Seelenanker von Torao (From Lust to Heart [Penguin x Law]) ================================================================================ Kapitel 17: Zurück auf Anfang ----------------------------- Sich jetzt noch jemandem außer Penguin so zu zeigen, wie er hier hing, nicht mal in der Lage Nahrung bei sich zu behalten, das war das aller Letzte was Law wollte. Und so klammerten sich seine Hände fester in den Rand der Matratze, während er mit weitaufgerissenen Augen in den Eimer unter sich starrte. Seit Penguin aufgestanden war, um Shachi abzuwimmeln, hielt er in dieser Pose inne. Sein Herz pochte heftig. Nicht zu letzt, weil er hören konnte, wie die Stimmen auf dem Flur immer lauter wurden. Zwar drang durch die dicke Tür, die Penguin hinter sich zugezogen hatte, und weil wohl auch sein Hörsinn durch die Grippe in Mitleidenschaft gezogen worden war, kaum ein Wort zu ihm durch. Doch eins hatte er herausgehört: Es ging um ihn. Er war der Grund warum die beiden besten Freunde dort zweifelsohne vor der Tür stritten. Warum genau konnte der Arzt jedoch nur vermuten. Es klang, als würde es darum gehen, dass Penguin etwas verheimlichte. Seine Liebschaft mit ihm? Störte es Shachi, dass sein Freund auch mit ihm nicht darüber sprach? Law schluckte heftig. Was hatte er angerichtet? Hatte er durch sein Verhalten und die Anweisung an Penguin, über alles Stillschweigen zu bewahren, den Streit heraufbeschworen? Zerstörte er durch sein egoistisches Verlangen nach Penguins Nähe diese Freundschaft? Hing es vielleicht auch mit dem zusammen, was er Shachi angetan hatte? Deutlich drückte es unter den matten Augen des Chirurgen. Er wollte doch nicht, dass es Streitigkeiten in der Crew gab – am allerwenigsten zwischen engen Freunden wie Penguin und Shachi. Und vor allem wollte er nicht der Streitgrund sein. Aber das war er nun wohl. „Ich muss das beenden”, ging es ihm durch den Kopf, als er sich bereits hochdrückte und mühsam aufrichtete. „Sie sollen nicht meinetwegen streiten.” Und es gab seines Erachtens nach nur eine Möglichkeit, um Schlimmeres zu verhindern: Zu dem Punkt zurückkehren, vor jener Nacht, in der er Penguin erstmals an sich herangelassen hatte. Er hatte sein Spiel zu weit getrieben, sich zu sehr von seinem Verlangen und mentalen Empfinden, dass er nach wie vor nicht ganz nachvollziehen konnte, leiten lassen. Damit musste Schluss sein. Distanz, das war es, was er wieder aufbauen musste. Und zwar jetzt, bevor er die beiden und möglicher Weise auch den Rest seiner Crew durch sein Befinden und die Nähe zu Penguin, die er so sehr genoss, gänzlich entzweite. Die Gedanken daran, wie er Schuld war, dass Menschen, die sich eigentlich mochten – gar in irgendeiner Form liebten – nun so laut anschrieen und vielleicht für immer hassten, sorgten schließlich dafür, dass er dem Druck unter seinen Augen nicht mehr Stand halten konnte. Er wusste doch nur zu gut, wie schmerzhaft es war geliebte Menschen zu verlieren. Er wollte nicht Schuld daran sein, dass Andere auch nur ansatzweise ebenfalls diesen Schmerz erfahren mussten. Tränen krochen hervor. Lautlos. Wackelig schob Law einen Fuß vor den anderen und streckte die Hand aus, kaum dass er der Tür nahe war. Abschließen, sich wieder Einsperren und in sein Schneckenhaus verkriechen, bis er wieder die Kraft hatte, um zumindest nach außen hin den starken Piratenkapitän zu mimen, das war alles was ihm blieb. Er durfte nicht zulassen, dass jemals wieder jemand so sehr in seine Nähe kam, wie Penguin in den vergangen Wochen und besonders letzten Tagen. Andernfalls würde er nur riskieren, diese Person mit in den dunklen Sog zu ziehen, der in ihm hauste. Zum Greifen nahe war das Schloss, dass ihm seine Einsamkeit zurückbringen würde. Doch er zögerte. Es war die Einsamkeit, mit der er sich einst abgefunden hatte, doch die Penguin heimlich und von ihm fast unbemerkt irgendwie zerrüttet hatte. Das fiel Law erst jetzt auf. Nicht, dass sie gänzlich fort war, wenn der Andere bei ihm war. Aber sie fühlte sich etwas geringer an – weniger schmerzhaft. Und wieder erinnerte sich der Arzt an die angenehme Ruhe, die von dem Älteren stets ausging, selbst wenn er einmal etwas lauter wurde, die Selbstsicherheit, bei fast allem was er tat, und das gute Gefühl, das er immer noch nicht zuordnen konnte, wenn der Andere ihn ansah oder gar berührte. Es tat ihm so gut. Aber das musste vorbei sein. Zum Wohle seiner Crew, musste er seinen Egoismus hinten anstellen und sich wieder damit abfinden, diese schönen Momente nicht mehr zu erfahren. Noch mehr Tränen traten aus seinen Augen – weiterhin völlig geräuschlos. Zu sehr in seinen Gedanken gefangen, entging dem Arzt, wie es auf dem Flur ruhiger wurde, sodass er erschrak, als unerwartet die Tür direkt vor ihm aufging und in der nächsten Sekunde Penguin ebenso erschrocken in sein Gesicht blickte. Nun war das passiert, was er doch am aller meisten hatte verhindern wollen: Das je jemand seine Tränen zu sehen bekam. Nicht ohne Grund übte er sich sogar darin, sie zu unterdrücken, wenn er nachts hier alleine war. Und das obwohl Albträume der scheußlichsten Art ihn nur allzu oft heimsuchten und er immer wieder in Gedanken alles vor sich sah: Seine Vergangenheit, das was er alles verloren hatte und die Aussicht auf einen sicherlich vergeblichen Rachefeldzug. Nicht immer war es ihm gelungen, seine Augen gänzlich trocken zu halten. Doch das jemandem zu zeigen: Unvorstellbar. Aber jetzt war es zu spät und er selbst zu starr um, um es zu überspielen. Er wollte etwas sagen, die Situation irgendwie retten. Doch seiner Kehle entkam nicht ein Laut. Erst als Penguin sich regte und die Tür hinter sich mit einer Hand schloss, ohne Law aus den Augen zu lassen, keuchte er leise: „Geh!” Eigentlich hatte er es