Zeitlose Zerstörung von Varlet ================================================================================ Kapitel 1: Fehler im System --------------------------- Gelangweilt blickte Shuichi Akai aus dem Fenster seines Büros. Der FBI Agent hasste Nachmittage wie diese. Tage, an denen er nichts zu tun hatte. Tage, an denen sich die schwarze Organisation nicht einmal blicken ließ. Dennoch musste er gute Miene zum bösen Spiel machen. Es waren einige Wochen vergangen seitdem die berühmte Schauspielerin Chris Vineyard – in den tiefen Kreisen des FBIs auch als Vermouth bekannt – zurück nach New York flog. Auch war es derweil um die schwarze Organisation ruhig geworden. Zu ruhig. Akai erkannte dieses Musters. Sie hielten sich versteckt im Schatten und lauerten auf ihre Chance. Und dann schlugen sie zu. An Orten an denen man sie nicht vermutete. Sie waren auf einmal da und handelten. Wo und wann sie zuschlugen, war keinem Außenstehenden bekannt. Ahnungen und Informationen anderer Agenten waren für ihn nicht zuverlässig genug. Vermouths Rückzug war der erste Anhaltspunkt. Der zweite folgte, als Andre Camel Gin am Flughafen von Tokyo erblickte und dort verlor. Natürlich hieß das nichts, da Gin Verfolger frühzeitig erkannte und dementsprechend auch erste Gegenmaßnahmen einleitete. Sein anschließendes Verschwinden konnte auch ein Anzeichen sein, dass er Camel abschüttelte oder andere Organisationsmitglieder vor Ort waren, die einen sicheren Rückzug garantierten. Sie wussten es nicht, bis James Black – Akais Vorgesetzter – die Passagierlisten des Flughafens unter einem Vorwand erhielt. Shuichi Akai ging selber die Namen durch und strich zwei von ihnen mit einem schwarzen Stift an. Als Dai Moroboshi – der Name unter dem Akai in die Organisation infiltriert wurde – bekam er viel mit. Zu viel. Unter anderem kannte er sich mit ihrer Handlungsweise aus sowie mit den Namen, die sie für geheime Operation verwendeten. Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf dem Gesicht das FBI Agenten, als er bemerkte, dass Gins Spur noch immer verfolgbar war. Leider verlor sich die Spur in New York. Gin blieb vom Erdboden verschwunden und keine feindlichen oder polizeilich bekannten Aktionen ließen einen Rückschluss auf die Organisation zu. Es war ruhig geworden. Zu ruhig. Shuichi wusste, dass demnächst der große Knall käme. Akai hob den Kugelschreiber, welcher sich auf seinem Schreibtisch befand und ließ ihn in seiner linken Hand rotieren, ohne seinen Blick vom Fenster zu nehmen. Langsam wurde es dunkel und noch immer saß er in seinem Büro – welches er nur selten aufsuchte, da er die meiste Zeit auf dem Schießplatz oder auf der Straße unterwegs war – und hatte das Gefühl den Pflanzen beim Wachsen zuzuhören. Eigentlich sollte er sich freuen. Normalerweise teilte er das Büro mit Jodie Starling. Kollegin, Ex-Freundin und eine Art beste Freundin. Wenn er mal da war, plapperte sie die ganze Zeit über ihren Tag oder was die Tage vorher geschah. Manchmal redete sie wie ein Wasserfall. Oft schaltete er gedanklich ab und ging verschiedene Szenarien ihrer nächsten Handlungsschritte durch, ehe Jodie nach seiner Meinung fragte. Selten bekam sie eine gute Antwort. Viel eher war es nur ein: „Mhmm…“ Es gab wichtigere Sachen im Leben. Die schwarze Organisation stand an erster Stelle seiner Prioritätenliste. Mehr Ziele hatte er nicht. Es war schwer weitere Ziele nebst Gefangennahme und Rache an der Organisation zu haben. Alle Handlungen, all sein Denken kreiste immer nur um das eine große Ziel. Es waren schon zu viele Jahre ins Land gezogen. Zu viel Zeit in denen die Organisation tun und lassen konnte, was sie wollte. Auch wenn die Jahre vergingen, die Informationen waren nur dürftig. Seit über 30 Jahren agierte die schwarze Organisation. Jodies Vater – bester Freund und Kollege von James Black – war von Anfang an für sie zuständig. Zusammen mit einigen anderen FBI Agenten sollte er Verbrechen aufklären, die mit der Organisation in Verbindungen standen. Letzten Endes kostete ihn das sein Leben, zusammen mit einigen unbrauchbaren Informationen, die die Organisation extra verstreute um falsche Fährten zu legen. Das FBI fing bei Null an. Als Akai dem FBI Beitrat erkannte Black bereits zu Beginn das Potential dieses Mannes. Und er sollte Recht behalten. Durch seine japanische Herkunft und seinen grimmigen Blick war er der perfekte Kandidat für die erste Undercover-Mission seit Starlings Tod. Shuichi dachte oft an seine Zeiten inmitten der Organisation. Er lernte nicht viele Mitglieder kennen, aber die, die er traf, verstanden ihr Handwerk. Und alle musste man ins Gefängnis bringen. Doch trotz aller Bemühungen blieben die Hintermänner auch weiterhin im Verborgenen und konnten agieren wie sie wollten. Akai warf seinen Stift auf den Schreibtisch zurück und stand auf. Er ging zum Fenster und starrte nach draußen. Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Jodie war nicht hier, sonst hätte das Klingeln bereits wieder aufgehört. Jetzt musste er selber ran. Mit schnellen Schritten trat Akai an den Hörer, etwas in ihm bemerkte die Anspannung und bereits als er den Hörer abhob, wusste er, dass sie einen Schritt weiter waren. „Akai.“ „Ah, Agent Akai, gut, dass Sie noch da sind. Agent Stevens hier. Gerade wurde eine verdächtige Person vom NYPD verhaftet.“ Das NYPD war das New Yorker City Police Department, die größte Polizeibehörde der USA. „Was hat das mit mir zu tun?“ „Mein Kontakt bei der Polizei beschrieb den möglichen Täter als Mann japanischer Abstammung mit langen grauen Haaren. Ich nehme an, dass….äh hallo? Sind Sie noch dran?“ Irritiert blickte Agent Stevens auf den Hörer in seiner Hand. Akai hatte einfach aufgelegt und nur noch das Tuten war zu hören. Sean Reynolds stand vor dem Verhörzimmer. Sein Gesicht nahm eine rote Farbe an. Die Wut sah man ihm an. „Robinson!“, knurrte er. „Sind Sie eigentlich von allen guten Geistern verlassen?“ „Sir, ich…“, schluckte John Robinson. Der Polizist, der bereits mehrere Dienstjahre hinter sich hatte, schaute beschämt seinen Vorgesetzten an. „Was? Haben Sie zu heiß gebadet oder was ist ihr Problem?“ Fressen oder gefressen werden. Nun war Robinson die Person, die gefressen wurde. Reynolds seufzte. „Hoffen Sie, dass er unser Rechtssystem und unsere Sprache nicht spricht.“ „Aber, Sir…“ „Was? Hätten Sie mir nicht erst nach dem Verhör erzählen können, dass Sie vergessen haben ihm seine Rechte vorzulesen? Was ist daran eigentlich so schwierig? Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Sollten Sie sich keinen leisten können, stellt Ihnen das Gericht einen zur Verfügung. Mit Ihrer Erfahrung sollten Sie das wissen.“ Robinson nickte. „Es war die Art wie er mich ansah.“ Robinson lief ein kalter Schauer über den Rücken. Noch immer verspürte er das komische Gefühl, wenn er an die Begegnung von vor einigen Stunden zurück dachte. „Das bringt uns rein gar nichts“, zischte Reynolds. „Gehen Sie an den Schreibtisch und bereiten Sie irgendwelche Akten vor, ich kümmere mich um unseren Verdächtigen.“ „Aber…“ „Was? Denken Sie, ich kann Sie dort drinnen gebrauchen? Na los, machen Sie sich an die Arbeit.“ Mit kräftigen Schritten stapfte Reynolds in das Zimmer hinein. Unbeeindruckt setzte er sich zusammen mit den ersten Ergebnissen des neuen Falls. Er sah seinen Gegenüber an. Der kalte Schauer erfasste nun auch ihn. Reynolds war professionell genug um es sich nicht anmerken zu lassen, doch die finsteren Augen starrten ihn an. „Mr. Tanaka“, fing Reynolds an. „Zunächst einmal muss ich Ihnen die Frage stellen, ob Sie unserer Sprache mächtig sind.“ Gin wandte den Blick nicht ab. „Sie wissen, dass Sie mich nicht festhalten können.“ „Oh…ja…ich verstehe…“ Reynolds wirkte überrascht. „Sie sprechen also unsere Sprache. Hören Sie, Mr. Tanaka, Mr. Quinlan war ein sehr bedeutsamer Mann. Vor Ort haben Sie nicht mit meinem Kollegen darüber gesprochen, was passiert ist. Wir wissen mittlerweile, dass sich Mr. Quinlan mit jemanden Treffen wollte. Diese Person war höchst wahrscheinlich sein Mörder und Sie wurden kurz darauf aufgegriffen. Haben Sie mir irgendwas zu sagen? Hören Sie, ein Geständnis kann sich mildernd auf das Strafmaß auswirken“, erklärte Reynolds. Ein leichtes Grinsen legte sich auf Gins Lippen. Er stand auf. „Mr. Tanaka!“ „Bedanken Sie sich bei Ihrem Kollegen“, entgegnete Gin. „Nun hören Sie mal. Sie können sich hier nicht so verhalten“, zischte Reynolds leise, als die Tür aufgedrückt wurde und ein junger Mann Mitte dreißig im Raum stand. „Was soll das? Sie können nicht einfach so das Verhörzimmer betreten.“ Robinson kam dem Mann nachgelaufen. Er blickte zu Reynolds, dessen Gesicht wieder eine leicht rote Farbe annahm. „Sir, es tut mir leid. Das ist Dr. Johnson, er ist Mr. Tanakas Anwalt“, entgegnete Robinson. „Was?“ Reynolds ging zu Robinson. „Wie kann der so schnell hier sein?“, wollte er leise von dem Kollegen wissen. „Als ich ihn verhaftet habe und wir ins Revier fuhren, wollte er mit seinem Anwalt telefonieren. Also hab ich…“ Reynolds Gesicht färbte sich komplett rot. „Sie haben was?“, zischte er. Als er merkte, wie er die Aufmerksamkeit auf sich zog, wurde er ruhiger. „Sie vergessen ihm seine Rechte vorzulesen, lassen ihn aber seinen Anwalt anrufen?“ Robinson nickte. „Mr. Reynolds, Mr. Robinson, zunächst einmal möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass meinem Mandanten seine Rechte nicht vorgelesen wurden. Damit besitzen Sie keinerlei Handhabe. Dass mein Mandant dennoch mit Ihnen mitkam und sich nun dieser Farce aussetzen muss, spricht für ihn. Ich denke nicht, dass ich Sie daran erinnern muss, dass mein Mandant mit mir dieses Gebäude verlassen wird. Und aufgrund der Rechtslage, haben Sie keine juristischen Mittel und Wege um ihn hier festzusetzen oder zu durchsuchen“, sprach Johnson. „Sie sollten nicht vergessen, dass Ihr Mandant in der Nähe des Tatortes war und keinen Grund für sein Dasein dort vorlegen konnte“, warf Reynolds ein. „Spekulationen, Mr. Reynolds. Mein Mandant war zu erschrocken, als sich Ihr Kollege auf ihn stürzte. Er konnte aufgrund der vorschnellen Handlung nicht reagieren. Sie haben nun zwei Möglichkeiten. Entweder Sie halten Mr. Tanaka weiter fest, aber dann rechnen Sie schon mit ernsthaften Konsequenzen oder Sie lassen ihn gehen. Ihre Entscheidung.“ Reynolds knurrte. Der Täter saß vor ihm, das sagte ihm sein Bauchgefühl. Und trotzdem hatte er keine andere Wahl als ihn gehen zu lassen. „Nehmen Sie Ihren Mandanten mit.“ „Gute Entscheidung, Mr. Reynolds.“ Johnson sah zu seinem Mandanten. „Gehen wir.“ Mit einem Grinsen auf dem Gesicht stolzierten Johnson und Gin durch das NYPD zum Ausgang. Shuichi Akai kam ihnen entgegen. Die Luft knisterte als sich die Blicke des FBI Agenten und des Organisationsmitgliedes trafen. Akai ballte die Faust. Er war für alles bereit. Jetzt schien es soweit zu sein. Endlich waren sie der Organisation auf den Fersen. Sie konnten Gin für ein Verbrechen festnehmen und das würde den Stein nur ins Rollen bringen. Statt Genugtuung breitete sich Enttäuschung aus. Gin wurde nicht von Polizisten abgeführt. Es sah nicht gut aus. Aber nun gab es kein Zurück mehr. Akai folgte den beiden Männern, bis sich Gin umdrehte. „Game over.“ Das Gesicht des Agenten verfinsterte sich. Er wollte zuschlagen. Wie sehr wollte er Gin einfach nur ins Gesicht schlagen. Alles in ihm wollte diesem Drang nachgeben und trotzdem wusste er es besser. Hier und jetzt auf einen Mann loszugehen, hätte es nur Schlimmer gemacht. Shuichi hielt sich zurück. „Dich krieg ich noch“, zischte er leise und folgte den Beiden nach draußen. Unglücklicherweise stiegen sie in ein Taxi und wie er ahnte, stünde der nächste Wagen bereits vor Ort. Shuichi trabte zurück in das Revier. „Was ist passiert? Wieso haben Sie ihn laufen lassen?“, zischte er Reynolds an. Man kannte sich untereinander…irgendwie. „Wir konnten ihn nicht länger festsetzen“, fing Reynolds an. Auch ihm gefiel es nicht. Und dass ein FBI Agent vor Ort war, konnte nur heißen, dass der ehemals Verdächtige Dreck am Stecken hatte. „Unglücklicherweise ließ sich Robinson von dem Äußeren des Mannes beeinflussen und erschrecken, sodass…“ „Sodass, was?“, kam es von Akai. „Sodass er vergessen hat ihn über seine Rechte aufzuklären.“ Akai verengte die Augen. Natürlich bestand so keine Möglichkeit um ihm etwas Nachzuweisen. Reynolds rechnete mit dem Schlimmsten. Stattdessen drehte sich Shuichi um und ging. Er zog sein Handy aus der Tasche und tippte schnell eine Nachricht. Das NYPD hat es vermasselt. Kurz darauf wählte er die Nummer eines bekannten Taxiunternehmens in New York. Er musste genau wissen, wo man Gin absetzte… In einer Gasse wenige Straßen weiter hielt der Taxifahrer. Gin und sein Anwalt stiegen aus. „He! Was ist mit der Bezahlung. Hier haut keiner ab“, zischte der Fahrer. Johnson ging um den Wagen und öffnete die Fahrertür. „Natürlich werden Sie bezahlt“, sprach er, ehe er seine Waffe gegen den Brustkorb des Fahrers drückte. Dieser war so perplex von dem, was sich gerade bot, dass er keinen Ton von sich gab und wie von Sinnen auf die Waffe starrte. Dann löste sich der Schuss. Gin grinste. „Wie immer unauffällig.“ „Zeugen sind unnötig. Komm.“ Johnson ging die Gasse entlang abis die beiden Männer zu einem leerstehenden Wagen kamen. Johnson stieg auf dem Fahrersitz ein, während Gin daneben Platz nahm. Das Organisationsmitglied zog eine Zigarette heraus, zündete sie an und nahm den ersten Zug. „Fast hätte ich dir den Anwalt abgekauft“, grinste Gin. Johnson fuhr mit der Hand unter sein Kinn und zog mit einem Ruck die Maske vom Gesicht herunter. Langes, blondes Haar fiel über ihre Schulter runter. „Akais Gesicht war auch nicht ohne, als wir aus dem Gebäude spazierten“, sprach Vermouth, als sie den Motor des Wagens startete und losfuhr. „Das war die Verhaftung wirklich wert.“ „Apropos Verhaftung“, Vermouth blickte zu ihm rüber. „Das war doch Absicht oder warum hast du den Polizisten nicht abgeknallt?“ „Als ob mir dieser Bulle etwas Könnte. Ich hab seine Unfähigkeit bereits gesehen, als er auf mich zu kam und mich verhaften wollte. So war es nicht einmal ein Wunder, dass er vergessen hatte mir meine Rechte vorzulesen.“ Gin blies den Rauch der Zigarette gegen die Autoscheibe. „Das FBI besitzt Kontakt zum NYPD. Ich wusste, sie würden Akai informieren.“ Vermouth verdrehte die Augen. Auch wenn Gins Handlungen durchdacht waren und das Organisationsmitglied genau wusste, was es tat, die Gefahr war immer da. „Sie konnten nicht einmal bluffen. Dieser Reynolds wollte mir die ganze Zeit ein Geständnis aus den Rippen leiern ohne darauf einzugehen, dass bei der Verhaftung ein eindeutiger Rechtsfehler vorlag.“ „Du hättest schlechte Karten gehabt, wenn sie behauptet hätten, dass man dich über deine Rechte informierte“, warf Vermouth ein. „Wer würde schon einem potentiellen Verbrecher glauben.“ Sie schmunzelte. „Wenn es soweit gekommen wäre, hättest du mich sicher irgendwie rausgeholt“, gab Gin von sich. „Wahrscheinlich.“ Kapitel 2: Sternenhimmel ------------------------ Ein letztes Mal blies Gin den kalten, dunklen Rauch gegen die Fensterscheibe des Wagens, während seine rechte Hand den Fensterknopf betätigte. Langsam schob sich das Fenster runter und als es auf halber Höhe war, warf Gin den Zigarettenstummel nach draußen. Sofort zog die kalte Luft in den Wagen ein. „Hast du meinen Hinweis verstanden?“, wollte der schwarz gekleidete Mann von seiner ‚Partnerin‘ wissen. „Behandel mich nicht wie eine verbal inkompetente, geistig unbewaffnete, bildungsresistente, kognitiv suboptimierte parasitäre Nebenexistenz“, entgegnete Vermouth ruhig, auch wenn ihre Worte hart klangen. „Ich bin nicht dein Schoßhündchen und werd dich nicht wie Wodka anhimmeln.