이상한 경우 (Isanghan Kyeong'u) von Chrolo (Seltsame Situationen) ================================================================================ Kapitel 6: Ein seltsames Anwesen -------------------------------- Ich lag ausgebreitet auf einem großen Bett aus Daunen, die Hände hinter meinem Kopf zusammen gefaltet, Löcher in die Luft starrend. Während ich mich an sich freute, dass dieses Bett deutlich gemütlicher als mein eigentliches war, obsiegte gedanklich im Allgemeinen eher der Frust darüber, dass ich im Falle meiner verlorenen Nacht keinen Schritt weiter gekommen war. Es war weg. Einfach schwarz... der Ausschnitt auf der großen Videoleinwand, welcher den Bereich vor der Treppe des Clubs anvisierte, war ab 3:15 Uhr nicht weiter vorhanden. Wir konnten nicht überprüfen, ob die Kamera ausgeschaltet wurde, falls ja wie man das hätte anstellen können, oder was sonst passiert sein konnte. Dazu fehlte uns das nötige Wissen, genau so wie dem Clubangestellten, der sich mit uns im Videoraum befunden hatte. Es war zumindest kein Videotape entwendet worden. Aber dennoch sagte mir das Schwarze, dass irgendwas total im Argen steckte... dass das alles irgendeinen größeren Sinn haben musste. So gesehen war ich dann doch einen klitzekleinen Schritt weiter als noch fünf Stunden zuvor in der SONDERbar. Als Earl Gray und ich den Club verlassen wollten, kam im Übrigen der Schmiere stehende Türsteher mit einem weiteren, noch deutlich muskelbepackteren Kollegen an und wollte uns schick erpressen. 200.000 Won pro Person standen zunächst im Raum, aber der Earl zog bloß unbeeindruckt ein Pfefferspray hervor und sprühte es dem Neuzugang blitzschnell in die Augen, ehe er den heranstürmenden Anderen mit einer eleganten Bewegung von den Beinen holte. Ich war beeindruckt, schaltete aber ebenso schnell und wehrte einen Angriff des dritten Mannes ab, der hinter mir vor der Videoleinwand stand und zu einem Schwitzkasten ansetzen wollte. Im Anschluss klatschte ich mich mit meinem Partner ab und wir huschten zum gott sei Dank nicht verschlossenen Ausgang. Der Luxemburger sprach davon, Melissa bei der nächsten Gelegenheit von ihrem Job in diesem Schuppen abzuraten, aber an sich machte er den Anschein, dass er die Action eher genoss. Wahrlich ein seltsamer Genosse, den ich da kennengelernt hatte. Später fuhren wir mit seinem Wagen bei meinem Vermieter vorbei und mussten feststellen, dass dieser nicht zu Hause war. So kam es dann, dass der Earl mich kurzerhand bei sich zu Hause absetzte und mit den Worten „Tanken Sie unbedingt etwas Schlaf, Sie sehen fürchterlich aus“ in dieses schmucke Gästezimmer führte, wo ich jetzt lag und mir Gedanken machte. Er selbst hatte sich direkt wieder auf den Weg gemacht, etwas zu erledigen. Ich war definitiv überrascht, dass er mir die Aufsicht über seine Wohnung überließ, obwohl ich ihn doch erst an diesem Tag kennengelernt hatte, aber ich fragte ihn diesbezüglich nicht nach dem Grund seines Vertrauens und seiner Großzügigkeit einem Fremden gegenüber. Die Antwort hätte warscheinlich wieder in einer ähnlichen Richtung wie 'Ich habe gerade sonst nichts zutun' gelegen. Nun, wirklich müde fühlte sich nur mein Körper... mein Geist war rastlos und wollte Antworten auf die offenen Fragen. Nach einer Weile stand ich gar auf und begann, mich umzuschauen. Earl Gray war Besitzer eines ganzen Hauses, zweistöckig. Ein sehr untypisches Apartement für Seoul, auch wenn es an sich eng an eng zwischen zwei anderen Häusern stand und das oberste Gebot der Platznutzung damit quasi erfüllt war. Aber irgendwie wirkte es anders, genauso wie das Auto und der Earl selbst. Er wirkte ein bisschen deutsch für mich und dennoch ganz anders als alle Leute, die ich zuvor getroffen hatte. Wie aus einem Film oder aus einer völlig anderen Kultur gerissen. Ich schaute aus dem Fenster und mein Gesicht empfing einen leicht feuchten Windstoß. Das tat sehr gut, denn der Tag war ziemlich schwül; bis auf dem Weg von meinem Vermieter zu diesem stolzen Anwesen hin plötzlich ein leichter Schauer einsetzte. Ich schaute mich um. Die äußeren Wände des Hauses waren fast vollständig von einer Efeu-ähnlichen Rankpflanze bedeckt, ebenfalls nichts Alltägliches in dieser gut bewohnten Stadt. Eine Einfahrt führte zu einem kleinen Vorhof und drei Garagen. Ich fragte mich, was für Autos wohl in den anderen beiden Garagen parkten – und wo er den Rest verstaute, wenn er denn ein Sammler war. Ich öffnete mutig die Tür zum Flur, durch die ich in das Gästezimmer gekommen war, welches sich im zweiten Stock befand (welcher, wie ich anmerken möchte, in Korea der 3.Stock ist). Zu meiner Rechten war direkt die Treppe nach unten, aber ich schaute mich hingegen im Flur um und entdeckte