이상한 경우 (Isanghan Kyeong'u) von Chrolo (Seltsame Situationen) ================================================================================ Kapitel 11: Gedankenwirrwarr ---------------------------- Die Sonne schien am Himmel. Für einen Novembermittag war das Wetter erstaunlich gut, geschätzte sechzehn, siebzehn Grad bei strahlender Sonne und erstaunlich geringer Wolkenfülle. Mein Mantel war dafür etwas zu warm, daher trug ich ihn unter meinem linken Arm. Da er doppelt gefuttert und gesäumt, und somit ziemlich schwer und mächtig war, vermochte ich nicht zu sagen, ob das von außen cool aussah, aber mit angezogenem Mantel würde ich bei Sonnenschein vielleicht noch unpassender aussehen - und genau das wollte ich in dieser Situation nun wirklich nicht. Ungefähr zwanzig Meter vor mir lief die adrette Dame, die mir seit einiger Zeit die Sinne raubte, oder, um es gefühlsmäßig zu beschreiben, damit Baseball spielte. Im Café hatte ich kaum die Zeit und schon gar nicht den Mut, sie anzusprechen, schon wegen des leicht verstört blickenden Kellners, der mich seit des zu spät angenommenen Anrufs nicht mehr wirklich aus seinem Blickfeld gelassen hatte. So gesehen war es ganz angenehm, dass ich den ansonsten recht angenehmen Ort wieder verlassen konnte – andererseits hatte ich die beste Chance, meine Traumfrau anzusprechen, bereits versäumt und musste jetzt improvisieren. Alleine ihr nachzugehen war schon mit einem unangenehmen Gefühl verbunden, aber dazu kam noch, dass jeder weitere Moment und jeder weitere Schritt die Sache schwieriger machten, da sie mich im Café ganz sicher gesehen hatte – danke, Seung – und mich am Ende noch für einen Stalker halten könnte – danke, Barry White. Aber sie einfach gehen zu lassen, kam für mich nicht im Entferntesten in Frage. Eher würde ich dieser Frau bis zu ihrer Wohnung folgen, als dass ich Jahrzehnte warten würde, bis ich vielleicht wieder eine Person träfe, die meine Gefühlswelt so in Unordnung zu bringen vermochte. Nein, ich blieb dran und überlegte fieberhaft nach einem Weg, die Distanz zwischen uns mit einer positiven Wirkung zu verkürzen, oder noch besser, aufzulösen. Nebenbei nahm ich mein Handy zur Hand und nutzt die Spiegelkamera-Funktion, um mein Gesicht abzuchecken. Ich sah ein wenig mitgenommen aus, was mich nicht wunderte, aber alles in allem in Ordnung und etwas besser als noch am Vortag. Eine Art Haarsträhne fiel leicht in mein Gesicht, aber als Mann störte mich das nicht unbedingt. Leichte stressbedingte Hautunreinheiten konnte ich auch noch ignorieren, die besaß ich ohnehin spätestens seit den letzten zwei Wochen auf der Arbeit. Aber insgesamt brauchte ich mich nicht zu verstecken. Hier in Korea, wo Individualität oder markante Gesichtsstellen ohnehin kein Muss sind, fiel ich mit meinem tendentiell sehr 'normalen' Gesicht eher in die Kategorie 'gutaussehend'. Meine entfernten deutschen Wurzeln spielten mir zusätzlich in die Karten, da meine Nase tendentiell etwas ausgeprägter war, was unter Asiaten generell als sehr beliebt gilt. Irgendwie bestach mich aber ein seltsames Gefühl, während ich so hinter ihr herlief. Es war ein wenig so als würde sie mich sehen. Ihre Schritte erschienen mir mit Bedacht gewählt, jeder für sich. Zwar war das Interpretationssache und höchstwahrscheinlich situationsverschuldet, aber irgendetwas injizierte mir ein leicht gruseliges Gefühl. Und tatsächlich... als ich hinter die nächste Ecke bog, stand direkt an der Ecke ein Streetfood-Stand – nichts Ungewöhnliches – an dem die hübsche Frau Halt machte und das Sortiment beobachtete, während sie meine Richtung bestens im Blickfeld hatte. Nun wäre der wohl einzig verbleibende gute Moment gewesen, zu (re-)agieren... aber ich war wie gelähmt und schaffte es nicht. Mangelnde Flexibilität