kraftvoller sagen wollen, so tun wollen, als hätte ihm nur das Fieber die Tränen in die Augen getrieben. Doch er war nicht in der Lage dazu. Er zwang seinen kraftlosen Körper zu einer Bewegung in Penguins Richtung, um ihn zurück zu drängen, doch alles was geschah war, dass seine Beine wieder nachgaben und es erneut Penguins Arme waren, die ihn behutsam aber sicher auffingen als er nach vorne kippte. „Geh!”, wiederholte er nochmals leise, während seine Hände lächerlich wenig Druck auf die Brust ausübten, gegen die er lehnte. „Nein”, kam es ebenso leise zurück, „jetzt bestimmt nicht.” Wieder schluckte Law. Natürlich nicht. Was hatte er anderes erwartet? Dass Penguin seiner schwächlichen Aufforderung noch nachkommen würde, wo er sich in den letzten achtundvierzig Stunden schon ganz anderen, lauteren Befehlen von ihm widersetzt hatte? „Hast du alles gehört?” Penguin selbst kam die Frage fast albern vor, schien ihm Laws Verfassung doch schon Antwort genug. Doch dass sie nicht vergebens war, ehe er wieder voreilige Schlüsse zog, zeigte ihm die Antwort des Jüngeren, als dieser kaum sichtbar und mit gesenktem Blick den Kopf schüttelte. „Nur, dass ich Thema des Streits war. Und dass du was verheimlichst. Ich… kann mir denken, dass es darum ging, dass ich dir befohlen habe über die Sache zwischen uns zu schweigen. Ich”, Laws Worte klangen, als würden sie jede Sekunde wieder in seinem Hals ersticken, „habe viel zu viel von dir verlangt seit das alles angefangen hat. Meinetwegen bist du jetzt in diesem Zwiespalt und versuchst mir gerecht zu werden und setzt deswegen deine Freundschaft mit Shachi aufs Spiel. Aber das sollst du nicht. Ich will nicht, dass du oder irgendjemand sonst in der Mannschaft mit irgendwem der Anderen streitet – nicht meinetwegen. Ich will nicht noch mehr kaputt machen.” Schweigend blickte Penguin auf Law hinab, der immer noch etwas vorgebeugt gegen ihn lehnte und daher gerade kleiner wirkte als sonst. Offensichtlich hatte er wirklich nicht den Kontext des Streits gänzlich erfassen können. Darüber einwenig erleichtert, wollte er Law doch mit seinen Gefühlen für ihn nicht noch mehr zusetzen, wohlgleich ihm Laws Worte und Gedanken ebenso Bauchschmerzen bereiteten, griff er erneut hinter sich und verriegelte blindlinks die Tür. „Das muss enden, Penguin. Alles was seit jener Nacht passiert ist, darf nie passiert sein. Ich will wieder den alten Abstand zwischen uns, damit ich nicht noch mehr kaputt machen kann. Und deswegen… will ich, dass du gehst!” Doch wider dem was er sagte, schwand der Druck von Laws Händen auf Penguins Brust gänzlich und sie schlossen sich in den Stoff seines dunkelroten Oberteils – geradezu als wollten sie ihn daran hindern zu gehen. Allerdings war das nicht nötig, denn anstatt sich von ihm zu lösen drückte der Ältere den Anderen fester an sich und legte auch den zweiten Arm wieder um ihn. „Du machst überhaupt nichts kaputt”, reagierte er leise, bevor er versuchte etwas zu lachen und schnaufte, „und kapier endlich, dass ich nicht gehe!” Dennoch klammerten sich Laws Hände noch fester – von diesem völlig unbeabsichtigt. Und sie lösten sich auch nur kaum merklich, als Penguin ihn zum wiederholten Mal hochhob und zum Bett zurücktrug. Dabei war auffällig, wie Law den Blick gesenkt hielt, obwohl seine Augen geöffnet waren. Penguin konnte sich nur zu gut denken, wie sehr er sich für seine Tränen schämte. Und vermutlich ging der Arzt davon aus, er würde ihn einfach wieder auf dem Bett ablegen, sodass er sich dort unter der Bettdecke verkriechen konnte, aber diesen Gefallen tat er ihm nicht. „Willst du mich noch mehr demütigen?”, war somit Laws leise Frage, als er sich auf Penguins Schoss wiederfand, während der Andere auf der Bettkante Platz genommen und nur Laws Beine auf dem Bett abgelegt hatte, sodass er seinen Oberkörper nun wieder mit beiden Armen fest an sich drücken konnte. „Habe ich dich jemals gedemütigt, Law?” Ruhig und besonnen reagierte der Ältere mit einer Gegenfrage, den Blick dabei über Laws immer noch gesenkten Kopf, den dieser etwas auf Abstand zu Penguins Körper hielt, hinweg gerichtet. Stille. Der Arzt antwortete nicht, auch wenn es in seinem Hirn erneut wild brodelte. Hatte er das? Eigentlich nicht. Warum hatte er das dann gesagt? Penguin kannte die Antwort: „Der Einzige, der dich hier demütigt, bist du selbst. Weil du noch immer nicht richtig einsehen willst, dass du gerade Hilfe brauchst, und dich sicher zudem gerade in Grund und Boden schämst und selbst verachtest, weil ich deine Tränen gesehen habe.” Law presste die Lippen zusammen und blickte seine Beine entlang zum Kopfkissen: Penguin hatte mehr als Recht. Genau diese Empfindungen erdrückten ihn gerade regelrecht: Scham und Verachtung sich selbst gegenüber. „Dabei ist daran nichts Schlimmes. Im Gegenteil. Auch wenn ich nicht möchte, dass du weinst”, dieses Mal besann Penguin sich beim Sprechen, das Missverständliche zu vermeiden und ergänzte, „oder irgendeiner der Anderen, es macht mich gerade etwas froh, weil es mir einmal mehr zeigt, dass mein Käpt’n nicht der kalte Steinklotz ist, der er immer vorgibt zu sein, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, der Gefühle hat.” „Alles was dein Käpt’n ist, ist ein erbärmlicher Mann, der nicht mal seine eigene Crew zusammenhalten kann, geschweige denn seine Emotionen kontrollieren kann.” Die Selbstherabschätzung klang deutlich in Laws Worten mit. „Du brauchst deine Crew nicht zusammenhalten, das tut sie von alleine. Und du machst sie auch nicht kaputt. Es ging nur eben darum, dass Shachi gerne zu dir wollte und nicht eingesehen hat, dass es nicht geht. Zudem war er wütend, weil ich ihm und allen anderen verheimliche, wie es dir wirklich geht.” Dass Letzteres nicht der Wahrheit entsprach, war