Bis dass der Tod sie scheidet von Lovienna (BBC Sherlock) ================================================================================ Kapitel 6: Die Himmelsboten --------------------------- Noch ehe John den Mund aufmachen konnte, packte Sherlock ihn kurzer Hand am Oberarm und zog ihn in Richtung Straße. „Sh-Sherlock! Was haben Sie denn vor?“ „Wir machen einen Ausflug.“ „Besteht auch nur die geringste Chance, dass Sie mir verraten wohin?“ „Das werden Sie gleich sehen.“ Ungeduldig sah sich Sherlock nach einem Taxi um und John wusste, dass es sinnlos war, weiter nachzuhaken. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie der Detektiv sich einmal flüchtig mit dem Handrücken über seine Stirn fuhr, eine Geste, die nicht nur dem Arzt in ihm Grund zur Besorgnis gab. So begierig er auch war, zu erfahren, welche Erleuchtung seinen Freund da gerade eben bezüglich ihres Falls heimgesucht hatte, das einzig Richtige wäre gewesen, ihn auf der Stelle zurück nach Hause zu schleifen und gnadenlos ans Bett zu fesseln. Doch war es vermutlich einfacher am helllichten Tage in den Buckingham Palace einzubrechen, als Sherlock davon zu überzeugen, die Aufklärung eines Falls auf später zu verschieben, um sein Fieber auszukurieren. Wie auch immer, es war ohnehin zu spät. Auf Sherlocks Winken hin, steuerte ein vorbeifahrendes Taxi den Straßenrand an und noch bevor der Wagen endgültig zum Stehen kam, riss der Detektiv auch schon die Hintertür auf und stieg ein. „Na so‘n Zufall. Das nette Paar von heut‘ Nachmittag!“ Der Fahrer des Taxis, der sich als derselbe entpuppte, der sie heute bereits zum Tatort und danach durch halb London kutschiert hatte, grinste sie durch den Rückspiegel an und entblößte dabei ein paar hübsche Zahnlücken. „Wir sind kein Paar“, entgegnete John, während er die Tür hinter sich zu fallen ließ. „Oh… Versteh‘ schon, sorry. Ich dacht‘ nur, weil Sie vorhin die ganze Zeit so selig mit’m Kopf auf seiner Schulter geschlafen haben.“ Sein Grinsen wurde breiter. „Aber keine Sorge, sowas stört mich nich‘.“ Irritiert hielt John inne. „Moment, was? Wie bitte?“ Kurz sah er geschockt aus, dann lachte er jedoch auf und schüttelte den Kopf. „Unsinn. Nein, tut mir Leid, da müssen Sie uns verwechseln. Ich hab ganz bestimmt nicht-“ Doch als sein Blick an Sherlock hängen blieb, entgleisten seine Gesichtszüge. „…Hab ich doch…?“ „Kenton Avenue, bitte“, überging Sherlock die entsetzte Frage seines Freundes und bestätigte somit Johns Befürchtung. „Kenton Avenue, wird erledigt“, flötete der Taxifahrer fröhlich, während John einfach nur stöhnend in sich zusammensackte. Jetzt war ihm natürlich klar, weshalb ihm der Mann am Steuer vorhin so seltsam zugezwinkert hatte. Er biss sich auf die Unterlippe, als unwillkürlich eben jenes Bild von ihm und Sherlock auf dem Rücksitz des Taxis vor seinem geistigen Auge aufflackerte. Schnell schüttelte er den Gedanken wieder ab. „Hätten Sie mich nicht wecken können?“ „Wieso hätte ich Sie wecken sollen?“ „Weil durch genau solche Situationen diese dummen Missverständnisse entstehen!