Seelenanker von Torao (From Lust to Heart [Penguin x Law]) ================================================================================ Kapitel 19: Zerbrechliche Bande ------------------------------- Von Bepo erfuhr Law wenig später die Ursache des auffällig starken Bebens, das die Polar Tang aus dem Gleichgewicht gebracht und ihn beinahe über Bord befördert hatte. Rund um die Insel, die sie ansteuerten und die, wie der Navigator erwähnt hatte, nicht grundlos „Whirl Island” hieß, tobten reißende Unterwasserstrudel. Eine Unachtsamkeit und sie rissen jedes Schiff in die Tiefe. Doch war Law sich mehr als sicher, dass Bepo und Jean Bart, der das U-Boot gerade steuerte, diese Hürde meistern und sie sicher in den Hafen lenken würden. Wobei diese Sicherheit am ehesten daher kam, dass er in Gedanken eigentlich immer noch gefangen von der Situation zwischen ihm und Penguin gewesen war. Was sich eben an Deck zwischen ihnen ereignet hatte, ließ ihn nicht mehr los. Immer noch hatte er das Gefühl, das Herz in seiner Brust würde unnatürlich schnell schlagen. Und das kam sicher nicht nur vom Schreck, denn wäre er über Bord gegangen, so wusste er, hätte er noch im Fall die Chance gehabt sich mit seinen Teufelskräften zurück an Deck zu befördern, ehe ihn das Meer verschlungen hätte. Viel mehr verunsicherte ihn Penguins Reaktion und die Tatsache, wie lange er ihn festgehalten und anschließend angesehen hatte. Währenddessen hatte sich abermals das Gefühl in ihm ausgebreitet, das er partout nicht zuordnen konnte. Es hatte sich wieder so gut angefühlt, wie er ihn in seinen Armen gehalten hatte – so geborgen und sicher. Er war sogar kurz davor zu behaupten, dass er sich in Penguins Umarmung am offenen und ansonsten ungeschützten Deck sicherer gefühlt hatte, als jemals alleine hinter der verschlossenen, massiven Tür seiner Kajüte. Dabei war das objektiv betrachtet völliger Blödsinn. Seine Tür konnte ihm nicht schaden. Sie hatte keinen eigenen Kopf. Aber bei anderen Menschen wusste man doch schließlich nie, was in ihnen vorging. Dennoch: Es erschien ihm so. Nur tat es eigentlich nichts mehr zur Sache. Es war sicher nicht Penguins Absicht gewesen, ihm dieses Gefühl zu vermitteln, nachdem er ihm doch deutlich gesagt hatte, dass er wieder eine normale, gewöhnliche Beziehung zwischen ihnen wollte – ohne jegliche Art der Nähe. Allerdings fiel ihm auch wieder ein, wie Penguin ihn nochmal darum gebeten hatte, Shachi zu vertrauen. Wieso das? Was machte es für Penguin wichtiger, dass er ihm vertraute anstatt ihm selbst? „Vielleicht denkt er, ich würde irgendetwas für Shachi empfinden?! Dabei habe ich ihm gegenüber nach wie vor nur Schuldgefühle. Und selbst wenn es anders wäre, wäre das dann ein Grund für ihn, nun so den Abstand zu suchen? Vermutlich. Er ist ja sein bester Freund. Oder aber, er ist doch nur enttäuscht, weil ich ihm nicht vertrauen kann, er aber dachte, ich täte es zumindest beim Sex.” Law war in Gedanken so mit der Suche nach der Antwort beschäftigt, dass ihm sogar entging, wie Bepo ihn ansprach. „KÄPT’N!” Erst als dieser seine Stimme erhob, sah der Angesprochene hastig von der Seekarte auf dem Tisch vor sich auf und seinen Vize an. „Ja?”, fragte er. Der Bär fuchtelte aufgeregt mit den Armen: „Ich habe gefragt, ob wir die Segel einholen und auf die Maschinen umstellen sollen? Dann ist das Schiff besser steuerbar!” Law sah zum großen Fenster des Kommandoraums, der stets unter Wasser lag und durch das man sogar einige Strudel, die sie umgaben, sehen konnte. Jean Bart schien höchst konzentriert, um nicht nochmal das Schiff in die Nähe von einem zu bringen. Er blickte wieder den Navigator an: „Ja, tut das.” „Aye.” Damit spurtete Bepo zur Teleschnecke an der Wand, mit der man auch mit dem Maschinenraum des Schiffes kommunizieren konnte – sofern jemand dort vor Ort war, was aber in der Regel stets der Fall war. Law sah wieder auf die Karte vor sich: Er wusste, er hätte sich gerade auf die Angelegenheit hier konzentrieren sollen. Doch es fiel ihm mehr als schwer, sodass er nach einer Weile des Zögerns letztlich beschloss, Bepo diese Aufgabe alleine zu überlassen, und sich wieder an Deck begab. Dass es gerade für ihn als Nichtschwimmer angesichts der Turbulenzen aktuell wohl nicht der sicherste Ort war, interessierte ihn nur wenig. Er wusste ja nun, welche Gefahr unter der Wasseroberfläche lauerte und war darauf gefasst. Dieses Mal fand er das obere Außendeck verlassen vor. Vermutlich war auch Penguin wieder im Schiff, möglicherweise im Maschinenraum. Law überlegte, wie er reagiert hätte, wenn er noch hier gewesen wäre? Ob er ihn wieder reingeschickt hätte? Aus Sorge? Für einen Moment musste der Arzt schmunzeln, als er sich vorstellte, wie entsetzt und panisch Bepo reagiert hätte, wenn er ihm erzählt hätte, dass er beinahe über Bord gegangen wäre. Doch verging ihm dieses Lächeln schnell wieder. Laws Nacken schmerzte erneut etwas. Und er fühlte sich weiterhin ein kleinwenig schläfrig. Ganz waren die Symptome seiner Grippe eben doch noch nicht abgeklungen. Aber sich jetzt ins Bett zu legen kam nicht in Frage: Die Insel war inzwischen zum Greifen nahe. Eine Stadt sowie der dazugehörige Hafen waren bereits erkennbar. Der Karte nach und auch von hier aus betrachtet handelte es sich um eine recht flache Insel. Nur in der Mitte gab es eine auffällige Erhöhung. Sie als Berg zu bezeichnen war wohl zu viel des Guten, aber es war durchaus ein beachtlicher Hügel, dessen Hänge sehr weitläufig schienen und den Großteil der Insel ausmachten, die laut Karte gar nicht so klein war. Viel interessanter als die geografischen Gegebenheiten war für ihn jedoch die Frage, ob es an Land irgendeinen Kopf gab, auf den eine Summe ausgesetzt war, die es wert machte der Person das Herz zu entreißen. „Ich muss unbedingt nochmal alle Steckbriefe durchgehen. Vor allem die der letzten Woche, damit ich sie im Kopf habe.” Bei diesem Gedanken fiel ihm auch wieder seine eigene Kopfgelderhöhung ein und dass Penguin nach dem Grund dafür gefragt hatte. Entgegen der Antwort die er ihm gegeben hatte, konnte Law sich in Wahrheit sehr gut denken, dass die Ursache die kleineren Fische, Bullet Joe eingeschlossen, waren, die er unbemerkt und alleine in den letzten Wochen bei ihren Landgängen ausgeschaltet hatte. Ihm war bewusst, dass er jedes Mal seine Unterschrift hinterließ, wenn er seine Gegner alleine besiegte, und diese zudem stets noch in der Lage waren zu sprechen, sobald sie wieder zu Bewusstsein kamen, sodass sie der Marine oder wem auch immer sagen konnten, wer sie besiegt