Bruderliebe von randydavies ================================================================================ Kapitel 32: ------------ ~°~32~°~     Darian liebte seinen Bruder. Es war keine oberflächliche Liebe, sondern eine, die schon immer in ihm schlummerte. Nur hatte er es niemals wahrhaben wollen, dass gerade in diesem Moment alles in ihm aufbrach. Er sah sich eifersüchtig um, konnte selbst nicht begreifen, was mit ihm passierte. Die vielen Gäste, besonders die männlichen, störten ihn ungemein. Einige von ihnen betrachtete er mit Argwohn, die sich in Jadens Nähe aufhielten. Er ertappte sich dabei, wie er sich vorstellte, wie jeder Mann hier auf dem Fest, ausgenommen vom Bräutigam, homosexuell war und sich nur für seinen Jaden zu interessieren schien. Die Wut in seinem Bauch wurde stärker, als sein Blick wieder auf Carsten, seinen Therapeuten, fiel. Seine Blicke durchbohrten regelrecht den Mann, der sich für seinen Geschmack zu auffällig an Jaden heranmachte. Zudem ärgerte er sich, dass er gerade von ihm auch noch therapiert wurde. Jaden wie auch Carsten hatten ihn immer noch nicht bemerkt, auch wenn er einmal das Gefühl hatte, sein Bruder hätte in seine Richtung gesehen. Schnell hatte er deswegen den Kopf weggedreht. Als er wieder zu der Gruppe sah, waren Jadens Augen wieder bei seinem Gesprächspartner gelandet. Fehlanzeige! Wollte er denn gesehen werden? Dann fiel Darian seine äußerliche Veränderung ein. Er hatte sich seitdem sehr verändert, trug die Haare lang und war stets bedacht, sich herzurichten. Anders als früher zupfte er sich sogar seine Augenbrauen … Diese verdammte Hochzeitsfeier! Innerlich aufgewühlt stellte er sein volles Bier auf einen freien Platz an der Theke. Sein Durst, obwohl es so heiß war, war ihm vergangen, was Miguel missbilligend zur Kenntnis nahm. „Was ist los? Seit wir hier sind, bist du so komisch und starrst laufend zu Carsten rüber.“ „Nichts! Bin ich nicht. Außerdem starre ich nicht. Zudem möchte ich gehen, dein Bier ist leer.“ Er zeigte auf die leere Bierflasche, die Miguel in seiner rechten Hand hielt. „Hey, warum denn, und darüber hinaus hätte ich gerne noch eins getrunken, okay! Und warum sollen wir nicht Carsten begrüßen? Du brauchst ja nicht mit ihm zu reden. Meinst du, Carsten hat Bock auf therapeutische Gespräche, er ist privat hier. Ein Hallo hätte doch gereicht. Ich dachte, du kannst ihn leiden.“ Miguel wollte erneut auf sich aufmerksam machen, in dem er die Richtung ansteuerte, da hielt ihn Darian zurück. „Na und! Ich will meinen Seelenklempner nicht unbedingt begrüßen, wenn ich ihn sowieso einmal die Woche sehe“, zischte er, aber nur so laut, dass nur sein Freund ihn hören konnte. Jaden und Carsten standen mit dem Rücken zu Darian, auf der anderen Seite der Theke, gewandt. „Ich will es einfach nicht, kapier es doch. Meinetwegen trink noch ein Bier, aber dann will ich hier verschwinden. Wir wollten doch eine Tour mit meinem Motorrad machen.“ Darian versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, wie es in ihm drinnen aussah. „Warum nicht?“ Miguel sah ihn fragend an, wurde aber vom Kellner unterbrochen. „Möchten Sie noch ein Bier?“, fragte der Bedienstete höflich. „Was? Ja gerne.“ Der Südländer nahm die Bierflasche, die der Kellner ihm hingestellt hatte, und trank einen Schluck und behielt sie in der Hand. Darian betrachtete den Kellner. Er sah gut aus, wie er fand. Er musste schmunzeln, denn er sah die Männer seitdem mit anderen Augen. Frauen hingegen waren nett, mehr aber auch nicht. „Also sag schon, warum wir nicht zu Carsten gehen sollen?