Veränderung von hare ================================================================================ Kapitel 11: Drive ----------------- Ich fuhr bis Heiligenstadt, Jesaias Beschreibung, wie ich zu ihm kam, war zu vage gewesen, als dass ich zu ihm hätte finden können. Simon hatte versprchen, mich mit dem Auto abzuholen, verspätete sich aber. Da ich als Hannah vor kurzem meine erste Fahrstunde gehabt hatte, verstand ich es, und hoffte, nie in Wien fahren zu müssen. Ich vertrat mir die Beine, ging zu einer belebteren Straße, von der ich leichter abgeholt werden konnte. Die Autos rasten vorbei, die Leute hinter dem Steuer waren unkonzentriert, fluchten, beschimpften sich, telefonierten. Sie konzentrierten sich nicht. Als wüssten sie nicht, wie leicht eine solche Unaufmerksamkeit jemandem das Leben kosten konnte. Eine Statistik aus 2013 besagte, dass man in Döbling durchschnittlich acht Jahre länger lebte als in Brigittenau. Als ich mit sechzehn in Jakobs Wohnung gestorben war, das erste Mal, hatte ich die Statistik noch stärker verschlechtert. Ich sah auf die Straße, mitten im neunzehnten Bezirk, der so grün war, dass ich das Gefühl hatte, freier zu atmen, obwohl der Asphalt genau wie im zwanzigsten glühte, und ich mir sicher war, dass meine Schuhe zu dünn waren. Ein lautes Hupen drang zu mir durch. Vielleicht sollte ich die Statistik verbessern. Es wären nur ein paar, unvorsichtige Schritte. Ein Versehen. Drei vielleicht. Höchstens vier. Es waren Gedanken. Aber Gedanken, die zu Taten wurden, griffen tiefer. Diebstahl. Betrug. Für diese Dinge konnte man ins Gefängnis kommen. Und ich tat es, genau hier, genau jetzt. Wenn ich ging, kam Hannah vielleicht wieder zurück. Simon, Jesaia, und vor allem Marie würden sich wundern, aber sie könnte das sicher wieder richten. Das, und ihren Notendurchschnitt. Das Zeugnis, das ich in ein paar Tagen in Empfang nehmen würde, sah nicht allzu gut aus. Das Hupen eines Autos schreckte mich auf. Simon hielt auf der Busspur, und ich kletterte schnell in sein Auto. Wir fuhren los. Jesaias Blick ruhte auf mir, als er mir den Joint reichte. „Hast du das schon mal gemacht?“, fragte er, ruhig, ohne mich unter Druck zu setzen. „Ja. Aber in einem anderen Leben.“, erwiderte ich, nahm an, und sog den Rauch tiefer in meine Lungen als nötig. Hannahs Körper wehrte sich, aber ich schaffte es, nicht zu husten. Wir saßen zu dritt auf dem Fußboden der Lukaschen Garage. Als Simon sich die Hügel hochgefädelt hatte und irgendwann neben einer Villa stehen geblieben war, hatte ich ihn fragend angesehen. „Jesaia meinte, er wohnt in einer Wohnung.“ „Ja... das ist kompliziert. Er wohnte im obersten Stockwerk, seine Familie wurde ihm zu laut. Dort hatte er ein Zimmer, eine Küche und ein Bad. Jetzt hat er noch einen Bruder bekommen... und wohnt in der Garage.“ Ich hob fragend eine Augenbraue, aber folgte Simon etwas verunsichert in den großen Garten, der sanft zu der Villa hinauf führte. Wir bogen aber scharf links ab und standen vor der Garagentür, auf die mit Gaffa ein „Jesaia“ geklebt war. Simon überging meinen fragenden Blick und klopfte, die Glocke aus massivem Kupfer lag noch am Boden, sie hatte wohl keine Halterung. Ein verschlafener Jesaia öffnete, ohne T-Shirt, die wirren Locken noch mehr vom Kopf abstehend als sonst. Er bat uns gähnend herein. Der Boden der ehemaligen Garage war mit dicken