Veränderung von hare ================================================================================ Kapitel 5: Simon ---------------- Jakob trat ein, und murmelte etwas vonwegen, dass ich nun wirklich nicht hätte abwaschen müssen. Weitere Ausführungen wurden unterbrochen, sein Handy läutete. Radioheads Bulletproof hatte die Killers abgelöst. Klingeltöne. Details. Erinnerungen. Nun nutzlos. Wenn ich mehr Zeit mit Jakob verbringen wollte, egal, wie ich das anstellen würde, musste ich ihn ohnehin noch einmal kennen lernen. Die Frage, ob das schlau wäre, stellte ich mir nicht. An seiner Mimik konnte ich ablesen, dass es eines seiner Familienmitglieder war, das auf ihn einsprach. Er blieb wortkarg, wie eigentlich immer wenn er mit ihnen sprach. Ich bekam noch die Verabschiedung mit. „Gut. Ich komme. Eine Freundin Julias begleitet mich.“ Er legte auf und nickte mir zu. „Mein Bruder ist da, meine Eltern sind... verhindert. Aber er fährt uns.“ Flüchtige Erinnerungen an Jakobs Bruder mahnten mich daran, nicht allzu sehr über die Tatsache erfreut zu sein, Jakobs Eltern zu entgehen. Seine Mutter war unglaublich kalt, sie hatte mich nie gemocht. Meine Kleidung war zu nachlässig, meine Noten zu schlecht, ich war zu oft bei ihrem Sohn, lenkte ihn ab. Ich war für sie an dem Weg ihres Sohnes schuld, der, anstatt erst die Matura, dann ein Studium an der Wirtschaftsuniversität abzuschließen und ein Praktikum in ihrem Unternehmen zu absolvieren, um sich dann vom mittleren in das höhere Managment hochzuarbeiten, lieber eine Lehre zum Maler machte. Sein Vater teilte die Kritik seiner Frau, mit der er eine von Hass und Kälte durchzogene Beziehung führte. Er leitete den asiatischen Teil des Unternehmens seiner Frau und war selten im Land. Mit Jakob hatte er sich noch nie anfreunden können, außerdem gab es zu viele Gerüchte, dass dieser aus einer Affäre entstanden war. Ob es stimmte, wusste ich nicht. Aber zu ihrem Glück hatte Jakob noch einen kleinen Bruder, Simon, der etwas älter als ich war. Er entsprach mehr dem Bild der Eltern, war klug, rauchte selten, nahm keine Drogen, trank nur an Wochenenden, hatte erst eine Freundin gehabt, so reich und arrogant wie er selbst. Offenbar hatte er jetzt auch einen Führerschein. Ich bezweifelte, dass Jakobs Eltern einen Chauffeur senden würden, um ihn zu meinem Begräbnis zu fahren. Jakob signalisierte mir, dass ich meine Schuhe holen sollte. Unangemessen hellblau. Aber abgesehen davon, dass er sie nicht anbot, waren Hannahs Füße zwei Nummern zu groß für Julias hohe, schwarze Schuhe. Eine Tatsache, die ich nicht verneinen konnte. Größere Füße hatten den Vorteil, dass man leichter Halt fand und sich das Gewicht auf ihnen besser verteilte, aber den Nachteil, dass sie nicht so grazil wirkten. Abgesehen davon waren sie schlicht irritierend. Also schlüpfte ich in meine hellen Sneaker und verließ die Wohnung, die Jakob hinter mir sorgfältig zusperrte. Wir fuhren schweigend hinunter. Simon und ich hatten bisher wenige Berührungspunkte gehabt. Zwar hatten wir uns einige Male gesehen, er war ab und zu bei den kleinen Feiern aufgetaucht, oft in der Begleitung von Mädchen, von denen seine Eltern nichts wussten, oder auch von seinen Freunden, alle ähnlich elitär wie er, und ähnlich unsympathisch. Es überraschte mich also nicht, dass sein poliertes Auto aussah, als wäre es aus einer anderen, besseren Welt zu den tristen Gemeindebauten geflogen. Eine vage Erinnerung, dass er im Mai geboren war. Ein Auto zum Geburtstag, das vermutlich mehr kostete, als Hannahs Eltern in einem Jahr verdienten. Und sie verdienten, im Vergleich zu Julias, verdammt, meinen, gut. Jakob hielt mir nicht die Tür auf, aber das hätte wohl einen falschen Eindruck hinterlassen. Simon nickte mir zu, und wandte sich an seinen Bruder. „Sie wirkt nicht wie eine Freundin Julias.