Penguin mehr als klar. Law dermaßen bewusst anzulügen, tat ihm selbst enorm weh. Doch er wusste warum er es tat. „Und nur weil du ein Mann bist und ein Pirat und obendrei noch Käpt’n, heißt das nicht, dass du keine schwachen Momente haben darfst. Das habe ich dir schonmal gesagt. Und wenn du denkst, dass Tränen an sich für mich fremd sind und ich dich deswegen belächle, dann bist du damit auf dem Holzweg. Ich habe mehr als mein halbes Leben mit Shachi an meiner Seite verbracht. Wenn jemand weiß, wie ein Mann aussieht, der weint, und darüber nicht mit dem Kopf schüttelt, dann ich.” Weiterhin war Penguins Stimme von Ruhe erfüllt – diese innere Ruhe, die Law so sehr mochte. Und ja, der Arzt wusste, dass Shachi dicht am Wasser gebaut war, hatte er doch schon selbst dafür gesorgt, dass er es ihm gezeigt hatte. Wieder wurde Law übel, als er daran dachte, was er mit dem Jüngeren getan hatte. Wäre da nicht der ruhige Pulsschlag gewesen, der von links an sein Ohr drang, hätte er sich wohl wieder übergeben müssen. Überhaupt fühlte es sich gerade wieder so unerwartet gut und beruhigend an, was der Andere tat. Wie er ihn fest in seinen Armen hielt, so wie es seit seiner Kindheit niemand mehr getan hatte. Und Law verspürte zunehmend den Drang, auch seinen wieder etwas schmerzenden und müden Kopf an die Schulter Penguins zu lehnen. Doch er tat es nicht. „Außerdem ist es nicht so, dass ich noch nie in meinem Leben geweint habe.” Laws verweinte Augen weiteten sich erneut: Er hatte nicht damit gerechnet, dass Penguin etwas derartiges sagen würde. Umgehend versuchte er es bedeutungslos zu machen: „Tzz, als ob. Du hast sicher nicht mal als Säugling geweint.” Penguin blieb jedoch ernst: „Das kann ich dir nicht sagen. Ich kann mich nur an einmal bewusst erinnern. Und das ist nur vier Jahre her.” Law glaubte sich verhört zu haben. Penguin war sechsundzwanzig, zwei Jahre älter als er selbst. Damit war er damals zweiundzwanzig gewesen – also kaum ein Unterschied zu jetzt. In dem Alter sollte er, der starke Mann, der ihn gerade so sanft aber doch fest im Arm hielt und wirkte als könnte ihm der stärkste Sturm nichts anhaben, geweint haben? Law wagte es kaum, doch letztlich kam die Frage, die ihm augenblicklich auf den Lippen gelegen hatte, über eben jene: „Was… ist da passiert?” Er rechnete mit keiner Antwort. Warum hätte Penguin sie ihm geben sollen? So nahe standen sie sich nicht. Und er selbst gab doch nichts von sich Preis. Warum sollte der Andere es tun? Doch einmal mehr musste Law feststellen, dass Penguin nicht wie er war und krampfhaft jeden dunklen Moment seines Lebens für sich zu behalten wollte. „Das war der Tag, an dem der Mann starb, dem ich mein Leben verdanke und der mich zu dem gemacht hat, der ich heute bin.” Seine Worte hallten in Laws Kopf wieder. In ihm erwachte plötzlich eine ungewohnte Neugierde, die gesättigt werden wollte, indem er den Anderen weiter nach seiner Vergangenheit, über die er so rein gar nichts wusste, ausfragte. Doch das sah ihm zum einen nicht ähnlich und stand ihm zum anderen nicht zu, fand Law. Und wer wusste, ob Penguin dann nicht selbiges getan hätte. Wollte er plötzlich über sein bisheriges Leben reden? Über den Mann, dem er SEIN Leben verdankte und der dafür gesorgt hatte, dass er nicht zum kaltblütigen Monster geworden war? Und über jenen Tag, an dem sein eigener Bruder ihn aus dem Leben gerissen und ihm, Law, ihn für immer genommen hatte? Oder über seine Familie, die ebenso vor seinen Augen gestorben war? Nein, das wollte er nicht. „Du hast einmal vor vier Jahren geweint, weil du etwas trauriges und schreckliches erlebt hast. Ich weine jetzt, nur weil ich krank bin und nicht alleine klar komme und dann noch dafür sorge, dass meine Crew sich streitet.” Wieder klang es, als würde Law sich selbst kleiner machen wollen. „Du weinst nicht deswegen. Nicht direkt.” Wieder trat Überraschen über Penguins Worte in Laws Gesicht, dass immer noch von langsam hinablaufenden Salzperlen geziert wurde und das er daher absichtlich weiterhin nach unten richtete. „Du weinst weil du mit Sicherheit weit Schlimmeres als ich erlebt hast und seitdem versuchst alleine damit fertig zu werden. Und jetzt zu sehen, wie dir irgendwas scheinbar aus der Kontrolle gleitet, setzt dir gerade so sehr zu, dass du es nicht mehr zurückhalten kannst. Ich weiß nicht, was dir wiederfahren ist, und auch nicht, ob du es je mir oder einem anderen anvertrauen wirst, aber ich bin mir mehr als sicher, dass es etwas ist, was mir und jedem hier an Bord genauso die Tränen in die Augen treiben würde, wenn ihm dies zugestoßen wäre und er Tag ein Tag aus daran denken würde – ohne das Vertrauen zu haben, mit irgendjemandem darüber zu sprechen.” Dass besonders sein letzter Satz Law noch mehr Schlucken ließ und den Tränenfluss verstärkte, machte Penguin in erster Linie an dem Zittern aus, das durch Laws Körper schoss. Ansonsten gab er nicht viel von sich. Überhaupt war dem Älteren bereits ein großer Unterschied zu Shachi aufgefallen: Wenn dieser weinte, dann sah man es nicht nur, man hörte es in den meisten Fällen auch sehr deutlich, da es immer von einem Schluchzen untermalt wurde. Doch bei Law war es anders: Seine Tränen rollten nach wie vor stumm, selbst wenn er sprach. Seine Stimme klang lediglich etwas matter als zuvor. Aber hätte er die Tränen eben nicht selbst gesehen, hätte Penguin nicht mal gedacht, dass er weinen würde. Doch inzwischen war er sich auch mehr als sicher, dass auch die Tränen, die Law in der vergangenen Nacht vergossen hatte, nicht vom Fieber hervorgerufen worden waren. Penguin malte sich zudem aus, wie der Jüngere oft nachts hier alleine lag und krampfhaft versuchte diese Tränen entsetzlicher Trauer herunter zu schlucken. Die Vorstellung