The Past Is My Problem von Sakura-95 ================================================================================ Kapitel 1: Flashback -------------------- „Vater! Vater! Nein. Das kann nicht sein… VATER!“ Heiße Tränen liefen über meine glühenden Wangen. Das, was sich gerade vor meinen Augen abspielte, war so irreal, dass ich es immer noch nicht realisiert hatte. Diese riesige Blutlache… und mitten drinnen mein Vater. Mein geliebter Vater, mein ein und alles. Die letzte Person, die mir noch etwas bedeutet hatte. Tot. Für immer. Meine zittrigen Hände legten sich langsam auf mein Gesicht, das immer weiter von den Tränen befeuchtet wurde. Die Dunkelheit, die sich langsam über mich ausbreitete, ließ mich für einige Sekunden vergessen, was ich gerade gesehen hatte. Die Stille im Raum beruhigte mich ein wenig. Vielleicht war alles wieder normal, wenn ich meine Hände von den Augen legte. Vielleicht würde Vater dann reinkommen, mich in die Arme schließen und mir besänftigend übers Haar streichen. Mein Wunschdenken wurde mit einem Schlag vernichtet, als eine tiefe, hässliche Stimme plötzlich laut zu lachen begann. Das Lachen drang in mein Ohr und lähmte mich. Ich riss die Hände von meinem Gesicht und drückte mir die Ohren zu. Die Lache war unerträglich. Sie hallte im ganzen Raum wider und wurde mit jeder Sekunde lauter. „Bitte… bitte, hör auf…“, flüsterte ich, doch meine Versuche waren nutzlos. Die Person lachte weiter, spöttisch und überlegen. Ich wagte es, mich ein wenig umzuschauen. Außer mir und der Leiche meines Vaters war niemand zu sehen. Es war so, als ob eine Kassette dieses Lachen abspielte, und dabei der Lautstärkeregler immer weiter nach oben gedreht wurde. Ich drückte meine Hände fester gegen meine Ohren und kniff die Augen zu. Ich versuchte, ruhig zu bleiben und den Kloß in meinem Hals zu ignorieren. „Na, was ist los, kleine Sakura? Hast du Angst?“, fragte die hässlich klingende Stimme, womit plötzliche Ruhe in den Raum einkehrte. Meine Verkrampfungen lösten sich langsam, sodass ich meine Hände von den Ohren nehmen konnte. „Wer bist du? Und wo bist du?“, fragte ich; meine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. „Ich bin hinter dir“, hauchte mir die hässliche Stimme ins Ohr. Mein Herz krampfte sich so schlagartig zusammen, dass ich nicht mal die Kraft hatte, aufzuschreien. Ich blieb wie versteinert auf dem Boden sitzen, mit rasendem Puls darauf wartend jeden Moment auch umgelegt zu werden. Tränen liefen mir über das Gesicht, während ich auf die Leiche meines Vaters starrte. „Leb wohl, Kleine!“, brüllte die Stimme und hallte bedrohlich durch den ganzen Raum. Ich hielt mir eine Hand an den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Ich spürte, wie mir der kalte Lauf einer Pistole an die Schläfe gedrückt wurde. Die Hand, die diese Pistole festhielt, krampfte sich fester um die Pistole. Dann klickte der Abzug… Ein Schrei riss mich aus meinem Schlaf. Ein Schrei, der aus meinem Mund kam. Mein Herz raste wie wild und Schweißperlen liefen mein Gesicht herab. Ich versuchte, mich ein wenig zu beruhigen, indem ich eine Hand an mein pochendes Herz hielt. Mein Atem ging so schnell, dass es einige Minuten dauerte, bis er sich normalisiert hatte. „Mein Gott…“, murmelte ich und strich mir die rosafarbenen Haare aus dem Gesicht, die an meiner Stirn klebten. Den Albtraum, den ich gerade hinter mir hatte, hatte ich nicht zum ersten Mal erlebt. Seit 2 Monaten plagte mich regelmäßig ein und derselbe Traum. Ich befand mich in einem leeren Zimmer mit kahlen, weißen Wänden. In der Mitte des Raumes mein Vater – inmitten einer Blutlache. Tot. Unbeweglich. Es verpasste mir jedes Mal aufs Neue eine Gänsehaut. Ich schlang meine Arme um meinen zitternden Körper. Die Zelle, in der ich hockte, war kalt und ungemütlich. Die rostigen Gitter machten die Atmosphäre nicht gerade schöner, im Gegenteil, sie verdüsterten diesen unheimlichen Ort noch mehr. Ich starrte auf mein dreckiges, beflecktes, einst weißes Kleid, das jetzt eher einem Grauton glich. Nicht mal regelmäßig die Klamotten wechseln konnte man hier. Es war die reinste Hölle. Und diese Hölle dauerte schon 2 Monate. Seit dem Tag, an dem mein Vater tot aufgefunden wurde – und ich dafür verantwortlich gemacht wurde. „Sakura, Schatz, wann kommst du vorbei? Ich habe den Tee schon aufbrühen lassen.