☾ Mikadzuki-ko von Mimiteh (Fortsetzung zu "☾ Mikadzuki") ================================================================================ Prolog: Fünf Jahre zuvor... --------------------------- Zerfledderte Wolkenfetzen jagten über den verblassenden Mond, von der aufgehenden Sonne in ein rotes Licht getaucht, das sie wie Blutschlieren wirken ließ. Es war ein stürmischer Morgen, in der Nacht noch hatte es ein Gewitter gegeben. Eine Gestalt, die mit gesenktem Kopf an einem Baumstamm lehnte, wusste das nur zu gut, triefte doch ihr langes Haar noch vor Nässe. Das Nass auf ihren blassen Wangen aber waren Tränen, bittere, salzige Tränen. Die schmalen Schultern der Gestalt zitterten, als sie ein wenig hochblickte, zum Himmel schielte. Das Gesicht wirkte jung, man hätte es einer Vierzehn-, Fünfzehnjährigen zugeordnet. Ihre Gedanken kehrten zurück in die Nacht. Die Dunkelheit war gerade hereingebrochen, da hatte es sie eingeholt. Das, was sie vor Monden aus ihrem Heim fortgetrieben hatte, was sie sich hatte verstecken lassen, hatte sie eingeholt. Als die ersten Blitze des Gewitters über ihrem Kopf gezuckt hatten, war sie von den Schmerzen niedergerungen worden. Sie war auf sich allein gestellt, auf das, was ihr instinktiv gegeben war. Und sie hatte es geschafft. Es ruhte nun in ihrem Arm, klein und hilflos – das Baby, das sie heute Nacht geboren hatte. Wieder rannen Tränen über ihr Gesicht, als sie mit zitternden Fingern durch das Haar ihres Neugeborenen strich. Schwarzes Haar, Menschenhaar. Und doch zeigten die kleinen, tierisch anmutenden Ohren oben auf dem Kopf, dass es sich keineswegs um einen Menschen handelte. Wie auch, sie war schließlich eine Dämonin – und doch die Mutter dieses kleinen Wesens. Dieses Wesen war ein Hanyô. Ein kleines, hilfloses Hanyômädchen. Und sie, die Mutter, wäre niemals in der Lage, es aufzuziehen. Es war schon ein Wunder, dass sie es die letzten Monate geschafft hatte, sich zu verstecken, dass ihre Familie sie nicht aufgespürt hatte. Im Aufgabeln etwaiger Vermisster war ihre Familie gut. Und selbst allein, ohne das Kind, konnte sie nicht einfach zurück. Man würde von ihr eine Erklärung für ihr Fernbleiben verlangen. Sie wusste nur ein Familienmitglied, das sich eventuell mit einer Halbwahrheit abspeisen ließ, wenn es ihr gelingen würde, den richtigen Ton zu treffen. Zuvor aber musste sie so oder so das Kind loswerden. Während der vergangenen Monate hatte sie mehr als einmal damit geliebäugelt, es nach der Geburt einfach umzubringen, aber dazu wäre sie nicht fähig gewesen. Nicht, nachdem sie auch nur einen Blick auf ihr Neugeborenes erhascht hatte. Stattdessen barg sie es nun schon seit Stunden, notdürftig in ihren Haori gewickelt, in ihrem Arm und überlegte, was sie tun könnte. Ihr dünner Unterkimono war vom getrockneten Schweiß bretthart. Aber sie beachtete es nicht. Ihre Gedanken suchten verzweifelt nach einer Lösung. Eigentlich gab es nur eine einzige Möglichkeit. Der Vater. Sie musste es dem Vater bringen. Aber ob der wirklich für die Kleine sorgen würde, das konnte die junge Mutter nicht abschätzen. Ein bitterer Ausdruck huschte über ihr Gesicht, als sie an ihn dachte. Ihn, der ihr noch vor ein paar Monaten in jugendlicher Unvernunft alles bedeutet hatte. Sie hatten sich nicht lange gekannt. Und das war wohl der Fehler gewesen. Jenseits des Bannkreises war das ein Fehler gewesen. Wieder glitten ihre Gedanken weg, kehrten in jene Tage zurück, als sie ihn kennenlernte. An der Nordostspitze von Hokkaidō, entfernt von den größeren Siedlungen, wo öfter Dämonen unterwegs waren, um sich die neusten ‚Errungenschaften‘ der Menschen anzuschauen, sie zu billigen oder darüber zu spotten, da war es gewesen. Er war mit einer Menschengruppe dort draußen gewesen, die ‚historischen‘ Urlaub versprach. Für die Urlauber bedeutete dass, dass sie unter freiem Himmel schliefen, über dem offenen Lagerfeuer kochten und sich von der meisten Technik fernhielten. Er war der Sohn desjenigen, der dieserart Abenteuer-Führungen organisierte. Obwohl auch die junge Dämonin sich normalerweise von Menschen fernhielt, wenn sie schon hier, jenseits des Bannkreises herumstreunte, so war sie diesmal angelockt worden. Sie hatte eine Biwa gehört und eine Melodie, die wunderschön klang. Jemand spielte das traditionelle, japanische Musikinstrument mit höchster Perfektion. Natürlich war das er gewesen. Die junge Dämonin war näher gekommen, hatte zugehört. Und hatte ihn gesehen. Fasziniert nun, das hatte zuerst eher sein Spiel und erst in zweiter Linie er selbst. Schließlich hatte sie sich dazugesellt, unauffällig. Zum Glück war sie gerade noch geistesgegenwärtig genug gewesen, zu verbergen, was sie war. Sie hatte ihre Ryūteki hervor geholt und mitgespielt. Anscheinend hatte niemand sich gewundert, wo sie herkam. Nun, die meisten Abenteuerurlauber waren auch schon leicht angescheikert gewesen. Der gute alte Sake wurde von diesen Truppen gerne mal unterschätzt. Er dagegen war noch völlig nüchtern gewesen. Als die anderen längst schliefen, waren sie beiden rund um das Schlaflager spazieren gegangen. Es war Spätsommer gewesen. Er hatte sie gefragt, wo sie auf einmal her kam und sie hatte gelogen, sie käme aus einer der kleineren Siedlungen in der Nähe. Sie wusste nicht, ob er ihr das geglaubt hatte, denn im nächsten Augenblick waren sie von einem scheinbar streunenden Wolf aufgespürt worden. Ihr war klar gewesen, dass der zu den Grenzwachen gehörte, kein ‚normaler‘ Wolf war. Unwillkürlich hatte sie ihn mit einem leisen Knurren verscheucht – und sich damit verraten. Er hatte erraten, was sie wirklich war. Eine Youkai. Nach seinen Worten war ihm ihresgleichen schon öfter begegnet, hier draußen. Es war ihr nicht schwer gefallen, das zu glauben. Nicht jeder tarnte sich. Die nächsten zwei Tage war sie mit der Gruppe weitergezogen, sie hatte des Abends seine Lieder mit der Drachenflöte begleitet und nachts waren sie um das Lager gestrolcht. Sie hatte ihre Tarnung fallen gelassen, sobald sie allein waren. Schon am zweiten Tag war eine Vertrautheit zwischen ihnen gewesen, die sie nicht hatte erklären können. Am vierten Tag hatten sie sich geküsst. Verliebt war sie da längst gewesen. Als er am nächsten Mittag in die Stadt zurückkehrte, seine Reisegruppe abzuliefern und die nächste abzuholen, war sie in den Wäldern geblieben. Als er zwei Tage später zurückehrte, hatte sie sich wie selbstverständlich wieder angeschlossen. So auch bei der dritten Reisegruppe. Als sie wieder einmal ihre Runde machten, hatte er ihr eröffnet, dass das die letzte Reisegruppe für dieses Jahr gewesen war. Den Herbst und Winter über würde er in der Stadt bleiben. Fünf Monate sollte sie ihn nicht sehen. Es war Verzweiflung dabei gewesen, dass sie es in diesen Nächten weiter getrieben hatten, über das Küssen hinaus. Und dann war er weg gewesen. Tage später hatte sie gemerkt, dass diese Nächte nicht spurlos an ihr vorbei gegangen waren. Von da an hatte sie sich niemandem mehr gezeigt, war nicht hinter die Bannkreise zurückgekehrt. Als im Frühling die ersten Gruppen kamen, hatte sie auf ihn gewartet. Endlich war da wieder das Spiel der Biwa gewesen. Seine unverkennbaren Melodien, seine sicheren Griffe. Voller Hoffnung hatte sie sich des Abends angeschlichen und wie so oft dazugesetzt. Doch diesmal war noch jemand anders wenig betrunken gewesen, eine junge Frau, etwa in seinem Alter, also an die zwanzig, die er offenbar näher kannte. ‚Ach, da ist ja unsere Waldläuferin‘ An seine Worte erinnerte die junge Dämonin sich noch ganz genau. ‚Schau, Ayano, ich sagte doch, sie wird wieder auftauchen‘ Die junge Dämonin hatte nicht so recht gewusst, was sie von dieser Reaktion halten sollte. Aber sie hatte es hingenommen, hatte wieder ihre Flöte herausgeholt und mitgespielt. Irgendwann war auch die Ayano genannte in ihrem Schlafsack verschwunden und die junge Dämonin schloss sich ungefragt seiner Lagerrunde an. Als sie ihm erzählte, was geschehen war, wollte er ihr zuerst nicht glauben. Einer Dämonin sah man es im fünften Monat nunmal noch nicht so wirklich an. Die Ratlosigkeit, der Kummer der vergangenen Monate war über sie hinein gebrochen, sie hatte ihn angebettelt, ihr beizustehen, an ihrer Seite zu bleiben. Mensch hin oder her. Sie hatte ihn geliebt, hatte nichts anderes als seine Hilfe, seinen Beistand verlangt. Da war er plötzlich reserviert geworden. Sie hatte die Nerven verloren, hatte ihn mit den Klauen an einen Baumstamm gedrängt, bedroht. Immerhin war es sein Kind, mit dem sie gestraft war. Und da war er endlich ehrlich gewesen. Ayano und er gehörten zusammen, sie waren verheiratet, seit dem Winter. Schon davor hatten sie sich jahrelang gekannt. Die junge Dämonin hatte all ihre Felle davonschwimmen sehen. In diesem Moment hätte sie ihn umbringen mögen. Ihre Klauen hatten sich schon in seine Haut gegraben, da hatte sie sich doch noch zurückgehalten. Zurückgejagt hatte sie ihn und war verschwunden. Und jetzt saß sie hier. Mit dem Kind im Arm. Es war Abend geworden. Die Tränen waren versiegt. Sie spürte nur Leere. Mit bekümmerter Miene sah sie auf das kleine Wesen hinab, das sie aus grünlichen Augen anblinzelte. „Musume…“, hauchte die junge Dämonin unwillkürlich und strich der Kleinen mit dem Finger über die Stirn. Dann bohrte sie kurzerhand eine Klaue in ihre eigene Handfläche, nahm mit der Fingerspitze das hervorquellende Blut auf, strich es rund um das eine, schmale Handgelenk der Kleinen. „Kakushi…“, murmelte sie leise und die Blutspur begann leicht zu glimmen, materialisierte sich zu einem schmalen, roten Armband. Gleichzeitig verschwanden die tierischen Ohren des kleinen Hanyômädchens, ging ihre noch recht schwache Ausstrahlung verloren. „So bist du geschützt meine Kleine. Mehr kann ich nicht für dich tun, wenn du überleben sollst…“, flüsterte sie und nun flossen die Tränen doch wieder. Das Baby gähnte und begann leise zu quengeln. Erstickt begann die junge Dämonin zu summen, schließlich zu singen. „Lay down your head and I'll sing you a lullaby, back to the years of loo-li, lai-ley. And I'll sing you to sleep, and I'll sing you tomorrow, bless you with love for the road that you go… May you sail fair to the far fields of fortune, with diamonds and pearls at your head and your feet. And may you need never to banish misfortune, may you find kindness in all that you meet… May there always be angels to watch over you, to guard you each step of the way, to guard you and keep you safe from all harm - Loo-li, loo-li, lai-ley… May you bring love and may you bring happiness, be loved in return to the end of your days. Now fall off to sleep, I'm not meaning to keep you - I'll just sit for a while, and sing Loo-li, lai-ley… May there always be angels to watch over you, to guard you each step of the way, to guard you and keep you safe from all harm - Loo-li, loo-li, lai-ley. Loo-li, loo-li, lai-ley…” Tatsächlich war das Kind gleich darauf eingeschlafen. Die junge Dämonin erhob sich, presste das Kleine fest an sich. Dann machte sie sich auf den Weg in die einzige, große Siedlung in der Nähe. Nemuro. Seine Heimatstadt. Sie kam schnell voran, die Stunden des Nachdenkens hatten gereicht, ihre Kräfte genug wiederherzustellen, dass sie deutlich schneller als ein Mensch war. Und das getrocknete Blut auf ihrer Kleidung würde höchstens den Straßenhunden auffallen, die es wittern konnten. Es war bereits zu dunkel, als dass Menschen es gesehen hätten und sie erinnerte sich gut genug an das Logo auf seiner Kleidung um den Hinweisschildern am Stadtrand folgen zu können. So kam sie schnell voran. In den Schatten eines Hauseingangs gelehnt wartete sie, mühsam ihre Ungeduld bezähmend. Es waren nicht mehr viele unterwegs. Da ging auch im Büro das Licht aus. Die junge Dämonin wusste, wie solcherart ‚Zauber‘ funktionierten, sie kümmerte sich darum genau so wenig, wie um die luftverpestenden, selbstfahrenden Fuhrwerke überall. Da ging die Tür auf, er trat heraus. In der neumodischen Kleidung hätte sie ihn kaum erkannt, zumal sein jetziger Aufzug sie wieder leicht aus der Fassung brachte. Die blaue Hakama und der zerschlissene, graue Haori, den er während seiner Touri-Reisen immer trug, verbargen seine Gestalt nun einmal weit mehr. Weit mehr als das weiße Hemd, über dem er – dem warmen Wetter geschuldet – nur eine helle Weste trug. Auch die Stoffhose war nicht so bauschig wie eine Hakama. Einmal mehr wurde ihr bewusst, was sie schlussendlich angezogen hatte, an ihm. Er war eindeutig gut gebaut – natürlich, ein Youkai war vollkommener, aber… für einen Menschen… – Wie dem auch sei. Sie konnte, nein, sie durfte sich jetzt nicht damit aufhalten. Mühsam rang sie um Fassung. Der ganze Hass, den sie ob ihrer Erniedrigung empfand, er kämpfte in ihr mit den Gefühlen, die sie immer noch für diesen Idioten hegte. Es war ja nicht so, als sei er ihr plötzlich egal. Aber er hatte ihr mehr als klar gemacht, dass sie ihm keineswegs etwas bedeutete. Und außerdem… die klare, jugendliche Liebe, die sie für ihn empfunden hatte, die war auch nicht mehr da. Sie verkrampfte die Finger um eine Falte des Haoristoffes, in den ihre Tochter gehüllt war und atmete tief durch, um sich endlich wieder im Griff zu haben. Es gelang ihr halbwegs. Kurz wartete sie ab um herauszufinden, in welche Richtung er sich wenden würde. Er kam genau in ihre Richtung. Für einen Moment musterte sie sein Gesicht, die Lippen die so oft auf ihren gelegen hatten. Ein schmerzhaftes Brennen zuckte durch ihre Brust, aber sie ignorierte es mühsam. Als ob sie nicht die letzten Monate genug Zeit gehabt hatte, sich mit den Gedanken vertraut zu machen, dass sie ihm nunmal nicht mehr bedeutete, als ein Abenteuer. Rasch legte sie das Kind auf den Boden ab, etwas unsanft, damit es erwachte und zog sich tiefer in den Schatten zurück. Wie erwartet begann das Baby zu quengeln – und er wurde aufmerksam. Verwundert blickte er sich um, entdeckte das Bündel und kniete sich fassungslos hin. „Hat man dich etwa ausgesetzt? Eine Schande…“, murmelte er vor sich hin. Seine Stimme versetzte ihr einen erneuten Stich. Seine Stimme, die so viele zärtliche Worte für sie geformt hatte – und die schuldbewusst und ernst mit wenigen Worten ihr ganzes Weltbild zerstört hatte, damals, vor gerade vier Monaten. „Ebenso eine Schande, wie jemanden sitzenzulassen, der dein Kind austrägt“, zischte die junge Dämonin aus heiterem Himmel, ohne sich zu rühren. Sie hielt die Augen geschlossen. Er zuckte zusammen, sichtlich lief ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken. Erinnerte er sich an ihr letztes Treffen? Jetzt sah er hoch, wollte aufstehen. „Bleib, rühr‘ dich nicht. Ich tue dir nichts“, verlangte die junge Dämonin. Sie wusste nicht, woher ihre Stimme so viel Kalkül nahm, wie es in dem kühlen Ton lag. Vielleicht war es das Bewusstsein, sonst nichts für ihre Tochter tun zu können. Wenn er sie nicht aufnahm, was das das Todesurteil der Kleinen. Hanyô waren nicht gerade beliebt und uneheliche schon gleich garnicht, insbesondere wenn eines oder beide Elternteile aus den gehobenen Kreisen kamen. „Wenn…“, wollte er da wissen, der durchaus herausgehört hatte, dass sie etwas dafür verlangte, ihn zu verschonen. Seine Stimme zitterte ein wenig, ob vor Furcht oder vielleicht doch vor Schuldbewusstsein wusste sie nicht. Aber er verharrte still. „Sie ist ebenso deine Tochter. Ich kann nicht für sie sorgen. Nimm‘ sie mit dir. Sorge für sie“ „Das… das kann ich nicht. Ayano…“ Die junge Dämonin zog eine Augenbraue hoch, ohne die Augen zu öffnen, wohlwissend, dass er das sowieso nicht sehen konnte. Innerlich zitterte sie in einer Mischung aus Abscheu und Furcht. Es war riskant, was sie hier tat. „Hast du sie nicht eben selbst noch für ein Findelkind gehalten?“ Zögernd nickte er. „Siehst du. – Es ist eine Schande, dass du mich allein gelassen hast. Aber nun ist es vielleicht die einzige Chance für unsere Tochter, zu überleben. Nun nimm‘ sie schon“ Offensichtlich eingeschüchtert nahm er das Baby auf, das sich angesichts der Körperwärme gleich beruhigte, legte es an seine Schulter. Seine Stimme war diesmal tonlos, als könnte er selbst nicht glauben, in welcher Situation er sich gerade befand. „Yuri…“ Yuri. Der Name, den sie ihm genannt hatte. Der nicht der ihre war. Aber der einzige, den er kannte. Sie lachte trocken auf. „Du hast mir viel bedeutet, weißt du? Ich hätte dafür gekämpft, dass du als Vater meines Kindes akzeptiert wirst. Aber du hast mich weggestoßen, als ich dich gebraucht hätte, hast mich mir selbst überlassen… An diesem Tag vor vier Monaten… ich hätte dich töten können…“ „Ich weiß…“, murmelte er rau, aber sie fuhr scheinbar ungerührt fort: „… aber ich habe es nicht getan. Damals konnte ich es noch nicht. Seit dem ist Zeit vergangen. Du bist nur ein Mensch. Was immer geschieht, ich bin dir meilenweit überlegen. Wenn der Kleinen etwas geschieht, wenn du dich nicht um sie kümmerst… sei sicher, ich werde es erfahren. Irgendwie“, fuhr sie fort, trat einen Schritt vor. Ehe er sie berühren konnte, war sie an ihm vorbei und mit einem Sprung aus dem Stand auf dem nächsten Hausdach. Zu oft schon hatten diese warmen Hände sie berührt. Wenn sie es noch einmal täten, lief sie Gefahr, ihre Maske endgültig zu verlieren. Innerlich schmerzte es sie doch, ihn so eisig zu behandeln. Er war ihr Liebhaber gewesen, derjenige, dem sie ihre Unschuld geschenkt hatte. Andererseits hatte er sie verraten, hatte es nicht ernst mit ihr gemeint. Dafür würde sie ihn am Liebsten sonst wo schmoren lassen. Wenn er es jetzt wieder nicht ernst meinte, würde sie keine Gnade mehr kennen. So ungewollt das kleine Wesen, dass er nun auf dem Arm trug, gewesen war, sie empfand dennoch eine Bindung zu ihm. Sie konnte es nicht recht erklären, aber sie würde nicht zulassen, dass diesem kleinen Wesen, ihrer Tochter, nur ein Härchen gekrümmt wurde. Aber momentan war sie sicher. Sie sah aus wie ein Mensch, würde leben wie ein Mensch, solange… Eines musste dieser Verräter noch wissen: „Ach, Hibiko?“ Sofort blickte er auf. „Sieh‘ zu, dass sie das Armband niemals verliert“, gab sie ihm mit auf den Weg, ehe sie ihre Gestalt auflöste, in Energieform davonjagte. Wer es sah, erkannte nur einen Lichtblitz. Minuten später war sie zurück in dem Waldstück, in dem sie die letzten Monate verbracht hatte. Auf der schäbigen Lichtung, auf der sie niedergekommen war. Mit einem verzweifelten Schlag grub sie die Klauen in den nächsten Baumstamm, unterdrückte nur mühsam einen vergrämten Schrei, riss die Rinde auf einer breiten Stelle mühelos herunter und sank dann auf den Boden. Sie wusste nicht, woher sie schon wieder die Tränen nahm. Dämonen weinten nur äußerst selten und sie hatte in den letzten Stunden vermutlich mehr Tränen vergossen als andere Dämonen in ihrem ganzen Leben. Da berührte sie plötzlich eine Schnauze an der Wange. Die junge Dämonin zuckte kurz zusammen, dann nahm sie die Witterung wahr. Das war einer der Grenzgänger, der gemischten Grenzwächter, zusammengesetzt aus Mitgliedern aller Dämonenvölker, die unter den Bannkreisen lebten. Vermutlich hatte ihr Blutgeruch ihn angezogen. „Wo kommst du denn her?“, fragte sie erstickt und ließ zu, dass der Fuchs, der dort stand, ihr die Tränen von der Wange leckte. Das Tier fiepte leicht. Unwillkürlich musste die junge Dämonin etwas lächeln. „Du willst wohl, dass ich wieder mitkomme, nicht? Jetzt hat mich endlich jemand aufgespürt. Dein dämonischer Begleiter ist ganz in der Nähe, nicht wahr?“ Während sie leise vor sich hin brabbelte, stand die junge Dämonin auf. Für einen Moment starrte sie auf die abgeschlagene Rinde, die anklagend hell leuchtende Wunde im Baumstamm. Dann seufzte sie abgrundtief. „Also gut. Versuche ich mich wohl mal in Schadensbegrenzung…“, murmelte sie, dann folgte sie dem Fuchs nach Norden, dorthin, wo die Bannkreise lagen, ihre Heimat lag. Es war ein Fehler zu vertrauen, ein Fehler zu lieben… langsam verstehe ich, warum der Inu no Taishou beides nicht tut… Kapitel 1: Ankunft ------------------ Die Sonne brannte heiß auf eine weite, begrünte Ebene hinab. An den Fuß einer Hügelkette schmiegte sich ein kleines Dorf aus wenigen Hütten, die aussahen, wie dem Mittelalter entsprungen. Jetzt, im Hochsommer, am Mittag, wenn die Temperaturen fast unerträglich waren, herrschte nicht gerade reges Treiben. Auch das etwas angedorrt wirkende Kräuterfeld hinter der Siedlung lag verlassen da. Auf einer, aus einem Baumstamm geschnittenen, Bank, vor einer der Hütten, saß eine junge Frau in der traditionellen Chihaya der japanischen Miko. Geschickt sortierte sie die schadhaften Stücke aus dem Korb voller Gemüse, der zu ihren Füßen stand. Hinter ihr hörte man jemanden im Haus werkeln. Die Miko lächelte in sich hinein. Manchmal könnte man meinen, ihre Tochter habe ihre Namensgeberin gekannt, so ernst und pflichtbewusst, wie sie sein konnte. Während ihre Hände weiter sortierten, glitten ihre Gedanken zurück in eine Zeit, an die ein Mensch sich eigentlich nicht erinnern können sollte. Aber die Umstände der Vergangenheit hatten es so gefügt, dass sie es vermochte, lebte sie doch schon um ein Vielfaches so lange wie ein normaler Mensch. Über fünfhundert Jahre waren für sie ein Nichts. So wie für jene Wesen, die man Yôkai nannte. Für einen Moment unterbrach sie ihre Arbeit und ihre Finger umfassten die feine, silbrige Kette, die um ihren Hals hing, gerade lang genug, dass der Anhänger in ihrem Ausschnitt verschwand und nicht für jedermann sichtbar war. Denn es war jener Anhänger, der ihr all das ermöglichte. All das, was ihr Leben war. Und insbesondere, dass sie an der Seite desjenigen sein konnte, der ihr mehr bedeutete, als alles andere auf dieser Erde. InuYasha… Sie lächelte wieder und das spiegelte sich auch in dem herzlichen, warmen Blick ihrer tiefbraunen Augen wieder. Dabei hatte man oft genug versucht, sie auseinanderzubringen. Yôkai hatten es versucht, Menschen – und das Schicksal. Der Grund, dass sie sich einst trafen, wäre beinahe auch der Grund gewesen, dass sie wieder getrennt worden wären. Aber sie hatten sich behauptet. Und wenn sie darüber nachdachte, wer daran nun wieder Anteil hatte, stimmte es sie fröhlich und traurig zugleich. Denn nicht alle dieser so wichtigen Personen lebten noch. Aber ihr blieben die Erinnerungen aus jenen Zeiten. Und jene, die sie die ganze Zeit über begleitet hatten. So wie ihre Tochter, die hinter ihr unermüdlich arbeitete. Kikyô… Auch die Namenspatronin ihrer Tochter hatte in ihrem Leben eine große Rolle gespielt – die größte vielleicht. Nicht immer hatte sie auf ihrer Seite gestanden. Eigentlich schon verstorben, zurück ins Leben gerufen und von dort an als verbitterte Untote herumwandelnd, war sie lange ihre Konkurrentin gewesen – um das Gelingen ihrer Mission und um InuYashas Herz. Beide Seiten hatte viel lernen müssen, ehe alle auf den richtigen Weg gefunden hatten. Von da an hatte Kikyô dahin zurückgefunden, wie sie einmal gewesen war, freundlich, warmherzig, wenn auch etwas exzentrisch. Endlich hatte sie ihren Frieden gefunden und ihnen doch auch noch im Nachhinein geholfen. Es war immer deutlich gewesen, wie gerne Kikyôs Seele endgültig zur Ruhe gekommen wäre, für immer und ewig, nicht mehr in der Gefahr, erneut in einen Körper gezwungen zu werden. Kurz unterbrach Kagome ihre Arbeit während sie zurückdachte, an jenen Tag kurz vor der Geburt ihrer Tochter. Da hatte jene so bedeutsame Kikyô ihr ein letztes Mal gegenübergestanden. Kagome wusste bis heute nicht, ob es eine Art Traum oder eher eine Vision gewesen war, aber sie wusste noch ganz genau, wie es sich zugetragen hatte. InuYasha und sie waren rund um das Dorf spazieren. Die Aufbauarbeiten waren erst seit wenigen Tagen abgeschlossen, denn trotz aller dämonischen Hilfe brauchte es nun einmal eine gewisse Zeit, bis so eine ganze Siedlung stand. E s war Abend, ein überraschend milder Tag, obgleich es mitten im Winter war. Der Jahreswechsel war gerade erst ein paar Tage her. Wortlos hatte InuYasha ihr das Oberteil seines Suikans über die Schultern gehängt, als sie dennoch leicht fröstelte. Sie hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt, zumal sie ahnte, dass er sich sowieso nicht davon hätte abhalten lassen. Es war wirklich amüsant, wie fürsorglich er sein konnte, seit er wusste, dass sie schwanger war. Doch dann war es plötzlich geschehen. Von einem Moment auf den anderen, war vor ihren Augen die Umgebung anders. Hatte zuvor das einzig Weiße in Sichtweite aus vereinzelten Schneeflecken bestanden, war nun alles in ein blendend weißes Licht getaucht. Und plötzlich stand sie ihr gegenüber. Jene Miko, der sie selbst so ähnlich sah. Kikyôs lange, glatte Haare waren offen, nicht wie üblich im Nacken zusammengefasst und anstatt dass ihre Hakama, wie beim traditionellen Mikogewand üblich, rot gewesen wäre, war sie nun ebenso weiß wie das Kimonohemd. Kikyô wirkte seltsam befreit– und sie lächelte. Ein seltener Anblick, solange Kagome sie kannte. »Ich bin froh, dass ich es endlich geschafft habe, zu dir durchzudringen… ein Besuch aus dem Totenreich ist nicht einfach, und du bist stärker geworden, deine Kräfte schirmen dich fast automatisch ab…« Kagome blinzelte etwas perplex. Sie verstand noch nicht ganz, was vor sich ging. »Und auch dein Kind hat beachtliche Kräfte geerbt… es würde mich wenig wundern, wenn es uns beide eines Tages an Stärke übertreffen würde. Kein Wunder, sein größter Blutanteil ist der einer mächtigen Miko…«, fuhr Kikyô fort und langsam verstand Kagome die Welt nicht mehr. Aber sie schwieg. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es nicht gut wäre, ihr Gegenüber zu unterbrechen. Kikyô nahm das mit einem Nicken zur Kenntnis, ehe sie ein paar Schritte näher kam, bis sie direkt vor Kagome stand. Erst dann sprach sie weiter. »Du als meine Reinkarnation hast deinen Weg gefunden… und die Sekai no Tía gäbe dir die Möglichkeit, InuYasha noch lange auf seinem Weg zu begleiten…«, ein etwas trauriges Lächeln, »Dir ist gelungen, was mir verwehrt blieb. Ihn glücklich zu machen. Ich habe zu spät verstanden, dass selbst ohne Naraku… InuYasha und ich, das wäre nicht gutgegangen. Wir hatten vom Leben beide zu große Bürden aufgegeben bekommen und das Shikon no tama wäre nicht verschwunden, selbst wenn er durch es zum Menschen geworden wäre. Aber auch ich weiß erst heute, wie die Frage an das Shikon no Tama gelautet hat – du hast sie herausgefunden… nein, Kagome, wiedersprich‘ mir nicht. Ich bin auch aus anderem Grunde hier. Denn es gibt etwas, dass die Tía davon abhält, deine Lebenszeit auf die Stufe einer Yôkai zu heben« Erschrocken war Kagome zusammengezuckt. Augenblicklich war eine kalte Angst in ihr erwacht. Sollte alles Träumen umsonst gewesen sein? Sollte etwa doch nicht endlich alles gut geworden sein… „Aber, Kirin sagte doch…“, begann sie, konnte aber nicht weitersprechen, weil sich ein Kloß in ihrer Kehle gebildet hatte. Kikyô schlug halb die Lider nieder. »Ein Wesen wie Kirin würde niemals lügen. Er hat vollkommen Recht, dass es in der Macht der Tía liegt, dir die lange Lebenszeit zu ermöglichen und dass die Tía dich anerkannt hat, dazu bereit wäre. Sie ist es nicht, die dazwischensteht. Das bin ich« Es herrschte Stille, nach diesen Worten der toten Miko. Sichtlich fiel es Kikyô schwer, weiterzusprechen. Aber es schien Schuldgefühl zu sein, welches sie belastete. Dabei konnte sie eigentlich nichts dafür, das zeigten ihre nächsten Worte: »Als Urasue mich wiedererweckte, entzog sie dir deine Seele. Es gelang ihr nicht ganz, aber das sei dahingestellt. Als ich InuYasha angriff und er mich fast besiegt hätte, kehrte deine Seele zu dir zurück. Aber… ich weiß nicht, ob es dir je aufgefallen ist, aber ein ganz kleiner Teil blieb bei mir zurück. Sonst wäre mein untoter Körper trotz aller fremden Seelen niemals in der Lage gewesen, sich zu bewegen, sogar zu reisen, zu kämpfen. Auch bei meinem endgültigen Tod verharrte er bei mir und kehrte nie zu dir zurück. Würde es dabei bleiben, würden nicht wieder klare Verhältnisse geschaffen, dann würde alles durcheinandergeraten. Du würdest in ein paar Jahrhunderten niemals geboren werden und der ganze Kreislauf würde zerbrechen, wenn du bis dahin noch lebst. Das steht der Tía im Weg. Nur ist es mir nicht möglich, dir deinen letzten Rest Seele einfach so zurückzugeben…« Kikyô hob den Blick wieder und in ihren Augen glomm eine Art von Hoffnung, die Kagome nie bei ihr gesehen hatte. Sie wirkte… entrückt. Und ihr Gegenüber stellte auch sofort klar, woran das lag. »Nun ist da aber deine ungeborene Tochter. Ihr Leben ist noch nicht eigenständig. Ich könnte ihr meinen Teil deiner Seele übergeben – und damit meinen Geist für immer auch aus dem Totenreich tilgen« Kagome keuchte auf. „Aber…“ Kikyô schüttelte den Kopf. »Nicht doch, Kagome. Dazu wäre ich bereit, im Gegenteil, es käme mir sehr entgegen. Urasue ist nicht die Einzige, die die Kunst des Wiederbelebens beherrscht und nur so kann ich endgültig das Risiko ausschalten, jemals wieder auf Erden wandeln zu müssen. Ich würde endlich meinen Frieden finden…« Unwillkürlich legte Kagome eine Hand auf ihren Bauch, spürte die Bewegungen ihres ungeborenen Kindes in sich. „Würde es dadurch… verändert werden?“, fragte sie schließlich zögerlich. Sie konnte spüren, wie gerne Kikyô ihren Plan einfach umgesetzt hätte, wie viel es der toten Miko bedeuten würde, endlich ruhen zu können. Aber um ihres Kindes Willen musste Kagome das wissen. Und wie sie schon geahnt hatte, was genau da der Schwachpunkt. »Ja«, kam Kikyô sofort auf den Punkt und sah ihre Reinkarnation geradeheraus an, »Dieser Seelenteil ist sowohl schon in deinem, als auch in meinem, untoten Körper gewandelt. Er ist mit uns beiden verbunden gewesen, besonders und zuletzt aber mit mir. Es kann passieren, dass deine Tochter deswegen Wissen und Erinnerungen besitzt, die nicht die Ihren sind« Nachdenklich runzelte Kagome die Stirn. „Aber das hatte ich doch auch nicht. Und ich bin deine komplette Reinkarnation“ »Genau deswegen ist es auch so. Deine Tochter wird besagten Seelenteil direkt übertragen bekommen, er wird nicht in ihr wiedergeboren, sondern einfach ihrer eigenen Seele zugefügt. Das ist der Unterschied«, erklärte Kikyô gelassen und in diesem Moment wurde Kagome klar, dass die tote Miko diese Idee schon eine ganze Weile zu hegen schien. Wäre diese ‚Nebenwirkung‘ nicht gewesen, Kikyô hätte ihren Plan vermutlich einfach durchgeführt, ohne zu fragen. Noch einmal horchte Kagome in sich hinein, dachte nach. Konnte sie es ihrem Kind zumuten? Gut, ein paar fremde Erinnerungen, das hörte sich nicht schlimm an, aber gerade für ein Kind könnte das verwirrend sein. „Wird sie… wissen, dass es nicht ihre eigenen Erinnerungen sind?“, fragte sie dann doch noch nach. Kikyô schien selbst überlegen zu müssen. »Ich nehme an, sie wird es fühlen. Aber ob sie es in ihren frühen Kinderjahren schon verstehen wird, bleibt abzuwarten. Ich glaube, es gab nie eine vergleichbare Situation…«, gab sie dann langsam zurück. So sorgfältig sie ihre Worte wählte, so sehr wurde Kagome in ihrer Einschätzung bestätigt, dass es Kikyô unheimlich viel bedeuten würde, wenn sie zusagte. Und auch ihr würde das viel Positives bringen. Aber war es nicht egoistisch, ihr Glück über das ihres Kindes zu stellen, bevor das überhaupt geboren war? Etwas in ihr zögerte noch immer. Andererseits… wenn Kikyô Recht behielt und ihr Kind es ab einem bestimmten Alter spüren konnte, sprachen sie hier von wenigen Jahren der Verwirrung. Kagome schloss die Augen und atmete tief durch. „Also gut, Kikyô. Ich bin einverstanden“ Kikyôs Lächeln wurde deutlicher, richtig glücklich sah sie aus. »Ich weiß immer noch nicht, wie du es geschafft hast, dich mir gegenüber immer so herzlich zu verhalten. Du hast oft genug zugelassen, dass InuYasha sich mit mir traf, du hast mich geheilt, als Naraku mich mit seinem Miasma durchbohrte, du hast so oft Rücksicht genommen. Als ich in InuYashas Arm starb, hast du sogar um mich getrauert.