“ Gin verdrehte die Augen. Frauen konnten manchmal wirklich kompliziert sein. „Unsere Leute sind bereits in den Planetarien. Bevor du gleich weiter fragst; das Andrus Planetarium, Corning Community College Planetarium, Ediwn Hubble Planetarium, Hayden Planetarium, Northeast Bronx Planetarium und Strasenburgh Planetarium sind bereits durchsucht. Unsere Leute begeben sich nun zu dem Suits-Bueche Planetarium, Tupper Planetarium, Vanderbitt Planetarium, Wagner College Planetarium, Whitworth Ferguson Planetarium. Danach geht es weiter mit dem Rose Center for Earth and Space, dem Dreyfuss Planetarium und dem Cradle of Aviation Museum. Zur Sicherheit kümmern sie sich um die Planetarien außerhalb von New York“, erzählte die Schauspielerin. Gin nickte. „Bereits was gefunden?“ „Noch nicht. Aber die Unterlagen werden nicht auf Dauer verschwunden bleiben. Mich erstaunt es, dass dir Quinlan so bereitwillig den Ort der Unterlagen nannte.“ „Wer sagt, dass er das tat?“, grinste Gin. „Verstehe. Soll mir Recht sein.“ Vermouth fragte selten weiter nach. Ausnahmen bildeten interessante Geschichten oder wenn sie Gin ärgern wollte. Momentan war beides nicht der Fall. Shuichi hasste Niederlagen wie diese. Schlimm genug, dass die Organisation ihnen oft einen Schritt voraus war und sie keinen von ihnen festsetzen konnten. Nun hatte Gin ihm direkt ins Gesicht gelacht. Akai konnte rein gar nichts tun. Jede Handlung hatte seine Folgen. Handlungen, die sich gegen eine Person richteten, die nun Verdächtiger eines Verbrechens war, konnte ein schlimmeres Nachbeben nach sich ziehen. Auch wenn Akai seinem Gegenüber ins Gesicht schlagen wollte, er musste seine eigenen Wünsche zurück nehmen und sich auf das Rechtssystem verlassen. Dass genau dieses versagte, machte die Situation nicht besser. Das Gegenteil war der Fall. Nachdenklich fuhr Shu an die Stelle wo das Taxi von Gin geortet wurde. Nach Angabe der Telefonzentrale bewegte es sich eine ganze Weile nicht mehr fort. Ein ungewöhnlicher Stillstand für ein New Yorker Taxi. Es musste was bedeuten, das spürte er. In seinem Inneren regte sich alles. Er würde Hinweise finden. Egal wie klein sie waren. Akai stellte seinen Wagen ab, als er das andere Auto im Sichtfeld hatte. Vorsorglich zog er seine Waffe und trat langsam auf das Taxi zu. Bereits von Weitem konnte er den leblosen Körper des Fahrers sehen. Auch wenn die Zeit eilte, bewegte er sich nicht schneller. Am Taxi angekommen, öffnete Akai die Tür und fühlte den Puls. Die Kalte Haut verriet ihm allerdings bereits die Wahrheit. „Verdammt“, kam es aus seinem Mund. Ohne zu Zögern rief er beim NYPD an. „Akai hier. Verbinden Sie mich mit Robinson.“ „Mr. Akai, das kann ich nicht so einfach machen. Sagen Sie mir, um was es geht und ich sehe, was ich für Sie tun kann“, kam es von der Frau am anderen Ende der Leitung. „Ich bin vom FBI. Leiten Sie mich weiter.“ „Äh…ja, Sir.“ „Robinson hier“, sprach dieser in den Hörer. „Hier Akai. Ich brauche genaue Informationen über den Verdächtigen, den Sie vorhin wieder laufen lassen mussten“, sprach Shu. „Ja, natürlich. Sein Name lautet Ichiro Tanaka. Er ist 38 Jahre alt…“, fing Robinson an. „Halt, halt, halt. Das will ich nicht wissen“, entgegnete der FBI Agent. „Hat er irgendwas gesagt, als Sie ihn verhaftet haben?“ „Nein…also nicht direkt…ich mein…als ich ihn verhaftet hab, hat er nichts gesagt. Er hat mich nur angestarrt.“ Wie bereits Stunden zuvor lief ihm erneut ein kalter Schauer über den Rücken. „Im Taxi fragte er ob er seinen Anwalt anrufen darf.“ „Hmm…verstehe“, murmelte Akai. „Sagte er noch was? Ich brauch den genauen Wortlaut“, fügte der Agent hinzu. „Äh ja…lassen Sie mich kurz überlegen“, murmelte Robinson. „Ich möchte meinen Anwalt anrufen.“ Akai überkam das Gefühl seinen Kopf gegen die Wand zuschlagen. Warum musste ihm ein – laut seiner Information – erfahrener Polizist nur solche Kopfschmerzen machen. „Was hat er mit seinem Anwalt besprochen?“ „Er sagte: Ich wurde verhaftet, hol mich raus.“ „Mehr nicht?“ „Hoshi.“ „Hoshi?“ „Ja, mehr auch nicht. Danach hat er aufgelegt und schwieg bis wir beim NYPD waren“, antwortete der Polizist. „Verstehe. Danke. Ich hab hier einen toten Taxifahrer gefunden. Lassen Sie Ihre Männer so schnell wie möglich kommen und sichern Sie die Spuren.“ Ehe der FBI Agent auflegte, gab er den derzeitigen Standort durch. „Gefunden…“, murmelte Robinson. So konnte man es auch ausdrücken. Manchmal fand das FBI zu viele Leichen. Und natürlich fielen Sie den Agenten einfach so vor die Füße. Shuichi ging zurück zu seinem Auto, stieg ein und fuhr los. „Hoshi…hoshi…“, das Wort ließ ihn nicht los. Hoshi bedeutete übersetzt der Stern. Während der Fahrt überlegte der FBI Agent. „Stern“, gab er leise von sich. „Stern…Sternenhimmel…Planetarium…“ Ein Grinsen umspielte sein Gesicht. Schnell holte er das Handy aus seiner Jackentasche und rief bei seinem Vorgesetzten an. Frisch geduscht, nur mit einem Handtuch bekleidet, setzte sich Gin auf das Bett in seinem Hotelzimmer. Die Organisation wechselte oft ihren Standort. Heute hier, morgen dort. Mit einem kühlen Blick fixierte er die Zigarettenschachtel. Vermouth räkelte sich im Bett. Kurz ließ sich Gin ablenken und sah zu der blonden Schauspielerin. Sofort beugte sie sich hervor und zog die Zigarette aus der Schachtel. Mit einem Ende im Mund hielt sie ihm diese vors Gesicht. „Anzünden.“ „Schnorrerin.“ „Du hast mich schon Schlimmer bezeichnet“, entgegnete sie. Kaum war die Zigaretten angezündet, nahm sie einen tiefen Zug und stieß den Rauch auch wieder aus. Anschließend griff sie nach ihrem Handy. „Irgendwelche Nachrichten?“, wollte Gin wissen. „Keine Guten. Die Unterlagen wurden in keinem Planetarium gefunden.“ „Sie werden nicht vom Erdboden verschwunden sein“, warf das Organisationsmitglied ein. „Wurde alles durchsucht?“ „Wurde es. Alle Planetarien wurden regelrecht verwüstet und angezündet. Wahrscheinlich stehen die Anschläge bereits in der Zeitung“, entgegnete Vermouth. „Selbst wenn, mir egal. Solange man uns nicht damit in Verbindung bringt, können wir die Unterlagen weiter suchen. Und wenn sie sich in einem abgebrannten Planetarium befinden, kann uns das nur zu Gute kommen.“ „Wann kriegst du sie?“ „Hm?“ „Die Zeitung.“ Vermouth seufzte. Mit der linken Hand griff sie nach dem Hörer des Hoteltelefons und wählte die Nummer der Rezeption. Anschließend ahmte sie Gins Stimme nach. „Die heutige Zeitung, bitte.“ Gin verdrehte die Augen nachdem sie auflegte. „Jetzt guck nicht wie so ein Schaf“, kicherte die Schauspielerin. „Sag mir lieber, wie du darauf gekommen bist, dass sich die Unterlagen in einem Planetarium befinden.“ „Quinlan wollte partout nicht sagen wo er die Unterlagen über uns gebunkert hat. Es sei seine Absicherung damit wir ihm nichts tun und wollte sein Geld haben, ehe er uns den Aufenthaltsort mitteilt“, erzählte Gin ruhig. „Als ob wir uns darauf einlassen. Würde er uns gut genug kennen, hätte er das gewusst.“ „Tja…deswegen war er auch nur kurz bei uns und wurde wieder beseitigt“, fügte die Blondinne hinzu. „Also hast du, als er dir den Aufenthaltsort nicht sagen wollte, einfach abgedrückt.“ Gin nickte. „Im Sterben sagte er nur noch: die Sterne werden eure Geheimnisse enthüllen.“ „Die Sterne also“, wisperte sie. Langsam stieg sie aus dem Bett und zog sich ihre Sachen vom Vorabend an. „Scheinbar waren die New Yorker Planetarien nicht unser Ziel.“ „Unsere Leute hier finden es noch heraus.“ „Wird nur nicht so leicht werden, wenn du bedenkst, dass man von jedem Dach eines Gebäudes die Sterne nachts erblicken kann.“ Mit einem Haarband steckte sich die Schauspielerin die Haare hoch. Als es schließlich an der Tür klopfte, öffnete sie diese und fand die Zeitung auf dem Boden liegen. Das Hotel hatte sie extra ausgesucht. Es bot genug Privatsphäre und die Mitarbeiter hatten nie das Bedürfnis ihren Gästen bei jeder Kleinigkeit gegenüber zustehen. „Hier, die Zeitung“, Vermouth warf sie Gin zu. „Irgendwas Interessantes?“ Gin blätterte die Zeitung durch. Es stand der übliche Mist darin. Darunter befand sich ein großer Artikel über die Brände des Planetariums. „Hmm…die Brände sind in aller Munde. Sie haben es als terroristische Anschläge abgestempelt und wollten weitere Untersuchungen einleiten.“ „Nur werden sie nichts finden“, gab Vermouth von sich. „Das tut mir aber leid“, sprach der Mann in Schwarz gehässig. „Artikel über unsere Organisation gibt es keine.“ Das konnte Gin bereits beim ersten Überfliegen der Artikel-Überschriften erkennen. Sollten die Informationen freiliegen, hätte sich die Presse längst darauf gestürzt. Aber so war alles in trockenen Tüchern. „Ein Artikel über unseren Quinlan.“ „Was steht drin?“ „Bla bla bla….bla bla…bla…bla…interessant.“ „Hm?“ „…bevor Ronald Quinlan ermordet wurde, spendete er dem Metropolitan Museum of Art ein Gemälde, welches den Titel: Sternenhimmel trägt. Bla bla bla…und bla…“ Vermouth grinste. „Ich würde sagen, wir haben unsere Sterne gefunden.“ Akia machte in der Nacht kaum ein Auge zu. Auch ihm war die Bedeutung der Sterne schnell klar geworden und er zog schnell die Assoziation zu den Planetarien. Viele FBI Agenten wurden zu den einzelnen Orten geschickt, kamen allerdings zu spät. Die Ereignisse überschlugen sich. Schnell wurden die Brände bekannt, aber nicht ihre wahren Hintergründe. Mit einem Kaffee in der Hand und einer Zigarette im Mund überflog Shuichi Akai die Zeitungsartikel und auch sein Blick blieb bei dem Artikel über Quinlan haften. Als der FBI Agent die Zusammenhänge begriff, stürmte er aus dem Raum, zu seinem Auto und fuhr zum Museum. Die Straße war bereits belagert. Überall waren Polizisten, Reporter und Autos, deren Blaulichter noch an waren. Je schneller die Minuten verstrichen, desto schneller wuchs die Menschenmenge. Sie alle wollten wissen, was los war. Alle waren interessiert und empört. Akai rollte mit seinem Auto neben dem Gehweg und steuerte einen Polizisten an. Durch die Autoscheibe konnte dieser den finsteren Blick des FBI Agenten erkennen. Eine unheilvolle Atmosphäre lag zwischen Beiden. Gebannt sah der Mann in der Polizeiuniform den Fahrer an. Erst durch das Herunterkurbeln des Fensters wurde dieser aus seiner Trance gerissen. „Tut mir leid, ich darf keinen durchlassen“, sprach er. „Schon gut, ich will noch nicht rein“, antwortete Akai ruhig. „Eh…“ „Akai, ich bin vom FBI“, Shuichi zückte schnell seinen Ausweis und ließ ihn ebenso schnell wieder verschwinden. „Was ist hier passiert?“ „Das Museum bekam das Bild ‚Sternenhimmel´ gespendet. Es wurde in einem separatem Teil des Gebäudes gelagert und sollte dort demnächst restauriert werden, ehe es ausgestellt werden sollte.“ „Restauriert?“ „Scheinbar war der Rahmen defekt und der Museumsleiter wollte ihn austauschen“, antwortete der Polizist. „Nur leider wurde das Gemälde heute Vormittag, noch ehe das Museum öffnete, gestohlen.“ „Keiner hat was gesehen?“ „Die Zeugen werden noch befragt.“ „Danke.“ Akai kurbelte das Fenster wieder hoch und biss sich auf die Unterlippe. Sie waren vor ihm dort gewesen. Und egal was Quinlan mit der Organisation zu schaffen hatte, es befand sich nun in ihren Händen. Kapitel 3: Rise and rise again until lambs become lions ------------------------------------------------------- Gin warf den braunen Umschlag mit den Unterlagen über die Organisation auf das Bett. Gespielt neugierig lies er seinen Blick durch den Raum schweifen. „Nett hast du es hier.“ Vermouth verdrehte die Augen. „Richte dich ja nicht häuslich ein.“ Unter normalen Umständen hätte sie ihn sicher nicht mitgenommen. Nichtsdestotrotz hatte Vermouth Glück. Als bekannte Schauspielerin stand ihr nicht nur genug Geld zur Verfügung, sie war auch noch der Liebling des Bosses ihrer Organisation. Sie konnte sich alles kaufen und nichts war zu teuer. So war es schließlich auch kein Wunder, dass ihr mehrere Immobilien – natürlich unter einem anderen Namen gekauft – zur Verfügung standen. Hatte sie genug von Gin, könnte sie ihn – nur in der Theorie – hier lassen und sich zu einer anderen Wohnung begeben. Ein Grinsen umspielte Gins Lippen. „Welchem deiner Alias haben wir das Haus denn zu verdanken?“, wollte er wissen. „Das musst du nicht wissen“, sprach sie ruhig. Die blonde Schönheit trat an das Bett und nahm den Umschlag hoch. „Keine Kopien?“ „Als ob der Idiot daran dachte“, sprach Gin. Geschmeidig warf er sich quer über das Bett. Seine Hand wanderte in das Innere seiner Jacke. „Rauchen nur draußen“, entgegnete Chris sofort. „Nur die Ruhe.“ Wenige Sekunden später zog Gin das Handy heraus. Sich Zeit lassend, wählte Gin eine Nummer und hielt sich das Mobiltelefon ans Ohr. „Wie schaut‘s aus?“ Vermouth schüttelte den Kopf. Gins Art war nervig. Selbst wenn er nur Gast war, führte er sich manchmal auf, als gehörte ihm alles. Wenigstens wusste der Mann in Schwarz, wann es besser war, den Mund zu halten und vor einem Vorgesetzten zu Kreuze zu kriechen. Leider war ihr das nicht vergönnt. Früher – noch zu Zeiten von Sharon Vineyard – hatte sie sich stark zu ihm hingezogen gefühlt. Spaß war beiden auch sehr oft gegönnt. Irgendwann kam die Wendung in ihrem Leben. Der Spaß mit Gin war nicht mehr so ergiebig wie zuvor. Ihre Wünsche änderten sich. Und alles lag an dieser einen Begegnung. Die Begegnung, die ihr die Augen öffnete. Der Zufall führte Sharon in die Arme ihrer guten Freundin Yukiko. Es war eine Freude sie in den Vereinigten Staaten zusehen, doch schon bald erkannte sie, dass aus der jungen Schauspielerin eine schöne Blume wurde. Yukiko heiratete früh und neben ihrer Karriere erfüllte sie sich den Traum einer eigenen Familie. Shinichi war zu den Zeiten ein kleiner Junge. Wahrscheinlich erinnerte er sich gar nicht mehr an ihr wirklich erstes Treffen. Sharon merkte, wie sie mehr vom Leben wollte und einige Jahre später wurden ihr Ehemann wie auch die gemeinsame Tochter Chris Vineyard geboren – ein Konstrukt mit dem sie spielen konnte, wie sie wollte. Die Presse reagierte prompt, als die ersten, selbst gestreuten, Geheimnisse über ihre Familie publik wurden. Keiner zweifelte, dass sie tatsächlich seit über 20 Jahren verheiratet war und genau so lange eine Tochter hatte. Sharon Vineyards Leben war immerzu unbekannt. Selten sah man Mutter und Tochter zusammen. Chris blühte erst auf, nachdem ihre Mutter von der Bildfläche verschwand. Nur kannte keiner die Wahrheit. Mutter und Tochter waren ein und dieselbe Person. Zuerst durch Schminke ineinander verwandelbar, später gezeichnet durch das Leben. Gin wusste von allem nichts und bildete sich was darauf ein, als er Chris ‚abschleppte‘, dabei war sie diejenige, die nur mit ihm spielte. Erneuter Spaß mit Gin, der nur einem Zweck diente… „Keine Kopien gefunden.“ Vermouth brauchte mehrere Sekunden ehe ihr klar wurde, was Gin erzählte. „Gut.“ Gin streckte sich. „Ich könnte ein Schläfchen vertragen“, grinste er. „Vergiss es.“ „Du hast ja heute mal wieder wunderbare Laune“, gab er von sich. Gins Blick wanderte im Schlafzimmer herum und ließ ihn auf ihrem Nachttisch haften. „Was ist das?“ „Ein Drehbuch.“ „Das hab ich selbst erkannt“, zischte er. Gin streckte den Arm nach dem Drehbuch aus. „Mach mir keine Flecken drauf.“ „Was für eine Rolle sollst du spielen? Mal wieder das naive Blondchen?“ „Wenn ich mich für die Rolle entscheide, dann ja. Ich würde ein fast reiches Mädchen spielen, dass kurz vor ihrer Hochzeit vom Bräutigam und seinen Freunden missbraucht und fast umgebracht wird. Aber natürlich rettet mich ein nobler Herr und verwandelt mich in einen noch schöneren Vampir und alles damit ich seinen Sohn eheliche. Nur leider interessiert mich der Kerl nicht die Bohne und ich nehm einen, der fast von einem Bären oder einem wilden Tier getötete wurde. Und um die Rolle noch perfekt zu machen, kann ich die menschliche Freundin meines damals fast Ehemanns und nun Adoptivbruders nicht leiden und möchte im Inneren aber nur an ihrer Stelle sein“, spottete Vermouth. „Darfst du die Kleine wenigstens umbringen?