“ „Bin in 5 Minuten da“, antwortete ich meinem Vater gut gelaunt. Heute war ein wunderschöner Tag. Die Sonne schien hell am Himmel und kitzelte meine Haut. Ich überquerte gerade eine Kreuzung, während ich mein Handy fester an mein Ohr presste. „Wie schön“, erwiderte Takashi Haruno. Man konnte seiner Stimme das Lächeln anhören. „Ich hole dann schon mal den Kuchen aus dem Kühlschrank. Ich liebe dich, mein Schatz. Bis gleich.“ „Ja, bis gleich“, verabschiedete ich mich und steckte mein Handy in die Tasche. Ich schob meinen großen, weißen Hut ein wenig tiefer ins Gesicht, um nicht in der Schusslinie der erbarmungslosen Sonnenstrahlen zu stehen. Es kam nicht oft vor, dass ich mich mit meinem Vater traf. Er, als Geschäftsführer der riesigen „Haruno Luxury Ltd.“, hatte den ganzen Tag mit Kunden oder anderen Geschäftssachen zu tun. Lediglich an Wochenenden, oder wenn er sich einen freien Tag nahm, konnte ich ihn sehen. Es machte mir zwar eine Menge aus, aber ich ließ es mir nicht anmerken, um meinem Vater keine Sorgen zu bereiten. Er hatte sich die ganzen Jahre schon Sorgen gemacht, weil ich ohne Mutter aufwachsen musste. Jetzt sollte er sich einfach mal entspannen und seinem Lieblingshobby nachgehen: Dem Geschäft. Heute jedoch, da er sich einen freien Tag genehmigt hatte, konnte ich ihn aber besuchen. An solchen Tagen stand ich an erster Stelle. Ich lief den grünen Rasen entlang, der vor dem Haus meines Vaters vor sich hin wuchs. Ich klingelte und kurz darauf öffnete mir Jaques, der französische Butler, den mein Vater schon im Dienst hatte, seit ich geboren war. „Guten Tag, Jaques!“, begrüßte ich ihn freundlich. Für mich war er eine Art Freund, auch wenn ich nicht viel mit ihm sprach. Er war ein sehr ruhiger Mensch, aber über die Jahre hinweg hatte ich ihn sehr gut kennengelernt. Er war ein sehr freundlicher und gewissenhafter Mensch, um die 40 Jahre alt. Sein glattes, schwarzes Haar glänzte im Schein der Sonne. Seine braunen Augen sahen mich freundlich an. „Mademoiselle Haruno. Schön Sie zu sehen. Treten Sie ein.“ Ich betrat das Foyer. Es war nicht sehr groß, jedoch mit vielem teurem Plunder ausgeschmückt. Der Boden war mit purpurnen, goldverzierten Teppichen ausgelegt. Die weinroten Vorhänge waren zugezogen, sodass nur wenig Licht ins Foyer fiel. Ich lief den Gang entlang und öffnete die Tür, die zum Wohnzimmer führte. Als ich die Tür öffnete, sah ich meinen Vater vor einem Schachtisch sitzend, mit einer nachdenklichen Miene auf dem Gesicht. Als er das leise Quietschen der Tür hörte, sah er auf und lächelte. „Sakura“, sagte er, seine Stimme voller Warmherzigkeit. „Daddy“, rief ich glücklich, schmiss meine Tasche auf das samtweiche, diamantgrüne Sofa und lief zu meinem Vater hin. Ich umarmte ihn und setzte mich gegenüber von ihm an den Schachtisch. „Wie geht’s dir, mein Engel?“, fragte mein Vater, während er mich lächelnd musterte. „Gut!“, antwortete ich und lächelte zurück. „Und dir? Wie läuft das Geschäft?“ „Ausgezeichnet. Aber lass uns nicht davon reden. Komm lieber mit in die Küche. Jaques hat den Tee bestimmt schon eingegossen.“ Wir gingen zusammen in die Küche. Jaques stand an dem Tisch, zwei große Tassen in den Händen. Er stellte die Tassen zu dem Zuckerdöschen und dem Kuchen, die auf dem Tisch standen, wünschte uns guten Appetit und verließ die Küche wieder. Wir setzten uns. Vater schnitt den Kuchen an und legte mir ein Stück auf den Teller. Dann schnitt er ein Stück für sich ab. „Erzähl mal“, forderte er mich auf. „Was ist bei dir so los? Hast du einen neuen Freund? Irgendwas Neues von der Arbeit?“ Ich lächelte ihn an. „Nein, kein neuer Freund“, sagte ich. „Bei der Arbeit ist alles beim Alten. Der Chefarzt versucht immer noch, sich bei mir einzuschleimen, indem er sagt, ich wäre die beste Auszubildende Ärztin, die er je hatte.