und ihr Herz in seiner Gewalt hatte. Aber was blieb ihm anderes übrig? Er wollte nicht wie eine Bestie jeden töten, der ihm unterlegen war – nicht mal andere Piraten. Also würde er wohl auch die Eigentümer der noch ihm fehlenden Herzen letztlich am Leben lassen. Vierundzwanzig brauchte er noch, um die Hundert voll zu machen. Hundert Herzen, nur um einen Titel zu erlangen: Den eines Samurais der Meere - eines Shichibukai. Wenn seine Crew gewusst hätte, dass ausgerechnet er, der die Weltregierung und Marine verabscheute, sich zu einem ihrer Schoßhündchen machen wollte, hätte sie ihn wohl ausgelacht und für verrückt erklärt. Er hatte auch kein Interesse daran, nach der Pfeife anderer zu tanzen. Das ganze sollte eher einem praktischen Zweck dienen: Er wollte Ruhe vor der Marine. Denn er wusste, dass ihn auf der anderen Seite der Redline mehr als genug Auseinandersetzungen und Probleme erwarten würden, ohne dass er von der Regierung gejagt wurde. „Oi, Käpt’n!” Er wandte sich herum, als ein Crewmitglied, das mit einigen anderen vom unteren Deck herauf gekommen war, ihn ansprach. „Was war das vorhin?” „Strudel”, antwortete er knapp. „Wir sind umzingelt davon. Aber Bepo meistert das. Bereitet das Anlegen vor. Wir sind fast da.” „Aye!”, kam es von seinen Leuten, die sofort an ihre Posten eilten. Nur einen unter ihnen hielt er zurück: „Ban?!” Dieser hielt inne und drehte sich nochmal zu ihm herum, dabei wie gewöhnlich, wenn er draußen war, eine Kippe im Mundwinkel haltend: „Hmm?” „Wegen der Sache mit meinem Steckbrief –” Während er pausierte konnte Law sehen, wie der Andere etwas starr wurde. Er nahm die Zigarette aus dem Mund: „Fuck, ich hatte gehofft, da kommt nichts mehr. Ich meinte es nur gut, Käpt’n, ehrlich!” „Ich weiß”, reagierte Law ruhig. „Und ich schätze dein Handeln sehr. Danke.” Ban glaubte sich verhört zu haben: „Wie jetzt? Ich ende nicht als Galionsfigur?” Ein kurzes spöttisches Schnaufen des Chirurgen folgte: „Hatte ich nicht im Sinn, es sei denn du willst das Anlegen mal aus einer anderen Perspektive betrachten.” „Nein danke”, winkte der Raucher ab. Laws Miene wurde ernst: „Ich bin in der Vergangenheit euch allen gegenüber stellenweise falsch aufgetreten. Ansonsten hättest du meine Reaktion wohl nicht so gefürchtet.” Die des Blonden ebenfalls: „Es ist wohl weniger dein Auftreten, als einfach die Tatsache, dass man nicht weiß, was in deinem Kopf vorgeht.” Der Arzt wandte den Blick ab. „Und was heißt in der Vergangenheit? Das klingt, als würdest du planen”, Ban nahm einen Zug vom Tabak zu sich, „dein Verhalten uns gegenüber zu ändern.” Wieder antwortete Law nicht, da er selbst nicht wusste, warum er überhaupt etwas gesagt hatte. „Hilf den Anderen!” Mehr kam nicht mehr von ihm. Und Ban musste einsehen, dass der Eindruck, sein Käpt’n würde sein Auftreten auf den Kopf stellen wollen, wohl ein falscher war. „Aye!” Damit ging auch er davon und gab seinem Anführer wieder die Gelegenheit, sich intensiv mit seinem undurchsichtigen Gedankenkarussell zu befassen, während sein Blick fest auf die Küste gerichtet war und der Schrei der Möwen über ihnen am wolkenlosen Himmel immer lauter wurde je näher sie der Insel kamen. Keine zwanzig Minuten später hatten sie festgemacht. Es war ein reges Treiben am Hafen der Stadt, die recht groß wirkte. Dennoch waren die meisten Leute bereits stehen geblieben, kaum dass das auffällige gelbe U-Boot näher gekommen war. Es war nicht ungewöhnlich, schließlich waren sie Piraten – gefürchtete Kriminelle, die kein normaler Bürger gerne in seiner Nähe hatte. Daher war wie immer der Käpt’n der Heart Pirates auch der Erste und Einzige, der zunächst an Land ging. Seine Crew beobachtete ihn von Deck aus, wissend was er vor hatte, als er auf die Menschen an Land, welche angespannt zurückwichen, zuging. Er steuerte auf einen breiten Mann zu, der als einziger stehen blieb wo er war. Es musste sich um den Hafenmeister handeln. Vor ihm stoppte er, wechselte scheinbar ein paar Worte mit ihm und reichte ihm anschließen einen kleinen Jutebeutel, indem sich Geld befand. „Mich wundert es, dass ihn noch nie einer der Hafen- oder Bürgermeister ausgelacht hat, wenn er als Pirat zu ihnen ging und gesagt hat, dass wir nicht vor haben, die Stadt zu überfallen und auszurauben”, kam es beiläufig von Shou. Tatsächlich war es so wie von ihm gesagt. Bei jedem Landgang ging Law, sofern sie an einer Hafenstadt und nicht in freier Wildbahn anlegten, vorab von Bord, bezahlte ordnungsgemäß die Hafensteuer und erklärte seine Absichten, nur die Vorräte auffüllen und auf die Neuortung des Logports warten zu wollen, ohne dabei Ärger zu verursachen. Das war wohl wirklich nicht das übliche Verhalten eines Piraten. Ihr Käpt’n nannte es „Schadensbegrenzung”. Und auch wenn seine Methoden merkwürdig waren, so hatte die Crew keinerlei Einwände, da sie so ungestört ihre Kehlen in den Bars mit Rum benetzen und sich amüsieren konnten, ohne gleich in Streitigkeiten zu geraten, weil die Menschen sich vor ihnen fürchteten. Vermutlich wäre es auch anders gegangen. Aber Law ging nun mal am liebsten auf Nummer sicher und dem Ärger so gut es ging aus dem Weg. „Einmal ist das passiert”, korrigierte Wakame den Jüngsten, „kurz nachdem wir die Grandline betreten hatten. Du warst noch nicht in der Mannschaft. Da hat ihn tatsächlich jemand dafür ausgelacht und nicht ernst genommen. Das Resultat war, dass Ban den Kerl augenblicklich verprügelt hat, bis der Käpt’n ihn zurückgepfiffen hat. Letztlich konnten wir dann doch problemlos dort festmachen.” „Oh ja, daran erinnere ich mich auch noch”, grinste Shachi breit und sah zu Ban. Dieser jedoch blickte mit ernster Miene über den Hafen. „Was ist?”, wollte der Rotbraunhaarige wissen, hatte er doch damit gerechnet, dass sein Freund in das Gespräch einsteigen würde. „Hier stimmt was nicht”, kam es finster von ihm. „Hmm?” Fragend blickte nun auch der Kleinere, ebenso wie einige seiner Freunde an Land. „Was soll nicht stimmen?” Dai hob eine Augenbraue. „Frauen”, antwortete Ban trocken. „Ich sehe nicht eine einzige.” „Na klar. Sein Sensor empfängt keine weiblichen Schwingungen und schon meint er hier stimmt was nicht”, spottete Kanaye. Dai versuchte es mit einer logischen Erklärung: „Wir sind am Hafen. Da sind immer wenig Frauen. Warte ab bis wir in die Stadt gehen.” „Ich sagte, ich sehe nicht eine einzige”, wiederholte der Blonde nachdrücklich. „Auch wenn in Häfen meist wenig Frauen unterwegs sind, haben wir noch nie an einem angelegt, wo gar keine zu sehen war. Und dieser hier ist recht groß, sodass die