“ Vermouth zuckte mit den Schultern. „Das ist nicht vorgesehen. Aber vielleicht ändern sie irgendwas. Es ist ja nicht so, dass sich Drehbücher immer an die Buchvorlagen halten. Aber je mehr ich das Drehbuch und den Vergleich zum Buch lese, desto eher bin ich abgeneigt.“ „Mach was du willst. Was sagt der Boss dazu?“, fragte Gin. „Er lässt mir freie Wahl“, antwortete die Schauspielerin. Ein Vorteil wenn man der Liebling des Bosses war und nur wenig bis gar keine Fehler machte. Gin blätterte durch das Drehbuch. „Nachdem was ich hier so lese, solltest du die Rolle wirklich nicht annehmen“, gab er von sich. „Welche Szene ist es?“ Gin verzog das Gesicht. Nun sollte er die Schnulze auch noch vorlesen. Bäh. Widerlich. Und dennoch tat er es. „Und so verliebte sich der Löwe in das Lamm“, sprach der Mann in Schwarz. Vermouth stieg sofort darauf ein. „Was für ein dummes Lamm.“ „Was für ein abartig masochistischer Löwe“, las Gin. Er grinste. Wenigstens stimmte der letzte Satz. Diesen hätte er sofort unterschrieben. „Die Rolle ist wirklich nichts für dich.“ Vermouth kicherte. „Das wäre nicht einmal meine Szene. Trotzdem müsste ich als einer der Hauptcharaktere bei jedem Dreh dabei sein und für einen möglichen Ausfall bereit stehen“, meinte sie. „Bisher hat mich das alles nicht angesprochen.“ „Ein Löwe der sich in ein Lamm verliebt“, spottete Gin. „Die haben noch nie einen richtigen Löwen gesehen.“ „Wenn alle Löwen so sind wie du, würde ich ihnen auch davon abraten. Wenigstens kann man dir nicht vorwerfen, dass du ein Lamm bist.“ Gin grinste. „Nicht so wie die anderen Mitglieder der Organisation.“ „Tja…du weißt doch, wie man so schön sagt. Sie kommen als kleine Lämmer zu uns und gehen als gefährliche Löwen in die Welt.“ „Und die, die es nicht schaffen, werden erschossen“, fügte Gin hinzu. Man konnte die Organisation wirklich einfach beschreiben. Ihre neusten Mitglieder waren kleiner Lämmer, die nichts konnten und noch gar nichts über die Welt und das Leben wussten. Mit der Zeit, viel Training und kleineren Aufträgen um ihre Loyalität unter Beweis zu stellen, wuchsen die kleinen Lämmer. Vor ihrer ultimativen Prüfung waren sie schwarze Schafe, doch nachdem größere Aufträge und der erste Mord verübt wurde, wurden sie zu Löwen. Gefährliche Löwen, die nicht mehr aufzuhalten waren. Die Tage vergingen und Gin richtete sich schon fast häuslich in den Staaten ein. Leidtragende war Vermouth. „Wann willst du zurück nach Japan?“, wollte sie wissen. Auf Dauer konnte Gin einem auf die Nerven gehen. Es war ein Wunder, dass Wodka es so lange mit ihm aushielt und an Gins Rockzipfel hing wie ein kleiner Junge, der sich nach einem Lolly sehnte. „Mal sehn.“ Gin streckte sich. „Der Boss wird schon wissen, wann es am besten ist zurück zu kehren. Hast du was Neues vom FBI gehört?“ „Nein, sie halten ihren Fehler bezüglich des Gemäldes unter Verschluss, was ihnen leicht fällt, da keiner diese Angelegenheit mit dem FBI in Verbindung bringt.“ „Ich hätte zu gern sein Gesicht gesehen, als er bemerkte, dass wir vor ihm da waren.“ „Du kannst es dir doch vorstellen. Akais Gesicht wird sich wohl nicht wirklich verändert haben.“ Gin grinste. „Die Vorstellung allein reicht mir nicht.“ „Das ist mir egal. Falls es dir wirklich so wichtig ist, kannst du ihn besuchen und selber fragen. Noch besser, du suchst dir eine Wohnung in seiner Nähe und beobachtest ihn dann Tag für Tag.“ „Mach dich nicht lächerlich.“ „Trotzdem wenn du noch länger hier bleiben willst, solltest du dir eine eigene Bleibe oder ein Hotel suchen“, kam Vermouth erneut auf das Thema vom Beginn zu sprechen. „Jaja…sag doch gleich, dass du mich nicht hier haben willst, wobei ich mir sicher bin, dass ich ein besserer Umgang bin als Wodka.“ Sie schmunzelte. Damit traf Gin ins Schwarze. Gerade als sie etwas erwidern wollte, verzog Gin das Gesicht. „Wenn man vom Teufel spricht.“ Er sah auf das Handy und spielte wenige Sekunden mit dem Gedanken einfach nicht ranzugehen. „Geh schon ran“, gab die Schauspielerin von sich. „Dein Klingelton nervt mich.“ „Was willst du, Wodka…“, raunte Gin genervt in den Hörer. Das Gespräch dauerte mehrere Minuten. Minuten, in denen Gin immer wieder durch den Raum ging und zwischendurch aus dem Fenster sah. „Schick mir die Daten zu, ich buch den Flug.“ „Du musst schon gehen? Das ist aber Schade, dabei wollte ich dir doch noch so viel zeigen.“ Vermouths Schauspiel war perfekt. Ihre Gesichtszüge und auch eine leichte Träne kam zum Vorschein. Ja, diese Frau wusste, was sie tat und sie wusste, wie sie den Männern den Kopf verdrehen konnte. Aber nicht allen. „Die Pflicht ruft. Das solltest du am besten wissen“, gab Gin von sich. Seine Stimme war kühl. „Ich brauch deinen Computer.“ „Bitte.“ Vermouth wartete. Gin sah ungeduldig zu ihr. „Wird’s bald?“, raunte er. Vermouth verdrehte die Augen. „Ein wenig Höflichkeit könnte dir nicht schaden, Gin.“ Trotz allem stolzierte sie in das eingerichtete Arbeitszimmer. Der Raum war spartanisch eingerichtet. Wand, Tür, Fenster, weitere Wände und schließlich der Schreitbisch in der Mitte. Ohne zu zögern, ging sie zu diesem, schaltete ihn an und gab ihr Passwort ein. Gerade als sie ihre Lippen zu einem Wort formte, stieß Gin sie zur Seite und öffnete das Internet. „Willst du mir nicht sagen worum es geht?“, kam es von der Blonden. Ein Grinsen umspielte seine Lippen. „Ein neuer Auftrag.“ „Worum geht’s?“ Vermouth wurde sichtlich hellhörig. Neue Aufträge waren interessant, vor allem, wenn sie dazu führten, dass Gin das Land verließ. „Wodka hat einen Auftrag fast vermasselt“, knurrte der Mann in Schwarz. „Ist ja nichts Neues.“ Dafür fing sie sich einen bösen Blick ein. „Ein Schnüffler wäre ihm fast auf die Schliche gekommen und wollte ihn ins Gefängnis bringen, nur weil ihn sein Aussehen verdächtig erscheinen ließ.“ Vermouths Kehle schnurrte sich zusammen. Ein mulmiges Gefühl jagte durch ihren Körper. Shinichi…Conan… Das durfte nicht sein. „Glücklicherweise konnte jemand anderes wegen Mord überführt werden, sodass der gute Wodka immer noch frei herum läuft.“ Vermouth nickte. „Wodka hat manchmal mehr Glück als Verstand.“ „Der Boss ist natürlich nun in Sorge, dass unsere Identitäten auffliegen. Deswegen soll ich mich um die Angelegenheit kümmern.“ „Heißt?“ Vermouth hasste es, wenn sie ihm alles aus der Nase ziehen durfte. „Der Schnüffler wird erledigt. Am besten so, dass nichts auf uns zurück fällt. Deswegen mach ich die Sache alleine.“ „Lass das doch Bourbon machen.“ „Pff…vergiss es. Ich mach das selber.“ Gin öffnete die erste E-Mail in seinem Postfach. Sie hatte keinen Text, nur zwei Anhänge. Den ersten öffnete er sofort und sah sich das Bild des Detektivs an. „Sein Gesicht kommt mir bekannt vor.“ „Wahrscheinlich hast du in der Zeitung von ihm gelesen. Kogoro Mori, er löst seine Fälle im Schlaf“, antwortete die Schauspielerin. „Nein, das ist es nicht…wir haben ihm schon einmal einen Besuch abgestattet. Ja…ich erinnere mich. Das FBI hat ihn benutzt um uns zu kriegen“, schnaubte er. „Man trifft sich immer zweimal im Leben. Dieses Mal kommt er nicht so glimpflich davon.“ Der Cursor der Maus wanderte langsam zum zweiten Anhang. Mit einem Doppelklick öffnete er auch dieses. „Und wer soll das sein?“ Ihre Reaktion war kühl. Ein Glück, dass ihr Schauspiel bis zur Perfektion ragte. Ebenso war es ein Glück, dass sie hinter Gin stand und er den Schrecken auf ihrem Gesicht nicht erkannte. „Seine Tochter soweit Wodka richtig recherchiert hat. Und der Junge wohnt wohl auch bei ihm“ Gin lehnte sich nach hinten und verschränkte die Arme. „Sollen sie auch sterben?“ Der Angesprochene grinste. „Viel besser. Ich soll sie zur Organisation bringen. Sie werden unser nächstes Lämmer. Und schon bald werden aus ihnen mächtige Löwen werden.“ Vermouth wich nach hinten. Eine Katastrophe bannte sich an. Und sie waren die Schlüsselfiguren. Ran Mori. Oder das, was nach den Taten der Organisation von dem unschuldigen Mädchen übrig blieb. Conan Edogawa, dessen wahre Identität der Organisation noch verborgen blieb. Shinichi Kudo. Der Junge, der alles änderte. Kapitel 4: Schleier ------------------- Der Morgen dämmerte und der Schleier der Nacht verschwand. Das einzige Geräusch waren ihre Schritte, die durch die Flughafenhalle erklangen. Diesmal reiste sie unter ihrer wahren Identität. Chris Vineyard Wie oft zierte eine schwarze Sonnenbrille das Gesicht der hübschen Schauspielerin, das sämtliche Reisenden wie auch das Personal zu lähmen schien. Alles, bis auf ihre Schuhe, war Mucksmäuschen still. Chris verzog die Miene nicht. Sie war Blicke gewöhnt und bewegte sich elegant zum Ausgang. Draußen angekommen, sah sie sich kurz um und stolzierte sofort zum weißen Mazda RX-7. Ohne sich dem Fahrer bemerkbar zu machen, stieg sie auf der Beifahrerseite ein. „Die Sache wird ernst.“ Bourbon nickte. „Mori ausschalten, Ran und Conan in unsere Gewalt bringen“, wiederholte er es. „Wann will Gin anfangen?“ „Er fliegt in zwei Tagen her. Alles andere wäre zu auffällig. Vor allem, wenn er zusammen mit mir reisen würde.“ „Wer hätte gedacht, dass Gin uns etwas Zeit gibt“, grinste Bourbon. „Wollte er etwa nicht zuerst fliegen?“, kam es spottend. „Akai ist in den Staaten. Du kennst Gin. Er will ihn erst noch ein wenig ärgern.“ Bourbon grinste. „Zu dumm, dass Akai bereits im Flieger hierher sitzt.“ „Woher weißt du das?“ „Quellen, meine Liebe“, antwortete Bourbon. Toru Amuro „Soll mir recht sein“, entgegnete die Schauspielerin. Vermouth griff in die Innentasche ihrer Jacke und zog eine Schachtel Zigaretten heraus. Die erste zündete sie sich sogleich an und hauchte den Rauch genüsslich gegen das Fenster. „Halt bei der nächsten Post an.“ „Hmm?“ Borbon sah aus dem Augenwinkel zu ihr. „Was hast du vor?“ Vermouths Hand glitt unter den Beifahrersitz, wo ihre Handtasche deponiert war. Sie öffnete diese und holte einen Briefumschlag heraus. *** Kogoro Mori – der Meisterdetektiv, der seine Fälle im Schlaf löste, stand in seiner Wohnung und sah sich im Spiegel an. Der schwarze Anzug schmiegte sich perfekt an seine Kontur an. Nur mit der Krawatte hatte er einige Probleme. „Lass mich das machen, Paps.“ Ran trat zu ihm und führte schnelle Bewegungen auf um den doppelten Knoten zu binden. „Fertig.“ „Ich weiß nicht einmal, warum wir hingehen. Ich kenn diesen Ormond Sacker gar nicht.“ „Ach Paps“, seufzte sie. „Vielleicht ist das ein neuer Klient, der dich erst einmal kennen lernen möchte und so ein Maskenball ist super aufregend, wenn man gar nicht weiß, mit wem man gerade spricht oder mit wem man tanzt. Sonoko ist total neidisch auf uns und wäre am liebsten mitgekommen.“ „Von mir aus hätte sie den Platz des Knirpses einnehmen können.“ „Paps!“ Ran stemmte die Hände in die Seiten. „Sein Name ist Conan und er gehört zu unserer Familie. Außerdem war die Einladungskarte auf seinen Namen ausgestellt. Du kannst ihn nicht einfach auswechseln.“ Ran fing gerade erst an. Ein Wort und ihre Argumente würden folgen. „Jaja…schon gut. Ist der Knirps schon fertig?“ „Fertig und am Warten. Also nimm deine Maske und komm jetzt.“ „Ja…Mausebeinchen.“ Kogoro seufzte. Manchmal schien es, als hätte Ran die Hosen an. „Muss ich diese Maske wirklich anziehen?“ „Natürlich musst du das, Paps.“ Ran tippte mit dem Fuß auf dem Boden. „Und jetzt beeil dich.“ *** Kogoro sah sich um. Der Raum war mit Menschen gefüllt. Die Herren trugen Anzüge. Schwarz. Weiß. Braun. Und dazu noch die Masken, die ihnen vom Veranstalter geschickt wurden. Die Frauen trugen Kleider. Ihre Farben waren weitaus bunter. Kogoro seufzte. Bislang interessierte sich keiner für ihn. Kogoro dachte an Rans Worte. Dennoch ließ sich nicht einmal der Gastgeber blicken. Zumindest erkannte man keinen. „Möchten Sie etwas trinken?“ Kogoro sah den Kellner an. „Natürlich.“ Sofort nahm Mori das Glas mit dem Champagner. „Sie kommen mir bekannt vor.“ Der Kellner, der ebenfalls eine Maske trug, schmunzelte. „Natürlich, Herr Mori, schließlich nahmen Sie mich als Schüler auf.“ „Sie…sind…“ Amuro nickte. „Sie scheinen überrascht. Dabei wissen Sie doch, dass ich mein Geld mit Kellnern verdiene.“ „Ich war nur überrascht, dass Sie ausgerechnet hier arbeiten.“ Kogoro sah sich um. „Es sieht so aus, als würden nur hochrangige Personen hier sein.“ „Das war auch gar nicht so einfach. Wenn ich ehrlich bin, haben Sie mir die Türen geöffnet“, erzählte er. „Kaum hatte ich erwähnt, dass ich ihr Schüler war, hatte man keine Bedenken mehr.“ „Ich verstehe“, gab Kogoro von sich. „Haben Sie bereits einen der Gäste erkannt?“ „Bisweilen nur Sie.“ „Das kann ich gut nachvollziehen. Wie soll man auch jemanden mit diesen Masken erkennen“, seufzte er. „Da haben Sie recht.“ Amuro nahm seine Maske ab. „Wenn ich ehrlich bin, bin ich kein Fan von solchen Maskeraden. Masken dienen nur als Schleier.“ „Hmm?“ „Finden Sie das nicht?“, wollte Amuro wissen. „Unter einer Maske erkennt keiner, was Sie wirklich denken, wie Sie sich fühlen oder was Sie vor haben. Woher wissen Sie jetzt, dass keiner der Anwesenden argwöhnisch ist, weil Sie hier sind?“ Amuro schüttelte den Kopf. „Masken verschleiern nur die wahren Emotionen. Allerdings tragen viele Menschen unsichtbare Masken und zeigen nie ihre wahren Emotionen.“ Er wirkte nachdenklich. „Amuro…“, murmelte Kogoro. Selten sah er seinen Schüler so. Der Angesprochene schüttelte den Kopf und somit seine Gedanken weg, ehe er sich seine Maske wieder aufsetzte. „Nur ein paar Gedanken. Ich muss weiter bedienen. Ich hoffe, Sie haben noch einen schönen Abend.“ Ran blickte auf Conan. „Gefällt es dir hier?“ Der Junge nickte. „Aber ich wundere mich, warum auch wir beide eingeladen wurden.“ Das Mädchen überlegte. „Wahrscheinlich hat der Gastgeber ein paar Informationen über Paps eingeholt und deswegen gewusst, dass es uns auch noch gibt“, meinte sie. „Mhm…das kann sein.“ Conan schaute sich um. „Kennst du jemanden der Gäste. Bisher hat sich auch noch keiner mit deinem Vater oder uns unterhalten“, kam es nachdenklich von ihm. „Das kommt noch. Du kennst doch, Paps. Bald posaunt er heraus, wer er ist und jeder wird mit ihm reden wollen“, lächelte sie. „Allerdings wundere ich mich, dass wir den Gastgeber noch gar nicht kennen lernten. Ormond Sacker hieß er, nicht wahr?“ „Wir werden Ormond Sacker auch nicht kennen lernen.“ Conans Stimme veränderte sich dabei und sein wahres Ich – Shinichi Kudo – kam hervor. „Ormond Sacker war der ursprüngliche Name den Sir Arthur Conan Doyle seinem Charakter John Watson gab. Aus dem Grund vermute ich, dass der Gastgeber jemand ist, der im Verborgenen bleiben will.“ Ran blickte den Jungen irritiert an. „Du…du hörst dich fast so an…wie…wie…Shinichi…“ „Was? Nein nein, das…äh…das liegt daran, weil er mir das letztens erzählt hat. Das hab ich mir einfach gemerkt. Du kennst ja Shinichi. Wenn es um Sherlock Holmes geht, redet er wie ein Wasserfall.“ Sie nickte. Und trotzdem war kurz diese Vertrautheit da. „Conan…“, fing sie an. Dann stockte sie. „Was hast du, Ran?“ Das Mädchen schluckte. Auf einmal fühlte sie sich beobachtet, spürte einen Blick auf sich. Einen Blick, der nichts Gutes verhieß. Sie sah sich um. Schon bald erkannte sie ihn. Der fremde Mann lehnte gegen eine Wand. Er war alleine und stand einfach so da und beobachtete sie. Er wandte den Blick keine Sekunde von ihr ab. Nicht einmal, als sie ihn bemerkte. „Ran?“ Ran schaute nach unten. „Dieser Mann beobachtet uns. Der, der dort an der Wand steht.“ „Kennst du ihn?“ „Nicht das ich wüsste. Aber durch die Maske kann ich nichts erkennen, außer diese stechend grünen Augen.“ Ran ballte die Faust. „Ich will jetzt wissen, warum der uns die ganze Zeit anstarrt.“ „Ran warte.“ Ran aber ging bereits auf ihn zu. Der Fremde, der einen Kopf großer als sie war, ließ den Blick nicht von ihr ab. „Was willst du?“ „Warum beobachten Sie uns?“ „Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich dich nicht beobachte?“, wollte der Mann wissen. „Nein, würde ich nicht. Und damit Sie es wissen, ich mach Karate. Sie können mir keine Angst machen.