“ „Darum“, erwiderte Darian knapp. Er hatte keine Lust, weiter darauf einzugehen. Manchmal hasste er Miguels Hartnäckigkeit bezüglich seines Privatlebens. Er wusste, es war nicht fair ihm gegenüber, denn im Gegensatz zu ihm wusste er fast alles über Miguel einschließlich seiner großen Familie. „Du hast mir immer noch nicht gesagt, ob Carsten bis jetzt helfen konnte? Schließlich bist du nicht mehr lange hier.“ Darian antwortete nicht und Miguel quittierte es mit einem Kopfschütteln. „Ich hol mir was zu essen. Kommst du mit?“ „Mmh, gute Idee.“ Sie hatten sich wieder zum Buffet gestellt, wo sich Miguel eines der Häppchen schnappte und herzhaft hineinbiss. Darian haderte indessen mit sich. Sollte er Miguel von seinem Bruder erzählen? Aber was wäre, wenn Jaden dann jedem hier erzählen würde, dass sie miteinander geschlafen hatten. Würde das sein Bruder überhaupt machen? Sich und ihn vor allen bloßstellen? Oder wussten es bereits einige? Niemandem hatte er davon erzählt, außer Susan und Stefanie. Sie waren bisher die Einzigen. Nun verstand auch Darian, warum sein Bruder sich ihr so anvertraut hatte. Als er Miguel betrachtete, wie er kauend ein Häppchen nach dem anderen verschlang, entschied er sich dagegen. Miguel würde es nicht verstehen, da war er sich sicher. Verstohlen betrachtete er seinen Bruder, als er einen ungehinderten Blick auf ihn hatte, da ein Schwung Menschen gesättigt von Häppchen und Buletten bestückten Tellern sich wieder zu ihren Gruppen gesellten. Dabei bemerkte er nicht, wie Miguel ihn heimlich beobachtete und rätselte, was mit seinem Freund heute nicht stimmte. Jaden! Noch immer bist du so unheimlich schlank und zart. Und noch immer trägst du diesen Gothic-Look. Der Rock steht dir so gut! Verdammt! Er schüttelte ungläubig über seine starken Gefühle, die wieder komplett ans Tageslicht kamen, den Kopf und erinnerte sich zurück.   Als Darian von Susan nach Hause gegangen war, wusste er, die Zeit der Lügen war vorbei. Schon am nächsten Morgen war er zu seinem Vater gegangen und hatte sich geoutet, auf Männer zu stehen und nicht auf Frauen. Natürlich verschwieg er die Tatsache, dass er in seinen Bruder verliebt war. Was auch besser war, denn sein Vater reagierte so, wie er vermutete hatte – mit Unverständnis und Ablehnung. Jaden hatte also Recht behalten bezüglich ihres Vaters. Die Freunde reagierten zum Teil genauso ungläubig. Zwar war Darian erleichtert, dass sie nun wussten, dass er schwul war, doch versank er auch in eine Melancholie, bei der er schwermütig wurde.   Sein Vater ließ ihn das jeden Tag spüren, wie enttäuscht er von seinem Sohn war. Die Zusammenarbeit mit ihm war unerträglich geworden, das Arbeitsklima kaum auszuhalten. Darum beschloss er, für eine Weile wegzugehen. Sein Leben war nun mehr auf den Kopf gestellt. Sein Entschluss, quer durch Deutschland zu reisen und zu sich selbst zu finden, war nicht nur ein Hirngespinst, nein, eines Tages hatte er auch den Mut dazu. Er brach sein Studium ab. Es war für ihn nicht mehr wichtig, hatten sich zum Teil auch die Studenten von ihm abgewendet, als es die Runde machte. Darian brauchte zudem körperliche Arbeit, um seinen Kopf freizubekommen, und mit seinem Schulabschluss und die paar Jahren Juraerfahrung würde er Arbeit