24 Farben der Liebe von Evilsmile (Adventskalender 2015) ================================================================================ 14. Türchen: Blind-Date ----------------------- Anne war aufgeregt. Doppel aufgeregt. Schließlich hatte sie noch nie ein Blind Date gehabt. Alles war möglich. Sicherheitshalber war sie fast eine Stunde vor dem vereinbarten Treffpunkt aufgekreuzt. Sie versuchte ihre Nervosität zu drosseln. Es war noch schlimmer als bei ihrem allerersten Date. Damals, im zarten Alter von Fünfzehn, als ihr Schwarm ein Witz mit kaum drei Barthaaren war. Nun war sie drei Exen weiter und um viele Dates, sogar Speed-Dates, erfahrener, doch immer noch war die Nervosität vorhanden. Mit ihrer geblümten Lieblings-Handtasche ging sie durch den schneebedeckten Park. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen. Dieses Geräusch liebte sie. Die Hände hatte sie vor der Kälte in den Taschen ihres weinroten Mantels versteckt, ein Schnäppchen aus ihrer Lieblingsboutique. Und das Erkennungsmerkmal für Jan. Heute war es ruhig, der höher gelegene Park in der Innenstadt war nahezu verlassen bis auf die Handvoll Kinder, die einen Schneemann bauten. Ein paar Spatzen zankten sich um eine liegen gelassene Brezel. Der Trubel vom Weihnachtsmarkt schallte nicht bis hierher, das verhinderten die Büsche und Bäume. Jan wohnte auch hier in der Stadt. Ob er wohl auch so gern Spaziergänge mochte wie sie? Mit einem Couchpotato konnte sie nämlich überhaupt nichts anfangen. Mithilfe ihres Taschenspiegels zog sie sich die Lippen noch einmal nach. „Anne Müller?“ Ein Mann mit Halbglatze, mittelgroß, unscheinbar in Grau, Schwarz und Brauntöne gekleidet, rief ihren Namen. Anne erschrak fast zu Tode und konnte es gerade noch verhindern, nicht laut aufzuschreien. Sie hatte ihn auf dieser Parkbank überhaupt nicht wahrgenommen und er hatte sie überrascht. Denn wenn sie sich nicht unbeobachtet gefühlt hätte, dann hätte sie niemals ihre Lippen nachgezogen. „J-ja, die bin ich.“ Elegant packte sie ihre Schminkutensilien weg. Das war Jan…? „Tut mir Leid, dass ich Sie erschreckt habe, ich kann nämlich ziemlich unscheinbar sein, wenn ich will. Und das musste ich sein, um sie zu beobachten, und sichergehen, dass Sie die Richtige sind. Bitte setzen Sie sich auf die Bank…“ „Du darfst gerne Anne sagen.“ Er nickte. „Nennen Sie mich Ralf.“ Komische Marotte, ihr einen falschen Namen zu nennen, überlegte sie, als sie sich setzte. Doch angesichts all der Risiken, die das Internet barg, keine allzu schlechte Idee. Sie dagegen hatte ihm leichtsinnig ihren wahren Namen genannt. Zwar ein Allerweltsname, aber zusammen mit ihrem Gesicht doch unverwechselbar. Oder? „Ich bin etwas spät dran. Ich musste noch einen Verfolger abschütteln.“ Anne lachte, sein Humor gefiel ihr. Dann stutzte sie: Hatte sie etwa die Zeiten durcheinander gebracht? Bis jetzt hatte sie angenommen, zu früh dran zu sein, wieso war er dann zu spät? Mit Anfang dreißig ließ es schon nach bei ihr! Diplomatisch lächelnd, versuchte sie sich nichts anmerken zu lassen. In diesem Moment kam ein Herr des Weges, einen weißen Pudel an der Leine. „Wie süß“, sagte Anne. „Magst du Hunde, Ralf? Ich hatte vor Jahren mal einen Dackel. Pluto. Wir hatten eine tolle Zeit, bis er von einem Laster überfahren wurde.