“ „Der Kumpel von ‘nem Kumpel von mir-“, meldete sich der Fahrer erneut zu Wort. „Der is‘ früher so‘n richtiger Schwerenöter gewesen, wissen Sie? Hat sich mit jeder vergnügt, die nich‘ bei drei auf’m Baum war. Naja, der hat jetz‘ vor kurzem seinen besten Freund geheiratet. Eigentlich lustig, weil es irgendwie jeder vor ihm wusste. Ach, und dann war da noch der Cousin von ‘nem anderen Kumpel von mir, der-“ „Okay, danke, das reicht. Anderes Thema“, fiel im John energisch ins Wort, da er irgendwie ahnte, auf was der Mann hinaus wollte. Schnell wandte er sich an Sherlock, bevor ihr Fahrer die nächste Geschichte über einen Bekannten und dessen Liebesleben auspackte. Die ganze Sache war ihm schon unangenehm genug. „So, können Sie mir jetzt bitte verraten, weshalb wir zu Theodore Marshall fahren? Was hat das für einen Sinn? Er ist doch bestimmt noch bei der Polizei.“ „Wir fahren nicht zu Theodore Marshall. Wir fahren zu Mrs. Adams.“ „Mrs. Adams? Was hat sie damit zu tun?“ „Engel, John.“ „Engel?“ Sherlock seufzte. „Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt. Sie sehen, nehmen aber nicht wahr. Sie müssen dringend daran arbeiten.“ John verdrehte die Augen, doch auch die nächsten Versuche Sherlock eine brauchbare Antwort zu entlocken, blieben erfolglos. Als das Taxi kurze Zeit später in die Kenton Avenue einbog und schließlich vor Mrs. Adams Haus zum Stehen kam, sprang Sherlock ohne Umschweife aus dem Wagen und schritt durch das kleine Holztörchen geradewegs auf die Haustür zu. „Sherlock!“, zischte John, während er dem Taxifahrer durch Handzeichen vermittelte, dass er warten solle. „Sie können doch nicht einfach klingeln, wir haben kurz nach Mitternacht!“ „Sie sehen doch, es brennt noch Licht“, meinte Sherlock und drückte gleichzeitig auf den Klingelknopf. Sofort ertönte die vertraute Melodie des Big Ben, die sich kurz darauf mit eiligen Schritten vermischte, ehe die Tür schwungvoll aufgerissen wurde und sie in das verärgerte Gesicht einer ihnen unbekannten Frau blickten. „Was wollen Sie? Es ist mitten in der Nacht, falls es Ihnen nicht aufgefallen sein sollte!“ „Verzeihen Sie bitte die nächtliche Ruhestörung, wir-“ „Wir wollen zu Mrs. Adams“, unterbrach Sherlock eiskalt Johns Bemühung einer höflichen Erklärung. „Mrs. Adams erwartet keinen Besuch und erst recht nicht um diese Uhrzeit!“ „Wer ist da, Martha?“, hörten sie Mrs. Adams Stimme aus dem Wohnzimmer. „Zwei Männer, die zu Ihnen wollen!“ „Oh! Sag, trägt einer der beiden vielleicht einen langen, dunklen Mantel?“ Die Frau musterte Sherlock mit mürrischer Miene. „Ja!“ „Dann lass sie ruhig rein, Martha, ich kenne die Herren.“ Sherlock schenkte der Dame an der Tür ein kurzes, süffisantes Lächeln und trat anschließend, gefolgt von John, an ihr vorbei in Richtung Wohnzimmer. „Na sowas, heute hatte ich nicht mehr mit einem Besuch von Ihnen gerechnet“, sagte Mrs. Adams lächelnd, als sie den Raum betraten. „Theodore ist leider noch nicht nach Hause gekommen, aber wenn Sie wollen, können Sie gerne noch auf ihn warten. Ich hatte sowieso noch nicht vor schlafen zu gehen und Martha ist sicher so nett uns allen einen Tee aufzusetzen.“ „Wir wollten nicht zu Theodore, Mrs. Adams. Es geht um etwas anderes.“ „Worum geht es denn?“ „Wir würden uns gerne nochmal Ihre Engelsfiguren ansehen.