“ Der Mann schmunzelte. „Dafür, dass du immer am weinen bist, bist du bist ziemlich selbstsicher.“ Er musterte das Mädchen. „Du solltest lernen dich nicht auf das Äußere eines Menschen zu besinnen. Nur weil ich hier steh, heißt das nicht, dass ich nicht stärker bin als du.“ Ran verkrampfte. Sofort stellte sie sich in Kampfposition hin. „Versuchen Sie es doch.“ „Ran, lass das doch…“, murmelte Conan. „Du solltest auf den Kleinen hören.“ Ran aber bewegte sich auf den Fremden zu. Sie wollte ihm zeigen, wie gut sie war, was sie konnte und dass man sie nicht unterschätzen sollte. Sie bewegte sich schnell und für einen Laien waren ihre Bewegungen kaum vorherzusehen. Bei ihm aber war es anders. Der Fremde machte wenige Schritte zur Seite und im nächsten Moment packte er ihren rechten Arm, drehte ihn nach hinten und hatte sie fest im Polizeigriff. Er grinste, ehe er ihren Arm leicht nach oben drückte. Ran verspürte einen kurzen Schmerz. Definitiv war es kein Karategriff und so fiel es ihr schwer, sich zu befreien. Kurz darauf ließ er ihren Arm los. „Ich sagte es dir doch.“ Die Lektion sollte reichen. Fürs erste. *** Genüsslich rauchte Gin seine Zigarette. Er saß in seinem Wagen und beobachtete die ganze Szenerie. Wodka saß neben ihm und nickte. „Ich hoffe, Bourbon weiß, was er tut, wenn nicht…“, kam es von Gin. Eigentlich sollte er derjenige sein, der Kogoro erledigte. Eigentlich. „Keine Sorge. Keiner wird darauf kommen, dass wir unsere Finger im Spiel haben.“ Vermouth lehnte sich nach vorne. „Bist du sauer, weil du ihn nicht erledigen durftest?“, hauchte sie ihm ins Ohr. Gin zischte. „Jetzt hab dich nicht so. Ich hab dem Boss eben bessere Argumente liefern können.“ Sie lehnte sich zurück nach hinten. „Du wärst doch viel zu grob an die Sache heran gegangen.“ „Du redest zu viel.“ „Ich sag nur, wie es ist.“ „Aniki, was machen wir, wenn es nicht klappt?“ „Für den Fall sitzen Korn und Chianti auf ihren Positionen und warten auf meinen Befehl.“ Gin grinste. Über den Spiegel am Beifahrersitz sah er zu Vermouth. „Du solltest hoffen, dass es funktioniert.“ „Das wird es, Gin. Mach dir keine Sorgen. Bislang kennt keiner der Gäste den Zusammenhang zwischen Ormond Sacker und mir. Mori weiß ebenso wenig, wer Bourbon ist und das er gerade einen netten kleinen Giftcocktail zu sich nimmt.“ Vermouth schmunzelte. „Aber ist das Gift nicht nachweisbar?“, wollte Wodka wissen. „Idiot. Er kriegt APTX 4869.“ „Weder im Blut noch im Getränk nachweisbar. Kein charakteristischer oder komischer Geruch. Der Wirkstoff lässt es nach einem Herzinfarkt aussehen“, entgegnete Vermouth. „Aber wenn Bourbon in die Schusslinie gerät…?“ „Erst nachdenken, dann reden, Wodka. Bourbon hat sich bei Mori als Schüler eingeschleust. Keiner würde vermuten, dass er seinen Lehrer umbringt. Und selbst wenn, sie müssten es ihm erst nachweisen. Bourbon ist nicht dumm.“ Vermouth schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Es kann nichts schief gehen“, sprach sie. „Und später werde ich den Part des Gerichtsmediziners übernehmen und den Herzinfarkt bestätigen.“ „Ach so“, gab Wodka von sich. „Und wann schnappen wir uns die Kinder?“ „In den nächsten Tagen“, antwortete Vermouth. „Alles andere wäre viel zu auffällig.“ *** Kogoro ließ das leere Glas auf den Boden fallen. Es klirrte und urplötzlich hielt er sich mit der rechten Hand sein Herz. Es brannte. Schweiß lief ihm von der Stirn hinunter. Seine Beine ließen nach und schon bald befand er sich auf den Knien. Kogoro atmete schneller und schneller. „Paps!“ Ran schrie. Zusammen mit Conan lief sie sofort zu ihrem Vater. „Paps. Was ist mit dir?“ Sie zitterte und schaffte es kaum, ihm die Maske abzunehmen. „Onkelchen.“ „Me….ei…n…He….er…..rz…“ Ran sah sich um. Die Menschenpflaume kam dichter und alle beäugten das vor ihnen liegende ,Spektakel´. „Nun glotzen Sie nicht so. Rufen Sie einen Notarzt.“ Ran sah wieder zu ihrem Vater. „Halt durch, Paps.“ Kogoro zitterte. Alles verschwamm bis sein Blick schwarz wurde und er leblos auf dem Boden lag. „Weg da, Ran.“ Amuro warf das Tablett mit den Getränken auf den Boden. Er stürzte zu seinem Lehrer, riss ihm das Sakko sowie das Hemd auf. Dann begann er mit der Herz-Druck-Massage. Vergeblich. „Paps…nein…Paps….“ Ran weinte. Als Amuro aufhörte und sich geschlagen gab, umarmte sie ihren Vater. „Das darfst du nicht. Papa….“, schluchzte sie. Sie rüttelte seinen leblosen Körper, hoffte, dass er wieder aufwachte, aber nichts geschah. „Paps…tu mir das nicht an…bitte…“ Conan setzte sich neben Kogoro. „Onkelchen…“, murmelte er leise. „Ran.“ Amuro sah sie betroffen an. Er kniete sich zu ihr und umfasste ihre Schulter. „Es tut mir leid…“ Ran schüttelte den Kopf. „Nein…nein…geht weg…geht weg.“ Ran blieb die nächste halbe Stunde bei ihrem Vater. „Ran? Du musst jetzt…“ Amuro seufzte, als sie den Kopf schüttelte. „Ran, er hat Recht. Die Ärzte sind jetzt da.“ Das Mädchen schluchzte. „Sie sind zu spät.“ „Ich weiß…trotzdem müssen sie ihn mitnehmen und…eine Routineuntersuchung durchführen…“ „Na komm, Ran.“ Amuro half ihr hoch. „Aber…“ Hilflos sah Ran zu. Sie schluckte. Und es wurde nicht einfacher, als einer der Sanitäter Kogoros Gesicht mit seinem Sakko verschleierte. Langsam befreite sich Ran aus dem Griff. Sie sank auf die Knie. Ihr Blick fiel zu der Maske. Zaghaft nahm sie diese in die Hand. Kogoros Maske. Der Schleier auf seinem Gesicht. Kapitel 5: Zwischen zwei Stühlen -------------------------------- Apathisch blickte Ran auf den Leichnam ihres Vaters. Sie schluckte. Ihre Tränen flossen wie ein Wasserfall an ihrer Wange herunter zum Kinn und anschließend zum Boden. „Paps“, wisperte sie leise, während man den Besagten auf die Trage legte und aus dem Raum brachte. „Paps.“ Immer wieder ertönte das eine Wort. Zuerst mäßig laut, dann wurde es zu einem Flüstern, bis es schließlich versiegte. Ran versuchte aufzustehen. Ihre Beine zitterten und sie sackte direkt wieder zusammen. Mit besorgtem Blick lief Conan zu seiner Freundin. Auch ihm stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben. „Ran.“ Sie sah ihn an. Ihr Blick war glasig, als wäre nur ihr Körper anwesend, aber nicht ihre Seele. „Pa…pas…er…er…ist…tot.“ Dann schrie sie. Ran schrie so lau wie sie nur konnte, schrie sich die Seele aus dem Leib…doch es brachte nichts. Es war zu spät. Ihr Vater war tot, hatte diese Welt verlassen und was ihr blieb, war die Erinnerung. Erneut versuchte Ran aufzustehen, aber ihr Körper bewegte sich keinen Millimeter. „Ran“, murmelte Conan leise. Das Mädchen sah ihn kurz an. Für einen Moment wollte sie lächeln, ihm sagen, dass alles gut werden würde, dass es nur ein Albtraum war und morgen der Tag ganz anders aussah. Sie konnte nicht. *** Skeptisch beobachtete Shuichi Akai die Grundschülerin Ai Haibara. Bereits vor längerer Zeit fand er ihre wahre Identität heraus und erschlich sich als Subaru Okiya teilweise ihr Vertrauen. Aber das brauchte er nicht, um weiterhin auf sie aufpassen zu können. Obwohl er schon lange nicht mehr unter seiner falschen Identität lebte, blieb er im Haus der Kudos wohnen. Vor allem Yukiko erfreute die Anwesenheit des FBI-Agenten. Sie hatte einen Narren an ihm gefressen und immer, wenn es ging, ärgerte sie ihren Mann mit der scheinbaren Schwärmerei. Shuichi trat vom Fenster weg, als sich Ais Kopf zu diesem bewegte. Das Mädchen ahnte nicht, dass er in der Villa, besonders im Verborgenen agierte. Noch sollte sie es nicht wissen. Offiziell zog Subaru Okiya vor einigen Wochen fort. Man sah Ai die Erleichterung an. Ihr jetzt den nächsten Mitbewohner vorzustellen war kein Schritt, den er gehen wollte. Shuichi war immer darauf bedacht die Villa nur in der tiefen Dunkelheit zu verlassen oder anzukommen, gelegentlich reichte auch die Schulzeit des Mädchens. Shuichi hörte, wie die Haustür zugeschlagen wurde und die Schritte immer hastiger wurden und näher kamen. Der FBI-Agent war auf alles vorbereitet. Er bewegte sich an die Zimmertür und zog seine Waffe. Sein Körper spannte sich an. „Herr Akai“, rief Conan, der kurz darauf in den Lauf seiner Waffe blickte. Conan schluckte. „Eh…“ Shuichi steckte die Waffe weg. Er verengte die Augen zu schlitzen. Irgendwas war passiert. Das erkannte er an der Körperhaltung des geschrumpften Oberschülers. Er wirkte angespannt, panisch und zittrig. Außerdem wäre Conan unter keinen Umständen so hastig in die Villa gekommen oder hätte seinen Namen gerufen. „Was ist passiert?“, wollte der Agent wissen. Automatisch ballte sich die Hand von Conan zu einer Faust, merkend, dass der Brief, den er in dieser hielt, seine Form änderte. „Hier“, antwortete der Junge und reichte Akai den Umschlag. „Die Organisation will Kogoro.“ „Wieso?“ Shuichi hob die Augenbraue. „Ich weiß es nicht.“ Conans Stimme klang verzweifelt. „Es ist meine Schuld“, wisperte er leise. „Ich hab sie in Gefahr gebracht.“ Shuichi blieb einen Moment ruhig und las den Brief. „Mhmm…“ „Sie sehen es auch…nicht wahr?“ Akai nickte. „Ormond Sacker“, murmelte er. „Ein Name, der kaum einem Menschen bekannt ist. Der erste Schatten einer falschen Identität“, fügte er hinzu. „Aber…das…ich…“, schluckte Conan. „Ich weiß. Schaut man sich die Anfangsbuchstaben jedes Wortes an, ergibt das den Namen. K. Mori. Die Wölfe wollen also wirklich zuschlagen.“ Shuichi leckte sich über die Lippen. Seit New York war er ihnen nicht mehr so nah. Und diesmal durfte nichts schief gehen. Conan musste schlucken. Er war bleich geworden und konnte die Reaktion des FBI-Agenten nicht verstehen. Es war einfacher, wenn fremde Menschen in Gefahr waren. Aber nun waren es die, die ihm am meisten bedeuteten. „Es ist in drei Tagen. Wir müssen was unternehmen.“ *** Mit gemischten Gefühlen begab sich Kogoro Mori in die Villa der Familie Kudo. Jodie Starling, die FBI-Agentin, die er als Rans Englischlehrerin kennen lernte, bestellte ihn dorthin. Bereits seit ihrer Begegnung im Beika-Einkaufszentrum, als sie wegen einer Mütze in Rage geriet, wurde er skeptisch. Kogoro stand vor der Villa. Schon früher mochte er sie nicht. Sie zeigte alles, was er nicht hatte. Geld. Familie. Bekanntheit. Wobei letzteres immer weiter anstieg. Zielstrebig klingelte der Detektiv. Und wartete. Und wartete. Und wartete weiter. „Da bestellen die mich extra hierher und dann ist keiner da“, schimpfte er. Erneut betätigte er die Klingel. „Dann halt nicht“, schnaubte er. Wie aufs Wort öffnete sich die Tür. „Frau Sainte…sainte…saintemillion äh…Starling? Saintemillion?“, fragte er verwirrt. „Starling, bitte“, entgegnete die Agentin.“ Kommen Sie rein.“ Jodie ging sogleich in das Wohnzimmer, während Kogoro ihr einfach nur hinterher stolperte. „Sie machen es aber auch spannend“, meinte er. „Was macht denn der Knirps hier?“ Conan saß ruhig auf dem Sofa. Vor ihm lag die Einladung von Ormond Sacker, eine Akte sowie ein grüner Textmarker. „Ich…“ „Schon gut, Conan, ich mach das schon“, nickte Jodie dem Grundschüler zu, ehe sie die Akte nahm. „Herr Mori, vor über einer Woche wurden Sie in einen Mordfall hineingezogen, bei dem Sie den folgenden Mann für den Täter hielten.“ Jodie schob ihm das Bild eines Mannes hin. Wodka. Kogoro runzelte die Stirn. „Ah, ich erinnere mich“, nickte er. „Können Sie mir erzählen, warum Sie ausgerechnet diesen Mann für den Täter hielten?“, wollte sie wissen. „Natürlich. Sehen Sie es denn nicht? Sein gesamtes Aussehen und seine Statur passen auf einen Mörder. Und meine Schlussfolgerungen hätten sehr gut auf ihn zutreffen können.“ Jodie räusperte sich. „Herr Mori, Sie können doch keine Person ihres Aussehens wegen für einen Mörder halten.“ Sie seufzte. „Damit haben Sie sich in große Gefahr gebracht.“ Dieser Teil der Unterhaltung gefiel ihr nicht. Aber welche andere Wahl hatten Sie schon? „Wie Sie bereits schlussfolgerten, auch wenn es nur wegen seinem Aussehen ist, hat der Mann Dreck am Stecken. Und genau für diesen Dreck interessiert sich das FBI.“ Kogoro setzte zum Sprechen an. „Ich bin noch nicht fertig, Herr Mori.“ Nun kam die ehrgeizige FBI-Agentin zum Vorschein. „Wahrscheinlich werden Sie nun anmerken, dass ich hier im Urlaub bin. Das war gelogen.“ Jodie atmete tief durch. „Da die Leute, für die der Mann auf dem Foto arbeitet, auch in den Vereinigten Staaten agieren, wurde ich hergeschickt und arbeite daran die Hintermänner zu enttarnen. Natürlich erzähle ich Ihnen das nicht ohne Grund. Aber ehe ich gleich weiter spreche, muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie niemanden von meiner wahren Tätigkeit hier erzählen dürfen.“ Kogoro lehnte sich nach hinten. Selbstsicher verschränkte er die Arme, schloss die Augen und tat, als würde er nachdenken. „Ich verstehe. Das FBI kommt nun nicht weiter und ich, der große Kogoro Mori, soll helfen.“ „Nein.“ Verwirrt blinzelte er Jodie an. „Diese Gruppierung agiert im Verborgenen. Ihre Pläne sind oftmals nicht durchschaubar. Dieses Mal kennen wir ihr nächstes Opfer.“ „Ach? Und wer soll das sein?“ „Sie.“ „Eh?“ Kogoro schüttelte den Kopf. „Das ist das Blödeste, was ich je gehört habe.“ „Es ist aber wahr“, kam es dann von Conan. „Was mischt du dich da überhaupt ein? Und wenn dieser Mann angeblich so gefährlich sein soll, werden Sie sicherlich kein Kind miteinbeziehen.“ Kogoro wirkte siegessicher, doch das Lachen sollte ihm schnell vergehen. „Normalerweise nicht. Allerdings kam Conan bereits mehrfach mit ihnen in Berührung. Glücklicherweise haben sie bislang keine Kenntnis von ihm. Das FBI vertraut ihm.“ Jodie lächelte dem Jungen zu. „Und zum Schluss war er es, der erkannte, dass Sie das nächste Ziel sind.“ „Natürlich.“ Kogoro schlug sich lachend aufs Knie und stand anschließend auf. „Das FBI hört auf einen Grundschüler. Das sollten Sie verfilmen.“ In Jodies Gesicht war keine Regung zu erkennen. „Sie wurden zu einem Maskenball eingeladen von einem gewissen Ormond Sacker. Haben Sie schon einmal im Internet nach der Person gesucht?“ „Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.“ „Ormond Sacker existiert nicht. Weder in Japan noch in den Staaten. Meine Leute haben das überprüft. Aber ich kann Ihnen sagen, wer Ormond Sacker in Wirklichkeit ist. Kennen Sie Dr. John Watson?“ „Natürlich.“ „Ormond Sacker war der eigentliche Name von Watson, ehe er von Doyle umgeändert wurde.“ Jodie ließ die Information einige Sekunden sacken. „Diese Organisation verwendet nie richtige Namen. Und wenn Sie sich die Nachricht ansehen, die Sie zusammen mit der Einladung erhalten haben, können Sie einen weiteren Hinweis finden.“ Mori verdrehte die Augen. „Wenn es Sie glücklich macht.“ Er nahm die Einladung und las sie sich durch. „Kein Hinweis. Bedaure, Sie haben sich vertan.“ „Du musst die Anfangsbuchstaben nehmen. Hier.“ Conan reichte ihm den Textmarker. Langsam ließ sich Mori wieder nieder und begann die einzelnen Buchstaben zu markieren. „T-A-R-G-E-T-K-M-O-R-I“, las er vor. „Wie ich bereits erwähnte, sind sie auch in den Staaten tätig. Target bedeutet übersetzt Ziel. Den Rest können Sie sich selbst zusammen reimen“, entgegnete Jodie ruhig. „Glauben Sie mir jetzt?“ „Das kann nicht sein.“ Kogoro schüttelte den Kopf. „Zufall. Und warum sollte jemand jedem Gast mitteilen, dass ich das Ziel bin?“ „Das wurde es nicht. Wir konnten weitere Personen ausfindig machen, die ebenfalls eine Einladung erhielten. Sie sind der Einzige, der einen Brief dazu bekam.“ Wie Shuichi diese Personen ausfindig machte, wollte sie lieber nicht wissen. Sie wusste, dass er in Japan verschiedene Informanten hatte. „Ich sehe, dass Sie hin- und hergerissen sind. Aber Sie müssen dem FBI vertrauen. Wir können für Ihre und für die Sicherheit Ihrer Tochter garantieren.“ Kogoro überlegte und sah den Brief an. Unweigerlich zitterte seine Hand. „Und wie wollen Sie das machen?“ „Wir werden Sie auf dem Maskenball nicht aus den Augen lassen. Da man Sie tot sehen will, müssen wir Ihren Tod vortäuschen. Aus diesem Grund werden Sie einen Herzinfarkt erleiden.“ „Ich soll was?