Wahrscheinlichkeit eine anzutreffen ebenso relativ hoch sein sollte. Aber ich sehe nur Männer.” „Jetzt wo du es sagst –”, stellte Shachi fest. „Da vorne ist eine!” Shou deutete über ihren Käpt’n, der sich immer noch zu unterhalten schien, hinweg. „Shou”, Bans Stimme klang genervt, als er die Dame mit dem Krückstock an einer der Lagerhallen vorbeihinken sah, während ihr Hund neben ihr lief und sie wohl bei einem Spaziergang begleitete, „die ist wahrscheinlich älter als wir alle zusammen.” „Aber es ist eine Frau”, verteidigte der Rothaarige seine Entdeckung. „Da ist auch eine.” Wakame entdeckte eine fülligere Frau mittleren Alters, die vermutlich eine Händlerin war und gelieferte Ware begutachtete. „Gut halten wir fest: Es gibt hier Frauen, aber scheinbar keine, die sich in unserer Altersklasse befinden”, fasste Kanaye zusammen. „Ich bin mir sicher”, kam es von Wakame, „in der Stadt finden wir welche.” „Dann lasst uns nachsehen gehen.” Shachi deutete mit einem Nicken in die Richtung ihres Käptn’s, der ihnen durch das simple Heben seiner Hand und einen leichten Wink mit den Fingern wie immer verdeutlichte, dass sie von Bord konnten, ehe er sich wie so oft selbst in Bewegung setzte, um sich alleine herumzutreiben. Im Nu waren die meisten von Bord, bis natürlich auf zwei, die auf dem Schiff zu bleiben hatten, um es zu bewachen. Auch Ban wollte gerade mit einem Satz von Deck auf den Steg springen – der Höhenunterschied von fast vier Metern juckte in generell weniger als den Umweg über das niedrigere Außendeck und die Planke zu nehmen – als er Shachi nochmals hinter sich hörte. „Oi, kommst du nicht mit, Peng?” Der Raucher sah über seine Schulter zurück, wo der Erwähnte gerade stillschweigend wieder ins Schiff verschwinden wollte. „Ich lege mich besser hin”, reagierte er monoton. „Fühlst du dich nicht gut?” Auf Shachis Frage wartete Ban jedoch keine Antwort mehr ab. Er ging zu seinem Freund hinüber und packte ihn am Arm, bevor er ihn mit sich zur Reling zog: „Nichts da. Das hättest du die ganze Zeit machen können. Wir suchen jetzt die Schönheiten dieser Insel. Irgendwo müssen sie ja sein.” Penguin wollte etwas erwidern, als sein Blick auf Law fiel, der in einiger Entfernung ging und letztlich zwischen den Menschen verschwand. Vermutlich war es wohl wirklich besser, wenn er mit seinen Freunden ging und nach Ablenkung suchte. „Meinetwegen”, lenkte er daher letztlich ein und sprang fast zeitgleich mit Ban hinüber auf den Pier. Shachi, der anfangs seine Schwierigkeiten gehabt hatte, ebenfalls diesen Weg von Bord zu nehmen, da seine Falltechnik noch nicht sonderlich ausgereift und er zudem schrecklich ängstlich gewesen war, sodass er wie einige andere der Crew den längeren Weg über den Steg am Unterdeck gewählt hatte, folgte ihnen, dabei überlegend, ob er unter vier Augen nochmal das Gespräch mit Penguin suchen sollte. Er war sich nicht sicher, ob zwischen ihm und ihrem Käpt’n etwas vorgefallen war oder dieser immer noch der festen Meinung war, dass Letzterer an ihm, Shachi, auf einer romantischen Ebene interessiert war. Denn dass er damit falsch lag, wusste der Jüngere inzwischen schmerzlicher Weise aus erster Hand. Recht schnell nachdem sie durch die ersten Straßen der Hafenstadt gegangen waren, kristallisierte sich für die Mannschaft deutlich heraus, dass Bans Entdeckung und Vermutung, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging, richtig war. Zwar entdeckten sie hier mehr Frauen als am Hafen, doch die meisten von ihnen waren deutlich älter als die jungen Männer oder noch kleine Mädchen. Alle Einwohner zwischen schätzungsweise sechzehn und dreißig Jahren waren fast ausschließlich Männer. Während seine Freunde weitergingen, bemerkte Penguin im Augenwinkel in einer Seitengasse zwei Personen, die ihn zum Stehenbleiben bewegten. Er wandte den Kopf in ihre Richtung. Und auch wenn sie gut fünfzig Meter entfernt in der langen, dunklen Seitenstraße standen, erkannte er umgehend, an wessen Brust sich dort eine der wenigen jungen Frauen klammerte: Es war sein Käpt’n. „Was zum –?” Penguin konnte nicht glauben, welches Bild sich vor ihm abspielte. Nicht nur, dass dieser sein Wort nicht gehalten und mit Shachi geschlafen hatte, nein, er vergnügte sich scheinbar auch noch wie früher mit Frauen. Und das wo er ihm selbst doch gesagt hatte, er hätte kein Interesse mehr an ihnen. Penguin presste die Lippen aufeinander: Das war einfach zu viel. Er musste sich so furchtbar in Law getäuscht haben. Scheinbar mangelte es ihm nicht nur an Vertrauen, sondern auch an jeder Art von Einfühlungsvermögen. Oder er war einfach nur, wie Kanaye gerne zu Ban sagte, „schwanzgesteuert” und damit wirklich nur auf Sex aus. Jedenfalls schien er keinerlei Problem damit zu haben, sogar Shachi zu hintergehen. Penguin macht es mehr als wütend. Dass er ihn mit seinem abhandengekommenen Interesse am weiblichen Geschlecht offensichtlich belogen hatte, war da noch das geringere Übel. Noch einmal sah er kurz in die Gasse zu dem Paar, das ihn nicht bemerkte, da er aus ihrer Perspektive und Entfernung sicher in den vorbeilaufenden Menschen unterging. Er überlegte dazwischen zu gehen und seinem Käpt’n seine Meinung zu sagen. Doch als Shachi nach ihm rief, wandte er den Blick ab und eilte seinen Freunden, die schon einen guten Vorsprung hatten, nach, wobei er nun innerlich kochte. „Ich sage euch, hier ist was oberfaul! Irgendwo”, Ban donnerte seinen Krug auf den Tisch, „müssen doch all die hübschen Mädchen sein.” Er und der Rest der Crew hatten sich in einem Wirtshaus niedergelassen. Auch die Kellnerinnen die hier arbeiteten, waren auffallend alt, im Vergleich zu dem was sie sonst gewohnt waren. Ein lautes Klirren. „Entschuldigung. Bitte verzeihen Sie mir meine Ungeschicklichkeit!” Die Dame, die sie bedient hatte, war eben nochmal an den Tisch gekommen, um ihre Krüge zu füllen. Allerdings glitt ihr der große Krug zum Einschenken in Tischnähe aus der Hand und ging zu Bruch. Etwas des Inhalts spritzte dabei auch auf Wakames Overallbein. Die Frau ging auf die Knie. Ihre Hände zitterten auffallend, als sie begann die Scherben aufzulesen. „Ich hole sofort etwas, um die Flecken rauszureiben.” Auch ihre Stimme klang unsicher, gar weinerlich. „Ach, das macht überhaupt nichts.” Wakame störte sich nicht an dem Missgeschick. Ein rundlicher Mann eilte herbei: Vermutlich der Wirt. „Liebling, ist alles in Ordnung?” Er hockte sich neben sie. „Ja”, immernoch zitterte auch ihre Stimme. Während seine Freunde noch besorgt auf die Frau blickten, die sich unter Hilfe ihres Mannes wieder