war eigentlich keine Schwäche von mir, aber hier und jetzt schluckte ich nur leise und ging weiter, über die Straße, und ließ mir so direkt nichts anmerken. Da war sie wohl hin, die Chance. Alles was jetzt noch folgen könnte, musste furchtbar peinlich rüberkommen, da musste ich mir nichts vormachen. Es war zumindest nicht vorstellbar, dass sie nicht bemerkt hatte, dass gerade derselbe Mann an ihr vorbeiging, welcher zuvor das Café mit Barry White beschallt und kurz darauf eine ominöse Kurzunterhaltung mit einem älteren Herrn hatte, der ihn offensichtlich alles andere als nett und respektvoll behandelte. Aber während ich davon ausging, dass die Sache kaum noch zu retten war und mich kurz umdrehte, bemerkte ich, dass die Frau noch während der selben Grünphase ebenfalls die Straße überquerte und nur einige Meter hinter mir lief. Gott sei Dank richtete sie ihre Augen nicht genau in dem Moment des Umblickens auf mich, so dass ich im Falle einer direkten Konfrontation (wie auch immer sich diese ergeben sollte) immer noch den Eindruck machen konnte, als sei würde der Zufall walten – was ich allerdings auch nicht direkt plante. Aber genau genommen bekam ich wieder dieses gruselige Gefühl, dass ich die Kontrolle über die Situation schon lange verloren hatte. Ich kam mir vor wie in der Szene eines Gangsterfilmes, wo ein Schnüffler beim Beschatten bemerkt wurde und der Beschattete anstatt zu flüchten oder auf Konfrontationskurs zu gehen, cool die Rollen tauschte; primär um den Beschatter einzuschüchtern und ihm zu suggerieren, dass er sich lieber eine ganz andere Beschäftigung suchen sollte. Ohnehin war ihr Halt bei dem Streetfood-Stand schon seltsam genug, da sie zuvor ein Dessert in einem Coffeeshop genossen hatte. Wieder dachte ich über meine Optionen nach. Ich könnte mich schwungvoll umdrehen und ihr machohaft ins Gesicht sagen: „Treiben Sie keine Spielchen mit mir!“; oder: „Ich weiß, dass Sie mich verfolgen. Sie sind soeben aufgeflogen!“. Aber ehrlich, das wäre wohl das letzte, was ich tatsächlich tun würde. Ich könnte auch auf unwissend tun und einen Handyanruf tätigen, während welchem ich meinen Schritt natürlich verlangsamen und sie zu einer Reaktion zwingen könnte. Aber das wäre falsch... wenn ich tatsächlich eine Chance bei dieser Göttin haben wollte, musste ich schon meinen Mann stehen. Ich blieb schließlich ohne groß darüber nachzudenken stehen, nicht allzu abrupt, verharrte zwei Sekunden und drehte mich dann annehmbar elegant um, in gerader Haltung, mit breiter Brust, um keine Schwäche zu zeigen – gleichzeitig zurückhaltend genug, um nicht als Macho durchzugehen. Ich fragte mich ohnehin, welchen Eindruck von mir wohl Barry White bei ihr gemacht hatte. Im nächsten Moment verlor ich die gespielte Sicherheit innerhalb einer Nanosekunde wieder – denn die Frau war WEG. Hinter mir war nur die lange Straße, auf der einige, aber nicht viele Leute ihren geregelten Alltag wahrnahmen bzw. von A nach B liefen. Die linke Seite entlang stand eine lange Steinmauer, die sicherlich keine Möglichkeit für irgendein Versteck bot. Rechts war die Straße, abgesehen von einer Bushaltestelle ebenfalls sehr übersichtlich. War ich verrückt? Hab ich mir das Folgen der Dame eingebildet? Verfolgungswahn? Habe ich gerade meine einzige Chance verpasst? Die nächsten Augenblicke dachte ich darüber nach, dass mein Bild bisher wirklich schlecht gewesen sein muss. Mal abgesehen von dem teuren Ciguardian von Cinque, dessen erwähnter Stehkragen selbst einem Obdachlosen einen gewissen Charme verleihen würde (welcher allerdings nur wirken konnte, wenn man ihn auch anzog). Darunter trug ich immerhin ein Hemd; aber freilich dasselbe, was ich schon zwei Tage zuvor im Club getragen hatte. Man nimmt seinen Eigengeruch für gewöhnlich