alleine reichte, dass der Ältere selbst kurz schlucken musste. Ausgerechnet Law sich so vorzustellen, nagte an ihm. Mehr denn je wollte er ihn festhalten, genauso wie er es gerade tat, und ihn nie wieder loslassen. Und wie schon in der Nacht hätte er gerade noch viel lieber eine Hand auf die feuchten Wangen des Anderen gelegt, um sie trocken zu wischen. Doch er musste erneut eine Grenze ziehen, um nicht sich selbst und vor allem Law noch mehr zu schaden, indem er Nähe aufbaute, die Fehl am Platze war. Er hatte nur eine Lücke zu überbrücken, bis Shachi an seiner Stelle sein konnte. Wobei er sich immer noch fragte, wie dieser jemals in der Lage sein sollte, Law Halt zu geben, den dieser ganz offensichtlich mehr denn je brauchte, klammerte sich doch zumindest seine rechte Hand immer noch fest in sein Shirt. Sein Freund wäre eher noch selbst in Tränen ausgebrochen, im Fall das Law sich ihm überhaupt jemals so gezeigt hätte. Fehlte Law nicht dazu ihm gegenüber auch etwas ganz entscheidendes, was dieser nun, durch Penguins Worte daran erinnerte, überraschend ansprach? „Hör endlich auf mit deinem Vertrauen. Ich kann es nicht und werde es nie haben. Weder dir, noch Shachi, noch sonst irgendwem gegenüber.” Da hatte er die Bestätigung: Er vertraute auch dem Jüngeren nicht. Und auch wenn er das alles schon gewusst hatte: Nochmal so direkt gesagt zu bekommen, dass er auch ihm nicht vertraute, schmerzte Penguin. Besonders als Law weitersprach: „Nicht mal wenn ich mit dir schlafe, kann ich das, wie du wohl denkst. Ich kann mich nur darauf einlassen, weil ich weiß, dass ich jederzeit meine Teufelskräfte einsetzen kann. Es tut mir so leid. Aber ich kann einfach nicht vertrauen.” Tatsächlich hatte Penguin bisher gedacht, er würde es zumindest dann tun. Aber scheinbar hatte er sich da geirrt. Wie sehr ihm diese Enttäuschung nun zusetzte, ließ er sich nicht anmerken. Ohnehin erschien ihm wichtiger, dass Law Shachi vertraute. Er zögerte, ehe er aussprach, was ihm nun auf der Zunge lag: „Ich weiß, es steht mir nicht zu, dich darum zu bitten, aber tue mir bitte den Gefallen und schlaf nicht mehr mit Shachi, bis du es schaffst ihm zu vertrauen.” Völlig irritiert von diesen Worten hob Law den Kopf etwas, sah ihn jedoch nicht an. Nun konnte Penguin beim Herabblicken aber sehen, dass immer noch Tränen über sein Gesicht rollten, wenn auch weiterhin sehr zaghaft. „Er ist wie ein Bruder für mich, wie du weißt. Und ich weiß wie sehr er dir vertraut. Versuche es ihm bitte erst zurückzugeben, auch wenn meine Bitte dreist ist. Ich will nicht, dass du ihm damit wehtust.” Laws Blick blieb dennoch wirsch. Doch zu Penguins Verwunderung senkte er ihn rasch wieder und reagierte gleichgültig: „Hatte ich ohnehin nicht mehr vor. Ich habe ihn schon genug verletzt.” Der Gesichtsausdruck des Älteren drückte noch mehr Irritation aus: „Wie meinst du das?” Allerdings schwieg der Chirurg nun und blickte wieder zum Kissen. Scheinbar hatte Shachi nach wie vor kein Wort an Penguin verloren, wie grob er, Law, mit ihm umgegangen war, sodass der Jüngere sogar ein oder zwei Mal Tränen verloren hatte. Aber stand es ihm nun zu darüber zu sprechen, wenn Shachi sich Penguin offenbar nicht anvertrauen wollte? War das was er ihm angetan hatte so schlimm, dass er sich sogar schämte mit seinem besten Freund darüber zu reden? Law kniff die Augen zu. Penguin schloss aus seinem Schweigen abermals seine ganz eigenen Schlüsse: „Tut jetzt gerade auch nichts zur Sache. Du musst dich erstmal weiter erholen. Anschließend helfe ich dir, mit ihm besser zurecht zu kommen – sofern ich das kann.” „Hilf mir nicht noch mehr, als du es jetzt schon tust. Das ist schon zu viel.” Das war eine von diesen Situationen, wo es Penguin schwer fiel, Laws verworrenen Gedankengängen, die gerne von Thema zu Thema sprangen, noch zu folgen. „Blödsinn. Wie könnte ich dir zu viel helfen?” Skeptisch hob Penguin ein Augenbraue. Diese senkte sich jedoch gleich wieder, um sich vor Überraschen erneut mit der anderen zu heben, als Law monoton antwortete: „Ich will nicht, dass du mir noch mehr hilfst. Der letzte Mensch, der mir geholfen hat, ist deswegen gestorben.” Vom wem sprach er da? „Ich will nicht, dass meinetwegen nochmal jemand stirbt.” Nun glaubte Penguin doch ein wenig zu hören, wie der Tränenfluss des Jüngeren gerade wieder zu nahm. Und er konnte nur ahnen wie vehement er gerade die Augen zu kniff, um ihn zu stoppen. „Niemand stirbt deinetwegen, Law”, versuchte er ihn zu beruhigen. „Was auch immer damals passiert ist: Es wird sich nicht wiederholen.” „Doch das wird es! Auch weil ihr mir vertraut!” Law klang nun etwas aufgebracht, hielt jedoch das Gesicht weiter nach unten geneigt. „Corazon, er ist nur tot, weil er sich um mich gekümmert und mir vertraut hat… und ich… den falschen Leuten.” Er war wieder gefallen: Der Name, den Penguin am Morgen, als Law halluziniert hatte, nur halb verstanden hatte. Wer war das? „Lamy hat mir vertraut… und ist deswegen gestorben”, wieder warf Law einen Namen in den Raum, den Penguin nicht zuordnen konnte – offenkundig ein weiterer Name aus Laws dunkler Vergangenheit. „Ich habe dir schon mal gesagt, Vertrauen ist gefährlich. Es macht angreifbar. Und mir zu vertrauen, ist wohl das Gefährlichste, was man tun kann.” „Das ist Unfug”, auch wenn Penguin nur zu gerne gewusst hätte, wer sich hinter den Namen verbarg, hielt er sich zurück – es war nicht gut, Laws Zustand nun weiter zu belasten, indem er noch mehr das aufwühlte, was hinter ihm lag, „es war zwar anfangs für keinen von uns leicht, dir immer einfach zu vertrauen und dir zu folgen, weil du nie wirklich sagst, warum du etwas tust oder nicht tust. Aber inzwischen hast du uns mehrfach gezeigt, dass jeder Zweifel an dir und deinen Entscheidungen