aufrichtete, blickte Ban den Wirt an: „Ich hätte da mal eine Frage. Können Sie uns sagen, warum es auf dieser Insel so gut wie keine jungen Frauen gibt?” Dass auch sein Blick angespannt wurde, war nicht zu übersehen. Dennoch antwortete er neutral: „Oh, ähm, es ist so, dass… die Mädchen dieser Insel ab einem gewissen Alter auf eine benachbarte Insel geschickt werden. Dort lernen sie alles was für eine Frau, die einmal eine gute Ehefrau sein will, wichtig ist. Kochen, Kindererziehung und ähnliches. Umgekehrt kommen die jungen Männer zu uns. Wir haben viele Werkstätten und einen großen Handelshafen hier. Genau das richtige für angehende Handwerker. Das war schon immer so.” Ein schiefes Lachen seinerseits folgte und sorgte nur für noch mehr Verwunderung und Skepsis unter den Piraten. Sekunden später jedoch verstummte sein Lachen, als seine Frau in Tränen ausbrach und sich an ihn klammerte. Er schloss seine Arme um sie. Sein Blick wurde verzweifelt, ehe er nochmal seine Gäste ansah: „Bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick.” „Natürlich”, reagierte Wakame. Der Wirt rief zu einem Jungen hinüber, der hinter der Bar beschäftigt und vielleicht gerade mal zehn Jahre alt war: „Akio, kümmer dich um die Scherben!” Der Kleine reagierte: „Ja, Papa!” Der Mann verschwand mit seiner Gattin in einem Hinterzimmer, während sein Sohn wenig später mit einem Eimer und einem Lappen zum Tisch herüberkam um den Fußboden zu säubern. „Entschuldigung. Meiner Mutter geht es im Moment nicht so gut”, sagte er beiläufig. Wakame und Shachi standen auf, hockten sich zu ihm und halfen ihm. „Das ist von unserer Seite wirklich nicht weiter schlimm. Es sind ja nur Scherben”, kam es von Shachi. Der Junge hielt daraufhin inne und betrachtete einen der Tonsplitter auffallend nachdenklich. Shachi und Wakame beobachteten ihn dabei kurz, ehe sie sich verwirrt ansahen. Neugierig lehnte Ban sich über den Tisch, um ihn sehen zu können: „Sag mal, Knirps, dein Vater hat uns gerade erzählt, die Mädchen von dieser Insel würden alle auf eine andere Insel geschickt. Stimmt das?” Der Junge presste auffällig die Lippen zusammen, während die jungen Männer ihn abwartend ansahen. Nicht nur dem Raucher, der wie so oft wieder eine Zigarette in der Hand hielt, kam die Geschichte fragwürdig vor, was nicht zu letzt an den nervösen Reaktionen der Wirtsleute lag. „Ihr seid Piraten, oder?”, fragte Akio wenig später mit leiser Stimme. „Ja”, antwortete Wakame. „Seid ihr stark?” Bei dieser Frage sahen sich die Freunde fragend an. Zumindest alle außer Penguin, der in Gedanken war und der ganzen Situation keine große Beachtung schenkte. Immer noch suchte er nach einer Erklärung, wie er sich so sehr in Law hatte täuschen können, und fragte sich, wie er nun damit umgehen sollte. Für eine Sekunde stellte er sogar in Frage, ob es richtig gewesen war, sich einst ihm angeschlossen zu haben. Aber wegen Laws Untreue jetzt die Crew verlassen? Das war Schwachsinn, schließlich waren sie alle längst mehr als gute Freunde und es schien Penguin unwahrscheinlich, diese Freundschaft und diesen Zusammenhalt auf einem anderen Piratenschiff wiederzufinden. Außerdem war ihr Käpt’n vielleicht unsensibel und untreu in Liebesfragen. Aber konnte er ihn deswegen gänzlich als schlechten Menschen betrachten? Eigentlich nicht. Trotzdem machte ihn das alles nach wie vor zornig, sowie traurig. Bis eben war Law noch ein wunderbarer Mensch gewesen, der zwar teilweise schwierig, aber dennoch sehr liebenswürdig war, wenn man mit ihm umzugehen wusste. Wieso musste er ihn so bitter enttäuschen? Aber vielleicht gelang es ihm, Penguin, so leichter seine Gefühle für ihn wieder abzustellen, wobei diese momentan immer noch vorhanden waren, trotz Wut über sein Verhalten. „Zumindest so stark, dass wir es alle lebend über die erste Hälfte der Grandline geschafft haben”, sagte Wakame letztlich. „Hmm”, der Junge schien zu überlegen, bevor er weiter fragte, „und wieviel Kopfgeld ist auf euch ausgesetzt?” „Bekomme ich jetzt vielleicht erstmal eine Antwort auf meine Frage?” Doch Ban wurde ignoriert. Shachi ging auf den Jungen ein und lächelte etwas verlegen: „Unterschiedlich. Aber nicht sonderlich viel. Die meisten von uns sind knapp eine Million Berry wert.” „Das ist wirklich nicht viel.” Der Kleine wirkte enttäuscht. „Was daran liegt, dass unser Käpt’n das meiste Kopfgeld kassiert, weil er es für die Marine immer so aussehen lässt, als wäre er alleine für alles verantwortlich”, knurrte Shou. Dieser saß mit einigen weiteren Männern direkt neben ihnen am Tisch. Das jüngste Crewmitglied hatte sich umgedreht, auf die runde Sitzbank, die ihren Tisch umgab, gekniet, sodass er über Bans Schulter nun zu ihnen hinüber sah, und so wie auch die Freunde an seinem Tisch das Gespräch mitanhörte. „Das macht er nur, um die Aufmerksamkeit der Marine und anderer Angreifer auf ihn zu lenken. So achten sie weniger auf uns und unterschätzen uns, was unser Vorteil ist”, erwähnte Kanaye neben ihm ernst, was eigentlich alle wussten. „Trotzdem hätte ich gerne, dass mein Kopf mehr wert ist.” Doch alles was Shou dafür als Antwort kassierte war ein Fingerschnippsen gegen seine Stirn von Ban. „Wieviel ist denn auf euren Käpt’n ausgesetzt?” Der Junge wollte wohl nun aus dieser Summe auf die Stärke der gesamten Crew schließen. Wakame antwortete: „Zweihundertfü–” Ban und Penguin, der nun, seit ihr Käpt’n Thema der Unterhaltung war, ebenfalls zugehört hatte, unterbrachen ihn jedoch abrupt gleichzeitig: „Dreihundert Millionen.” Nicht nur das Kind, sondern auch ihre Freunde starrten beide nun an. „WAS?” Ausgerechnet Kanaye begab sich nun in dieselbe knieende Pose wie Shou und sah zu ihnen hinüber. „Seit wann das? Und wieso wisst ihr beide es, wir aber nicht?” Der Raucher sah Penguin an, dieser blickte kurz zurück und dann zu Shachi am Boden, der ihn ebenso unwissend und überrascht ansah. Scheinbar hatte Law auch ihm nichts davon gesagt. Aber wunderte es ihn noch? Nach dem was er vorhin in der Gasse beobachtet hatte? Er spürte, wie bei der Erinnerung daran und dem gleichzeitigen Anblick Shachis wieder Wut in ihm aufloderte. „Seit letzter Woche irgendwann”, antwortete Ban schließlich. „Er weiß es selbst erst seit gestern”, hängte Penguin an und blickte zu Kanaye hinüber. Inzwischen hatte sich nahezu die gesamte Crew um ihren Tisch versammelt, da alle die leichte Unruhe mitbekommen hatten. Und jeder von ihnen machte große Augen. „Ich habe den Steckbrief vor ihm versteckt, bis es ihm wieder besser ging”, erklärte Ban, da er ahnte, dass die Frage