Tessaiga no sentaku von Mimiteh ("Tessaigas Wahl") ================================================================================ Kapitel 1: Wiederkehr mit Schrecken ----------------------------------- Was wäre wenn… Kagomes Gefühle nach drei Jahren Trennung den Brunnen wieder geöffnet hätte, aber doch alles ganz anders wäre? Was wäre wenn… InuYasha sie nicht abholen käme? Absurd, oder? Schließlich hätte ihre Witterung ihn ans andere Ende der Welt gelockt. Aber was wäre wenn… er nicht in der Lage gewesen wäre, sie zu wittern? Nicht in der Lage, ihr entgegenzugehen? Was wäre wenn… das alles viel, viel komplizierter wäre? Dem sollte man doch mal auf den Grund gehen… Schon als Kagome das so vertraute, unendliche Blau um sie herum ausmachte, begann ihr Herz laut zu klopfen. Für einen Augenblick schien sie in der Unendlichkeit zu schweben, doch dann berührten ihre Füße den Boden und Kagome federte in den Knien ein, als sie auf dem Grund des Brunnens aufkam. Sie richtete sich auf und griff nach einer der grünen Ranken, die in den Brunnenschacht hinunterwucherten. Geschickt hangelte sie sich nach oben und stellte dabei mit einem Schmunzeln fest, dass sie diese Kletterei nicht verlernt hatte. Oben angekommen zog sie sich auf den Brunnenrand und blieb dort sitzen. Den Kopf in den Nacken gelegt, schloss sie die Augen und atmete tief durch. Der Wind zauste ihre dunklen Haare und das helle Sonnenlicht zauberte einen bläulichen Schimmer hinein. Über ihr wölbte sich der Himmel azurblau und rein und das leise Blätterrauschen des nahen Waldes drang an ihre Ohren. Ich bin wieder da… Kagome wusste nicht, wie lange sie dort so gesessen hatte, aber als sie die Augen wieder aufschlug, war sie noch immer allein. Unwillkürlich runzelte sie ein wenig die Stirn. Wenn sie ehrlich war, hätte sie sich das anders vorgestellt. „InuYasha…“, der Name ihres geliebten Hanyô floss über ihre Lippen, sacht, fast tonlos. Wo war er nur? Hatte er sie nicht gewittert? Aber Kaedes Dorf war doch gar nicht so weit entfernt. War er nicht mehr dort? Oder rechnete er nach so langer Zeit etwa nicht mehr mit ihrer Rückkehr? Im selben Moment wehte eine leichte Brise ihr etwas ins Gesicht. Automatisch wischte sie es beiseite – und wunderte sich gleich darauf, warum ihre Fingerkuppe sich leicht dunkel gefärbt hatte. Asche? Sie runzelte etwas die Stirn, als sich unwillkürlich eine kalte Furcht um ihren Brustkorb legte wie ein eiserner Ring. Rasch sprang sie auf und rannte los. Was war in Kaedes Dorf geschehen? Als sie den Waldgürtel durchquert hatte, stützte sie die Arme in die Seiten und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Ihre Ausdauer hatte nachgelassen, eindeutig. Aber als sie aufsah, blieb ihr die Luft aus anderem Grunde weg. Wo sich sonst die Felder, Wege und Hütten des Dorfes erstreckten, war gähnende Leere. Kagomes Hände verkrampften sich. Was ist hier geschehen? Hatte der Brunnen sie in eine falsche Zeit teleportiert? Nein, der Brunnenschacht war schließlich dagewesen. Wie käme er dahin, wenn das Dorf noch gar nicht existierte? Aber dennoch konnte sie kein einziges Häuschen, keinen Halm ausfindig machen, der auf das Dorf hingewiesen hätte. Sie presste die Lippen aufeinander, als sie Verzweiflung in sich aufsteigen spürte. Eine Hand zur Faust geballt, streckte sie sich ruckartig. Es gab nur eine Möglichkeit, herauszufinden, ob sie am richtigen Ort und in der richtigen Zeit gelandet war. Ohne lange nachzudenken rannte sie erneut los, hinein in den Wald, dorthin, wo das Dickicht immer undurchdringlicher wurde, bis es sie zwang langsamer zu werden und sich durch Gebüsch und Schlingpflanzen zu arbeiten. Da war er. Goshinboku. Und noch ehe sie ganz heran war, erfassten Kagomes Augen zielsicher die Kuhle in dem uralten Holz, die davon zeugte, dass an dieser Stelle einst InuYashas gebannter Körper gehangen hatte. Ich bin richtig… Ihre Lungen verkrampften sich zu einem Schluchzen, sie spürte die Tränen in den Augen brennen. Im Zeitlupentempo kam sie näher, doch ihr Schuh verfing sich in einer Dornenranke und sie stolperte, konnte sich gerade noch an Goshinbokus Stamm abfangen. Ihre Hände waren genau in der so bedeutsamen Kerbe zu liegen gekommen. Mutlos ließ sie sich nach vorne sinken, drückte sich an die raue Borke, schlang die Arme um den Stamm und schluckte schwer. Die Tränen rannen haltlos über ihre Wangen. „Was… was ist nur geschehen…“, schluchzte sie leise. „InuYasha…“ Da hörte sie plötzlich ein Rascheln im Gebüsch, wirbelte herum – und hielt inne, als sie merkte, dass sie die Hand erhoben hatte um unwillkürlich nach einem nicht vorhandenen Bogen zu greifen. Ihre Augen weiteten sich, als sie erkannte, wer da auf die kleine Lichtung am Fuße des alten Baumes gesprungen war. Trotz der Tränenschleier, die ihre Sicht verschwimmen ließen, hätte sie keines zweiten Blickes bedurft. Sie öffnete die Lippen, wollte seinen Namen aussprechen, aber ihre Stimme versagte. Stumm sah sie der so bekannten, rotgekleideten Gestalt entgegen, die sich nun langsam näherte, reglos spürte sie, wie sich seine Hand an ihre Wange legte. „Kagome…“, hauchte er leise und Kagome konnte nicht anders, als den Kopf in seine Hand zu schmiegen und einfach dazustehen. Ihr Herz hüpfte vor lauter Erleichterung. Er lebte. Er war da. Aber… „Was ist mit dem Dorf geschehen?“, brachte sie nach einem Moment hervor. InuYasha senkte den Blick, seine Hundeohren hingen niedergeschlagen zur Seite. „Es… gab einen schrecklichen Angriff. Ich war auf der Jagd, ich konnte nichts tun. Als ich wiederkam, war von der Siedlung schon nichts mehr übrig…“ Kagome schloss mutlos die Augen. Das war nun also ihre Rückkehr? Das Dorf nicht mehr da, die Freunde… „Und die anderen?“, wollte sie in einem Anflug von Hoffnung wissen. „Sango und Miroku sind seit Tagen auf einem Auftrag. Aber die anderen…“, er ließ den Satz unbeendet, ehe er sie mit einem Ruck an sich zog. Kagome schmiegte sich haltsuchend an ihn, genoss die Nähe und Wärme während sie versuchte, die erneut aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Kaede. Kohaku. All die Dorfbewohner. Sie alle sollten nicht mehr am Leben sein? Ihr Herz wollte das noch nicht so recht wahrhaben, schmerzhaft krampfte es sich in ihrer Brust zusammen. Sie schluckte das Entsetzen herunter und fasste nach einem Entschluss. „Sango und Miroku… wir müssen sie suchen. Sie müssen doch Bescheid wissen, was hier…“, sie konnte nicht aussprechen, ihre Stimme versagte. InuYasha schien sie dennoch zu verstehen. Seine Arme schlossen sich enger um sie. „Was immer du willst, Kagome. Es … tut mir Leid, dass ich dir so einen Empfang bereiten musste…“, murmelte er leise. Für einen kleinen Moment wunderte Kagome sich über seine Wortwahl. Was sollte er denn für all das können? Aber sie verwarf es wieder. Sicher war er selbst noch durcheinander. Langsam hob sie den Kopf, suchte seinen Blick, fand die goldenen Iriden unter halb geschlossenen Wimpern. Rasch streckte sie sich und gab ihm einen leichten Kuss auf die Wange. „Schon gut, InuYasha. Lass uns gehen…“, murmelte sie noch etwas erstickt, während sie sich von ihm löste und bereits in Bewegung setzte. Sie wusste genau, dass sie die Tränen nicht länger würde zurückhalten können, wenn sie jetzt nicht aufbrachen. Sie musste etwas tun. Und wenn dieses Tun nur daraus bestand, wenigstens Sango und Miroku zu suchen. Sie spürte, dass InuYasha neben sie kam und nach ihrer Hand griff. Ein kurzer Seitenblick enthüllte ihr sein ernstes Gesicht. Anscheinend hatten die Jahre der Trennung ihn reifen lassen. Oder sind noch andere schreckliche Dinge geschehen? Sie wollte lieber gar nicht darüber nachdenken… Kapitel 2: Sesshômaru --------------------- InuYasha verengte die Augen, als er stehen blieb. Nur zu gut erkannte Kagome, dass er witterte. „Was?“, fragte sie mit ein wenig bebender Stimme. InuYashas Antwort war ein unterschwelliges Knurren. „Irgendein dämlicher Oni. Bärenverwandt würde ich sagen.“ Kagome tat unwillkürlich einen Schritt zurück. „Ich habe keine Waffe, InuYasha“, bemerkte sie leise. Der Hanyô wandte sich zu ihr um, eine seiner Hände legt sich auf ihre Schulter. „Habe ich dich jemals nicht beschützt?“, wollte er wissen. Kagome schüttelte rasch den Kopf. Man konnte ihm ja einiges vorwerfen, aber nicht, dass er sie nicht aus jeder Gefahr geholt hätte, in die sie im Laufe ihrer Abenteuer geraten war. Im Zweifelsfalle war er immer da gewesen, auch völlig egal, wie schwer verletzt er selber war. Da brach der Oni bereits aus dem Wald. Seine gelb leuchtenden, pupillenlosen Augen richteten sich sofort auf InuYasha. Er stieß ein dröhnendes Lachen aus. „Ein halbdämonischer Trottel… na das sollte einfach werden, ihm sein Püppchen abzunehmen…“, grollte der großgeratene Bär. InuYasha knurrte. Ohne lange zu taxieren sprang er ab, seine rechte Klaue beschrieb einen großen Bogen: „Sankontessô!