“ Nun, das stimmte. Wie schon erwähnt, unterschied sich Hannahs Leben von meinem alten... drastisch. Und auch ihr Aussehen. Jakob zuckte nur mit den Schultern und erkundigte sich nach dem Befinden seines Bruders. Sie unterhielten sich, höflich, wie es Brüder wohl taten, wenn sie sich lange nicht sahen. Es war nicht so, dass sie sich hassten. Sie waren sich nur schon immer aus dem Weg gegangen. Das Auto glitt lautlos durch den Wiener Verkehr, Simon nahm Wege, die nicht verstopft waren. Erst als wir am Friedhof angekommen waren, bemerkte ich, dass ihm die ganze Zeit die beste Route angezeigt worden war. Ein weiteres Detail. Unwichtig. Ich wischte es zur Seite. „Kommst du mit?“ fragte Jakob seinen Bruder, und kurz erinnerte ich mich, dass es wohl eher unwarscheinlich war, dass er zusagte. Doch ich spürte Simons Blick auf mir, und hörte seine Zustimmung. Ob er etwas ahnte? --- Wir gingen lange über den Friedhof, bis wir bei einem offenen Grab ankamen. Zu spät. Mein Vater hob nicht einmal den Kopf, meine Mutter war nicht da. Irgendjemand reichte mir eine Trauerkarte, mit meinem Geburtsdatum, dem meines Todes, einem lächelnden Bild von mir, etwa drei Jahre alt. Ich hatte mich seitdem sehr verändert. Okay, von Veränderungen sollte ich in Hannahs Körper nun wirklich nicht sprechen. Die Leute,] die ich erblickte, waren mir alle mehr oder weniger bekannt. Jakob ging auf Nick und die üblichen Verdächtigen zu, die in einer Ecke standen, betroffen, aber nicht weinend. Außer Jakob vielleicht. Er lehnte an Nick, der ihm ein Taschentuch reichte. Er weinte dann doch nicht. Seine Züge wirkten starr. Ich fühlte mich fehl am Platz. Meine ehemaligen Mitschülerinnen standen zusammen, dann einige meiner männlichen Bekanntschaften, meine alten Freunde, meine Lerngruppe, meine Cousinen und Cousins, eine meiner Tanten, zwei Onkel. Hannah gehörte nirgends dazu. Aus Hannahs Gedächnis entnahm ich ein katholisches Gebet. Keine von uns war gläubig, aber ich sprach es leise, und drehte mich um, entfernte mich. Eindringling. Ich nahm auf einer nahen Bank Platz, sehnte mich nach einer Zigarette, auch wenn Hannahs Körper widerstrebte. Die Augen wurden geschlossen, es war alles zu viel. Zu viel. Mir wurde übel. Der vertraute Geruch von verbranntem Tabak stieg mir in die Nase. Simon. Er reichte mir eine Zigarette, ohne zu fragen, ob ich sie wollte. Er war so. Schon immer gewesen. Arrogant und glatt, egal in welchem Körper ich ihm begegnet war. Hannahs Lunge war den Rauch nicht gewöhnt, aber ich schaffte es, nicht zu husten. Simon musterte mich. Er wirkte nicht überzeugt von mir, versuchte, mich einzuschätzen. Wir saßen lange neben einander, schwiegen. Es war seltsam. Aber ich wollte nicht gehen. Bis Jakob kam und wir ebenso wortlos zum Auto zurück gingen. Simon brachte Jakob nach Hause, und ich setzte mich nach vorne, um Simon den Weg zu Hannah erklären. Er hatte sich zum Glück in mein Gedächnis gebrannt. Doch er sah mir in die Augen, anstatt los zu fahren, grün traf braun. „Willst du wirklich schon nach Hause, Hannah?“ Ich kannte Simons Ruf. Ich wusste auch, dass Hannah vermutlich nach Hause gegangen wäre. Aber genau das war es ja: Ich war nicht Hannah. Ich würde sie nie sein. Und ihr Leben zu meinem machen müssen. Ein Wort. Vier Buchstaben. „Nein.“ Eine kurze Nachricht an Marie, dass ich auf meinen Bruder aufpassen musste, und morgen lernen würde. Egal, ob es temporär oder permanent war: gerade war dieses Leben meines. Simon stieg auf die Kupplung, fuhr los, und wir verschwanden. Der falsche Bruder. Das falsche Leben. Es war ohnehin unmöglich, alles richtig zu machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)