nicht gerechtfertigt ist.” „Und trotzdem ist es nicht gut!” Laws Hand klammerte sich, von ihm selbst wohl unbemerkt, noch fester, während er selbst eine etwas gekrümmte Körperhaltung annahm. „Du willst doch nicht wirklich, dass wir dir nicht vertrauen, oder?” Penguin erschien dies völlig absurd. Und scheinbar hatte er damit Recht, da Law als nächstes einen keuchenden Laut von sich gab: „Ich weiß nicht. Ich weiß gerade gar nichts. Mein Kopf ist völlig leer.” Erstmals musste Penguin wieder lächeln: „Das ist eigentlich gut, wenn er das mal ist und du dich nicht selbst mit deinen Gedanken fertig machen kannst.” Spürbar strich er ihm über den Oberarm, an dem er Law festhielt – vorsichtig jedoch, da seine Schusswunde noch nicht ganz verheilt war. „Ich denke”, sprach er nach einem Augenblick weiter, „wir packen dich jetzt wieder ins Bett und du versuchst etwas zu schlafen.” „Mhm”, kam es letztlich nur kleinlaut von dem Anderen, der sich inzwischen tatsächlich wieder recht müde fühlte. Penguin konnte sich nur zu gut denken, dass ihm die ganze Situation und das Weinen nun enorm Energie geraubt hatte. Behutsam erhob er sich mit Law im Arm und drehte sich um, um ihn richtig ins Bett zu legen. Law wich weiterhin seinem Blick aus. Doch nun, wo er wieder vor ihm lag, gelang es ihm nicht mehr, die Tränenspuren vor Penguin zu verbergen, zumal dieser genötigt war, etwas in gebeugter Haltung über ihm zu bleiben, da sich Laws Hand immer noch nicht von seinem Oberteil löste. Vorsichtig legte Penguin seine Hand auf diese, um sie zu lockern. Doch Law klammerte sich noch fester. „Ich will zurücknehmen, was ich vorhin gesagt habe”, sagte er leise in Richtung Nachttisch. „Was?” Penguin hätte raten müssen, welche der Absurditäten, die Law aus Selbstzweifel in den vergangenen Minuten hervorgebracht hatte, er nun meinte. „Dass du gehen sollst. Bleib bitte bei mir.” Kaum dass er diese nur wenig hörbar ausgesprochen hatten, wagten es die noch feuchten Augen endlich wieder zu Penguin hoch zu sehen. Dieser blickte einen Moment zurück, bevor er lächelte: „Darum brauchst du mich nicht bitten. Ich bleibe so oder so.” Nach diesen Worten erst lösten Laws Finger sich langsam und sanken zur anderen Hand hinab auf das Bettlaken neben dem Kopfkissen. Und ebenso langsam aber sicher fielen auch Laws Augen zu. Er schien unerwartet schnell eingeschlafen. Penguins Lächeln verschwand, während er immer noch über ihn gebückt am Bett stand, beide Hände auf der Matratze abgestützt. Nicht weil Law erschöpft war. Darüber war er eigentlich sogar wirklich froh, da er einfach jetzt den Schlaf brauchte, um wieder gesund zu werden. Prüfend legte er kurz seinen Handrücken auf Laws Stirn: Immer noch warm, aber wohl etwas kühler als noch am Morgen. Sein Lächeln hatten viel mehr Laws Worte vertrieben. Eigentlich hätte er sich freuen sollen, dass er wollte, dass er blieb, und es sogar ausgesprochen hatte. Doch angesichts der Tatsache, dass sie bei ihm nur solange ein gutes Glücksgefühl auslösten, bis er daran dachte, was nach Law Genesung sein würde, hatten sie schnell ins Negative umgeschlagen. „Ich würde so gerne am liebsten für immer so bei dir bleiben”, überlegte er, nun selbst etwas traurig wirkend. Er deckte ihn richtig zu und sah auf Laws langsam trocknende Tränenbäche: Wieder hatte er das Bedürfnis darüber zu wischen, gar sich vorzubeugen und sie weg zu küssen. Aber alles worin das langfristig geendete wäre, wären mehr Schmerzen für ihn selbst und noch mehr Verwirrung in Laws wohl ohnehin schon chaotischem, überlastetem Kopf. Somit erhob Penguin sich wieder – ohne einen weiteren Körperkontakt. Und auch in den kommenden Stunden und Tagen sollte sich dieser nur auf das Notwendigste beschränken, gar nach und nach sogar gänzlich ausbleiben. Die Medikamente schienen Wirkung zu zeigen. Laws Fieber sank und auch seine Schmerzen nahmen ab, sodass er sich wieder wesentlich eigenständiger bewegen konnte. Penguin sah also keinen objektiven Anlass mehr, den Jüngeren noch irgendwie anzufassen – dass er selbst dies aus anderen Gründen nur zu gerne weiterhin getan hätte, versuchte er mehr denn je zu verdrängen und Law unter keinen Umständen zu zeigen. Und auch umgekehrt unterdrückte der Arzt jeden Gedanken an die Nähe des Anderen. Er wollte nicht zulassen, dass er selbst sich weiter danach sehnte. Trotz allem was Penguin gesagt hatte, als er ihn hatte weinen sehen. Überhaupt wurde auch das nicht mehr angesprochen, sodass sich zwischen ihnen eine merkwürdige Distanz aufbaute – zu der sie sich beide ungewollt zwangen, nur weil sie befürchteten, dem jeweils Anderen zu schaden, wenn sie es nicht taten. Es gab nur einen Augenblick, knapp eine Woche später, an dem Penguin diese krampfhaft aufgebaute Distanz für einen Augenblick vergaß. Law ging es inzwischen wieder recht gut, auch wenn er noch etwas wackelig auf den Beinen war. Dennoch wusste er selbst, dass er noch nicht völlig genesen war und daher das Bett noch eine Weile hüten sollte. Ansteckend war er nicht mehr, da war er sich nach eigener Aussage sicher. Allerdings wollte er auch hier nichts riskieren. Penguin, der bis heute kein Zeichen einer Ansteckung gezeigt hatte, stimmte dem zu, sodass er, auch wenn er nun nachts wieder in seiner Kajüte schlief, weiterhin seinen Käpt’n mit Nahrung und Tee versorgte. So war er auch an diesem Vormittag in der Kombüse gewesen und gerade zur Kapitänskajüte zurückgekehrt, als er diese verlassen vorfand. Starr blickte er auf das leere Bett. Unwohlsein und Sorge stiegen in ihm auf und verdrängt völlig das Wissen, dass Law längst nicht mehr so kraftlos war, wie noch vor einigen Tagen. Bis dato war er weiterhin stets an seiner Seite gewesen, wenn der Jüngere aufgestanden war. Sicher war sicher. Doch jetzt? Wo war