nicht zu stark wahr, aber einen Moment lang hatte ich Angst, dass mein derzeitiger abturnend wirken könnte. Aber es waren immer mindestens drei Meter zwischen mir und der Frau, das war doch völlig unmöglich. Barry Whites Never, Never Gonna Give You Up könnte im Optimalfall ihren Geschmack treffen oder als stilvoll durchgehen, da ältere Musik bei vielen Leuten mit Retro-Appeal punktet – selbst in Korea. Dennoch könnte es auch total in die andere Richtung gehen, vor allem mit dem gestöhnten 'Oh Baby' im Intro. Käme ganz auf die Lady an, sicherlich. Mehr nervte mich im Nachhinein mein Verhalten, als das Handy klingelte – vollständige Ignoranz. Und darüber hinaus noch der kurze Dialog mit dem alten Mann, der mich für Außenstehende sicher wie einen Handlanger aussehen ließ... es würde bestimmt einige Zeit brauchen, um mir diese Erinnerungen aus dem Kopf zu wischen. Und Seoul ist groß, mit 'einziger Chance' mochte ich richtig liegen. Der Spruch 'Die Welt ist klein' bekam allein hier bestimmt oft genug seine Grenzen aufgezeigt. Ich ärgerte mich diesmal offen, indem ich die Hände mit dem Mantel hinter dem Rücken verschränkte und mit miesepetrigem Blick nach einem etwas größeren Kieselstein trat, der in Richtung der Bushaltestelle flog. Im nächsten Moment tippte mich jemand von hinten an. Ich zuckte leicht zusammen und drehte mich ruckartig um. Und... mit einem umwerfenden Lächeln sah mich das Gesicht der Schönheit an, welche ich in den vergangenen Minuten beschattete und verloren zu haben schien. Ich hatte für die spontan von ihr kreierte Situation natürlich keine passende Antwort parat und sagte nur „Oh...“ „Oh...?“, fragte sie zurück und raubte mir mit dem Lächeln jedweden Verstand. Ich versuchte instatan ihre magischen dunklen Augen, ihr perfektes, natürlich aussehendes Gesicht und ihre gepflegten, langen, goldbraun gefärbten Haare zu ignorieren, die mich mental auf die Knie zwangen, ja geradezu pressten. Aber die Augen durfte ich nicht verschließen. Stattdessen fragte ich ganz ehrlich „Wie sind Sie hinter mich gelangt?“ „Tjaaa... zu Fuß.“ „Ich scheine heute wirklich arg in Gedanken zu sein...“ „Ach so. Deshalb haben Sie mich nicht früher angesprochen, richtig?“ „War es so offensichtlich, dass ich das vorhatte?“ „Ziemlich. Aber ich muss dazu sagen, dass ich eine Art Antenne für so etwas habe, also nichts für Ungut.“ Ich erwiderte nichts. Während eine Hälfte meines Gehirns einem Freudentaumel erlag, schämte sich die andere umso mehr, da die Lady es scheinbar genoss, mit meinem unglücklichen Verhalten zu spielen. Aber dennoch hatte sie mich angesprochen – ein Szenario, das weit über den Tellerrand meiner ausgemalten Gedanken hinaus ging. „Sorry, ich hätte Sie schon im Café ansprechen können. Aber ich musste unbedingt noch zwei Songs hören.“, sagte sie, deutete auf ihre durchsichtigen kabellosen In-Ear-Kopfhörer und erklärte dazu, dass sie öfters „das ganze Album 'Go Easy' von Verbal Jint am Stück“ hörte – dabei könne sie extrem gut entspannen. Und ihre Erklärung fühlte sich obgleich des seltsamen Zufalls und der Tatsache, dass sie mich angesprochen hatte, gar nicht unnatürlich an. Ich wusste nicht, ob es ihr mit ihrem überwältigenden Charme oder eher mit ihrer überraschend lockeren Art gelang, aber sie vermochte es, diesbezügliche Zweifel, die sich normalerweise schnell unter meiner Kopfhaut manifestieren, sofort im Keime zu ersticken. Sie wirkte auch nicht nonchalant, sondern vielmehr lebensfroh und interessiert. Viel zu viel für mich, meine Synapsen schalteten auf rosarot. Ich musste mich bemühen, lockerer zu wirken, als ich mich fühlte und antwortete: „Verbal Jint? Sie haben einen guten Geschmack!