« Die Frage in Kikyôs Worten war kaum zu überhören. Kagome sah sie offen, aber ernst an. „Wenn ich ehrlich bin, habe ich oft nur um InuYashas Willen Rücksicht genommen. Und oft genug hat es mich sehr geschmerzt, wenn er dich wieder einmal aufgesucht hat. Ich habe erst sehr spät kapiert, dass ihr beide die Treffen zu dieser Zeit noch gebraucht habt um durchzuhalten. Und dass du eigentlich nur deine Ruhe haben wolltest. Aber wenn du es nicht aufgegeben hättest, InuYasha mit in den Tod reißen zu wollen… ich hätte wohl noch am Ende ganz anders reagiert“ Kikyô nickte etwas, dann kam sie noch einen Schritt näher. »Ich bin froh, dass sich endlich alles zum Guten gewendet hat. Ich wünsche dir, dass es für immer dabei bleibt. Und… ich muss es dir sicher nicht auftragen, aber dennoch möchte ich dich darum bitten, Kagome. Achte mir gut auf InuYasha, ja?« Kagome antwortete nicht, sondern lächelte nur, blieb ganz ruhig stehen, als Kikyôs eine Hand sich sanft auf ihren Bauch legte. Sie hatte längst keine Probleme mehr damit, Kikyô zu vertrauen. Kikyôs andere Hand hob sich, legte sich auf Kagomes Stirn, nur um ihr sacht über die Augen zu streichen, die Lider zu schließen. Dann trat Stille ein. Kagome hörte nur ihre und Kikyôs Atemzüge, dann spürte sie plötzlich Kikyôs Mikokraft erwachen. Sie wunderte sich schon, dass sie die so genau zuordnen konnte, ehe ihr klar wurde, dass das vermutlich daran lag, dass sie sich in einer Zwischenwelt aufhielten. Hier war die Wahrnehmung anders. Immer mehr steigerte die reine Aura um sie herum sich, bis sie nichts anderes mehr wahrnahm als das feine Prickeln, der fremden und doch so bekannten Magie. Nach einem Zeitraum, den Kagome nicht einzuschätzen vermochte, wurde die Kraft wieder schwächer, allmählich nur. Einer plötzlichen Eingebung folgend, öffnete sie die Augen wieder, erkannte, dass Kikyô einen Schritt zurückgetreten war. Noch immer schlangen sich Spuren purer Mikoenergie um ihren Körper, spielten wie fliegende Schlangen um sie herum, wie die Seelenfänger, die Kikyôs untoten Körper stets begleitet hatten, während Kikyô selbst immer durchscheinender wurde. Zum ersten Mal würde Kagome wirklich bewusst, dass sie die ganze Zeit über mit einem Geist geredet hatte. Und Kikyô lächelte frei und glücklich, endlich im Reinen mit sich selbst. Kagome erwiderte das Lächeln herzlich, eine Hand auf ihren Bauch gelegt, hob sie die anderen Hand zu einem leichten Winken. „Sayonara, Kikyô…“ Und auch Kikyô hob eine Hand etwas. »Danke für alles… Kagome …«, flüsterte sie noch, dann verblasste ihr Umriss endgültig und Kagome spürte zugleich, dass sich auch die Zwischenwelt um sie herum aufzulösen begann. Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich am Boden wieder – und in InuYashas Armen. Der Hanyô hatte sie an sich gezogen und sah sie so angestrengt an, dass er sicherlich schon eine ganze Weile auf ein Lebenszeichen gewartet hatte. Kagome blinzelte etwas, als InuYasha zusammenzuckte. „Ein Glück, Kagome. Ich dachte schon, du wärst ganz weggetreten“ Seine Stimme war leise und rau, Kagome konnte nur zu deutlich die Sorge heraushören. „Gomen, InuYasha… was genau ist eigentlich passiert?“ „Keine Ahnung. Du bist plötzlich zusammengesackt. Ich konnte dich gerade noch auffangen“, gab InuYasha zurück und sah sie mit seinen golden schimmernden Augen prüfend an. „Ist wirklich alles in Ordnung?“ Kagome lächelte etwas. „Ja, alles gut. – Ich… ich glaube, ich erzähle dir besser später, was das genau war. So ganz verstehe ich es selbst noch nicht“, antwortete sie mit beruhigender Stimme, noch ehe ihr richtig bewusst wurde, dass ihre Augenlider bleischwer waren. Am liebsten wäre sie auf der Stelle eingeschlafen. Der Aufenthalt in der Zwischenwelt und Kikyôs Seelenübertragung musste sie mehr erschöpft haben, als ihr im ersten Moment klar gewesen war. Sie unterdrückte ein unwillkürliches Gähnen, konnte ihre Müdigkeit aber natürlich trotzdem nicht vor InuYasha verbergen. Er war viel zu sensibel dazu – zu mindestens wenn er es darauf anlegte. Und im Moment tat er das. Wortlos stand er auf, ohne sie aus seinen Armen zu entlassen. Kagome schmunzelte, ehe sie die Arme um seinen Nacken schlang, um besseren Halt zu haben. So trug InuYasha sie zurück in ihre Hütte, setzte sie sacht auf das Lager und kauerte sich in der ihm üblichen Haltung daneben. Mit langsamen Bewegungen streifte Kagome ihre Chihaya ab und legte sich dann hin. „Ich würde trotzdem gerne wissen, was da los war“, beharrte der Hanyô schließlich, eine seiner Hände lag dabei noch immer auf ihrem Bauch. Kagome winkte allerdings mit einer leichten Handbewegung ab. Sie war zwar schon halb eingeschlafen, aber trotzdem blieb sie dabei, das Ganze erst einmal für sich sortieren zu wollen. Zu viel auf einmal war das gewesen. „Später, InuYasha. Nur so viel… es hatte mit unserer Tochter zu tun“ InuYasha nahm den Kopf etwas hoch. „Tochter? Woher weißt du…“ Kagome lächelte müde. „Später, sagte ich…“, murmelte sie und drehte sich auf die Seite. Hinter sich hörte sie, dass InuYasha seine eigenen Kleider ablegte und sich neben ihr ausstreckte, gleich darauf wurde sie von zwei starken Armen umfasst. Schläfrig kuschelte sie sich an ihn. Da fiel ihr etwas ein. „Sag, InuYasha, was hältst du davon, wenn wir die Kleine ‚Kikyô‘ nennen?“ Ruckartig richtete InuYasha sich wieder halb auf. Sie brauchte den Kopf nicht zu drehen, um zu wissen, dass seine Ohren verständnislos zuckten. „Meinst du das ernst? Ich meine, ausgerechnet… würde das für dich nicht bedeuten, dass du immer wieder zurückerinnert wirst?“ „Meinst du, ich hätte das vorgeschlagen, wenn es mich quälen würde, InuYasha? Es ist für mich längst nicht mehr bitter, über Kikyô nachzudenken. Ich habe gelernt sie und auch dein Verhalten zu verstehen. Und daher…“ »Außerdem hat die Kikyô, die wir kannten, nun endgültig ihren Frieden gefunden«, fügte sie in Gedanken hinzu, sprach es aber nicht aus. Davon würde sie InuYasha morgen erzählen. Da spürte sie auf einmal InuYashas Lippen an ihrer Schläfe, ein kurzer, sanfter Kuss nur und dennoch verstand sie, was er damit sagen wollte. Aber sie erwiderte nichts mehr, sondern war fast sofort eingeschlafen. InuYasha betrachtete sie noch einen Moment, ehe er die Decke über sie beiden zog und sich selbst wieder hinlegte. Er konnte nur hoffen, dass die Erklärung für Kagomes Idee möglichst rasch folgen würde, denn seine Neugier brachte ihn schon jetzt fast um. Während sie zurückdachte, hatte Kagome die Arbeit ruhen lassen und sich stattdessen zurückgelehnt. Mit geschlossenen Augen genoss sie die Sonne auf dem Gesicht. Wie lange war das her. Gut und gerne fünfhundert Jahre jetzt. Inzwischen hatte sie vier Kinder; Bekannte und Freunde waren gekommen und gegangen und vieles hatte sich entwickelt. Das, was ihre Familie geworden war, hatte mehr Mitglieder gewonnen und war zu einer verschworenen Gemeinschaft herangewachsen. Auch wenn der eine oder andere zu gerne einen anderen Eindruck erwecken würde. Das leuchtende Beispiel dafür waren InuYasha und Sesshômaru, die sich immer noch gegenseitig zur Weißglut treiben konnten. In Wahrheit aber schätzten und vertrauten sie einander, nur würde ein Außenstehender einem das niemals glauben. Kagome wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie jemanden näher kommen fühlte. Eine dämonische Aura, durchaus stark aber soweit unterdrückt, dass sie keineswegs drohend war. „Miko-san?“ Noch ehe Kagome die Augen öffnete, wusste sie, wer das war. Es gab nur einen, der sich in all den Jahren noch immer nicht angewöhnt hatte, sie mit Namen anzureden. „Was ist, Yutaka-san?“, fragte sie, während sie die Lider aufschlug, sich blinzelnd an das helle Sonnenlicht anpasste. Langsam erkannte sie aus dem unförmigen Schatten vor sich den Pferdedämon mit den dunkelroten Haaren heraus. Er nickte ihr grüßend zu, woraufhin sie die Geste erwiderte und sich erhob. Dabei fiel ihr auf, dass der Yôkai etwas im Arm hielt. Ein Kind, ein kleines Mädchen von höchstens fünf, sechs Jahren. Überrascht schaute sie ein zweites Mal hin und erkannte die schwarzen Ohren auf dem Kopf des Kindes. „Eine Hanyô? Wo hast du die denn eingesammelt?“, wollte sie überrascht wissen. Die Ohrenform sprach für Ookami-, Inu- oder Kitsune-, vielleicht aber auch Néko-Blut. Aber obwohl jene Hanyô, die hier lebten, sich alle einen gewissen Respekt erarbeitet hatten und wenigstens geduldet, wenn nicht sogar geschätzt wurden, war es selten, dass man einem Unbekannten begegnete. Und dann auch noch einem Kind. Da erst fiel ihr das Kleidchen auf, das die Kleine trug. Kein Kimono, ein neuzeitliches Kinderkleid, hell mit buntem Blumenmuster, bedruckter Stoff, Baumwolle vermutlich. So etwas gab es unter dem Bannkreis nicht. Kagome war endgültig baff. Yutaka hatte derweil gewartet, bis sie ihre Musterung abgeschlossen hatte, ehe er antwortete. „Einer der Grenzgänger hat sie mir übergeben. Wie du sicher gesehen hast, stammt sie von außerhalb des Bannkreises. Der Menschenmann, der sie brachte, hat gesagt, er habe sie vor fünf Jahren gefunden, da sei sie ein Baby gewesen – und habe wie ein Mensch ausgesehen. Jener Mann wusste wohl von dem Bannkreis, aber nicht viel mehr. Er bat nur, die Kleine aufzunehmen, weil sie Angst und Schrecken verbreite, seit sie nicht mehr menschlich aussieht. Das sei erst vor zwei Tagen passiert, sagte er. So hat es mir der Grenzgänger erzählt. Es war einer der Tori – ach, und er sagte, er habe die Kleine in Schlaf versetzt, damit er sie tragen konnte, denn sie habe sich heftig gewehrt, wollte bei ihrem ‚Vater‘ bleiben. Anscheinend hat der Menschenmann sich gut um sie gekümmert, in den vergangenen Jahren“ Nachdenklich hatte Kagome dem Bericht zugehört, nun streckte sie die Arme aus, worauf Yutaka ihr das Mädchen gab. „Damals sah sie also wie ein Mensch aus… das ist seltsam. Myôga erzählte mal, InuYasha habe schon als Neugeborenes Hundeohren und all das gehabt. Und bei Rins Kindern war das genauso, auch sie haben als Babies nicht wie Menschen ausgesehen“ Yutaka zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was bei ihr anders ist… es sei denn…“, er griff in seinen Haoriärmel und holte etwas heraus, das sich als Armband aus flachen, blutroten Plättchen entpuppte, „… das gab mit der Grenzgänger noch. Der Menschenmann hat es ihm in die Hand gedrückt, mit dem Hinweis, dass die Kleine es trug, als er sie fand“ Das Kind noch immer auf dem Arm, besah Kagome sich das Armband genauer. Als sie die Lider halb schloss, spürte sie die schwache Magie, die von den Kettengliedern ausstrahlte. Und sie erkannte sie. Das war dämonische Bannmagie, wurde gerne in Fesseln, aber auch von Schamanen benutzt. Sie war nicht nur in der Lage, den Einsatz von Yôki zu unterdrücken, sondern es gänzlich zu neutralisieren, sodass dem Betroffenen nicht einmal mehr die Lebensweise eines dämonenblütigen Wesens möglich war. Lebenszeit, Kraft, Sinne, Wundheilung, alles wurde auf menschliches Niveau herabgesetzt. Da fiel ihr auch die Bruchstelle an einem der Kettenglieder auf. Das Armband musste gerissen sein und erst dann hatte sich die wahre Gestalt dieses kleinen Hanyômädchens offenbart. Langsam begann Kagome zu dämmern, was da geschehen sein musste. Offenbar hatte es der dämonische Elternteil des Mädchens für besser gehalten, es in der Welt außerhalb des Bannkreises zu lassen, mit unterdrückter Kraft, verstand sich. Warum auch immer. Und sie verstand auch, dass die Kleine dort nicht mehr bleiben konnte. Jetzt wo man wusste, dass sie kein Mensch war, würde auch ein erneuerter Bann nicht mehr helfen, ihr ein normales Leben zu ermöglichen. Sie musste so oder so hierbleiben, unter dem Bannkreis. Sie ahnte, warum Yutaka zu ihr gekommen war. Ihre Jüngste war in etwa im gleichen Alter, nun etwas älter als diese Kleine hier wohl. Außerdem waren Kagome und ihr Umfeld wohl die beste Möglichkeit, der Kleinen ein Leben ohne Missgunst zu ermöglichen. Immerhin gehörten zur Fürstenfamilie der Hunde drei Hanyô. Sie sah in das kindliche Gesicht des Mädchens. Es war umrahmt von schwarzen Haaren, nur im Nacken waren sie heller, silbrig sogar. Ihre Augen waren, soweit Kagome bei geschlossenen Lidern erkennen konnte, groß und etwas geschwungen. Später musste sie einmal wunderschön werden. Doch auf einmal erkannte sie, dass die Kleine sich in ihren Armen ein wenig verkrampfte. Erschrocken musterte sie das schlafende Mädchen, erkannte die leicht geröteten Wangen. Vorsichtig versuchte sie die Stirn der Kleinen zu fühlen, soweit es ihr möglich war, ohne das Mädchen loszulassen. Aber schon die Berührung mit den Fingerspitzen reichte. „Oh Gami, die Kleine glüht ja vor Fieber!“ Kapitel 2: Bangen ----------------- „Okaa-san, wer ist denn das?“ Kagome sah ihre älteste Tochter nur kurz an, während sie sich herabbeugte und das kleine Hanyômädchen, das Yutaka mitgebracht hatte, auf das Lager legte, das eigentlich ihrer Jüngsten gehörte, vorsichtig die dünne Sommerdecke über das Kind zog. „Ein Findelkind, Kikyô. Und wie du siehst eine Hanyô. Yutaka hat sie mitgebracht – mehr als was er eben erzählt hat wissen wir auch nicht von ihr“ Kagome wusste genau, dass ihre Tochter das Gespräch vor der Hütte mitbekommen hatte. Auch wenn sie nur ein Viertel Dämonenblut in sich trug, so waren ihre Sinne, vor allem Ohren und Nase, dennoch besser als die eines Menschen. Sie kniete sich neben das kleine Mädchen, dem das Fieber nun deutlicher anzusehen war. Mit jeder Sekunde wurde ihr Schlaf unruhiger. „Hast du eine Ahnung, woran das liegen könnte?“, fragte Kagome über die Schulter. Yutaka, der in der Tür stand machte eine sichtlich nachdenkliche Miene. Hinter ihm hatte sich das Sonnenlicht etwas abgeschwächt, mittlerweile war es Nachmittag geworden. „Ehrlich gesagt nicht. Aber man könnte Kirin um Rat bitten“, schlug er nach einem Moment vor. „Tu‘ das. Vielleicht weiß er da weiter. Er oder sein Medaillon“ Inzwischen wusste Kagome sehr genau, dass Kirin einen jener magischen Gegenstände trug, die als die ehemals dreizehn ‚Artefakte des magischen Gleichgewichtes‘ bekannt waren und von denen auch die Sekai no Tía eines war. Zwei davon waren inzwischen verschwunden, ein drittes unerreichbar, blieben noch zehn, die entweder in Verwendung oder zu mindestens in sicherer Verwahrung waren. Kirins war ebenfalls eine Kette, allerdings mit einem flachen, weißgoldenen Medaillon anstatt dem kristallen anmutenden Anhänger der Tía. Mit seiner Hilfe besaß Kirin ein unschlagbares Gedächtnis. Was er einmal gehört oder auch nur mit halbem Ohr aufgeschnappt hatte, das merkte sich das Medaillon, wenn nicht er selbst. Derweil hatte Kikyô sich neben ihre Mutter gekniet, stellte eine kleine Schale mit Wasser ab, über deren Rand ein Streifen weichen Stoffes hing. Dankbar für die vorrausschauende Hilfe tauchte Kagome den Stoff ein und wrang ihn leicht aus, ehe sie dem schlafenden Hanyômädchen damit über Stirn und Wangen strich. Nachdenklich blickte Kagome es an. Welche Geschichte steckt wohl wieder hinter deiner Situation, hmm, Kleine? InuYasha, Jinenji und auch Shiori damals sind die Väter früh weggestorben, obwohl sie jeweils der dämonische Elternteil waren. Rins Kinder konnten in Frieden aufwachsen, weil sie beide Elternteile haben und von der Familie geschützt werden… aber warum werde ich das Gefühl nicht los, dass hinter dir eine andere Geschichte steckt, sagst du mir das, Kleine? Kagome seufzte leicht, während sie erneut das erhitzte Gesicht ihrer kleinen Patientin benetzte. Kikyô hatte derweil das Kleid entdeckt. „So sehen also Kleider außerhalb des Bannkreises aus?“, fragte sie interessiert. Kagome blickte auf. „Nicht nur. Kimono und all das werden nur noch sehr selten getragen. Und die neuzeitliche Kleidung ist sehr… vielfältig. Verschiedene Stoffe, verschiedene Schnitte, ganz unterschiedlich“, erklärte sie. „Verschiedene Stoffe? Dann ist das hier auch ein Stoff, den wir hier nicht kennen, oder? Er riecht etwas anders… fast pflanzlich“ Kagome lachte leise auf. „Huch, dass du das unter der ganzen Chemie wahrnimmst. Ja, ich nehme an, das Kleidchen ist aus Baumwolle. Der Rohstoff sieht aus wie Wollbällchen, aber er wächst tatsächlich auf Sträuchern. Genau genommen gibt es sogar Baumwolle hier in Japan, aber unter dem Bannkreis eben nicht, weil das Klima ja, bevor der Bannkreis gezogen wurde, hier oben Tundra war. Da kann auch die widerstandsfähigste Baumwolle nicht wachsen“, gab sie dann zurück. Kikyô nickte verstehend. Man sah ihr an, dass sie noch einige Fragen hatte, sie aber im Moment nicht stellen wollte, um ihre Mutter nicht zu überrumpeln. In solchen Momenten wurde deutlich, dass Kikyô wie eine Neunzehnjährige wirken mochte, aber in Wirklichkeit fast fünfhundert Jahre zählte. Kagome hatte inzwischen den Stoffstreifen zurück in die Wasserschale gelegt und strich dem kleinen Hanyômädchen mit der Hand über das Haar, die bepelzten Ohren. Diese zuckten leicht, aber das Mädchen erwachte nicht. Noch steht sie unter dem Schlafzauber… ob der für das Fieber verantwortlich ist? Kagome vermochte es nicht einzuschätzen, aber sie verschob die Überlegung auf später. Yutaka war sehr pflichtbewusst, der würde sich schon beeilen. Also erhob die nur scheinbar so junge Miko sich: „Mehr können wir im Moment nicht tun, ehe wir wissen, was mit ihr los ist. Passt du auf sie auf? Ich gehe zu Jinenji, vielleicht hat er noch eine Idee. Wenn es irgendein Kraut gibt, das ihr helfen könnte, bis wir Näheres wissen, dann kennt er es“ Kikyô nickte nur, ehe sie an Stelle ihrer Mutter fortfuhr, die Stirn der Schlafenden zu kühlen. ~*~ Einige hundert Meter Luftlinie entfernt, auf der anderen Seite der Hügelkette, erhoben sich die rötlich-weißen Mauern, die das Schloss des Inu-Fürsten umgaben. Das Klirren von Metall hallte vom Trainingsplatz herüber, wo die Kampfschüler der Inu-Akademie ungeachtet der heißen Wetterlage trainierten, aber auf der Rückseite des Schlossgebäudes, wo die Gärten lagen, war Ruhe. Bis… „Zankò! Du sollst doch niemanden heimlich beobachten“ Der etwa dreizehnjährig wirkende Junge, der an der Balkonbrüstung eines Gemachs im zweiten Stock gestanden hatte, zuckte leicht zusammen. „Hai, Haha-ue“, gab er etwas kleinlaut zu. Die Frau hinter ihm verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn du es schon tust, dann sei‘ wenigstens so aufmerksam, dass du merkst, wenn sich dir jemand nähert. Du hast mich nicht einmal wahrgenommen. Und so etwas schimpft sich ein halber InuYôkai“ Jetzt erst hatte der Junge das Schmunzeln in der Stimme seiner Mutter ausgemacht und drehte sich halb um. „Gomen nasai, Haha-ue“, erwiderte er übertrieben höflich und verneigte sich. Sein Gegenüber schüttelte leicht den Kopf. „Was ist denn da so interessant, Musuko?“, fragte sie, obwohl sie es ahnte. Auch ihr Geruchsinn war gut genug, dass sie ausgemacht hatte, dass Rin mit ihrer Familie dort unten im Garten war. Zankò wollte vermutlich einfach mit Nichte und Neffe spielen, anstatt zu warten, bis er zum Training abgeholt wurde. „Zankò, du weißt, wie wichtig es ist, dass du vernünftig kämpfen lernst“, wandte sie diesmal ernster ein, ehe ihr Sohn antworten konnte. Der senkte etwas den Blick, die silberweißen Ponysträhnen mit den schwarzen Spitzen fielen ihm ins Gesicht und verdeckten fast das Zeichen auf seiner Stirn, das den blauen Sichelmond seines Vaters und die meeresgrüne Doppelkralle seiner Mutter miteinander zu vereinen schien. „Hai, Haha-ue. Es ist nur… ich mag‘ nicht schon wieder von Kin so zusammengeschlagen werden…“, murmelte er, ohne den Kopf wieder zu heben. Das tat er dann nachträglich, als er seine Mutter leise lachen hörte. Natsu hatte sich seitlich auf die Brüstung des Balkons gesetzt und ihre silbriggrünen Katzenaugen blitzten belustigt. „Wenn du wüsstest, wie dein Onkel und dein Vater sich früher gegenseitig behandelt haben, dann wärst du froh, dass dein großer Bruder dich immer nur zu Boden schickt“, erklärte sie ihr Amüsement. Nun grinste auch der Junge. Er kannte die Erzählungen von früher, als besagte beiden sich angeblich noch spinnefeind gewesen waren und wenn man manchmal die Trainingskämpfe der beiden beobachtete, bekam man auch eine leichte Ahnung davon, was da früher gelaufen sein musste. Diese beiden schenkten sich niemals etwas. Natsu legte ihrem Sohn eine Hand auf die Schulter. „Na siehst du, Zankò. So schlimm ist es bestimmt nicht. Außerdem…“, sie machte eine kurze Pause, ehe sie mit verschwörerischer Stimme fortfuhr: „Achte darauf, wie dein Bruder seine Seiten deckt. Er verlässt sich ab und an zu sehr darauf, dass sein Schwert im Gegensatz zu deinem Katana zwei Schneiden hat.“ „Hältst du es für so sinnvoll, ihm meine Schwäche zu verraten, ehe er sie selbst herausfindet, Haha-ue?“, mischte sich eine andere Stimme ein. Natsu blickte auf und sah ihren Ältesten fest an – und der verstand. Raffiniert, Haha-ue…, kommentierte sein Blick nur, ehe er zu seinem Bruder blickte. „Na komm, ototo-chan. Arata-san und Kôhei trainieren gerade. Vielleicht können wir noch einen Moment zusehen“ Da sprang der Jüngere sofort auf. Das wollte er allerdings sehen. Es war eine Seltenheit, dass benannte auf dem Kampfplatz trainierten. Kurz darauf waren die Brüder aus dem Gemach ihrer Mutter verschwunden. Natsu sah ihnen nach. Sie hatte ihrem Jüngsten den Tipp nur gegeben, weil sie bereits gehört hatte, dass ihr Erstgeborener sich näherte. So wusste der eine über die Schwäche des anderen Bescheid und der andere würde besonders darauf achten, diese Schwäche nicht zu zeigen. So würden beide etwas lernen. Kin hatte sie offenbar auch durchschaut. Da zeigt sich, dass Sesshômaru ihn schon oft bei sich hat, im Alltag, um ihm die Regierungsgeschäfte zu zeigen. Er hat Sesshômarus Raffinesse bereits übernommen... Natsu lächelte leicht. Kin, oder InuKin, wie er offiziell hieß, wirkte zwar wie ein fünfzehn, sechzehn Jahre alter Bursche, aber er zählte nun ziemlich genau fünfhundert Jahre und da machte es sich bemerkbar, dass er die Ausbildung eines Erbprinzen erhielt. Dabei war das zuerst gar nicht einmal sicher gewesen. Aber dank eines guten Freundes und eines geschickten Zaubers, trat Kins Handicap kaum zu Tage. Die Erzfeindin der Familie, Néko-Fürstin Tôran, hatte wohl nicht damit gerechnet, dass man etwas gegen ihren Fluch würde unternehmen können. Natsu lachte etwas sarkastisch auf. Tôran war ihre entfernte Cousine und sie hatte es nur ihr zu verdanken, dass man sie seinerzeit mit Sesshômaru auf Reisen geschickt hatte, aber was sich daraus entfalten würde, damit hatte Tôran wohl nicht gerechnet. Im Gegenteil, als sie es herausfand hatte sie sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt, Natsu und Sesshômaru wieder auseinanderzutreiben. Dass ihr das nicht gelungen war, lag an einem Grund, den Tôran wohl nie würde nachvollziehen können: Auf jener Reise hatte Natsu sich verliebt. Und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Unwillkürlich fasste Natsu mit einer Hand in ihre Halsbeuge, fühlte unter den Fingern die leichte Veränderung der Haut, dort wo jenes Zeichen prangte, dass die Verbindung besiegelte: Sesshômarus Sichelmond. Das unzerstörbare Zeichen, dass sie seine Gefährtin war. Sie lächelte erneut, als sie daran dachte, dass Kin älter war als dieses Zeichen. Noch am Tag der Geburt ihres Sohnes, hatte Natsu keine Ahnung gehabt, wie ernst es Sesshômaru mit ihr war. Das hatte sie erst Tage später erfahren. Es war alles eine sehr verworrene und abenteuerliche Geschichte gewesen. Dagegen waren die letzten fünfhundert Jahre fast erholsam zu nennen. Keine Kriegsgefahr, keine Verräter, keine größeren Kämpfe. Klar gab es ab und an ein paar Grenzgefechte, klar muckten hier und dort Banditen oder Abtrünnige auf, aber ansonsten war es ruhig. Natsu konnte ja nicht ahnen, dass es mit der Ruhe bald vorbei sein würde. Und das ein gewisses Hanyômädchen daran unbeabsichtigt die Hauptschuld tragen würde. ~*~ Besagtes Kind lag noch immer auf dem Futon, auf den Kagome es gebettet hatte und dämmerte unruhig vor sich hin. Der Schlafzauber hatte noch nicht gänzlich von ihr weichen wollen und auch das Fieber schwächte sich nur langsam ab. Kagome saß daneben und beobachtete ihre kleine Patientin sorgenvoll. Als sie Jinenji erzählt hatte, das Kind, für das sie um ein Kraut bat, sei eine Hanyô, war der sanfte Riese ziemlich zusammengezuckt. Kagome wusste warum. Sie hatte einmal aus nächster Nähe erlebt, was Fieber bei einem Yôkai bedeutete und InuYashas Bemerkung dazu, Fieber sei auch bei Hanyô kein gutes Zeichen, hatte sich tief in ihrer Gedächtnis eingebrannt. Das einzige, womit Jinenji ihr hatte dienen können, nannte er Kōri yakusō. Es war in der Lage, die Kühle des Wassers zu konzentrieren und über längere Zeit zu erhalten, aber das half nur bedingt. Und Yutaka hatte, als er zurückkehrte, auch keine sonderlich guten Nachrichten gehabt. »Kirin meint, ihr Fieber könnte damit zusammenhängen, dass ihr Körper plötzlich mit ihrem Yôki konfrontiert wird, nachdem er so lange davon abgeschottet war. Dass ihr kindlicher Körper das nicht unbedingt mitmacht, ist nur verständlich. Da hilft nichts außer Gewöhnung. Das Beste wäre, wenn sie ruhig und tief schläft. Ohne Zauber« Und genau das war leichter gesagt, als getan. Der Körper der Kleinen war schon so sehr mit seinem eigenen Kampf beschäftigt, dass er den Schlafzauber nur sehr langsam abzubauen vermochte. Es konnte noch Stunden dauern, bis die Kleine richtig einschlafen würde und bis dahin würde sie immer und immer mehr geschwächt werden. Sie atmete schon jetzt nur recht schwach. Kagome wusste genau, dass der Grenzgänger, der den Schlafzauber gesprochen hatte, es nicht böse gemeint hatte, denn jeder unterhalb des Bannkreises wusste, was ihm blühte, wenn er rechtschaffende Leben aufs Spiel setzte. Ohne diese Regel wäre ein Zusammenleben mehrerer Dämonenarten auf so kleinem Gebiet nicht zu gewährleisten. Und die meisten Fürsten achteten auch darauf, dass sie Hanyô und Menschen nicht von dieser Regel ausschlossen, denn sie wussten, dass sie sonst mindestens mit einem Gutteil des Inu-Clans empfindliche Probleme kriegen würden. Aber auch wenn er es nicht gewollt hatte, so trug der Grenzgänger indirekt Schuld an dem schlechten Zustand der Kleinen. Kagome wollte darüber allerdings im Moment nicht nachdenken. Es gab Wichtigeres. Seufzend strich Kagome mit einem Finger über den Handrücken des Kindes. Wie können wir dich bloß zur Ruhe kriegen, hmm? ~*~ Im Schloss ahnte niemand etwas von der kleinen Problempatientin. Vom Rande des Trainingsplatzes schauten zwei goldene und vier dunklere Augen dem Trainingskampf zweier Halbwüchsiger zu. „InuKin ist ein begabter Kämpfer. Aber auch Zankò hält sich diesmal besser, als sonst“, bemerkte der Älteste der drei Beobachter schließlich, ohne den Blick von dem Kampf zu nehmen. „Allerdings reiben sie sich nur an einer Technik auf. Es sind immer gleiche Finten. Zankò ist zu fixiert“, bemerkte derjenige neben ihm. Der Dritte im Bunde sah sich die kleine Fachsimpelei mit stillem Amüsement an, ohne eine Miene zu verziehen. Jetzt allerdings gab er einen kurzen Wink mit der Hand. Die beiden anderen verstanden. „Aber ziele knapp vorbei. Wir wollen sie nur aufwecken“, bemerkte der Ältere. Der andere verschränkte kurz die Arme, wobei die Klinge seiner Waffe an seiner Schulter zu liegen kam. In seiner Miene war Entrüstung zu lesen. „Glaubst du, ich will einen meiner Schwager ernsthaft verletzen, Sensei?“ Die Ansprache klang ein wenig ironisch. Der Angesprochene antwortete nicht. Also trat Kôhei zwei Schritte vor, blieb genau im toten Winkel der beiden Kämpfer stehen, die gerade in einer kurzen Kraftprobe die Klingen gegeneinander pressten. Der Wolfsdämon packte den elfenbeinfarbenen Schaft seines Naginata fester, streckte den Arm etwas zur Seite, während das Schaftende noch immer auf dem Boden ruhte. Ohne daran etwas zu ändern, beschrieb er mit der Klinge rasch einen kleinen Bogen. Die nur schwache Yôkiwelle schoss auf die beiden Halbwüchsigen zu – und knapp an Kins Rücken vorbei. Der duckte sich rasch, drehte sich halb auf einem Fuß ohne den Kontakt zur Klinge seines Bruders zu verlieren. Erst als der Yôkiangriff an ihm vorbei war, sprang er zurück. „Kami, Kôhei!“, keuchte er ungehalten. Der blickte ihm gelassen entgegen. „Zuviel der Ehre, Kin. Mit den Göttern würde ich mich nun nicht vergleichen“, konterte er ruhig. Kin schnaufte ärgerlich, und sprang augenscheinlich ohne Vorwarnung auf seinen Schwager zu, schlug mit der Klinge zu. Ohne große Mühe blockte Kôhei den Schlag ab. Er schmunzelte: „Das war vorhersehbar, mein Freund. Wenn du schon einen Überraschungsangriff startest, dann ziele wenigstens dahin, wo ich mit der Stangenwaffe Probleme habe sofort abzublocken. Auf meine Beine zum Beispiel. Ach, und noch etwas… Pass auf deinen eigentlichen Gegner auf“ Damit sprang Kôhei ein kleines Stück zurück und entging damit Zankòs Katana, der sich sicher gewesen war, zugleich einen Treffer bei Kin landen und sich bei Kôhei für den Streich revanchieren zu können. Kin dagegen konnte das brüderliche Schwert nur knapp abwehren. Beinahe hätte Zankò ihm sein Tsurugi aus der Hand geprellt. Er verzog mehr ärgerlich als vor Schmerz das Gesicht und wollte gerade kontern, da mischte sich die Stimme seines Vaters ein: „Das reicht für heute, ihr beiden“ Sofort wichen die Brüder auseinander. Sesshômaru nahm das zur Kenntnis, ehe er sich abwandte. Den beiden ihre Fehler aufzuzählen, würde Arata wohl übernehmen. Und Kôhei war sowieso schon auf halbem Weg in den Garten. Natsu hatte vom Ausgang des Trainingskampfes wenig mitbekommen. Sie war auf dem Balkon geblieben und genoss jetzt den leichten Wind, den die Dämmerung mit sich brachte. Yôkai wie sie waren nicht sonderlich empfindlich was das Wetter betraf, aber die letzten Tage war es so schwül gewesen, dass selbst sie über jede frische Brise froh war. Denn noch ließ ein erlösendes Gewitter auf sich warten. Als ihr plötzlich jemand eine Strähne, die ihr ins Gesicht gerutschte war, zurück hinters Ohr strich, zuckte sie aber keinesfalls zusammen. Stattdessen schmiegte sich den Kopf leicht in die Hand, die nun an ihren Hinterkopf ruhte. Sie hatte ihren Gefährten längst bemerkt. Der schlang einen Arm von hinten im sie und setzte sich hinter ihr auf die Brüstung. Natsu lehnte sich etwas zurück, begann leise zu schnurren. Ein ebenso leises Knurren von Sesshômaru ließ sie innehalten. „Was ist? Störe ich dich beim Nachdenken? Oder missfällt es dir bloß, dass dieser Art Lautäußerungen dir verwehrt sind, ehrenwerter Inu no Taishô?