danach kommen würde. „Und bist an einem Stück geblieben?” Nicht nur Kanaye wundert das. „Ihr werdet es mir nicht glauben, aber er hat’s mir sogar gedankt. Ich weiß nicht, ob er noch etwas Fieber hat oder”, Ban grinste nun überheblich, „einfach nur weiß, dass er seinen besten Mann nicht zerlegen sollte.” Ein höhnisches Raunen machte die Runde. Bepo interessierte etwas anderes: „Aber wieso wieder eine Erhöhung?” „Tja, das wissen nur er selbst und die Regierung.” Ban nahm einen Schluck Rum zu sich. Penguin verschwieg, dass er Law am Vortag nach dem Grund gefragt hatte, zumal er ihm ohnehin keine zufriedenstellende Antwort gegeben hatte. „Dann seid ihr also doch recht stark?”, mischte der Junge sich erneut ein. „Zumindest bekommt uns nicht jeder klein”, kam es von Wakame. Wie von einer Tarantel gestochen, sprang Akio auf, rannte zum Tresen zurück und kam Sekunden später mit einem gerahmten Foto zurück. Er hielt es den Männern hin. „Das ist meine Schwester.” Die Piraten blickten auf das Foto. „Heilige Scheiße, sieht die süß aus! Bei der wäre ich gerne mal zwischen den Schenk–” Ein fester Schlag in den Nacken von Kanaye hielt Ban davon ab seinen euphorischen Satz zu beenden. „Idiot, hier steht ein Kind am Tisch und du redest zudem noch über seine Schwester!”, zischte er. Auch wenn er einsah, dass der Brillenträger Recht hatte, hielt Ban ihm grimmig den Mittelfinger unter die Nase. „Und was ist mit deiner Schwester?”, lenkte Wakame die Aufmerksamkeit schnell wieder auf das eigentliche Thema. Der etwas irritierte Junge sah nun ihn an, bevor er traurig auf das Bild in seinen Händen blickte: „Sie ist vor zwei Tagen verschwunden.” „Das ist schrecklich”, kam es von Bepo. „Wie alt ist sie?”, wollte Ban wissen. „Baaaaan!”, fuhr Wakame ihn nun an, da er wohl davon ausging, dass der Andere gerade mit dieser Frage nur darauf abzielte, ob sie noch zu jung für gewisse Dinge war. Er bekam dieselbe Antwort wie Kanaye zuvor in Form eines hochgestreckten Fingers. „Neunzehn.” Der Junge blickte weiter auf das Bild in seinen Händen, bis Shachi, der soeben die letzten Scherben aufgelesen und den Boden trocken gewischt hatte, sich aufrichtete und es ihm aus der Hand nahm. „Neunzehn? Also genau in dem Alter, in dem es hier kaum Frauen gibt”, stellte Penguin fest, der im Augenwinkel beobachtete wie Shachi das Foto intensiv betrachtete. Akio sah sich flüchtig um und flüsterte dann: „Es gibt einen Piraten, der schon seit Jahren hier sein Unwesen treibt. Er steckt dahinter. Ständig verschwinden Mädchen wie meine Schwester.” „Das ist es also. Das erklärt auch warum deine Mutter geweint hat. Warum erzählt dein Vater dann dieses Lügenmärchen?” Kanaye legte dem Kopf schräg. Der Junge wirkte nervös: „Weil wir Angst vor diesem Typen haben. Er hat schon Leute, die versucht haben Fremde um Hilfe zu bitten, getötet. Ganze Familien hat er umgebracht. Und auch Händler und andere Reisende, die von Einwohnern davon erfahren haben, wurden von ihm zum Schweigen gebracht. Einige Männer aus unserer und auch anderen Städten und Dörfern der Insel haben versuchte es mit ihm alleine aufzunehmen. Doch er hat sie alle ermordet. Er hat Teufelskräfte.” Ein Murmeln ging durch die Runde. „Und warum unternimmt die Marine nichts?”, wollte Wakame wissen. „Die Marine war ewige Zeiten nicht mehr hier. Ich habe noch nie einen Marinesoldaten gesehen. Und ich bin immerhin dreizehn.” Die Crew schien überrascht über sein Alter, da er jünger wirkte. „Ihr habt sicher die Strudel um die Insel herum bemerkt. Viele unwissende Seefahrer fallen dem zum Opfer. Die Marine hat mit ihren riesigen Kriegsschiffen keine Chance bis zur Insel vorzudringen. Und sie geht wohl davon aus, dass die Strudel uns ausreichend vor allen Bedrohungen beschützen. Dabei legen hier immer wieder Schiffe an, Händler aber auch Piraten, so wie ihr. Gurasu ist wie gesagt schon lange hier. Und dadurch, dass seine Männer überall ihre Ohren haben, ist wohl nie ein Wort über seine Verbrechen von dieser Insel gelangt. Die Menschen hier erzählen aus Angst nur noch Lügen darüber, so wie mein Vater.” Betretenes Schweigen machte sich breit. Wieder sah der Junge sich unruhig um. Doch niemand der anwesenden Gäste schien ihn zu beachten. „Und jetzt willst du uns fragen, ob wir es mit ihm aufnehmen können?”, schlussfolgerte Ban. Der Junge sah ihn verzweifelt an und nickte: „Gurasu hat jetzt auch meine Schwester. Ich weiß dass sie noch lebt. Man sagt, er verwandelt all die Mädchen in Glaspuppen und dekoriert mit ihnen sein Haus.” Entsetzen machte sich in einigen Gesichtern der Crew breit. „Gurasu? Ist das der Name des Piraten, der die Frauen und Mädchen entführt?”, fragte Shou. Akio nickte. „Und mit seinen Teufelskräften kann er Menschen in Glas verwandeln?”, wollte Wakame wissen. „Angeblich kann er das mit allem machen, was er berührt. Wenn er das mit einem Menschen macht und dieser zerbrochen wird, stirbt die Person. Aber das ist nur das, was die Leute erzählen. Man sieht ihn nie.” Der Junge blickte zu Boden. „Ein Phantom entführt also Leute? Klingt ja spannend.” Kanaye hob eine Augenbraue. „Nein, er schickt immer seine Männer, um die Mädchen zu entführen. Die wenigen, die ihm noch nicht zum Opfer gefallen sind, gehen nur noch in Gruppen oder in Begleitung ihrer Männer, Brüder oder was auch immer vor die Tür. Oder sie bleiben ganz zu Hause. Aber sie sollen sogar schon welche im Schlaf überrascht und verschleppt haben.” Der Kleine fing an mit den Tränen zu kämpfen. „Ich wünschte, ich hätte Kazumi zum Einkaufen begleitet. Dann wäre das nicht passiert.” „Meinst du wirklich, du hättest sie beschützen können?” Ban war knallhart, wenn es darum ging, auszusprechen, was er dachte. Wieder ermahnte Wakame ihn: „Alter, mach ihn nicht noch mehr fertig!” „Wo ist der Typ?” Überrascht sah die Runde zu Shachi, der immer noch auf das Foto sah, aber dessen Blick etwas sehr entschlossenes angenommen hatte. Der traurige Junge sah zu ihm hoch: „Er hat eine Villa, oben auf dem Hügel.” „Ah ja, sieht solchen Raten ähnlich, von oben herab auf die Leute zu blicken, die ihm unterlegen sind.” Dass Shachi dabei aus eigener Erfahrung sprach, wusste unter ihnen nur Penguin, der miterlebt hatte, was sein Freund als Kind durchgemacht hatte. „Was hast du vor? Du kannst nicht dahin marschieren und ihn fertig machen. Das wird der Käpt’n nie erlauben. Mal abgesehen davon, dass es wohl ohnehin vermutlich eher umgekehrt sein würde, wenn er wirklich Teufelskräfte hat”, kam es von Kanaye. „Ich kann dieses Mädchen aber nicht einfach ihrem Schicksal überlassen!”, konterte