“ Bei der Erinnerung daran musste ich lachen. Vater stimmte in mein Lachen ein. Draußen zwitscherten die Vögel. Als das Zwitschern der Vögel erstarb, öffnete sich die Küchentür und Jaques Kopf lugte hinein. „Monsieur Haruno? Ein Gewisser Monsieur Higurashi möchte Sie sprechen.“ Vater zog die Brauen hoch. „Higurashi-san? Was will der denn?“ Er runzelte die Stirn. „Ich habe mir doch heute extra frei genommen…“ Dann wandte er sich an mich. „Es tut mir leid, Schatz, aber ich glaube, ich werde nicht drum herum kommen.“ „Ach, kein Problem“, antwortete ich lächelnd. Es war sehr wohl ein Problem für mich. Ich ließ es mir aber nicht ansehen. Ich wollte nicht, dass Vater sich Sorgen machte. Vater lächelte und erhob sich dann. Er folgte Jaques nach draußen, der die Tür hinter sich schloss. Jetzt war ich alleine. Seufzend erhob ich mich und ging zum Fenster. Die Landschaft, die man von hier aus betrachten konnte, war wunderschön. Der Rasen strahlte in einem hellen Grün und sah frisch aus. Die Blätter der Bäume wehten sanft im Wind, wodurch vereinzelte Sonnenstrahlen immer von einem anderen Winkel durchschienen. Eine Reihe von Tulpen und Rosen erstreckte sich am Gartenzaun. Die Rosen hatten eine kräftige rote Farbe, während die Tulpen in einem hellen Orange schimmerten. Alles in allem war es ein sehr schöner Anblick. Alles war friedlich. Bis ich den Schuss hörte. Ich zuckte zusammen und war im ersten Moment irritiert. Im zweiten Moment realisierte ich, dass der Schuss wahrscheinlich von einer Pistole stammte, die in diesem Haus betätigt worden war. Ich rannte los, so schnell ich konnte. Lähmende Angst breitete sich in meinem Körper aus. Was war passiert? Wo kam der Schuss her? Wer hatte den Schuss getätigt? Ich stieß die Tür zum Zimmer des Büros meines Vaters auf. Blut. Überall Blut. Und inmitten dieses ganzen Bluts – die Leiche meines Vaters. Mir wurde plötzlich so schlecht, dass ich kurz vor dem Erbrechen war. Ich fiel auf die Knie. Tränen schossen mir in die Augen und liefen in Massen über mein Gesicht. Mein Schrei hallte durch das ganze Zimmer und musste auch im Foyer gehört worden sein. Jaques stürmte ins Zimmer. Er handelte schnell: mit seinem Handy rief er Polizei und Krankenwagen. Auf mein lautes Schluchzen hin kniete er sich zu mir und legte einen Arm um mich. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Brust und weinte. Und weinte, bis er mich plötzlich von sich wegschob. Er starrte wortlos auf meine Hand. Irritiert folgte ich seinem Blick. Meine linke Hand war voller Blut. Vaters Blut. Geschockt starrte ich zu Jaques, der sich von mir entfernte. „Jaques…“, murmelte ich. Wie konnte er glauben…? Wie war überhaupt das Blut auf meine Hand gekommen? Wahrscheinlich war es passiert, als mir die Knie nachgegeben hatten und ich mich mit den Händen am Boden abgestützt hatte. Jaques sah mich befremdend an. „Jaques…!“, murmelte ich wieder. Meine tränenerstickte Stimme versagte, bevor ich etwas anderes sagen konnte. Ich starrte auf die blutverschmierte Hand. Es war so irreal. Wie hätte ich jemals…? Jaques sah es anscheinend anders. Und die Polizisten, die Sekunden später ins Haus stürmten, auch. Sie sahen mich, meine Hand und das Blut. Das war genug für sie. Zwei der Polizisten packten mich am Arm, legten mich in Schellen und führten mich ab. Ich hatte nicht die Kraft, mich zu verteidigen. Es war zu viel auf einmal passiert. Ich war mir sicher, dass Kuno Higurashi der wahre Mörder meines Vaters war. Es war mir ab dem ersten Tag meines Aufenthaltes im Gefängnis klar. Higurashi hatte sich seit diesem Vorfall nicht mehr blicken lassen. Es hieß, er wäre wie vom Erdboden verschluckt. Ich hatte mir geschworen, ihn zu finden und ihm seine gerechte Strafe zuzuführen. Er würde büßen für das, was er mir und meinem Vater angetan hatte. Schon am meinem ersten Tag hier hatte ich geplant, wie ich wieder rauskam. Einer der Wache-Polizisten war ziemlich schnell zu bestechen gewesen. 10.000.000 Yen waren schon ein nettes Sümmchen. Heute Nacht würde er mir helfen, auszubrechen. Und morgen würde ich dann meine Suche nach Higurashi beginnen. Mein Plan war idiotensicher. Fehlte nur noch die Ausführung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)