er? Penguin wirbelte hastig herum und blickte den Flur entlang: „Law?!” Er hörte eine Tür aufgehen und drehte sich in Richtung Toilettenraum. Und tatsächlich, es war sein Käpt’n, der dort herausspazierte und sich dabei den wohl noch etwas schmerzenden Nacken rieb. Einmal mehr unüberlegt und impulsiv handelnd spurtete er festen Schrittes auf ihn zu. „Du sollst nicht alleine herumlaufen! Was wenn du doch nochmal zusammenklappst und dich dabei verletzt? Schon vergessen, dass dir gestern noch zweitweise schwindelig war?”, fuhr er den Jüngeren an. Dieser wollte antworten, als Penguin ihn schon ohne Ankündigung zum unzähligsten Male hochhob und zurücktrug. „Du bist wie ein Sack Flöhe!”, schimpfte er dabei. „Penguin, lass mich runter! Ich bin nicht mehr so krank!” Auch Laws Stimme hatte wieder an Kraft gewonnen, ebenso wie seine Hände, die nun wie zu Anfang versuchten sich gegen das Getragenwerden zu wehren – doch immer noch vergeblich. „Aber auch noch nicht völlig gesund!” Mit dem Fuß stieß Penguin die massive Kabinentür hinter sich zu, bevor er Law auf dem Bett absetzte. „Gesund genug um alleine Pinkeln zu gehen! Ich brauche deine scheiß Hilfe nicht!” Kaum, dass er dies wütend von unten zu Penguin hoch gegiftet hatte, wurde sein eigener Gesichtsausdruck entsetzt. Das hatte er nicht sagen wollen. Er empfand doch eigentlich unsagbare Dankbarkeit dem Älteren gegenüber, für alles was er in den letzten Tagen für ihn getan hatte. Wie konnte er dann plötzlich nur wieder so reagieren? Es schockierte ihn selbst. Penguins wütender Blick jedoch, wich einem etwas traurigen. Er wandte den Kopf ab. „Da hast du wohl Recht. Mein Fehler. Ich bin zu sehr noch in dieser Rolle drin.” Wie sehr ihn Laws Worte getroffen hatten, war dennoch unübersehbar. „Ich… das meinte ich nicht so. Entschuldige.” Law sah ebenfalls zur Seite. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dir noch Sorgen machen würdest, wenn ich jetzt alleine aufstehe.” Ein schnaufendes Lachen kam von Penguin: „Pff, nein, natürlich nicht. Dass ich und die Anderen uns immer um dich Sorgen machen würden, habe ich auch nur so gesagt.” Law wusste, dass er da Sarkasmus zu hören bekam. Er wollte jedoch nicht auf gleiche Weise reagieren, wie er es wohl sonst getan hätte und zeigte sich weiter unerwartet reumütig: „Es tut mir wirklich leid. Ich bin… dir wirklich dankbar für alles, was du für mich getan hast.” Er wurde beim Sprechen wieder leiser. Penguin sah aus dem Augenwinkel wieder zu ihm hinab. Eigentlich hatte er eher damit gerechnet, dass der Arzt anders reagieren würde. Doch nun saß er sichtlich schuldbewusst da, den Blick weiter zu Boden gerichtet. Auch wenn Laws Worte ihn eben getroffen hatten: Er konnte ihm bei diesem Anblick nicht länger böse sein. Es kam schließlich auch nicht alle Tage vor, dass der Jüngere sich so zeigte. „Er hat mich wirklich völlig um den Finger gewickelt. Bei dem Blick würde ich ihm nahezu alles sofort verzeihen”, ging es Penguin durch den Kopf, wobei ihm klar war, dass Law sich aufrichtig so verhielt und es keine Masche von ihm war, nur um ihn zu besänftigen – dafür war er nicht der Typ. Aber gerade diese Aufrichtigkeit und sichtbare Reue ließ das Herz des Älteren einmal mehr flattern, sodass er es innerlich gewaltsam beruhigen musste. „Ist schon okay”, er versuchte zu lächeln, „mir tut es auch leid. Ich muss wirklich aufhören dich weiter so zu umsorgen. Es ist einfach nur gerade noch so drin.” „Wen wundert’s? Du hast mich ja vor einer Woche auch noch in einer ganz anderen Verfassung erlebt.” Es war klar, dass Law, der weiterhin nach unten blickte, an jene Augenblicke dachte, in denen seine Beine versagt hatten, er sich hatte übergeben müssen, er zu schwach gewesen war, um selbstständig zu essen oder sich gar zu waschen, und besonders natürlich an die Tränen, die er dem Anderen unfreiwillig offenbart hatte – all diese Momente, die ihn so hilflos und zerbrechlich hatten wirken lassen. Penguin konnte sich denken, dass es gerade ihm immer noch schwer fiel, sich so gezeigt zu haben. Entsprechend bemühte er sich nun, es herunterzuspielen: „Vergiss das. Das liegt jetzt in der Vergangenheit. Und du warst einfach nur krank, das ist alles.” „Hmm”, war alles was Law dazu von sich gab. Penguin versuchte vom Thema abzulenken: „Verdammt, es ist zu heiß hier.” Law sah auf und beobachtete, wie er sich mit dem ärmellosen Top Luft zufächelte. Anschließend blickte er zum Fenster, hinter dem es dunkel war. Er konnte dem nicht widersprechen, wobei er froh war, dass Penguin nicht gesehen hatte, wie er sich vor drei Nächten im Bett hin und her gewälzt hatte, als sein restliches Fieber gefallen war. Dadurch war ihm so heiß gewesen, dass er pausenlos nach der kühlsten Stelle unter und über der Bettdecke gesucht hatte. Bei genauerem Überlegen musste das ein sehr merkwürdiges Bild abgegeben haben. „Stimmt. Ist es wirklich. Wir könnten auch wieder auftauchen.” Law blickte auf seine Handinnenfläche: Sicher war er noch nicht wieder ganz bei Kräften, aber die Wärme wurde zweifellos bereits im ganzen Schiff unangenehm. Besonders Bepo litt wahrscheinlich enorm. „Na ja, noch geht es”, Penguin zog sein Shirt aus und warf es über den Schreibtischstuhl, nicht bedenkend, dass er damit augenblicklich wieder Laws Augenmerk auf sich zog. Dem Arzt wurde nun seit Langem aus einem ganz anderen Grund wieder warm, sodass auch er drauf und dran war, sein T–Shirt auszuziehen. Allerdings klopfte es im selben Augenblick. Penguin ging unbeirrt zu Tür. Laws Blick folgte ihm, stets auf seine Rückenmuskulatur und sein Tattoo auf dem rechten Schulterblatt gerichtet. Wie gewohnt öffnete er die Tür einen Spalt, als auch schon jemand Laws orangene Eisbärtasse und die Tageszeitung hereinreichte. „Hier bitte, Bazillenschleuder.” Es