“ Der Bär riss noch das Maul auf, dann zerfiel er in vier handliche Stücke. InuYasha kam kopfschüttelnd wieder auf dem Boden auf und klopfte sich die Hände aneinander ab. „Immer diese Großkotze“, knurrte er vor sich hin, ehe er wortlos seinen Weg fortsetzte. Kagome rannte ein Stück, um ihn wieder einzuholen. „Hey, warte doch auf mich!“, rief sie. Tatsächlich verlangsamte der Hanyô seine Schritte, bis sie aufgeschlossen war. Kagome lachte leise. „Na so was, mich einfach stehen lassen. Weißt du, an wen du mich gerade erinnerst?“ Da keine Erwiderung kam, gab sie die Antwort selbst. „An Sesshômaru. Das ist doch sonst sein Metier, nicht auf andere zu warten.“ Zu ihrer grenzenlosen Überraschung reagierte InuYasha nicht auf die Stichelei. Kein bissiger Kommentar? Auch wenn sie Frieden geschlossen haben, er lässt doch sonst keinen Spruch aus… Kagome schüttelte leicht den Kopf. InuYasha hatte sich in den vergangenen drei Jahren offenbar sehr verändert. Ob ihr das gefallen sollte, wusste sie aber noch nicht so recht. ___ Am Abend schlugen sie das Lager an einem lichten Waldrand auf. Kagome bemühte sich, ein kleines Feuer zu entzünden und nach ein paar Versuchen gelang es ihr tatsächlich. Dann setzte sie sich neben InuYasha. „Sag mal… was meinst du, wie weit die beiden weg sind?“ „Sango und Miroku? Keine Ahnung. Was sie sagten hört sich aber nach ziemlich weit an. Wir werden noch ein paar Tage unterwegs sein.“ Einen Moment lang sagte keiner von beiden etwas, dann rückte Kagome ein wenig näher an den Hanyô heran und bettete den Kopf auf seine Schulter. „Ich bin froh, wieder hier zu sein. Meine Familie… ich werde sie sehr vermissen. Aber hier zu sein, bei dir, das… ist mir wichtiger. Die Jahre der Trennung haben mir das deutlich klar gemacht.“ InuYasha lächelte ein wenig. „Das freut mich sehr, Kagome. Ich… ich habe immer gehofft, dass du eines Tages zurückkehren würdest“, erwiderte er mit erstaunlich sanfter Stimme und hob eine Hand um sie behutsam durch ihre Haare gleiten zu lassen. In ihrem Nacken angekommen verharrte er und löste sich ein wenig von ihr um sich zu ihr umzudrehen. Dann neigte er leicht den Kopf. Kagome spürte einen leichten Schauer, als sein Atem ihre Wange berührte. Seit wann übernahm er denn bei so etwas die Initiative? Aber sie ließ es sich nur zu gerne gefallen, dass er sie zu sich zog und seine Lippen auf ihre legte. Langsam schloss sie die Augen, schmiegte sich enger an ihn. InuYasha nahm das als Erlaubnis, forscher zu werden. Langsam drückte er sie rücklings auf den Boden, legte sich neben sie, was ihn aber nicht daran hinderte, mit der Hand erst unter ihre Strickjacke, dann auch unter das Shirt zu fahren. Hat er das vor, was ich glaube? Es sind Jahre vergangen, wir sind wohl beide erwachsener geworden. Aber… nach allem was geschehen ist, geht mir das eindeutig zu schnell… Als er sich gerade erneut über sie beugte, schob sie ihn sanft aber bestimmt von sich. „Nicht, InuYasha. Noch nicht. Ich mache mir viel zu viele Gedanken um jetzt an so etwas zu denken…“, brachte sie leise hervor, ihre Wangen waren gerötet, aber sie blieb standhaft, bis InuYasha sich wegschieben ließ und ruckartig aufstand. „Schon verstanden. Verzeih, Kagome…“, murmelte er, ehe er sich entfernte und aus dem Stand auf den nächsten Baum setzte um sich auf einem dicken Ast niederzulassen. Kagome blickte ihm blinzelnd nach, während sie sich auf die Seite rollte. Ist er jetzt beleidigt? „Was tust du denn da oben?“, rief sie ihm hinterher. „Na was wohl? Wache halten“, gab er zurück und in seiner Stimme lag ein leichtes Knurren. Kagome runzelte etwas die Stirn. Ja, der war beleidigt. Aber warum? Machte er sich etwa keine Sorgen um Sango und Miroku? In diesem Moment musste sie hartnäckig gähnen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie müde sie war. Immerhin war sie zum ersten Mal seit Jahren wieder Stunden am Stück durch die Gegend gewandert. Sie beschloss, sich morgen weiter Gedanken über InuYasha zu machen. Egal wie er drauf war, sie hatte sich immer darauf verlassen können, dass er über sie wachte. Das hatte er schon von Anfang an getan. Also bettete sie den Kopf auf die Hände und schloss die Augen. Sekunden später war sie weggedämmert. ___ Am nächsten Morgen brachen sie früh auf. Ab und an witternd hielt InuYasha eine schnurgerade Spur Richtung Westen ein, so früh am Tag konnte Kagome das gut erkennen, weil sie mit der Sonne im Rücken liefen. Irgendwann gegen Mittag spürte Kagome, dass der Durst langsam unerträglich wurde. Sie hatte zuletzt gestern Abend, kurz bevor sie ihr Lager aufschlugen, etwas getrunken und langsam wurde ihr die Kehle rau. „Kannst du irgendwo Wasser riechen?“, wollte sie wissen, die ersten Worte seit einiger Zeit, die sie mit InuYasha wechselte. Er benahm sich immer seltsamer und seit sie ihn am Abend zurückgewiesen hatte, schien er seine Gekränktheit noch immer nicht ganz abgelegt zu haben. Auch jetzt antwortete er einsilbig. „Dort.“ Dabei nickte er hinter eine Hügelgruppe, die sich nicht weit entfernt erhob. Als Kagome die Richtung wechselte, machte er aber keine Anstalten, ihr zu folgen. „Geh nur“, forderte er sie auf, als sie sich fragend nach ihm umblickte. Kopfschüttelnd setzte Kagome ihren Weg fort. Was sollte das denn bitte? Was hatte er jetzt davon, auf sie zu warten, anstatt sie einfach zu begleiten? Aber bitte, wenn der Herr so wollte. Sie brauchte nicht lange, bis zu dem kleinen Bachlauf, den InuYasha gewittert hatte und nachdem sie sich kurz umgesehen hatte, kniete sie sich an der Böschung hin und begann mit der Hand Wasser zu schöpfen. Wie sie es aus dieser Epoche gewohnt war, schmeckte es klar und rein. Doch plötzlich ließ ein unbestimmtes Gefühl sie innehalten. Langsam hob sie den Blick – und erkannte etwas Weißes im Blattwerk eines nahen Baumes. „Sieh an, du bist also wieder da“, erklang eine neutrale Stimme und Kagome unterdrückte gerade noch ein Zusammenzucken. Etwas Wasser rann auf ihren Rock und hinterließ einen dunklen Fleck, aber das merkte sie nicht einmal. Sie kannte diese Stimme von früher. Und sie war mit etwas gemischten Erinnerungen verbunden. „Sesshômaru?!“ Jetzt hatte sie den silberhaarigen InuYôkai auch erkannt. Er stand aufrecht und reglos auf einem Ast des Baumes und sah emotionslos zu ihr herunter, gab natürlich keine Replik. Aber anscheinend hatte sie seinerzeit doch so viel Eindruck bei ihm hinterlassen, dass er sich an sie erinnerte. Kurz musterte sie ihn. Er trug die übliche Kleidung, aber etwas störte sie. An seiner linken Hüfte sah sie wie gewohnt zwei Schwerter in dem bunten Schleifentuch stecken. Tenseiga und Bakusaiga. Aber auf der rechten Seite hing ebenfalls etwas in dem Stoffband. Es war anscheinend eine dritte Waffe, allerdings komplett in einen weißen Stoff gehüllt, in dem Kagome die gleiche Seide vermutete, aus der auch sein Gewand bestand. Nur an einer kleinen Stelle war die Umhüllung verrutscht und sie konnte das Schwert sehen. Augenblicklich erkannte sie die abgewetzte Griffumwicklung. Ihre Augen weiteten sich. Tessaiga! Ihr war bisher gar nicht aufgefallen, dass InuYasha es nicht mehr trug. „Wo hast du es her?“, fragte sie hitzig. Die Hände hatte sie unwillkürlich zu Fäusten geballt. Sesshômaru tat erst gar nicht so, als habe er nicht verstanden, wovon sie redete. „Ich habe es ihm abgenommen“, erwiderte er stoisch gelassen und verzog dabei keine Miene. Kagome stieß die Luft aus. „Du hast doch Bakusaiga! Ich dachte, ihr habt euren Streit endlich beigelegt.“ Da setzte Sesshômaru elegant von seinem Ast herab und blieb nur ein paar Schritte von ihr entfernt, am anderen Bachufer stehen. „Das haben wir auch“, bemerkte er schlicht. Kagome runzelte die Stirn, kam aber zu keiner Erwiderung, denn Sesshômaru sprach noch weiter. Und diesmal glaubte sie zugleich in seinen Augen einen Funken Bedauern ausmachen zu können: „InuYasha ist tot.“ Kapitel 3: Tessaiga ------------------- Im ersten Augenblick zuckte Kagome zusammen, dann straffte sie die Schultern. „Schlechter Scherz, Sesshômaru. Vor fünf Minuten war er noch quicklebendig“, fauchte sie wütend. So dreist war selbst der InuYôkai früher nicht gewesen. Gut er hatte schon öfter einmal direkt zu InuYasha gesagt ‚Du bist tot‘, aber das war mitten im Kampf und mit anderer Betonung geschehen. So aber, wie er das jetzt gesagt hatte… wenn Kagome es nicht besser wüsste, dann hätte sie ihm geglaubt. Andererseits verursachte es ein unschönes Kribbeln in der Magengegend, dass Sesshômaru Tessaiga bei sich hatte. Wider besseren Wissens spürte Kagome Zweifel in sich aufkommen. Sesshômarus Worte bestätigten das nur: „Wer auch immer da hinter den Hügeln steht, InuYasha ist es nicht.