“ Ralf starrte sie an und Anne biss sich auf die Lippen. Das war wirklich ein unglücklicher Auftakt für ein Date. „Diese Tasche“, sagte er und deutete mit einem Kopfnicken auf ihre Handtasche. „Schlecht. Zu auffällig. Man wird sie wiedererkennen. Uns.“ „Aber ich mag gern auffällige Accessoires. Diese hier ist ein Unikat, meine Cousine ist Schneiderin und hat sie mir geschenkt.“ Anne krallte mich etwas fester an ihre Tasche. „Ich falle nicht gerne auf.“ „Das sehe ich“, meinte sie trocken. Welchen Frauentyp er wohl bevorzugte? Mausgraue Mauerblümchen? Das war sie mal gewesen. Zum Glück war das lange her. „Was bist du denn von Beruf, Ralf?“ Ralf schnaubte nur und schüttelte den Kopf. Anne bemerkte, dass er selten und nicht lange Blickkontakt hielt. Seine Augen flitzten dauernd irgendwohin, zu diesem Busch oder zu jenem Spaziergänger. Als wäre er paranoid. „In meinem Job macht man sich oft die Hände schmutzig, und vor allem macht man sich nicht viele Freunde.“ „Okay…Bist du etwa bei der kommunalen Verkehrsüberwachung und verteilst den ganzen Tag Knöllchen?“, scherzte sie. „Was soll das werden, Anne?“ „Na – Smalltalk, was tut man denn sonst bei einem Blind-Date?“ „Ha, ha, sehr witzig“, sagte er, „schön wäre es! Anne, Sie sind zwar sehr bezaubernd, aber könnten wir langsam das Geschäftliche ansprechen? Mein Kommen hat mich nämlich einige Überwindung gekostet und war mit sehr vielen Risiken verbunden. Deswegen appelliere ich an Ihre Professionalität.“ Geschäftliches? Professionell? Risiken? Von was bitte sprach er?! Anne klappte der Mund auf und wusste nicht, wie ihr geschah. Ihr Blutdruck schnellte in die Höhe. Das alles hatte einen seltsamen Beigeschmack… Ralf sprach ruhig weiter: „Den USB-Stick habe ich nicht bei mir. Er befindet sich in einem Schließfach im Hauptbahnhof. Sie wissen ja, dass Sie Ihre Quelle schützen müssen, nicht wahr? Nichtsdestotrotz werde ich für eine Weile untertauchen.“ „Was?“ Anne schüttelte ungläubig den Kopf. „Wovon zur Hölle reden Sie?! Wer sind Sie überhaupt?“, fragte sie herausfordernd. Nun bemerkte auch Ralf, dass irgendwas nicht stimmte und rappelte sich auf. Er starrte sie feindselig an. „Diese Frage sollte eher ich stellen! Für eine Enthüllungsjournalistin stellen Sie sich aber reichlich dämlich an!“, erwiderte er gereizt. Enthüllungsjournalistin? „Wer ist Ihr Auftraggeber?“ „Ich weiß nicht, wovon Sie reden!“, erwiderte Anne, und bekam Angst. Das hier anscheinend kein harmloses Date, so viel stand fest. Ralf hatte plötzlich seine Hände an ihrem Mantel und Anne schrie auf. „Nehmen Sie die Finger weg!“ „Ich muss sichergehen, dass Sie nicht bewaffnet sind!“ „Sie spinnen ja wohl!“, schrie sie wütend, und holte ihr Handy, um Gabi anzurufen, die in einem Café in der Nähe wartete und über das Date informiert war. Oder vielleicht sollte sie gleich die Polizei rufen? „Lassen Sie mich in Ruhe! Sie kranke Reporter-Tusse!“, brüllte da ein großer blonder Mann, der an ihnen vorbeirannte, von einer Frau in einem feuerwehrroten Mantel verfolgt. „Sie sind ja total bekloppt!“ „Ich vermute…“, sagte Anne leise, „dass hier eine Verwechslung vorliegt.“ Doch der mysteriöse Ralf war bereits in den Schatten der Bäume verschwunden, genauso unscheinbar, wie er aufgetaucht war. Auf ein Blind-Date würde sie sich nie wieder einlassen, beschloss Anne und ging nach Hause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)