Shachi. „Wuhuhu, ich glaube unser Kleiner hat sich gerade verliebt”, rief Ban laut aus. Der Rotbraunhaarige lief knallrot an. Im selben Moment kam der Wirt zurück: „Akio, belästigst du die Gäste?” „Papa, sie könnten uns helfen! Du willst doch auch, dass Onee-chan zurückkommt und Mama nicht mehr weint!” Der Junge sah seinen Vater verzweifelt an, flüsterte aber immer noch. Panik stieg in das Gesicht des Wirtes, vermutlich weil der Junge über die wahren Vorgänge auf der Insel gesprochen hatte. „Du sollst nicht darüber reden!”, zischte er, bevor er wieder die Gäste anblickte, „Vergessen Sie, was er gesagt hat. Hirngespinste eines kleinen Kindes.” Ban hob skeptisch eine Augenbraue und stützte das Kinn auf seinen Handballen: „Verkaufen Sie uns nicht für blöd.” Dem Wirt war offensichtlich bewusst, dass es längst zu spät war, um die Wahrheit noch vertuschen zu wollen. „Papa –”, der Junge wollte sich wieder einmischen, wurde jedoch von seinem Vater unterbrochen. Dieser klang nun ebenfalls mehr als verzweifelt: „Sei endlich still, Akio. Du weißt nicht mal, ob Kazumi noch lebt und bringst uns alle in Gefahr!” „Verdammt, wie kannst du das immer sagen?!” Akio schien plötzlich wütend. „Wir würden wirklich gerne helfen, Kleiner”, hoffnungsvoll wirbelte der Junge zu Wakame herum, als er dies sagte, „aber das können wir nicht ohne Zustimmung unseres Käptn’s. Und der wird sagen, das es nicht unsere Angelegenheit ist.” Das Kind ließ die Mundwinkel wieder hängen: „Dann sagt es ihm einfach nicht und helft uns so!” „Das können wir nicht”, wiederholte Ban, „wir können nicht hinter seinem Rücken solche Dinge tun. Wir können ihn fragen. Aber wenn er „nein” sagt, müssen wir uns daran halten. Ansonsten ist das Meuterei.” Der Kleine wirkte verbissen, bückte sich, um Lappen und Eimer aufzuheben und sah dann nochmal in die Runde: „Wenn er „nein” sagt, dann ist er ein Monster genau wie Gurasu.” Sein Vater wurde blass um die Nase, während der Junge davon stapfte. Augenblicklich verbeugte er sich tief vor den Piraten: „Bitte verzeihen Sie seine Ungezogenheit! Er weiß nicht was er da sagt. Ich werde ihm gleich die Leviten lesen. Alles was sie hier essen oder trinken geht aufs Haus, alleine schon wegen dem Missgeschick meiner Frau.” „Machen sie sich bitte nicht so einen Kopf unsertwegen. Wir sind zwar Piraten, aber keine Unmenschen”, beruhigte Wakame ihn. Kanaye stimmte dem zu: „Selbst wenn ihr Sohn das gerade unserem Käpt’n ins Gesicht gesagt hätte, hätte der nur geschmunzelt und mehr nicht.” Der Wirt sah auf, glaubte er wohl die Männer würden ihn veralbern. Ban fügte hinzu: „Aber das Angebot mit dem Trinken und Essen nehmen wir trotzdem gerne an.” „Dein Ernst?” Kanaye dachte sich verhört zu haben. „Klar. Tomo hält heute auf dem Schiff Wache. Das heißt keiner verdient beim Poker wirklich viel Geld. Und wenn es schon keine Frauen für uns gibt, dann wenigstens das.” Ban wich dieses Mal aus, als der Brillenträger ihn erneut schlagen wollte. „Es bleibt auch dabei: Sie können so viel essen und trinken wie Sie wollen”, der Wirt versuchte zu lächeln. „Zwar nimmt man uns alle Frauen weg, aber zumindest unser Geld haben wir noch, sodass uns das nicht in den Ruin treiben wird.” „Wir reden mit unserem Käpt’n.” Shachi, der nun nicht mehr so rot war, aber dafür immer noch entschlossen schien, reichte dem Wirt das Bild zurück. Dieser nahm es entgegen und sah den Kleineren überrascht an: „Ich danke Ihnen.” „Aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen. Er ist zwar kein kaltblütiger Pirat, aber genausowenig ein Wohltäter”, sagte Ban nüchtern. Der Mann nickte verständnisvoll. „Du denkst doch nicht ernsthaft, dass du den Käpt’n überzeugen kannst, oder Kleiner?” Ban sah Shachi an, der neben ihm lief, während der gesamte Tross am weit fortgeschrittenen Abend auf dem Rückweg zum Hafen war. Doch der Jüngere schien sich seiner Sache immer noch sicher: „Oh doch!” Der Blonde lachte: „Wenn du DAS schaffst, nenne ich dich nie wieder Kleiner.” Mit ernster Miene beobachtete Penguin Shachi und fragte sich, was in ihm vorging. Denn er hatte eine Vermutung, warum dieser so darauf aus war die Tochter des Wirts zu retten. Doch etwas verwunderte ihn sein starkes Interesse an ihr auch, da er doch davon ausgegangen war, er hätte sich mit Law über seine Gefühle ausgesprochen. War da nun doch nichts zwischen ihnen? Und deswegen war er nun wieder auf Frauenfang, ebenso wie ihr Käpt’n? Während er es bei Shachi insgeheim befürwortet hätte, wenn dem so war, wohlgleich es sicher wieder in Tiefschlägen für ihn enden würde, so kam ihm beim Gedanken daran, was der Arzt trieb fast das wieder hoch, was er eben im Gasthaus verspeist hatte. Da war wieder das Bild von Law und der Frau in seinem Kopf. Und die Vorstellung, wie er einfach jeden oder jede nahm, die seinen Ansprüchen genügte, sich nicht dafür interessierend, wie er, Penguin, oder Shachi empfanden. Umso mehr hoffte er, dass Shachi wirklich an jemand anderes sein Herz verlor, zur Not auch an das Mädchen auf dem Foto. Ohnehin war er sich sehr sicher, das es ihn an jemand erinnert hatte. Aber so oder so: Alles war besser als der Gedanke, dass er Law verfallen war. Einmal mehr machte sich ein Gemisch aus Verwirrung, Wut und Enttäuschung in ihm breit. Gemeinsam betraten sie kurze Zeit später das Schiff. Die meisten blieben draußen an Deck, während Ban, Shachi, Penguin und Wakame sich zur Kapitänskajüte begaben. Besonders die ersteren Beiden brannten regelrecht vor Tatendrang, was kaum verwunderlich war. Entsprechend energisch klopften sie an die Zimmertür. „KÄPT’N!”, rief der Blonde lautstark. Penguin lehnte sich neben der Tür an die Wand und verschränkte die Arme. Er hatte kein Interesse daran von Law gesehen zu werden, geschweigedenn mit ihm zu sprechen. Wenn er ehrlich war, war er auch nur hierher mitgekommen, um Shachi im Auge zu behalten. „Ja?” Alleine schon Laws Stimme, die durch die Tür stark gedämpft wurde, ließ Penguin innerlich schaudern. Allerdings nicht nur vor Wut. Mehr noch vor Erregung, gar Freude. Und das trotz seines verzerrten Bildes, welches er nun von seinem Anführer hatte. Ban öffnete die Tür, doch Shachi trat zuerst ein: „Käpt’n, wir müssen etwas tun!” Der Chirurg saß wie so oft an seinem Schreibtisch und wälzte gerade die letzte Zeitung durch. Er sah nur kurz zu Tür, bevor er weiterlas: „Dann tut was. Ihr könnt das Deck schrubben, die Segel putzen. Meinetwegen könnt ihr auch das Schiff neu lackieren. Aber bitte in der gleichen Farbe.” Penguin musste sich trotz aller Verwirrung und Wut ein Lachen verkneifen. Und