“ „WAS!?“ Kagome schrie es fast und wäre das nicht völlig gegen seine sonstige Attitüde gewesen, Sesshômaru hätte sich wohl am Liebsten die Ohren zu gehalten. Einen Moment lang standen sie sich stumm gegenüber. Kagome mit fassungsloser Miene, Sesshômaru augenscheinlich gelassen. Aber das musste bei ihm nichts heißen. Schließlich atmete die junge Frau tief durch. Diese Konfrontation war ihr zu viel. Nach allem was geschehen war, nach der langen Trennung, der Zerstörung oder besser dem Verschwinden des Dorfes, der Sorge um ihre Freunde – und InuYashas seltsamem, forschen Verhalten. Dabei würde es das erklären. Wenn das gar nicht InuYasha selbst gewesen war. Ihre Schultern zitterten leicht. Aber das bedeutete, dass Sesshômaru Recht hatte. InuYasha war tot. Ihr InuYasha war tot, bevor sie ihn hatte wiedersehen können. Ein hartnäckiger Gedanke drängte sich ihr auf. Wäre es nicht einfacher, sich der Illusion hinzugeben, dem InuYasha zu vertrauen, den sie bei sich wissen konnte? Heftig schüttelte sie den Kopf. Nein! Wie kam sie denn auf so etwas? InuYasha war einzigartig. Entweder der echte, oder… ja, was oder? Oder niemand? Die Reise durch den Brunnen war eine letzte Ausnahme gewesen. Sie konnte nicht mehr zurück. Sie war völlig allein. Allein in einer Zeit, die sie zwar kannte, die sie liebgewonnen hatte, aber in der sie sich ohne InuYasha verlassen fühlte. Sie ballte die Finger zu Fäusten. „Ich… muss Gewissheit haben. Ich muss wissen, ob das da hinten wirklich nicht InuYasha ist“, murmelte sie mehr zu sich selbst, aber Sesshômaru hatte es dennoch gehört. Ehe sie die Bewegung sehen konnte, hatte er über den Bach gesetzt und stand neben ihr. „Ich zeige es dir. Das ist das Letzte, was ich für meinen Bruder tun kann. Dafür sorgen, dass sein Andenken nicht in den Dreck gezogen wird“, konstatierte er sachlich. Dennoch meinte Kagome ein leises Grollen in seiner Stimme zu vernehmen. Sie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Sesshômaru wollte ihr helfen? Und er bezeichnete InuYasha als seinen Bruder? Ohne Ironie? Das waren ja ganz neue Töne. Aber vielleicht hätte er das auch niemals getan, wäre InuYasha noch am Leben. Ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, war Sesshômaru bereits gegangen und unwillkürlich rannte Kagome ihm hinterher. Gerade bevor er die Hügel überquert hatte, holte sie ihn ein. „Warte, Sesshômaru. Lass mich… lass mich den ersten Schritt machen“, sagte sie halb resignierend, halb verzweifelt. Sie musste sich jetzt einfach selbst begreiflich machen, welcher Täuschung sie aufgesessen war. Der InuYôkai antwortete nicht, aber er verharrte und ließ sie vorgehen. Also ging Kagome weiter und gesellte sich wieder zu InuYasha, der noch an Ort und Stelle stand, ihr entgegen blickte. Jetzt wollte er sich schon wieder in Bewegung setzen, da hielt sie ihn am Ärmel seines Suikans zurück. „Sag mal, InuYasha… warum hast du Tessaiga eigentlich nicht mehr? Du… du weißt doch, wie gefährlich das ist!“ Der Hanyô blickte sie unergründlich an. „Ich brauche es nicht mehr. Ich bin stark genug, mich selbst zu kontrollieren.“ Kagome verharrte in der Bewegung. War das des Rätsels Lösung? War sie zu misstrauisch gewesen? Hatte er in den vergangenen drei Jahren gelernt, seinen Dämon zu kontrollieren? Hatte sein Verhalten sich deswegen verändert? Spielte Sesshômaru hier das falsche Spiel mit ihr? Sie schluckte heftig. Ihre Augen brannten schon wieder und daran merkte sie, wie gerne sie einfach daran glauben wollte, dass sie hier doch ihrem InuYasha gegenüber stand. Ihre Gedanken fuhren Karussel. Was war jetzt richtig und was war falsch? Was stimmte und was war Täuschung? Sie war beinahe froh, als in diesem Moment Sesshômaru hinterher kam und auf die Hügelkuppe stehen blieb. „Beweise es mir, Halbblut. Beweise mir, dass du dich zu kontrollieren weißt“, verlangte er kühl. InuYasha sah auf, seine Augen bohrten sich in die ebenso goldenen des InuYôkai. Dann schob er Kagome von sich. „Bittesehr…“, knurrte er. Kagome spürte die Aggressivität in InuYasha, sah seinen flammenden Blick. Unwillkürlich trat sie noch einen Schritt mehr zurück. In seinen Augen war kein Rot. Aber dennoch erinnerte seine Haltung sie nur zu sehr an die paar Male, die er durchgedreht war. Jede Faser angespannt, den Kopf leicht vorgeneigt, stand InuYasha da, wartend auf den Angriff. Sesshômaru hat ihn nicht einmal mit Namen angesprochen…, schoss es ihr durch den Kopf. Ironie hin oder her, immerhin das hatte Sesshômaru früher gemacht. Sie schlug die Hände vors Gesicht, wusste nicht mehr, was sie noch glauben sollte und was nicht. So hörte sie nur, wie Sesshômarus Energiepeitsche einem Stromschlag gleich durch die Luft zuckte, auf InuYasha zu, wie der beiseite sprang und direkt konterte. „Sankontessô!“, hallte es wieder. Und dann entbrannte der Kampf richtig. Als Kagome wieder aufsah, schlug die Energiepeitsche ihre erste Wunde. InuYashas einzige Reaktion war der Griff zur Schulter, das kurze Eintauchen seiner Klauen in das frische Blut. Er wechselte den Klauenangriff: „Hijinkessô!“ Sesshômaru sprang zurück, wich dann in die Luft aus. Obwohl er wohl gekonnt hätte, griff er nicht zum Schwert. Bakusaiga hing unberührt in seinem Hüftttuch. Stattdessen beließ er es bei der Energiepeitsche, die nun aber immer schneller, immer unberechenbarer und immer gleißender leuchtend auf InuYasha zu zuckte. Kagome ahnte, dass Sesshômaru nun mehr Yôki hinein geschickt hatte. Er meinte es wirklich ernst. Sie erschauerte, als das leuchtende Energieband InuYashas Bein traf und es beinahe auf halber Länge aufschlitzte. Blut tränkte den roten Stoff, spritzte regelrecht hervor. Und plötzlich wurde InuYashas Knurren dumpfer. Kagome erstarrte. War es soweit? War der kritische Punkt erreicht? Auch Sesshômaru verharrte in der Luft, sie ahnte, dass er witterte, ebenfalls ergründete, inwieweit InuYasha sich tatsächlich unter Kontrolle hatte. Aber noch wusste InuYasha offenbar, was er tat, denn er stand still da, den Blick auf den InuYôkai gerichtet. Dann streckte er plötzlich die Arme zur Seite weg – und schlug mit beiden Händen zugleich durch die Luft, wie er es sonst zum Klauenangriff tat. Kagome nahm wahr, dass sich Sesshômarus Augen kurz weiteten, ehe der dem leuchtenden Angriff auswich, der sich von InuYasha Fingern gelöst hatte. Das war keine neue Variante des Sankontessô gewesen, das war ein völlig neuer Klauenangriff. Das Licht zischte an ihm vorbei und grub sich tief in die Hügel hinter den beiden Kontrahenten. Staub und Erde wirbelten auf, Grasklumpen flogen durch die Luft und verwirrten die Sicht. Aber Kagome hörte es. Das Kichern, dass es ihr augenblicklich eiskalt den Rücken runterlaufen ließ. Noch ehe der Staub sich legte, sah sie die rotleuchtenden Augen. Der Dämon in InuYasha war erwacht. Im gleichen Moment landete Sesshômaru nicht weit entfernt. „Halbblut!“ Tatsächlich wandte InuYasha den Kopf und auch Kagome sah den InuYôkai überrascht an, als der plötzlich das eingewickelte Schwert aus seinem Hüftttuch zog und es ohne Vorwarnung in InuYashas Richtung warf. Der Hanyô hob instinktiv die Hand, seine Finger schlossen sich um Tessaigas Heft – und unter einem heftigen Lichtblitz aktivierte sich der Bann, verbrannte die Finger des Hanyô und stieß ihn aufs Heftigste zurück. So sehr hatte Tessaiga sich nicht einmal gewehrt, als Sesshômaru es im Grabe seines Vaters hatte ergreifen wollen. Erneut wirbelte Staub auf, als der Rotgekleidete zu Boden ging. Tessaiga fiel zu Boden. Es hat ihn abgewehrt. Tessaiga hat InuYasha abgewehrt. Wenn das nicht der Beweis ist… Kagome bückte sich unwillkürlich und griff nach dem Schwert, das in ihre Richtung geschliddert war, hielt es fest in beiden Händen. Dann erst wagte sie einen Blick in die Richtung, in die der Hanyô geschleudert worden war. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, wer da lag. Das war nicht mehr InuYasha, das war niemand mehr, der wie InuYasha aussah. Die Gestalt dort hatte dunkle Haare mit deutlich roten Strähnen. Als hätte er in eine Steckdose gefasst standen die Strähnen nach Tessaigas Abweisung in alle Richtungen ab. Spitze Ohren ließen den Dämon erkennen. Da ging ein Beben durch den Liegenden, er kicherte – aber es klang nicht mehr wahnsinnig, sondern eher belustigt und arrogant. Er schlug die Augen auf und tiefviolette Iriden kamen zum Vorschein. Kagome zuckte zurück. Das war also jener Dämon, der sie getäuscht hatte. Seine Illusion hatte sich erst durch Tessaigas Impuls gelöst. Sie schüttelte fassungslos den Kopf. Wie hatte sie das nicht bemerken können? Wie hatte sie nicht bemerken können, dass sie die ganze Zeit über diesem Dämon anstatt ihrem geliebten Hanyô gegenüber gestanden hatte? Da wurde ihr klar, dass sie es gemerkt hatte. Jedes einzelne Mal, wenn sie sich am vergangenen Tag über sein Verhalten gewundert hatte, hatte sie es gemerkt. Sie hatte es nur nicht wahrhaben wollen. Bei dem Gedanken, was dieser Kerl gestern Abend beinahe mit ihr angestellt hätte, drehte sich ihr der Magen um. In diesem Moment sprang der Dämon auf, grinste sie triumphierend an – und wich im nächsten Augenblick Sesshômarus Energiepeitsche aus, die schon wieder auf ihn zu zuckte. Der InuYôkai war wohl der Meinung gewesen, er habe lange genug zugesehen. Doch der Fremde ließ sich davon wenig aus der Ruhe bringen. Die Wunden, die in seinen falschen Körper geschlagen worden waren, waren verschwunden, er war taufrisch – und keineswegs mehr daran interessiert, Kagome aus dem Spiel herauszuhalten. Im Gegenteil. Auf einmal hob er die Arme, streckte sie durch, legte die Hände aufeinander, Handflächen Kagome zugewandt. Ein gezischter Befehl, den Kagome nicht verstand, und plötzlich bildete sich in der Hand des Fremden eine Energiekugel, schwarzleuchtend pulsierte sie, wuchs, bis sie doppelt-faustgroß war. Kagome ahnte instinktiv, dass dieser Angriff nicht geblufft war. Dieser Angriff galt ihr. Und sie besaß keine Waffe, keinen Bogen, kein Nichts. Da schoss die Energiekugel bereits auf sie zu… Kapitel 4: Allein? ------------------ Die Zeit schien stillzustehen. Kagome nahm nicht einmal ihre eigene Panik wahr, ihr Blick war einzig auf die Energiekugel gerichtet, die auf sie zuschoss, unaufhaltsam und sicher schmerzhaft, wenn nicht gar tödlich. Ihr schwarzes Licht warf gespenstische Schatten auf den grasbedeckten Boden. Es war zu spät zum Ausweichen, selbst zu spät, als das Sesshômaru noch hätte eingreifen können – wenn man das von ihm überhaupt hätte verlangen können. Und ehe Kagome es überhaupt richtig wahrnahm, reagierte sie instinktiv. Eine ihrer Hände löste sich von Tessaiga, sie streckte sie dem Angriff entgegen, kniff die Augen zusammen. Die Geste erschien lächerlich und doch spürte sie in diesem Moment ihre Mikokraft erwachen. Ein Impuls weißvioletten Lichts ging von ihrer Handfläche aus, strahlte der Energiekugel entgegen, traf die Energiekugel und drängte sie zurück. Aber nicht genug. Das Yôki darin schien zu stark. Wer ihr da entgegen stand, war ein ganz anderes Kaliber als Lady Tausendfuß damals. Sie kam nicht dagegen an, das spürte sie. Kalter Schweiß rann an ihren Schläfen herab, während die Energiekugel sich ihr unbarmherzig entgegendrückte, ihre Verteidigung immer mehr auffraß. Kagome krampfte die andere Hand fester um Tessaigas Scheide, hielt mit dem Mut der Verzweiflung stand. Doch der feindliche Angriff drückte sich ihr immer näher entgegen, jetzt war er nur noch einen halben Meter entfernt. Kagome schloss die Augen und versuchte noch einmal, ihre eigene Magie zu stärken. So sah sie nicht, wie Tessaigas Scheide plötzlich leicht vor sich hin glomm. Aber sie fühlte das kurze Pulsieren. Erschrocken riss sie die Augen auf, die Konzentration ging flöten, ihre Mikokraft schwand – und in diesem Moment aktivierte sich Tessaigas Bannkreis, warf sie zurück und zerstörte die Energiekugel mühelos. Kagome kam unsanft auf dem Boden auf und war für einen Moment benommen. Nur langsam kam ihr zu Bewusstsein, was gerade geschehen war. Tessaiga hatte sie gerettet. Völlig ohne ihr Zutun hatte Tessaiga den Angriff zurückgeschlagen und sie zugleich abgeschirmt! Da hörte sie plötzlich das Klirren von Metall und hob den Blick. Sesshômaru hatte die Konsequenz gezogen, hielt nun Bakusaiga in der Hand und ließ seinem Gegner keine Zeit mehr, überhaupt darüber nachzudenken, wie er angreifen könnte. Der fremde Dämon war endgültig in die Defensive gedrängt worden und selbst die hielt er nicht mehr lange durch, auch wenn er – weiß der Teufel wo – selbst ein Katana hergezaubert hatte. Sekunden später unterlief Sesshômaru den Verteidigungsschlag und Bakusaigas weißssilberne Klinge drang in den Körper seines Gegners, knapp oberhalb der Hüfte. Blut spritzte nach allen Seiten, als der fremde Dämon zweigeteilt wurde, als habe er weder Knochen noch Organe, die Bakusaigas Schnitt beeinträchtigen würden. Er spuckte noch einen Schwall Blut aus, dann kippte er leblos um. Sesshômaru beachtete ihn nicht mehr. Mit einem raschen Seitwärtsschwung befreite er seine Klinge von dem Blut, ehe er sie wieder wegsteckte. Dann kam er gemessenen Schrittes in Kagomes Richtung. „Alles heile?“, fragte er zu ihrer Überraschung. Etwas perplex ob seines Interesses nickte Kagome. Sicher hatte sie sich bei ihrem Sturz ein paar blaue Flecken zugezogen, aber das interessierte sie nicht und ihn sicher schon dreimal nicht. Sie riskierte nur einen kurzen Blick auf den Leichnam ihres Gegners. Dann blickte sie kopfschüttelnd zum Himmel, genau in die Sonne hinein. Aber sie wusste, dass das Brennen in ihren Augen nicht von dem grellen Licht kam. Die Tränen kämpften sich schon wieder unaufhaltsam nach draußen. Jetzt hatte sie Gewissheit. InuYasha war tot. Ihr geliebter Hanyô, der sie zurück in diese Zeit gezogen hatte, war tot. Sango und Miroku vermutlich auch. Das war doch das Lockmittel gewesen, um sie auf die Reise mit diesem falschen Kerl zu schicken. Und Sesshômaru hatte die Wahrheit gesagt. Haltlos rannen die Tränen jetzt über ihre Wangen, sie hatte das Gefühl sämtliche Kraft hätte sie verlassen. Selbst den Kopf wieder zu senken überstieg ihre Fähigkeiten, so kam es ihr momentan vor. „Er hat all die Jahre auf dich gewartet“, erklang da plötzlich wieder Sesshômarus Stimme und auch wenn die junge Frau sich nicht rührte, spürte sie, dass er direkt neben ihr stand und auf sie hinab blickte. „Er hat es niemals aufgegeben, hat immer gehofft, dass du zurückkehrst. – Ich habe ihn ein gutes Stück weiter nördlich gefunden, der Gegner, der ihm den Gar ausmachte, muss ihn einfach liegen gelassen haben. Sicher war Magie im Spiel, jedenfalls hatte er keine größeren Verletzungen. Ich weiß nicht, ob er einfach schon zu lange tot war, aber Tenseiga konnte nichts mehr ausrichten. Anstatt ihn zurückzuholen, hat es ihn verschwinden lassen. Nur Tessaiga blieb zurück. Ich habe es mitgenommen, damit es nicht in falsche Hände fällt.“ Irgendwo im Hinterkopf fühlte Kagome die Verwirrung über Sesshômarus vergleichsweise lange Rede, spürte sie die Überraschung darüber, dass er offenbar versucht hatte, mit Tenseiga zu retten, was zu retten war. Aber es kam nicht wirklich bei ihr an. Die Trauer, die Verzweiflung war zu stark, machte sie taub und blind für alles andere. Das einzige war sie spürte, war das glatte Holz von Tessaigas Scheide in ihren Handflächen. Sie hatte das Schwert auf ihren Schoss gezogen und umklammerte es wieder mit beiden Händen. Tessaiga, das InuYasha Begleiter und Waffe zugleich gewesen war, das Erbe seines Vaters, dessen Zuteilung schließlich selbst Sesshômaru gebilligt hatte. Tessaiga, das InuYashas Blut im Gleichgewicht hielt, das ihn auf seinem Weg nie im Stich gelassen hatte, das wohl InuYashas wichtigster Besitz gewesen war. Tessaiga hatte sie gerettet. Tessaiga wollte, dass sie lebte. Und das war beinahe so, als habe ihr InuYasha diese Aufgabe hinterlassen: Lebe! Nach schier endloser Zeit stemmte sie sich auf die Füße ohne die Hände von Tessaiga zu lösen. Dennoch wusste sie, dass jemand anderes besser in der Lage war, darüber zu wachen, dass es nicht in die falschen Finger geriet. Etwas zaghaft hielt sie das Schwert Sesshômaru entgegen, der noch immer reglos neben ihr stand. Aber er machte keine Anstalten danach zu greifen, obwohl er die Scheide problemlos hätte berühren können. „Behalte es. InuYasha hätte es so gewollt“, sagte er knapp, ohne sie dabei anzusehen. Obwohl Kagome überrascht war, legte sich ein vorsichtiges Lächeln auf ihre Lippen. „Arigatô“, brachte sie mit erstickter Stimme hervor, ehe sie sich etwas unentschlossen abwandte. „Weißt du… weißt du wo die nächste Siedlung ist? Ich muss mir einen Bogen besorgen, sonst bin ich vollkommen schutzlos“, fragte sie dann noch. Einen Moment schien es, als wollte Sesshômaru keine Antwort geben, dann aber wandte er ihr noch einmal für einen kurzen Moment den Blick zu: „Folge dem Bach flussabwärts. Gegen Abend solltest du ein Dorf erreichen.