“ Während ich mich im ersten Moment für diese Standard-Antwort schämte, fiel mir in den folgenden Sekunden tatsächlich ein Song von (in meiner Hoffnung) besagtem Album ein, den ich selbst eine Zeit lang gehört hatte. So ergänzte ich meine Antwort flugs: „Ich mag vor allem 'You make me feel Brand New'“. „Ach wirklich? Der ist neuer, nicht?“ Sie reizte mein Fachwissen bereits an den Rand meiner Kenntnisse aus und ich nickte unüberlegt ab, profitierte aber von der Tatsache, dass dem tatsächlich so war. „Auch nicht schlecht. Was hören Sie sonst...?“ Diese Frage sagte mir (oder sollte mir suggerieren), dass sie während ihre Café-Besuchs tatsächlich die ganze Zeit Musik gehört hatte und ich mich scheinbar aus der Barry White-Nummer retten konnte. Ich zählte daher, nach Situationskontrolle greifend, einige bekannte amerikanische Musiker auf und dichtete mit Epik High und MC Sniper noch etwas modernes dazu, was meiner Meinung nach gut zu Verbal Jint passte. Tatsächlich log ich bei der Auswahl auch nicht, was mir ein gutes Gefühl bescherte. Aber dass ich manchmal auch härteren Rock hörte, ließ ich außen vor, denn mit Rockmusik konnte man in Korea bei kaum jemandem punkten. „Interessant.“, erwiderte sie und fuhrt sich mit der Zunge leicht über die Lippen, ihren Blick zur Straße wendend. „Also ich stehe eigentlich mehr auf Blues, Jazz, Soul... klassischer. Bessie Smith, Count Basie, B. B. King, Barry White...“ In diesem Moment lief ich ganz bestimmt knallrot an. „Sie nicht...?“ „Barry White, natürlich.“, antwortete ich eher verlegen als erfreut, das kleine bisschen erhaschte Kontrolle über das Gespräch sofort wieder abgebend. Sie grinste mich schelmisch an und verdrehte die Gesichtsmuskeln auf eine amüsante Art und Weise. „Oh Baby...“, ahmte sie den Afroamerikaner in einer – zugegeben – hinreißenden Form nach und sorgte bei mir für ein verkniffenes Prusten. Es gelang nicht vielen Menschen, mich so in Verlegenheit zu bringen, aber einer Person, der ich mich als ihr verfallen beschreiben würde, musste das wohl oder übel gelingen. „Ich dachte sie haben Verbal Jint gehört.“ „Nicht laut genug, um das zu überhören.“ „Verstehe...“ „Ebenso wie Sie beim Starren etwas dezenter vorgehen sollten.“ „Ah?“ „Ich habe Augen im Rücken. Dazu je eins an beiden Ellenbogen, Kniekehle, sogar auf dem Kopf...“ Alles was sie sagte, war eine Art Spitze, eine Attacke auf meine empfindliche Stellen, und gleichzeitig erschien es mir doch nicht böse, weil sie dabei stets charmant lachte und mir in die Augen schaute. „Umwerfend...!“, sprach ich meine Gedanken aus Versehen aus. Daraufhin lachte sie äußerst herzlich, da sie es als Reaktion auf ihren Scherz vernahm. „Gut... ich muss wirklich negativ aufgefallen sein. Nun, wie kommt es denn, dass Sie mich trotzdem ansprechen? ...Sagen Sie nicht wegen Barry White.“ „Weil Sie mich zum Lachen bringen.“ „Aaaach so.“ „Immer wieder. Aber Sie sind wahrscheinlich nicht der erste, der einen Gateau so unbeholfen mit der Gabel isst.“ „Verdrehen Sie vielen Männern den Kopf?“ „Habe ich Ihren verdreht...?“ Sie grinste mich wieder an, zweifellos mit dem Wissen, dass sie mich sprichwörtlich bei den Eiern hatte. Ich antwortete nicht, sondern starrte verlegen zur Seite. „Tatsächlich, ja, es scheint, dass mir so etwas öfter passiert. Ich weiß nicht warum.“ „Ich weiß warum...“ „Sagen Sie es mir?“ „ ... Wenn Sie …“, wollte ich Sie erst platt um ein Date bitten, aber rettete mich rechtzeitig: „Wenn Sie denken, dass das so leicht in Worte zu fassen ist...“ „Okay, ich komme später darauf zurück.“ Nun, das war Barry White in meinen Ohren. Sie hatte wirklich 'später' gesagt. „Natürlich, gerne.“, antwortete ich lächelnd. Keinen einzigen Gedanken verschwendete ich mehr an meine grundlegende Situation, in der ich eigentlich einen Ersatzschlüssel für mein Heim besorgen wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)