“, fragte Natsu wispernd und unüberhörbar neckend. Dennoch erwartete sie keine Antwort und erhielt auch keine. Also lenkte sie ihren Blick hinab in den Garten. Dort saß Rin noch, während die Kinder wieder im Gebäude waren, dafür hatte sich nun Kôhei dazugesellt. Natsu lächelte, als sie daran zurückdachte, wie die beiden zusammengefunden hatten. Kannte man Rins Vergangenheit, so war es noch erstaunlicher, dass sie ihr Glück ausgerechnet mit einem Wolfsdämon gefunden hatte. Aber die Liebe ging eben manchmal Wege, die beim besten Willen nicht nachzuvollziehen waren. Und außerdem war Kôhei in mancher Hinsicht anders, als seine Artgenossen, auch wenn er inzwischen deutlich aufgetaut war. Als er hierher kam, als einfacher Schüler der Inu-Akademie war er vollkommen verschlossen gewesen und alle Bemühungen seines Mentors hatten daran wenig geändert. Erst Rin hatte zu ihm durchdringen können. Und mit der Zeit hatten sie sich gegenseitig therapiert. Als er sie schließlich im letzten Moment vor einem aufdringlichen Diener rettete und es ihm sogar gelang, sie aus ihrem Trauma ob dieses Geschehens zu wecken, war offenbar geworden, dass da mehr war, als pure Freundschaft. Aber es hatte noch Jahre gedauert, bis sie es sich eingestanden hatten. Gerade Kôhei hatte sich damit schwer getan. Bei allem abweisenden Verhalten, auch seinen Rudelkameraden gegenüber, hing er doch sehr an seinen Artgenossen und besonders an seiner kleinen Schwester, aber irgendwann waren seine Gefühle für Rin wohl das überzeugendere Argument gewesen. Und Natsu rühmte sich nicht umsonst, dass sie an der entscheidenden Szene einen gewissen Anteil hatte. So wie jetzt, allerdings ohne Sesshômaru hinter sich, hatte sie an jenem Abend hier auf dem Balkon gesessen. Natsu schmunzelte etwas, als sie daran dachte, dass die Art, wie Kôhei und Rin jetzt gerade dort unten im Gras saßen, der damaligen Situation sehr ähnlich war. Und kurzerhand griff Natsu in ihren Obi, in dem sie stets etwas bei sich trug, das ihr beinahe so kostbar war, wie ihre Schwerter. Behutsam setzte sie das Instrument an die Lippen und spielte ein paar Takte. Vergleichsweise tiefe, sanfte Töne woben sich ineinander. Natsus Katzenaugen erfassten nur zu deutlich, dass Rin unten im Garten aufblickte, zu ihr hochsah und sich ihr charakteristisch strahlendes Lächeln noch etwas vertiefte. Ihre Ziehtochter hatte die Melodie erkannt. Kurzerhand sprang Rin auf und zog Kôhei dabei mit sich. Der ließ sich nicht lange bitten, denn auch ihm war das Lied schließlich nicht fremd. Als Rin seine Hand los ließ, hob er den Unterarm an, die Aufforderung zum Tanz. Rin kicherte, als sie ihre Hand auf Kôheis Arm legte und auch Natsu schmunzelte oben auf dem Balkon, ehe sie weiterspielte. Dabei dachte sie zurück, wie es damals gewesen war… Natsu trat etwas verwundert auf den Balkon, als sie sowohl die Witterung ihrer Ziehtochter, als auch die von Aratas zweitem Schüler im Garten ausmachte. Es war nicht ungewöhnlich, dass die beiden zusammen anzutreffen waren und Natsu brauchte auch schon lange nicht mehr die gelegentlichen Bemerkungen von Rins aufmerksamer Zofe um den Grund dafür zu wissen, aber so spät am Abend, allein und hier hinten im Garten, wo es still und abgeschieden war? Das war eine Seltenheit. Kurzerhand ging sie gucken und sah die beiden doch tatsächlich Hand in Hand über die Kieswege spazieren. Ebenfalls eine Neuerung. Rin war gerade achtzehn, sodass keinerlei Altersunterschied zwischen beiden zu erkennen war, obgleich Kôhei natürlich in Wirklichkeit bereits einige Jahrhunderte alt war. Sie schienen nicht einmal zu reden, sondern nur die Zweisamkeit zu genießen. Da konnte Natsu nicht anders. Sie setzte sich seitlich auf die Balkonbrüstung und holte ihr Instrument hervor. Fast lautlos testete sie ein paar Töne an, ehe sie den richtigen Beginn für eine sanfte, romantische Melodie gefunden hatte. Von da an entwickelte sich das Lied fast von selbst, webte sich in die Luft, ganz als würde es dem Wind selbst gehören. Und es kam bei den beiden Spaziergängern an. Kôhei hörte es zuerst, Natsu nahm sein kurzes Kopfheben wahr, aber er maß dem Ganzen anscheinend keine große Bedeutung bei. Rin dagegen reagierte ganz so, wie Natsu erwartet hatte. Unbefangen trat sie halb um Kôhei herum, fasste auch seine zweite Hand und zog ihn mit sich vom Weg hinunter auf die Wiese daneben, drehte sich dabei halb im Kreis und hängt ein paar vermutlich frei erdachte Tanzschritte an. Natsu erkannte in ihrer Trittfolge jedenfalls keinen offiziellen Tanz, aber das war nun einmal typisch Rin. Dadurch, dass Kôhei nichts dagegen zu haben schien und in ihrer Bewegung bereitwillig mitging, geriet sie ein gutes Stück näher an ihn heran und schließlich war es der junge Wolfsdämon, der die Initiative ergriff. Sacht löste er eine Hand aus Rins Griff und legte sie stattdessen auf ihren Rücken, zog sie so noch etwas dichter zu sich. Auch das nicht gerade eine Haltung, die der distanzierte, höfische Tanz verlangte, dem Tanzpaare ohnehin eher fremd waren. Augenblicklich wurden ihre Schritte langsamer, bis sie nach einigen Minuten die letzte Distanz überwanden und sich eng aneinandergeschmiegt in der Melodie verloren. Natsu hatte das Lächeln gerade noch so weit unterdrücken können, dass es ihr gelang, weiterzuspielen. Dieser Anblick war einfach zu niedlich. Der Mond schien auf das Tanzpaar hinab, ein paar Glühwürmchen und verirrte Schmetterlinge gaukelten durch die Luft, besser hätte es gar nicht zusammen passen können. Behutsam ließ Natsu die Melodie ausklingen und zog sich taktvoll zurück. So sah sie nicht mehr, dass Rin und Kôhei erst eine kleine Weile später innehielten und noch einen Moment stehen blieben, nah beieinander, wie eben während des Tanzes. Langsam trat Rin einen halben Schritt zurück, sah Kôhei von unten her an. Der jedoch blickte zur Seite, etwas unsicher, weil seine Konzentration bis gerade eben Rins süßem Duft gegolten hatte. Erst ein paar Herzschläge später wagte er wieder, auf sie herunterzusehen – und ihre so aufrichtigen, tiefbraunen Augen nahmen ihn wie so oft gefangen. Doch etwas war heute anders. Vielleicht war es die Stimmung um sie herum, vielleicht war es Rins Nähe, auf jeden Fall erfüllte ihn in diesem Moment eine tiefe Ruhe, die alle Zweifel überflüssig machte. Rin ging es nicht viel anders. Kurzerhand stellte sie sich etwas auf die Zehenspitzen und näherte sich seinem Gesicht, bis sie seinen Atem spüren konnte. Zugleich fragte ihr Blick beinahe um Erlaubnis. Aber da er sich nicht regte, den Kopf nicht abwandte, sie nicht wegstieß, überwand sie schließlich die letzten Zentimeter und berührte mit den Lippen die seinen. Zuerst war sie noch überrascht, wie weich die seinen waren, da begann er den Kuss plötzlich sanft zu erwidern, zog sie wieder enger an sich und in diesem Moment fiel alles Denken von Rin ab. Was zählte, war nur der Augenblick. Natsu setzte das Instrument ab und sah auf Rin und Kôhei hinab, die eng umschlungen inmitten des sommerlichen Gartens standen. Sie hatte damals nicht gesehen, was das schlussendliche Ergebnis ihrer Bemühungen gewesen war, aber sie hatte es sich denken können. Rins und Kôheis ganzes Verhalten hatte sich nach diesem Abend geändert. Sie gingen weniger vorsichtig miteinander um. Natsu war wohl am Wenigsten überrascht gewesen, als Kôhei ein knappes halbes Jahr später bei Sesshômaru um Rins Hand anhielt. Ein weiteres halbes Jahr später war die Hochzeit gewesen und seit diesem Tag war Rin gezeichnet, ihre Lebenszeit an die einer Yôkai angepasst, solange Kôhei lebte. Ein Umstand, den Sesshômaru sehr begrüßte, das wusste Natsu genau. Ihr Gefährte hatte schon immer damit gehadert, dass Rins Lebenszeit als Mensch eigentlich so kurz war. So aber waren alle glücklich gewesen. Was wollte man schon mehr? ~*~ Im Dorf, bei Kagome, war die Situation derweil weit weniger entspannt. Das Fieber ihrer Patientin war zwar ein klein wenig gesunken, aber die Kleine war auch um ein Vielfaches schwächer geworden, ihr Atem ging flach und ihr Herz flatterte wie ein Vogel, der aus dem Nest gefallen war, bevor er flügge war. Es sah nicht sonderlich gut für sie aus. Seufzend wechselte Kagome abermals das kühlende Tuch auf der Stirn des Hanyômädchens. „Es geht ihr schlechter, nicht wahr?“ Kikyô trat zu ihrer Mutter und sah auf das fiebernde Kind hinab. Kagome nickte ernst. „Ich kann nur hoffen, dass sie die Nacht durchsteht. Wenn sie morgen noch am Leben ist, dürfte sie über den Berg sein. Aber die Chancen stehen nicht sonderlich gut“, erwiderte sie, ehe sie eine Hand auf den Oberschenkel stützt und sich erhob. „Kannst du Brennholz holen? Dann kümmere ich mich um das Essen – dein Vater läuft sonst Amok, wenn er nach Hause kommt“ Das klang nach Galgenhumor. Kikyô lachte dennoch leise. „Ich war gerade mit Kirara unterwegs, Feuerholz haben wir schon genug. Bleib‘ du bei der Kleinen, ich kümmere mich um das Essen, Okaa-san“ Kagome lächelte etwas gezwungen. „Du bist ein Schatz, Musume-chan.“ „Ich weiß, Okaa-chan“, witzelte sie, „Übrigens ist Hotaru noch drüben am Schloss. Teshi hatte sich wohl etwas verspätet und deswegen musste der Unterricht etwas nach hinten verschoben werden. Der Bote lief mir gerade draußen über den Weg“ Jetzt lächelte Kagome offener. Kikyô erwiderte die Geste ihrer Mutter, ehe sie sich etwas zur Seite wandte, wo Kirara gerade herankam, auf ihrem Rücken zwei dicke Bündel Äste und Zweige. Mit geschickten Fingern begann Kikyô die Verschnürungen zu lösen und Kirara von ihrer Last zu befreien. Die Nekomata hielt still, während ihre roten Augen allerdings auf dem kranken Kind lagen. Kirara sorgte sich ebenso um die Kleine, wie alle anderen um sie herum. Sie konnte wittern, dass der Tod sich bereits hartnäckig anschlich und solange das Mädchen nicht ruhiger schlafen würde, würden die Fieberkrämpfe nicht aufhören, konnte sie sich nicht entspannen. Und das könnte ihr Todesurteil bedeuten, zumal sie immer wieder ein bisschen Blut verlor, wenn sie sich im Banne ihrer Fieberträume selbst verletzte. Kirara weilte zu lange auf dieser Welt und hatte auch viel zu viel Kontakt mit Menschen gehabt, als dass sie den Tod nicht als steten Begleiter kannte, aber dennoch täte es ihr sehr Leid um die Kleine. Etwas sagte ihr, dass dieses Mädchen etwas ganz besonderes war. Inzwischen war das letzte Holz von ihrem Rücken geladen und Kirara wechselte in ihre kleine Form, in der sie inmitten der Hütte weniger im Weg stand. Kurze Zeit später kündigte ein mehrstimmiges Japsen in der Nähe der Siedlung jemandes Rückkehr an. Während das tierische Hunderudel aber zum Schloss weiterjagte, kam ihr weniger tierischer Begleiter direkt richtung Dorf. Kurz darauf stand die Gestalt bereits im Türrahmen. Roter Suikan, silberweiße Haare und ebensolche Hundeohren auf dem Kopf, bernsteinfarbene Augen, es hätte keines zweiten Blickes bedurft, den Ankömmling zu erkennen. Kagome drehte sich zu ihm um. „Guten Abend, Otou-san!“, ließ sich Kikyô von der Feuerstelle vernehmen, während sie Holz nachlegte um das Feuer heiß genug zum Kochen zu machen. Kagome war derweil auf den Hanyô zugegangen, nun doch ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Gerade wollte sie ihm zur Begrüßung einen leichten Kuss geben, da schob InuYasha sie etwas von sich. Perplex zog Kagome die Augenbrauen hoch, erst recht erstaunt, als sie InuYasha wittern sah. Er verengte die Augen etwas, sodass er deutlich ernster drein blickte, als bisher. „Ich rieche Blut. Wer von euch ist verletzt? – Und lügt mich nicht an, ich kann wittern, dass jemand aus der Familie verletzt sein muss“ Kagome ließ die angespannten Schultern fallen. Das war es also. „Ach, das ist nur unsere kl- warte mal, hast du gerade Familie gesagt?“ InuYasha nickte, während er versuchte, an ihr vorbei zu schielen, aber sie stand genau so, dass er das Lager, das normalerweise Hotaru gehörte, nicht sehen konnte. Kagome runzelte etwas die Stirn. „Ich wollte gerade sagen, das wäre nur unsere kleine Patientin. Yutaka brachte sie vorhin. Aber… naja, ich bin jedenfalls heile. Kikyô, hast du dir was getan?“ Kikyô verneinte sofort. „Aber dann…“, setzte Kagome fast tonlos an, ehe sie den Kopf schüttelte. „Nein, das kann doch nicht sein. Sie ist ein vollkommen fremdes Hanyômädchen…“, Kagome verstummte. „Bist du dir sicher, InuYasha?“ Der Hanyô zuckte leicht mit den Hundeohren auf seinem Kopf, seine goldenen Augen schimmerten im Dämmerlicht des Hütteninneren. „Die Blutung ist versiegt, aus geronnenem Blut kann ich nichts ablesen. Vielleicht habe ich mich auch geirrt“, lenkte er ein, weil er gemerkt hatte, dass weder Kagome, noch seine Tochter verwundet waren und er jegliche andere Möglichkeit für ebenso unmöglich erachtete, wie Kagome. Dennoch, ganz wollte der Zweifel sich nicht verjagen lassen. Da riss ihn plötzlich Kikyôs Stimme aus seiner Nachdenklichkeit. „Sag mal, Okaa-san, ist es normal, dass die Kleine so still ist?“ Kagome erstarrte, als sie das hörte. Sie ahnte schlimmes und rechnete mit dem Ärgsten, als sie herumwirbelte, auf die Tatami-Matte starrte, auf der die Kleine lag. Was sie sah, ließ sie in der Bewegung erstarren. Ihre Brust krampfte sich zusammen, als ihr erst ein ersticktes Kieksen, dann ein befreites Lachen entwich. Tränen der Erleichterung sammelten sich in ihren Augen. InuYasha, der die Tränen gerochen hatte, legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Was… was hast du, Kagome?“ Noch immer, nach all den Jahren, tat er sich etwas schwer im Umgang mit ihr, wenn sie weinte. Auch wenn es nur Freudentränen waren. Kagome drehte sich zu ihm herum und warf sich an seine Brust. „Nichts, InuYasha… ich habe bloß gefürchtet, dass…“, sie schluchzte kurz auf, ehe sie weitersprechen konnte, „… dass sie mir unter den Fingern wegstirbt. Und jetzt schau dir das an!“ Die Arme um seine geliebte Miko geschlossen, linste InuYasha über ihre Schulter – und musste unwillkürlich lächeln, als er erkannte, was Kagome meinte. Auch wenn er nicht wusste, wie das kleine Mädchen bisher mit dem Tod gerungen hatte, so rührte ihn dieser Anblick. Die kleine Hanyô lag nicht mehr alleine auf der Tatami-Matte. An sie geschmiegt und den Kopf auf ihren Bauch gebettet, lag da eine Nekomata bei der Kleinen. Aber es war nicht Kirara. Es war Kazuya, Kiraras Sohn, der sich bisher nie als sonderlich anschmiegsam gezeigt hatte. Und noch etwas war viel bemerkenswerter: Die Nähe und Wärme des dämonischen Katers schien das Mädchen beruhigt zu haben. Sie atmete ruhiger und endlich schlief sie tief und fest. Kapitel 3: Entschlossenheit --------------------------- Als das Essen beendet war, räumte Kagome die Schüsseln zusammen, um sie später am nahen Bach auswaschen zu können. Mit der Zeit hatte sie sich daran gewöhnt, die Gegebenheiten der Natur in allen Feinheiten zu nutzen. So hatten sie sogar eine Art Kühlschrank. Die Inseln, auf denen sie lebten, waren jenseits der Nordküste Japans. Hier oben war es eigentlich bereits ziemlich kühl und nur der Sekai no Tía war es zu verdanken, dass das Klima hier angenehmer war, solange der Bannkreis existierte. Allerdings schien der dafür zuständige Zauber – den in all der Zeit niemand hatte nachvollziehen können – nur bis in etwa einen Meter Tiefe unter den Boden zu reichen. Darunter war die Erde kalt, als wäre oberhalb von ihr noch immer Tundra. Der ‚Kühlschrank‘ war also nichts viel anderes als ein Kellerraum, aber er tat seine Pflicht. Ebenso wie ein nahes Fließgewässer leicht Spül- und Waschmaschine ersetzen konnte – wenn man ein paar Tricks und Kniffe kannte. Kagome war sich durchaus darüber im Klaren, dass die Dämonen dazu in der Lage wären, all das zu erschließen, was die Menschen mit den Jahrhunderten herausgefunden hatten, einschließlich Strom, Funk und Fernsehen, aber sie wollten es nun einmal nicht. Und Kagome hatte gelernt damit zu leben. Jetzt erhob sie sich, um das Geschirr beiseite zu stellen und noch einmal nach ihrer Patientin zu sehen. Aber die schlief noch immer tief und fest. Vorsichtig, um weder sie noch Kazuya aufzuwecken, wechselte Kagome noch einmal den kühlenden Stoffstreifen auf ihrer Stirn, ehe sie sich zurückzog. Dann sah sie nach draußen, wo es inzwischen komplett dunkel geworden war. „InuYasha?“ Der Hanyô hob den Kopf, seine Hundeohren zuckten leicht. „Kommst du mit? Ich gehe Hotaru abholen. Dann kann Sesshômaru seine Wächter bei sich behalten” Sofort war er auf den Beinen und bei ihr. Kikyô blieb mit der kleinen Patientin und den beiden Nekomata zurück. Ein wenig gedankenverloren kraulte sie Kirara den Nacken, als die Nekomata sich auf ihrem Schoss niederließ. Kirara genoss das mit einem unterschwelligen Schnurren, aber zugleich dachte sie nach. Noch immer versuchte sie herauszufinden, was ihr an dem Hanyômädchen aufgefallen war, das da jetzt auf Hotarus Lager schlief. Kagome und InuYasha hatten sich derweil auf den Weg gemacht. Der Hanyô wusste ebenso gut wie sie, dass das mit dem Wächter sparen nur eine Ausrede gewesen war. Meistens schickte Sesshômaru nämlich eh‘ niemanden, weil eine auszubildende Lehrerin selbst in der Siedlung und nicht im Schloss lebte und von daher meistens mit Hotaru gemeinsam zurückkam. „Du willst Kikyô nicht beunruhigen. Aber warum genau?“, verlieh InuYasha schließlich seiner Neugier Ausdruck. Kagome, die sich bei ihm eingehakt hatte, sah zum Horizont. „Du hast mir vorhin zu schnell nachgegeben. In Wirklichkeit denkst du noch immer über die Kleine nach, oder?“ InuYasha brummte vor sich hin. „Ich konnte es tatsächlich nur kurz wahrnehmen, ehe das Blut geronnen ist. Aber in diesem Moment war ich mir doch recht sicher. Das war das Blut der Familie“, gab er schließlich zu. „Aber wie kann das sein? Sie kommt von außerhalb des Bannkreises“, merkte Kagome an. „Keh! Woher soll ich wissen, wer von dem ganzen Clan sich außerhalb des Bannkreises herumtreibt. Es gibt doch genug, die ab und an Abstecher machen, nicht nur von denen, die wir ein wenig näher kennen. Ich meine, hinter Sesshômarus Mutter steht auch noch ein halber Clan. Frag‘ mich bitte nicht, ob ich da auch nur ansatzweise durchblickte. In der Schlossbibliothek gibt es ein ganzes Regal mit Chroniken, Stammbäumen und Ahnenlisten aus der Ecke“ Bei Erwähnung der ehemaligen Inufürstin musste Kagome kurz lachen. Chiyo hielt sich so gut wie möglich von ihnen fern und wollte am liebsten gar nichts mit der erweiterten Familie zu tun haben. Sie lebte noch immer in ihrem Wolkenschloss und ließ sich nur selten blicken. Die einzige, die näheren Kontakt zu ihr pflegte, war Sesshômarus Tochter Naomi, die am Wolkenschloss erzogen wurde. Dennoch konnte Kagome sich eine kleine Stichelei nicht verkneifen: „Du hast die Bibliothek also tatsächlich schon mal von innen gesehen, ja?“ „Keh!“ InuYasha wandte beleidigt den Blick ab. Beschwichtigend drückte Kagome kurz seine Hand, ehe sie wieder ernst wurde. „Also glaubst du, sie könnte zu irgendeinem entfernten Familienzweig gehören? Aber wie viele kämen denn da von der Einstellung in Frage? Ich meine… sich mit einem Menschen einzulassen“, fasste sie zusammen, nur um gleich die nächste Frage aufzuwerfen. InuYashas Entdeckung vorhin bestätigte sie nur in ihrer unbestimmten Ahnung, die kleine Patientin sei eines zweiten Blickes wert. InuYasha zuckte dagegen nur mit den Ohren. „‘Muss ja nicht an der Einstellung liegen. Wer weiß, vielleicht ist die Kleine ein Unfall. Nicht jeder Hanyô entsteht aus Liebe“, wandte er ein. Kagome schwieg eine Weile. So sehr er damit recht hatte, irgendwie hatte sie das Gefühl, er würde es sich damit zu einfach machen. „Und der Bann? Die Kleine hatte bis vor kurzem ein Armband um, das ihre Hanyô-Gestalt und alles was damit zusammenhängt unterdrückte. Dämonische Bannmagie. Das heißt, der dämonische Elternteil muss sie kennengelernt haben“ InuYashas Reaktion war nur ein undefinierbares Murren. Aber die Miko ahnte, was er damit sagen wollte. Es musste kein positives Argument sein, dass der dämonische Elternteil die wahre Natur seines Sprößlings unterbunden hatte. Inzwischen waren sie auf der Hügelkuppe angekommen, verharrten einen Moment. Kagome wusste, dass sie InuYasha nicht fragen musste, ob er einverstanden war, die Kleine vorerst aufzunehmen. So spröde er sich gab, einen Hanyô im Stich zu lassen und ihn damit einem Leben auszusetzen, wie er es erlebt hatte, das würde er niemals zulassen. Dazu hatte InuYasha ein viel zu gutes Herz, auch wenn er das nie zeigen mochte. ~*~ „Na hör‘ mal, Teshi. Erst kommst du zu spät zum Unterricht und dann konzentrierst du dich noch nicht einmal. Schau, was du da geschrieben hast: „Baum“. Und was solltest du schreiben? „Groß“, genau. Also wirklich. Teshi, beim Kanji für „groß“ hört der senkrechte Strich hier oben an der Spitze auf“ Ein klauenbewehrter Finger tippte auf das Schreibpult, hinter dem der junge Hanyô kniete. Der beeilte sich sofort, das richtige Kanji aufzuschreiben, geriet dabei mit dem Handballen in die noch nicht eingetrocknete Tinte des falschen Kanji und zog eine schwarz glänzende Spur quer über das Blatt. Entnervt ließ er den Schreibpinsel fallen. Seufzend schüttelte die Lehrerin den Kopf. Mit einer Handbewegung zitierte sie den Diener, der an der Tür kniete, zu sich. „Lasst Saika-hime holen. Der Unterricht ist für heute beendet“, trug sie ihm auf. Sie wusste, dass es keinen Sinn mehr hatte, Teshi weiter zu triezen. Hier half es auch nicht mehr, ihm zum Abschluss eine noch leichtere Aufgabe zu stellen, im Moment würde er alles vermasseln. Langsam kniete sie sich vor sein Schreibpult und zog ihm das verschmierte Blatt vor der Nase weg. „Teshi, mein Freund. Diese Tatsache wird dich noch dein ganzes Leben hindurch verfolgen. Du darfst dir davon nicht die Konzentration nehmen lassen“ Ihre dunklen Augen lagen mitfühlend auf dem honigfarbenen Schopf ihres Schülers. Der warf den Kopf hoch und funkelte sie an. „Du-“, er unterbrach sich rasch. Sein Gegenüber lächelte nur. „Was, ich? Ich kann das nicht verstehen? Du irrst, mein Freund. Vergiss nicht, dass meine Mutter auch eine Hanyô war. Ich weiß, was die Nacht der Schwäche bedeutet“ Und vielleicht… vielleicht weiß jemand wie ich oder ein älterer Hanyô wie dein Großonkel, es sogar noch besser, als du. Denn wir wissen auch, dass es nicht nur unangenehm ist, sondern auch sehr viel Gefahr birgt, mein Freund…, fügte sie in Gedanken hinzu, ohne es auszusprechen. „Hai, Sensei. Gomen“ Der Junge ließ den Kopf wieder hängen, der seit dem Sonnenuntergang nicht mehr wie sonst von zwei tierischen Öhrchen geziert wurde. „Na siehst du. Schau, deine Großcousine jammert auch nicht. Und die darf das Ganze zweimal im Mondumlauf durchmachen“, fügte die Lehrerin doch hinzu, ehe sie sich erhob um sich besagter Großcousine zuwandte, die am Schreibpult daneben hockte und ebenfalls darin vertieft war, einige Kanji zu schreiben. „Schau dir deine 8 noch einmal genau an. Stimmt das so?“, fragte sie. Das Mädchen, das noch ein paar Jahre jünger war als ihr Mitschüler musterte das eben geschrieben Kanji angestrengt. Dann tippte sie auf die Stelle, wo die beiden Linien aufeinandertrafen. „Sie dürfen sich eigentlich nicht berühren, oder?“ „Genau, Hotaru. Schreib das noch einmal richtig daneben und dann lassen wir es für heute gut sein“ „Hai“ Eifrig berichtigte Hotaru das Kanji, ehe sie sich erhob. „Fertig. – Hallo, Saika!“, begrüßte sie ihre Großcousine, die eben den Raum betrat, als der Diener ihr die Tür aufschob. Teshis große Schwester nickte ihrer Großcousine lächelnd zu, ehe sie sich ihres kleinen Bruders annahm. ~*~ Kirara hatte derweil ihrer Neugier nachgegeben und hatte sich auf den Weg gemacht. Vielleicht wussten ja jene mehr, mit denen ihre menschlichen Freunde nicht sprechen konnten. Vor der Hütte verwandelte sie sich in ihre große Form und flog los. Ihr Weg führte sie am Inuschloss vorbei, den Fluss abwärts, an dem See vorbei, der sich unweit jener Stelle befand, an dem der Fluss sich in zwei Arme teilte, bis zu einem Talgrund, in dem hohe Palisaden ein weiteres Dorf einschlossen. Die Hauptsiedlung der Taijiya. Kirara störte sich nicht an der Begrenzung, sondern überwand sie einfach, ließ sich innerhalb wieder zu Boden sinken. Augenblicklich kam ihr jemand entgegen, eine dicke, schwarze Mähne schmückte die Schultern des Nekomata-Katers, der sie nun begrüßte. Nase an Nase erwiderte sie seinen Gruß. „Guten Abend, Katashi“ Im nächsten Moment kamen zwei weitere Nekomata heran, allerdings in kleiner Form. Auch Kirara wechselte nun ihre Gestalt wieder. „Was machst du denn hier, Mutter?“, wollten die beiden anderen wie aus einem Mund wissen. Kirara schnurrte etwas. „Ich habe etwas mit euch zu besprechen“, gab sie zurück, innerlich amüsiert über Katashis etwas enttäuschte Miene. Sie wusste, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn sie einfach so zu Besuch gekommen wäre. Aber auch wenn er der Vater ihrer Kitten war… so eng war ihre Bindung nicht. Sie kam ihn und ihre beiden Töchter hier in regelmäßigen Abständen besuchen, aber nicht viel öfter als alle anderen Nekomata der Gegend. Chouko und Atsuko schienen dagegen eher begierig, mehr zu erfahren. Also erzählte Kirara alles, was sie von der unbekannten Hanyô wusste. Drei rote Augenpaare lagen die ganze Zeit über interessiert auf ihr. Als sie geendet hatte und sich abwartend hinsetzte, beide Schweife um die Vorderpfoten geschlungen, blickte Chouko nachdenklich drein. Im Gegensatz zu ihrer Schwester hatte sie das helle Nackenfell ihrer Mutter geerbt, das sie nun etwas unbehaglich sträubte. „Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, Atsuko, aber ich glaubte nicht, dass wir da sonderlich weiterhelfen können. Zu Ohren gekommen ist mir zu mindestens nichts. Dir, Atsuko? Oder dir, Katashi?“ Wie unter den Nekomata üblich sprach sie ihren Vater nur mit Namen an. Beide schüttelten jedoch die Köpfe. „Auf jeden Fall fällt mir nichts ein. Aber wir sagen natürlich sofort Bescheid, wenn wir etwas herausfinden, Kirara“, fügte Katashi noch hinzu. „Genau, wir halten Augen und Ohren offen, Mutter“, bestätigte Atsuko und duckte sich spielerisch vorne ab, als wollte sie gleich hier und jetzt auf Fährtensuche gehen. Kirara schnurrte nur belustigt. Sie ahnte, dass ihre Tochter nicht ausgelastet war. Atsuko diente normalerweise dem Anführer der Taijiya, aber den gab es im Moment nicht, er war vor drei Jahren bei einem Auftrag ums Leben gekommen. Seit dem half Atsuko vornehmlich bei der Schulung der Angehenden mit und das forderte sie nicht wirklich. „Das wäre schön. Ich werde auch Yume informieren, wenn ich ihm das nächste Mal über den Weg laufe. Vielleicht schnappt es auf seinen Streifzügen etwas auf“, befand Kirara und erhob sich. Das junge Baku, dessen sie sich vor langer Zeit nach dem Tod seines Elterntieres angenommen hatte, war inzwischen zu einem stattlichen Exemplar seiner Art herangewachsen und stets irgendwo unterwegs. Aber auf der Suche nach Nahrung machte es meistens Abstecher in die Dörfer und dann würde sie ihm schon begegnen. Als Kirara sich nun mit einem Schweifschnippen verabschiedete und sich abwandte, fragte keiner ihrer drei Gesprächspartner, wohin sie ging. Sie alle wussten es. ~*~ Nicht weit entfernt durchquerte Hotaru derweil das Schlosstor. „Bis morgen, Teshi“, verabschiedete sie sich von ihrem Großcousin und Schulkameraden. Der winkte ihr vom Balkon hinterher, wo er gemeinsam mit seiner großen Schwester stand. Jemand fasste nach Hotarus Hand. „Na komm. Sonst machen deine Eltern sich noch Sorgen“ Die Stimme war weich und erschien leicht hallend. „Ich komme schon, Shizuka-sensei“ Bereitwillig ließ Hotaru sich mitziehen. Shizuka lachte. „Du weißt genau, dass du mich nicht so nennen sollst“ „Aber du bist doch fast eine Lehrerin!“ „Solange wir innerhalb der Schlossmauern sind, meinetwegen. Aber hier draußen bin ich einfach nur eine gute Freundin deiner Familie. Oder etwa nicht?“ „Doch, Shizuka!“ „Na also. – Schau, da sind deine Eltern schon“ Die jugendliche ‚Lehrerin‘ streckte eine Hand aus, die Klauen blitzten etwas im Mondlicht auf, als sie auf die beiden Gestalten auf der Hügelkuppe zeigte. Hotaru strahlte. „Okaa-san! Otou-san!“, rief sie und machte sich von ihrer bisherigen Begleiterin los, um auf den Hügel hinaufzurennen, sich ihrer Mutter entgegenzuwerfen, als seien sie jahrelang voneinander getrennt gewesen. „Keh! Hotaru, geht das auch ein bisschen leiser?“, grummelte InuYasha vor sich hin und rieb sich demonstrativ das eine Hundeohr. Shizuka schmunzelte, als sie ihrer ‚Schülerin‘ folgte. „Stell‘ dich nicht so an, InuYasha. Du kennst deine Tochter doch!“ InuYasha funkelte sie nur an, weil er genau wusste, dass Shizuka eigentlich Recht hatte und er in diesem Punkt von Kagome keinerlei Beistand bekommen würde. Seine geliebte Miko kannte ihn zu gut, um nicht zu wissen, dass er nur so tat, als würde seine Jüngste ihn nerven. In Wahrheit war es ja froh über ihr übersprudelndes Temperament. Das zeigte, dass nichts sie belastete. „Du hast gut reden, Shizuka. Bei dir ist sie selten so wild“, murrte er allerdings vor sich hin. Angesprochene ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. „Ich trage meinen Namen ja auch nicht von ungefähr“, gab sie schlicht zurück, ehe sie zu Kagome trat. „Haben wir euch zu lange warten lassen?“ Die Miko schüttelte sofort den Kopf und schob ihre Tochter etwas von sich um vernünftig mit Shizuka reden zu können. Sie wusste recht genau, dass der eigentliche Grund dafür, dass Shizuka hieß, wie sie hieß, ein anderer war, aber das war ihr jetzt egal. „Keine Sorge. Ich wollte sowieso noch etwas mit InuYasha bereden, da kam mir der Spaziergang gerade recht“ Shizuka zog nur eine Augenbraue hoch, unmissverständliche Nachfrage. Ihre hellen Haare, die im nächtlichen Dunkel fast violett erschienen, kontrastierten mit ihren nachtschwarzen Augen. Kagome sah ernst drein. „Wir haben ein Findelkind. Ich würde sie auf fünf Jahre schätzen… eine Hanyô, Shizuka“ Die Fledermausblütige weitete die Augen. „Wo kommt die denn her?“ „Das wissen wir eben nicht. Wir haben nicht viele Informationen über sie, nicht einmal ihren Namen wissen wir. Im Moment schläft sie, vielleicht finden wir später etwas heraus. Sache ist nur, dass InuYasha vorhin, als er nach Hause kam, meinte, er habe Blut der Familie gerochen. Und die einzige, die zu dem Zeitpunkt eine blutende Wunde hatte, war die Kleine“, fasste Kagome noch einmal zusammen und sah dann auf ihre Tochter hinab. „Und du schläfst heute bei Kikyô, einverstanden? Unser kleiner Gast soll sich ausschlafen“ Hotaru nickte eifrig, auch wenn sie vermutlich nur dem halben, vorangegangenen Gespräch gelauscht hatte. Sie war eindeutig schon wieder auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung. Shizuka zupfte derweil nachdenklich an dem Kimono, den sie immer trug, wenn sie im Schloss unterwegs war. Der helle, graublaue Stoff raschelte etwas. „Wie ich dich kenne, willst du dich um sie kümmern?“ Das klang eher wie eine Feststellung, als wie eine Frage. Shizuka mochte körperlich selbst noch nicht ganz erwachsen sein, sie kannte die Dorfgemeinschaft und damit auch Kagome sehr gut. Die Miko nickte. „Ich wüsste nichts, was dagegen spricht. Und wir können die Kleine doch nicht sich selbst überlassen“ „Das meine ich auch nicht. Aber wenn du so wenig über sie weißt, solltest du so schnell es geht versuchen herauszufinden, welche Stärke sie hat. Nicht, dass sie irgendwann einmal durchdreht und du hast nichts um sie wieder zurückzuholen“, stellte Shizuka klar. Unwillkürlich hatte InuYasha eine Hand auf Tessaigas Heft gelegt und wenn sie selbst ihr Schwert beigehabt hätte, hätte Shizuka wohl eine ähnliche Geste gemacht. Im Normalfall konnte sie zwar ihr Dämonenblut, auch im Kampf, kontrollieren, aber dennoch war es auch bei ihr die Waffe, die ihr im Zweifelsfall die Kontrolle zurückgab. „Das hatte ich auch vor, sobald die Kleine wieder auf den Beinen ist. Und dann wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als mich zu mindestens einmal in der Bibliothek umzusehen. Es geht mir nicht aus dem Kopf, dass die Kleine vielleicht einen Vater hat, den man aufspüren könnte“ „Oder eine Mutter“, wandte Shizuka ein. „Es kann auch gut die Mutter dämonisch gewesen sein. Das gab es zwar meines Wissens noch nicht oft, aber möglich ist es“ „Auch wieder wahr. Na toll. Das erweitert den Kreis der Verdächtigen mindestens auf das Doppelte“, gab Kagome wenig begeistert zu und schüttelte mit hochgezogenen Augenbrauen den Kopf. „Erinnere mich, dass ich nie wieder auch nur darüber nachdenke, wie schön abwechslungsreich es früher war, InuYasha. Das war hier jetzt auf uns zukommt, reicht mir vollkommen, denke ich“, fügte sie dann amüsiert hinzu und fasste nach der Hand ihrer Tochter, ehe die sich auf der Suche nach Abwechslung davonmachen konnte. Das Gespräch der Erwachsenen war ihr eindeutig zu langweilig geworden. InuYasha zuckte nur belustigt mit den Hundeohren, ehe er sich zum Gehen wandte. „Na kommt“ Die anderen folgten ihm, zurück zur Siedlung. An InuYashas und Kagomes Hütte hob Shizuka verabschiedend die Hand, als ihr noch etwas einfiel: „Ach, InuYasha? Ehe ich es vergesse… Fürst Sesshômaru sagte, er wolle dich in den nächsten Tagen mal sprechen. Kôhei hat ihn da wohl auf etwas angesprochen. Ich glaube, es geht um Teshi und Saika“ „Sesshômaru? Was will der denn schon wieder?