“ Ohne darauf zu warten, ob sie ihm ein weiteres Mal dankte – was Kagome zweifellos vorhatte – drehte er sich um und ging davon. Doch nach ein paar Schritten blieb er wieder stehen und sah kurz zum Himmel. Seine Augen verengten sich. Kagome erkannte das noch aus dem Augenwinkel und spannte sich an. Hatte er etwas gewittert oder gehört, dass sich ihrer Sinneswahrnehmung noch entzog? Eine neue Gefahr? Sie fuhr heftig zusammen, als aus heiterem Himmel ein Blitz nicht weit entfernt in die Wiese einschlug. Im nächsten Moment stand da eine braune, dreiäugige Kuh und auf ihrem Rücken hockte im Schneidersitz, den dünnen, graues Zopf etwas angekokelt und den langstieligen Hammer an der Schulter lehnend eine wohlbekannte Gestalt. Es war Sesshômaru, der dessen Name zuerst aussprach und er klang nichts weniger als begeistert: „Tôtôsai“ Kapitel 5: Enthüllung oder: Ein neues Team ------------------------------------------ Fast wäre der Schmied vor Schreck von seiner Kuh gepurzelt, aber er fing sich gerade noch und sprang einigermaßen gefasst zu Boden. „Sesshômaru-sama…“, stotterte er, ehe er im nächsten Moment schon wieder vergessen zu haben schien, dass der InuYôkai anwesend war. Stattdessen wackelte er auf Kagome – oder besser, auf Tessaiga – zu und streckte auffordernd die Hand aus. „Gib mir das Schwert!“ Kagome erstarrte. Tessaiga war InuYashas ureigenes Schwert gewesen. Von Anfang an für ihn gemacht. Zu Beginn, als er es noch nicht wirklich pfleglich zu behandeln wusste, hatte Tôtôsai schon einmal gedroht, Tessaiga zu zerstören, weil es keinen rechtmäßigen Meister hatte. Hatte er das etwa jetzt vor? Unwillkürlich presste sie das Schwert fester gegen ihre Brust. „Tôtôsai, bitte. Lass es ganz. Es… es soll wenigstens ein Andenken sein“, sagte sie leise. Tôtôsai rollte mit den riesigen Augen. „Wer spricht von nicht ganz lassen? Ich will gucken, was kaputt ist! So heftig hat sein Bannkreis noch nie reagiert, nicht einmal ganz am Anfang, als er noch nicht richtig justiert war. Und jetzt gib‘ schon!“ Der alte Schmied griff nach dem unteren Ende von Tessaigas Scheide und zerrte daran. Kagome legte verwirrt die Stirn in Falten. „Es ist nicht kaputt. Der Bannkreis hat sich ganz zu Recht aktiviert“, bemerkte sie unentschlossen. Tôtôsai hielt inne, ohne die Hand zu senken. „Aber so heftig“, wandte er unbeugsam ein. Da trat Sesshômaru wieder einen Schritt näher. „Yukio“, konstatierte er knapp und Tôtôsai zuckte noch heftiger zusammen, als bei der ‚Begrüßung‘ zuvor. Beinahe hätte der alte Schmied das Gleichgewicht verloren und so ließ er Tessaiga los und ruderte mit den Armen um wieder festen Stand zu bekommen. „Yu-yukio?“, keuchte er dabei. Sesshômaru ließ sich dazu herab, zu nicken, während Kagome die Welt nicht mehr verstand. Yukio war ein Name, das war ihr klar. Meinte Sesshômaru damit etwa diesen Täuschungs-Dämon, der ihr vorgegaukelt hatte, InuYasha zu sein? Kannte er den? Es sah ganz so aus. Und auch Tôtôsai schien der Name ganz offensichtlich nicht fremd zu sein. Da mischte sich plötzlich eine weitere Stimme in das Gespräch mit ein: „Das schwarze Schaf der Familie, jaja….“ Es war Myôga. Weil die einzige Reaktion auf sein Auftauchen aber ein fragender Blick seitens Kagome war, fuhr der Flohdämon in ihre Richtung fort: „Yukio ist ein… nun ja, nicht ganz Cousin von Sesshômaru-sama, aber so etwas Ähnliches.“ „Dann ist der Kerl ein Inu gewesen?“, wollte Kagome wissen, die langsam zu verstehen glaubte. „Hai, Kagome-sama. Und er ist für diese Familie das, was Shunran für die Panther ist“, erwiderte der Flohgeist und wechselte von Tôtôsais Kopf zu Kagomes Schulter über. Die glaubte zu verstehen. Shunran, die Jüngste der Panthergeschwister, war Illusionsmagierin. Genau das schien Yukio auch gewesen zu sein. Und leider ein nur zu guter. „Yukio gehörte zu einem Familienzweig der vor einigen Generationen bereits abgestoßen worden ist. Aber er war dreist genug, immer wieder angekrochen zu kommen. Er ist selbstverliebt, einfallsreich und sehr hartnäckig“, erklärte Myôga von dort aus weiter. „War“, mischte Sesshômaru sich wieder ein und zeigt mit einer leichten Handbewegung auf das, was von seinem ungeliebten Familienmitglied übriggeblieben war. „Oh…äh, gut. War, Sesshômaru-sama. Jedenfalls hat Yukio nach dem Tode Oyakata-samas versucht, sich bei Sesshômaru-sama einzuschleimen, indem er sich auf die Fahnen schreibt, InuYasha-sama das Leben schwer zu machen. Allerdings ist er nie wirklich dazu gekommen, weil er ganz genau wusste, dass er Sesshômaru-sama selbst besser nicht unter die Augen tritt, ehe er irgendetwas Großes vollbracht hat. Und…äh….“ Myôga verstummte mit einem kurzen Seitenblick zu dem weißhaarigen InuYôkai. Kagome nickte leicht. Sie hatte verstanden. Dadurch, dass Sesshômaru selbst immer hinter InuYasha her gewesen war, hatte er diesen ungewollt vor Yukio beschützt. Sie seufzte tief. „Schön und gut, aber diesmal hat dieser Yukio sein Ziel erreicht. Er hat mich mehr als einen Tag lang zum Narren gehalten. Und…“, sie schluckte, ehe sie weitersprechen konnte, „…wenn ich es richtig interpretiere… dann hat er InuYasha getötet.“ Im nächsten Moment segelte Myôga ohnmächtig von ihrer Schulter. Kagome konnte ihn gerade noch auffangen, aber sie konnte ihn verstehen. Am liebsten hätte sich sie sich einfach fallen gelassen und wäre so lange liegen geblieben, bis sich das alles hier als schrecklicher Albtraum heraus stellte. „Tot?“, krähte Tôtôsai dazwischen. Der Schmied stand plötzlich wieder ganz aufrecht da. „Schwachsinn, tot. Tessaigas Meister lebt und da das Hundebaby Tessaigas Meister ist – ob es mir gefällt oder nicht – lebt auch das Hundebaby noch. Ist doch logisch, oder?“ Im nächsten Moment kam Tôtôsai in das ebenso seltene wie zweifelhafte Vergnügen, nicht nur in Kagomes, sondern auch in Sesshômarus Augen Fassungslosigkeit zu lesen. „Wage es nicht, zu lügen, Tôtôsai!“, drohte der InuYôkai, aber ausnahmsweise blieb Tôtôsai standhaft. „Wenn ich doch sage, dass das Hundebaby noch lebt“, murrte er beleidigt, ehe er sich umdrehte und so schnell auf seiner Kuh war, wie man es von ihm nicht erwartete. Gleich darauf war Mô-Mô im gleichen Lichtblitz, in dem sie gekommen war, auch schon wieder verschwunden. Zurück blieben die anderen drei. „Aber wenn du seinen Leichnam doch gesehen hast…“, wisperte Kagome, ganz als traute sie sich nicht, ihre erleichterte Stimme lauter werden zu lassen. Sie konnte es noch immer kaum glauben, was Tôtôsai da gesagt hatte. Sesshômaru zeigte keinerlei Reaktion, seine Miene war wieder ausdruckslos. Dafür ruderte Myôga, der inzwischen wieder wach war, mit seinen Ärmchen. „Dann gibt es nur eine Möglichkeit“, rief er aufgeregt. Sesshômaru richtete seinen goldenen Blick auf den Flohgeist, der noch immer auf Kagomes Handfläche stand. „Lebensverbindende Illusion“, konstatierte er. Der alte Berater seines Vaters nickte heftig. „Dann muss InuYasha von Yukio angegriffen worden sein und dem Bann erlegen sein. Yukio streifte sich seine Identität über, nahm sein Aussehen an sich und ließ ihn liegen. So fandet Ihr, Sesshômaru-sama die leblose Hülle.“ Sesshômaru wirkte nachdenklich. „Tenseiga“, wandte er ein. Für einen Moment schien Myôga überrascht, dann fing er sich wieder. „Ein seelenloser Körper ist wie ein Untoter. Zu mindestens behandelt ihn Tenseiga so, wenn ich mich recht erinnere, was Tôtôsai einst Eurem Vater erklärte. Wird ein Unterweltwesen von Tenseiga zerstört, verfliegt sein Antlitz, es kehrt in die Unterwelt zurück und bekommt dort einen neuen Körper. So muss es auch mit InuYasha-samas Hülle gewesen sein.“ Kagome zog scharf die Luft ein. „Dann ist InuYasha in der Unterwelt?“ Zu ihrer Erleichterung schüttelte Myôga heftig den Kopf. „Wie soll er denn da hinkommen. Nein, sein Körper gehört auf diese Erde, dementsprechend wird er auch hier bleiben, selbst wenn Tenseiga ihn zerschlagen hat. Aber Tenseiga hat auch die Macht, die Seele in den Körper zurückzugeleiten. Da zu diesem Zeitpunkt aber Yukio noch Gebrauch davon machte, war InuYasha-samas Seele für Tenseiga nicht zu erreichen. Jetzt wo Yukio tot und die Illusion gelöst ist… da wird sich seine Seele wohl einen Leihkörper gesucht haben. Jemanden, der dem Tode nahe stand und dessen eigene Seele dadurch leicht zu verdrängen war. Der Leihkörper weiß nicht, was ihm da innewohnt, aber er erhält die Seele“, erklärte er rasch. Kagome blinzelte ein wenig. „Ist es schlimm, dass mir das alles im Moment ein bisschen zu schnell geht?