“, schrie der Detektiv. „Ich weiß, das ist nicht einfach, aber wir geben Ihnen unser Wort, dass nichts schief gehen wird. Unsere Männer werden Sie als Sanitätspersonal in Sicherheit bringen und ein Gerichtsmediziner wird Ihren Tod bestätigen. Damit keine Leiche gefunden wird, werden Sie, zumindest offiziell…“ Jodie schluckte schwer. „…verbrannt.“ Alter Erinnerungen kamen hoch. Das Feuer und James, der das achtjährige Mädchen davon abhielt, in das Haus und zu ihrem Vater zu laufen. „Sie spinnen doch. Das nimmt mir keiner ab. Und selbst wenn, wo soll ich denn hin? Und was wird aus Ran?“ „Um Ihre Tochter werde ich mich kümmern. Als Ihre ehemalige Englischlehrerin dürfte das kein Problem sein. Ihre Tochter hat nichts zu befürchten.“ „Und du wirst in der Villa bleiben“, fügte Conan an. „Und was sagt der Möchtegern Detektiv dazu?“ „Shinichi hat nichts dagegen“, antwortete Conan sofort. „Außerdem hofft er, dass du auf das Angebot des FBIs eingehst.“ „Mhmm…ich besprech das erstmal mit Ran.“ „Nein.“ Kogoro drehte sich zur Tür. Er erschrak beim Anblick des FBI-Agenten. Shuichis Gesichtsausdruck wirkte finster als er den Detektiv fixierte. „D…da…da ist einer von Ihnen. Sie wollen mich gar nicht retten. Sie liefern sich aus.“ „Hören Sie sich eigentlich selber zu?“, kam es von Akai. „Das ist mein Kollege. Er wird sich hier und während des Maskenballs um sie kümmern.“ „Haben Sie sich ihn mal angesehen?“, wollte Mori wissen. „Ich bin mir über seine…“ Jodie sah zu Shuichi. „…einschüchternde Art bewusst.“ „Hmm…wenn ich mir das ganze so ansehe, dann habe ich fast keine Wahl, nicht wahr? Jodie nickte. „Sie hatten bereits keine Wahl, nachdem der Brief abgeschickt wurde“, gab Akai von sich. „Nachher kommt einer unserer Agenten vorbei und über mit Ihnen den Herzinfarkt. Wir wollen doch, dass Sie glaubwürdig dabei aussehen.“ Akai musterte Kogoro. Erneut stellte er fest, dass Übung dem Detektiv nicht schaden würde. „Erst muss ich mit Ran…“ „Nein“, zischte Shuichi. „Das können Sie nicht einfach so bestimmen.“ Kogoro stand auf und ballte die Faust. „Wenn ich mit meiner Tochter reden will, rede ich auch mit ihr.“ „Und was denken Sie passiert dann“, wollte Akai wissen. „Glauben Sie, dass sie eine gute Schauspielerin ist, die auf Knopfdruck alle Emotionen freiläst und um sie trauern kann, wenn sie die Wahrheit kennt? Glauben Sie mir, ich habe genügend Erfahrung damit gemacht. Personen, die uns nahe stehen, zeigen einen anderen Gesichtsausdruck, wenn sie die Wahrheit kennen.“ „Aber…Ran…“, wisperte der Detektiv. Er ließ sich zurück fallen und saß wie ein Häufchen Elend auf seinem Platz. Der Zwiespalt war einem Gesicht anzusehen. Sollte er Ran anlügen um sein und ihr Leben zu retten? Würde sie ihm das überhaupt verzeihen? Kogoro schluckte. „Ran..“ Jodie wandte den Blick ab. Shuichi traf ins Schwarze. Wieder wählte er einen drastischen Weg, einen Weg, der ihr Herz damals schon umbrachte. Und das nur für die Authentizität. Ohne zu wollen, kamen ihr die Tränen. Auch sie musste den Schmerz ertragen. „Ich kann doch nicht…“, murmelte Kogoro. „Wenn Sie Ihre Tochter in Sicherheit wissen wollen, können Sie.“ Shuichi sah zu Jodie und erhoffte sich Unterstützung. Doch ihr trauriger Blick, wiedergespiegelt durch das Fensterglas, ließ das Blut in seinen Adern gefrieren. *** Ran weinte immer noch. Sie weinte so bitterlich, dass Conan keinen Weg fand um sie zu trösten. Der Grundschüler war, obgleich die Idee auch von ihm stammte, überfordert mit ihrer Reaktion. Wie gern hätte er ihr die Wahrheit gesagt. Hier und Jetzt. Egal wer zuhörte. Er durfte nicht. „Ran…“, gab er leise von sich. Die Verzweiflung machte sich bemerkbar. Kurz schielte er zu Akai, der die Situation von weiter weg beobachtete. Shuichi schüttelte den Kopf. „Ran…“, erneut sprach er ihren Namen. „Ich…dein Vater…“ Conan schluckte. Er musste es sagen. Er musste einfach. Doch seine Stimme zitterte und er brach den Satz ab. Nein…es war besser, wenn sie es nicht wusste. Noch nicht. Auch wenn sie ihn dafür hasste, er durfte ihren Tränen nicht nach geben. Das war er ihnen allen schuldig. Kapitel 6: Licht im Dunkeln --------------------------- Kogoro zog den dunkelbrauen Trenchcoat enger an sich. Mit einem mulmigen Gefühl betrachtete er sich im Spiegel. Seit seinem Tod verging eine Woche. Ran wohnte – trotz Einwand von Eri – bei Jodie. Rans Mutter war die Person, mit der sie als letztes rechneten. Erst als diese in der Detektei stand und Ran mit sich nehmen wollte, fiel den Agenten ihre neues Problem ein. Glücklicherweise bekamen sie alles über die angebrachten Wanzen mit, sodass Jodie kurz darauf – natürlich nur um nach Ran zu sehen – ebenfalls in der Detektei erschien. Es war offensichtlich, dass Mutter und Tochter unterschiedliche Ansichten besaßen. Ran, die noch immer am Tod ihres Vaters zu knabbern hatte, wollte weiterhin zu Hause wohnen bleiben. Eri hingegen wollte ihre Tochter zu sich nehmen und die Detektei endgültig auflösen. Man sah auch ihr die Trauer an, die auch der Grund für die Auflösung der Wohnbegebenheiten war. Jodie selbst versuchte zwischen den Beiden zu vermitteln und schlug im richtigen Moment vor, dass Ran zu ihr ziehen konnte. Natürlich war Eri skeptisch und wollte nicht, dass sich eine fremde Frau um ihre Tochter kümmerte, vor allem dann nicht, wenn die Aufgabe ihrer Mutter galt. Ran aber brauchte Abstand. Abstand zu jedem, der sie an Kogoro erinnerte und so war Jodie die bessere Wahl. Nichtsdestotrotz vernachlässigte Eri ihre Mutterpflichten nicht. Es gab täglich mindestens einen Anruf oder aber einen Besuch. Und es war genau das, was an Kogoro nagte. Während Jodies Besuchen in der Villa, die zur Schulzeit stattfanden, lauschte er oft und erhaschte so wenig Informationen. Im Vergleich zu ihm, konnte Eri immer mit Ran Kontakt halten. Kogoro setzte sich die schwarze Sonnenbrille auf sein Gesicht und atmete tief durch. Der Detektiv verspürte selten Angst in seinem Leben und hatte immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Aber jetzt wurde die Situation ernst. Das FBI vermutete noch immer, dass man nach ihm suchte und mit Akai hatte er keinen einfachen Aufpasser. Der grimmige Agent war mit allen Wassern gewaschen und er schien genau zu wissen, wann es an der Zeit war möglichen Ausflügen entgegen zu wirken. Diesmal aber hatte Kogoro einen Plan. Diesmal wartete er, dass Jodie zu ihrer täglichen Berichtserstattung in die Villa kam. Kogoro versicherte sich im Spiegel, dass ihn keiner erkannte und bewegte sich von einem Ende des Raums zum nächsten. Als die Tür klingelte, erschrak er. *** Ran saß auf ihrem Platz in der Schule. Langsam endeten die mitleidigen Blicke der Lehrer und Schulkameraden. Nur Sonoko erinnerte sie fast täglich an den Tod von Mori. Aber Ran wollte stark sein – jetzt wo sie alleine war. Rans Vater war Tod. Und Conan, der Junge, der die ganze Zeit über an ihrer Seite stand, zog zu Professor Agasa. Sie hatte niemanden mehr. Ihre Mutter versuchte es zwar, doch Ran fühlte sich erdrückt und zu sehr mit der Erinnerung konfrontiert. Und keiner verstand, was sie wirklich wollte. Vergessen. Einfach nur vergessen. Ran hörte dem Lehrer nicht zu. Die monotone Stimme war alles, nur nicht erhellend. So war es schließlich auch kein Wunder, dass sie die ganze Zeit über aus dem Fenster starrte. Und dann war da diese Person. Sie stand einfach nur da und beobachtete das Schulgebäude. Vermummt. Ran erkannte lediglich einen braunen Trenchcoat, die schwarze Sonnenbrille und einen Schal. Und trotzdem kam ihr die Person bekannt vor. Ran starrte ihn an. Sie wusste, dass es nur ein Zufall war und nichts mit ihr zu tun haben musste und trotzdem war da dieses gewisse Etwas. Für einen kurzen Moment sah sie das Bild ihres Vaters in diesem Mann. Und obwohl Ran wusste, dass kein Zusammenhang bestand, schien es real zu sein. Ohne Vorwarnung stand das Mädchen von ihrem Platz auf, ging an den Tischen und den komischen Blicken ihrer Mitschüler vorbei und lief nach draußen. „Paps?“ Ran stand am Schultor und sah sich um. Der Mann war weg. Sie lief los. Ran lief und lief und lief und lief…Der Schatten breitete sich aus. Zunächst war er klein, wurde größer und zum Schluss umhüllte sie die Dunkelheit. Ran konnte nichts mehr sehen. Alles war schwarz. Nur in der Ferne war ein Licht. Wie sie an den Ort kam, wusste das Mädchen nicht. Ihre Beine trugen sie soweit sie nur konnte. Langsam streckte Ran ihren Arm aus, versuchte den Ort, an dem sie war, zu ertasten, doch andauernd griff sie ins Leere. Ran machte zwei Schritte nach vorne, sah sich um, trat wieder zurück und wiederholte ihre Bewegung. Verängstigt blickte sie in das Licht. Was erwartete sie auf der anderen Seite? Ran ließ sich zu Boden sinken. Alles kam hoch. Kogoro und Eri trennten sich. Und obwohl Eri ihre Tochter zu sich nehmen wollte, konnte sie ihren Vater nicht sich selbst überlassen. Und so – auch wenn es nicht stimmte – wurde sie von ihrer Mutter verlassen und sah diese nur noch selten. Dann war da Shinichi. Auch er ging einfach so, kam wieder, wenn er es für nötig hielt und verschwand erneut. Conan zog zu Agasa und obwohl sie noch regen Kontakt hatten, wusste Ran, dass auch dieser bald enden würde. Jetzt war auch noch Kogoro gegangen und ließ sie alleine. Nur noch in ihren Erinnerungen oder in ihren Träumen würde er eine Rolle spielen. Eine Träne lief Ran an der Wange entlang, als sie sich ihrer Einsamkeit bewusst wurde. Die Dunkelheit und der Schmerz umschlossen sie. „Raaaaaaaaaan“, hörte Shinichis Stimme. Das Mädchen blickte nach oben in die Schwärze. „Wo bist du?“, rief sie. „Ran.“ Wieder war es der Oberschüler der nach ihr rief. „Shinichi…“ Mit zitternden Beinen stand sie auf. „Shinichi, wo bist du?“ „Ran.“ Diesmal gehörte die Stimme ihrem Vater. Die Oberschülerin erschrak. Shinichi war wo ihr Vater war. War Shinichi auch nicht mehr am Leben? „Shinichi! Paps!“ schrie sich Ran die Seele aus dem Leib. „Verschwinde von dort“, hörte sie die Stimme. „Die Dunkelheit darf dich nicht in ihre Fänge bekommen.“ Ran sah sich um. Noch immer erkannte sie nichts in der Finsternis. Nur das kleine Licht war dort. „Geh!“, wies sie Shinichi an. „Shinichi“, wisperte Ran leise. „Ich kann nicht.“ „Doch, du kannst. Gib nicht auf, Ran.“ „Shinichi.“ „Bitte, Ran, ich flehe dich an. Geh fort von diesem Ort.“ Rans Beine setzten sich in Bewegung. Ein Schritt vor den Anderen. Anfangs langsam, dann schneller. Das Licht wurde größer und nahm seine wahre Form an. Als Ran endlich aus der Dunkelheit kam, hielt sie sich die Hände vor das Gesicht. Das Licht strahlte. „Shinichi?“ Die Stimmen waren weg. Irritiert blickte sich das Mädchen um. Sie sah nach hinten. „Ein Tunnel?“, fragte sie sich selbst. Dann sah sie wieder nach vorne und sank auf den Boden. Das Bild war unbeschreiblich. Die Gleise und die Erde drum herum waren mit Flieder bewachsen. Pinker Flieder, der durch die Sonne strahlte. Langsam streckte Ran ihren Arm aus. Zaghaft berührte sie die Spitze des Flieders. Er war warm und herzlich. Und dann musste sie lächeln. Der Flieder gab ihr Hoffnung. Nicht nur, dass er als Symbol für eine beginnende Liebe stand, er rettete sie. Und trotzdem war es Shinichis Verdienst. Seine Stimme zeigte ihr den Weg – den Weg aus der Dunkelheit heraus. „Ich werde es schaffen“, sprach sie zu sich selbst. „Ja, ich werde es schaffen.“ Sie musste. Es gab keinen anderen Weg. Natürlich erwarteten alle, dass sie weiter lebte und alle Hürden meisterte. Alle bis auf sie selbst. Erst jetzt kam ihr Kampfgeist zurück und der Wunsch es wirklich zu schaffen. Die Menschen, ob tot oder lebendig sollten stolz auf sie sein. „Du wirst es schaffen.“ Ran schluckte. „Paps.“ Kogoro lächelte sie an. Er bahnte sich den Weg durch den Flieder und kniete sich zu seiner Tochter. „Egal wie steinig der Weg ist, du wirst es schaffen“, entgegnete er. Ran nickte. „Und wie der Flieder an einem Ort, der in die Dunkelheit führt, wirst auch du wachsen und dich nicht von der Finsternis unterkriegen lassen“, fügte Shinichi hinzu. Kogoro umarmte seine Tochter und drückte sie an sich. „Ich bin am Leben“, flüsterte er in ihr Ohr. „Ran?“ … „Ran?“ … „Ran?“ Besorgt rüttelte Sonoko ihre Freundin. „Ran?“ Die Angesprochene sah sich um. „Eh…?“ „Ran, ist alles in Ordnung?“, wollte ihr Lehrer wissen. Ran nickte. „Ja, alles bestens.“ Irritiert sah sich Ran um. Sie war im Klassenzimmer, bewegte sich keinen Schritt weiter und doch kam ihr alles so real vor. Ran rieb sich das Nasenbein und sah erneut aus dem Fenster. Die Gestalt die sie sah – oder zu sehen glaubte, war verschwunden. Ein Traum? Eine Vorahnung? Oder hatte sie sich doch einfach nur einer Illusion hingegeben? Und trotzdem war die Vorstellung von Flieder, welcher auf Bahngleisen wuchs und sich der Sonne entgegen streckte, beruhigend. *** Shuichi lehnte sich nach hinten und schloss die Augen. Die Zeit mit Kogoro war anstrengend. Einfach nur anstrengend. Bereits vor über einem Jahr kam Akai in den Genuss Kogoro Mori kennen zu lernen. Oft stand er vor der Detektei, rauchte in der Dunkelheit und beobachtete stillschweigend. Später kamen die Wanzen zum Einsatz. Seine Meinung über den Möchtegern-Detektiv stand von Anbeginn fest. Und nun untermauerte Mori diese Meinung. Kogoro wusste, wie man die Nerven anderer strapazierte. Und obwohl der Agent dachte – schon hoffte – dass sich Mori endlich zurückhielt, so wurde er aufs bitterste enttäuscht. Tagsüber nörgelte Kogoro an allem. Nachts versuchte er sich aus der Villa zu schleichen. Shuichi kam sich wie ein Kindergärtner vor, der auf ein ungezogenes Kind acht geben musste. Mehrfach trichterte Jodie dem Detektiv ein wie gefährlich die Situation war und dass er nicht einfach wieder draußen spazieren gehen konnte. Und was machte Mori? Er versuchte Kontakt zu seiner Tochter aufzubauen. Dass er sie dadurch nur in Gefahr brachte, schien ihn nicht weiter zu stören. „So schlimm?“ Akai öffnete die Augen als er Jodies warme Finger an seinen Schläfen spürte und sie mit einer leichten Massage anfing. „Dieser Detektiv…hat mehr Glück als Verstand.“ Jodie schmunzelte. „Mach dir nichts draus. Irgendwann wird er schon verstehen, dass es einfach besser ist, wenn er hierbleibt“, sprach sie. „Was macht das Mädchen?“ „Ran ist in der Schule und wird dort von Camel überwacht.“ „Was ist mit ihrer Mutter?“ Jodie seufzte leise, ließ dann von Shu ab und setzte sich ihm gegenüber. „Sie ruft täglich an und kommt gelegentlich zu Besuch. Natürlich ohne Vorankündigung.“ Akai zuckte mit den Schultern. „Du musst wenigstens nicht dauernd Babysitter spielen.“ Shuichi stand auf. „Willst du auch eine Tasse Kaffee?“ Jodie nickte. „Und was willst du nun wegen Mori machen?“ „Erstmal abwarten, bis er wieder zurück kommt.“ „Was?“ Jodie sprang von ihrem Platz auf. „Mori ist weg?“ „Eben gegangen.“ „Du scheinst dir ja keine großen Sorgen um ihn zu machen.“ „Was soll ich tun?“, wollte Akai von ihr wissen. „Ich werde ihm sicher nicht nach laufen. Soweit kommt’s noch.“ „Aber, Shu….“ Jodie seufzte. Sie ließ es sein, da sie eh keine Chance gegen die Argumentationskette ihres Kollegen besaß. „Mach dir nicht zu viel Gedanken darüber. Das macht nur Falten.“ „War das gerade etwa ein Witz oder der Versuch lustig zu sein?“ „Leg es aus wie du willst.“ Erneut seufzte sie. „Shu, du machst mich manchmal fertig.“ Kogoro schlich sich leise in die Villa. „Wo waren Sie?“ Ertappt drehte er sich um und zog sich selbstsicher den Trenchcoat aus. „Nur kurz draußen in der Sonne.“ „Sind Sie sich sicher?“ Shuichi verzog keine Miene. Dass der Mann überhaupt lächeln konnte, grenzte manchmal an ein Wunder. „Wo sollte ich sonst gewesen sein? Sie lassen mich ja nicht zu meiner Tochter.“ „Und das aus gutem Grund. Oder soll ich Ihnen noch einmal erklären, dass es nicht mit Ihrem Tod endete?“, wollte der Agent wissen. „Sie halten das alles hier zu sehr für eine FBI-Angelegenheit. Aber ich sag Ihnen eines, ein Kogoro Mori lässt sich nicht so behandeln. Meine Ex-Frau ist Anwältin…“ „Ach?