“, brummte InuYasha, aber das war seine Art der Zustimmung. Shizuka nahm das nur zur Kenntnis und wandte sich ab um nach Hause zu gehen. ~*~ Kiraras Weg führte sie derweil an den Rand des Taijiyadorfes, wo abseits der Hütten vier Gräber lagen. Während die meisten Taijiya an einem Berg auf der neutralen Insel etwa in der Mitte des Bannkreises bestattet wurden, hatten diese vier hier ihre letzte Ruhe gefunden. Die Grabsteine waren alt und verwittert, obwohl sie gepflegt wurden, sah man ihnen die über vierhundert Jahre Alter an. Die Inschrift war beinahe nur noch zu lesen, wenn man wusste, was dort stand. Kirara wusste es. Sie wusste sehr genau, wer hier begraben lag. Jene vier Menschen, die den Grundstein für die neue Generation der Taijiya gelegt hatten. Auf lautlosen Pfoten näherte Kirara sich dem ersten Grabstein. Das erste der eingravierten Worte war sogar noch recht gut zu erkennen. ‚珊瑚‘, Sango, stand da. Hier ruht Sango, Begründerin des Silberbanns und erste Aijin der neuen Generation – auf immer in Ehren, rezitierte Kirara die gesamte Inschrift in Gedanken und schloss kurz die leuchtend roten Augen. Dann trat sie ein paar Schritte weiter, setzte sich zwischen Sangos Grabstein und dem daneben nieder. Sango war nicht ihre erste Herrin gewesen, aber sie würde ihr auf immer ebenso in Erinnerung bleiben wie jene. Aber auch die anderen drei würde sie nie vergessen. Weder Miroku, noch Kohaku, noch Koume. Sie alle waren etwas Besonderes gewesen. Sango und Kohaku, das Geschwisterpaar, letzte Überlebende der ‚alten Generation‘, ihrer Verwandten und Freunde beraubt durch einen infamen Plan, der sie zwischenzeitlich zu Feinden werden ließ. Miroku der Mönch und Frauenheld, der, nachdem er Sango getroffen hatte, alles für sie getan hätte, der lange mit einem schrecklichen Fluch gelebt und ihn schließlich doch besiegt hatte. Und Koume, die Kohaku wieder aufgerichtet hatte, die seine Schülerin und sehr viel später seine Gemahlin geworden war. Diejenige, deren Idee es gewesen war, Nekomata gezielt auszubilden und die die neuen Taijiya mit geformt hatte. Dabei hatte sie die Dämonenjäger erst durch Kohaku richtig kennengelernt, stammte aus allem anderen als einem kriegerischen Umfeld. Sie alle vier hatten für menschliche Verhältnisse lange gelebt. Miroku hatte sogar knapp das fünfundachtzigste Lebensjahr erreicht. Nachdem aber auch er in die anderen Welt gegangen war, hatte Kirara nichts mehr hier gehalten. Seit dem lebte sie bei Kagome und InuYasha, hatte deren Kinder aufwachsen sehen und das Erstarken der Taijiya, die Bildung der Dörfer auf den anderen Inseln nur noch am Rande verfolgt. Sie hatte selbst einen Wurf gehabt, ihr Sohn lebte noch immer bei ihr. Konstanten und Veränderungen wogen sich auf. Und doch wusste Kirara, das keiner der anderen nachvollziehen konnte, dass sie ein wenig anders war. Sie war nicht nur deutlich älter als die meisten anderen Nekomata, sie hatte auch Dinge erlebt, die den anderen abgingen. Und immer wieder war sie an Begleiter, Freunde, Verbündete und auch Feinde geraten, die bis heute in Erinnerung waren. Dazu zählte dieses Quartett, dazu zählte ihre erste Herrin Midoriko, die Erschafferin des legendären und ebenso teuflischen Shikon no Tama, dazu zählte Naraku, eines der abscheulichsten und zugleich bedrohlichsten (halb-)dämonischen Wesen, die in den letzten Jahrtausenden existiert hatten. Es war schon seltsam. Anscheinend hatte sie immer irgendwo das Bindeglied spielen sollen. Das Schicksal hatte sich schon einige Spezialitäten für sie ausgedacht. Kirara erhob sich wieder und trat zu dem kleinen Schrein, der neben den Gräbern erbaut worden war. In seinem Inneren fanden sich fünf große Truhen aus hellem Holz, verziert mit kunstvollen Intarsien. Eine rechts von ihr und die anderen vier nebeneinander vor Kopf. Die einzelne war fest verschlossen. Sie beherbergte die Stammbäume und Aufzeichnungen der Taijiya und eine solche gab es in jedem Dorf. Die anderen vier aber standen offen und waren durch starke, spirituelle Banne geschützt. Kirara wusste, dass sie, obwohl sie ein dämonisches Wesen war, nicht abgewiesen worden wäre, aber dennoch hielt sie einen halben Meter Abstand. In diesen Truhen wurden die Waffen ihrer vier speziellen Freunde gut geschützt aufbewahrt. Sie waren nach deren Tod nie wieder benutzt worden. Bis zu seinem Lebensende hatte Miroku die Bannkreise erhalten, nun tat dies Kagome. In Gedenken an viele gemeinsame Jahre. Sangos Hiraikotsu, Kohakus Kusarigama und Individualwaffe, Koumes S-förmiger Doppelklingenspeer und auch Mirokus Shakujô. Hinter den vier Truhen hing ein großer Wandteppich, der die vier zeigte, von den stets leuchtenden Lichtern an der Wand in eine mystische Stimmung getaucht. Um Sangos Hals lag wie ein Pelzkragen eine Nekomata. Kirara wusste, dass dort sie selbst verewigt worden war. Zwischen Kohaku und Koume stand Katashi in voller Kampfgröße, zu seinen Pfoten saß seine Mutter Kuroro. Obwohl sie alle drei noch lebten, hatten sie einfach dazu gehört. Kirara schnurrte etwas wehmütig. Trauer war nichts, was ein dämonisches Wesen umtrieb, aber die Erinnerungen schafften es doch immer wieder sie zugleich melancholisch und dankbar zu stimmen. Und plötzlich erinnerte sie sich an eine andere Begebenheit. Damals, einige Jahre nach dem Sieg über Naraku, kurz bevor die Taijiya erneut erwachen sollten, damals war sie ein letztes Mal an Midorikos Mahnmal gewesen. Und damals hatte sie schon geahnt, dass stürmische Zeiten auf sie zukommen würden. So war es dann auch gekommen. Am Ende waren sämtliche dämonischen Fürstenhäuser umgezogen, ein äußerst starker Gegner besiegt, mehrere Artefakte des magischen Gleichgewichtes in guten Händen und nicht zu vergessen die Taijiya wiederauferstanden. Kirara spürte ein Kribbeln in den Pfoten, als ihr bewusst wurde, dass sie vorhin, als die fremde kleine Hanyô endlich außer Lebensgefahr gewesen war, ein ähnliches Gefühl gehabt hatte. Irgendetwas stimmte mit der Kleinen nicht. In diesem Moment war die erfahrene Nekomata sich sicher, dass hinter der Kleinen nicht wieder die alte Geschichte von dem allzu früh verstorbenen, dämonischen Elternteil steckte. Da war mehr. Und Kirara war fest entschlossen, ihre Freunde bei der Suche nach des Rätsels Lösung zu unterstützen. Was auch immer das wieder für Kapriolen nach sich ziehen würde. Sie würde ihren Freunden zur Seite stehen. Kapitel 4: Gespräche -------------------- „Chikaku… nein, die ist schon vor zwanzig Jahren gestorben… Jirou… nur angeheiratet, der würde keine Witterung der Familie vererben...“ Seufzend blätterte Kagome vorsichtig eine weitere Seite um, während sie die Stammlinien vor sich hin murmelte. Neben ihr stapelten sich bereits einige Wälzer, gebunden in dickes Leder, die allesamt ebenfalls Stammbäume oder Ahnenlisten enthielten. Vor den Fenstern der Schlossbibliothek heulte der Wind. Das seit Tagen schmerzlich erwartete Gewitter entlud sich mit voller Kraft und das schon seit dem Morgen. Mit einem Kopfschütteln stützte Kagome das Kinn auf eine Hand und schloss kurz die Lider, weil ihr die in sorgfältiger Kalligrafie-Schrift verfassten Namenslisten trotz aller Sorgfalt langsam vor den Augen verschwammen. Seit drei Tagen verbrachte sie nun mehrere Stunden täglich in der Bibliothek des Inuschlosses, versuchte an irgendeine Information zu kommen und schrieb jeden Namen heraus, der in Frage kam. Sie konzentrierte sich wieder auf die Liste. „Nobuyuki, nein, auch schon eine Weile tot… Ryouta… mal sehen… ja, der wäre möglich…“ Sie griff den Schreibpinsel, der neben ihr lag und setzte den Namen auf die inzwischen beachtliche Liste. Ihr Blick flog über die restlichen Generationen, eher sie auch dieses Buch zuklappte. Dann legte sie es auf den Stapel der erledigten Bücher und lehnte sich ein wenig zurück. Die Sessel hier in der Bibliothek waren eine seltene Neuerung der letzten Jahrhunderte, ebenso die Verwendung von gebundenen Büchern für die Chroniken der Adeligen. Jedwedes andere Schriftstück wurde noch immer als Schriftrolle aufbewahrt. Yôkai ließen eben nur ungern von Traditionen ab. Etwas erschöpft fuhr sie sich durch die Haare. Es wäre deutlich einfacher gewesen, auf die unbestechliche, lückenlose Form der dämonischen Ahnenforschung zurückzugreifen, aber das dazu nötige Artefakt war nahezu unauffindbar. Eines der beiden noch existenten, zwiespältigen Artefakte das zwar, in den falschen Händen, ganze Familienzweige auf einmal auslöschen konnte, andererseits aber, in verantwortungsvollen Händen auch jede Art von Verwandtschaft aufzuspüren und nachzuweisen vermochte, das Hôô Hôseki, befand sich außerhalb jeglicher Reichweite. Die Berge, in denen die drei exzentrischen KajiYôkai, die es bewachten, sich seinerzeit verschanzt hatten, waren zwar längst von den Menschen erschlossen worden, aber Kagome wusste genau, dass die drei nicht nur Meister der Bannkreise waren, sondern sich auch mit Sicherheit ein neues Versteck gesucht hatten. Würde mich nicht wundern, wenn sie irgendwo im Grand Canyon sitzen und sich über die Menschheit ins Fäustchen lachen…, dachte Kagome zynisch, ehe sie schicksalsergeben nach dem nächsten Buch griff. Brachte ja nichts, sich zu grämen, das hatte sie in den letzten Jahrhunderten von den Dämonen gelernt. Inzwischen routiniert flog ihr Finger über die Seiten, während ihre Gedanken nun doch ein wenig abschweiften. Gestern war das kleine Findelkind zum ersten Mal für länger als ein paar Sekunden aufgewacht. Und damit hatte ein turbulenter Tag gerade erst angefangen: Nachdem Kagome die Nächte fast gänzlich am Lager ihrer kleinen Patientin verbrachte, hatte sie geahnt, wem sie es zu verdanken hatte, dass sie gestern Morgen dann doch im Bett gewesen war. Wenn InuYasha wollte, konnte er eben doch sehr zuvorkommend sein. So aber hatte es sie aufgeweckt, dass die Kleine sich regte, Kazuya aufsprang, der seltsamerweise die meiste Zeit an der Seite der neusten Hausbewohnerin verbrachte. Der Nekomata-Kater schien einen Narren an dem Hanyômädchen gefressen zu haben. Rasch war Kagome am Lager ihrer kleinen Patientin, legte behutsam eine Hand an die Wange der Kleinen, wartete ab, dass sie gänzlich zu sich kam. Zuerst zuckten die Öhrchen, dann bewegte das Kind die Hand, ehe schließlich ihre Augenlider zu flattern begannen. Sacht legte Kagome eine Hand an die Wange des Mädchens. „Gut geschlafen, Kleine?“, fragte sie sanft. Da schlug die fremde Hanyô die Augen gänzlich auf. Tiefgrüne Iriden blinzelten zu Kagome auf. „Bist… bist du die Schwester vom Onkel Doktor?“, fragte das Mädchen. Ihre Stimme war hell und noch etwas matt. Kagome lächelte sanft. Oh ja, die Kleine kam eindeutig von außerhalb des Bannkreises. „Nein, ich heiße Kagome. Verrätst du mir auch deinen Namen?“ Ein Moment lang schien die Kleine zu überlegen, ob sie weitersprechen sollte, dann sagte sie doch: „Sayuri“ „Schön, Sayuri. Hast du Durst?“, tastete Kagome sich langsam weiter vorwärts. Ihre kleine Patientin sollte besser erst richtig wach werden, ehe ihr auffiel, dass ihr Ziehvater nirgends in der Nähe war. Sayuri nickte etwas, wobei sich schon fast wieder einzuschlafen schien. Sie ist noch sehr geschwächt… sicher wird sie die nächsten paar Tage noch viel schlafen. Aber immerhin ist das Fieber weg, sie scheint über den Berg… ein Glück…, dachte Kagome bei sich, ehe sie sich erhob um etwas Tee zuzubereiten. Derweil konnte sie sich auch gleich etwas Vernünftiges anziehen. So warm es bis zum Mittag sicherlich wieder werden würde, sie musste nicht den ganzen Tag im Unterkimono herumrennen. Schon gleich zweimal nicht, wo die Wahrscheinlichkeit, dass InuYasha sich während seiner Unterredung mit Sesshômaru verplapperte, doch recht hoch war. Und dann würde vermutlich gleich die halbe Familie auf der Schwelle stehen. Nein, bis dahin sollte sie ihre Chihaya besser anhaben. ~*~ Auf dem Schloss war InuYasha derweil tatsächlich längst zu Sesshômaru ins Arbeitszimmer durchgelassen worden. Jetzt saß er gegenüber seinem Halbbruder vor dessen Schreibpult und sah ihn fragend an. Sesshômaru ließ sich davon wenig aus der Ruhe bringen. Seelenruhig setzte er sein Siegel unter einige weitere Dokumente, ganz als habe er die Anwesenheit seines Halbbruders nicht bemerkt. Dem wurde das schließlich zu langweilig. „Hey, Sesshômaru! Wärst du vielleicht mal so gnädig mir zu verraten, warum du mich hier antanzen lässt?“, fragte er mit bereits erhobener Stimme. Keine Reaktion. „Sesshômaru!“ InuYashas Hundeohren zuckten ärgerlich. Dem Diener, der neben dem Schreibpult darauf wartete, die Dokumente wegräumen zu dürfen, wurde zusehends unbehaglicher zu Mute. InuYasha sprang auf. „SESSHÔMARU!“, knurrte er entnervt. „Setz dich wieder hin, InuYasha“, konterte der nur emotionslos, ohne überhaupt aufzublicken. „Ich denke ja nicht dran!“, schnappte der Halbdämon. Sesshômaru regierte wieder nicht. Dann eben nicht…, schien seine nicht vorhandene Gestik zu sagen. Ein paar Sekunden lang herrschte Stille, dann hob InuYasha demonstrativ eine Klaue. „Lass mich weiter warten und ich verarbeite deine Papiere zu Kleinholz“ Jetzt war ein leises, unterschwelliges Knurren seitens des InuYôkai zu vernehmen. Der Diener zog sich vorsichtshalber zwei Schritte zurück. Die unausgesprochene Drohung hing mehr als deutlich im Raum: Versuche es und du kannst woanders weiterwarten. Ein paar Etagen weiter unten um es genau zu nehmen. Missmutig die Ohren zur Seite abgeklappt gab InuYasha nach. Er wusste, dass Sesshômaru sich sonst nicht scheuen würde, ihn tatsächlich in die nächstbeste Arrestzelle zu stecken. Und dann würde er noch länger auf irgendeine Erklärung warten dürfen. Kaum hatte er sich wieder hingesetzt, schob Sesshômaru die Papiere zusammen und reichte sie dem Diener, der mehr als erleichtert war, den Raum verlassen zu können. Dann sah der Hundedämon auf und seine ganze Konzentration galt nun seinem Halbbruder, als habe er nie auch nur Anstalten gemacht, den zu ignorieren. „Kôhei bat mich, mit dir über eine Sache zu reden“, begann er neutral. „Keh! Ich weiß“, murrte InuYasha noch immer etwas beleidigt. Aber er hörte zu. „Die wenigsten Ookami haben einen eigenen Klauenangriff. So auch Kôhei nicht. Dementsprechend haben auch Teshi und Saika nichts dergleichen von ihm erben können. Da sie als Hanyô aber in der Lage sein sollten, sich auch waffenlos zu verteidigen, kam er auf die Idee, du könntest ihnen deine Blutklingen beibringen“ Jetzt sah InuYasha auf. „Und warum ich?“, fragte er dennoch nach, auch wenn seine nun wieder steil gespitzten Ohren deutlich zeigten, wie begeistert er von der Idee war. Sesshômaru hatte das durchaus bemerkt, aber er ließ sich ausnahmsweise auf das Spiel ein. „Weil der einzige andere, erlernbare Angriff Natsus Glutwelle ist und die verlangt zu viel Kontrolle über das eigene Yôki, als ein Hanyô wie du oder die beiden aufbringen könnte, verstanden?“ InuYasha legte etwas den Kopf schief. „Und die Patrouillen?“ „Übernimmt im Gegenzug Kôhei. – Alle drei Tage“ Sesshômaru gab sich nach wie vor reglos. Er hatte von vorneherein gewusst, dass InuYasha so reagieren würde. So oft sie sich in den Haaren hatten, sie kannten sich inzwischen gegenseitig sehr gut. Und diesmal hatte er InuYasha ja auch provoziert. Nun, manchmal vermochte der Hanyô ja sogar an sich zu halten. Heute eben nicht. Hätte auch nicht zu ihm gepasst, wenn das jetzt zur Gewohnheit geworden wäre. Beinahe hätte Sesshômaru geschmunzelt. Wie viel hatte sich bloß seit damals verändert. Seit sie beide Frieden geschlossen hatten. ~*~ Ein Stück entfernt von der Bibliothek, am Rande der Trainingsplätze der Inu-Akademie hatten sich derweil, wie so oft, Arata und Kôhei getroffen. Der alte Akademieleiter, der einst Kôheis Mentor gewesen war und auch jetzt noch ab und an mit ihm trainierte, hatte Kôhei seinerzeit unter seine Fittiche genommen und es war ein offenes Geheimnis, dass Arata sich eines Tages Kôhei zu seinem Nachfolger wünschte. Aber noch war Arata sehr gut dabei. So schnell würde er den Posten, geschweige denn den Löffel, nicht abgeben. „Und? Hat InuYasha dem Plan zugestimmt?“ Kôhei lachte trocken. „Hast du irgendwelche Zweifel daran gehegt?“, fragte er zurück, anstatt zu antworten. Arata wusste sich das dennoch zu deuten. Belustigt schüttelte er etwas den Kopf. „Nicht wirklich. Eher erstaunlich, dass der Fürst so schnell auf deinen Vorschlag eingegangen ist. Sonst tut er doch alles, damit sich ja keiner ein Beispiel an InuYashas Kampftechniken nimmt“ Kôhei verdrehte ein wenig die Augen. „Naja, das gilt ja eher für InuYashas nicht vorhandene Schwerttechnik. Da ist der Kerl unbelehrbar. Aber was soll‘s, Tessaiga scheint zufrieden mit seinem Herrn, da mögen wir von halten, was wir wollen. Aber was Sesshômaru-sama angeht, nun, ich nehme an, die Tatsachen sprachen für sich. Außer InuYashas Blutklingen gibt es nun mal keinen geeigneten Angriff in Reichweite. Und ich werde einen Teufel tun, Sesshômaru-sama zu erzählen, dass das Ganze Teshis Idee war. Der soll das schön rational erklärt haben“ Arata hob gespielt mahnend den Finger an. „Na na, du wirst doch deinen Fürsten nicht anlügen…“ Kôhei gab sich ungerührt. „Ich lüge meinen Herrn Schwiegervater nicht an. Ich sage ihm bloß nicht alles“, stellte er klar. Leicht lächelnd wechselte Arata das Thema: „Und Teshi? Was sagt der dazu?“ „Der ist begeistert. Am liebsten hätte er noch auf der Stelle mit Üben angefangen. Aber dann hätte meine Schwester ihm vermutlich den Kopf gewaschen. Wir gehen sie schon nur so selten besuchen“ „Naja, selten ist etwas anderes. Ihr geht doch einmal im Monat zu den Ookami rüber, oder?“ Kôhei nickte. „Wenn nicht gerade etwas dazwischen kommt, ja. Aber trotzdem steht sie mit ihrem Plan im Moment alleine da“ „Plan?“, Arata zog eine Augenbraue hoch. Was wie Argwohn aussah, interpretierte Kôhei unschwer als Neugier, weil er seinen ehemaligen Mentor lange genug kannte. „Naja, mein Vater war nun langsam lange genug allein“, deutete er verschmitzt an. „Sie will ihn verkuppeln?“ „Das hast du gesagt“, konterte der Wolfsdämon und entlockte dem alten Hundedämon damit nun endgültig ein leises Lachen: „Ein Nein klingt anders, Kôhei“ „Ich weiß. Na, da wäre die Ookami, die seinerzeit Sayoko aufgezogen hat, ebenso wie Kai und Shinta. Mizuiroko. Sie hätte mit Sicherheit nichts dagegen, wenn mein Vater sie mal mit etwas anderen Augen, als nur als Amme, betrachten würde. Sie hat ihren eigenen Welpen damals in sehr jungem Alter verloren, danach wie gesagt Sayoko und meine beiden Adoptivbrüder aufgezogen, sie sind wie ihre eigenen Kinder. Und meine Mutter… sie ist nun schon so lange tot. Ich habe mein Glück gefunden, Sayoko wird in nicht allzu langer Zeit auch verheiratet sein, Kai kommt jetzt in das Alter, in der er sich nach einer Gefährtin umsehen wird und Shinta… wir werden sehen. Es wird Zeit, dass Vater wieder über den Tellerrand blickt, da hat Sayoko schon ganz recht“, erklärte der Jüngere und blickte nun doch wieder ernst drein. Arata tat es ihm gleich. „Da magst du Recht haben“, stimmte er nur zu, ehe er sich erhob, sich der Tür zuwandte. „So, dann wollen wir mal sehen, ob da draußen alles im Chaos versinkt, wenn nicht einer von uns am Trainingsplatz steht, oder ob alles seine Bahnen geht“ „Och, Chaos kann es auch geben, wenn wir uns beide auf dem Trainingsplatz befinden“, bemerkte Kôhei vieldeutig, schloss sich ihm aber an. Arata schmunzelte etwas. Er war jedes Mal wieder aufs Neue froh, dass Kôhei inzwischen über sein früheres Verhalten witzeln konnte. Denn ohne Zweifel hatte er mit seiner Bemerkung gerade seinen Ausbruch am ersten Trainingstag gemeint, gut fünfhundert Jahre in der Vergangenheit. ~*~ Derweil hatte Kagomes Liste sich wieder um einige Namen erweitert. Ihr graute jetzt schon davor, was passieren würde, wenn sie alle diese ‚Verdächtigen‘ überprüfen mussten. Das konnte nicht nur langwierig, sondern unter Umständen auch schmerzhaft werden. Auf solcherart Verdächtigungen würden sicher nicht alle gelassen reagieren. Und – und sie wusste nicht, ob das nicht noch unangenehmer werden konnte – ehe sie auf eine solche Runde gehen konnten, musste Sesshômaru eingeweiht werden. So in Gedanken versunken schreckte Kagome ziemlich zusammen, als sich auf einmal eine klauenbewehrte Hand auf die Buchseite legte und sie am Umblättern hinderte. Überrascht blickte sie auf und sah genau in die silbriggrün glitzernden Katzenaugen von Natsu. „Was genau wird das? Chika, Jirou… das ist doch der Stammbaum von meiner Frau Schwiegermutter, oder? Seit wann interessiert du dich denn für die?“ Kagome ging nicht auf die leicht ironische Betonung in der Betitelung ein, sondern versuchte nur, so rasch wie möglich ihre Gedanken zu ordnen. „Oh, Natsu, hallo. Du, weißt du, ich suche nur etwas…“, antwortete sie schließlich ausweichend, mehr um Zeit zu gewinnen, als dass sie glaubte, Natsu damit loswerden zu können. Die Löwendämonin, die wie üblich ihren dunklen Kimono mit der weißen Raubkatzensilhouette auf der Seite trug, legte auch nur den Kopf etwas auf die Seite. „Muss ja eine weitreichende Recherche sein. Wenn du etwas aus dem Familienstammbaum suchst, wäre es dann nicht einfacher, Sesshômaru um Rat zu fragen? So etwas hier weiß der doch auswendig“ Dessen war auch Kagome sich bewusst. Dennoch… „Das… halte ich nicht für die beste Idee…“, versuchte sie auszuweichen. Damit erreichte sie allerdings das Gegenteil, denn nun schimmerte offene Neugier in Natsus Katzenaugen. „So so, du hast also Geheimnisse vor ihm…“, sagte sie lauernd. „Naja, nicht direkt, ich…äh… ich wollte bloß vorher Erkundigungen einholen, um ihn dann gezielter-“ Kagome kam nicht dazu, sich zu Ende zu verteidigen, da unterbrach Natsu sie schon. „Lass gut sein, Kagome. Wird schon etwas wichtiges sein, was du da machst. Mich interessiert ja nur, warum du hier seit Tagen durch die Bibliothek geisterst. So lange Zeit am Stück bist ja selbst du sonst nicht hier“ Kagome war wenig überrascht, dass Natsu nicht nur durch Zufall über sie gestolpert war. Ihr war bewusst, dass sie längst gewittert worden sein musste und auch ihre Mikokraft war für die Dämonen zu fühlen, da mochte diese bei ihr noch so nach innen gekehrt sein. Insofern konnte sie vermutlich froh sein, dass nicht gleich Sesshômaru sie hier unter aufgesucht hatte – beziehungsweise, sie zu sich hinauf bestellt hatte, denn er würde sich sicher nicht herablassen, ihr hinterherzulaufen. Trotzdem sollte sie sich jetzt wohl besser eine geistreiche Antwort überlegen. Aber außer der Wahrheit fiel ihr bei allen Göttern keine vernünftige Erklärung ein, warum sie hier in den Stammbäumen von Sesshômarus mütterlicher Familie forschte. Also atmete sie tief durch. „Es ist so, Natsu. Es ist da jemand von den Grenzgängern aufgesammelt worden. Ein Kind. Ein Hanyô-Kind…“, begann Kagome bemüht neutral zu erzählen. Natsu sog dennoch scharf die Luft ein. Tatsächlich war Natsu mehr als überrascht von dieser Geschichte. Nun, wer rechnete denn auch mit so etwas, wer rechnete damit? Als Kagome endete, dachte Natsu kurz nach. „Das heißt, du versucht jetzt einzugrenzen, wer in Frage kommt, der dämonische Elternteil dieses Kindes zu sein. Und InuYasha war sich sicher, dass er das Blut seiner Familie gerochen hat?“ Natsu zweifelte sichtlich und Kagome konnte es ihr nicht verdenken. Ein Donnern unterbrach die entstandene Stille unsanft. Natsu verzog die Lippen zu einem etwas neckischen Schmunzeln. „Gehe ich Recht in der Annahme, dass du dich hier quälst, weil du Sesshômaru nicht ohne Grundlage mit einem solchen Verdacht konfrontieren willst?“ Mit einem leidvollen Lächeln nickte Kagome. Genau das war schließlich ihr Problem. Natsu strich mit einer automatisch wirkenden Bewegung ihre Haare über die eine Schulter nach hinten. „Also gut. Ich übernehme das. Aber das heißt auch, dass du mir gefälligst berichtest, wann auch immer du etwas herausfindest, klar?“ „Das würdest du machen?“, fragte Kagome, ohne auf die neckisch ausgesprochene Drohung einzugehen. Natsu straffte die Schultern und atmete tief durch, als gehe sie gerade ein großes Wagnis ein. „Wenn es denn sein muss, Kagome, dann werde ich dieses Opfer auf mich nehmen. Ich denke mal, mich wird Sesshômaru nicht ganz so schnell in meine Einzelteile zerlegen, nur weil ihm eine Nachricht nicht passt“, sagte sie gespielt aufopferungsvoll und legte den Handrücken in einer dramatischen Geste an die Stirn. Kagome bog sich vor Lachen. „Oh, Natsu, du bist unverbesserlich!“, japste sie, als sie wieder einigermaßen zu Atem gekommen war. „Gern geschehen. – Und nun geh‘ nach Hause, ehe der Schlosshof noch gänzlich unter Wasser steht“, erwiderte die RaionYôkai, während sie vielsagend die aufgeschlagene Chronik zuschlug und ein Stück von Kagome wegschob. Die Miko erhob sich bereitwillig, nachdem sie einen kurzen Blick richtung Fenster riskiert hatte. Die Regentropfen klatschten in schnellem Rhythmus unaufhaltsam an die Scheibe und nicht selten zuckte das blendende Schwert eines Blitzes durch den violett verfärbten Himmel. „Weltuntergang“, kommentierte Kagome lapidar, ehe sie wieder ernst wurde. „Danke für deine Hilfe, Natsu. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie Sesshômaru reagiert hätte, wenn ich ihm mit einem solchen Verdacht käme“ „Ja, bei allem Respekt, den er nun doch für deine Fähigkeiten hegt, in so einem Fall dürfte seine Reaktion allerdings unvorhersehbar sein. Nunja, du musst es ja nicht ausprobieren. – Ich denke, wir sehen uns dann morgen…“, erwiderte Natsu nur und wandte sich bereits ab um ihre Schwägerin zur Tür zu begleiten. Leider bemerkte keiner von beiden die schwache, fremde Präsenz, die zu einer schattenhaften Gestalt außerhalb des Schlossgebäudes gehörte, die nun die Hände von der Außenwand löste und sich die klatschnassen Haare aus den Augen strich. Ein erfreutes Grinsen zierte die Züge der Gestalt. „Ein bisher unbekanntes Familienmitglied der hochgelobten Inu-Fürstenfamilie also? Ein Kind noch, von unbekannter Stärke? Und nicht im Schloss, sondern im Dorf? Reizende Neuigkeiten…“ Während die Gestalt nun zusah, dass sie unbemerkt vom Schlossgelände kam, wurde aus dem Grinsen eine fast diabolisch zu nennende Miene… Kapitel 5: Kaori ---------------- Nachdenklich ruhten rote Augen auf der Lagerstätte des schlafenden Kindes. Kirara saß nicht weit entfernt und wusste noch immer nicht so recht, was sie mit ihren Ahnungen anfangen sollte. Was sie aber wusste war, dass sie ohnehin nur abwarten konnte. Weiterhelfen konnte ihr keiner, zumal sie momentan mit Sayuri allein war. Es war noch früher Morgen. Kagome war seit Tagen mal wieder auf dem Kräuterfeld anstatt in der Schlossbibliothek, Kikyô mit ihr, Hotaru war bereits am Schloss, beim Unterricht, InuYasha war wie üblich auf Patrouille, Kazuya war seine Schwestern besuchen gegangen – erstaunlich genug, wich er doch momentan nicht wirklich aus der Nähe Sayuris. Kirara zuckte leicht mit den Schweifspitzen, als sie an ihren Sohn dachte. Kazuya war seit seiner Kittenzeit selten von ihrer Seite gewichen, was schlicht daran lag, dass er bei der Geburt der Kätzchen der Kleinste gewesen war und Kirara sich besonders um ihn hatte kümmern müssen. Seit dem hing er besonders an ihr. Aber dieses Mal konnte sie dennoch nicht nachvollziehen, worauf sein Verhalten gründete. Er war ein treuer Freund der Familie, weil sie eine treue Freundin der Familie war. Aber wirklich jemanden, dem er sich eng anschloss, so jemanden hatte es noch nie gegeben. Offenbar war die kleine Sayuri diejenige. Kirara schnurrte leise, unterbrach sich aber rasch, um wachsam den Kopf zu heben, als sie eine Witterung bemerkte, die hier so nicht hingehörte. Fremde Yôkai. Das Nackenfell gesträubt sprang sie auf, ihre Schweife zuckten unbehaglich. Angeregt prüfte sie die Luft. Wie viele waren es? Eine Menge. Mindestens ein Dutzend. Ein unterschwelliges Grollen bildete sich in ihrer Kehle. Und ich bin fast allein im Dorf… Kirara fürchtete den Kampf nicht, das hatte sie nie getan. Aber sie musste auf Sayuri achten. Wohl oder übel würde sie warten müssen, bis die fremden Dämonen von sich aus kamen. Entgegengehen und ihnen ihre Grenzen aufzeigen, war ihr nicht möglich. Mit einem Seitenblick versicherte Kirara sich, dass Sayuri schlief, dann wechselte sie in Kampfform. Flammen umschmeichelten Füße und Schweifspitzen, in dieser Form war sie Sango früher fast bis zur Schulter gegangen. Eine durchaus imposante Gestalt. Aber ob sie gegen so viele Gegner bestehen konnte? Denn das diese Begegnung, die sich hier anbahnte, ohne Kampf abgehen würde, bezweifelte sie stark. Kirara hatte eine der Witterungen erkannt. Der Name war ihr entfallen, aber diese Hato-Yôkai hätte sie auch so erkannt. Sie war eine Vagabundin – und akribische Gegnerin des Fürstenrates. Nur… was bei allen Göttern wollte sie hier? ~*~ Am Schloss war es zu dieser recht frühen Morgenstunde noch ruhig. Auch wenn die meisten Bediensteten längst auf den Beinen waren, auch wenn von den hier wohnenden Adeligen fast niemand überhaupt schlief, geschweige denn noch um diese Zeit, so war der Tag dennoch erst im Begriff, zu beginnen. Auch in Natsus und Sesshômarus Gemach war es noch still. Es war schließlich Natsu, die die einvernehmliche Stille brach. Tagesbeginn schön und gut, es wurde Zeit, dass sie ihrem Gefährten von Kagomes Vermutung erzählte, wenn sie es schon am gestrigen Abend aufgrund… anregenderer Beschäftigungen verschoben hatte. „Kagome hat eine neue Mitbewohnerin…“, setzte sie behutsam an und auch wenn Sesshômaru sich nicht regte, wusste sie, dass er zuhörte. Unaufmerksamkeit war bei ihm annähernd ein Ding der Unmöglichkeit. „Ein Findelkind, Yutaka brachte es ihr, nachdem ein Grenzgänger die Kleine aufgesammelt hat…“ Nun wandte Sesshômaru ihr doch ein klein wenig den Kopf zu, seine goldenen Augen schimmerten hintergründig. Er wollte eindeutig mehr erfahren, auch wenn sie einen Teufel tun würde, solcherart Gemütszustände ihres Gefährten jemals als Neugier zu betiteln. Stattdessen begann sie Stück für Stück zu berichten. ~*~ „Da sieht man wieder, wozu diese Verbrüderung führt. Der Hundeclan hat keinen Wachhund, sondern eine Wachkatze“ Der Satz war ebenso spöttisch wie verächtlich ausgesprochen, als Kirara sich in voller Größe in der Hüttentür aufbaute und der Gruppe Yôkai gewahr wurde, die sich dort längst versammelt hatte. Die Wortführerin, eine sehnige aber recht gedrungene Dämonin, deren gräuliche Federhaare sie eindeutig ihrer Gattung zuordneten, hatte sich ganz zuvorderst aufgebaut. Kirara hatte für sie nur ein vielsagendes Fauchen übrig. Die Taubendämonin, die Kimonohemd und Hakama in blutigem Rot trug, ließ sich davon wenig beeindrucken. „Sag bloß, du bist die einzige Verteidigung… wisst ihr, Leute, ich glaube, das wird einfacher als gedacht. – Und los!“ Die Bande in ihrem Rücken reagierte augenblicklich. Kirara sprang knurrend ein Stück vorwärts, ihre Pranke traf den Dämon, der zuerst bei ihr war, an der Hüfte und schleuderte ihn zu Boden, der zweite stolperte über seinen Kumpanen und landete ebenfalls auf der Nase. Der Dritte war klüger. Sein Katana gezogen setzte er in einem hohen Satz über die beiden hinweg und griff Kirara von oben an. Angesichts der anderen musste Kirara ihn auf dem Boden erwarten, konnte ihm nicht entgegenkommen und er konnte in Ruhe zielen. Dachte er. Denn er hatte die Rechnung ohne die Tatsache gemacht, dass Kirara doch nicht ganz so alleine war, wie es schien. Noch in der Luft landete die stumpfe Seite einer Tachi-Klinge in seiner Kehle und ließ ihn mit einem erstickten Prusten rücklings wieder zu Boden fallen. Ein scheinbar jugendliches Mädchen mit unmenschlich weißen Haaren, in denen ein rötlichbrauner Schimmer lag, landete neben Kirara, federte in den Knien nach und zwinkerte der Nekomata zu. „Brauchst du Hilfe, Kirara?