“, fragte sie niemand bestimmten. Erst musste sie mit ansehen, dass ihr sämtliche Felle davonschwammen und jetzt… jetzt könnte sie InuYasha vielleicht zurückgewinnen? Aber… „Wie können wir ihn dann finden?“ „Tessaiga wird es können“, stellte Sesshômaru klar, ehe er sich umdrehte und wortlos verschwand. Kagome sah ihm kurz hinterher, musterte dann das Schwert, das sie in Händen hielt. Da stand sie nun alleine da. Eine einzelne Träne rann über ihre Wange. Es lag jetzt an ihr, InuYasha zu retten. An ihr und Tessaiga. Vielleicht war das der eigentliche Grund, warum der Brunnen sich noch einmal geöffnet hatte. Weil InuYasha sie brauchte. Myôga plapperte derweil weiter vor sich hin, anscheinend nur um keine Stille aufkommen zu lassen: „Yukio ist übrigens ein Meister der Bannkreise gewesen. Er wusste Bannkreise richtig im Krieg einzusetzen. Bannkreiskuppeln, die alles zerstören, was in ihnen war, Bannkreise, die Teile des Schlachtfeldes verschwinden ließen und das über Tage, um dann auf einmal zu enthüllen, dass er noch eine ganze Menge Krieger in Petto hatte. Solche Bannkreise ließen sich nur erkennen, weil sie durch die ihnen innewohnende Magie außen wie innen von einer Aschebahn umzogen waren.“ „Aschebahn?“, echote Kagome und hob ruckartig den Kopf. Kann das sein? Ist das Verschwinden des Dorfes nur eine Finte gewesen? Alles Teil dieses infamen Plans? Sind die anderen etwa noch am Leben? Sie wagte es nicht zu hoffen, so hartnäckig diese Ahnung sich aufdrängte. Stattdessen schüttelte sie ein wenig den Kopf. Es war zu abwegig. Sie blickte auf ihre Handfläche. „Bleibst du bei mir, Myôga? Dann bin ich wenigstens nicht ganz allein.“ „Aber gerne doch, Kagome-sama“, antwortete der Flohgeist und nickte bekräftigend. Doch etwas beruhigt setzte Kagome sich in Bewegung. Myôga war so ziemlich der ungeeignetste Beschützer den es gab, aber es tat gut, einen Bekannten bei sich zu wissen. Ohne ihren Schritt zu unterbrechen, sah sie zum Himmel auf. „Ach, InuYasha. Es ist beinahe zum Lachen. Damals warst du für mich da, noch ehe du es wolltest und ehe ich mich darauf verlassen habe. Jetzt liegt es an Tessaiga und mir, ob ich dir beweisen kann, dass auch ich für dich da bin. Aber alles ist besser, als wenn du tatsächlich tot wärst. Ich verspreche, ich werde alles in meiner Macht stehende tun, deine Seele zu finden und wiederzuerwecken, egal wie lange es dauern mag. Hauptsache, du bleibst bis dahin am Leben.“ „So schnell bringt das Halbblut keiner um.“ Kagome wirbelte herum, erkannte Sesshômaru auf der Hügelkuppe stehen. Täuschte sie sich, oder klang Genugtuung aus der Stimme des InuYôkai? Und überhaupt… warum war er zurückgekehrt? Im nächsten Augenblick erkannte sie eine zweite Gestalt, hinter dem Weißhaarigen, eine zweiköpfige Gestalt. Der Drache… AhUhn? Kagome verstand die Welt nicht mehr, zumal Sesshômaru nun zu ihr hinab kam. AhUhn folgte ihm auf dem Fuße, hinterher taumelte ein etwas geplätteter Jaken, der sicher gerade wieder als Fußabtreter hatte herhalten dürfen. Neben Kagome blieb Sesshômaru stehen. „Steig‘ auf!“, befahl er neutral. Kagome sah ihn erstaunt an, sah aber davon ab, zu fragen, was das sollte. Eine Antwort hätte sie vermutlich sowieso nicht bekommen. Stattdessen trat sie etwas zögerlich an den zweiköpfigen Drachen heran. Vorsichtig strich ihre Hand über den schuppigen Hals, ehe sie nach dem Sattel griff und sich auf den Rücken des Tiers zog. Tessaiga noch immer fest in der Hand, blickte sie wieder zu Sesshômaru. Warum bei allen Göttern kam er auf die Idee, ihr zu helfen? Denn dass er sie offensichtlich begleiten wollte, InuYasha zu suchen, war offensichtlich. Die Frage schien ihr ins Gesicht geschrieben zu sein, denn ehe sie etwas sagen konnte, antwortete Sesshômaru bereits: „Rin ist unter dem Bannkreis gefangen. Und es gibt nur eine Waffe, die stark genug ist, einen solchen Bannkreis zu zerstören.“ Kagome lächelte unwillkürlich ein wenig. Klar, dass er Tessaiga meinte. Und Tessaiga konnte nur von InuYasha geführt werden. Also mussten sie InuYasha finden. Das hast du dir ja schön ausgedacht, Sesshômaru. Du schaffst es auch immer wieder, eigennützige Argumente für uneigennützige Handlungen zu finden… Dennoch war es ein beruhigendes Gefühl, einen Begleiter mehr gewonnen zu haben. Danke für deine Hilfe… Kapitel 6: Oni -------------- Warum habe ich das Gefühl, dass uns irgendetwas Bekanntes folgt? Nachdenklich blickte Kagome sich um, nicht zum ersten Mal in den letzten Stunden. Sie sah davon ab, etwas verlauten zu lassen, denn wenn ihnen da wirklich etwas folgte, dann hatte Sesshômaru das sicherlich bereits bemerkt. Dennoch war sie angespannt, konnte nicht davon lassen, ihren Blick durch die Gegend schweifen zu lassen. Seit sie losgezogen waren, folgten sie dem Bach flussabwärts. Wenn sie sich an Sesshômarus Worte zuvor erinnerte, dann gingen sie zu diesem nächsten Dorf, sollten es wohl gegen Abend erreichen. Seit ihrem Aufbruch hatte Sesshômaru kein Wort mehr gesagt – abgesehen von ein oder zwei emotionslosen „Jaken!“-Ermahnungen, die den Krötendämon zumindest kurzfristig davon abhielten, weiter über das ‚Menschenweib‘ zu schimpfen. - Sesshômaru hatte durchaus ebenso gemerkt, dass sie verfolgt wurden. Er witterte auch das getrocknete und das frische Blut, das ihrem Verfolger anhaftete. Aber noch hielt er es nicht für nötig, den, der sich nicht zeigen wollte, aufzureiben, auch wenn die Witterung ihm bekannt vorkam. Momentan gab es wichtigeres. Wenn sie InuYasha finden und Rin befreien wollten, gab es wichtigeres. Kagome hatte schon selbst herausgefunden, dass sie so, wie sie im Moment war, hilflos war. Sie brauchte eine Waffe und möglichst auch Kleidung, die hierher passte. Das, was sie momentan trug, mochte in ihre Heimat passen und war schon um Längen besser, als die seltsame Tracht, die sie früher zu tragen pflegte, aber dennoch sah es mehr als seltsam aus. Er blieb stehen, als er im Tal die Siedlung ausmachte, die er angesteuert hatte. Auffordernd sah er Kagome an. Die erwiderte seinen Blick kurz, ehe sie zu verstehen schien, dass er nicht mitkommen würde und vorsichtig aus AhUhns Sattel glitt. Kurz ruhten ihre Augen auf Tessaiga, dass sie die ganze Zeit über nicht losgelassen hatte, ehe sie es wieder sorgfältig in das dreckig gewordene Seidentuch hüllte, dass er zum Schutz vor Tessaigas Bannkreis um das Schwert gewickelt hatte, und es in AhUhns Satteltasche zurückließ. Nun, sie hatte schon früher bewiesen, dass sie nicht dumm war. Mit dem Schwert in der Hand, würde sie keine Chance haben, sich als hilflos darzustellen. „Morgen früh. An der Biegung des Baches“, sagte er nur neutral, als sie sich auf den Weg, den Hang hinab machte. Kagome sah über die Schulter zurück. „Gut. Bis morgen, Sesshômaru. Und… noch einmal danke für die Begleitung.“ Sesshômaru gab keine Antwort. Aber innerlich stellte er fest, dass die junge Frau ihn eindeutig schon zu gut kannte. Sie hatte offenbar durchschaut, dass er nicht nur aus egoistischen Motiven handelte. Denn das tat er nicht. Natürlich ging es ihm hauptsächlich darum, Rin zu befreien. Und Myôga hatte keinen Schwachsinn geredet, als er von den Bannkreis-Varianten geredet hatte. Sesshômaru wusste selbst, dass Yukios gesamter Familienzweig sich auf solcherart Kriegsführung wunderbar verstand. Aber wenn er ehrlich war, wollte er Kagome auch helfen. Gegen Naraku war sie eine unschätzbare Hilfe gewesen und außerdem war ihm klar, dass sie InuYashas Ein-und-Alles war. Ganz davon abgesehen aber wusste er noch etwas, was Myôga mal wieder geflissentlich unterschlagen hatte. Der Körper, den InuYashas Seele sich nach Yukios Tod gesucht hatte, hieß nicht umsonst Leihkörper. Fehlende Identität hin oder her, InuYashas Seele würde sich darin nicht für immer halten können, wenn sie nicht erweckt wurde. Ihre Anwesenheit hielt den Körper am Leben, aber wenn sie nicht geweckt wurde, wäre das nicht von langer Dauer. Wenn es hoch kam, blieben ihnen ein paar Wochen. Und irgendwo wäre es schade um InuYasha. Sesshômaru mochte seinen Halbbruder nach wie vor nicht unbedingt leiden können, bezüglich der Hintergrundgeschichte auch mehr oder weniger nachvollziehbar. Aber gegen solche Familienmitglieder wie Yukio war InuYasha eine echte Erholung. - Derweil hatte Kagome den Fuß des Hanges erreicht und näherte sich etwas zögernd dem Dorf. Es war seltsam, so völlig allein. Gut, InuYasha war nicht gerade die beste Begleitung, wenn man geduldig nach etwas fragen wollte, Miroku setzte meistens andere Maßstäbe bei der Auswahl von Gesprächspartnern, Shippô war noch sehr kindlich und Sango meistens zu nichts zu gebrauchen, weil sie aufgrund von Mirokus Eskapaden nahe dem Siedepunkt stand, aber in diesem Moment, in dem sie die ersten Hütten passierte, wurde ihr wieder einmal klar, wie sehr sie die ganze Bande vermisst hatte und noch immer vermisste. Denk optimistisch, Kagome! Du weißt jetzt wenigstens, dass sie nicht tot sind. Sie leben. Und du kannst sie retten. Halte jetzt bloß durch!, redete sie sich selbst gut zu, während sie den Platz in der Mitte des Dorfes betrat und sich umsah. Viel war nicht mehr los, es war bereits dämmrig, die Männer von den Feldern zurück, die Frauen mit dem Tagwerk fertig. Aber schließlich entdeckten ein paar Kinder sie, sie spürte die neugierigen Blicke. Dann traute sich ein Erstes näherzukommen. Kagome blieb stehen und sah ihm bemüht freundlich lächelnd entgegen. „Guten Abend!