“ Shuichi grinste siegessicher. „Wollen Sie mich verklagen?“ „Kriegen Sie jetzt Angst?“ Man merkte, dass Kogoro hoch pokerte und nicht wusste, wann es besser war, aufzuhören und wann nicht. „Ich zittere schon richtig.“ Kogoro lachte laut auf, ehe er zu Boden sank und schlief. „Shu!“ Akai verdrehte die Augen. „Mach dir um den keine Sorgen. Er ist nur betäubt.“ Kapitel 7: Atlantis ------------------- Jodie seufzte. „Shu“, fing sie an. „Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“, wollte sie von ihrem Kollegen wissen. Der FBI-Agent blickte auf den schlafenden Körper von Kogoro. Fast teilnahmslos zuckte er mit den Schultern. „Er ist ruhig, oder nicht?“ „Aber du kannst ihn doch nicht einfach so betäuben. Und woher hast du diese Uhr eigentlich?“ Akai schmunzelte. „Ich dachte, du magst den Jungen und hättest es längst bemerkt“, entgegnete er. „Die gehört Conan?“ Shu nickte. „So eine Narkoseuhr könnten einige unserer Leute auch gebrauchen.“ Shuichi sah kurz auf diese und legte sie zur Seite. „Wenn du willst, kannst du nach Hause. Um Mori kümmer ich mich.“ „Bist du sicher?“ „Glaubst du, ich komm nicht mit ihm klar?“ Shuichi hob die Augenbraue und fixierte Jodie. „Ich dachte, du brauchst ein wenig Gesellschaft.“ „Ich komm alleine klar.“ Leicht niedergeschlagen machte sich Jodie schließlich auf den Weg nach Hause. Eigentlich hoffte sie, mehr Zeit mit ihrem Kollegen verbringen zu dürfen. Zeit, in der sie zusammen arbeiteten und sich um die Organisation kümmerten. Aber sie brauchte Zeit, um Shu mit ihren Fragen zu löchern. Fragen, die auf seine Handlungen abzielten, seinen vorgetäuschten Tod und all das, was er in der Zwischenzeit tat. Noch immer war es für Jodie fremd, dass er als Subaru Okiya die ganze Zeit in der Nachbarschaft wohnte und scheinbar zu einem Familienmenschen wurde. Es passte nicht zu ihm. Und dennoch wollte Jodie unbedingt mehr darüber wissen. Shu hingegen war wie immer stillschweigend und machte, was nötig war. Auf Verluste achtete er dabei nicht. Und manchmal nahm er keine Rücksicht auf ihre Gefühle. Jodie stieg die Treppen in ihrem Wohnblock hoch. Auf dem Weg zog sie den Schlüssel aus ihrer Handtasche und öffnete im Anschluss ihre Wohnungstür. „Bin wieder da“, rief sie. Es war ungewohnt nun nicht mehr alleine zu wohnen. Sämtliche Unterlagen des FBIs mussten aus der Wohnung verschwinden und wenn Jodie arbeiten wollte, ging es nur außerhalb. Ran durfte auf gar keinen Fall mitbekommen, um was es hier wirklich ging. „Miss Jodie“, begann Sonoko. Sie zog ihre Freundin am Handgelenk mit in den Wohnungsflur. „Wie geht es Ihnen?“ Jodie sah sie leicht skeptisch an. Früher kamen ihre Schüler mit ähnlichen Formulierungen und das nur, um eine bessere Note zu bekommen oder damit keine Hausaufgaben am Ende des Tages auf sie warteten. „Gut und euch?“ „Auch“, gab das Mädchen von sich. „Haben Sie schon gehört, dass das Tropical Land eine neue Attraktion anbietet? Sie nennt sich Atlantis.“ „Atlantis?“ Jodie stockte. „Wollen sie eine Stadt versenken?“ „Nein, natürlich nicht. Man fährt mit der Wasserbahn und sitzt dabei in einer Glaskugel. Zwischendurch geht es dann unter Wasser“, erklärte Sonoko. „Hört sich interessant an“, murmelte Jodie. Sonoko nickte. „Und deswegen haben wir uns überlegt, dass Ran und ich am Samstag gemeinsam ins Tropical Land gehen.“ „Ihr wollt…“ „Ja, wir wissen, dass wir Ihnen nicht Bescheid geben müssen, aber Ran meinte, Sie könnten vielleicht ein Essen oder etwas Anderes geplant haben. Haben Sie?“ „Äh…spontan wüsste ich nichts…“ „Sehr gut. Dann fahren Ran und ich dorthin und machen uns einen schönen Tag.“ *** „Du hast was?“ Shuichi war angespannt. Angespannt und wütend. Das Smartphone in seiner Hand hielt er dabei fest umklammert – so fest, dass die Möglichkeit der Zerstörung bestand. Die andere Hand ballte der FBI-Agent zu einer Faust. „Was hätte ich denn machen sollen?“, gab Jodie von sich. „Ich kann Ran am Wochenende schließlich nicht bei mir zu Hause einsperren.“ „Hmm....“ „Shu! Der einzige Weg wäre, wenn wir Ran einweihen. Aber da wir es nicht tun, hab ich keinen Grund um ihr und Sonoko das Tropical Land auszureden. Und da ihr Vater offiziell einen natürlichen Tod starb, kann ich auch nicht damit argumentieren, dass ihr möglicherweise jemand auch nach dem Leben trachtet.“ „Warum musste es der Freizeitpark sein und nicht ein Café?“ Jodie seufzte leise. „Was weiß ich. Sonoko war wohl der Meinung, dass Ran wieder Aufmunterung braucht und dazu hat das Tropical Land eine neue Attraktion. Sie nennt sich Atlantis. Es ist eine Art Wasserbahn, nur sitzt man in einer Kugel und rast wie bei einer Achterbahn nach unten ins Wasser. Ein Teil der Strecke ist dann unter Wasser und dann geht’s wieder hoch. Ich habs im Internet nachgelesen. Wenn du mich fragst, hört sich das spaßig an.“ „Wem´s gefällt…“ „Wir könnten doch auch hin“, schlug Jodie daraufhin vor. „Ich sollte Ran sowieso im Auge behalten und du weißt ja, wie zwei Teenager sind. Ich kann sicher Hilfe gebrauchen.“ Jodie wartete ab, doch von Akai kam keine Antwort. „Shu?“, fragte sie erneut. „Nimm Camel mit und halte mich auf dem Laufenden.“ „Shu…ich…“ Jodie seufzte als sie das Tuten hörte. Er legte einfach auf. *** Sonoko zog Ran von einer Attraktion zur nächsten. Eine Achterbahn nach der nächsten wurde ausprobiert. Vor der neuen Attraktion – Atlantis – standen beide Mädchen über eine Stunde an. Die Wasserbahn schlug bei ihren Benutzern ein wie eine Bombe. Und dennoch konnte Ran die Zeit nicht genießen. Sie sollte Spaß haben. Stattdessen aber war die Zeit mit schwarzen Wolken getrübt. Nicht nur, dass der Tod ihres Vaters noch frisch war, auch war Shinichi damals im Tropical Land verschwunden. Zumindest für eine Weile. Immer mal wieder meldete er sich, rief an, schickte Kurznachrichten oder tauchte auf. Und das nur, um wenige Minuten später wieder zu verschwinden. Es war das gleiche Spiel. Andauernd. Und es frustrierte sie. Nicht einmal jetzt war Shinichi da. Er war nicht für sie da. Nicht da, wenn sie ihn brauchte. Und warum? Ein Fall. Immer war es der Fall. Ein Fall, an dem Shinichi seit einer geraumen Zeit arbeitete. Immer nur dieser eine Fall. Warum war er nicht endlich abgeschlossen? Warum? Ran spürte das Ziehen an ihrem Arm und blickte ihre beste Freundin an. Sie lief einfach mit. Wenigstens Sonoko war da und versuchte sie aufzumuntern. „Wollen wir noch eine Runde mit Atlantis fahren?“, wollte das Mädchen wissen. „Willst du wirklich?“ „Klar“, antwortete Sonoko. „Kannst du nicht alleine fahren und ich warte hier draußen?“, kam es fragend von Ran. Sonoko musterte Ran. „Du willst wirklich nicht noch einmal fahren?“ Ran lächelte, dann umarmte sie Sonoko. „Mir geht es gut, Sonoko.“ Sie sah ihre Freundin an. „Du kannst ruhig die nächste Runde alleine fahren und ich warte auf dich.“ „Hmm…na gut, aber nur einmal“, stimmte Sonoko schließlich zu. „Du weißt aber schon, dass ich mindestens für eine Stunde nicht da bin?“ Ran nickte. Dann hob sie ihre Hand für einen Fingerschwur. „Und ich verspreche, dass ich hier warten werde.“ „Na gut. Ich beeil mich. Vielleicht lässt mich auch jemand vor“, gab das andere Mädchen von sich. „Bis gleich.“ Dann lief Sonoko auf die Schlange vor der Wasserbahn zu. Ran drehte sich um. Die Menschen waren unbeschwert. Glücklich. Und sie waren nicht alleine. Entweder waren es Schulgruppen, Freunde, Paare oder Eltern mit ihren Kindern. Nur Ran fühlte sich wieder einmal alleine. Sie warf einen Blick auf die Uhr und ging dann mehrere Schritte. Ja, sie würde warten. Aber das hieß nicht, dass sie sich nicht vom Fleck bewegen durfte. Es reichte, wenn sie in spätestens einer Stunde wieder vor der Atlantis-Wasserbahn stand. Abermals sah sich Ran um. Das Gefühl beobachtet zu werden, wurde stärker. Irgendwas lag in der Luft. Etwas, dass sie nicht einschätzen konnte. Während Ran zu der großen Achterbahn ging kamen die Erinnerungen an damals wieder hoch. Ein unbeschwerter Tag mit Shinichi der in einem Mord gipfelte. Wie immer konnte der Schülerdetektiv diesen lösen, nur zwei der möglichen Täter ließen ihn nicht los. Sie hatte es in seinem Gesicht gesehen. Und wenn sie ehrlich war, bekam auch sie weiche Knie bei den Beiden. Zwei Männer, die nicht so aussahen, als würden sie gern einen Freizeitpark besuchen, fuhren mit der Achterbahn. Von einer Regung im Gesicht waren sie noch weit entfernt. Und dann waren sie weg. Ran blieb stehen. Sie sog die Luft ein und sah zu der Mauer. Sie war fast da. Es war der Ort, an dem sie von Shinichi verlassen wurde. Verlassen für einen Fall. Obwohl es nicht dunkel war, wirkte der Ort befremdlich. Langsam merkte Ran, dass sich ihre Atmung beschleunigte und sich Nervosität einstellte. Sie ging weiter, um die Mauer herum und sah….nichts. „Was wollte ich auch sehen?“, fragte sie sich selbst. Shinichi etwa? Ran lehnte sich gegen die Mauer und schloss die Augen. Dann spürte sie ein Stück Stoff auf ihrem Mund und der Geruch einer fremden Substanz schoss in ihre Nase. Panisch öffnete Ran ihre Augen. Sie vernahm die Silhouetten von zwei Personen – fremde Personen und dann würde alles um sie herum schwarz. *** „Was soll das heißen?“, raunte Shuichi wütend in den Hörer. „Wir haben Ran verloren.“ „Was ist passiert?“, zischte er. „Camel und ich haben Ran im Freizeitpark beobachtet. Wir sind sogar mit fast allen Attraktionen gefahren, nur um sie nicht zu verlieren. Am Ende trennten sie und Sonoko sich. Camel blieb an Sonokos Fersen und ich folgte Ran“, erzählte Jodie. „Weiter?“ „Naja…“ Jodie kratzte sich an der Wange. Es war ihr Fehler und noch wusste sie nicht, wie sie diesen wieder gut machen sollte. „Ich wurde kurz nach dem Weg gefragt und als ich dann zu der Stelle sah, wo Ran stand, war sie weg. Ich konnte sie nicht mehr finden“, fügte sie an. „Habt ihr den Park abgesucht?“ „Natürlich haben wir das“, sprach die Amerikanerin. „Sonoko weiß auch nicht, wo sie ist.“ „Was ist mit der Detektei?“ „Da ist sie nicht. Die Detektei, ihre Mutter, Professor Agasa können wir ausschließen. Sonoko fragt noch ein paar Freunde aus der Schule. Aber wenn du mich fragst…“ „Sie ist nicht dort“, kam es von Akai. Er wusste es. Es war keine gute Idee. Und jetzt mussten sie mit den Konsequenzen klar kommen. „Glaubst du, dass sie sie haben?“ „Es ist anzunehmen.“ Shuichi überlegte. „Sie wollten Mori loswerden und wenn sie jetzt seine Tochter haben…“ „Dann müssen sie uns aber beobachtet haben“, warf Jodie ein. „Wie hätten sie sonst erfahren sollen, dass wir ausgerechnet an diesem Tag im Freizeitpark sind?“ „Freizeitpark“, murmelte Akai. „Shu?“ „Wusstest du, dass Shinichi Kudo das erste Mal auf Gin und Wodka traf, als er in dem gleichen Freizeitpark war?“ „Was? Das…nein das wusste ich nicht. Du willst doch nicht darauf hinaus, dass sie öfters dort sind.“ „Möglich. Vielleicht gehört ihnen sogar der Park.“ Shuichi überlegte. „Wir müssen das Mädchen so schnell wie möglich finden.“ „Ich weiß. Wirst du es Mori sagen?“ „Mal sehn“, antwortete Shuichi. „Wenn ich weiß, wie wir vorgehen, melde ich mich.“ Kapitel 8: Risiko ----------------- Der Japaner blickte auf Ran hinunter. Er trug sie in seinen Armen und brachte sie zu seinem Wagen. „Mach mal auf“, sprach er zu seiner Partnerin. Vermouth sah ihn misstrauisch an und öffnete die Wagentür. „Was ist? Denkst du, ich würde hier gleich irgendeine Aktion abziehen?“ Die Schauspielerin blickte zu Ran, die nun auf dem Rücksitz lag. „Vielleicht spielst du ja ein falsches Spiel. Darf ich dich daran erinnern, dass du eine ganze Weile für Mori gearbeitet hast?“ „Darum geht’s dir also…“ Bourbon ging zur Fahrerseite und stieg ein. Als Vermouth auf ihrer Seite einstieg, fuhr er los. „Du solltest dir nicht so viel Gedanken über meine Zugehörigkeit machen. Mori hat mich keineswegs weich geklopft.“ „Gut zu wissen“, sprach Vermouth. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Bourbon schüttelte nur den Kopf. Manchmal konnte seine Partnerin paranoid sein. Aber wer konnte es ihr verübeln in Anbetracht an den Mitgliedern, die sich zur Zeit in der Organisation befanden. Bourbon selbst war ebenfalls auf der Hut und pflegte es, nicht zu viel über sich zu erzählen. Je mehr Lügen man erzählte, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass man bestimmte Informationen nicht mehr wusste und dadurch den Feind auf den Plan rief. Es durfte nicht sein. Bourbon musste durchhalten. Egal wie lange es noch dauerte. Es war bereits zu viel geschehen. Und genau deshalb musste er weiter kämpfen. Sein Tod durfte nicht umsonst sein. Bourbon musste es schaffen. Egal wie hoch der Preis war. Egal wie hoch das Risiko bestand. Mit Vermouth kam er seinen Plänen einen Schritt näher. Sie war der Liebling des Bosses, kannte seine Identität und wusste, wo er wohnte. Sie war der Schlüssel zum Schloss. Und trotzdem durfte er nicht zu voreilig sein. Die Zusammenarbeit mit Vermouth bestand noch nicht lange und würde er sie direkt auf den Boss ansprechen, konnte es ein schlechtes Ende nehmen. Vermouth war nicht dumm und noch war er sich nicht sicher, auf welcher Seite sie stand. Konnte er ihr überhaupt trauen? Vermouth war gefährlich, sie wusste, was sie wollte und was sie dazu tun musste. Sie manipulierte, integrierte und agierte heimlich. Wer konnte ihm versichern, dass sie ihn nicht verriet, nur um sich selber zu profilieren? Bourbon blickte kurz nach hinten, als sie an der Ampel standen und warteten. „Wenigstens ist uns das FBI nicht in die Quere gekommen.“ „Selbst wenn...die hätten wir erledigt“, antwortete Vermouth leicht gelangweilt. „Du weißt hoffentlich, dass wir mit ihrer Entführung ein Risiko eingehen“, sprach Bourbon ruhig. „Hast du etwa Angst?“ „Ich bitte dich“, fing Bourbon an. „Ich hoffe, du hast einen Plan wegen ihr.“ Vermouth überlegte gespielt. „Natürlich hab ich den.“ Und genau so natürlich war es, dass sie ihren Plan nicht verriet. Er würde erst einmal tun, was sie wollte und dann weiter sehen. Noch wusste er nicht, was Vermouth wirklich vor hatte. Sie war geheimnisvoll und zu Allem fähig. „Du musst mir schon sagen, wo ich hinfahren soll.“ Vermouth rollte mit den Augen. „Warum musst du immer alles wissen?“, gab sie von sich. Bisher fuhren sie gerade aus und zweimal nach rechts. Wenn es soweit war, gab sie ihm die richtigen Anweisungen. „An der nächsten Kreuzung biegst du links ab, danach rechts.“ *** Ran lag auf einem Bett. Nur langsam öffnete sie ihre Augen. Sie sah verschwommen, als wäre sie gerade aus einem langen Traum erwacht. Nur erinnerte sie sich an keinen Traum und auch nicht an das Zimmer in welchem sie lag. Ran rieb sich die Augen. Das Mädchen setzte sich langsam auf. Sie sah sich um. Es war ein recht klinisch eingerichtetes Zimmer. Vier weiße Wände, ein Fenster mit einem Sicherheitsschloss, das Bett an einer Wand stehend und ein Kleiderschrank auf der gegenüberliegenden Seite. Ran erinnerte sich nicht daran, freiwillig hergekommen zu sein. In ihrem Freundeskreis war keiner, der eine Wohnung besaß und Sonoko? Nein, Sonoko hatte auch keine Wohnung. Ran verengte die Augen. Sie versuchte sich wieder in Erinnerung zu rufen, was am Abend passiert war. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie ging mit Sonoko ins Tropical Land. Und dann…leere. Alles war schwarz. Ran wusste nichts mehr. Die junge Japanerin blickte zur Tür. Sie verhielt sich ruhig und hoffte, ein Geräusch oder ähnliches wahrzunehmen. Aber es herrschte Stille. Was sollte Ran tun? Warten? Aufstehen? Immer wieder ging sie die Optionen durch. Ran wusste nicht, wann die Person, der die Wohnung gehörte, wieder zurück kam, was sie Antworten bekam. Aber was war, wenn sie entführt wurde? Sollte sie auf den Entführer warten? Ran schüttelte den Kopf. Welchen Grund hatte ein Entführer sie in die Wohnung zu bringen, alleine zu lassen und ihr die Chance auf eine Flucht geben? Ran kannte es von den Fällen ihres Vaters. Entführt zu sein hieß, dass man gefesselt und oder gefoltert wurde. Nichts von dem passte auf die jetzige Situation. Ran atmete tief durch und stand langsam auf. Ihre Beine zitterten. Trotzdem ging sie zum Fenster. Ran ah nach draußen. Sie war oben. Möglicherweise im fünften oder sechsten Stockwerk. Sie versuchte das Fenster zu öffnen, scheiterte aber am Sicherheitsschloss. Aber wo war der Schlüssel? Ran entschloss, sich weiter umzusehen und das Risiko einzugehen einer weiteren Person in der Wohnung zu begegnen. Sie ging an die Tür, hatte bereits das Gefühl, dass diese abgeschlossen war, und versuchte es trotzdem. Entgegen dem ließ sich die Tür öffnen. „Hallo?