auch Wakame schmunzelte kurz. Das war eine typisch sarkastische Reaktion für den Chirurgen. „Käpt’n, es ist ernst! Auf dieser Insel gibt es einen Piraten, Gurasu. Er lebt oben auf dem Hügel und entführt Frauen und Mädchen”, erklärte Shachi aufgebracht. „Ah ja und das hat WAS genau mit mir zu tun?” Niemand hatte damit gerechnet, das der Arzt direkt in seine Schuhe springen und als Retter in der Not loseilen würde. „Wenn du willst, gar nichts. Aber gib wenigstens uns das Okay, dass wir den Typen kalt machen. Die Leute hier schaffen es alleine nicht”, meldete Ban sich nun zu Wort. „Vergesst es. Ihr mischt euch nicht in Dinge ein, die uns nichts angehen!” Laws Stimme wurde ernster und er sah seine Männer wieder an, nicht wissend, dass auch Penguin vor der Tür stand. „Aber jemand muss ihnen helfen!” Shachi ließ nicht locker. Doch der Arzt erwies sich einmal mehr als stur: „Es ist die Aufgabe der Marine sich um solche Dinge zu kümmern. Nicht unsere.” „Die tut es aber nicht! Hier war schon ewig keine Marine mehr!”, kam es von dem Rotbraunhaarigen. Law wandte sich wieder seiner Zeitung zu: „Tja, so sind diese Arschgeigen eben. Die sind nur da, wo es für sie etwas zu holen gibt. Es interessiert sie nicht, wer wirklich Hilfe braucht.” „Dich ja scheinbar auch nicht!” Ban wurde laut. Law sah finster auf und durch das Fenster in die Nacht und auf den beleuchteten Hafen: „Raus!” Dass er nun nicht mehr zu Späßen aufgelegt war, war eindeutig zu hören. Wakame startete einen letzten Versuch: „Käpt’n, die Leute brauchen wirklich Hilfe.” „Raus, habe ich gesagt!” Der Arzt sah sie zornig an. „Und denkt nicht mal daran, euch auch nur in die Nähe von diesem Typen zu begeben!” Ban packte mit wütendem Blick in seine Richtung die Klinke: „Ich glaube, der Junge im Wirtshaus hatte Recht: Du bist ein Monster!” Damit knallte er die Tür zu. „Das hättest du nicht sagen sollen”, kam es von Wakame. „So wie er sich aufführt nur weil er keinen Ärger will? Irgendwo da draußen auf dem Hügel werden unzählige Frauen festgehalten, währnd der Herr lieber die Zeitung liest.” Ban war sichtlich wütend, wohl aber auch enttäuscht von seinem Käpt’n, auch wenn er selbst nie viel Hoffnung gehabt hatte, dass er zustimmen würde. „Wir können es nicht ändern”, seufzte Wakame. Der Stirnbandträger trat gegen die Stahlwand auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges. Es dröhnte mehrfach in den Wänden wieder. „Ich geh mich besaufen!” Damit stapfte er Richtung Ausgang davon. „Besser, bevor du noch das Schiff versenkst.” Wakame folgte ihm. Shachi und Penguin blieben zurück. Bans letzte Worte an ihren Käpt’n waren beiden innerlich bitter aufgestoßen. Shachi sagte zu erst wieder etwas: „Wakame hat zwar Recht, aber trotzdem kotzt es mich gerade an, wie der Käpt’n sich verhält.” „Und was hast du jetzt vor?” fragte der Ältere seinen Freund, der ähnlich finster wie Ban drein blickte. „Ich gehe dahin!” Shachi ballte seine Fäuste und blickte auf die Kapitänskajüte. „Mir scheißegal, ob das Meuterei ist.” „Shachi, ich weiß dass dich das Mädchen an Mika erinnert hat. Aber sie ist es nicht. Und du solltest dich nicht seinem Befehl widersetzen, zumal du alleine ohnehin nichts ausrichten können wirst.” Penguin wollte ihn zur Vernunft bringen. „Die Anderen werden trotz anderer Meinung seinem Befehl folgen, das weißt du.” „Mir egal! Du kannst ja mitkommen! Oder geh mit Ban mit und lass mich alleine machen!” Sein Freund ging ebenfalls davon. Penguin seufzte und folgte ihm, nachdem er noch kurz einen Blick auf Laws Tür geworfen hatte: Was ging wohl gerade in dem Arzt vor, vor allem nachdem Ban ihn als Monster betitelt hatte? Auch wenn Laws Verhalten zweifelhaft war, er nicht bereit war, Fremden einfach so zu helfen, so war es doch zu hart, ihn so zu benennen. Wieder hatte Penguin vor Augen, wie er mit Tränen in den Augen vor ihm gestanden und er ihn später im Arm gehalten hatte. Er wusste, dass Law nicht gefühllos war. Ganz im Gegenteil. Nur waren seine eigenen Gefühle einst so sehr verletzt worden, dass er sich auch nur noch wenig um die anderer scherte. Und zumindest bei seiner Crew tat er das sehr wohl, auch wenn es oft anders wirkte, wusste Penguin. „Shachi, lass den Mist!” Der Ältere versuchte abermals seinen Freund zu bremsen, als sie wieder am Pier entlang gingen. „Wenn du nicht mitkommen willst, dann lass es. Niemand zwingt dich!” Shachi eilte weiter voraus in Richtung Stadt, wobei sein Ziel auf dem Hügel dahinter lag. Ihre Freunde waren in ihre Kojen gegangen oder so wie Ban und Wakame zum Saufgelage aufgebrochen. Auch die Straßen leerten sich allmählich. Es war längst dunkel. „Ich will nicht, dass du dich in Gefahr bringst! Der Typ wird nicht ohne sein.” Allmählich verzweifelte Penguin. Er konnte Shachis Drang zu helfen nachvollziehen, aber er wollte nicht, dass seinem Freund etwas zustieß. „Und wenn schon”, knurrte der Jüngere, der trotz Dunkelheit seine Sonnenbrille aufgesetzt hatte, „ich sitze nicht tatenlos herum, während die Mädchen leiden.” „Ich weiß, dass es dir keine Ruhe lässt. Mir geht es auch so. Und Ban und den Anderen auch. Aber der Käpt’n hat gesagt wir sollen es lassen. Willst du wirklich den Ärger mit ihm?” Penguin packte seinen Freund am Arm und hielt ihn auf, als sie schon die Stadt halb durchquert hatten. Durch die schwarzen Gläser seiner Brille verdeckt blickte Shachi entschlossen zurück: „Es interessiert mich gerade nicht, was er gesagt hat. Und wenn ihr alle keine Eier in der Hose habt, um gegen seinen Befehl zu handeln, schön, dann lasst es. Aber ich tue was ich für richtig halte! Wolltest du nicht immer Pirat werden, weil dich einst Piraten beeindruckt haben, die dich und deine Leute gerettet haben? Wolltest du nicht sein wie sie? Und zudem frei in allem was du tust?” Penguins Griff lockerte und seine Augen weiteten sich. Shachi hatte damit Recht. Genau so war es. Und sein Blick verriet dem Kleineren, dass er richtig lag: „Siehst du?! Aber jetzt sieh was du tust! Lässt dich von ihm herumkommandieren, anstatt Leuten in Not zu helfen. Wenn dir das besser gefällt, dann verschwinde und verzieh dich unter seine Bettdecke!” Shachis Entschlossenheit und Worte erschlugen Penguin fast. Dennoch reagierte er nun ebenfalls selbstsicher: „Da gehe ich ganz sicher nicht hin. Nie wieder!” „Ach?” Nun war Shachi überrascht. „Nichts „ach”. Ich denke dir ist klar warum. Wobei ich langsam der Meinung bin, dass du auch einen Bogen um ihn machen solltest.” Penguin ließ den Jüngeren gänzlich los. Shachi legte den Kopf schräg: „Warum? Gut sein Nichtstun gerade ist