“ „Oh, das freut mich aber, dass sie Ihnen so gut gefallen. Bitte, schauen Sie ruhig.“ Sherlock warf John einen Blick zu, ehe er hinüber zu der Vitrine an der Wand ging, um die kleinen Engelsskulpturen kurzum in Augenschein zu nehmen. John trat an seine Seite und beugte sich ein wenig vor, um es ihm gleichzutun, auch wenn er keine Ahnung hatte, wonach Sherlock eigentlich suchte. „Es ist, wie ich vermutet habe, John“, hörte er seinen Freund neben sich murmeln. „Was?“ „Sehen Sie genauer hin. Die Heiligenscheine.“ John tat wie ihm geheißen. Auf den ersten Blick fand er nichts Ungewöhnliches, doch dann fiel ihm etwas auf. Auf einem der goldenen Heiligenscheine konnte man sehr schwach auf der Innenseite zwei winzig kleine Gravuren erkennen. Die eine war eine Jahreszahl. Seltsamer war jedoch die kaum zu erkennbare Gravur daneben. Es sah aus wie der Anfang eines Namens, bevor der Kopf des Engels den Rest verdeckte. Und plötzlich weiteten sich Johns Augen, als er endlich begriff. „Ringe“, keuchte er. „Die Eheringe der toten Frauen!“ „Elf Engel, elf Ringe, zwölf Opfer. Der Ring unseres letzten Opfers befindet sich wahrscheinlich noch in der Verarbeitung. Immerhin war der letzte Mord erst heute Mittag. Wirklich sehr ärgerlich, dass mir das nicht früher aufgefallen ist.“ John verzog das Gesicht über die Geschmacklosigkeit dieses Machwerks. „Dann ist unser Täter also-“ Sherlock nickte und wandte sich um. „Mrs. Adams, wir müssen dringend wissen, wo sich Ihr Enkel derzeit aufhält. Haben Sie eine Adresse?“ „Charlie?“, fragte sie verwundert. „Nein, er ist sehr viel unterwegs. Manchmal kommt er mich aber besuchen. Und er schickt mir, wie schon gesagt, seit einiger Zeit diese wunderschönen Engel zu. Er hat wirklich Talent, finden Sie nicht auch?“ „Haben Sie ein Bild von ihm?“ „Natürlich. Dort in der Schublade liegen ein paar, die ich noch einrahmen lassen wollte.“ Sherlock zog die oberste Schublade der Kommode neben ihm auf und nahm fünf einzelne Fotos heraus. Auf den ersten vier lachte ihnen ein kleines blondes Kind entgegen, das auf einem Spielplatz im Sandkasten spielte. Auf dem letzten war ein erwachsener Mann zu sehen, der ein wenig steif in die Kamera blickte. John erkannte ihn sofort wieder. „Das ist einer der Barkeeper von der Veranstaltung im Hotel!“ „Sagen Sie, ist alles in Ordnung?“, hörten sie Mrs. Adams ein wenig unsicher fragen. „Hat Charlie irgendetwas angestellt?“ „Etwas angestellt?“ Sherlock tat, als würde er kurz überlegen. „Nein. Nun ja, zumindest nicht, wenn man mal davon absieht, dass er zwölf Frauen kaltblütig erm-“ „-ahnt hat, nicht bei Rot über die Ampel zu laufen", führte John den Satz eilig zu Ende. "Ach wissen Sie, die Frauen haben das irgendwie falsch aufgefasst und… Egal, nur ein Missverständnis. Machen Sie sich bitte keine Gedanken, Mrs. Adams.“ John sah unauffällig zu Sherlock und erntete sogleich einen empörten Was soll das? Sie wird es so oder so erfahren – Blick, den John daraufhin mit einem strengen Aber nicht jetzt und vor allem nicht SO, Sherlock – Blick erwiderte. Sherlock verdrehte leicht die Augen, beließ es aber glücklicherweise dabei. John räusperte sich. „Ich denke, wir werden uns dann mal wieder verabschieden, Mrs. Adams. Es ist ja schon spät“, sagte er und die alte Dame nickte daraufhin lächelnd. „Ich werde Theodore von Ihnen grüßen. Kommen Sie doch irgendwann noch einmal auf eine Tasse Tee vorbei. Lili würde Sie sicher auch gern wiedersehen.