“, kam es von ihr. Sie steckte den Kopf auf den Wohnungsflur. „Hallo? Ist da jemand?“ Es blieb still. Ruhig. Die Ruhe vor dem Sturm? Ran entschloss sich weiter zu gucken und den Weg nach draußen zu finden. Sie fand zuerst ein Badezimmer, einen Abstellraum, eine Küche und anschließend das Wohnzimmer. Alle Fenster waren mit Sicherheitsschlössern gesichert. Und dann sah Ran die Haustür. Mit einer gewissen Vorfreude lief sie auf diese zu, drückte die Klinke nach unten und zog. Die Tür bewegte sich keinen Millimeter. Abgeschlossen. Ran seufzte. Sie rüttelte erneut an der Tür. Wieder bewegte sich nichts. Ran atmete tief ein und stellte sich in die richtige Position. Eine Position die sie beim Karatetraining lernte. Erneut atme sie tief durch und trat dann die Tür. Rans Bein begann zu Schmerzen. Die Tür war verstärkt. „Halloooooo“, rief Ran und hämmerte an der Tür. „Lassen Sie mich raus“, rief sie erneut. „Bitteee…“ Irgendwann ließ sich Ran auf den Boden sinken. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib, aber keiner reagierte. Es war, als hörten sie die Nachbarn nicht. Gab es überhaupt Nachbarn? „Ach Paps…Conan…“, schluchzte sie. Sie stellte sich vor, was diese in einer solchen Situation getan hätten. Es gab ihr den Mut zurück. Ran stand auf und ging direkt in das Wohnzimmer. Das Fenster war doppelt so groß wie die anderen Fenster. Obwohl die Chance gering war, sie war da. Sie musste nur das Glas einschlagen und um Hilfe rufen. Ran nahm die dünne Decke, die auf dem Wohnzimmersofa lag, wickelte sie um ihre Hand und schlug dann auf die Scheibe. Wie die Tür, gab auch die Scheibe nicht nach und Rans Hand schmerzte ungemein. „Bitte nicht…“, wisperte sie. Das durfte nicht sein. Sie wollte nicht aufgeben. Aber wie sollte sie entkommen? Ran sah sich erneut im Wohnzimmer um. Kein Telefon. Trotzdem lief sie in den Flur, doch auch hier wurde sie enttäuscht. Wieder fand sie keine Möglichkeit um mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Das Mädchen ging in die Küche. Die Küche war ihre letzte Hoffnung. Wenn es dort kein Telefon gab, gab es nirgends ein. Ran seufzte. Ihre letzte Hoffnung zerschlug sich. Nur auf dem Tisch lag ein Zettel. Fühl dich wie zu Haus. Genügend Trinken findest du in der Abstellkammer. Teebeutel befinden sich in der Küche. Du kannst essen was du willst. Konserven stehen in der Abstellkammer, Fertiggerichte im Gefrierschrank. Mit drei Mahlzeiten pro Tag kommst du drei Wochen klar. V. Ran schluckte. Sie realisierte nun, dass sie entführt wurde. Entführt und verschleppt. Der Entführer war fort und ließ sie drei Wochen alleine. Ja, Ran musste nur drei Wochen durchhalten. Dann würde er kommen. Und dann würde sie ihm zeigen, dass er sich mit der Falschen anlegte. Kapitel 9: Everything is going to be fine in the end. If it's not fine it's not the end --------------------------------------------------------------------------------------- Jodie massierte sich die Schläfen. Anspannung sowie Müdigkeit spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder. Seit Tagen suchten sie nach Ran. Tage ohne ein Ergebnis. Ran war wie vom Erdboden verschwunden. Keiner hatte etwas Gesehen. Keiner bekam irgendwas mit. Keiner. Und es war Jodies Versagen, welches die Katastrophe auslöste. Hätte sie besser aufgepasst… So war es auch kein Wunder, dass sich die Agentin bemühte, das Mädchen wieder zu finden. Dass sie dafür Nachtschichten einlegen musste, war nebensächlich. Durch Shuichi wusste sie, dass es viele Informanten gab, die zu späteren Zeiten auf den Straßen unterwegs waren. Tagsüber hingegen sah sie sich in den belebteren Örtlichkeiten um. Einkaufszentrum, Bahnen, Cafés. Selbst Rans Bankverbindung wurde überprüft und auf Bewegungen kontrolliert. Nichts. Noch immer gab es keine Spur von ihr. Dass ihnen auch noch Kogoro Mori im Nacken saß, machte die Situation nicht besser. Die Agenten waren zu viert. Mehr Personen hätten mehr Aufsehen verursacht. Sie. Camel. Shu. James. Camel war der Unglücksrabe, der jeden Abend den Babysitter für Kogoro spielen musste. James, der Vorgesetzte, hatte noch andere Sachen zu tun und würde deswegen nicht Abend für Abend nur rumsitzen. Shuichi zeigte bereits zu Beginn, dass er kaum Interesse hatte auf Kogoro aufzupassen. Ihn Schlafenlegen kam allerdings nicht in Frage. Narkosen oder Schlafmittel waren generell sehr umstritten. Und Jodie? Sie wollte nicht in einem Haus sitzen, warten und nichts tun. Jodies Hand wanderte zu ihrem Nasenrücken, den sie umgehend rieb. Sie musste wachbleiben. Wach und konzentriert. Die Agentin schloss für einen kurzen Moment die Augen, riss sie dann, aus Angst einzunicken, wieder auf. Sie starrte auf das Whiteboard, welches James vor einigen Tagen in die Villa brachte. Es war gespickt mit Informationen, Verbindungslinien, mit Magneten befestigte Zettel und Fotos. Jodie hatte das Gefühl, dass sie tagein, tagaus auf die gleichen Bilder starrte und keine Veränderung auftrat. Sie fanden einfach nichts Neues heraus. Das Whiteboard stand im großen Arbeitszimmer von Yusaku Kudo, abgeschirmt vom schlafenden Detektiv, der sowieso die Gefahr nicht erkannte. Erst mit Rans Entführung wurde ihm langsam das ganze Ausmaß dieser Aktion bewusst. Anfangs arbeitete er nicht mit, hielt alles für einen Irrtum; ein Versehen. Dann wurde die Lage klarer und klarer. Shuichi drückte den Stummel seiner Zigarette im Aschenbecher aus. Dann blickte er zu Conan, der die Runde bei jeder Besprechung vervollständigte. „Neuigkeiten aus der Detektei?“ Conan schüttelte den Kopf. „Ran ist dort nicht aufgetaucht“, entgegnete er ruhig. Conan ballte die Faust. Er fühlte sich verantwortlich, gab sich die Schuld daran. Warum war er nicht da, als Ran verschwand? Warum wusste er nichts von ihrem Ausflug? Seit dem Maskenball lebte Conan beim Professor und hoffte, dass sich zwischen ihm und Ran nichts änderte, dass sie sich weiterhin sahen. Aber die Realität sah gänzlich anders aus. Der Kontakt zu Ran wurde blasser. Er konzentrierte sich auf die Suche nach der Organisation und hoffte, dass Ai bald mit einem Heilmittel um die Ecke kam. Und Ran? Sie wurde oft von Sonoko nach der Schule einfach mitgezogen, kam am späten Nachmittag erst zu Jodie. Für ein Treffen mit Conan war keine Zeit. Und obwohl der Grundschüler alle wichtigen Informationen von Jodie bekam, war er nicht da, als sie verschwand. Er wusste genau, wie Jodie dem Professor den Ausflug mitteilte und wie wenig er selber zuhörte. Jetzt verfluchte er sich dafür. Für diesen einen Moment. „Wenn die Organisation hat sie…“, fing er leise an. „Das hätten wir mitbekommen.“ Shuichi lehnte sich nach hinten. Glücklicherweise war Kir eine verlässliche Informationsquelle. „Und wenn…“ „Wenn sie das Mädchen getötet hätten, hätten wir ihre Leiche gefunden“, sprach Shuichi sachlich. „Sie hätten sie uns auf dem Silbertablette präsentiert und uns gezeigt, dass wir unfähig waren Ran zu beschützen.“ „Aber irgendwo muss sie sein“, warf Jodie ein. „Denkst du, sie verstecken sie irgendwo?“ „Wenn, dann sollten wir schnell dahinter kommen, welches Interesse sie an ihr haben.“ Shuichi überlegte. „Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass Ran Mori auch von sich aus verschwunden ist und sich bei Freunden aufhält“, begann James und blickte in den Ordner mit Rans Akte. „Ich hab bereits jeden ihrer Freunde sowohl in Tokyo wie auch außerhalb von Tokyo kontaktiert. Sie ist bei keinem. Zur Sicherheit hab ich noch mit den Kudos in den Staaten gesprochen. Ran ist auch dort nicht erschienen.“ „Wie sicher bist du, dass man dir die Wahrheit sagte?“, kam es von Akai. Jodie sah ihn verwundert an. „Eh…“ Sie überlegte. „Naja…95-100%“ „Mhm…“ Shu sah sie unzufrieden an. „Nehmen wir an, sie versteckt sich bei einem guten Freund. Du rufst diesen Freund an, Ran aber bat ihn nichts zu sagen. Glaubst du wirklich, dass er sein Wort nicht halten wird?“ Jodie musste schlucken. „Ich…“ „Schon gut“, winkte Akai ab. „Der Junge hat auch Rans Freunde angerufen. Sie bestätigen, dass das Mädchen nicht dort ist.“ Abrupt sah Jodie zu Conan, der sich leicht verlegen am Hinterkopf kratzte. Dann aber wurde er ernst. „Trotzdem wissen wir nicht, wo sie ist…und ob sie bei der Organisation ist.“ „Menschen wie Ran gehören eigentlich in das Beuteschema der Organisation.“ „Was willst du damit sagen, Shu?“ Der Agent blickte zu seiner Ex-Freundin. „Ran wurde nicht in die Organisation hineingeboren. Sie haben keinen Grund, um sie zu einer von ihnen zu machen“, erläuterte Akai ruhig. „Es passt nicht zu ihnen, sie zu entführen, wo sie wissen sollten, das es kein Lösegeld gibt, da…“ Akai stockte. Konnte es sein? War es möglich? „Shu?“, Jodie sah ihn fragend an. „Shu…was ist los?“ Shu!“ „Akai?“ „Wir können noch eine Möglichkeit in Betracht ziehen“, begann er schließlich. „Sie könnten Ran haben um den Tod ihres Vaters zu überprüfen. Entweder sie wissen, dass er nicht tot ist und wollen ihn aus der Reserve locken oder sie wollen diesen Aspekt einfach nur testen.“ „Du denkst…“ Jodie stockte und schluckte. „Wir können ihnen keinen Sieg schenken…“ „Aber wir können Ran auch nicht einfach so bei ihnen lassen“, warf Conan ein. „Keiner von usn weiß, was sie mit ihr anstellen werden. Vielleicht foltern sie sie…“ Shuichi verschränkte die Arme. „Wenn sie sie foltern, dann von Beginn an und nicht erst später. Und dann können wir uns sicher sein, dass sie nicht lange leben wird. Wenn sie sie allerdings benötigen um Mori aus seinem Versteck heraus zu locken, werden sie ihr kein Haar krümmen…noch nicht.“ „Bist du dir sicher, Shu?“ „Ich kenne ihre Methode“, gab der Gefragte von sich. „Natürlich könnten sie sie foltern, aber sie wissen nicht, wie lange sie sie brauchen werden. Und sollten sie ihr bis dahin etwas Antun, spucken sie sich in ihre eigenen Karten.“ „Ran…“, murmelte Conan leise. „Und was…wollen wir tun? Wir können Mori auch nicht einfach ausliefern.“ „Sagt auch keiner.“ Akai sah ihn an. „Wir brauchen deine Mutter. Sie soll ein paar Masken anfertigen. Die benutzen wir dann als Köder für die Organisation.“ Conan nickte. „Hoffentlich geht es Ran gut….wenn nicht, ich könnte es mir nicht verzeihen. Es darf nicht so enden…“ „Everything is going to be fine in the end. If it's not fine it's not the end.“ Die versammelte Mannschaft blickte auf Akai. Sie waren verwundert. Solch, mehr oder minder, positiven Worte passten nicht wirklich auf den Agenten. Jodie nickte. „Du hast recht.“ Sie stand auf. „Machen wir uns an die Arbeit.“ Nun war sie wieder voller Tatendrang. „Und wo willst du hin?“, kam es von Akai ruhig. Sie durften nicht einfach so rum laufen. Es war wichtig, dass sie einer Strategie nachgingen. Die Freunde und Bekannte in Rans Umgebung erst einmal kontaktieren war bereits der richtige Schritt. Nun mussten sie allerdings weiter denken und neue Wege beschreiten. „Eh…“ Jodie blickte in die Gruppe. Jedes Augenpaar war auf sie gerichtet. Dann ließ sie sich seufzend auf den Stuhl fallen. „Ich weiß es nicht…“, murmelte sie leise. „Wir könnten die Flughäfen und Bahnhöfe kontrollieren…alte Aufzeichnungen uns anschauen. Vielleicht liegen wir ja alle falsch und sie ist gar nicht in den Händen der Organisation. Vielleicht ist sie einfach nur weggefahren.“ Akai fixierte die Agentin. Sie hatte Hoffnung und momentan wollte er diese nicht zerschlagen. Schließlich nickte er. „Am Flughafen wird es einfacher sein.“ „Keine Stationen, die man absuchen muss“, murmelte Jodie leise. „Bis ich alles überprüft habe, wird zu viel Zeit vergehen“, warf Jodie ein und blickte zu James. „Hol dir Unterstützung von einem unserer Agenten.“ „Bevor wir die Besprechung gleich beenden“, fing Conan an und sah zu den Anwesenden. „Was wollen wir Onkel Kogoro sagen? Er fragt doch dauernd nach dem Stand.“ Shuichi stand auf. „Sagt ihm was ihr wollt.“ „Aber Shu…“ Der Angesprochene zog sich eine Packung Zigaretten aus der Hosentasche. „Überlegt euch was, ich komm nachher zu euch.“ Ehe Jodie Antworten konnte, verließ Akai den Raum. Er ging raus und zündete sich dort eine Zigarette an. Während sich der Agent draußen gegen einen Baum lehnte, schloss er die Augen und ließ die vergangenen Geschehnisse noch einmal Revue passieren. Nahe kommende Schritte zogen seine Aufmerksamkeit auf sich. Doch noch immer hielt er die Augen geschlossen. Wartete ab. Erst, als der Mann ihm gegenüber stand, blickte er in sein Gesicht. „Was willst du?“ Amuro musterte den Agenten. „Ich weiß, wo das Mädchen ist das ihr sucht.“ Kapitel 10: Aus der Tiefe ------------------------- Shuichi blickte Bourbon an. Er ließ sich dessen Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Es war zu einfach. Viel zu einfach. Akai fixierte seinen Gegenüber mit seinem Blick. Er wusste, etwas war im Busch. Und er wusste auch, dass die Information, die Bourbon versprach, wohl mit einer Gegenleistung zu tun hatte. Nichtsdestotrotz hatte der Agent keine Wahl. Sie mussten Ran finden und zwar so schnell wie möglich. „Gut. Sag mir, was du weißt.“ Ein Grinsen umspielte Bourbons Lippen, ehe er zum Reden ansetzte. „Sie ist…“ Die Schwärze umhüllte sie. Dunkelheit. Schatten. Es war alles weg. Kam plötzlich. Ohne Vorankündigung. Alles war vorbei. Die Tiefe verschlang sie. Es kam von allen Seiten. Oben. Unten. Rechts. Links. Aus der Tiefe. Nichts war mehr da. Es war vorbei. Jodie wackelte mit der Nase während sie langsam aus ihrem langen Schlaf erwachte. Die FBI Agentin schmatzte leise. Dann, mit einem Ruck schreckte sie hoch. Verwirrt sah sie sich um. Hell. Ein weißes Zimmer. Das Bett und ein EKG, welches immer mal wieder einen leisen Piepton von sich gab. Jodie fühlte sich gerädert, fertig und schuldig. Ihr Blick ging zu Shuichi. Sie schluckte. Der Geruch von Krankenhaus füllte ihre Nase. Es war etwas Anderes, wenn sie im Krankenhaus lag und Besuch bekam. Nun aber war es anders. Shuichi hasste Niederlagen wie diese. Schlimm genug, dass die Organisation ihnen oft einen Schritt voraus war und sie keinen von ihnen festsetzen konnten. Nun hatte Gin ihm direkt ins Gesicht gelacht. Akai konnte rein gar nichts tun. Jede Handlung hatte seine Folgen. Handlungen, die sich gegen eine Person richteten, die nun Verdächtiger eines Verbrechens war, konnte ein schlimmeres Nachbeben nach sich ziehen. Auch wenn Akai seinem Gegenüber ins Gesicht schlagen wollte, er musste seine eigenen Wünsche zurück nehmen und sich auf das Rechtssystem verlassen. Dass genau dieses versagte, machte die Situation nicht besser. Das Gegenteil war der Fall. Nachdenklich fuhr Shu an die Stelle wo das Taxi von Gin geortet wurde. Nach Angabe der Telefonzentrale bewegte es sich eine ganze Weile nicht mehr fort. Ein ungewöhnlicher Stillstand für ein New Yorker Taxi. Es musste was bedeuten, das spürte er. In seinem Inneren regte sich alles. Er würde Hinweise finden. Egal wie klein sie waren. Akai stellte seinen Wagen ab, als er das andere Auto im Sichtfeld hatte. Vorsorglich zog er seine Waffe und trat langsam auf das Taxi zu. Bereits von Weitem konnte er den leblosen Körper des Fahrers sehen. Auch wenn die Zeit eilte, bewegte er sich nicht schneller. Am Taxi angekommen, öffnete Akai die Tür und fühlte den Puls. Die Kalte Haut verriet ihm allerdings bereits die Wahrheit. „Verdammt“, kam es aus seinem Mund. Ohne zu Zögern rief er beim NYPD an. „Akai hier. Verbinden Sie mich mit Robinson.