das Letzte, aber er ist immer noch mein Käpt’n. Und ich wende mich nicht einfach von ihm ab.” Penguin überlegte was er sagen sollte. Er wollte Shachi nicht noch direkter sagen, dass er mehr und mehr dagegen war, dass er eine Liebesbeziehung mit ihrem Käpt’n führte. Vermutlich würde es eigennützig, gar eifersüchtig klingen. „Vergiss es. Lass uns gehen!” Nun war Penguin der, der vorausschritt. Shachi sah ihm kurz verwirrt nach, nicht wissend, woher sein plötzlicher Sinneswandel kam, bevor er ihm, immer noch wild entschlossen zu handeln, folgte. Die Überlegung mit ihm noch mal unter vier Augen über alles zu reden, hatte er verdrängt. Die Mädchen waren ihm momentan einfach wichtiger. Immer noch blickte Law starr aus dem Fenster, wie er es schon tat, seit Ban lautstark die Tür zugeknallt hatte. Er hatte beobachtet, wie gut die Hälfte der Crew wieder an Land gegangen war. Er ahnte, dass Ban nicht als einziger sauer auf ihn war. Aber damit musste er leben. Er wollte einfach nicht, dass seine Leute sich in Gefahr brachten. Nicht für etwas, was sie nichts anging. Die Bezeichnung, die der Blonde ihm an dem Kopf geworfen hatte, hatte ihn tatsächlich getroffen. Doch letztlich lächelte er: „Es ist ja nicht so, dass ich nicht schon mal als Monster bezeichnet wurde – von jedem bis auf einen.” Kurz hatte er wieder Bilder seiner Kindheit vor Augen – jene düstere Tage die er hatte durchleben müssen. Und er dachte wieder an einen bestimmten Mann: „Was du mir jetzt wohl raten würdest, Cora-san? Aber wenn du noch da wärst, dann wäre ich jetzt sicher kein Pirat und hätte solche Entscheidungen wie gerade eben gar nicht zu treffen.” Verkrampft versuchte Law nochmals zu lächeln, bevor er sich zur Seite neigte und die mittlere Schublade an seinem Schreibtisch aufzog, aus der er einen Stapel Steckbriefe herausholte. Er begann die nach Alphabet geordneten Blätter zu durchforsten und gelangte schnell bei dem an, welches er gesucht hatte. Er zog es hinaus, legte den Stapel wieder in die Schublade, die er schloss, und betrachtete das Foto eines schmalen Mannes mit blondem, kinnlagem Haar, akurat gezogenem Scheitel, Spitzbart und weißem Anzug. Er wirkte nicht wie ein Pirat. „Mir kam es gleich merkwürdig vor, dass hier so wenig junge Frauen unterwegs sind. Gurasu also.” Er wusste, er hatte den Namen schonmal gelesen und war vermutlich heute selbst mit seinen Lakaien in Kontakt gekommen. Aber der Steckbrief war schon recht alt. Seither war kein neuer von ihm erschienen. Also war er wohl immer noch die hier angegeben achtzig Millionen wert, was jedoch nicht hieß, dass er unbedingt wesentlich schwächer als er selbst war. Schließlich wusste Law, wie sein eigenes Kopfgeld begründet war. „Auf jeden Fall käme sein Herz in Frage. Aber wer weiß, wie stark er wirklich ist? Wobei seine Männer Pfeifen sind, wenn sie das vorhin waren, die das Mädchen entführen wollten. Trotzdem keinen Schimmer, ob ich das alleine packe.” Er seufzte. „Besser ich stelle morgen erstmal Nachforschungen an, bevor der Schuss nach hinten losgeht.” Mit diesen Worten, die sich selbst galten, stand er auf, schaltete eine Nachttischlampe ein, ging zur Tür, die er verriegelte und schaltete das Deckenlicht aus. Ein Gähnen entfloh seiner Kehle. „Das einzig Positive an den Grippeausläufern ist, dass ich müde bin und dadurch sogar durchschlafen kann.” Allerdings war sein Schlaf in den letzten Nächten wieder wenig ruhig gewesen. Es hing wohl doch damit zusammen, ob Penguin bei ihm war und als Ruhepol auf ihn wirkte oder nicht. Jetzt musste er sich wieder mit seinen Albträumen anfreunden. Erschöpft zog er sich bis auf die Boxershorts aus, legte seine Kleidung beiseite und setzte sich aufs Bett, wo er nochmal einige Medikamente zu sich nahm, um den letzten Symptomen Herr zu werden, bevor er sich unter die Decke legte und das letzte Licht löschte. Wie fast immer lag er auf dem Rücken da. Doch drehte er den Kopf nach rechts. Im Licht, das von der Stadt hereinfiel, konnte er schemenhaft Umrisse im Zimmer erkennen. Er lag nicht ganz mittig in seinem breiten Bett. Neben ihm hätte noch eine Person Platz gehabt. Law streckte seinen Arm aus und legte die Hand auf die freie Stelle neben sich. Vielleicht hätte er Penguin sagen sollen, dass es ihm gut tat, wenn er neben ihm schlief? Aber dazu war es nun wohl zu spät. Wieder seufzte Law, dieses Mal noch schwermütiger als eben. Was war nur los? Warum sehnte er sich mehr und mehr nach dem, was er selbst von sich gestoßen hatte? Dank des Schmerzmittels, dass er zumindest am Abend immer noch nahm, da einige Körperteile ihn noch quälten, ebenso wie seine Schusswunde, auch wenn sie geschlossen war und Kanaye ihm bereits die Fäden am Vormittag gezogen hatte, schlief er auch in dieser Nacht verhältnismäßig schnell ein. Doch wieder wurde es ein unruhiger Schlaf, gestört von unschönen Träumen. Und sie wurden im Laufe der Nacht zunehmend unbehaglicher und düsterer. Ein erneut lautes Klopfen riss ihn nach wenigen Stunden aus einem dieser Träume. Sein Herz raste und er merkte das seine Stirn und sein Nacken nass waren. Er erinnerte sich jedoch nur bruchstückhaft an den Traum. Doch diese Teile beunruhigten ihn. Anders als sonst hatte er nicht nur mit den Schatten seiner Vergangenheit gekämpft. Stattdessen hatte auch seine Crew eine Rolle gespielt. Er wusste nicht mehr genau was geschehen war, aber er hatte sie tot gesehen – Jeden Einzelnen, vor ihm verstreut, Blut überströmt, wie auf einem Schlachtfeld. Und ihm gegenüber hatte er gestanden mit seiner abscheulichen Lache: Der Mörder Corazons. Wieso vermischten sich nun Gegenwart und Vergangenheit in seinen Träumen? Wollten sie ihm die Zukunft zeigen? War er dabei seine Männer in den Tod zu führen? Oder war es einfach nur das, wovor er sich am meisten fürchtete? Wieder klopfte es. Erst jetzt realisierte Law, dass es von der Tür kam. Sein Blick huschte kurz über den Wecker: Kurz vor drei. Er rieb sich mit der Hand den Schweiß von der Haut, als im nächsten Moment eine Stimme aufgeregt vom Flur hereindrang: „KÄPT’N!” Wieder hämmerte jemand heftig gegen die Tür. Der Arzt stand eilig auf. Er hatte die Stimme erkannt, weshalb er ohne Zögern aufschloss und öffnete. Seine Ohren hatten ihn nicht betrogen. Es war Shachi der davor stand – außer Atem und in Tränen aufgelöst. „Was ist passiert?”, fragte er hastig, bereits ahnend, dass ihm seine Antwort mehr als nur Sorgen bereiten würde. Und dem war so, als der Kleinere völlig verweint und verzweifelt nur eins keuchte: „Penguin!” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)