einige sehr hübsche Gemälde mir bekannter Maler. Einen Mitsuoki und Le Presque Cercle von Hundertwasser vermochte ich sofort zu identifizieren. Zudem stand in der hinteren Ecke vor einer Tür aus hübschem Ahornholz (meiner Schätzung nach) ein Kleiderständer, an dem unter Anderem mein beigefarbener Mantel von Cinque hing, den ich ehrlich gesagt schon fast wieder vergessen hatte. Ich schritt langsam über den dunkelgrauen Flurteppich und fühlte aus purer Neugierde einmal in die samtigen Taschen des Mantels, aber dort befand sich nichts außer einem benutzten Taschentuch, welches auch vorher schon dort war – mir unbekannt, ob ich es selbst benutzt hatte. Als Nächstes öffnete ich die dunkle Tür neben dem Jackenständer und ging vorsichtigen Schrittes in ein sehr geräumiges Zimmer mit einer Bar zur Linken, einem großen Holztisch in der Mitte und hochwertig erscheinenden Sofas im Bereich dahinter. Ziemlich edel.... Es war zwar erst zwischen fünf und sechs Uhr nachmittags, aber aufgrund des Wetterwechsels war der so sonnig beginnende Tag schon jetzt so finster geworden, dass ich mich nach einem Lichtschalter umschaute, um den Raum etwas zu erhellen. Tatsächlich fand ich keinen und so verließ ich den Raum etwas enttäuscht wieder. Ein kleiner Schub meiner Neugierde ließ mich aber dennoch auch die Tür zum Nachbarraum öffnen, in dem sich der Earl allem Anschein nach eine Privatbibliothek eingerichtet hatte. Das Interessanteste an diesem Raum war, dass er zwar nicht weit nach hinten reichte, aber dafür bis in den Stock darunter. Man konnte dazu eine Wendeltreppe aus einem ebenso dunklen, aber im Vergleich zu den Raumtüren etwas anderstönigem Holz benutzen, während an beiden Seiten des Raumes einfach sich in ihrer Höhe über beide Stockwerke erstreckende Regale platziert waren, die eine beeindruckende Menge an Büchern beherbergten. Dass die Regale durch den Boden weitergingen, konnte ich dadurch erkennen, dass der Boden aus Glas war. Eine sehr interessante Konstruktion, die den Hobbyarchitekten in meinem Kopf sofort begeisterte. Ich nahm mir aus dem Regal zu meiner Linken ein paar Bücher heraus und musterte ihre Titel. Die Autoren der beäugten Werke kamen den Namen nach aus aller Welt und auch thematisch konnte ich soweit keine Ordnung oder Vorliebe des Earls erkennen. Einige waren eher wissenschaftliche, andere erschienen mir eher brauchbar als gemütliche Abendliteratur. Das einzige Werk, welches ich kannte, war The Poet von Yi Munyeol. Einer meiner erklärten Lieblingsautoren, denen ich seit Jahren den Literatur-Nobelpreis wünschte, wenngleich dieser in Korea ein wenig problematisch anzusehen war (→ Anm.). Ein großes Fenster am Ende des Raumes sorgte für ausreichend Licht in diesem Raum, während im Stockwerk darunter an Stelle eines weiteren Fensters ein großes Gemälde hing, welches von oben aussah wie ein traditionelles koreanisches, wie sie zu früherer Zeit auf Seide oder Maulbeerenpapier gemalt wurden. Um es zu identifizieren, stieg ich die Wendeltreppe hinten rechts hinab. Es war angeblich ein Original von Yu Sok, wie es auf einem Schild neben dem Gemälde stand. Meine Begeisterung über die Person Earl Gray wuchs noch einmal um Einiges an, da er Kunst definitiv zu schätzen wusste. Gleichzeitig fragte ich mich allerdings auch, was ihn zu seinem Reichtum verholfen hatte, denn das Anwesen und seine Schätze waren nichts, was sich ein Durchschnitts-Geschäftsmann oder gar jemand ganz Gewöhnliches leisten könnte. Vom unteren Abschnitt der Bibliothek führte ebenfalls eine Tür zum (so müsste es jedenfalls theoretisch sein) Flur des mittleren Stockwerkes, aber sie schien nicht zum Gebrauch, da vor ihr ein Holztisch stand, der den Durchgang versperrte. Auf ihm eine Menge Akten, die ich trotz Neugierde dem Gastgeber zuliebe nicht auch noch durchwühlen wollte, zumal das Licht hier unten eher spärlich war. Ich stieg die Wendeltreppe wieder nach oben und schaute, ob ich irgendwo Spuren hinterlassen hatte; dann verließ ich die Bibliothek und legte mich wieder in das Daunenbett des Gästezimmers. Wirkliche Ruhe oder annähernde Zufriedenheit wollten in meinem Kopf nach wie vor nicht aufkommen... immerhin erspähte ich nach einer Weile in einer Ecke des Raumes einen antik aussehenden Plattenspieler – eher noch ein Grammophon – und schaffte es tatsächlich erfolgreich, der aufliegenden Platte ihre Töne zu entlocken. Es dauerte einige Minuten, bis ich mich an den Klang des Geräts gewöhnte, aber die Musik half mir schließlich, zeitnah etwas Schlaf zu finden. Ah, here she comes Truckin' Well, Lucy Walkin' down main street lookin' down Looks like a Wow! Talk about it! Stop lyin' Stop lyin' Stop lyin' Lucy Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)