Teppichen ausgelegt, hier und da blitzte noch der kahle Beton hervor. Die Wände hatte Jesaia mit Postern überklebt, The Cure, Kurt Cobain und The White Stripes sahen uns an, überall lagen Bücher, auf der breiten Ledercouch lag eine Gitarre, in einer Ecke stand ein Bett, in einer anderen eine Hängematte. Wir ließen uns auf Polstern am Boden nieder, Jesaia bot uns Wasser an, es kam aus einem leicht rostigen Wasserhahn über einem Keramikwaschbecken und war eiskalt. Getränke hatte er noch nicht hier. Aber das war egal. Ich zog an dem Joint, trank dazu das eiskalte Wasser, um das Kratzen im Hals besser zu ertragen. Langsam legte sich ein Schleier auf die Welt. Nach und nach verschwanden die Sinneseindrücke. Die Worte, die Jesaia und Simon von sich gaben, verstand ich, aber vergaß sie sofort. Ich legte mich auf den Rücken, verschmolz mit dem dicken, weichen Teppich, wurde ruhig, so ruhig, wie ich es in dem Körper noch nie gewesen war. Alles war gut. Simon griff nach Jesaias Gitarre, und begann, langsame, ruhige Lieder von Bon Iver zu spielen, Flume, The Wolves, For Emma, und wie sie sonst noch hießen. Ich verlor mich in den Strudel aus Farben und Musik. Ich wachte auf Simons Bauch auf, Jesaias Arm um mich geschlungen, noch immer auf dem Teppich. Die Sonne schien durch das provosorische, mit schwarzer Folie verhängte Fenster, das jetzt nur ein Loch in der westlichen Wand war. Der Kies vor der Garage knirschte, es klopfte. Ich erwiderte nichts, meine Freunde schliefen noch. Eine schmale Gestalt schob sich dennoch herein. Ein junges Mädchen, mit langem, schwarzen Haar und dunkler Haut trat ein, so vorsichtig, als wäre der Boden aus feinstem Porzellan. Ich stellte mich schlafend. Sie sprach Spanisch mit Jesaia, sagte, er solle aufwachen. Er stöhnte nur, tastete auf Simons Gesicht, bis er herausgefunden hatte, was es war. Er setzte sich auf, erwiderte verschlafen auf Deutsch, dass er noch schlafen wollte. Sie meinte, es gäbe Frühstück, und ich spürte ihren Blick auf Simon und mir. „Bin gleich wieder da.“ sagte Jesaia, mehr zu Simon und mir als zu seiner Schwester, und ging. Simon legte den Arm um mich, und wir schliefen wieder ein. Einige Zeit später, meinem Gefühl und dem Stand der Sonne nach etwa eine Stunde, schüttelte mich Simon. „Hannah. Wir sollten gehen.“ Ich sah ihn fragend an, aber er wirkte seltsam nervös. Ich putzte rasch die Zähne mit dem eisigen Wasser aus dem rostigen Hahn, flocht das dunkle Haar, zog ein anderes T-Shirt an, und sehnte mich nach einer Dusche, aber Simons Nervosität machte mich unruhig, und so beeilte ich mich. Fünf Minuten später schlichen wir über den Kies, und ich sank wie gewohnt auf den Beifahrersitz von Simons Auto, während sich Hannah daran stieß, dass seine Sitze aus Leder waren. Simon fuhr ohne ein weiteres Wort los, immer weiter, immer weiter. Ich stellte keine Fragen, nicht, ob er nach dem gestrigen Haschkonsum fahren sollte, nicht, warum wir plötzlich hatten gehen müssen. Wir fuhren. Nicht in die Richtung seiner Wohnung, nicht in die meines Hauses. Er nahm eine Abzweigung, irgendwann sah ich, dass er sich an die Richtung der Anschlussstelle zur Autobahn hielt. Als wir auffuhren, in Richtung Westen, richtete ich erneut die Frage an ihn, wo wir hin fahren würden. Er beantwortete sie das erste Mal. „Wirst du gleich sehen, Julia.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)