“ Dankbar blinzelte die Nekomata zu der Nachbarin auf, ehe sie sich wieder dem Gegner stellte, ihre Säbelzähne blitzten im Glanz des Feuers, das ihre Schweife umgab, als sie herumwirbelte und die mächtigen Waffen in die Schulter eines weiteren Dämons bohrte. Neben ihr schlug ihre Helferin mithilfe des Tachi einen Gegner nach dem anderen zurück. Die pechschwarze Klinge war von ebenso schwarz leuchtendem Yôki umgeben und vermochte ziemlichen Schaden anzurichten. Dennoch wurde es zunehmend eng. Und in Kiraras Gedanken verdichtete sich die Ahnung immer mehr, dass sie keine andere Wahl hatte, als in die Luft zu gehen. Hier am Boden konnte sie nichts ausrichten. Nicht gegen die Waffen der Angreifer, die sie zu sehr auf Abstand hielten, als dass ihre Klauen und Zähne etwas ausrichten könnten. Ein Seitenblick zu ihrer Helferin zeigte ihr, dass die gerade wieder vorschnellte, aber ebenso wie sie auf verlorenem Posten kämpfte. Es waren zu viele, zu mindestens in dieser Situation. Fauchend stieß Kirara vor, mit einem Sprung war sie in der Luft und teilte gnadenlos aus. Die Klinge eines Katana drang ihr in die Schulter, aber sie revanchierte sich nur mit einem heftigen Rempler, verjagte erneut den Angreifer, der versucht hatte sich in die Hütte zu schleichen. Sie ahnte inzwischen, dass diese Truppe aus irgendeinem Grund an Sayuri wollten, auch wenn sie nicht verstand, warum. Doch dann wurde die Nekomata plötzlich von drei Gegnern eingekeilt. Ohne Rücksicht auf Verluste biss Kirara um sich, drehte sich geschickt unter einem Naginata weg und griff erneut an. Da erklang plötzlich ein Ruf: „Zieht euch zurück!“ Die Taubendämonin, Kirara erkannte die Stimme und sie konnte eine gewisse Erleichterung nicht unterdrücken, als ihre Gegner zurücksprangen – die aber sofort von Entsetzen abgelöst wurde, als die Anführerin weitersprach: „Wir haben sie!“ ~*~ „Ihr Körper hat wohl selbst mit dem Fieber fertigwerden müssen und hat es wohl am Ende geschafft. Aber als InuYasha von der Patrouille nach Hause kam, fiel ihm et-…“ Natsu wurde in ihrer Erzählung unterbrochen, als vor der Tür des Gemachs rasche Schritte zu hören waren. Aber niemand bat um Einlass, niemand klopfte. Natsu runzelte die Stirn, verschränkte die Arme vor der Brust, zumal Sesshômaru jetzt den Arm unter ihrem Nacken wegzog und sich aufrichtete. „Deine Zofe“, bemerkte er bloß trocken, als er ihren Seitenblick wahrnahm, ganz als wäre die Unterbrechung ihre Schuld. Natsu verzog das Gesicht, setzte sich aber auch auf und gab keine Replik. Da wurde die Tür aufgeschoben und anstatt der Zofe erschien Rin im Zimmer. „Was soll das?“, fragte Natsu ihre Ziehtochter erstaunt, zumal die erstaunlich ernst dreinblickte, wenn auch nicht sehr aufgeregt: „Entschuldigt die Störung, aber es gibt Alarm. Moe hat sich nicht getraut, ins Zimmer zu kommen. Sie hatte wohl Angst, zu stören“ In Rins Augen blitzte kurz der Schalk auf, zeigte, dass die Lage trotz Alarm nicht sonderlich brenzlig schien, ehe sie fortfuhr: „Die Siedlung wird angegriffen. Anscheinend schon wieder die Bande von dieser Kaori“ Keiner der beiden Yôkai ging auf Rins Neckerei ein, Natsu war längst aufgesprungen. Die Siedlung… Sayuri? „Kôhei hat sich ein paar von den Torwachen geschnappt und ist schon unterwegs… aber wenn sie Kaori diesmal festsetzen können, solltet ihr vielleicht auch…“, Rin ließ den Satz unbeendet. „Schick Moe herein“, erwiderte Natsu nur vielsagend und Sesshômaru nickte knapp, woraufhin Rin herumwirbelte. Rasch verließ sie das Gemach, kurz darauf betrat Natsus Zofe das Zimmer, deutete den Blick ihrer Herrin richtig und griff nach dem dunklen Kimono, um Natsu beim Anziehen zu helfen. Minuten später waren Sesshômaru und Natsu unterwegs, den kurzen Weg richtung Siedlung brachten sie rasch hinter sich. Kurz vor dem Dorfrand kam ihnen Kirara entgegen, die Nekomata blutete aus einer Wunde an der Schulter und wirkte aufgeregt. Hinter ihr war es still. Zu still für einen Kampf. Es war bereits vorbei. Vor Kagomes und InuYashas Hütte standen Kôhei und die vier Krieger, die er bei sich gehabt hatte, zwei von ihnen hielten einen verletzten Dämon am Boden, der zu fliehen versuchte. Vom Kräuterfeld kamen gerade Kagome und Kikyô herangerannt, offenbar von dem Lärm aufgeschreckt. Schliddernd kamen die beiden zum Stehen, sichtlich entsetzt. „Shizuka! Was ist hier los gewesen?“ „Ein Kampf“, kam es lapidar zurück, aber die Hellhaarige richtete sich auf und ließ die Spuren, die sie gerade überprüft hatte, Spuren sein. Kagome war derweil der Dämonenkrieger gewahr geworden – und wer da noch so alles angetanzt war. „Sesshômaru!?“ Der InuYôkai antwortete nicht, sondern ließ den Blick über die Szenerie schweifen, um sich selbst ein Bild zu machen. Zwei tote Dämonen lagen da, ein weiterer schwer verletzt, dem einer von Kôheis Kriegern gerade den Gnadenstoß versetzte. Drei tote Dämonen. Aber dennoch lag eine Spannung in der Luft, die verriet, dass der Kampf nicht ganz so positiv ausgegangen war, wie es schien. Da fing Sesshômaru den Blick auf, den Shizuka Kagome zuwarf, die erschrockene Reaktion Kagomes, Kiraras bedeutungsschweres Nicken. „Was?“, wollte er knapp wissen. Shizuka sah ihn an, ihr Tachi noch in der Hand. „Kaori hat, was sie wollte. Sie haben Sayuri!“ Kapitel 6: Rettungsversuch -------------------------- „Kôhei! Geh‘ Inu Yasha suchen“ Sesshômarus Stimme klang gewohnt neutral, nicht einmal nach Befehl, aber der Wolfsdämon war sofort auf dem Sprung – wenn, ja, wenn ihn Kagome nicht zurück gehalten hätte. „Nein“, sagte sie nur fest und trat, die Arme resolut in die Hüften gestemmt, einen Schritt vor. „Wir haben keine Zeit, InuYasha einzusammeln. Wir werden ohne ihn gehen“, bestimmte sie. Sesshômaru sah sie emotionslos an. Kikyô dagegen pflichtete ihrer Mutter bei: „Okaa-san hat Recht. Wir wissen nichts über die Kleine. Wenn man versucht sie umzubringen und sie durchdreht… im Zweifelsfall ist dann nicht nur Sayuri tot, sondern eventuell auch Kaori und damit die einzige Möglichkeit, mehr über diese Rebellen zu erfahren“ „Hört sich einleuchtend an“, stimmte Natsu zu, ohne sich darum zu kümmern, dass Sesshômarus Seitenblick in ihre Richtung eindeutig an Eisigkeit zugenommen hatte. Aber sie alle wussten, dass es so tatsächlich logisch war. Kaori und ihre Bande waren seit Jahrzehnten ein Ärgernis. Und das hatte einen schlichten Grund: Den Fürstenrat. Dabei handelte es sich um einen Zusammenschluss der acht großen Fürsten, samt Erbprinz, wenn vorhanden, und je einem Berater, welche eine Art Rat bildeten. Ohne ihn wäre ein Zusammenleben auf so engem Raum annähernd unmöglich und das wusste jeder, der näher damit zu tun hatte. Der Fürstenrat hatte die letzte Entscheidungsinstanz wenn es um ungelöste Konflikte oder generelle Entscheidungen für das gesamte Bannkreisgebiet ging. Er war seinerzeit auf Bestreben Fürst Gins hin probeweise gegründet worden und hatte sich bewährt. Dennoch gab es da Persönlichkeiten wie beispielsweise Kaori, vorzugsweise aus den ungebundenen Yôkaivölkern, die entschieden der Meinung waren, der Fürstenrat sei nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich, weil er die Verbrüderung zwischen den Gattungen förderte. Und deswegen hatten es Kaori und ihre Gruppe auch immer wieder auf den Inuclan abgesehen, weil sich hier bereits eine Menge verschiedener Dämonengattungen in den höheren Adelsetagen vereinten. Hund, Löwe, Wolf… eine bunte Mischung eben. Und das ging Leuten vom Schlage Kaoris eindeutig gegen den Strich. Aber normalerweise waren derlei Überfälle nicht gerade schwer abzuwehren. Heute aber war alles zusammengekommen. Und Kaori hatte ihr Ziel erreicht. Zu mindestens vorerst. An dieser Stelle brauchte es Inu Yashas Kompromisslosigkeit nicht, um eine Entscheidung zu fällen. Prüfend blickte Sesshômaru Kagome an, die nur vielsagend ihren Pfeilköcher zu Recht rückte, den sie bereits aus der Hütte geholt hatte. Innerlich verdrehte der InuYôkai die Augen. Es gab nur zwei Menschen auf dieser Erde, von denen er sich etwas sagen ließ. Aber diese beiden wussten das leider nur zu gut. Also nickte er knapp. Einverständnis. Kagome imitierte seine Geste zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. „Okaa-san? Kann ich mitkommen? Sayuri kennt mich ebenso gut wie dich, so wird es vielleicht einfacher“, mischte Kikyô sich ein. Kagome verharrte in der Bewegung, überlegte einen Augenblick und machte dann eine bejahende Geste. Gleich darauf stand Kirara an ihrer Seite, ungeachtet der Schulterwunde. Allen war bewusst, dass die Nekomata sich nicht würde abspeisen lassen. Kirara fühlte sich verantwortlich. Also glitt Kagome wortlos in Kiraras Nacken, Kikyô setzte sich hinter ihre Mutter und die Nekomata hob ab. Sofort schlossen sich Kôhei und die vier Krieger am Boden an, noch ehe Sesshômaru den Wink dazu geben konnte. Kôhei kannte seinen Fürsten und Schwiegervater inzwischen gut genug. Natsu sah der ‚Rettungstruppe‘ nach. „Wir sollten InuYasha trotzdem verständigen. Sonst sitzt der uns nachher ziemlich im Nacken, wenn er erfährt, dass wir Kagome haben ohne ihn gehen lassen“, bemerkte sie neutral. Sesshômarus emotionsloser Blick zeigte eindeutig, dass er keinen Gedanken an InuYashas wie auch immer geartete Reaktion verschwendete, dennoch blickten die goldenen Augen Natsu von der Seite an. „Geh‘ nur…“, bemerkte er ruhig und Natsu blinzelte ihm kurz zu, ehe sie der Aufforderung nachkam. Im Hinterkopf allerdings hoffte sie, dass Kagome heil aus der Sache rauskam, denn wenn nicht, dann würde es auch nichts mehr helfen, InuYasha jetzt bereits zu informieren. Dann würde InuYasha eher das Schloss in Schutt und Asche legen, als sich beruhigen zu lassen. Insofern hoffte Natsu nur, dass Kagome wusste, was sie tat. Dessen war Kagome sich selbst nicht so sicher, zu mindestens nicht, wenn sie ehrlich zu sich war, aber sie bemühte sich, jegliche Unsicherheit nicht nach draußen dringen zu lassen. Inzwischen hatten sie die Inu-Insel verlassen, wenn Kagome die Himmelrichtung richtig deutete, waren sie auf der neutralen Insel inmitten des Bannkreises gelandet. Eng an Kiraras Nacken geduckt, damit die Nekomata möglichst ungestört war und so fliegen konnte, dass sie ihre verwundete Schulter schonte, ließ sie den Blick über die Ebene unter ihnen schweifen. Kôhei hatte auf dem Boden die Führung übernommen, die Krieger hörten auf ihn, auch wenn ihr Geruchssinn sicher nicht schlechter war, als der des Wolfsdämons. Unwillkürlich fühlte Kagome sich zurückerinnert an früher. An die Zeiten, in denen Zusammenarbeit mit einem Wolfsdämon noch hieß, aufzupassen, dass jener und gewisse andere Gruppenmitglieder sich nicht an die Gurgel gingen, sobald man einen Moment nicht hinschaute. Kôhei mit seinen honigfarbenen Haaren und ebensolcher Wolfstracht sah Kôga zwar alles andere als ähnlich, außerdem war er etwas kleiner und hatte dunklere Augen, aber dennoch konnte Kagome sich der Erinnerung nicht erwehren. Ein kleines Lächeln zuckte über ihre angespannten Züge. In den vergangenen Jahrhunderten hatte sie durchaus Kontakt zu Kôga, Ayame und den anderen Wölfen gehalten, allein schon weil Sayoko ihren Bruder Kôhei annähernd so oft besuchen kam, wie er sie, dann meistens auch ihren Verlobten mitbrachte und nicht selten schlossen sich dem weitere Wölfe an. InuYasha war davon regelmäßig wenig begeistert und was Sesshômaru davon hielt, war nicht nachvollziehbar. Aber beide hatten es mit der Zeit hingenommen. Da blieb Kôhei plötzlich stehen, sein Blick glitt kurz nach oben, ehe er eine Hand ausstreckte. Kagome folgte seiner Geste mit den Augen, während Kirara eine Schleife flog und dann in der Luft verharrte. Die Nekomata raunzte zustimmend, der Blick ihrer roten Augen lag ebenso auf der Gruppe Felsen, die Kôhei ins Auge gefasst hatte. Zwischen zwei länglichen Steinblöcken klaffte ein Loch, dass sichtlich in einen Hohlraum, vielleicht eine Höhle führte. Das Versteck von Kaori? Vermutlich. Kirara ging in den Sinkflug. ~*~ Sayuri war nicht vertraut genug mit dem, was dämonische Instinkte sind, um klar zu denken, als sie zu sich kam. Sie kannte nur menschliche Instinkte. Und die bedeuteten ihr: Angst = Gefahr = weg so schnell als möglich. Aber das war leichter gesagt als getan, wenn ein Wildfremder einen festhielt. Sayuri wagte nicht, zu schreien. Stattdessen schmerzte ihr Brustkorb, weil sie ein furchtsames Schluchzen nach dem Nächsten unterdrückte. Sie war nie eine Heulsuse gewesen. Wenn andere Kinder in ihrer Nachbarschaft heulten, weil sie sich das Knie aufgeschrammt hatten, blieb Sayuri ruhig. Wenn andere Kinder panisch schrien, weil ein Schatten sie erschreckte, blieb Sayuri ruhig. Warum also sollte sie jetzt weinen? Das hier war doch sicher nichts weiter als ein Schatten, der zufällig recht hart zugreifen konnte – oder? Oder war es ein Albtraum? Auch nicht wild, aus dem erwachte man früher oder später, das wusste Sayuri auch in ihren jungen Jahren bereits. Fieberhaft versuchte sie herauszufinden, was um sie herum genau geschah und unbewusst griff sie dabei auf ihre neuerdings so ausgeprägten Sinne zurück. Etwas wie ein leichtes Muskelzucken begleitete diese reine Instinkthandlung. Sayuri wusste schließlich nicht, wie es sich anfühlte, die tierischen Ohren auf ihrem Kopf nach einer Geräuschquelle auszurichten. Sie tat es einfach. Und hörte plötzlich, während sie noch immer schlaff im Griff jenes Fremden hing, eine Stimme. Eine Stimme, die erfreut klang. „Endlich sitzen wir am längeren Hebel. Jetzt, wo wir sie gefunden haben“ Gefunden? Wen meinte diese Fremde? Sayuri hörte nur, dass die Stimme weiblich war und eigenartig klang, fast wie ein Gurren. Da berührte sie ein Finger an der Wange, etwas Spitzes bohrte sich leicht in ihre Haut. Sayuri spürte den leichten Schmerz und zuckte zurück, begann zu zappeln. Erreichen tat sie damit nichts. „Oooch… sind wir etwa empfindlich, Aka-chan?“ Das war wieder die gurrende Stimme. In einem Anflug von Trotz schlug Sayuri die Augen auf. „Ich bin kein Baby mehr…“, schnappte sie und ihre grünen Mandelaugen funkelten wütend. Gleichzeitig musterte sie die fremde Frau. Ihr Gegenüber sprach nicht nur seltsam, es sah auch seltsam aus. Sayuri kannte einige Kuriositäten aus ihrer Nachbarschaft und auch von der Arbeitsstelle ihres Vaters, wenn sie ihn da hatte besuchen dürfen. Sie kannte rosa gesträhnte und neongrüne Haare, sie kannte Haare, die nicht herabhingen, sondern zum Himmel aufstanden. Aber das hier war seltsam. Diese Haare waren gräulich, obwohl das Gesicht der Frau jung wirkte. Und diese Haare sahen nicht aus wie Haare, sondern wie feine Federn. Misstrauen erfasste Sayuri und ehe sie es richtig merkte, gab sie sich einem weiteren, ihr neuen Instinkt hin. Sie biss die Zähne aufeinander, zog die Lippen etwas zurück und stieß die Luft aus. Ihre Mundwinkel zitterten etwas. Sie knurrte. Es klang weniger bedrohlich als bloß drollig, das zeigte das leise Lachen der federhaarigen Frau. Sayuris Wut wurde noch weiter angestachelt. Sie hatte inzwischen verstanden. Die beiden freundlichen, schwarzhaarigen Frauen, die sie kennengelernt hatte, als sie endlich aufhörte, sich zu fühlen, als sei sie in einen Backofen geraten, waren weg. Und die andere Frau da war nicht halb so nett. Als ob sie ihrer Einschätzung Lügen strafen wollte, streckte die Grauhaarige ihr da eine Hand entgegen, während ein Blick dem Fremden, der Sayuri hielt, bedeutete, den einen Arm des Mädchens loszulassen. Sayuri wiederstand dem unwillkürlichen Drang das eingeschlafene Handgelenk irgendwo zu reiben, stattdessen kam ihr plötzlich eine Idee, als sie ihre Hand vors Gesicht hob. Sie hatte gemerkt, dass sie sich im Fieberwahn mehrfach selbst verletzt hatte. Ob sie das auch bei anderen konnte? Ihre Mutter hatte zwar gesagt, man sollte andere Leute nicht verletzten, aber… der Griff um ihren anderen Arm tat sowieso weh. Und das Kribbeln, mit dem das Blut in ihren nun befreiten Arm zurückfloss, war auch nicht angenehm. Rechtfertigte das nicht einiges? Ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, streckte Sayuri die Hand etwas aus, ganz als wollte sie die Hand der Grauhaarigen ergreifen. Im letzten Moment zog sie den Arm ruckartig zurück, schlug mit den Fingernägeln nach dem Arm, der ihren anderen Oberarm hielt. Sie konnte nicht ahnen, dass menschliche Fingernägel an dieser Stelle tatsächlich nichts ausgerichtet hätten, die Klauen einer Hanyô aber sehr viel. Sie zuckte zurück, als fremdes Blut über ihre Hand rann – und der Fremde zuckte erschrocken zurück, als er den Schmerz der Verwundung spürte. Aus dem Affekt heraus ließ er Sayuri los, sodass sie unsanft auf den Boden fiel. Mit einem leisen Stöhnen rieb sie sich den Kopf – und berührte dabei zum ersten Mal eines ihrer tierischen Ohren. Überrascht hielt sie inne, tastete dann nach, nicht wissend, was sie damit anfangen sollte, dass da offenbar etwas auf ihrem Kopf war, dass da vor ein paar Tagen noch nicht gewesen war. Damit verpasste sie allerdings ihre Chance zur Flucht. Denn während sie noch ihr Ohr befühlte, hatte ihr Häscher sich genügend gefangen, um sie diesmal um die schmale Taille zu packen und kopfüber über seine Schulter zu stülpen. Erschrocken japste Sayuri auf und schlug aus dem Affekt heraus erneut zu. Für einen kurzen Augenblick schienen ihre Fingernägel härter und weißer zu werden, zog sich etwas wie Fell über ihre Hand, ihren Unterarm, dann war es wieder verschwunden. Dafür zogen sich fünf blutige Striemen über den Rücken ihres Häschers, das grobe, graue Kimonohemd hing in Fetzen. Doch diesmal wurde sie nicht losgelassen. „Ganz schön wehrhaft die Kleine…“, bemerkte der Fremde nur. Sayuri erschauerte ob der seltsam grollenden Stimme, die so… unmenschlich klang. Die gurrende Stimme antwortete wieder: „Kein Wunder, bei der Familie…“ Familie? Was hat meine Familie damit zu tun? Sind sie etwa auch hier? Aber sie haben mich doch von Otou-san weggebracht. Und dann sind da die beiden, schwarzhaarigen Frauen gewesen… Sayuri verstand die Welt nicht mehr. Und sie kam auch nicht mehr dazu, nachzudenken, denn plötzlich geschah alles auf einmal. Ein weiterer Fremder, der offenbar Wache gestanden hatte, taumelte in den Felsenkessel, ein Pfeil steckte in seinem Nacken, der eigenartig glomm. Da fiel der Fremde um – und der Pfeil war plötzlich weg. Die Grauhaarige riss erschrocken die Augen auf, dann legte sie die Hände um den Mund: „Alarm! Angriff!“ Augenblicklich erschienen mehr und mehr Fremde und Sayuri wurde nun doch Angst und Bange. Inzwischen war ihr klar, dass das hier weder ein Albtraum, noch ein hartnäckiger Schatten war. Und auch wenn sie nicht verstand, was es war… die Panik bemächtigte sich ihrer immer mehr. Ihr Häscher warf sie diesmal absichtlich zu Boden, hatte stattdessen plötzlich etwas in der Hand, dass wie ein armlanges Messer aussah (Sayuri hatte schließlich noch nie ein Schwert gesehen). Instinktiv reglos blieb das Mädchen liegen, beobachtete nur über ihren Arm hinweg blinzelnd, was um sie herum geschah. Da plötzlich erfassten ihre Augen zwei Gestalten. Die schwarzhaarigen Frauen! Sind sie etwa… gekommen um mich zu retten? So musste es wohl sein, denn die eine zielte nun mit dem Bogen auf Sayuris Häscher, ließ den Pfeil von der Sehne zischen – und fällte den großen Kerl. Im letzten Moment krabbelte Sayuri zur Seite weg, ehe sein langes Messer auf ihr landen konnte. Intuitiv wusste sie, dass das ziemlich hätte wehtun können. Inzwischen waren noch mehr Leute dazugekommen, Metall blitzte überall auf, Schreie und Japsen waren zu hören, Sayuri nahm auch einen seltsam eisenähnlichen Geruch war. Blutgeruch, wie sie später lernen sollte. Und immer wieder fielen Leute um, reglos alsdann. Die beiden Frauen hatten sich mit fünf anderen zu einer Gruppe formiert, über ihnen schwebte ein riesiges Wesen, das an einen Löwen erinnerte. Offenbar gehörten diese Gestalten zu den beiden Schwarzhaarigen. Sayuri schluckte, als sie merkte, dass sich der Kreis ihrer Häscher mitsamt der Grauhaarigen von allen Seiten um die Schwarzhaarigen und ihre Gruppe zusammenzog. Sie wurden eingekesselt. Ihr Blick fiel auf ihre Fingernägel, die noch rot waren vom Blut des einen Häschers. Ob sie… Kurzerhand stand sie auf und rannte los. Sie war noch ein kleines Kind, nicht gerade kräftig, auch wenn das Fieber seit Tagen vergangen war. Sie wusste nicht, seit wann ihre Sinne so ausgeprägt waren und warum ihre Fingernägel plötzlich solchen Schaden anrichten konnten. Aber in diesem Moment durchfloss etwas heiß pulsierend ihre Adern, das ihr auf irgendeine Art tröstlich vertraut war. Automatisch hob sie den Arm, dann den anderen, sprang und landete auf dem Rücken der Grauhaarigen, schlug ihre Fingernägel in die Schultern und riss sie mit einer ruckartigen Bewegung nach außen. Blut spritzte ihr entgegen, sie hörte den schrillen Schrei, der mehr gurgelnd als gurrend war, als einer aus der Gruppe der Schwarzhaarigen den Moment der Unaufmerksamkeit nutzte und der Grauhaarigen an die Kehle ging, sie zu Boden warf und festnagelte. Sayuri war im Knien aufgekommen und hob jetzt wieder den Kopf, linste zwischen den dunklen Ponyfransen hervor. Das seltsame Gefühl war noch immer in ihrem Körper und ohne dass sie es recht merkte, presste sie wie vorhin schon einmal die Zähne zusammen und knurrte auf. Im selben Moment fiel der Blick der Schwarzhaarigen auf sie und die moorbraunen Augen weiteten sich voller Überraschung. „Okaa-san!“, unterbrach der Ruf der anderen Schwarzhaarigen, die sich inmitten des Chaos auf den Rücken des löwenartigen Tieres gezogen hatte und ihrer Mutter nun die Hand entgegenstreckte. „Nein!“, bestimmte die erste und ihre Stimme klang fest und kühl. „Nehmt Sayuri und bringt sie zurück. Ich kümmere mich um diese Truppe hier!“ „ Kagome-san…“, mischte sich einer der Männer ein, der fellartige Kleidung trug. Kagome schüttelte nur den Kopf. Wenn sie noch einen Beweis gebraucht hatte, dass InuYashas Verdacht stimmte, dann hatte sie ihn jetzt bekommen. Sayuri war eindeutig ein Mitglied der Familie. Und sehr wahrscheinlich war ihre Mutter der dämonische Elternteil gewesen. Aber ihr blieb jetzt keine Zeit mehr für Erklärungen. Fest krallte sie die Finger um das Griffstück ihres Bogens, welches wirkte wie zwei helle, geschnitzte Hundeköpfe. Diesen Bogen hatte sie einst von Sesshômaru bekommen und seit Jahrhunderten leistete er treue Dienste. Mit einer raschen Bewegung legte sie einen neuen Pfeil auf die Sehne. „Jetzt geht schon!“, fuhr sie den skeptisch dreinblickenden Mann an, der daraufhin nur die Augen zusammenkniff und sich unter einem feindlichen Angriff duckte, dann nach Sayuri griff. „Komm mit, Kleine. Wir bringen dich in Sicherheit“ Seine Stimme war weich, wenn auch etwas grollend. Aber dass kam Sayuri eher vertraut als befremdlich vor. Aus welchem Grund auch immer. In unbestimmtem Vertrauen griff sie nach der dargebotenen Hand, ließ sich mitziehen. Hinter sich hörte sie ein eigenartiges Sirren. Später sollte sie lernen, dass es so klang, wenn ein Pfeil die Sehne verließ. Dann fand sie sich plötzlich auf dem Rücken des Löwentiers wieder, die Arme der einen Schwarzhaarigen um sich. Ihrem Beispiel folgend grub sie die Hände in das dichte Fell, ohne darüber nachzudenken, dass dieses Reittier hier die Kuriosität der Situation noch um einiges steigerte. Sekunden später hatten sich das Kampfgetümmel hinter sich gelassen. Kagome blieb allein zurück. Ein rascher Blick über die Schulter sagte ihr, dass sie noch etwa ein halbes Dutzend Pfeile hatte. Das musste reichen, um hier aus der Höhle zu verschwinden und den anderen einen gewissen Vorsprung zu geben. Kagome war krisenerprobt genug um nicht wie früher in Panik zu verfallen. Sayuri war jetzt im Moment wichtiger als alles andere. Und Kaori, die gefesselt und verschnürt ebenfalls mitgenommen worden war, ebenso. Beiden durfte auf die eine oder andere Art nichts passieren. Und sie musste jetzt erst einmal Kaoris Bande davon abhalten, ihr an den Kragen zu gehen. Mit langsamen Rückwärtsschritten näherte sich Kagome dem Eingang, legte gleichzeitig wieder einen Pfeil an. Hauptsache raus hier. Auf freiem Feld vermochten ihre Pfeile auch mehr anzurichten, als hier in der engen Höhle. Endlich erreichte sie den Eingang, zwei Pfeile waren bereits verbraucht und noch immer drangen gut ein Dutzend Yôkai auf sie ein. Kagome wirbelte herum und rannte ein paar Schritte, ehe sie sich zurückdrehte und noch aus der Bewegung einen weiteren Pfeil in die Gruppe jagte. Vier weitere Yôkai gefällt. Aber jetzt wurde es knapp. Flucht nach vorne schön und gut, aber das konnte eng werden. Sie griff nach dem nächsten Pfeilschaft, als sie plötzlich erstarrte. Yôki in ihrem Rücken. Wo bitte kamen denn von da hinten Dämonen her? Kaoris Gruppe drang doch samt und sonders von vorne auf sie ein – oder? Diese Taubendämonin schien doch schlauer und taktisch begabter zu sein, als gedacht und ihre Untergebenen folgten den Befehlen, auch wenn Kaori längst gefangengenommen war. Noch ehe Kagome nach dem Pfeil greifen konnte, packte eine Hand von hinten den Pfeilköcher, riss ihn mit so einer Macht rückwärts, dass Kagome nicht nur hintenüber stolperte, sondern auch das Band riss, dass den Köcher vor ihrer Brust befestigte. Rasch rollte sie sich herum, langte nach den herausgefallenen Pfeilen, erreichte sie nicht – und fand sich im nächsten Augenblick vollkommen umringt. Ruhig bleiben, Kagome..., beschwor sie sich selbst, als sie die Hände anhob, um ihre Verteidigungstaktik abzurufen. Doch schon als sie das eine Handgelenk bewegte, spürte sie, dass sie sich dort etwas getan haben musste. Ein stechender Schmerz sauste durch ihren Unterarm. Kagome zuckte zusammen, zögerte einen Moment – und das war zu viel des Guten. Im nächsten Moment traf sie die Breitseite eines Katana an der Schläfe. Kagome fiel zur Seite. Kapitel 7: Erinnerungen ----------------------- Als Kirara mit Kikyô und Sayuri auf dem Rücken, Kôhei und den Kriegern im Schlepptau zurückkehrte, schien es beinahe, als seien keine Stunden, sondern nur Sekunden vergangen. Sesshômaru stand noch an Ort und Stelle, ansonsten war es ruhig. Bis, ja bis ihnen Kazuya entgegensprang, sichtlich aufgeregt. Kirara grollte ihrem Sohn beruhigend entgegen, wohlwissend, worum – oder eher, um wen – er sich sorgte. Sie hatte zwar keine Ahnung, warum ausgerechnet gegenüber Sayuri, aber sie war sich sicher, dass da erste Bande einer wirklich festen Freundschaft entstanden waren und insofern glaubte sie gern, dass ihr Sohn sich Sorgen machte. Sie hielt aber still, als Kikyô von ihrem Rücken glitt und die letzten Meter lief, dann erst Sayuri, die über Kiraras Hals zusammengesunken war und erschöpft schlief, auf den Arm nahm und wortlos mit ihr in der Hütte verschwand. Aufmunternd nickte Kirara ihrem Sohn zu, der daraufhin sofort folgte. Sie selbst blieb draußen, setzte sich vor der Hütte nieder und begann mit festen Zungenstrichen ihre Wunde zu säubern. Während des Kampfes war eine Menge Dreck hineingelangt und der sollte da möglichst nicht lange bleiben. Derweil hatten Kôheis Krieger die gefesselte Taubendämonin Kaori in Sesshômarus Richtung gezerrt. Der weißhaarige InuYôkai hatte nur einen kurzen Blick für die Gefangene übrig. „Bringt sie zum Schloss. Ich kümmere mich später um sie“ Kôhei nickte leicht. „Natsu?“, wollte er bloß wissen. „Sucht InuYasha“, bekam er auch tatsächlich Antwort und gab sich damit zufrieden. Es sah nicht so aus, als wollte Sesshômaru sie jetzt schon begleiten, also machten der Wolfsdämon, die vier Krieger und ihre unfreiwillige Begleitung sich alleine auf dem Weg. Kaori würde erst einmal in einer Zelle landen, bis der Fürst sich ihrer annahm. Galgenfrist hatte sie also noch. Kikyô hatte Sayuri inzwischen wieder auf ihr Lager gebettet. Jetzt wärmte sie Wasser auf, um der Kleinen das Blut von Gesicht und Händen waschen zu können und während das Feuer seinen Teil der Arbeit übernahm, suchte Kikyô erst einmal einen von Hotarus Kimono heraus, denn ihr kleines Kleidchen konnte Sayuri nicht mehr anbehalten. Es war voll von Kaoris Blut und das war weder sonderlich hygienisch, noch gut für Sayuris Psyche. Die Arme würde nur noch Albträume bekommen, wenn sie ewig den alten Blutgeruch in der Nase hatte. Den empfand Kikyô schon als sehr störend und sie hatte weniger dämonischen Blutanteil als Sayuri. Schließlich fand Kikyô einen Kinderkimono aus roséfarbenem Stoff mit schwarz abgesetzten Säumen. Das gute Stück war Hotaru schon seit einer Weile zu klein, aber Sayuri könnte es gerade passen. Zu mindestens für den Übergang. Also machte Kikyô sich an die Arbeit. Dabei glitten ihre Gedanken ein gutes Stück zurück. Als Ältestes von vier Kindern war es nicht das erste Mal, dass Kikyô sich um ein jüngeres Kind kümmerte. Schon als Akio und Itoe geboren worden waren, war sie geistig eine Jugendliche gewesen; vor sieben Jahren, bei Hotaru, erst recht. Das war in gewisser Weise der Vorteil daran, dass ihr dämonischer Blutanteil ihre Alterung erstaunlich stark beeinflusste. Bisher war es noch nicht möglich gewesen, irgendeine Regelmäßigkeit dazu aufzustellen. Akio und Itoe, beide etwa hundertdreißig Jahre jünger als sie, sahen heute in etwa wie Sechzehn und knapp Achtzehn aus, während sie einer Neunzehnjährigen glich, aber eigentlich fünfhundert Winter zählte. Verstehe das einer, wer wollte, Kikyô tat es nicht. Und da half ihr auch das Wissen, dass sie besaß, ohne es je erlernt zu haben, nichts. Sie wusste, dass es von ihrer Namenspatronin stammte, wenn ihr etwas einfiel, dass ihr niemals jemand erklärt hatte und sie hatte längst gelernt, damit umzugehen. Aber seltsam war es schon manchmal. Mit einem leichten Lächeln wischte Kikyô den Gedanken beiseite und machte sich daran, Sayuri das Kleidchen auszuziehen und ihr stattdessen den Kimono überzustreifen, vorsichtig darauf bedacht, sie nicht zu wecken. Sollte die Kleine sich ausschlafen. Für ein fünfjähriges Kind, dass sich sowieso schon von einem Tag auf den anderen mit plötzlich ausgeprägten Sinnen, jeder Menge fremder Leute und noch mehr fremder Umgebung auseinandersetzen musste, dass entführt worden war und sicherlich zum ersten Mal dämonisch geprägten Instinkten gehorcht hatte, musste der Tag nicht nur anstrengend, sondern auch sehr aufwühlend gewesen sein. Kazuya, der in der Nähe gestanden und alles mit Argusaugen beobachtet hatte, legte sich neben Sayuri, sobald Kikyô von dem schlafenden Mädchen zurückwich. Etwas amüsiert beobachtete Kagomes Tochter wie Sayuris Nase leicht zuckte, als sie den inzwischen sicher vertrauten Geruch ausmachte und wie Sayuri, ohne aufzuwachen, einen Arm um Kazuyas Hals legte und sich an ihn schmiegte. Der Nekomata-Kater ließ es geschehen, bettete die Schnauze auf die Vorderpfoten. Er schien vollauf zufrieden mit der Welt. Kikyô nahm das zur Kenntnis, ehe sie zusammenschreckte, weil vor der Hütte Klirren von Metall auf Metall zu hören war. Im nächsten Moment ahnte sie bereits, was da los war. Offenbar hat Natsu Otou-san gefunden…, kommentierte sie gedanklich und trat an die Hüttentür, darauf bedacht, nicht von irgendeinem Angriff getroffen zu werden. Sie kannte das übersprudelnde Temperament ihres Vaters nur zu gut. Wie zur Bestätigung war gleich darauf InuYashas Stimme zu vernehmen: „Wie konntest du das zulassen?“, brüllte er und Kikyô brauchte nicht nachzudenken um zu wissen, dass er Sesshômaru an’sprach‘. Kikyô schüttelte etwas den Kopf und schob die Reisstrohmatte beiseite um aus der Hütte zu schlüpfen. Direkt neben der Tür stand Natsu, die Arme vor der Brust verschränkt und ein wenig die Augenbrauen hochgezogen. Kikyô verdrehte die Augen. „Otou-san! Es war Okaa-sans Idee!