“ „Mr. Akai, das kann ich nicht so einfach machen. Sagen Sie mir, um was es geht und ich sehe, was ich für Sie tun kann“, kam es von der Frau am anderen Ende der Leitung. „Ich bin vom FBI. Leiten Sie mich weiter.“ „Äh…ja, Sir.“ „Robinson hier“, sprach dieser in den Hörer. „Hier Akai. Ich brauche genaue Informationen über den Verdächtigen, den Sie vorhin wieder laufen lassen mussten“, sprach Shu. „Ja, natürlich. Sein Name lautet Ichiro Tanaka. Er ist 38 Jahre alt…“, fing Robinson an. „Halt, halt, halt. Das will ich nicht wissen“, entgegnete der FBI Agent. „Hat er irgendwas gesagt, als Sie ihn verhaftet haben?“ „Nein…also nicht direkt…ich mein…als ich ihn verhaftet hab, hat er nichts gesagt. Er hat mich nur angestarrt.“ Wie bereits Stunden zuvor lief ihm erneut ein kalter Schauer über den Rücken. „Im Taxi fragte er ob er seinen Anwalt anrufen darf.“ „Hmm…verstehe“, murmelte Akai. „Sagte er noch was? Ich brauch den genauen Wortlaut“, fügte der Agent hinzu. „Äh ja…lassen Sie mich kurz überlegen“, murmelte Robinson. „Ich möchte meinen Anwalt anrufen.“ Akai überkam das Gefühl seinen Kopf gegen die Wand zuschlagen. Warum musste ihm ein – laut seiner Information – erfahrener Polizist nur solche Kopfschmerzen machen. „Was hat er mit seinem Anwalt besprochen?“ „Er sagte: Ich wurde verhaftet, hol mich raus.“ „Mehr nicht?“ „Hoshi.“ „Hoshi?“ „Ja, mehr auch nicht. Danach hat er aufgelegt und schwieg bis wir beim NYPD waren“, antwortete der Polizist. „Verstehe. Danke. Ich hab hier einen toten Taxifahrer gefunden. Lassen Sie Ihre Männer so schnell wie möglich kommen und sichern Sie die Spuren.“ Ehe der FBI Agent auflegte, gab er den derzeitigen Standort durch. „Gefunden…“, murmelte Robinson. So konnte man es auch ausdrücken. Manchmal fand das FBI zu viele Leichen. Und natürlich fielen Sie den Agenten einfach so vor die Füße. Shuichi ging zurück zu seinem Auto, stieg ein und fuhr los. „Hoshi…hoshi…“, das Wort ließ ihn nicht los. Hoshi bedeutete übersetzt der Stern. Während der Fahrt überlegte der FBI Agent. „Stern“, gab er leise von sich. „Stern…Sternenhimmel…Planetarium…“ Ein Grinsen umspielte sein Gesicht. Schnell holte er das Handy aus seiner Jackentasche und rief bei seinem Vorgesetzten an. Der Anruf danach galt Jodie. Wieder einmal machte Sie ihm Sorgen. Obwohl Jodie eigentlich in Japan bleiben sollte, machte sie sich auf den Weg in die Staaten. Er solle sich nicht so viele Sorgen machen, hatte sie ihm erzählt, gekichert und aufgelegt. Mittlerweile musste sie bereits gelandet sein. „Starling.“ „Wo bist du?“ Jodie schmunzelte leicht. Wie immer gab es keine normalen Fragen. Stattdessen kümmerte er sich um das Wesentliche. „Was denkst du denn?“, wollte die Agentin wissen. „Sag du es mir.“ Flirtete er mit ihr? Oder bildete sie es sich nur ein? Egal. Es war schön seine Stimme zu hören. „Holst du mich ab?“ „Da du bereits gelandet bist, eher unwahrscheinlich. Von hier brauch ich über eine Stunde. Komm ins Büro, wenn du soweit fertig bist.“ Jodie seufzte. „Manchmal bist du echt ein Spielverderber…naja…ich weiß ja, dass du das nicht so meinst.“ „Jodie…“ „Jaja, ich weiß.“ Shuichi sah etwas Aufblinzeln. Er blickte zur Seite und sah kurz darauf in den Lauf einer Waffe. „Shu?“ Jodie wartete. „Shu?“ Wieder bekam sie keine Antwort. Wollte er ihre gute Laune zerstören? „S…“ Noch immer hörte sie den ohrenbetäubenden Schuss. Obwohl sie nicht dabei war, waren die Bilder, die sich in ihrem Kopf abspielten wenn sie wach war, mehr als real. Sie waren verängstigend. Wenn Shu angeschossen wurde, dann hatte es nie etwas Gutes zu bedeuten. Er, der Agent, den man nur schwer zu fassen bekam, wurde von einem wütenden Taxifahrer, der seinen Kollegen fand, angeschossen. „Endlich wach?“ Jodie nickte. „Wie…wie geht es dir?“ „Wie immer.“ Er hatte Glück. Die Kugel trat in die Schulter ein und auf der Rückseite wieder aus. Es war ein glatter Durchschuss, keine lebensgefährlichen Venen oder Arterien erwischt. Wenn es so weiter ging, würde er sich bald erholen. „Das ist gut.“ Sie lächelte. Zwanghaft. „Kann ich dir etwas bringen?“ „Ich brauch nichts.“ Jodie aber stand schon auf. „Ich hol dir einen Kaffee.“ „Jo…die…“ Ehe er ihren Namen aussprechen konnte, war sie aus seinem Zimmer verschwunden. Jodie lehnte sich im Flur gegen die Wand. Sie verbarg ihre Tränen ihre Trauer und ihren Kummer. „Jodie?“ Sie wischte sich die Tränen weg und drehte sich um. „James…“, murmelte sie leise. „Was gibt es?“ „Wie geht es dir?“, wollte er wissen. Jodie zuckte mit den Schultern. „Gut…würde ich sagen…“ „Du siehst nicht so aus.“ Die Agentin seufzte leise. „Ist das verwunderlich? Shu wurde angeschossen.“ „Es ist nicht deine Schuld.“ „Ich weiß…“ „Nein, du sagst es nur, aber du gibst dir trotzdem die Schuld“, sprach James ruhig. „Wenn wir nicht telefoniert hätten…wäre er nicht mehr dort gewesen.“ „Ach, Jodie.“ James ging auf sie zu. „Ich weiß…es ist nicht meine Schuld…Shu hat mich angerufen…und…“ James sah sie mitleidig an. „Wie kann ich dir nur helfen?“ „Das kannst du nicht…nicht wirklich…“, murmelte sie leise. „Aber…du kannst mir sagen, wie es in Japan ausschaut.“ „In Japan?“ „Ich…ich hab…geträumt. Die Organisation…sie war hinter Mori und Ran her. Wir mussten Moris Tod vortäuschen und dann wurde Ran entführt…wir haben sie gesucht…dann kam Bourbon und wollte Shu sagen, wo sich Ran befindet…aber dann…“ James runzelte die Stirn. „Was ist dann passiert?“ „Nichts. Ich bin aufgewacht. Aber war das alles wirklich nur ein Traum?“ „Ich denke schon“, gab James von sich. „Aber warum träum ich so was?“ „Das weiß ich nicht.“ Er beobachtete sie. „Vielleicht hat dein Unterbewusstsein einen Weg gesucht, damit du dir verzeihen kannst. Und vielleicht sah dieser Weg so aus, dass Ran entführt wurde, damit du und Akai sie retten könnt.“ „Hmm…“ „Du musst dir verzeihen.“ „Werd ich wohl müssen“, murmelte Jodie. „Ich hab Shu gesagt, dass ich ihm einen Kaffee hole…“ Jodie saß unten in der Kantine. Sie blickte in die Tasse Kaffee und dachte nach. James hatte recht. Allerdings war es nicht so einfach. Natürlich gab sie sich die Mitschuld. Shuichi machte normalerweise nie einen Fehler. Normalerweise behielt er seien Umgebung in Blick, wusste, wo der Feind stand und ließ sich nicht von einer Kugel erwischen. Nun aber war der Tag gekommen. Nun… Sie seufzte und stand mit der Tasse auf. Mit einer solchen Miene konnte sie unmöglich zu ihm und an Konzentration bei der Arbeit war auch nicht zu denken. Nur langsam und widerwillig ging Jodie durch die Kantine und dem Krankenhausflur. Sie blieb stehen, als sie an dem kleinen Verkaufsstand im Krankenhaus ankam. Blumen. Genesungswünsche. Kuscheltiere. Bücher. Luftballons. Alles was das Herz begehrte…meistens für Kinder. Ein kleines Lächeln legte sich auf Jodies Gesicht als sie einen Luftballon und Teddybären anvisierte. Wie Shu wohl gucken würde, wenn sie damit ankäme? Aber dann wurde Jodies Blick auf ein Buch gezogen. Es gab ihr neue Hoffnung. Und es war ein Zeichen. Aus der Tiefe des Herzens. Verzeih dir. Kapitel 11: Erdbeermuffin ------------------------- Immer wieder warf Jodie ihm verstohlene Blicke zu. Eigentlich sollte Shuichi noch im Krankenhaus bleiben und sich erholen. Die Verletzung heilte langsam und unter normalen Umständen war ein längerer Krankenhausaufenthalt unumgänglich. Eigentlich. Normalerweise. Wenn es um Shuichi Akai ging, gab es keine Standardisierungen. Kein eigentlich. Kein normalerweise. Akai war kein typischer Patient. Er hasste es im Krankenhaus unnötig rumzuliegen und Zeit zu vergeuden. Arbeiten im Krankenhaus war ebenso unmöglich, da andauernd irgendwelche Schwestern oder Besucher in sein Zimmer strömten. Nur im Büro hatte er die Ruhe, die er brauchte, wenn er sich konzentrieren musste. Außerdem war dort die Gefahr Zivilisten versehentlich einzuweihen gar nicht vorhanden. Glücklicherweise konnte man sich auf eigene Verantwortung selbst entlassen. Nichtsdestotrotz bemerkte der junge FBI Agent den besorgten, aber auch den tadelnden Blick von Jodie. Aber so war er nun einmal. Und gerade in Situationen wo es um die Organisation ging, konnten sie sich nicht zu viel Zeit lassen. Shuichi erinnerte sich noch an Jodies geschockten Blick als er im Büro auftauchte. Es war wahrlich eine Überraschung für sie. Dabei kannte Jodie ihn besser als jeder Andere. Sie hätte es wissen müssen. Dennoch bemerkte er, dass sie sich veränderte. Sie versuchte ihm, soweit es ging, aus dem Weg zu gehen. Ein einfaches Unterfangen wenn man bedachte, dass sie sich das Büro teilten und fast ständig aufeinander rumhockten. Shuichi kannte Jodie natürlich genau so gut, wie sie ihn, wenn nicht sogar besser. Er ahnte, dass sie sich für das, was passierte, schuldig fühlte. Auch wenn sie nichts dafür konnte. Immerhin war er es, der sie anrief. Und auch er war es, der das Gespräch mit ihr fortsetzte, obwohl er schon aus der Gasse hätte heraus fahren können. Es war nicht ihre Schuld. Wenn, dann sollte sie ihm die Schuld geben. Er war es, der nicht sofort los fuhr. Er war es auch, der im Wagen saß und seinen Angreifer nicht bemerkte. Er. Nicht sie. Unglücklicherweise zählten für Jodie dabei nicht die Fakten. Fakt war, er wurde angeschossen. Fakt war, dass er nicht sofort von der Stelle weg fuhr. Fakt war leider auch, dass er in jenem Augenblick mit ihr telefonierte. Akai wusste, dass er ihr Zeit lassen musste. Irgendwann würde sie wieder die alte werden und sich keine Vorwürfe mehr machen. Er war auch die Art von Person, die andere gerne tröstete oder gut zuredete. Er war der harte Agent mit dem weichen Kern, den er nie an die Oberfläche ließ. Es war einfach nicht seine Art. Selbst wenn er wollte, so konnte er nicht zu ihr rüber, sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass alles gut war. Jodie musste ihren eigenen Weg finden. Er konnte ihr nur einen kleinen Schubs in die richtige Richtung geben. „Was ist?“, fragte er schließlich. Jodie wandte ihren Blick ab. Sie fühlte sich ertappt und merkte anschließend, wie albern ihre Reaktion doch war. Vor allem aber durfte sie keine Schwäche zeigen. Sofort sah sie wieder zu ihm. „Nichts. Hab nur nachgedacht“, antwortete sie. „Und zu welchem Schluss bist du gekommen?“ „Mhmm?“ Jodie sah ihn überrascht an. „Muss ich zu einem Schluss gekommen sein?“ „Wäre wünschenswert.“ Aber sie konnte ihm doch nicht die Wahrheit sagen. Shuichi hätte sie lediglich angesehen, den Kopf geschüttelt und ihr gesagt, dass sie sich keine Gedanken machen sollte. „Ich frage mich, was die Organisation hier macht. Und ob es nicht eine einmalige Geschichte war. Was macht uns so sicher, dass sie nun weiterhin hier agieren und nicht in Japan? Nur weil Gin hier ist…“ „Gin wurde nicht ohne Grund hierher beordert. Es würde mich wundern, wenn sie ihn jetzt wieder abziehen würde. Mein Gefühl sagt mir, dass da mehr ist. Wir müssen nur tief genug graben und sie wieder aufspüren“, gab der Agent von sich. „Mein Kontakt am Flughafen und James Kontakte zu den anderen Büros haben bestätigt, dass niemand, der so aussah wie Gin, das Land verlassen hat.“ „Und wenn er sich wie Vermouth verkleidet?“, warf Jodie ein. „Nein. Ausgeschlossen. Gin würde sich nie auf so etwas einlassen. Das wäre ihm viel zu albern. Nein…“ Akai schüttelte wissend den Kopf. „…Gin würde direkt am Flughafen in die Kameras gucken, grinsen und anschließend nach Japan fliegen. Er würde es genießen, uns wieder an der Nase herum geführt zu haben.“ Jodie seufzte leise auf. „Das heißt, sie haben noch irgendwas vor. Der Sternenhimmel hat uns auch nicht weiter gebracht. Das Gemälde ist weg.“ Akai nickte. „Und wir haben ihre Spur verloren. Vorerst.“ Dann aber grinste er. „Sie werden schon sehr bald wieder auf der Bildfläche erscheinen. Da bin ich mir ganz sicher.“ Shuichi blickte in seine Kaffeetasse. Schwarz. Wie die Nacht. Wie die Organisation. Ja, er würde sie vernichten. Auslöschen. Ihrer gerechten Strafe zuführen. „Ich werde mich heute mal in ein paar Bars umsehen und einige meiner Kontakte ansprechen. Vielleicht haben sie Gin gesehen.“ „Nein“, kam es sofort von Jodie. „Das kannst du nicht machen, Shu. Deine Schulter ist immer noch verletzt. Was, wenn du wirklich auf ihn trittst? Das kann nicht dein ernst sein.“ Sofort machte sich Sorge in Jodie breit. Sie konnte nicht zulassen, dass er sich noch absichtlich in Gefahr brachte. Verletzt in Gefahr brachte. „Reg dich ab, Jodie und mach dir keine Sorgen. Ich weiß, was ich tu. Und ich weiß, wie ich mich in ihrer Gegenwart verhalten soll.“ Trotzdem umspielte ein Lächeln seine Lippen. Shuichi freute sich auf ein Treffen mit ihnen. Mit Gin. Und wenn sie sich gegenüber standen, würde er ihn endlich zur Strecke bringen. „Wie soll ich mich abregen, wenn du verletzt bist und dich dann noch mit Gin messen möchtest?“, warf Jodie ein. „Ich hab nicht behauptet, dass ich ihn auch finden würde, Jodie. Ich bezweifel sogar, dass ich ihn direkt in der ersten Bar aufspüren wäre. Gin ist nicht dumm. Er wird auch von seiner Seite aus Vorkehrungen getroffen haben. Außer er lockt mich in eine Falle. Aber für diesen Fall werde auch ich Vorkehrungen treffen.“ Entgeistert sah Jodie ihn an. „Dir macht es Spaß, nicht wahr? Du möchtest auf Gin treffen und es endlich zum Abschluss bringen.“ Sie seufzte. „Aber deswegen bringst du dich in Gefahr und bist unaufmerksam.“ Shuichi schmunzelte. Bingo. Nun hatte er sie dort, wo er sie haben wollte. „Selbst ich bin manchmal unaufmerksam, wenn es um bestimmte Themen geht.“ „Sh…u…“, murmelte Jodie. „Hast du es jetzt verstanden, Jodie?“, wollte er wissen. „Es war nicht das Telefonat mit dir, wegen dem ich unaufmerksam war“, fügte er an. Sie schluckte. „Aber…“ „Du hast es eben selbst gesagt“, gab Akai von sich. „Wenn es um Gin geht und ich ihn schnappen will, kann es mal vorkommen, dass ich nicht alles im Überblick habe. Ich bin auch nur ein Mensch. Und wie jeder Mensch können auch mir Fehler passieren. Und diese Fehler haben rein gar nichts mit dir zu tun. Ist das bei dir angekommen?“ Sie nickte. „Gut, dann hör auf so ein Gesicht zu ziehen.“ Jodie sah ihn an. „Ich werds versuchen“, sprach sie. Versprechen konnte sie es nicht. Sie konnte zwar lächeln, aber ein nicht ernst gemeintes Lächeln fiel viel zu schnell auf. Und Jodie war wahrlich niemand, der anderen Menschen gern etwas vor machte. Außerdem konnte Shuichi immer hinter ihre Fassade blicken. Er wusste, was in Wirklichkeit in ihr vorging, selbst wenn es für alle Anderen nicht ersichtlich war. Frauen, dachte sich Shuichi und beließ es dabei. Er stand auf und holte seine Packung mit den Zigaretten aus der Hose. Anschließend nahm er eine heraus und ging zur Tür. „Shu!“ „Ich weiß, Rauchen ist ungesund und bringt mich eines Tages um.“ Trotzdem ging er aus dem Büro. Jodie seufzte. Warum musste ihr Kollege nur so unvernünftig sein? Wusste er denn nicht, wie wichtig sein Leben war? Und was sollten die Menschen, denen er wichtig war, sagen, wenn er erkrankte? Shu blieb stur. Egal wie oft Jodie ihn ermahnte, jedes Mal danach genoss er die Zigarette als könnte ihn kein Wässerchen trüben. Wenigstens hielt er sich an das Rauchverbot, welches sie im Büro aussprach. Jodie lehnte sich nach hinten und schloss die Augen. Sie musste es endlich überwinden und normal werden. Aber wie? Jodie verharrte nachdenklich in dieser Position bis sie etwas rascheln hörte. Sie öffnete die Augen und sah ungläubig auf ihren Schreibtisch. Ihr Blick ging anschließend zu Shuichi. „Hast du…woher…“ „Kantine“, antwortete der Agent. „Danke“, brachte Jodie hervor. Sie verstand noch nicht, warum er ihr etwas Süßes mitbrachte. „Damit du mal wieder lächelst.“ Jodie sah auf den verzierten Muffin. Eine kleine Erdbeere lag auf der sonst so weißen Glasur. Erdbeermuffin. Shuichi brachte ihr wirklich einen Erdbeermuffin mit. Und urplötzlich musste sie lächeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)