“ John bedankte sich höflich und versicherte ihr, dass sie sie bestimmt mal wieder besuchen würden, bevor sie beide von Martha ein wenig lieblos wieder nach draußen gelotst wurden. Seufzend stand John vor der verschlossenen Haustür. „Arme Mrs. Adams. Vielleicht ist es besser für sie, wenn sie es niemals erfährt.“ „Wieso wäre das besser für sie?“ „Wieso? Sherlock, er ist ihr Enkel. Haben Sie nicht bemerkt, wie stolz sie auf ihn ist? Es würde ihr das Herz brechen.“ „Es gibt keinen Grund, stolz auf einen Mörder zu sein.“ „Shhhh“, zischte John und sah besorgt zu dem gekippten Küchenfenster. „Schon gut, vergessen Sie’s“, warf er schnell noch hinterher, da es ohnehin keinen Sinn hatte mit Sherlock ein normales Gespräch über derartige Gefühle einer Großmutter zu ihrem Enkel zu führen. „Und nun? Fahren wir zurück zum Hotel und hoffen darauf, dass Charlie noch da ist?“ „Noch nicht“, erwiderte Sherlock, nahm sein Handy und zog einen kleinen Zettel aus seiner Hosentasche. John hob seine Augenbrauen, als er den Zettel wiedererkannte. „Sie haben ihn behalten?“ „Wie Sie sehen können, habe ich das wohl.“ „Verstehe. Ihre Tanzpartnerin im roten Kleid muss Sie ja sehr beeindruckt haben.“ „Ich weiß nicht, worauf sie hinaus wollen“, sagte Sherlock, während er die Nummer der Frau auf dem Stück Papier in sein Handy eintippte und es sich anschließend ans Ohr hielt. John verschränkte die Arme. „Ich habe Augen im Kopf, Sherlock.“ „Das möchte ich in keinster Weise anzweifeln.“ „Ich meine, Sie hätten genauso gut auf anderem Weg an die Information kommen können und da lassen sie sich einfach so von einer Frau, die nebenbei gesagt auch noch mysteriöserweise große Ähnlichkeit mit einer gewissen anderen Frau-“ „Sie geht nicht ran“, unterbrach ihn Sherlock und versuchte es ein zweites Mal. „Wieso rufen Sie sie überhaupt an?“ „Sie war nicht zum ersten Mal auf dieser Tanzveranstaltung. Sie kannte Theodore Marshall, dann wird sie zweifellos auch das Personal kennen. Mit Sicherheit kann sie uns sagen, wo wir unseren Barkeeper finden können.“ Er wartete eine Weile, probierte es schließlich ein drittes Mal, als wieder niemand abnahm, doch erneut meldete sich lediglich die Mailbox. Sherlock drückte auf „Anruf beenden“ und ließ sein Handy sinken. „Ich denke, ich weiß, wo er ist.“ „Moment. Sie glauben doch nicht, dass- Sherlock!“, rief John, als sein Freund plötzlich loslief. „Sie passt ins Opferprofil, John! Er hat uns beobachtet!“ Der Detektiv stoppte vor ihrem Taxi und drückte dem Fahrer durch das offene Fenster den Zettel in die Hand. „Fahren Sie uns zu dieser Adresse. Möglichst schnell, bitte.“ „Geht klar.“ „John, beeilen Sie sich!“, rief er und seine Lippen verzogen sich zu einem siegessicheren Grinsen. „Wir haben einen Mörder zu fassen.“ ------- Vielen vielen Dank für all eure lieben Kommentare zu den vergangenen Kapiteln! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)