“, rief sie, obwohl sie sich denken konnte, dass InuYasha sich davon nicht wirklich beeindrucken lassen würde. Tatsächlich nahm der nur schon wieder Anlauf auf Sesshômaru. Der hob beinahe ungerührt Bakusaigas Klinge und blockte den Schlag ab. Die Halbbrüder trainierten oft genug gegeneinander, dass InuYasha eigentlich wissen müsste, dass so ein unkonzentrierter Schlag für Sesshômaru im Schlaf abzufangen war, aber im Moment dachte InuYasha eben auch nicht nach. Tatsächlich wurde es Sesshômaru nun zu dämlich. Als InuYasha schon wieder zuschlug, rief Sesshômaru bloß seine Energiepeitsche und wickelte sie mit einer kurzen Handbewegung um InuYashas rechtes Bein. Ein Ruck und der Hanyô lag auf dem Boden. Einen Moment war er perplex – und dieser Moment reichte Sesshômaru, ihn am Kragen zu packen und von einem erneuten Angriff abzuhalten. „Reiß dich zusammen“, knurrte er, ehe er seinen Halbbruder wieder abstellte. InuYasha riss sich los und funkelte ihn an. Er steckte Tessaiga nicht weg, aber er griff auch nicht erneut an. Sesshômaru gab sich damit zufrieden, steckte auch sein Schwert weg und sah dann in Richtung Kikyô, als sei nichts geschehen. Die scheinbar Neunzehnjährige wartete erst gar nicht auf eine Frage, die nicht kommen würde, sondern setzte sich bloß in Bewegung. Bei Vater und Onkel angekommen blieb sie stehen. „Wir haben Sayuri wieder, sie ist unverletzt, wenn auch erschöpft. Kaori hatte sich in ein Versteck auf der neutralen Insel gebracht, wo wir sie und ihre Gruppe überraschen konnten. Außer Kirara ist von uns keiner verletzt“, gab sie zu Protokoll, ließ aber vorerst raus, wo sich Kagome befand. Ihr Vater hatte sicher längst selbst herausgefunden, dass ihre Mutter nicht hier war, immerhin würde er deren Witterung vermutlich noch vom anderen Ende der Insel aus wahrnehmen. Wie zur Bestätigung knurrte InuYasha auf. „Kikyô, wo ist Kagome?“ Das klang erstaunlich ruhig, aber Kikyô sah nur zu gut, wie sehr sich die Finger ihres Vaters um Tessaigas Heft krampften. „Ich weiß es nicht, Otou-san. Sie hat uns Rückendeckung gegeben – auf eigenen Wunsch. Sie meinte wohl, es sei wichtiger, unser kleines Familienmitglied in Sicherheit zu bringen und natü-…“ Kikyô brach ab, als Sesshômaru die Hand hob. Aus schmalen Augen funkelte ihr Onkel sie an. „Familienmitglied?“ Kikyô zuckte etwas zusammen. Ihr Onkel wusste das noch nicht? War Natsu noch nicht dazu gekommen, ihm zu berichten? Unwillkürlich warf sie einen Seitenblick zu ihrer Tante. Besagte kam gerade auch heran. Unauffällig und etwas entschuldigend nickte Natsu ihr zu, ehe sie ihren Gefährten ansah. „Das war es, was ich noch erzählt hätte, wenn Rin nicht gestört hätte. Es scheint tatsächlich so, als würde die Kleine in irgendeiner Weise zur Familie gehören“, gab sie zu. Eigentlich hatte sie vorgehabt, das Ganze ein wenig behutsamer zu berichten, aber das hatte jetzt keinen Sinn mehr. Sesshômaru ließ sich nicht weiter anmerken, wie gut oder schlecht er diese Neuigkeit fand, seine Miene war gewohnt ausdruckslos. Schließlich wandte er sich halb ab. „Wir nehmen sie mit ins Schloss“, bestimmte er schlicht. Keiner protestierte, nicht einmal InuYasha. Der schien allerdings auch nicht wirklich mitbekommen zu haben, was Sesshômaru sagte, er war mit den Gedanken anscheinend ganz weit weg. Einzig durch Natsus Augen zog ein kurzes, belustigtes Blitzen. Es war schon amüsant, wie sehr Sesshômarus Familiensinn sich verändert hatte. Damals, als sie ihn kennenlernte, war er zwar auch auf Ehrenhaftigkeit bedacht gewesen, aber sich ihn als wirkliches Oberhaupt einer Familie vorzustellen, war schwierig gewesen. Selbst als er seinen damals noch gehandicapten Sohn akzeptierte, selbst als er sich eine Gefährtin nahm, die eigentlich jeglicher Vernunft wiedersprach, selbst als er InuYasha als Bruder akzeptierte. Bis zum jetzigen Stand war es ein langer Weg gewesen – und wer Sesshômaru nicht genau kannte, der würde das auch heute noch nicht wahrnehmen. Natsu aber konnte in Gedanken vervollständigen, was Sesshômaru gemeint, aber nicht ausgesprochen hatte: Wenn sie zur Familie gehört, lasse ich nicht zu, dass sie noch einmal in Gefahr gerät. Im Schloss können wir sie besser beschützen, bis näheres feststeht… Ohne weiteren Kommentar wandte Kikyô sich ab um Sayuri zu holen – und Kazuya zu wecken, der inzwischen an der Seite seiner selbsterwählten, menschlichen Freundin eingeschlafen war. ~*~ Als Kagome wieder zu sich kam, dröhnte ihr Schädel. Schon lange war sie in keinem Kampf mehr so gründlich ausgeknockt worden. Vorsichtig hob sie eine Hand und legte sie sich an die Stirn, beschattete ihre Augen, ehe sie die Lider blinzelnd öffnete. Zuerst erkannte sie nicht viel, aber langsam zeichneten sich Äste gegen den hellen Himmel ab. Es war also noch Tag, lange konnte sie nicht ohnmächtig gewesen sein. Aber sie war auch nicht mehr auf der Ebene, auf der sie gekämpft hatten. Man hatte sie weggeschafft. Sie drehte die Schulter ein, um sich aufzurichten, da merkte sie erst, dass etwas sie am Boden hielt. Erschrocken hielt sie die Luft an, zwang sich aber zur Ruhe. Früher wäre sie vielleicht in Panik geraten, inzwischen hatte sie eine Erfahrung mit brenzligen Situationen, die den meisten Menschen eindeutig abging. Nun, sie lebte ja auch schon weit länger. Aber das änderte nichts an der seltsamen Situation. Inzwischen war ihr nämlich aufgefallen, dass jemand ihr Handgelenk bandagiert hatte, aber trotzdem war sie sichtlich gefesselt worden. Was für einen Grund das hatte, konnte sie sich nicht erschließen. Also drehte sie den Kopf und blickte sich um. Sie war auf einer Lichtung, deren Boden noch vom Laub des Vorjahres bedeckt war. Sie mussten sich recht tief im Wald befinden. Nachdenklich schloss Kagome die Augen wieder und streckte stattdessen ihre Miko-Sinne aus. Waren es die Angreifer, die sie mitgenommen hatten? Und wenn ja… was hatten sie mit ihr angestellt, oder hatten es noch vor? Aber wie schon ihre Augen, lieferten auch ihre Miko-Sinne ihr die Information, dass sie allein war. Die Lichtung war gänzlich einsam. Verständnislos nahm Kagome das zur Kenntnis und versuchte stattdessen herauszufinden, welcher Natur die Fessel war. Denn, dass es Magie war, war nicht zu übersehen. Allerdings war es auch nicht weiter schwer, die Herkunft der Magie zu identifizieren. Sie war vertraut genug mit dem Kitsune-bi, um es zu erkennen, wenn sie es vor sich hatte. Fuchsfeuer, Fuchsmagie hielt sie also am Boden. Kopfschüttelnd versuchte sie erneut, sich aufzurichten, aber noch immer gab die Fessel nicht nach. Nun, was nicht ist, kann ja noch werden…, dachte sie resignierend und ließ sich zurückfallen. Da plötzlich warnte ein unbestimmtes Gefühl sie vor herannahendem Yôki. Ein Dämon trat heran, der offenbar stark genug gewesen war, sein Yôki vor ihr zu verbergen. Jetzt gesellte sich ein zweiter dazu und beide kamen genau in ihre Richtung. Kagome öffnete die Augen wieder und blickte ihnen entgegen. „Der Chef ist nicht da“, bemerkte einer von ihnen. Der andere grinste in einer Art, die Kagome einen eiskalten Schock über den Rücken jagte. „Und er hat ein hübsches Menschenweib angekarrt“, fuhr der erste fort, worauf der zweite nur noch mehr grinste. Kagome fühlte sich in ihrer unangenehmen Ahnung bestätigt. Auch wenn beide nicht sonderlich stark waren, solange sie gefesselt war, hatte sie keine Chance, sich der beiden zu erwehren. Die beiden schienen das genau zu wissen, denn sie kamen langsam näher. Doch plötzlich erschien eine dritte Gestalt auf der Bildfläche. Sie trug einen dunkelblauen, fast schwarzen Kapuzenmantel, der nicht preisgab, wer sich darunter befand, zumal die Gestalt auf einmal mit dem Rücken zu Kagome stand. „Habe ich nicht gesagt, ihr sollt sie in Ruhe lassen?“, fragte sie. Die beiden anderen zuckten zusammen. „H-hai Chef, wir woll-“ „Ihr wolltet ausnutzen, dass ich auf der Jagd war, ich weiß. Nichts da“, unterbrach der Mantelträger und ließ den toten Hasen fallen, den er in der Hand gehabt hatte. Kagome konnte nur ein Minimum an Yôki bei dem Vermummten fühlen, erkannte aber, dass es sich bei ihm, im Gegensatz zu den anderen beiden, um einen Kitsune handeln musste. Ob er für ihre Fesseln verantwortlich war? Vorerst verhielt sie sich aber ruhig, lauschte auf die Replik des einen, der offenbar noch nicht aufgeben wollte. „Och, bitte, Chef. Eine Miko hatte ich noch nie. Lass‘ sie uns auch kosten, wenn du mit ihr fertig bist“ Der Mantelträger knurrte auf. „Ich sagte Nein. Die junge Dame ist mein Gast“ Die Art, in der er seine Worte betonte, beruhigte Kagome auch nicht gerade. Das hörte sich so an, als sei sie vom Regen in der Traufe gelandet. Nun, immerhin schienen ihre Begleiter davongekommen zu sein. Tatsächlich ließen die beiden anderen sich abwimmeln und verschwanden rasch. Der Mantelträger schüttelte trotz Kapuze sichtbar den Kopf, drehte sich dann um und hockte sich neben ihr nieder. Ohne Vorwarnung streckte er die Hand aus und legte sie auf Kagomes Brust. Die scheinbar junge Miko verkrampfte sich unwillkürlich. „Keine Angst, ich löse nur die Fessel“, sagte die Gestalt sofort und tatsächlich spürte Kagome, wie die Magie verflog. Gleich darauf zog der Fremde tatsächlich die Hand zurück. „Gomen, aber die Fessel musste sein, um keine Fragen aufkommen zu lassen, Kagome…“ Überrascht weiteten sie die Augen der Schwarzhaarigen. „Woher… kennt Ihr meinen Namen?“ Sie glaubte gar zu hören, wie der Angesprochene lächelte, ehe er mit den Händen den Kapuzensaum fasste und den dunklen Stoff in den Nacken schob. Darunter kam das Antlitz eines noch jugendlichen Fuchsdämons zum Vorschein, der Kagome nur zu bekannt war. „Shi-mhmh…“ Ihre erfreute Begrüßung wurde von einer Hand auf ihrem Mund abgebrochen. „Still, meine Begleiter könnten dich hören. Ich heiße Sen!“ Kagome zog eine Augenbraue hoch und stemmte sich nun ins Sitzen. „Ich frage besser nicht, warum, oder?“ Ihr alter Bekannter senkte den Blick. „Nein, besser nicht. Ich… es hat sich vieles verändert“ „Das glaube ich dir sofort“, konterte die Miko trocken. Der Kitsune setzte sich neben sie. „Es war sehr selbstlos von dir, die anderen schon vorzuschicken“, bemerkte er und offenbarte damit, dass er und seine Gruppe es offenbar gewesen waren, die Kagome letztendlich gerettet hatten. Kagome zuckte die Schultern. „Es ist wichtig, dass die kleine Hanyô, die dabei war, zurück ins Dorf kommt. Sesshômaru dreht mir sonst persönlich den Hals um. Frag‘ mich nicht, wo sie herkommt, aber es deutet alles darauf hin, dass sie irgendwie zur Familie gehört, wenn auch noch nicht feststeht, wie genau. Und ehe wir das herausgefunden habe, sollte ihr besser nichts zustoßen. Dass sie entführt wurde, war schon schlimm genug“, erklärte sie im Flüsterton. Ihr Gesprächspartner nickte knapp, ehe er sich erhob. „Komm, ich bringe dich ein Stück. Sonst kommst du vor Einbruch der Nacht nicht mehr ins Dorf“, schlug er vor. Erfreut ergriff Kagome die dargebotene Hand und ließ sich auf die Füße ziehen. „Die anderen werden sich freuen, dich einmal wiederzusehen… - nicht?“, fragte sie, weil ihr Gegenüber den Kopf schüttelte. „Ich komme nur ein Stück mit. Je weniger Leute wissen, wo ich mich zurzeit aufhalte, desto besser. Außerdem…“, jetzt wurde aus seiner ernsten Miene ein verschlagenes Grinsen, das einem Kitsune wie ihm besser zu Gesicht stand, „…dauert das, was meine Leute glauben, was ich mit dir anstelle, nicht all zu lange. Sie würden sich wundern, wenn ich zu lange wegbleibe“ Kagome zog eine Augenbraue hoch. „Einschlägige Erfahrungen?“ „Aber klar doch, bei dem ausführlichen Aufklärungsunterricht durch euch“, konterte der junge Kitsune feixend. Kagome verdrehte die Augen zum Himmel, aber da fuhr er bereits fort: „Blödsinn, dass überlasse ich gerne den anderen, von Weib zu Weib zu hüpfen. Ich kann sie schlecht davon abhalten, ihrer Lust zu fröhnen. Selbst wenn sie mich vor Jahren zu ihrem Chef auserkoren haben – auch wenn ich bis heute nicht weiß, warum, ich habe es nämlich wahrhaftig nicht drauf angelegt – würden sie sich solche Dinge nicht verbieten lassen. Aber meistens schnappen sie sich den Teil der Damenwelt, der dem Spiel auch nicht ganz abgeneigt ist, wenn du verstehst“ Ja, Kagome verstand, worauf der junge Kitsune hinaus wollte. Und sie war froh, dass er selbst nicht auch zu dieser Art Mann geworden war. Es hätte sich irgendwo doch sehr gestört, auch wenn sie seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt hatte. „Wie dem auch sei, wir sollten uns beeilen. Komm!“, fuhr er plötzlich fort und ehe sie reagieren konnte, stieg an ihrer Seite sein Yôki an und im nächsten Moment stand ein gut schulterhoher Fuchs neben ihr, der sich rasch hinlegte. Bereitwillig ließ sie sich in seinen Nacken gleiten. Es war ganz ähnlich, wie auf Kirara oder einer der anderen Nekomata zu reiten, insofern passte sie sich schnell an die Bewegungen an und als der junge Kitsune das merkte, wurde er schneller, bis er geschickt durchs Unterholz jagte, auf den Waldrand zu, über die Ebene, Richtung Küste. Dort erhob er sich mit einem Sprung in die Luft und überquerte die paar Kilometer Ozean in wenigen Minuten, ehe er an dem Strand aufsetzte, der zur Insel der Inu gehörte. Dort legte er sich wieder hin, eine deutliche Geste, dass sie absteigen sollte. Kagome glitt auf den Boden und sah ihn an, als er sich aufrichtete. Er gehörte zu den wenigen Dämonen, die auch in ihrer Toushin-Form die Augenfarbe der menschenähnlichen Form behielten und so blickten türkisgrüne Iriden sie an, als sie noch einen Moment verharrte. „Ich soll also niemandem etwas sagen, dass ich dich wiedergetroffen habe?“ Der Kitsune schüttelte den Kopf, einen trauriger Ausdruck lag in seinen Augen, aber er schien darauf beharren zu wollen. Kagome seufzte. „Na dann…“ Doch im nächsten Moment schlang sie die Arme um den Hals des Fuchsdämons. „Pass‘ aber auf dich auf!“ Als Antwort wurde die Schnauze des Kitsune gegen ihre Wange gepresst, ehe der Dämon sich abwandte und wieder in die Luft sprang um zu seinen Leuten zurückzukehren. Dabei fiel Kagome auf, dass er gar nicht richtig flog, sondern knapp über der Wasseroberfläche dahingaloppierte und sich mithilfe seines Kitsune-bi immer wieder von den Wellenkronen abstieß, um nicht unterzugehen. Sie atmete tief durch, als die Gestalt am Horizont entschwand. Lange hatte sie ihn nicht gesehen, nicht gewusst, was aus ihm geworden war und sie hatte ihn auch nur kurz getroffen, aber dennoch schmerzte der erneute Abschied. Früher waren sie sich näher gewesen. Mach’s gut, Shippou… Kapitel 8: Beziehungen ---------------------- „Kikyô? Bist du hier?“ Kagome trat auf den kleinen Platz im Mittelpunkt des winzigen Dorfes und sah sich suchend um. Weit und breit war niemand zu sehen. Und von ihrer Tochter kam auch keine Antwort. Also betrat Kagome die Hütte, fand aber auch diese – samt Sayuris bisherigem Lager – verwaist vor. Sie runzelte die Stirn. Was ging hier vor sich? „Ach, Kagome, du bist es“, sprach sie da plötzlich jemand an und noch ehe sie sich ganz umgedreht hatte, hatte sie die Stimme erkannt. Nun, sie kannte auch den Sprecher lange genug, außerdem war seiner Stimme ein leichter Akzent geblieben, auch wenn er schon lange kein chinesisches Wort mehr gesprochen hatte, abgesehen von seinem eigenen Namen. „Grüß‘ dich, Tián. Weißt du, wo die anderen sind?“ Der Komori, der bisher halb in der Tür gestanden hatte, betrat die Hütte nun gänzlich, während er nickte. „Die sind alle mit eurem neuen Schützling im Schloss. Shizuka hat mir noch Bescheid gesagt und ist dann hinterher. Scheint als wolle Fürst Sesshômaru euer Findelkind nicht mehr aus den Augen lassen“, berichtete er gelassen, woraufhin Kagome sich ein Kichern verkneifen musste. Es war immer wieder seltsam, in dieser Art über den stets eiskalt wirkenden InuYôkai zu spekulieren. Aber es war einiges Wahres dran, wenn man ihn näher kannte. So aber zuckte die Miko leicht mit den Schultern. „Nun gut, dann werde ich auch gehen. Es bringt ja nichts, wenn ich hier alleine sitze“ Tián verstand den Wink mit dem Zaunpfahl durchaus und wandte sich wieder zum Gehen, denn Kagome trug noch immer ihre Chihaya und normalerweise vermied sie, mit der im Schloss aufzutauchen. Sie würde sich umkleiden wollen. „Es sind aber nicht alle im Schloss“, sagte er nur noch über die Schulter, ehe er die Hütte verließ. Kagome sah ihm nur kurz nach. Sie wusste sich seine Worte zu deuten. InuYasha war also nicht mit den anderen gegangen, sondern schmollte irgendwo. Wahrscheinlich hatte er wieder so richtig aufgedreht, als er erfahren hatte, dass sie ohne ihn gegangen waren. Sie war seinen manchmal übersprudelnden Beschützerinstinkt ja gewohnt und sie wusste, wie oft er sie früher wie heute auch aus brenzligen Situationen befreit hatte, aber manchmal übertrieb InuYasha es auch. Und manchmal konnten sie eben keine Rücksicht auf ihn nehmen, besonders dann nicht, wenn schnelles Handeln vonnöten war, so wie vorhin. Wer wusste schon, was man sonst noch mit der Kleinen angestellt hätte. Nicht nur, dass sie ein Hanyôkind war, nein, sie hatte auch bisher noch keine Ahnung von ihrer dämonischen Bluthälfte und auch wenn Kagome gesehen hatte, welche Durchschlagskraft Sayuris Klauen hatten, so ahnte sie, dass dieser Angriff purer Instinkt gewesen war. Denn in diesem Moment musste Sayuris dämonische Hälfte aufgelodert sein und es war unter Umständen nur Resten der Bannmagie zu verdanken, dass sie nicht gänzlich durchgedreht war. Das Gleichgewicht ihrer Blutanteile war noch labil, so kurz nach dem Verlust des bannenden Armbandes. Was Kagome aber viel mehr erstaunt hatte, war die Veränderung in Sayuris Aussehen im Moment des Angriffs gewesen. Für einen kleinen Moment waren ihre Augen schmaler geworden, Raubtieraugen wie bei einem vollwertigen Yôkai. Und auf ihrer Stirn war für den Bruchteil einer Sekunde ein Zeichen zu sehen gewesen, das Kagome nur zu gut kannte: Der Sichelmond. Sesshômarus Zeichen. Da diese Familienzeichen im Normalfall von der Mutter auf das Kind weitergegeben wurden, schien also tatsächlich Sayuris Mutter der dämonische Teil ihrer Eltern gewesen zu sein – und das Familienmitglied. Das sollte es rein theoretisch leichter machen, sie aufzuspüren, denn eigentlich musste man nur forschen, welche Yôkai sich im entsprechenden Zeitraum von anderen abgeschottet hatte. Wäre ihre Schwangerschaft öffentlich gewesen, dann wäre auch Sayuris Existenz bekannt und vor allem wäre in den Stammbäumen wenigstens das Kürzel für die Geburt eines Kindes angegeben gewesen, selbst wenn Sayuri nicht in die Familie aufgenommen worden war. Das war aber bei keiner der in Frage kommenden Yôkai der Fall gewesen. Aber Kagome war lebenserfahren genug um sich nicht zu früh zu freuen. Vermutlich würde die Suche dennoch anstrengend und nervenaufreibend werden. Und davon mal ganz abgesehen hieß es jetzt erst einmal, die Sache mit Sesshômaru zu klären. Kagome zog das Kimonohemd und die Hakama aus und griff nach einem schlichten, himmelblauen Kimono. Der musste reichen, immerhin ging es nur um den Familienrat. Sie hatte jetzt keine Lust, sich mit dem wertvolleren Hofkimono abzumühen. Dann löste sie ihren Zopf und flocht ihn rasch neu, denn nach dem Kampf hatte die Frisur leicht zerrupft ausgesehen. Die Bandage am Handgelenk ließ sie vorerst an ihrem Platz. Auch wenn das sicher eine Diskussion mit InuYasha herausforderte, wenn er sah, dass sie verletzt war, hauptsache es heilte schnell wieder. Wer wusste, was noch auf sie zukam. Und der Bogen war nun einmal eine Waffe, für den sie beide Hände brauchte. Zuletzt zog sie die feine Silberkette mit der Sekai no Tía aus dem Ausschnitt und ließ sie offen über der Brust hängen, damit auch noch die minderbemitteltste Wache sie erkennen und durchlassen würde. So mancher tat sonst gerne auch noch nach fünfhundert Jahren so, als habe er sie noch nie gesehen und müsse sie abweisen, weil sie ein Mensch war. Aber noch konnte sie sowieso nicht zum Schloss. Vorher sollte sie InuYasha suchen gehen und mit ihm reden. Und sie ahnte auch schon sehr genau, wo sie ihn finden würde. ~*~ Im Schloss war derweil der anwesende Teil der Fürstenfamilie bereits in dem kleinen Saal zusammengekommen, der als eine Art Familienwohnzimmer galt. Sesshômaru vor Kopf, rechts neben ihm Kin, links neben ihm Natsu. Zankò neben seinem älteren Bruder, dann Kôhei und Rin. Saika und Teshi waren noch im Unterricht. Neben Natsu hatte eigentlich InuYasha seinen Platz, dann Kagome und deren Kinder, von denen momentan nur Kikyô zugegen war. Kirara lag direkt neben ihr. Shizuka war samt Kazuya bei Sayuri geblieben, die man in ein freies Zimmer des Familientraktes gebracht hatte und vorerst schlafen ließ. Aber das Gespräch hatte bisher wenig ergeben. Mehr als das, was Natsu jetzt noch nachgeschoben hatte, wusste Kikyô auch nicht zu berichten und so wussten jetzt zwar alle über die momentane Lage Bescheid, aber weiter wusste dennoch keiner. Schließlich war es Kin, der einwarf: „Du sagst also, Kagome hat sich eine Liste gemacht, welche Yôkai in Frage kommen“ Das war nicht wirklich eine Frage und deswegen reagierte Natsu, der der Blick des Erbprinzen gegolten hatte, auch nicht weiter, sondern nickte nur knapp. „Ich bin sicher, Okaa-san wird die Papiere mitbringen, sobald sie nachkommt. Nur kann sie vermutlich nicht sofort kommen“, warf Kikyô ein und ein jeder der Familie wusste, was damit gemeint war. Sie alle kannten InuYasha. „Gut. Ihr könnt gehen. Wir sehen uns zur Mahlzeit wieder“, sagte Sesshômaru bloß knapp und erhob sich bereits. Alle wussten, dass ‚Mahlzeit‘ in diesem Falle eine Art Codewort war. Sesshômaru aß eigentlich nie etwas, Kin und Natsu hielten es ähnlich, ebenso Zankò, seit er es nicht mehr nötig hatte. Dennoch leistete meistens mindestens einer von ihnen Rin und den Kindern Gesellschaft, wenn das Abendessen aufgetragen wurde. Wenn Sesshômaru aber alle zum Abendessen bestellt, sprach das nicht für ein gemütliches Beisammensein, sondern eher für eine Krisensitzung. Und dementsprechend waren seine Worte auch keine Einladung sondern ein Befehl gewesen. Aber jetzt zerstreute sich die Familie erst einmal. ~*~ Ein gutes Stück weiter südlich, auf der Insel der Néko, am Schloss derselben, saß derweil eine Gestalt auf dem breiten, steinernen Sims ihres Fensters und sah richtung Küste. Jetzt, wo sie ausgewachsen war, sah man Amaya an, wie sehr sie ihrer Schwester ähnelte. Zwar trug sie ihre Haare nach Schamanenart nur knapp schulterlang und die Schmucksträhne war bei ihr nicht meeresgrün sondern eher dunkelblond, aber sonst war die Ähnlichkeit nicht zu verleugnen. Amaya lächelte ein wenig, als sie an ihre Schwester dachte. Natsu hatte so ein Glück gehabt damals. Und das eigentlich nur, weil sie einst die persönliche Dienerin der Urkönigin gewesen war. Aus der niederen Hime, die sicher niemand längerfristig in Erinnerung behalten hätte, war eine Fürstin der InuYôkai geworden, die, obwohl der Gattung der Raion und damit den Néko zugehörig, in die Geschichte eingehen würde. Oder vermutlich gerade deshalb. Es war schon eigenartig. Anscheinend waren sie beide dazu bestimmt, wichtig zu werden. Amayas Hand legte sich auf das schwere Schamanenamulett vor ihrer Brust, das, im Gegensatz zu denen der anderen Schamanen, aus massivem Gold bestand. Sie war nicht irgendeine Schamanin. Sie war die Oberste. Die Anführerin. Inzwischen schreckte Amaya dieser Gedanke nicht mehr. Sie war in ihre Aufgabe hineingewachsen, hatte das Wissen, dass ihr bei ihrer Vereidigung noch gefehlt hatte, nachgeholt und in Nori und Tadako unverzichtbare Hilfen gewonnen. Ohne die beiden wäre sie am Anfang sicher verzweifelt. Das leichte Kratzen von Krallen an der Tür ließ sie auffahren. Ihre Dienerin. Amaya rief sie hinein und trug ihr auf, ein Bad vorzubereiten. Ohne ein Wort kam die Dienerin dem nach. Sie war schon alt gewesen, als sie in Amayas Dienste getreten war und bis heute war es Amaya nicht gelungen, das Verhältnis zu lockern. Aber was sollte es. Sie sollte sich besser auf die kommende Nacht konzentrieren. Die Nacht nach Neumond war für die Schamanen immer etwas Besonderes. In diesen Nächten legten Schamanen ihren Eid ab, in diesen Nächten wurden aber auch neue Adepten, Schüler aufgenommen. So wie morgen Nacht. Und natürlich würde Amaya als oberste Schamanin die Zeremonie leiten, so wie sie jede Zeremonie leitete. Die Neumondnächte selbst, verbrachten sie dahingegen oft in tiefer Meditation. Und das hatte auch Amaya vor. Da meldete ihre Dienerin, dass das Bad fertig sei. Amaya lächelte sie freundlich an, als sie dankte, wohlwissend, dass das sowieso nichts bringen würde, und ließ sich vom Fensterbrett gleiten um ins Bad zu gehen. ~*~ Kagome lenkte ihre Schritte derweil hinunter zum Bach, der jenseits der Hügel floss. An einer kleinen Kehre stand eine Gruppe uralter Bäume, die wohl zu den wenigen gehörten, die schon vor dem Ziehen des Bannkreises hier gewachsen waren. Ihre Äste waren dicht belaubt und spendeten selbst in der größten Mittagshitze noch Schatten. Hierhin zog InuYasha sich gerne zurück, wenn er seine Ruhe haben wollte, was vorzugsweise nach einer Situation wie der heutigen der Fall war. Oder manchmal auch, wenn ihn seine alte Zurückgezogenheit wegen der Neumondnacht wieder einmal packte. Heute fiel beides zusammen. Und tatsächlich sah sie das Rot seines Suikans bereits zwischen den Blättern blitzen, als sie unter die Baumkronen trat. Er saß auf einem dicken Ast, den Rücken an den Baumstamm gelehnt und starrte durch ein Loch im Blattwerk den Himmel an. Obwohl sie wusste, dass er sie längst bemerkt hatte, rief sie zu ihm hinauf: „InuYasha! Ich bin wieder da!“ Keine Reaktion. Kagome stemmte die Hände in die Hüften. „InuYasha!“ Er ignorierte sie weiterhin. Kagome verzog das Gesicht, versuchte es aber ein drittes Mal: „InuYasha! Willst du mich wirklich hier unten versauern lassen? – Gut, dann gehe ich jetzt eben zu den anderen ins Schloss. Die werden sich sicherlich mehr für mich inte-…“, sie brach ab und unterdrückte ein Schmunzeln, als sie InuYashas leises, missmutiges Knurren hörte. Geht doch… Sie brauchte ihn gar nicht vom Baum holen, wie sie das früher mit einem gefürchteten Wort gekonnt hätte, er würde schon von selbst kommen. Früher oder später. Sie atmete tief durch. „Mal im Ernst, InuYasha. Es tut mir Leid, dass wir nicht auf dich warten konnten, aber wer weiß, was sie Sayuri angetan hätten, wenn-“, diesmal wurde sie harscher unterbrochen: „Wer weiß, was man dir hätte antun können, wenn du plötzlich keine Pfeile mehr gehabt hättest!“ InuYasha hatte den Blick gesenkt und seine goldenen Augen blitzten sie in einer Mischung aus Sorge und Wut von seinem hohen Sitz aus an. Kagome erwähnte wohlweislich nicht, dass sie aus eigener Kraft nicht davongekommen wäre, sondern ließ etwas die Schultern fallen. „Ich weiß, InuYasha. Aber was hätte ich denn tun sollen?“ „Schlimm genug, dass ihr ohne mich gegangen seid. Aber musstest du unbedingt alleine zurückbleiben?“, konterte InuYasha bloß und in seiner Stimme lag noch immer ein Knurren. „Sayuri gehört zur Familie. Sesshômaru hätte mich gemeuchelt, wenn ihr auf dem Rückweg noch etwas zugestoßen wäre. Also musste ich die Krieger mitschicken. Kikyô konnte ich auch nicht bei mir behalten, denn Kikyô war die einzige, die Sayuri kennt, bei der sie sich vielleicht sicher fühlt. Es blieb also keiner übrig!“ InuYasha richtete sich auf seinem Ast ruckartig auf. „Du gehörst auch zur Familie, Kagome. Zu meiner Familie!“, erwiderte er und mit einem Satz landete er neben ihr auf dem Boden. „Verdammt, ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn dir etwas zustößt!“, fügte er leiser hinzu. Kagome lächelte sanft. „Das weiß ich doch, InuYasha. Aber…“ „Nichts aber. Mach‘ so etwas nie wieder, klar?“ „Also gut. Ich bleibe nie wieder allein zurück, wenn die Gefahr besteht, dass ich mit einem Gegner nicht fertig werden könnte. Einverstanden?“, wollte sie wissen. InuYashas erneutes Knurren zeigte, dass er damit überhaupt nicht einverstanden war und er eigentlich ein generelleres Versprechen erwartet hatte, aber er gab sich geschlagen. Ohne ein weiteres Wort zog er sie in seine Arme. „Ich habe mir Sorgen gemacht…“, flüsterte er nah an ihm Ohr. Kagome kuschelte sich an ihn und sagte nichts mehr. ~*~ Amaya hatte ihr Bad derweil beendet und ließ sich von der mürrischen Dienerin beim Ankleiden helfen. Das Zeremoniengewand, das einem Kimono gar nicht einmal so unähnlich war, wenn auch nach unten hin weiter ausfiel, sodass sich eine Art Schleppe ergab, war sie inzwischen gewohnt. Als sie es zum ersten Mal getragen hatte, damals, bei ihrer Vereidigung, war sie sich viel zu klein und unbedeutend für dieses Kleidungsstück vorgekommen. Inzwischen war ihr klar geworden, dass es genau genommen auch nur ein Stück Stoff war, wenn auch mit einer Menge Perlen bestickt und einer weitreichenden Geschichte gesegnet. Außerdem fühlte sie sich in diesem Gewand ihrer ehemaligen Mentorin Tamoko, ihrer Vorgängerin, näher. Und das hatte sie schon oft getröstet. Tamoko war bei einem Angriff von Oni gestorben und das weit vor der Zeit. Amayas Ausbildung war eigentlich noch gar nicht abgeschlossen gewesen. Amaya war sich durchaus bewusst, dass die anderen Schamanen in den ersten Jahrzehnten mehr auf Nori und Tadako gehört hatten, als auf sie, aber inzwischen hatte man Vertrauen in sie gefasst. Sie hatte sich ihren Platz erkämpft. Und als sie nach dem dünnen, regenbogenfarbig schimmernden Tuch griff, das bisher auf ihrer Kleidertruhe gelegen hatte, und es sich um die Schultern legte, legte sich ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen. Das Niji Nuno, eines der magischen Artefakte, ein gutartiges zum Glück und mit Sicherheit das Unscheinbarste. Dann folgte das Amulett und schließlich steckte Amaya sich die Rhododendronblüte ins Haar, die vor so vielen Jahren mit ihrem eigenen Blut getränkt worden war. Da hörte sie Schritte auf dem Gang. Nori und Tadako, mit Sicherheit. Wie immer würden die beiden sie abholen kommen. Amaya strich sich noch einmal das Gewand glatt und steckte dann den kleinen, reingoldenen Zeremoniendolch in die versteckte Scheide, die in eine Falte des Gewandes eingearbeitet war. Sie war fertig. Als ihre beiden Beraterinnen die Tür aufschoben und ins Zimmer traten, warf Amaya noch einmal einen Blick aus dem Fenster. Die schweren Vorhänge bauschten sich ein wenig, als eine heftige Windböe ins Zimmer fuhr, und kurz erhaschte Amaya einen Blick auf die Schlossmauer und auf zwei der Fürstinnen, die auf eines der Seitentore zuhielten. Sicher wollten sie außerhalb der Mauern trainieren, obwohl oder gerade weil es bereits Abend war. Dann aber erkannte sie auch die Gestalt, die gerade auf dem umgekehrten Wege das Tor durchquerte, sah deren Erstarren und wie sie rasch auf ein Knie niederging, den Blick senkte und sie unterdrückte ein Schmunzeln. Brauchte ja keiner zu wissen, welche Geheimnisse der Schlossbewohner sie alles kannte. Rasch folgte sie Nori und Tadako aus dem Raum. Sie sollte als Erste im Zeremoniensaal sein. * „Du bist so unlustig geworden, Karan. Früher wärst du Feuer und Flamme gewesen, wenn ich dich gebeten hätte, mit mir zu trainieren. Im wahrsten Sinne des Wortes…“ Shunran klang ein wenig beleidigt, während sie den Schaft ihres Yari mit einem Tuch abrieb, ohne ihren Schritt zu unterbrechen. „Was? Oh, Gomen, Shunran“ Karan beeilte sich, aufzuschließen. Doch ihr Blick verharrte auf dem Tor, das zu durchqueren, sie im Begriff waren. Dort kniete jemand, der ihnen entgegengekommen war. Jemand, den sie gut kannte. Leicht kniff sie die Augen zusammen, als der Kniende seitlich zu ihr hochschielte. Eisblaue Iriden trafen ihre roten und fesselten sie für einen Augenblick. Ein leichtes Lächeln huschte um die Züge ihres Gegenübers, ehe er den Blick wieder gänzlich senkte. »Verrate dich nicht, Koneko…«, sagte sein Blick und es zog Karan das Herz zusammen, nicht reagieren, nicht einmal nicken zu dürfen. Dabei wusste sie, dass dieser Pantherdämon zu ihren Füßen, sie seit ihrer Kindheit wortlos verstand. Stattdessen trat sie nur an ihm vorbei und hörte, dass er sich hinter ihr aufrichtete. Ich denke dran, mein Lieber. Ich nehme mich zusammen…, antwortete sie stumm, ehe sie die Schultern straffte und sich zwang, ihre Konzentration einzig auf ihre Schwester zu richten. Shunran war unter den Néko eine Meisterin der Illusion und von Zeit zu Zeit übte sie sich darin, die Kräfte ihrer Geschwister zu imitieren. Ihr Feuer war nicht heiß, ihr Eis nicht kalt und ihre Blitze konnten niemanden erschlagen, aber es wirkte echt und konnte den Anschein eines großflächigeren Effektes erzielen, wenn sie gemeinsam kämpften. Und für die nächste Stunde gelang es ihr tatsächlich, ihr Denken allein auf das Training zu zentrieren. Aber als Shunran den Trainingskampf beendete und sich – erfreut über einige gute Abläufe – auf den Weg zurück ins Schloss machte, blieb Karan vor den Mauern und strolchte ein wenig durch die Gegend. Und sie verschloss sich den Erinnerungen nicht mehr, den Gedanken, die zurückspazierten, zu jenem Abend, an dem alles begonnen hatte. Nur zufällig waren sie sich begegnet. Er kehrte von einem Auftrag zurück, sie suchte ein wenig Ruhe vor ihrer Schwester, die in den Jahrzehnten seit dem Umzug reichlich unleidlich geworden war. Beide waren sie nicht wirklich aufmerksam gewesen. Und plötzlich hatten sie voreinander gestanden. ~Rückblick~ „Karan-donno…“, der Schwarzhaarige verneigte sich höflich, ehe er an ihr vorbei gehen wollte. „Du bist verletzt“, hielt sie ihn zurück, als ihr der Blutgeruch in die Nase stieg, der in seiner Kleidung hing. Tatsächlich zogen sich über seinen linken Arm einige tiefe Scharten, die aber bereits heilten. „Ein Zusammenstoß mit einem Oni, der den Taijiya offenbar entwischt ist. Leider hat er mich erwischt, ehe ich ihn erledigen konnte, Karan-donno“ „Dann muss er schnell gewesen sein“ Ihr Gegenüber verharrte in der Bewegung und wagte, sie anzusehen, diesmal ohne den Blick zu senken. „Wie meint Ihr das, Karan-donno?