“, grüßte sie behutsam. Das Kind, ein höchstens sechsjähriger Junge, blieb vor ihr stehen, ehe er den Gruß zaghaft erwiderte. „Shouta!“, rief plötzlich jemand. Da der kleine Junge den Kopf wandte, vermutete Kagome, dass dies sein Name gewesen war. „Shouta heißt du also? Freut mich, dich kennen zu lernen“, griff sie es sogleich auf und während der kleine Junge sie schüchtern anlächelte, schien es dem Rufer zu lange zu dauern. „Shouta!“, rief er erneut und die Reisstrohmatte vor einer Hüttentür nicht weit entfernt, wurde beiseitegeschoben, als ein Mann heraustrat. Kagome vermutete in ihm den Vater des Kleinen. Jetzt hielt der Mann inne, hatte sie entdeckt. „Wer seid Ihr?“, wollte er wissen und sein skeptisch musternder Blick blieb insbesondere auf ihrer Kleidung hängen, dass merkte Kagome genau. „Eine Reisende, werter Herr. Man nennt mich Kagome“, erwiderte sie und spürte trotz aller Reserviertheit in der Haltung ihres Gegenübers, dass sie langsam sicherer wurde. Unwillkürlich straffte sie die Schultern ein wenig. „Allein?“, wollte der Dorfbewohner lauernd wissen. Rasch schüttelte Kagome den Kopf. „Meine Begleiter lagern etwas entfernt vom Dorf. Mein… Schwager ist ein wenig menschenscheu“, erklärte sie. Sesshômaru wäre sicher nicht sehr begeistert über diese Betitelung, aber es warf sicher ein besseres Licht auf sie, wenn es so schien, dass sie mit Familienmitgliedern reiste. So schien das auch der Mann zu sehen, denn er nickte nun. Also wagte Kagome weiterzureden: „Ich bräuchte einen einfachen Kimono und am bes-“, sie verschluckte sich fast an ihren eigenen Worten, als ein unbestimmtes Gefühl dafür sorgte, dass sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Yôki. Und zwar nicht das sorgfältig heruntergedrückte von Sesshômaru – wäre auch zu abwegig, dass er ihr doch gefolgt war – sondern das kaum kontrollierte eines – oder mehrerer – Oni. Instinktiv richtete sie ihre Konzentration darauf. Wo war es? Dort, von rechts kam es, vom Dorfrand, aber von oben. Sie richtete den Blick in diese Richtung, angestrengt versuchte sie etwas zu erkennen. Der dichte Baum da? Hockte es da? Auf jeden Fall schien es nur ein einzelnes Wesen zu sein. Ihr bisheriger Gesprächspartner wollte gerade nachfragen, was los sei, ihr unvollendeter Satz hatte sicherlich nicht dazu beigetragen, seine verständliche Skepsis schwinden zu lassen, da ging alles ganz schnell. Nicht die Baumkrone, aber ein Dach am Dorfrand explodierte regelrecht, als ein beinahe undefinierbares Wesen auf das nächstbeste Haus sprang. Holzteile flogen unter lautem Krachen durch die Luft, Staub wirbelte auf und ein eigenartiges Scharren war zu hören, als das Wesen weitersprang. Klauen…, dachte Kagome nur, während sie hörte, dass es näher kam. Sie spürte die Panik um sich herum, hörte Schreie – und fühlte das unwillkürliche Gefühl von Gefahr, als der Oni plötzlich direkt vor ihr war. Ehe sie richtig darüber nachdachte, schlang sie einen Arm um den Brustkorb des kleinen Jungen, der noch immer vor ihr stand, und warf sich mit ihm zur Seite. Die Klauen des Oni blitzten auf, als sein Schlag ins Leere ging. Hat er es auf mich oder auf den Kleinen abgesehen?, schoss es ihr durch den Kopf, als sie unsanft auf dem Boden aufkam, den Jungen losließ um sich wenigstens ein bisschen abfangen zu können. Sie bekam Erde in den Mund und spuckte angewidert aus. Shouta sah sie schreckensstarr aus angstgeweiteten Augen an. „Was… ist das?“, brachte er mühsam hervor. Kagome wurde einer Antwort enthoben, weil inzwischen die Dorfgemeinschaft gemerkt hatte, was da über sie hereingebrochen war: „Oni!“ Hektisch blickte Kagome sich um. War denn hier nichts, was sich gebrauchen ließ? Stöcke und Forken, mit denen die Dorfbewohner, die nun aus den Hütten strömten, sich zu verteidigen suchten, taten einem Dämon dieser Größe nichts, das wusste sie nur zu gut. Da merkte sie, dass der Oni stehen geblieben war und sich umblickte. Sie nutzte diesen Moment, um ihn näher zu mustern. Klobiger Kopf mit mehr Augen als sie im Moment zählen mochte, zwei Arme, an deren Enden zwar keine Hände, aber dafür zwei umso längere Klauen waren und zwei Beine, nicht minder schwer bewaffnet. Alles in einem schmutzigen Braun und mit einem dicht bepelzten, drachenähnlichen Schwanz ausgestattet. Als sie aber die Blickrichtung des Viechs bemerkte, war es ihr umso mehr egal, was für eine Art Oni ihr gegenüberstand. Denn die flammend orangefarbenen Augen hatten die restlichen Dorfkinder erfasst, die sich angstvoll in einer Nische zwischen zwei Hütten zusammengekauert hatten. Das war also das Ziel dieses Oni. Er wollte die Kinder. Kapitel 7: Nachtlager --------------------- Ehe sie so recht nachdachte, sprang Kagome auf. „Shouta! Sobald das Vieh nicht mehr guckt, rennst du aus dem Dorf und versteckst dich. Haben wir uns verstanden?“, rief sie noch und ohne auf eine Zustimmung des Jungen zu warten, lief sie los. Dieser Oni wollte also die Kinder haben? Nicht mit ihr. Garantiert nicht. Aus dem Augenwinkel erkannte sie auf einmal etwas zu Füßen des Oni liegen. Sie riskierte einen kurzen Blick und erkannte die reglose Gestalt eines jungen Mannes, anscheinend eines Jägers, denn er trug eine Waffe. Und diese Waffe… war ein Bogen! Unwillkürlich änderte Kagome die Richtung. „Nicht! Tun Sie das nicht!“, hörte sie mehrere Stimmen rufen, die anscheinend gesehen hatten, wohin die seltsam gekleidete Frau lief. Aber sie hörte nicht hin. Dieser Bogen war ihre einzige Chance. Sonst würde nicht nur das Dorf, sondern auch sie daran glauben müssen. Es gelang ihr, sich dem Oni zu nähern, doch dann blieb ihr Fuß in einer Kuhle im Boden hängen und sie stürzte. Sie konnte sich herumrollen, aber nun befand sie sich genau unter dem Oni – und er hatte sie bemerkt. Schon hob er einen Arm zum Zuschlagen, da ertastete Kagome durch Zufall einen der Pfeile, die verstreut worden waren, als der Jäger stürzte. Ohne lange nachzudenken, griff sie danach, ballte die Finger zur Faust und stieß die Pfeilspitze in den Arm des Oni, um Haaresbreite bevor er sie erwischen konnte. Der Pfeil pulsierte, kurz war ein weißvioletter Blitz zu sehen – dann hatte das Vieh einen Arm weniger. Den Moment der Verwirrung nutzte Kagome, sich über die Schulter abzurollen, Bogen und Pfeilköcher von der Schulter des leblosen Jägers zu zerren und sich hinzuhocken. Krampfhaft schaltete sie auf taub, was die immer panischeren Schreie um sie herum anging und legte einen Pfeil an. Ihr blieb keine große Zeit zum Zielen, aber sie hatte Glück. In gleißendes Licht getaucht zischte der Pfeil los – und bohrte sich in den Bauch des Oni. Ein infernalisches Brüllen war zu hören, das Wesen bäumte sich auf, sein Drachenschwanz zischte durch die Luft – und traf Kagome in der Seite, sodass sie beiseite geschleudert wurde. Ein Schmerzensschrei entkam ihr, als sie gegen eine Hausecke prallte und zusammensank. Dann ein Lichtblitz und um den Oni herum entstand etwas wie eine hellrosane Flamme, die ihn einfach auflöste. Von einem auf den anderen Moment war Ruhe. Kagome kniff schmerzvoll die Augen zusammen, als sie sich ins Sitzen stemmte. „Das hat länger gedauert, als gedacht…“, murmelte sie vor sich hin und presste die Lippen zusammen, als es ihr nicht gelang, auf die Beine zu kommen. Die Prellungen, die sie sich da zugezogen hatte, waren nicht von schlechten Eltern. Da spürte sie plötzlich Hände an den Oberarmen, jemand hockte sich an ihre Seite um ihr zu helfen. Es war Shoutas Vater. „Ihr weiß nicht, wie Ihr das gemacht habt, aber Ihr habt meinen Sohn gerettet. Herzlichen Dank dafür!