war Shou, wie Law an der Stimme festmachte. Allerdings war es vorallem die Bezeichnung, die ihn stutzig werden ließ. „Hör endlich auf mich so zu nennen!” Penguin rollte genervt mit den Augen. Der Rothaarige war einer der Wenigen an Bord, die diesen Spitznamen konsequent bis heute durchgezogen hatten. „Niemals, Bazillenschleuder.” Shous Grinsen konnte Law trotz verwehrtem Sichtkontakt deutlich hören. Penguin schloss die Tür daraufhin schroff: „Geht der mir damit auf die Nüsse.” „Ist der Name auf seinem Mist gewachsen?”, wollte Law wissen, der ihn bisher noch nicht zu hören bekommen hatte. „Ja, schon kurz nachdem du krank wurdest und sich herausgestellt hat, dass ich dich angesteckt habe.” Penguin stellte grimmig die Teetasse auf dem Nachttisch ab, bevor er die Tageszeitung zu dem Stapel auf dem Schreibtisch legte. Jeden Tag hatte Ban oder einer der Anderen für ihren Käpt’n die Zeitung gekauft, allerdings war dieser erst seit zwei Tagen wieder daran interessiert, sie zu lesen, sodass er noch etwas Nachholbedarf hatte. „Sie wissen das alle?” Auch das war Law entgangen. „Ja, aber natürlich nicht wie. Und das werden sie auch nie erfahren.” Der Ältere konnte sich denken, dass er dies befürchtete. Doch scheinbar war Law schnell mit den Gedanken wieder ganz woanders und schmunzelte nun amüsiert: „Bazillenschleuder also. Fachlich betrachtet völlig falsch, aber irgendwie trotzdem lustig.” Penguin kehrte auf seine Bettseite, auf der Law immer noch saß, jedoch inzwischen seine Schuhe ausgezogen und ein Bein angewinkelt auf die Matratze gezogen hatte, zurück. „Mach dich nicht noch darüber lustig! Heb’ es lieber bei der nächsten Gelegenheit auf.” Wie sehr Penguin der Spitzname nach wie vor missfiel, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Law sah zu ihm hoch, als er nun so vor ihm stand: Halbnackt. In den letzten Tagen war es ihm furchtbar gleichgültig gewesen, wie viel Kleidung der Andere getragen hatte, doch nun spürte er mehr und mehr wieder das körperliche Verlangen, das bei diesem Anblick auch sonst schnell in ihm aufgelodert war. Seine Erregung ließ sich für ihn gerade nur schwer kontrollieren. Und Penguin hatte nur davon gesprochen, dass er nicht wollte, dass er aufgrund seines Vertrauensmangels nochmal mit Shachi schlief. Von ihm selbst hatte er nie etwas gesagt. Er hielt kurz inne, bevor er für Penguin unerwartet dreckig grinste und ihn abrupt mit zwei Fingern am Bund seiner Hose zu sich zog: „Das mache ich nur gegen Bezahlung. Ich nehme aber nur eine Art von Naturalien als Bezahlung an.” Was Law wollte war nicht nur klar verständlich sondern auch vor allem überraschend, hatte Penguin selbst an das Thema Sex, das sie eigentlich erst so eng zusammengebracht hatte, kaum noch gedacht. Es war nicht so, dass Law irgendetwas an seiner sexuellen Attraktivität eingebüßt hatte. Inzwischen sah er kaum noch kränklich aus und hätte durchaus wieder einige lüsterne Blicke an Land auf sich gezogen. Aber dennoch spielte es für den Älteren gerade keine Rolle. Laws gesamtes Wohlbefinden war ihm um ein Vielfaches wichtiger, als ihm nur diese körperliche Befriedigung zu geben. Doch scheinbar war der Arzt zu dem Standpunkt zurückgekehrt, dass es nicht mehr zwischen ihnen gab. Natürlich nicht. Wie auch? Nur von seiner eigenen Seite aus, war da mehr, das wusste Penguin doch. Aber er wollte dort jetzt nicht weitermachen, fasste mit ernster Miene Laws Hand und zog sie von seiner Hose weg: „Vergisse es! So gesund bist du noch nicht. Lieber behalten ich den Spitznamen bis an mein Lebensende, als Schuld daran zu sein, wenn es dir danach wieder schlechter geht.” Mit dieser Reaktion hatte Law nun nicht gerechnet. „So schlapp bin ich wirklich nicht mehr”, konterte er irritiert. „Und wenn schon. Ich gehe da kein Risiko ein.” Penguin ging wieder ums Bett herum und zog sein Shirt wieder an, wohl ahnend dass es ein Fehler gewesen war, es auszuziehen. Dass er für sich in den letzten Tagen beschlossen hatte, nie wieder mit seinem Käpt’n zu schlafen, behielt er weiter für sich. Es erschien ihm einfach falsch, wo er doch zu wissen glaubte, wie Shachi und Law für einander empfanden. Law, der ihm abermals nachsah, wollte etwas sagen, als es erneut klopfte. Wiederum öffnete Penguin. „Kann ich mit ihm reden?” Shachis Stimme klang deutlich vom Flur herein. Penguin sah zurück in den Raum und zu Law hinüber. Dieser wusste, dass Penguin und Shachi ihren Streit wohl mehr oder weniger beigelegt hatten und Letzterer dennoch den Wunsch verspürte unter vier Augen mit ihm zu reden. Vermutlich über das was zwischen ihnen passiert war. Bisher hatte Penguin ihm dies weiter verwehrt, da er Laws Verfassung als zu schlecht betrachtet hatte, was diesem sehr entgegen gekommen war. Und immer noch scheute Law sich innerlich davor, Shachi auch nur anzusehen. Aber letztlich wusste er, er musste es früher oder später tun und zu seinem Fehler stehen. Er nickte. Penguin öffnete die Tür gänzlich und Shachi trat ein. Augenblicklich trafen sich sein Blick und der seines Käptn’s. Eine unangenehme Atmosphäre entstand. Diese wurde für Law auch nicht angenehmer, als Penguin sich abwandte. „Ich lass euch alleine. Soll ich Bepo sagen, dass wir auftauchen sollen, Käpt’n?” Innerlich erstarrte Law als Penguin ihn nun erstmals wieder mit seinem Titel ansprach. Aber es war wohl Zeit, sich wieder daran zu gewöhnen. Er nickte nur. Penguin sah noch mal Shachi an: „Pass auf, dass er im Bett bleibt, Shachi. Er soll sich ganz auskurieren.” Damit war der Älteste zur Tür hinaus. Am liebsten hätte Law ihn zurückgerufen. Aber wozu? Um sich hinter ihm zu verstecken? Das war albern. Und wer wusste, wie Penguin reagieren würde, wenn er erfahren würde, was wirklich zwischen ihnen vorgefallen war? Shachi