefen Zug nimmt und merke augenblicklich, wie die Haut meiner Arme am Stoff meines Pullovers reibt, obwohl ich mich keinen Millimeter bewege. Ich ertappe mich dabei, wie ich im Rhythmus seiner Züge mitatme und letztendlich den entweichenden Rauch sehnsüchtig hinterher blicke. Luka bietet mir keine Zigarette an, sondern legt seine Hand kurz an meine Wange, wendet sich ab und geht. Ich bleibe einen Moment vor der Wohnungstür stehen, lausche den dumpfen Klängen der Musik und dem mehrstimmigen Gelächter. Es kommt mir unwirklich vor, sogar etwas falsch und ich fühle mich seltsam fehl am Platz. Doch wo sollte ich hin? Mein Zimmer ist da drin. Meine Freunde auch. Aber Antony nicht. Unbeschwert. Genießen. Diese beiden Worte hat Antony verwendet. Sie sind selbsterklärend, klar und logisch und doch wirken sie im Augenblick wie der Teil einer fremden Sprache, dessen Übersetzung wir noch nicht finden konnten. Es gibt noch so viel mehr, was ich nicht entziffern kann. Antony ist ein großer Teil davon. Ich ziehe mit einem übertrieben lauten Seufzen den Schlüssel aus meiner Tasche und schaffe es nicht, ihn ins Schloss zu befördert, da geht schon die Tür. Konrad lächelt mir entgegen und im nächsten Moment taucht hinter ihm auch schon Anni auf. Sie greift nach meiner Hand und zerrt mich zurück in die überfüllte Wohnung. Sie ruft Ricks verdutzten Bruder ein ‚Gleich wieder da‘ zu und befördert mich ins Badezimmer. Hinter uns schließt sie die Tür und schaut mich mit großen, runden Augen an. „Was zur Holle ist hier los?“ „Wenn ich das wüsste“, gestehe ich und merke, wie ich noch im selben Augenblick in mich zusammensinke. Ich lasse mich nach hinten fallen und lehne mich gegen die Tür in eine Ansammlung von Handtüchern, die mit kleinen Haken dort befestigt sind. Ich fahre mir mit beiden Händen über das Gesicht. „Wieso war dein Dozent eigentlich hier?“, fragt meine beste Freundin und greift mir zur Beruhigung an den Ellenbogen. Es hilft. Immerhin ein kleines bisschen. Dennoch entgeht mir nicht, wie sie Antonys Beschäftigung ausspricht. Kühl und leicht bitter. Ich atme mehrfach tief durch und automatisch spielen sich die letzten Stunden vor meinem geistigen Auge ab. Der Tag hat doch gut begonnen. Ich spüre das Echo seiner Berührungen auf meiner Haut und in meinen Blutbahnen simmert das Glück, welches der Morgen und das kleine Intermezzo ausgelöst hat, ehe wir auf Luka trafen. Nichtdestotrotz ist mein einziger Gedanke, dass Antony nicht geblieben ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)