“, sprach er, während er sie wie selbstverständlich beim Aufstehen stützte. Im nächsten Moment war auch Shouta an ihrer Seite, der es ganz offensichtlich nicht einmal bis außerhalb des Dorfes geschafft hatte. „Tut’s sehr weh?“, fragte er ängstlich. Trotz zusammengebissener Zähne schüttelte Kagome den Kopf. „Das geht schon, Kleiner. Ich bin Schlimmeres gewohnt.“ War sie das wirklich? Seit sie das letzte Mal so heftig verwundet worden war, war einige Zeit vergangen. Sie fühlte sich vollkommen zerschlagen. Erst die seelische Qual der letzten Tage, dann der Kampf gegen Yukio und jetzt das hier. Wo sollte das bloß noch alles hinführen? Vorerst in die Hütte von Shoutas Familie, das erkannte sie sofort. Im Inneren kniete eine Frau an der Feuerstelle, ihre zerrupften Haare und der Riss, der sich am Ärmel ihres Kimono zeigte, zeugten davon, was hier im Dorf eben noch losgewesen war. Kagome sah kurz zum Dach der Hütte auf. Offenbar war es heile geblieben. Damit befand es sich nicht gerade in reicher Gesellschaft, aber Häuser konnte man wieder aufbauen, auch im Mittelalter. Hauptsache, die Menschen hatten den Angriff überlebt. Sie spürte einen gewissen Stolz, als sie daran dachte, dass sie daran einen nicht geringen Anteil hatte. Offenbar hatte es nur den Jäger erwischt, der dem Oni zuerst in die Quere gekommen war. Neben der Frau, die eben versuchte, das erloschene Feuer wieder in Gang zu kriegen, saß ein vielleicht dreijähriges Mädchen, die verheulten Augen zeugten davon, welche Angst es ausgestanden haben musste. Kagome lächelte es etwas mitleidig an und zaghaft lächelte die Kleine zurück. Sicher ist das Shoutas Schwester. Und dann wird die Frau seine Mutter sein…, dachte Kagome bei sich, sagte aber nichts, als Shoutas Vater sie zu einem Futon begleitete, der an der Hüttenwand lag und sich dann seiner Frau zuwandte. „Sie hat deinen Sohn gerettet. Sie ist unser Gast“, informierte er die Frau schlicht, ehe er sich wieder der Tür zuwandte. „Ich gehe aufräumen helfen“, fügte er dann noch hinzu. Im nächsten Moment war er nach draußen verschwunden. Jetzt sah auch die Frau auf und Kagome erkannte ihr feingeschnittenes, durchaus hübsches Gesicht, wie geschaffen für ein Lächeln. Aber die Frau blickte ernst, wenn auch nicht unfreundlich drein. „Dann werdet Ihr heute bei uns schlafen. Kann ich Euch etwas zu essen anbieten?“ Kagome sah die Schüsseln, auf die die Handbewegung der Frau gezeigt hatte, sah, wie wenig diese gefüllt waren. Weder die Familie noch das Dorf schienen sonderlich reich begütert. Aber es wäre ein Frevel gewesen, die Gastfreundschaft abzulehnen, das war ihr klar. Also nickte sie leicht. Sofort kam die Frau, wenn auch etwas mühsam, auf die Beine. Man sah ihr an, dass die Familie bald ein drittes Kind ihr Eigen nennen würde, denn der einfache Kimono spannte über ihrem Leib, aber sie griff nach einer der Schüsseln und brachte sie Kagome. Die schloss die Hände um das einfache Material. Der Inhalt war eine Art Brei, Hirse anscheinend. Für Reis reichte es vermutlich nicht. Mit einem dankbaren Lächeln, aber doch etwas schlechtem Gewissen begann sie zu essen. Erst als der Brei ihre Zunge berührte, merkte Kagome, wie hungrig sie eigentlich war. Kein Wunder. Seit zwei Tagen hatte sie außer ein paar mickrigen Beeren und ein bisschen Wasser nichts zu sich genommen. Als sie die Schale schließlich absetzte, blickte sie sich in der kleinen Hütte um. „Wo kann ich hier schlafen?“, wollte sie vorsichtig wissen. Die Frau, die noch immer neben ihr kniete, sah sie an. „Hier. Legt Euch einfach hin. Shouta kann diese Nacht bei seiner Schwester schlafen“, beeilte sie sich zu sagen. Also war dieser Futon hier eigentlich Shoutas. Etwas zögerlich streckte Kagome sich darauf aus. Es behagte ihr nicht, der ärmlichen Familie wegzunehmen, was sie sowieso kaum besaßen, aber es auszuschlagen wäre auch nicht besser gewesen. Shouta verzog sich derweil auf einen Blick seiner Mutter hin auf die andere Seite des Raumes, wo offenbar seine Schwester schlief. Doch kaum lag er dort, überlegte er es sich noch einmal anders und kehrte zurück. „Tausend Dank!“, sagte er etwas verlegen. Kagome lächelte ihn an. „Kein Problem, Shouta“, antwortete sie bloß, ehe sie sich vollends ausstreckte und augenblicklich eingeschlafen war. * Als sie am Morgen aufwachte, tat ihr alles weh. Eigentlich kein Wunder, nach dem Kampf am vergangenen Abend, aber sie war so etwas einfach nicht mehr gewöhnt. Als sie den Kopf hob, fand sie die Hütte beinahe leer vor. Nur das kleine Mädchen, Shoutas Schwester, saß neben der erloschenen Feuerstelle und spielte mit einer kleinen Puppe, die offenbar aus Lumpen zusammengenäht worden war. „Schönen, guten Morgen, Kleine“, sagte Kagome leise, worauf das Mädchen sofort aufblickte. Sie sagte nichts, aber während die eine Hand sich an das Ärmchen der Puppe klammerte, zeigte sie jetzt mit der anderen Hand auf etwas neben Kagomes Gastlager. Kagome folgte der Geste mit den Augen und erkannte etwas stoffenes. Ein Kimono? Daran haben sie gedacht? Sie schüttelte leicht den Kopf. „Für mich?“, vergewisserte sie sich bei dem Mädchen, worauf dieses heftig nickte. Noch immer sagte es kein Wort. War es nur schüchtern oder etwa stumm? Kagome nahm sich nicht die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, weil ihr in diesem Moment wieder eingefallen war, dass Sesshômaru auf sie wartete. Und wer wusste schon, was der Kerl unter ‚Morgen‘ verstand. Also knöpfte sie ihre Strickjacke auf und beeilte sich, sich umzukleiden, ehe vielleicht noch jemand hereinkam, der sie besser nicht ohne Kleidung sah. Der Kimono erwies sich als gar nicht einmal so schlecht, nur in den Schultern war er etwas eng, aber es ließ sich tragen. Der blassorangene Stoff war schlicht und etwas grob, an den Ärmelsäumen waren weiße Blüten aufgestickt. Wahrscheinlich ist das ihr bestes Stück…, dachte Kagome etwas düster und wieder meldete sich Schuldgefühl, aber was sollte sie machen. Und immerhin… sie hatte ja auch etwas dafür getan. Auch wenn sich das nicht direkt aufwiegen ließ, aber wenigstens ließ sie sich nicht gänzlich ohne Gegenleistung hier durchfüttern. An der Stelle, wo eben noch der Kimono gelegen hatte, erkannte sie jetzt auch den Bogen von gestern, der Köcher war mit neuen Pfeilen bestückt worden. Wollen sie mir den etwa auch schenken? Es sah ganz so aus. Mit einem leichten Kopfschütteln griff Kagome danach, hängte sich beides über die Schulter und sah dann zu dem kleinen Mädchen. „Sage deinen Eltern Dank für die Gastfreundschaft. Ich mache mich auf den Weg. Meine Begleiter warten auf mich“, sagte sie freundlich, ehe sie das Haus verließ. Auf dem Weg durch das Dorf folgten ihr einige Blicke, aber niemand sprach sie an und so erklomm Kagome wenig später den Hang auf der gegenüberliegenden Seite des Dorfes. Auf der Kuppe blieb sie stehen, sah sich um. Sie brauchte nicht lange, um Sesshômaru zu erkennen. Er saß unter einem nahen Baum, den Rücken an den Stamm gelehnt, ein Bein ausgestreckt, das andere aufgestellt, hielt die Augen geschlossen. Wüsste sie es nicht besser, Kagome hätte geglaubt, er schliefe. Aber sie wusste, dass er sie längst bemerkt hatte. Nicht weit entfernt graste friedlich der Reitdrache und Jaken patrouillierte um AhUhn herum und murmelte irgendetwas vor sich hin. Daran, dass er immer wieder mit seinem Kopfstab aufstampfte, konnte Kagome nur zu gut erkennen, dass er sauer war, aber das interessierte sie wenig. Wortlos schlug sie einen Bogen um den Krötendämon und trat an AhUhn heran, um ihre alte Kleidung in seiner Satteltasche zu verstauen. Als sie wieder aufblickte, stand Sesshômaru nicht weit entfernt und sah sie an. Kagome nickte nur. Sie ahnte, dass er wissen wollte, ob sie zum Aufbruch bereit war. Tatsächlich schien Sesshômaru sich in diesem Moment in Bewegung setzen zu wollen, als er verharrte und den Kopf wandte. Kagome runzelte etwas die Stirn. Was bitte hatte der InuYôkai entdeckt? Sie bekam die Antwort sogleich, als der Weißhaarige aus dem Stand aufsprang, hinauf in die Krone des Baumes. Als er Sekunden später wieder auf den Boden kam, hielt er etwas in der Hand. Kagome musste zweimal hinsehen, um in dem blutigen Fellball ein Tier zu erkennen, das er am Nackenfell gepackt hatte. Doch dann blinzelte sie erschrocken und sah genauer hin. Unter all dem Blut schimmerte cremefarbenes Fell hervor, aber auch schwarze Pfoten und schwarze Ohren, die nun zaghaft zuckten. Dann erkannte sie die fast geschlossenen, roten Augen. Entsetzen stieg in Kagome auf und schlug sich auch in ihrer Stimme nieder, als sie fassungslos ausstieß: „Kirara!?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)