finden, dessen war er sich sicher. Außerdem sagte er seinem Vermieter Bescheid, dass er für eine Weile weggehen würde, und er auf die Wohnung aufpassen sollte. Zur Untervermietung wollte er sie nicht hergeben. Bei der Vorstellung, es würden fremde Leute in der Zeit, in der er weg war, die Wohnung benutzen, war ihm nicht wohl dabei. Dem Vermieter war es egal, Hauptsache er zahlte die Miete. Und das tat Darian, wollte sich nichts nachsagen lassen, man könnte sich nicht auf ihn verlassen. Er ließ sich sein Erspartes auszahlen, das, was noch von der Scheidung übrig geblieben war, und bezahlte für ein Jahr im Voraus die Miete. Den Rest hob er ab, damit er flüssig war, wenn er bar etwas zu zahlen hätte. Darian freute sich jetzt auf sein Vagabundenleben. Und vielleicht würde er Jaden finden. Ein kleiner Hoffnungsschimmer blieb. Darian verabschiedete sich als Erstes von Steffie, die ihm immer noch nicht verziehen hatte, aber ihm dennoch alles Gute wünschte. Danach nahm er Abschied auch von Jadens Mutter, die ihn deswegen nicht verurteilt hatte. Weder seinen Weggang, noch dass er sich als Homosexueller outete. Wenn Jaden nur gewusst hätte, dass er bei seiner Mutter eher auf Verständnis gestoßen wäre … Als Letztes kam Susan, mit der er ausmachte, sporadisch in Kontakt zu bleiben, in der Hoffnung, sein Bruder würde sich doch irgendwann wieder bei ihr melden. „Denk dran, er will nicht gefunden werden.“ „Ich weiß.“ Er seufzte. Zum Schluss umarmte er Susan. Sie waren zwar keine dicken Freunde, aber dennoch verband sie etwas – Jaden. Als er schließlich so weit mit Packen fertig war, sah er sich nochmals in der Wohnung um, ging in Jadens ehemaliges Zimmer. Bis auf die Fotoschnipsel hatte er alles so gelassen. Er war nicht mehr oft drin gewesen. Als er noch mit Steffie verheiratet war, wollte sie daraus ein Kinderzimmer machen. Doch er hatte darauf bestanden, das Zimmer so zu lassen, wie es war. Innerlich verabschiedete er sich für eine Weile von seiner Wohnung – von seinem Leben hier. Der Abstand würde gut tun. Das wusste er. So verließ er mit einem übergroßen Rucksack bepackt sein Zuhause, ließ das alte Leben hinter sich. Er hatte nur das Nötigste mitgenommen. Auch sein Auto nahm er nicht mit. Er würde mit öffentlichen Verkehrsmitteln reisen. Bevor er sich jedoch in den Zug setzte, verabschiedete er sich doch noch von seinem Vater, auch wenn er sauer auf ihn war. Darian hatte es nicht fertiggebracht, sich so gar nicht zu verabschieden, auch wenn er wusste, dass sein Vater keinen Schritt auf ihn zukommen würde. Wie erwartet wurde er auch dementsprechend empfangen. „Ich bin enttäuscht, Junge. Hat es nicht gereicht, dass Jaden abgehauen ist?“ „Ich haue nicht ab, ich muss nur über einiges nachdenken.“ „Nachdenken? Brichst dein Studium ab, lässt mich hier alleine.“ Sein Vater äffte verächtlich. „Du hättest dich um Stefanie kümmern sollen, anstatt eure Ehe den Bach hinunter gehen zu lassen. Kinder in die Welt setzen. Meine Enkelkinder, das hätte euch zusammengeschweißt.“ „Die Ehe war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ich hätte Steffie niemals heiraten dürfen. Ich bin anders, akzeptiere das!“ In Darian stieg Wut auf. Sein Vater beachtete ihn kaum und machte sich an einem der zu reparierenden Autos zu schaffen, das auf einer der drei Hebebühnen hochgebockt war. „Ich gehe jetzt.