zog seine Mütze vom Kopf und sah auf die Tür hinter sich: „Ich wollte ihn nicht vertreiben. Ich beeile mich mit dem was ich sagen will und schicke ihn dann zurück.” „Blödsinn. Der saß hier in den letzten Tagen lang genug herum und wird froh sein, wenn er mal eine Weile was anderes machen kann.” Law bewegte das Bein wieder vom Bett. „Ich habe ihn ganz schön in Beschlag genommen, weil ich nicht wollte, dass sonst noch jemand in meine Nähe kommt und sich möglicherweise ansteckt.” Seine Scham, sich anderen in seinem Zustand der letzten Woche zu zeigen, erwähnte der Chirurg bewusst nicht. Shachi sah wieder zu ihm hinüber: „Er hat das gerne gemacht und hätte sich das auch nicht einfach so aus der Hand nehmen lassen.” Verwundert blickte Law zurück: „Das hat er mir auch gesagt. Aber wer macht so einen Drecksjob gerne?” Shachi kam zwei Schritte auf ihn zu: „Niemandem von uns hätte es etwas ausgemacht, diesen Job zu machen, Käpt’n. Und ihm am allerwenigsten.” Law schnaufte: „Seine Hilfsbereitschaft ist wirklich immens.” „Das auch”, antwortete Shachi nach kurzem Zögern. „Auch?” Wieder war der Ältere verwirrt. „Rede darüber mit ihm. Ich wollte mit dir nochmal wegen etwas anderem sprechen”, winkte der Rotbraunhaarige ab, wobei seine Stimme unsicherer klang. Law sah wieder zu Boden: „Das habe ich mir schon gedacht. Es tut mir immer noch leid, was passiert ist, Shachi.” „Das braucht es nicht!” Fast schon empört überbrückte der Jüngere die letzte Distanz zwischen ihnen und stand nun direkt vor Law, seine Mütze mit beiden Händen fest vor sich umklammernd. „Ich habe mich auch falsch verhalten, weil ich nie etwas gesagt habe und dich einfach habe machen lassen.” Law sah nicht auf: „Selbst wenn. Als Käpt’n ist es auch meine Aufgabe, meine Mannschaft vor Schaden zu bewahren. Aber in deinem Fall habe ich genau gegenteiliges getan.” „Vielleicht, aber ich war mit Schuld daran. Und ich bin wirklich kein Stück sauer auf dich oder ähnliches.” Shachi war sichtlich unruhig. Nun blickte Law doch zu ihm auf. Seine kühlen Augen beruhigten Shachi jedoch nicht gerade. „Du hättest allen Grund dazu. Ich weiß, dass ich dich mehr oder weniger gezwungen habe, mit mir zu schlafen und deine Nachgiebigkeit ausgenutzt habe”, antwortete Law. „Du hast mich keine Sekunde dazu gezwungen! Das hatte ich dir doch schon gesagt!” Der Jüngere klang fast verzweifelt. „Shachi, du wolltest es nie. Rede dir nicht selbst das Gegenteil ein”, versuchte der Andere gegen zu lenken. „Doch! Ich wollte es, aber”, schoss es daraufhin aus Shachi heraus, „habe es nie zeigen können, wie es vielleicht Penguin kann. Überhaupt werde ich nie so sein wie er, auch wenn ich es gerne wäre. Aber stoß mich bitte deswegen nicht ganz von dir!” Seine Worte überrumpelten den Arzt völlig. Er hatte es gewollt? Er sehnte sich danach, wie sein bester Freund zu sein? Er wollte nicht abgewiesen werden? Law hatte Schwierigkeiten darauf zu reagieren: „Ich stoße dich nicht weg. In keiner Form. Ich will dir nur nicht wieder wehtun.” „Ich weiß, dass du das nicht willst. Und ich habe gemerkt, dass du es wieder gutmachen wolltest, mit dem Fest… und dem Stein. Der ist übrigens sehr schön. Danke dafür.” Shachi lächelte etwas und wurde ein wenig rot. „Bitte. Ich hätte ihn dir gerne selbst gegeben. Aber ich wusste nicht, wann es mir wieder besser gehen würde.” Dass er anfangs in seiner missmutigen Stimmung sogar damit gerechnet hatte, zu sterben, erwähnte Law nicht. Shachi reagierte für einen Moment nicht. In seinem Kopf tobten die Gedanken. Noch immer war er sich mehr als sicher, dass Penguin nicht weniger für ihren Käpt’n empfand als er selbst. Und ungern wollte er seinen Freund verletzen. Auch wenn er es nicht wusste und Penguin nicht mehr mit ihm darüber geredet hatte, auch nicht als sie sich kürzlich mehr oder minder nach ihrem Streit etwas ausgesprochen hatten, vermutete er immer noch, dass dieser und der Arzt sich in den letzten Tagen auf einer Ebene nahe gekommen waren, auf der er sich selbst nur zu sehr die Nähe zu seinem Anführer wünschte. Doch vermutlich war er Lichtjahre davon entfernt. Auch wenn er eben gesagt hatte, er wolle ihn nicht wegstoßen. Aber was wenn er sich irrte und da doch nichts zwischen ihm und Penguin war? Vielleicht hatte er dann doch eine winzige Chance. Sollte er seinen Käpt’n einfach danach fragen? Nein. Unmöglich. Und wie er ihn so stumm und innerlich grübelnd ansah, kam Shachi nur eins in den Sinn, um eine Antwort zu finden. „Aber jetzt geht es dir wieder besser? Penguin sagte heute früh, dass du wieder recht fit bist.” Seine Frage klang fast schon verdächtig belanglos. Law musste kurz lachen: „Das sagt er euch also, aber mich behandelt er immer noch, als könnte mich jeder leichte Windzug umhauen. Dabei fühle ich mich wirklich wieder gesund.” Nun gut, sicherlich stimmte das nicht ganz. Immer noch spürte Law den ein oder anderen Knochen und fühlte sich etwas schläfrig. Aber man musste aus einer Mücke keinen Elefanten machen. Shachi schien diese Antwort zu genügen. Zumindest antwortete er nicht, ging stattdessen zur Tür und schloss ab. Wieder verwirrt beobachtete der Schwarzhaarige ihn: „Was soll das jetzt, Shachi?” Wollte er etwa das, was Penguin ihm, Law, eben ausgeschlagen hatte? Ungewohnt zielstrebig, aber irgendwie doch unsicher wirkend kehrte er zurück, warf seine Mütze auf Laws Bett und blieb wieder vor ihm stehen. Der Ältere erstarrte, als sein Gegenüber die Finger seiner rechten Hand zu ihm hinunter streckte, sanft auf seine Brust legte und leicht darüber strich. Er blickte von der Hand auf seinem T-Shirt Shachis Arm entlang hinauf in sein Gesicht, das ihn entschlossen ansah: „Lass mich dir bitte zeigen, dass du mich nie gezwungen hast.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)