“ Mehr brachte er nicht über die Lippen. Sein Vater sah ihn an, in ihm arbeitete es. Darian konnte es fühlen und erhoffte sich doch noch eine Versöhnung, bevor er abreiste, doch sein Vater gab ihm diese letzten Sätze mit auf den Weg: „Ich wünsch dir viel Spaß, und wenn du wieder kommst, hoffe ich, du bist zur Vernunft gekommen. Ich möchte nicht noch einen weiteren Sohn verlieren. Und komm mit einer Frau zurück!“ Hatte er Jaden einfach vergessen – abgeschrieben? Darian schmerzten die Worte, dieses Unverständnis. Er verstand Jaden immer besser. Wortlos ließ er traurig seinen Vater und die Werkstatt hinter sich. Dann aber sagte er sich, dass jeder sein Leben nun leben muss und vielleicht kehrte auch Jaden eines Tages wieder hierher zurück. Am Bahnhof angekommen nahm er den erstbesten Zug Richtung Norden.   „Hey, du starrst richtige Löcher in den Boden, wenn ich das gewusst hätte, wäre ich lieber doch alleine auf die Feier.“ Miguel wurde ungemütlich. „Ich hab gesagt, dass ich kein guter Unterhalter bin.“ „Nein, dass hast du so nicht gesagt, du hast gesagt, du hast keinen Bock auf das hier, aber von Totschweigen war nicht die Rede. So habe ich dich nicht kennengelernt“, beschwerte sich sein Freund und Darian dachte rasch an ihr Kennenlernen zurück. Er und Miguel hatten sich zum ersten Mal in einer Kneipe getroffen, die es zuhauf in Hamburg gab. Es war ein lustiges Aufeinandertreffen. Sie waren betrunken und Miguel erzählte seine Lebensgeschichte an nur einem Abend. Darian von sich nur so viel, wie er auch vertreten konnte. Als er am nächsten Tag verkatert auf Wohnungssuche war, war ihm Miguel per Zufall über den Weg gelaufen und half ihm, eine zu finden. Nebenher hatte er sich bei einem dieser Fischkutter einen Job besorgt. So konnte er sich eine kleine Wohnung leisten und sich einigermaßen über Wasser halten. Während dieser Zeit hatte er sich mit einigen Männern getroffen. Die Auswahl blieb breit gefächert, nur keiner, der Jaden ähneln durfte. Darauf achtete er stets. Zudem wollte er seine Freiheit ausprobieren. Richtig Erfahrung auf diesem Gebiet hatte er nicht direkt. Mit Steffie hatte er ein paar Mal Analsex praktiziert, jetzt wusste er auch, warum er den hatte. Es hatte ihm gefallen. Wenn er Sex hatte mit irgendwelchen Männern, dachte er an Jaden. Hinterher blieb aber diese Leere, diese Sehnsucht. Bis er mit Miguel schließlich eine lockere Beziehung einging, als der mehr von ihm wollte. Darian fand Miguel attraktiv und er mochte ihn. Der Sex mit ihm machte zudem auch Spaß und wie ein Mönch wollte er auch nicht leben, trotz seiner Gefühle für seinen Bruder. Und es war Miguel, der ihm dann diesen Therapeuten Carsten Engel vorstellte. Was Miguel nicht wusste, war, dass er den Nachnamen seiner verstorbenen Mutter wieder angenommen hatte. Die Enttäuschung über seinen Vater, da wollte er nicht mehr diesen Familiennamen tragen. Und so konnte dieser Carsten, bei dem er dann ein paar Mal in der Praxis war, ihn gar nicht kennen. Welche Ironie, dann habe ich mir Jaden doch nicht eingebildet, als ich ihn vor einigen Tagen in der Praxis habe stehen sehen? „Komm, lass uns ein wenig am Strand herumlaufen, danach gehen wir, versprochen“, riss ihn sein Freund aus den Gedanken. „Okay.“ Darian sah nochmals in Jadens Richtung, doch stand sein Bruder nicht mehr an seinem Platz. Suchend sah er sich um. „Suchst du jemand?“, fragte nun Miguel interessiert.     ©Randy D. Avies 2012 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)