“ Karan lächelte etwas. „Der Oni muss schnell gewesen sein, wenn er dich erwischen konnte. Ich weiß noch genau, wie flink du bist“ Da ließ er die Schultern sinken, die er bisher wachsam angespannt hatte. „An so etwas erinnerst du dich?“, wollte er überrascht wissen. „Klar erinnere ich mich, dass du so unhöflich warst, die Tochter deiner Fürstin nicht ein einziges Mal beim Fangenspiel gewinnen zu lassen“, konterte die Rothaarige verschmitzt und in ihren Augen blitzte der Schalk, für den sie so bekannt war. „Das war nur die Retourkutsche dafür, dass du mir oft genug den Pelz angefackelt hast, wenn wir gebalgt haben“, gab er gelassen zurück und keiner von beiden merkte so recht, dass er sie plötzlich ebenso duzte, wie andersherum. Doch plötzlich sah er ernster drein. „Es ist Jahre her, das wir das letzte Mal so ungezwungen miteinander geredet haben“ Dabei blickte er demonstrativ an ihr vorbei. „Wir sind keine Kinder mehr, Nikko“ „Seit wann gibst du etwas darauf? Du scherst dich doch sonst nicht darum, ob du sauer aufstößt“ „Das ist etwas anderes. Ich bin immer vorlaut und frech gewesen und daran hat sich nie etwas geändert. Soll es auch gar nicht. Aber ich bin auch Fürstin und rein theoretisch die Erbin, sollte Tôran einmal nicht mehr sein und keine Kinder hinterlassen. Ich habe eine gewisse Verantwortung“ „Doch, es hat sich sehr wohl etwas geändert, Karan. Früher hättest du über solche Unterschiede nie nachgedacht“ „Das mag sein. Aber deswegen sehne ich mich oft genug zurück nach der Freiheit der Kinderzeit. Als man uns mit den Bediensteten verkehren ließ, wie wir wollten. Als ich von den Dienerkindern gelernt habe, wie viel Spaß es macht, zu wiedersprechen. Es war eine schöne Zeit. – Und wir durften damals Freunde sein, Nikko…“ Noch immer sprach Karan so viel gewählter, als man das normalerweise von der Rothaarigen gewohnt war. Plötzlich stieß eine Hand sie in die Seite. „Wir sind allein. Was hindert uns?“ Karan fuhr auf, ließ sich dann aber zu einem Grinsen hinreißen. „Wenn deine Wunde es verkraften kann…“ „Pff. Warum sollte ich mir darum Gedanken machen? Du kriegst mich doch eh‘ nicht!“ „Na warte!“ Wie ein kleines Dämonenkind hechtete sie dem davonstürmenden Pantherdämon nach und versuchte ihn zu erhaschen. Sie war schneller geworden – aber er war noch immer so flink wie früher. Mit einem triumphierenden Grinsen wich er ihr abermals aus und blieb provozierend stehen, um auf sie zu warten. Karan knurrte spielerisch. „Oh, ich warne dich, Nikko. Mach‘ dich ja nicht über deine Fürstin lustig“ Seine eisblauen Augen funkelten in der Dunkelheit. „Im Moment bist du nicht meine Fürstin, Karan. Im Moment bist du meine Freundin und Kameradin. So wie früher“, stellte er klar, was ihn aber nicht davon abhielt, sofort wieder einen Haken zu schlagen, als sie ihm zu nahe kam. Für einen Moment hielt die Rothaarige inne. Deine… Kameradin, Nikko? Es ist schön, solche Worte wieder einmal zu hören… Als er wieder auswich, um sie herum witschte und ein paar Meter hinter ihr wieder abwartend stehen blieb, drehte sie sich im Zeitlupentempo um. „Was ist? Schon müde?“ „Im Gegenteil. Ich fa-… hey, du bist schneller geworden!“ Lachend drehte er sich im letzten Moment zur Seite, als sie urplötzlich vorschoss. „Oh, du glaubst gar nicht, wie schnell ich geworden bin…“, knurrte Karan verspielt, schlug erneut einen Haken – und überlistete ihn diesmal. Blitzschnell hatte sie ihn am Kragen gepackt und zu Boden gestoßen. Nikko ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Mit einer raschen Bewegung drehte er den Oberkörper herum und rollte sich ab, kam im Knien auf – da er allerdings im Fallen ihr Handgelenk gepackt hatte, hatte er nun seinerseits Karan zu Boden befördert. Die murrte empört, rappelte sich aber auf und warf sich mit den Händen voran gegen seine Brust, schubste ihn rücklings um. Lachend ging Nikko auf die Herausforderung ein – und es gelang ihm binnen weniger Sekunden, die Oberhand zu gewinnen. Keuchend stützte er die Hände neben Karans Oberkörper auf und schnappte nach Luft. „Das ist noch etwas, woran ich mich erinnere. Im Nahkampf warst du für mich immer leicht zu überwinden“, japste er. Karan blieb still. Etwas überrascht blickte Nikko zu ihr hinab und blickte in ein rotes Augenpaar, welches unverwandt zu ihm aufsah. „Ich erinnere mich auch noch an etwas gänzlich anderes…“, flüsterte sie in einem Tonfall, den er so noch nie von ihr gehört hatte. Frech und spitzfindig kannte er sie… aber keck? Das war neu – und ließ ein wohliges, hoffnungsvolles Kribbeln in seiner Brust erwachen. Er wusste, dass es eigentlich müßig war, sich Hoffnungen zu machen, aber in diesem Moment kamen sie unwillkürlich wieder auf. Die Spekulationen, was wäre wenn…? Seine Stimme war rau, als er nachfragte: „Und woran?“ Karan schmunzelte in einer koketten Weise, die für Nikko fast beängstigend war. Sie legte es anscheinend darauf an, ihn aus der Fassung zu bringen. Als ob die Nähe zu ihr nicht schon das Ihrige tat. Aber er hatte nicht anders gekonnt, als diesen Ausflug in vergangene Freiheiten auszukosten. „Damals, als wir noch Kinder waren, damals hast du mir frecherweise einen… Kuss gestohlen…“ Nikko spürte, dass seine Wangen sich erhitzten. Niemals hätte er sich das damals erlauben dürfen. Aber damals waren sie in einem Alter gewesen, wo man sich keine Gedanken über so etwas machte. Dennoch hatte er es nie vergessen – und auch nie bereut. Seit diesem Tag hatte er träumen können. Doch Karan war noch nicht fertig. „Gerechterweise müsste es mir ja ermöglicht werden, mir meinen Kuss zurückzuholen, um die Geschichte zu beenden…“ Unwillkürlich zuckte Nikko ein Stück zurück, drehte den Kopf zur Seite. „Nicht, Karan. Bitte“, nuschelte er leise. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Aber es steht mir zu…“, beharrte sie in einem Ton, in dem ein beleidigtes Kleinkind sprach und hob etwas den Kopf vom Boden. Sichtlich hatte sie nicht verstanden, warum er sie abwies. Nikko wagte es, zu ihr hinab zu schielen. Es war… verlockend. Aber auch gefährlich. Was wenn… Mit einem knappen Knurren schob er die Zweifel beiseite. „Auf deine Gefahr…“, raunte er nur und senkte den Kopf. Karan stützte sich etwas auf die Unterarme, kam ihm entgegen – und verschloss seine Lippen mit den Ihren. Nikko schloss gepeinigt die Augen, als die Emotionen in ihm hochkochten. Wärme, Freude – und Begehren. Er hatte sich kaum noch in der Kontrolle. Sein ganzer Körper begann zu glühen und seine Finger ballten sich zu Fäusten, bis seine Klauen in die Handflächen drangen. Der Schmerz holte ihn zurück in die Wirklichkeit – und ließ ihn bemerken, dass Karan den Kuss noch immer nicht gelöst hatte. Und in diesem Moment war es um ihn geschehen. Hatte er die Berührung ihrer Lippen bisher scheinbar nur über sich ergehen lassen, begann er jetzt den Kuss zu erwidern. Zuerst zaghaft, dann immer mutiger. Seine Hand wanderte in ihren Nacken, stützte ihren Kopf und zog sie gleichzeitig noch näher an ihn. Im ersten Augenblick riss Karan etwas erschrocken die Augen auf, als ihr bewusst zu werden schien, dass aus der unschuldigen Revanche etwas gänzlich anderes zu werden drohte, dann schien sie Gefallen daran zu finden. Und als seine Zungenspitze um Einlass bat, gewährte sie ihm diesen sofort. Als sie sich schließlich voneinander lösten, ließ sich Nikko neben ihr ins Gras sinken. „Ich habe dich gewarnt…“, murmelte er schuldbewusst und drehte den Kopf von ihr weg. Einen Moment kam keine Reaktion, dann spürte er plötzlich ihre Fingerspitzen an seiner Wange. „Nicht, Karan. Mach‘ es mir nicht noch schwieriger, ich bitte dich…“, flüsterte er verzweifelt und wollte sich aufrichten, weggehen, doch da war ihre Hand bereits auf seiner Schulter und hielt ihn entschieden zurück. Er hörte, wie Karan sich auf die Seite rollte und ihn von der Seite ansah, konnte ihren Atem im Nacken spüren. „Seit… wann?“, fragte sie schließlich zögernd, tonlos fast. Einen kleinen Moment nur überlegte Nikko, ob er die Wahrheit sagen sollte, entschied sich aber dafür. „Seit damals schon. Seit unserem ersten Kuss…“ Wieder herrschte eine Weile Stille, er hörte nur ihren Atem ganz nah neben sich. Dann plötzlich beugte sie sich gänzlich über ihn. „Ich hatte Unrecht, Nikko. Die Geschichte endet nicht hier. Sie fängt gerade erst an. – Mir geht es nicht anders, als dir, Nikko. Seit damals…“ Das ungläubige Glücksgefühl, das in diesem Moment in Nikko explodierte, konnte er nicht mit Worten beschreiben. Stattdessen drehte er ihr nur den Blick zu und sah sie fest an. Und wieder einmal verstanden sie sich gänzlich ohne Worte… ~Rückblick Ende~ Kapitel 9: Familienrat ---------------------- „Okaa-san! Otou-san! Da seid ihr ja! Gerade noch rechtzeitig“ Kikyô kam ihren Eltern ein Stück entgegen, als die beiden, von den Wachen unbehelligt, durch das Schlosstor kamen und sich dem Hauptgebäude näherten. Die Sonne war gerade untergegangen, was bedeutete, dass InuYashas lange Haare rabenschwarz über seinen Rücken fielen, aber Kikyô achtete nicht weiter darauf. „Oji-sama hat zum Mahl gebeten“, fuhr sie stattdessen fort und ein leichtes Grinsen entschärfte ihre etwas gehetzt klingenden Worte sofort. Kagome erwiderte die Geste ihrer Tochter amüsiert, ehe sie zu dritt in die Eingangshalle traten und auf die geschwungene Treppe zuhielten, die hinauf in den Familientrakt führte. Oben trafen sie auf Masa, die Haushofmeisterin, die anscheinend ebenso zum Treffen zitiert worden war. Auch Arata war anwesend und nach allem, was am heutigen Tag geschehen war, ahnte Kagome sofort, warum der alte Akademieleiter dazu gebeten worden war. Obwohl ‚alt‘ immer eine etwas problematische Beschreibung war. Zwar war es dem InuYôkai mit den rotbraunen Haaren anzusehen, dass er von allen Anwesenden mit Abstand die meisten Jahre zählte und in seine Haare hatten sich tatsächlich auch einige graue Fäden geschlichen, aber sein Gesicht war vollkommen alterslos und auch seine Haltung war aufrecht und selbstbewusst, wie die eines jungen Mannes. Dabei konnte man sein Alter mit einem Über-Fünfzigjährigen vergleichen. Aber darauf nahm sowieso keiner Rücksicht. Man begrüßte sich höflich und hielt dann zu fünft auf das ‚Wohnzimmer‘ zu, in dem – wie zu erwarten – bereits Sesshômaru und Natsu anwesend waren. Während ersterer ihnen den Rücken zuwandte und am Fenster stand, saß Natsu bereits an ihrem Platz am Tisch und sah ihnen freundlich entgegen. Hinter ihnen trudelte jetzt auch der Rest der erweiterten Familie ein, Hotaru rannte in gewohnter Manier sofort auf ihre Mutter zu, als habe sie die seit Jahren nicht gesehen, Tián kam gemesseneren Schrittes hinterher. Schließlich hatten sich alle gesetzt und dann kamen auch die Diener mit dem Essen. Natürlich war auch an Kagomes, Kikyôs, Hotarus und InuYashas Plätzen gedeckt, auch wenn Sesshômarus kurzer Blick in Richtung seines Halbbruders keinen Zweifel daran ließ, dass nicht nur sofort wieder abgedeckt würde, wenn InuYasha sich nicht darauf besann, dass er inzwischen wusste, was ‚Tischmanieren‘ bedeutete, sondern das der Hanyô dann auch hochkant aus dem nächsten Fenster fliegen würde. Und InuYasha machte heute auch keinen Versuch, das anzuzweifeln. Eine solche Strafe konnte ziemlich schmerzhaft werden, solange er in Menschengestalt war. Das wollte er dann doch nicht riskieren, so gerne er sich mit seinem Bruder anlegte. Insofern verlief das Essen fast unnatürlich friedlich und sobald die Diener alles abgedeckt hatten – Natsu hatte die Essenszeit genutzt um Arata und Masa in den Sachverhalt einzuweihen – eröffnete Sesshômaru den Familienrat: „Es geht also um die Hanyô Sayuri, die, dafür sprechen momentan alle Indizien, in irgendeiner Weise zur Familie gehört“ Kagome nickte etwas. „Nicht nur Indizien, wenn ich das anmerken darf, Sesshômaru. Du sagtest einmal, zwei Yôkai würden niemals das gleiche Familienzeichen tragen können, wenn sie nicht in direkter Linie miteinander verwandt sind oder eine offiziell beglaubige Adoption stattgefunden hat, nicht wahr?“ Der InuYôkai zeigte mit keinem Wimpernzucken, was er von der Unterbrechung hielt, nickte aber auf ihre Frage hin knapp. Kagome fuhr fort: „Nun habe ich während des Kampfes gegen Kaori kurz den Sichelmond auf Sayuris Stirn aufblitzen sehen. In diesem Moment muss sie kurz vor dem Durchdrehen gestanden haben, ansonsten hätte sie kein dämonisches Mal gezeigt“ „Aber seit wann zeigt ein Hanyô selbst beim Durchdrehen das Familienzeichen?“, fragte Kin nach, den das sichtlich interessierte. „Das frage ich mich auch, Kin. Ich erinnere mich noch, wenn InuYasha früher durchgedreht ist, dass er zwar Streifen auf den Wangen zeigte, aber niemals ein wie auch immer geartetes Stirnzeichen“ „Das kann allerdings daran liegen, dass InuYasha-sans dämonisches Elternteil der Vater war“, mischte sich Arata mit gewohnt bedachter Stimme ein. „Das war auch meine Überlegung. Es ist also wahrscheinlich, dass es bei Sayuri die Mutter war, die das Dämonenblut beisteuerte. Allerdings ist mir noch etwas anderes aufgefallen. Sollte das kurze Sichtbarwerden des Familienzeichens mit dem beinahen Durchdrehen zu tun haben, so ist noch etwas seltsam. In diesem Moment verengten sich Sayuris Augen zu den Raubtieraugen einer vollwertigen Yôkai, wurden aber weder rot, noch veränderten die Iriden ihre Farbe. Auch das erscheint mir seltsam“, konterte Kagome und warf einen nachdenklichen Blick in die Runde. Angesichts dieser Neuigkeiten schien Sesshômaru darüber hinweg zu sehen, dass Kagome die Regie des Gesprächs an sich gebracht hatte, denn er fragte nur gewohnt emotionslos: „Ist dir dieses Phänomen bekannt, Arata?“ Nach kurzem Nachdenken schüttelte der ältere InuYôkai etwas den Kopf. „Leider nein, Sesshômaru-sama. Eine solche Form der Gestaltänderung ist mir neu“ Wieder kehrte für einen Moment ratlose Stille ein. Schließlich war es Rin, die sich zu Wort meldete: „Also ich für meinen Teil würde mir die Kleine erst einmal gerne ansehen, ehe wir weiter über sie reden“ Nach kurzem Zögern nickte Natsu bestätigend und wie auf Kommando sahen alle zu Sesshômaru. Es wäre äußerst unhöflich, sich ohne seine Erlaubnis vom Tisch zu entfernen. Aber der InuYôkai nickte. Kagome war als erste auf den Beinen. „Wenn du erlaubst, gehe ich vor. Sie hat mich in den letzten Tagen schon kennengelernt, ich sollte sie wecken. Sonst erschrickt sie sicher ziemlich vor zu viel fremden Gesichtern. Zumal ihr Yôkai vollkommen fremd zu sein scheinen“ Da weder Sesshômaru, noch einer der anderen, Einwände erhob, eilte Kagome hinaus. Sie brauchte nicht lange zu überlegen, wo man Sayuri hingebracht hatte. Es gab nur ein Gemach, vor dem eine zusätzliche Wache postiert worden war. Kagome nickte dem schwarzhaarigen Inu kurz zu. Sie kannte ihn, er war schon lange in den Diensten der Fürstenfamilie und schob auch öfter alleine hier oben Wache. Seit dem Vorfall mit Rin vor vielen Jahren war das eine hohe Auszeichnung und ein großer Vertrauensbeweis. Und seine Anwesenheit zeigte erneut, wie wichtig Sesshômaru Sayuris Sicherheit im Moment nahm. So schlüpfte Kagome ins Zimmer, entdeckte das Lager sofort. Shizuka, die offenbar auf dem Balkon gewesen war, kam nun wieder herein und aus ihrem Nicken und dem Lächeln auf ihren Lippen entnahm Kagome, dass Sayuri nichts Ernstes geschehen war. Tatsächlich schien die Kleine ruhig zu schlafen – was sie allerdings meistens tat, wenn Kazuya neben ihr lag. Und das tat er im Moment, wenn er auch wach war und Kagome aus rot leuchtenden Augen aufmerksam entgegen sah. „Na, mein Guter? Geht es deiner neuen Freundin gut?“ Kagome wusste, dass Nekomata wie Kazuya sie durchaus verstanden, wenn sie auch meist nicht verständlich antworten konnten und dennoch erkannte sie die Zustimmung in dem piepsenden Maunzen des kleinen Katers. Er war schon immer wieder erstaunlich wie glockenhell deren Stimmchen in kleiner Form waren, wenn man überlegte, zu welch‘ tiefen Brüll- und Fauchlauten sie in Kampfform fähig waren. Aber daran verschwendete Kagome jetzt keinen weiteren Gedanken, als sie sich neben Sayuri kniete und ihr vorsichtig mit den Fingern über die Wange strich. „Sayuri?“ Eines der tierischen Öhrchen zuckte, dann schlug das Mädchen die Augen auf. Wie jede Hanyô hatte sie einen sehr leichten Schlaf. „Du…“, murmelte sie verschlafen und hob eine Hand um sich die Augen zu reiben. „Ich heiße Kagome“, erinnerte sie ihren kleinen Schützling sanft und zog dann ihre Hand zurück. „Da möchten dich ein paar Leute kennenlernen, Sayuri. Sie gehören zu meiner Familie. Einverstanden?“ Das Mädchen nickte und richtete sich auf, eine Hand noch immer auf Kazuyas Rücken ruhend. „Gut. Dann hole ich sie jetzt. Aber… bitte erschrick‘ nicht, Sayuri, wenn sie seltsam aussehen, ja? Sie haben auch andere Sachen an, als du vielleicht kennst“ „Ich hab‘ keine Angst“, stellte Sayuri mit einem heftigen Kopfschütteln klar und ihre dunklen Haare hingen ihr auf einmal wirr im Gesicht. Dabei fiel Kagome zum ersten Mal richtig ins Auge, dass im Nacken eine breite Strähne alles andere als schwarz war. Im Gegenteil, sie war silberweiß. Na wenn das nicht noch ein Beweis ist…, dachte sie nur, während sie Sayuri gleichzeitig ein warmes Lächeln schenkte: „Das ist gut, Sayuri. Dann gehe ich sie jetzt holen“ Damit erhob sie sich. Gleich würde sich zeigen, ob Sayuri tatsächlich so viel Mut besaß, wie sie behauptete. ~*~ „Na komm schon, Sayoko! Wenn sie uns schon einmal auf die Patrouille mitgehen lassen, dann sollten wir das nutzen!“ Die junge Wolfsdämonin kicherte, erhob sich aber. „Ich komme ja schon, Kiyoshi“ Sie schüttelte den Kopf, als er bereits vorauslief. Da sah man mal wieder, wie ähnlich Kiyoshi seinem Vater war. Genauso ungestüm und für jeden Happen frische Luft dankbar. Nun, er würde auch inzwischen von seiner Ausbildung sehr in die Mangel genommen, da hatte sich seine Mutter durchgesetzt. Dass er dazu aber öfter Kenta als Fürst Kôga begleitete, war wenig verwunderlich. Sie nickte ihrer ehemaligen Amme zu, die auf einem niedrigen Felsvorsprung in einer Ecke saß. Sie wusste, dass Mizuiroko inzwischen auch den Posten einer Anstandsdame ausfüllte, immerhin war Kiyoshi Sayokos Verlobter, aber darüber machte sie sich meistens wenig Gedanken. Bisher war Kiyoshi eher ein guter Freund, mit dem sie ebenso aufgewachsen war wie mit ihren beiden Adoptivbrüdern. Als sie nun die Höhle verließ, kam ihr eine weiße, tierische Wölfin entgegen, japste freundlich. „Na, Miyu? Begleitest du uns?“, wollte Sayoko fröhlich wissen. Die Wölfin nickte, obwohl sie schon recht alt war. Viele Jahre würde sie nicht mehr mitmachen. Sayoko wusste das, aber was in ihrer Kindheit immer ein Drama gewesen war, nahm sie inzwischen hin. Diese Miyu hier war eine von vielen, Tochter der vorherigen und Mutter der nächsten. Tierische Wölfe lebten nun einmal selten länger als zwanzig Jahre. Kiyoshi wartete schon, gewohnt ungeduldig auf sie. Mit einem letzten Blick zurück zu Mizuiroko schloss Sayoko zu dem Erbprinzen auf. „Hilfst du mir nachher?“, raunte sie ihm mit einem hinterhältigen Lächeln zu. Kiyoshi grinste. „Klar doch“ „Was gibt es denn da zu grinsen?“, wollte eine tiefe Stimme in ihrer Nähe wissen. „Nichts, Otou-san!“, sagte Sayoko schnell, ehe Kiyoshi zu Wort kam. Der Gute war seinem Vater auch in der Hinsicht ähnlich, dass er manchmal erst dachte, nachdem er bereits gesprochen hatte. Also packte sie den kaum jüngeren Ookami am Handgelenk und zog ihn mit sich zu Hakkaku und zweien der anderen Krieger, mit denen sie auf Patrouille gehen durften. Aus einer anderen Seitenhöhle sah ihnen ein grünes Augenpaar wissend nach. Ihr plant doch etwas…, stellte Ayame für sich fest, ehe sie in die Haupthöhle trat und sich umsah. Wo war ihr Herr Gefährte denn schon wieder? ~*~ Erstaunlicherweise war es Rin, die den Raum zuerst betrat. Hatte Sesshômaru ihr also den Vortritt gelassen. Selten sensibel von ihm. Seit wann versuchte er denn bitte, sich in ein Hanyô-Kind hineinzuversetzen, das selbst von dem nur halben, dämonischen Blut in sich keine Ahnung hatte? Kagome zuckte die Schultern, ehe sie sich erhob und ein paar Schritte zurückzog. Rin hatte ihr üblich strahlendes Lächeln aufgesetzt und Kagome wunderte sich wenig, dass Sayuri fast automatisch zurücklächelte. Wie hatte Kaede früher immer gesagt? Rin war einfach ein Phänomen. Ihr nicht zu vertrauen, sie nicht zu mögen, das war fast unmöglich. „Ich bin Rin. Und du bist Sayuri, richtig?“, fragte Rin derweil sanft. Sayuri nickte rasch. Da kniete sich Kôhei neben Rin und nickte Sayuri freundlich zu. Sayuri erkannte ihn sofort wieder: „Dich kenne ich!“ „Genau, mich kennst du. Ich heiße Kôhei, Kleine“, bestätigte der Ookami nur, wobei er geschickt darauf achtete, seine Reißzähne beim Sprechen nicht zu deutlich zu zeigen. Kikyô war derweil neben ihre Mutter getreten, hielt Hotaru zurück, die die Gelegenheit nutzen wollte, sich auch endlich mit Sayuri bekannt zu machen. Aber die stürmische Art, die Hotaru gerne bevorzugte, wollte man sich dann doch lieber für den Schluss aufheben. Die Siebenjährige wehrte sich einen Moment gegen ihre Schwester, gab es aber schließlich auf. Gegen Kikyô kam sie noch nicht an. Da erschien Sesshômaru nun auch in der Türöffnung, kurz hinter ihm Natsu und die beiden Söhne. Innerlich hielten alle den Atem an. Wenn Sayuri sich jetzt erschreckte, konnte das dem Verhältnis zwischen Familienoberhaupt und unbestimmtem Familienmitglied alles andere als zuträglich sein. Tatsächlich richtete Sayuri sich unwillkürlich ein wenig mehr auf, als sie des nicht gerade kalten, aber eindeutig emotionslosen Blickes gewahr wurde, der aus golden schimmernden Augen auf ihr ruhte. Die Hand die auf Kazuyas Rücken lag, krallte sich fester in das cremefarbene Fell des Katers, so fest, dass der an Sayuris statt zusammenzuckte und das Nackenfell sträubte, sich aber gleich wieder beruhigte. Sayuri schien sich daran ein Beispiel zu nehmen, denn sie nahm sich rasch wieder zusammen, als sie das Verhalten ihres neuen Freundes erkannte. Vielleicht war sie aber auch nur nach dem heutigen Tag schon so einiges gewohnt. Fast neugierig sahen ihre Augen nun drein und diese Reaktion riss Sesshômaru sogar dazu hin, interessiert eine Augenbraue zu heben. Das war aber auch schon alles. Dennoch sollten sich im Nachhinein alle einig sein, dass der erste Eindruck positiver ausgefallen war, als sie alle befürchtet hatten. Da gähnte Sayuri ein wenig, auch wenn die Neugier nicht aus ihren Augen wich, schien sie noch immer etwas zerschlagen. Rin hatte das durchaus mitbekommen. „Wir sollten sie schlafen lassen. – Für heute Nacht bleibst du hier, ja, Sayuri? Wir wollen doch nicht, dass so etwas wie heute noch einmal passiert. Hier bist du sicher“ Sayuri nickte und gähnte erneut. Sie schien erleichtert, sich wieder hinlegen zu können. Der Tag war eben doch etwas viel gewesen. „Aber nur wenn das Kätzchen bleiben darf!“, murmelte sie noch, obwohl sie bereits wieder halb eingeschlafen war. Kazuya murrte aufgrund dieser Bezeichnung etwas, hielt aber still. Kagome lachte leise. „Das ‚Kätzchen‘ heißt Kazuya. Und wenn er möchte, wird er natürlich hier bleiben“, antwortete sie leichthin. Kazuyas Antwort bestand darin, dass er die Schnauze auf die Vorderläufe bettete. Er würde bleiben. „Kazuya…“, murmelte Sayuri noch und kuschelte sich an den Genannten, ehe sie gänzlich eingeschlafen war. Leise zog die Familie sich zurück. ~*~ Der Mond hatte seinen höchsten Stand bereits überschritten, als die Patrouille zu den Höhlen der Wölfe zurückkehrte. Ayame und Kôga warteten bereits auf ihren Sohn und die zukünftige Schwiegertochter. „Wo wart ihr denn so lange?“, wollte Kôga wissen und sah dabei einzig Hakkaku an. Der hatte allerdings in den vergangenen Jahrhunderten gelernt, zu kontern. „Tja, wir sind eben nicht so schnell, wir du!“, schnappte er. Ayame grinste unverhohlen. Lockeres Wolfsprotokoll hin oder her, es geschah doch selten, dass jemand Kôga so offen Paroli bot und es war jedes Mal amüsant, wie sehr seine Gesichtszüge entgleisten, wenn einer seiner beiden alten Freunde in dieser Form wiedersprach. Auch Sayoko kicherte und Kiyoshi betrachtete eingehend den schartigen Boden zu seinen Füßen, um sich das Lachen zu verbeißen. „Wie dem auch sei, ihr könnt euch ausruhen gehen. Sayoko, Kiyoshi? Schlafenszeit. – Getrennt“, bestimmte Ayame gelassen. Kiyoshi verdrehte die Augen aus mehrerlei Gründen und trottete dann gehorsam davon. Meistens unterlag er ja nicht gerade strengen Regeln, aber wenn seine Mutter so anfing, dann hatte er zu gehorchen, sonst gab’s Ärger. „Und sei leise, sonst weckst du deine Schwestern auf!“, rief die Rothaarige ihm noch hinterher. Kiyoshi hob nur etwas die Hand, zum Zeichen, dass er es gehört hatte. Dann verschwand er in der Seitenhöhle, von der die Gemächer der Fürstenkinder abzweigten. Er würde einen Teufel tun, die beiden mutwillig zu wecken. Reiko und Akina waren reizend, aber manchmal auch ziemlich nervig. Wie kleine Schwestern eben waren. Da war ihm Sayokos Gesellschaft eindeutig lieber, aber die war ihm ja momentan verwehrt. Er war alt genug um zu wissen warum, aber stören tat es ihn trotzdem. Sayoko sah ihrem Verlobten nur kurz hinterher, ehe sie mit einem Achselzucken auf der anderen Seite der Höhle verschwand, wo Mizuiroko ihre Höhle hatte. Auch wenn sie eigentlich zu alt war, um bei ihrer Amme zu schlafen, so hatte man nichts daran geändert, weil sie ohnehin in wenigen Jahren heiraten würde und dafür lohnte es sich nicht, ihr eine eigene Höhle zu erschließen, denn als Kanzlertochter hätte sie Anspruch darauf. Sayoko störte sich nicht daran. Im Gegenteil, sie fand es gemütlich in der kleinen Höhle der Amme, in der sie aufgewachsen war. Dort angekommen sah sie ihren Adoptivbruder Shinta schon auf seinem Lager liegen. Im Gegensatz zu Kai, der im letzten Winter ausgezogen war, schlief auch er noch hier. Und meistens schlief er tatsächlich. Sie alle waren keine DaiYôkai, die gab es unter den Ookami nur sehr selten. Die Wölfe waren neben Komori und Kitsune eines der ersten Yôkaivölker gewesen und ihr Instinkt war noch urwüchsiger, unkontrollierbarer als der von jüngeren Dämonenvölkern. Von den wenigen Ookami-Dai-Yôkai, die es je gegeben hatte, waren viele abgedreht. Der Mörder von Kiyoshis Großeltern mütterlicherseits war das beste Beispiel dafür. Nicht umsonst war er noch jetzt, fast fünfhundert Jahre nach seinem Tod als ‚Jigoku no Ookami‘ bekannt. Höllenwolf. Aber auch wenn sie alle keine DaiYôkai waren, so hatten sie Schlaf dennoch nicht jede Nacht nötig. Daher legte Sayoko sich auch nicht hin, sondern hielt auf Mizuiroko zu, die an der Wand lehnte und etwas aufzufädeln schien. Sayoko hielt für einen Augenblick den Atem an, als sie das halbfertige Schmuckstück erkannte. Auf eine dünne, schwarze Kette waren bereits fünf Reißzähne aufgefädelt, alle in einem hellen, fast gelblich anmutenden Grün gefärbt. Eben fügte Mizuiroko einen sechsten Zahn hinzu, ehe sie mit einem Lächeln aufsah. „Neugierig, Musume?“ Mizuiroko hatte sich schon früh angewöhnt, Sayoko als Tochter anzusprechen, auch wenn sie nicht die leibliche Mutter war. „Das… ist die traditionelle Kette, oder?“, wollte Sayoko wissen, als sie sich neben ihre Ziehmutter kniete. Mizuiroko hielt das Schmuckstück ein wenig hoch. „Genau, Sayoko. – Die Fürstin hat ihre Kette bereits als Kind erhalten, weil sie ja keine weitere Verwandtschaft zu erwarten hatte, nach dem Tod ihrer Eltern. Du sollst deine zu deiner Hochzeit in ein paar Jahren bekommen. Dein Vater bat mich, sie zusammenzustellen“ Sayokos Augen blitzten etwas auf. Normalerweise war die Brautmutter dafür zuständig. Die Kette symbolisierte die Bindung an die Geburtsfamilie, wenn die Braut mit der Hochzeit zu einer anderen Familie stieß. Aber Sayoko hatte ja nun keine leibliche Mutter mehr. So gesehen war es nur legitim, dass Mizuiroko die Kette erstellte. Aber dass ihr Vater anscheinend persönlich darum gebeten hatte, löste in ihr ein kleines Triumpfgefühl aus. Schien so, als hätten ihre Bemühungen ja doch Erfolg. „Darf ich?“, fragte sie und bereitwillig gab ihre Amme ihr die halbfertige Kette in die Hand. Vorsichtig berührte Sayoko den Zahn, der zuerst aufgefädelt worden sein musste. Sofort erkannte sie das Yôki ihres Vaters. Der zweite Zahn war von Kôhei, das spürte sie ebenso schnell. Das wollte Vater also mit ihm besprechen, als er ihn vor ein paar Tagen beiseite genommen hat…, dachte Sayoko bei sich. Der dritte hatte einmal Kai gehört, der vierte war ihr eigener. Man hatte ihn ihr bei ihrer Verlobungszeremonie gezogen, wie es Brauch war. Nummer fünf war Shintas. Ihre beiden Adoptivbrüder waren also vertreten, ihre Nichte und ihr Neffe nicht. Nun, so wenig es Sayoko und ihr näheres Umfeld störte, dass die beiden Hanyô waren, es wäre wohl dennoch etwas unangebracht, fänden sich Hanyôzähne an einem traditionellen Schmuckstück. Der sechste Zahn aber überraschte Sayoko mehr. Ganz deutlich fühlte sie Mizuirokos Yôki. „Huch?“, fragte sie unwillkürlich. Die ältere Ookami lächelte nur. „Ich kann deine Mutter nicht ersetzen, aber ich habe dich genährt und erzogen. Deswegen ist es mir wohl erlaubt, meinen Zahn hinzuzufügen“, erklärte sie. Sayoko bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Sie hoffte ja auf einen anderen Grund, aber wenn sie ehrlich war, war Mizuirokos Erklärung doch etwas wahrscheinlicher. Noch. „Dann ist sie fertig?“, wollte sie also nur wissen. Zu ihrer Überraschung schüttelte die Ältere etwas den Kopf. „Nicht ganz. Ein Zahn fehlt noch. Der wichtigste wohl. Ein ganz besonderes Erinnerungsstück für dich“ Sayokos Augen weiteten sich noch ein Stückchen mehr, als sie sah, dass Mizuiroko ein kleines Lederpäckchen hervorzog und ihr in die Hand legte. „Na los, mach‘ es auf. Mir steht es nicht zu“, raunte sie, aber Sayoko hörte es kaum. Ein unbestimmtes, warmes Gefühl ließ das kleine Päckchen in ihrer Hand erwachen. Vorsichtig zog sie das schmale, dunkle Lederband, welches es zusammenhielt, ab und streifte das Leder zur Seite. Darunter kam ein kleines Stück aufgerollten Fells zu Tage. Bedachtsam rollte Sayoko es auseinander – und erkannte einen Fangzahn, der bereits bei der ersten Berührung einen prickelnden Schauer durch ihre Fingerspitzen sandte. Auch wenn sie sich kaum noch erinnert konnte, identifizierte sie das im Zahn zurückgebliebene Yôki instinktiv. „Okaa-san…“, hauchte sie tonlos. Dieser Zahn hatte einst ihrer Mutter gehört. „Dein Vater erzählte, deine Mutter habe ihn am letzten Tag ihres Lebens aufgefordert, ihr den Zahn zu nehmen und genau für diesen Zweck aufzubewahren“, berichtete Mizuiroko mit leiser Stimme und während Sayoko das nur mit halbem Ohr wahrnahm und noch immer auf den einzelnen Zahn starrte, spürte sie plötzlich etwas feuchtes auf ihrer Wange. Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg. Sayoko hatte selten um ihre Mutter getrauert und auch das, was sie jetzt fühlte, war kein Schmerz über den Verlust. Stattdessen war da Dankbarkeit, pure Dankbarkeit, die ihren ganzen Brustkorb ausfüllte. Erst nach einer Weile sah die junge Ookami wieder auf, blickte genau in die azurblauen Augen ihrer Ziehmutter, die sie voller Wärme musterten. „Na komm her, Sayoko…“, wisperte sie nur sacht und wortlos ließ Sayoko sich in ihre Umarmung ziehen, die Hand fest um den Fangzahn ihrer Mutter geschlossen. Eine bessere Erinnerung hättest du mir nicht hinterlassen können. Wenn ich auch kaum mehr weiß, wie du aussahst, wenn ich auch kaum mehr weiß, wie du warst… so werde ich dich niemals vergessen… Arigatou, Okaa-san. ~*~ Sesshômaru sah Natsu nach, als sie sich erhob und sich rasch einen einfachen Yutaka um die Schultern warf. „Ich kann das nicht mehr mit anhören. Es ist nicht verwunderlich, dass die Kleine Albträume hat, aber wenn ich etwas dagegen tun kann…“, flüsterte sie erklärend. Sesshômaru sah sie nur stumm an. Er wusste genau, dass er sie davon nicht abhalten könnte. Natsu war eine erfahrene Mutter und selbst als sie das noch nicht gewesen war… ihrem Mutterinstinkt hatte sie noch nie etwas entgegensetzen könnten. Er erinnerte sich da nur zu gut an einen ganz bestimmten Kampf auf dem Schlosshof der Néko, der einem Suizidversuch sehr nahe gekommen war. Fast unmerklich verzog er die Mundwinkel zu einem hauchfeinen Lächeln. Es gab nur wenige, die es überhaupt wahrgenommen hätten. Natsu sah es aber durchaus und das Schmunzeln auf ihren Lippen war deutlicher zu erkennen. Dann verließ sie das Gemach und überquerte den Flur um in das Gemach zu gelangen, in dem Sayuri untergebracht worden war. Die Wache sah sie kurz verwundert an, trat aber sofort zur Seite und ließ sie hinein. Tatsächlich warf Sayuri sich auf ihrem Lager hin und her, die dünne Decke hatte sie bereits bis zu den Knien heruntergestrampelt. Kazuya lag etwas hilflos daneben. Natsu ließ ein beschwichtigendes Schnurren über ihre Lippen gleiten, wohlwissend, dass sie die einzige war, die Kazuya etwas besser verstehen konnte, als jeder andere im Umkreis. Immerhin war sie eine Néko. Tatsächlich ließ der kleine Kater sich beruhigen, legte sich entspannter wieder hin und drängte seinen Kopf an Sayuris Oberarm. Natsu setzte sich neben das Lager und nahm ihr Instrument zur Hand, das schon oft die Aufgabe gehabt hatte, die ihm jetzt oblag. Sesshômaru war liegen geblieben und wunderte sich wenig, als sich bereits kurz, nachdem Natsu ihn verlassen hatte, von der anderen Seite des Flurs eine sanfte Melodie erhob, die auch er inzwischen gut kannte. Die weichen, holen Laute, die Natsus Instrument zu Stande brachte, verschmolzen zu einer lieblichen Melodie, die laut Natsu schon deren kleiner Schwester geholfen hatte, wenn diese in ihrer Kindheit unter Albträumen litt. Und auch die eigenen Kinder waren ab und an in den Geschmack dieses zarten Liedes gekommen. Es schien beinahe eine Art Geheimwaffe zu sein. Jetzt, wo niemand es sah, vertiefte sich Sesshômarus Lächeln ein wenig. Damals, als er Natsu kennenlernte, da hatte er sich nicht einmal vorstellen können, dass ausgerechnet sie ihm zeigen würde, was Liebe war. Rebellisch und redselig war sie gewesen, genau das, was er im Normalfall nicht leiden konnte – und das ihm doch irgendwann imponiert hatte. Hinzu kamen ihre Offenheit, ihre Kampfkunst – und auch ihre sanfte Seite, die sich so sehr von ihm unterschied. Sie war in fast jeglicher Hinsicht der Kontrast zu ihm. Und genau das machte sie so einzigartig. Irgendwann einmal hatte Kagome sie beide als ‚Yin und Yang‘ bezeichnet und auch wenn er das niemals laut zugegeben hätte, so stimmte Sesshômaru ihr zu. Gegensätze, die sich bis ins letzte Detail ergänzten. So waren Natsu und er. Und mit dieser Erkenntnis gab Sesshômaru sich Natsus sanfter Melodie hin, die auch auf ihn schon immer eine entspannende Wirkung gehabt hatte. Kapitel 10: Suche nach Antworten -------------------------------- Rin wandte den Kopf, als sie sah, dass Kôhei neben ihr aufblickte. Sie war bei aller Langlebigkeit nur ein Mensch, aber sie hatte gelernt, sich auf die ihr wohlgesonnenen Dämonen und ihr Verhalten zu verlassen. Daher war sie auch wenig überrascht, als Sesshômaru jetzt über die Grasfläche auf sie zu kam. Seine goldenen Augen blickten emotionslos drein wie immer, aber sie kannte ihn gut genug, um zu ahnen, warum er sie so früh am Morgen im Garten aufsuchte. „Guten Morgen, Sesshômaru-sama!“, grüßte sie aber nur fröhlich. Sie hatte es sich nie wirklich angewöhnt, ihn als ‚Chichi-ue‘ anzusprechen, wenn sie nicht musste. Und er nahm das hin. Kurz richtete sich sein Blick auf sie, dann trat er an ihre Seite und blickte wieder geradeaus. Einen Moment lang war es still, ehe Rin die Initiative übernahm: „Was machen wir jetzt mit Sayuri?“ „Abwarten“, konstatierte der InuYôkai bloß. Rin biss sich auf die Unterlippe um das Lachen zu unterdrücken. Sie wusste, was ihr Ziehvater eigentlich meinte: Wir lassen sie sich eingewöhnen. Wenn sie uns kennengelernt hat, kann sie uns vielleicht auch einige Fragen beantworten. Bis dahin versuchen wir erst einmal vorsichtig bei den in Frage kommenden Yôkai zu forschen. Und Arata hat den Auftrag, Sayuri im Auge zu behalten und herauszufinden, wie es um ihre Stärke bestellt ist. - Das war der Plan, den sie am vergangenen Abend noch aufgestellt hatten. Und sichtlich hatte Sesshômaru daran nichts geändert. „Natsu-sama ist also unterwegs?“, wollte sie nur wissen. Ein knappes Nicken seitens Sesshômaru. Natsu sollte gemeinsam mit InuYasha, Kagome, Tián und Kirara die nähere Familie unter die Lupe nehmen. Sesshômaru selbst würde nur eingreifen, wenn es Probleme gab. Sprich, wenn ein Familienmitglied die Frage nach einem eventuellen Hanyôkind zum Anlass nehmen würde, den Fragensteller zerfleischen zu wollen. Und solange InuYasha sich in der Gruppe befand war es nicht unwahrscheinlich, dass die Frage derart ungeschickt formuliert werden würde. Da hob Sesshômaru leicht den Kopf, sein Blick glitt zur Schlossfassade und zu dem Gemach, in dem Sayuri untergebracht war. Rin folgte seinem Blick. „Was ist?“ „Sie ist wach“, gab der Weißhaarige nur von sich und Rin hörte den versteckten Auftrag darin. Rasch machte sie sich auf den Weg. Arisu, die ein paar Meter entfernt stumm zugehört hatte, beeilte sich, sich ihrer Herrin – und Freundin – anzuschließen. ~*~ Kirara pflügte derweil mit kraftvollen Sprüngen über den Himmel. Kagome saß auf ihrem Rücken, InuYasha und Natsu liefen zu Fuß, während Tián neben der Nekomata hersegelte. Shizuka, die nicht beinahe allein hatte im Dorf bleiben wollen, saß hinter Kagome. So landeten sie schließlich vor einem ebenso kleinen wie schmucken Schlösschen, deren Hausherr ein angeheirateter Großcousin Sesshômarus war. Nicht er, aber zwei seiner Töchter kämen laut Kagomes Stammbaumanalyse in Frage. Kagome stützte sich kurz in Kiraras Nacken ab und atmete tief durch. „Also gut. Auf in den Kampf, nicht wahr?“, wollte sie mit einem halbherzigen Lächeln wissen und während Natsu ihr aufmunternd zunickte und InuYasha nur sein üblich unbesorgtes „Keh!“ beisteuerte, machte Tián sich bereits auf den Weg. Ab und an unterstützte er die Boten, die am Inuschloss arbeiteten und daher hatte man ihn hier schon ein, zwei Mal gesehen. Also glitt Kagome von Kiraras Rücken und gemeinsam folgten sie Tián mit ein wenig Abstand. Als sie ankamen, wurden sie bereits erwartet. Die Schlossherrin persönlich stand im Eingangsportal, daneben eine Wache und ganz in der Nähe Tián, der zwar den Blick etwas gesenkt hielt, sich aber ansonsten nicht wirklich unterwürfig zeigte. Das hier war niederster Adel, da brauchte auch ein Bote nicht sonderlich ergeben tun. Als die Schlossherrin jetzt aber Natsu erkannte, versank stattdessen sie in einer deutlichen Verbeugung, ehe sie zu grüßen wagte. Aus ihrem Ton sprach dabei mehr Höflichkeit als Freundlichkeit. Natsu reagierte ebenso unterkühlt. „Was führt Euch hierher?“, wollte die Schlossherrin schließlich wissen. Sie hatte die silbrigen Haare, die in Sesshômarus Familie weit verbreitet waren, aber ihre Augen leuchteten in einem eigentümlichen Blaugrün. „Ein paar Fragen nur. Es ist eine kleine Unklarheit aufgetaucht“, erwiderte Natsu nur. „Unklarheit. Und dazu musstet Ihr die alle mitbringen?“, konterte die Schlossherrin. Natsu ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Im Gegensatz zu früher, als sie zum ersten Mal mit Sesshômaru auf Reisen gewesen war und sich mit seiner Art und der Art seiner Familie herumschlagen musste, saß sie jetzt am längeren Hebel. Sie hatte den höheren Rang inne. Sie mochte selbst eine Raion sein, sie galt gleichzeitig als die hochrangigste Inu, so unlogisch das anmuten mochte. „Mein Schwager begleitet mich auf Wunsch meines Gefährten“ Gleichzeitig schob Kagome nur einen Finger unter die dünne Kette um ihren Hals. Sie brauchte den Anhänger nicht einmal herauszuziehen, die Geste war vielsagend genug. „Und die da? Was ist sie überhaupt? Sie riecht weder nach Mensch, noch nach Yôkai – und auch nicht wie der da“, muckte die Schlossherrin wieder auf. ‚Der da‘ bezog sich auf InuYasha. Ganz offensichtlich vermochte die Frau vor ihnen das Wort ‚Hanyô‘ nicht einmal in den Mund zu nehmen. „Sie ist meine Tochter, Herrin. So oft es geht begleitet sie mich, um zu lernen, wie sich ein Bote zu verhalten hat“, mischte Tián sich ein, ganz offensichtlich rührte es ihn wenig, dass die Worte der Schlossherrin nahe an einer Schmähung lagen. Aber er war Vorurteile ja in Reinkultur gewohnt. „Wie sich ein Bote zu verhalten hat? Dann bist du ein schlechtes Vorbild“, konterte die Schlossherrin derweil. „Ich bin meinem Dienstherrn verpflichtet, nicht Euch, Herrin“, gab Tián bloß zurück und da das stimmte, ließ die Angesprochene ihn sofort wieder links liegen. „Was wollt Ihr nun von uns?“ „Wie ich schon sagte, im Zweifelsfall nur eine Antwort. Hat sich eine Eurer beiden jüngsten Töchter vor… fünf bis zehn Jahren auf Reisen befunden?“ „Warum?“, fragte die Schlossherrin skeptisch zurück. „Antwortete uns einfach und Ihr seid uns sofort wieder los“, beharrte Natsu nur. Ihr Gegenüber zuckte mit den Schultern. „Nein, waren sie nicht“, gab sie dann kurz angebunden von sich und drehte sich bereits vielsagend um. Natsu blickte kurz zu Kagome, die zustimmend blinzelte. Sie hatte das Yôki ihrer Gesprächspartnerin im Auge behalten um zu merken, sollte die sich aufregen oder Furcht haben. Aus demselben Grund war es InuYashas Metier gewesen, die Witterung ihres Gegenübers zu prüfen, aber auch er zuckte nur mit den Hundeohren auf seinem Kopf. Nichts Auffälliges. Also wandte Natsu dich ab und machte sich auf den Rückweg. Die anderen beeilten sich, zu folgen. Diesmal war es friedlich ausgegangen. Man würde sehen, wie es bei der nächsten Station wäre. Denn die Nächste war eine direkte Verwandte von Sesshômarus Mutter und ebenso schwierig zu händeln. Außerdem war es ein offenes Geheimnis, dass dieser Familienzweig selbst Natsu nur akzeptierte, weil die von Sesshômarus Mutter legitimiert worden war. Das konnte spaßig werden. ~*~ „Rin-san?“ Die Frage kam schüchtern und noch verschlafen, als Sayuri sah, wer den Raum betrat. Rin lächelte offen. „Richtig, Sayuri. Sag‘ mal, hast du Hunger?“ Sayuri sah die junge Frau im hellen Kimono kurz an, ehe sie nickte. „Großen Hunger!“, erklärte sie und zeigte dabei mit weit ausgestreckten Armen, wie groß ihr Appetit war. „Gut so. – Arisu!“ Mit großen Augen beobachtete das Mädchen die zweite junge Frau im Raum, die bisher in der Nähe der Tür gestanden hatte, jetzt aber herankam. „Hai?“ „Versuch‘ für unseren kleinen Gast etwas zu essen aufzutreiben. Und lass’ dich nicht abwimmeln, ich weiß, die Köche haben das außerhalb der Essenszeiten nicht gerne, aber immerhin ist die Kleine ein Gast des Fürsten”, trug Rin ihr auf und zwinkerte ihr dabei verschwörerisch zu. Arisu unterdrückte sichtlich ein Grinsen, ehe sie davoneilte. „Wen meinst du?“, wollte Sayuri da wissen. Rin sah sie wieder an. „Womit? – Ach, mit Fürst? Weißt du, wir sind hier in einem Schloss. Und dieses Schloss gehört einem Fürsten. Einem ganz wichtigen Mann. Du hast ihn übrigens schon gesehen. Der Mann mit den goldenen Augen, gestern Abend. Erinnerst du dich?“ Nach kurzem Zögern nickte Sayuri bestätigend, aber ihre Augen glänzten noch immer vor Neugier, waren groß vom Erstaunen. Sie schien sich aber zurückzuhalten, fragte sich vielleicht, ob es unhöflich war, weiter zu fragen. Rin wusste nicht, wie die Kleine erzogen worden war, aber anscheinend war auf Anstand geachtet worden. Also kam sie sicher nicht aus einem einfachen Dorf, so wie sie seinerzeit. „Was willst du wissen?“, fragte sie dennoch. Sayuri ließ sich nicht zweimal bitten: „Warum machst du das Essen nicht selbst? Okaa-san hat das Essen immer selbst gemacht“ Rin zögerte unmerklich bei Sayuris zweitem Satz. Aber noch war es unmöglich, der Kleinen zu verraten, dass die Frau, die sie anscheinend als Mama empfand, nach bisheriger Erkenntnis vermutlich nicht ihre ‚Okaa-san‘ war. Aber sie beeilte sich, zu antworten: „Weißt du, Sayuri, das könnte ich sogar. Aber wenn ich das Essen selber holen gehe, dann fände der Fürst das sicherlich nicht gut. Er ist mein Ziehvater, weißt du? Ich bin also eine Art Hime. Und deswegen muss meine Dienerin das Essen holen und nicht ich“ „Hime?“, Sayuri hatte ein wenig den Kopf schief gelegt und Rin kicherte nun doch. Sie hatte lange genug mit Dämonen zu tun, um zu wissen, dass diese Geste fast allen Yôkai typisch war, besonders aber den Ookami und den Inu. Und immerhin war es wahrscheinlich, dass Sayuri Inu-Blut besaß, weil sich früher kaum eine andere Yôkaiart in die Inufamilie eingeschlichen hatte, schon gar nicht auf Seiten von Sesshômarus Mutter. Da war die gesamte Familie extrem auf Reinblütigkeit bedacht und daher hatte auch fast niemand von ihnen näheren Kontakt zu ihnen, aber das störte Rin schon lange nicht mehr. Das Leben hatte ihr gezeigt, dass Harmonie schön und gut war, aber man es manchmal auch hinnehmen musste, dass sie nicht hundertprozentig zu erreichen war. „Ja, eine Hime, Sayuri. Kagome übrigens auch. Ihr…“ Wie hatte Kagome noch gesagt, hieß das außerhalb des Bannkreises? Ach ja…, „…ihr Ehemann ist der Bruder des Fürsten“ Sayuris Gesichtsausdruck zeigte jetzt reines Staunen. Da kam Arisu zurück, in den Händen ein kleines Tablett, auf dem ein Becher und zwei Reisbällchen waren. Sie stellte das Essen neben Sayuris Lager ab, zog sich einen Schritt zurück und kniete sich schräg neben Rin hin. Heißhungrig machte Sayuri sich über das Essen her. Rin beobachtete das mit einem Schmunzeln. Sie kannte dieses Verhalten von ihren eigenen beiden Kindern. Hanyô brauchten eigentlich nicht jeden Tag essen. Ihr Dämonenblut ermöglichte ihnen, ohne großartige Schwierigkeiten an die zwei Wochen ohne Essen auszukommen. Aber irgendwie hatte sich ein gesunder Appetit in ihrem Instinkt festgesetzt, der wohl daraus entsprang, dass die meisten Hanyô früher nie gewusst hatten, wann sie an die nächste Mahlzeit kämen. Die Verachtung, die InuYasha, Jinenji und vor einiger Zeit auch Shiori hatten erleben müssen, war schließlich kein Einzelfall. „Hast du eigentlich gut geschlafen?“, wollte Rin schließlich wissen. Sayuri überlegte einen Moment, dann wiegte sie den Kopf hin und her. „Erst gar nicht. Ich… ich weiß noch, dass da Donner war und Blitz. Da hab‘ ich eigentlich keine Angst vor. Aber plötzlich war alles kalt, ganz kalt…“ Rin runzelte ein wenig die Stirn. Also hatte Sayuri Albträume gehabt, aber nicht wegen des gestrigen Tages? Interessant. Offenbar war sie recht hart im Nehmen. „Und dann?“ „Dann hab‘ ich plötzlich ein Lied gehört. Ich… es war schön. Aber ich kannte es nicht“ „Und dann hast du besser geschlafen?“ „Jaa! Ganz fest“, bestätigte Sayuri sofort. „Schön. – Weißt du was? Ich glaube, wir gehen ein wenig in den Garten, einverstanden?“ Sayuri war sichtlich begeistert. Rin schmunzelte ein wenig. Sie hatte sich Sayuris Worte zu deuten gewusst. Da hatte also Natsus Instrument wieder eine Rolle gespielt. Nun, Rin erinnerte sich nicht an eine einzige Situation, in der Natsu damit nicht erreicht hätte, was sie wollte. Wie sie das machte, blieb wohl ihr Geheimnis. Magie war da jedenfalls keine im Spiel. Zu mindestens nicht im eigentlichen Sinne. Jetzt aber hielt sie Sayuri erst einmal die Hand hin und die Kleine griff sofort zu. Rin lächelte nur, aber ihre Gesichtszüge erstarrten für einen kleinen Moment, als sie darin bestätigt wurde, dass man sich niemals zu früh freuen sollte, denn Sayuri fragte arglos: „Wo ist eigentlich Otou-san?“ ~*~ Schwungvoll flog die Schiebetür auf und die junge Frau mit den rotblonden Haaren schreckte hoch. „Itoko! Erschreck‘ mich doch nicht so!“, schimpfte sie. Besagte jüngere Schwester, die in der Tür stand, grinste bloß von einem Ohr bis zum anderen. „Störe ich etwa?“, wollte sie neckisch wissen. Die Ältere legte den Kopf schief und grinste ebenso süffisant zurück: „Nein, da muss ich dich enttäuschen, Akeno. Shinchiro ist schon unterwegs“ „Schaaade…“, konterte die Jüngere und kam unaufgefordert in den Raum, schloss die Tür behutsamer, als sie sie aufgestoßen hatte. „Was ist denn?“, wollte die Ältere schließlich wissen. „Der Brautwerber ist zurück!“, erklärte Akeno eifrig und kniete sich vor ihre Schwester, die auf ihrem Lager saß. Jetzt war auch Benika aufmerksam. „Wirklich?“ Akeno nickte heftig. „Wenn ich es richtig verstanden habe, hat er jemanden für Kanaye gefunden!“ „Hast du etwa gelauscht?“, wollte die Ältere mit spielerisch mahnend erhobenem Zeigefinger wissen. Akeno schob etwas die Unterlippe vor: „Ich doch nicht! Ich hab‘ bloß ganz zufällig mitgekriegt, dass Chichi-ue Kanaye rufen ließ!“ Benika lachte schallend. „Du hast doch gelauscht“, stellte sie klar und Akeno wandte gespielt beleidigt den Blick ab. „Naja, vielleicht ein bisschen… oder auch ein bisschen mehr…“, grinste sie aber dann und als Benika sie interessiert anblickte, wusste Akeno, dass sie ihre ältere Schwester am Haken hatte. Aber sie war viel zu ungeduldig, um diese länger zappeln zu lassen: „Sie heißt Umeko. Und ich glaube… sie soll hier mit ihrer ganzen Familie anreisen!“ „Huch, das kann heiter werden“, stieß Benika unwillkürlich aus. Jetzt lachten beide Schwestern. Benika beruhigte sich als erste wieder und plötzlich waren ihre Züge ernst geworden. „Hast du es Kyoko schon gesagt?“ Akeno zog eine Schnute und schüttelte den Kopf. „Nein, ich wollte sie nicht stören. Sie ist wieder bei Shippô“ Benika seufzte. ‚Bei Shippô‘ bedeutete, in dem Zimmer, dass sein Gemach gewesen war, ehe er vor über zweihundert Jahren plötzlich auf und davon gewesen war. Bis heute wusste niemand so genau, warum. Der Brief, den er damals hinterlassen hatte, hatte auch nichts Genaueres enthüllt. Und Kyoko litt am Meisten darunter. Sie und Shippô waren sich immer sehr nahe gewesen, im Grunde war es Kyokos ‚Schuld‘, dass der Fuchswaise damals adoptiert worden war. Fast dreihundert Jahre war das gut gegangen. Er hatte einfach dazugehört, war ein Teil der Familie gewesen, ohne dass es Probleme gegeben hätte. Und dann war er auf einmal weg gewesen. Mit einer harschen Handbewegung schob Benika das beiseite. „Wie auch immer, Chichi-ue wird uns sicher noch rufen lassen, um uns offiziell mitzuteilen, was los ist. Und dann wird auch Kyoko kommen“ „Sicher“, bestätigte Akeno, aber sie schien nicht mehr so fröhlich wie vorher. ~*~ Rins Gedanken rasten. Konnte sie Sayuri die Wahrheit sagen? Das konnte gut nach hinten losgehen. Aber lügen? Auch keine bessere Lösung. Nur, wie formulierte sie das am Geschicktesten? Ihr Zögern hatte eine andere Wirkung auf Sayuri, als erwartet. Die Kleine sah sich nämlich um und schien das Zimmer zum ersten Mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Es war relativ leer, außer dem Lager waren da nur eine schlichte Truhe und eine dünne Tatami-Matte vor der Tür zum Balkon hinaus. „Ist das hier ein Hotel? Otou-san sagt immer, es gibt Hotels, die machen das, was er auch macht. Sie tun so, als wären sie von ganz, ganz früher“ So ganz genau wusste Rin zwar nicht, was ein Hotel war, aber es hörte sich so an, als gäbe ein ‚Ja‘ ihr die Möglichkeit, noch ein paar Minuten über eine sinnvolle Antwort nachzudenken. Als nickte sie. Sayuri strahlte. „Toll! Also zeigst du mir alles?“ Rin lächelte erleichtert. „Natürlich. Und mit dem Garten fangen wir an, komm!“ ~*~ Kagome war derweil aus einem anderen Grund nachdenklich. „Ich weiß nicht, ob das ganze so viel bringt. Jetzt wo wir zum ersten Mal genauer nachbohren mussten, wird sich unser Anliegen schnell herumsprechen, dann gibt es Gerüchte und schon weiß jeder Bescheid. Wir werden auf eine Mauer des Schweigens treffen“, gab sie zu Bedenken, während sie entgegen InuYashas Protest die Wunde an seinem Oberarm verband. Er hielt ein Verarzten ja mal wieder nicht für notwendig, aber die Schwertklinge der Schlosswache war tief gedrungen. Auf die Frage, ob die in Frage kommende Tochter im verdächtigen Zeitraum für sich allein unterwegs gewesen war, war diesmal nämlich ein Ja gekommen. Auch die Frage, ob es möglich war, dass sie sich außerhalb der Bannkreise herumtrieb, war bejaht worden. Als sie dann vorsichtig gefragt hatten, wie besagte Tochter zu Menschen stände, war der Schlossherr ausgerastet. Da hatte es nicht einmal einen vorlauten Spruch InuYashas gebraucht, dass sie schon die Wachen auf dem Hals gehabt hatten. Natsu, die mit dem Rücken an einem Baumstamm lehnte, stimmte ihr zu. „Das ist wahr. Wir hätten es anders anfangen müssen. Wir hätten Leute schicken sollen, die ohne Verdacht zu erwecken mit den Bediensteten sprechen können. Dann hätten wir den Kreis der Verdächtigen einschränken können. Und dann hätten wir uns aufteilen müssen“ Sie atmete tief durch. „So hat das jedenfalls keinen Sinn“ „Ach Quatsch. Wenn wir ein bisschen nachdrücklicher sind, reden die schon, egal was sie von uns denken!“, mischte InuYasha sich ein, ehe er im nächsten Moment zusammenzuckte, weil Kagome den Verband fester angezogen hatte. „Aua! Nicht so fest, Kagome!“, murrte er. Kagome zeigte sich wenig bedauernd: „Jaja, armes Hündchen“ InuYasha zuckte ärgerlich über die Betitelung mit den Hundeohren. „Ob das so viel gebracht hätte, InuYasha…“, sagte Tián derweil. „Genau. Und vergiss nicht, dass das alles Sesshômarus Verwandtschaft ist. Der setzt seine Ehre aufs Spiel, wenn klar wird, dass wir drohen um Antwort auf doch recht intime Fragen zu bekommen. Du hast doch gesehen, dass eine harmlos formulierte Frage sofort durchschaut wird“, pflichtete Natsu dem Komori bei. Kagome war schon einen Schritt weiter. „Nachträglich können wir das nicht mehr schaffen, mit dem Bediensteten befragen und so. Dann kocht die Gerüchteküche nur endgültig über. Also brechen wir es ab und hoffen einfach, das Gras über die Sache wächst“ Nach kurzem Überlegen nickte Natsu. „Das wird das Beste sein. Und ich rede noch einmal mit Sesshômaru. Vielleicht…“, sie grinste leicht, „… vielleicht schaffe ich es ja doch, ihn zu überreden, dass er seine Mutter mal auf die Sache anspricht. Sie hat viel mehr Kontakt zu diesem Teil der Familie, als wir. Vielleicht hat sie etwas aufgeschnappt. Zwar gibt sie nicht viel auf Gerüchte, aber dafür hat sie ein ausgezeichnetes Gedächtnis“ Kagome kniff etwas die Augen zusammen. „Na ob das so eine gute Idee ist…“, murmelte sie nur vor sich hin. Sie wusste, dass Natsu sie gehört hatte, aber sie wunderte sich nicht sonderlich darüber, dass die Löwendämonin nicht reagierte. Ihnen war allen klar, dass es kaum eine andere Möglichkeit gab. Im Zweifelsfall würde man sich eben mit einer wütenden Chiyo, Hundefürstin a.D., herumschlagen müssen... Kapitel 11: Erkenntnisse ------------------------ „Das bestätigt unsere Theorie nur“, sagte Natsu an Sesshômarus statt, die an ihrem Lieblingsplatz auf der Balkonbrüstung saß und dem Gespräch ihres Gefährten mit Arata zugehört hatte. Wobei ‚Gespräch‘ wieder einmal eine etwas schwierige Definition war, bestand Sesshômarus Gesprächsanteil doch aus etwa drei Worten in der letzten halben Stunde. Aber sowohl sie, als auch Arata waren es nicht anders gewohnt. Der ältere Inu nickte nun auch. „Angesichts dieser Tatsache würde ich allerdings vorschlagen, dass die Kleine möglichst schnell Training bekommt, denn je besser sie sich verteidigen lernt, desto unwahrscheinlicher gerät sie in eine Situation, die ihr Dämonenblut erwachen lässt. Je eher ihr Instinkt durch Können abgelöst wird, desto sicherer ist es“, fügte er hinzu. Sesshômaru zeigte sich einverstanden: „Du wirst das übernehmen“ Arata hatte offensichtlich nichts anderes erwartet, denn er reagierte kaum. Stattdessen erhob er sich. „Gerne, Sesshômaru-sama. Allerdings müsste ich mich jetzt um die beiden jüngsten Lehrer kümmern. Wenn Ihr erlaubt…“, deutete er mit einem Blick auf die Sonne an, die ihrem höchsten Stand bereits nahe kam. Er war wohl der Einzige, der nicht direkt zur Familie gehörte und sich dennoch solche Andeutungen erlauben durfte, ohne sich im nächsten Moment in allen vier Ecken des Raumes zugleich wiederzufinden. So aber nickte Sesshômaru knapp und entließ den Akademieleiter damit. Natsu folgte ihm, begleitete ihn richtung Treppe. „Training schön und gut, aber kann man ihr nicht auch etwas geben, das ihr bei der Kontrolle behilflich ist? So wie InuYashas Tessaiga?“, wollte Natsu wissen. Arata wiegte den Kopf hin und her. „Tessaigas Fähigkeit, sein Dämonenblut zurückzuhalten, gründet auf seinem Material, auf dem Fangzahn des ehemaligen Inu no Taishô, der darin eingelagert ist. Genau genommen ist es also die Kraft von InuYasha-samas Vater, die ihn kontrolliert. Ähnlich verhält es sich mit den Dolchen von Saika-hime und Teshi. In das Schmuckeisen der Klingen ist Kôheis Blut eingemischt. Auch hier ist es eigentlich Kôheis Kraft, die den beiden bei der Kontrolle hilft. Einzig bei Shizuka-san verhält es sich anders. Dort ist es der Korallensplitter in ihrem Schwert, wenn sie dessen Dienste denn mal in Anspruch nehmen muss. Aber die Blutkoralle ist das einzige Material, von dem ich weiß, dass es eine solche Kontrolle eigenständig zu bilden in der Lage ist. Lange Rede, kurzer Sinn, um Sayuri eine Kontroll-Hilfe zu geben, muss erst der dämonische Elternteil ausfindig gemacht werden. Und von dem ist doch nach wie vor keine Spur, oder?“ Natsu schüttelte ein wenig den Kopf, die dunklen Haare, die sie momentan offen trug, wogten über ihre Schultern. „Leider trotz aller Bemühungen nicht. Und wir tun uns immer schwerer, Sayuri gegenüber Erklärungen zu finden, wo ihre ‚Eltern‘ sind. Anscheinend hat sie auch ‚Geschwister‘, das macht das Ganze zunehmend schwierig“ Arata wiegte den Kopf hin und her. „Sollte man ihr nicht langsam versuchen, die Wahrheit nahe zu bringen? Auch, was es bedeutet, ein Hanyô zu sein? Davon weiß sie doch auch noch nichts, oder?“ Natsu seufzte etwas. „Bisher weiß sie noch nicht einmal, was Yôkai sind. Und wir können froh sein, dass hier auf dem Schlossgelände niemals Oni sind, sonst hätte die Kleine schon den Schock ihres Lebens abbekommen. Selbst Teshi hat eingebläut bekommen, niemals Reißzähne und Klauen einzusetzen, wenn sie spielen. Dabei scheinen die beiden auf dem besten Weg, Freunde zu werden“ „Kein Wunder, wo Rin sich doch hauptsächlich um Sayuri bemüht“, wandte Arata ein. „Sie ist die Richtige dafür. Und Kagome geht nach wie vor die Chroniken durch, in der Hoffnung, irgendwo doch noch etwas zu finden. Außerdem ist Kikyôs Training ein wenig auf der Strecke geblieben und das muss Kagome ja auch nachholen“, stellte Natsu fest und verabschiedete den Akademieleiter, als er die Treppe herunterzusteigen begann. Sie selbst blieb am oberen Absatz stehen und sah dem Alten ein wenig nachdenklich nach. Gut eine Woche war jetzt vergangen, seit Sayuri im Schloss wohnte und Natsu hatte nicht untertrieben, wenn sie behauptete, dass Sayuris Neugier langsam zum Problem wurde. Und jetzt war noch eine weitere Tatsache hinzugekommen, die es nicht unbedingt leichter machte, die Kleine zu händeln. Arata war sich inzwischen sicher, nach allem, was er an Sayuri beobachtet und so oft er unauffällig ihr Yôki geprüft hatte, dass die Kleine das Blut eines DaiYôkai hatte. Das brach nicht nur schneller aus, weil es schlicht stärker war, als das Blut eines normalen Dämons, nein, man hatte auch weniger Erfahrung damit, es zu händeln. In der Geschichte war nur ein einziges halbdämonisches Kind eines DaiYôkai bekannt geworden. Und das war InuYasha. Vielleicht sollte sie sich mal ernsthaft mit ihm und dieser Thematik auseinandersetzen. ~*~ Tatsächlich hatte Kagome sich wieder einmal in die Bibliothek zurückgezogen, aber sie hatte wenig Hoffnungen noch Dinge zu finden. Die Stammbäume war sie inzwischen durchgegangen, dann hatte sie die Chroniken überflogen, mit ihren Listen abgeglichen, geguckt wo Auffälligkeiten waren, die einen Verdacht unterstreichen würden. Sesshômaru hatte sich ja leider geweigert, seine Mutter zu Rate zu ziehen, also wussten sie von dieser Seite auch nichts Neues. Das hieß, er hatte knapp den Kopf geschüttelt und sich wieder dem Fenster zugewandt – was sich in etwa mit ‚Bei aller Liebe… nein!‘ übersetzen ließ –, das zu mindestens hatte Natsu erzählt. Viel weitergekommen waren sie in den letzten Tagen also nicht. Kagome seufzte, ehe sie das Buch zuschlug und sich erhob. Für heute hatte sie keine Lust mehr. Außerdem wartete Kikyô. Sie sollte endlich einmal schauen, wie weit ihre Älteste mit der letzten Aufgabe war. ~*~ Rin war derweil wie so oft mit Teshi, Saika – und Sayuri – im Garten. Die drei Kinder spielten gerade Fangen, auch die eigentlich eher ruhige Saika. Manchmal spielte ja auch Rin mit, aber das ging nur wenn die anderen Rücksicht auf sie nahmen, denn schließlich waren Hanyô deutlich schneller als die meisten Menschen und so hatte sie keine Chance, wenn die drei richtig aufdrehten. Schließlich aber purzelten die drei ermattet ins Gras. Rin erhob sich von ihrem Platz am Ufer des kleinen Baches, der mitten durch das Gartengelände floss und setzte sich zu ihnen. Als Sayuri wieder zu Atem kam und sich aufsetzte, strich Rin ihr leicht über den Kopf. Sayuris tierische Ohren zuckten etwas. Rin fand das – wie wohl jeder andere auch – wie immer niedlich und sie spürte wie so oft den Impuls über die zuckenden Öhrchen zu streichen, wie sie das bei ihren eigenen Kindern öfter tat, aber diesmal fasste sie aus einem anderen Grund zu und zog leicht an dem einen Ohr. Sayuri schielte etwas verwundert zu ihrer Hand auf. Rin lächelte etwas. „Sag mal, Sayuri, weißt du eigentlich, woher du die hier hast?“ Sayuri schüttelte den Kopf, so gut es ging, solange Rin ihr Ohr festhielt. „Die waren plötzlich da. Seit ich hier bei euch bin. Aber die beiden haben das doch auch!“, dabei zeigte sich mit dem Finger auf Teshi und Saika. „Das ist wahr, Sayuri. Aber schau mal, ich habe keine solchen Ohren, nicht wahr? Und ich bin ihre Mutter“ Das wusste Sayuri bereits und sie schien sich wenig daran zu stören, dass Saika wirkte, als sei sie keine zehn Jahre jünger als ihre Mutter. Aber sie schien noch nicht verstanden zu haben, worauf Rin hinaus wollte, sondern sah die scheinbar so junge Frau nur aufmerksam an. Also fuhr Rin fort: „Schau, Sayuri… Kôhei, der Vater von den beiden – du erinnerst dich? – hat doch auch andere Ohren als ich, weißt du?“ „Ja, ganz spitze. Wie bei den Elfen in dem Buch, das Mama mir immer vorgelesen hat!“, gab Sayuri zurück. Zwar hatte Rin keine Ahnung, was Elfen waren, aber sie nahm das mal so hin. „Genau. Das kommt daher, dass Kôhei etwas Besonderes ist. Er ist nämlich kein Mensch“ Sayuri legte den Kopf schief. „Nicht?“ „Nein. Kôhei ist etwas, das nennen wir Yôkai. Ein Tiergeist. So etwas wie ein Dämon, aber einer, der keine Menschen frisst“, erklärte Rin langsam und vorsichtig. Zwar war die Unterscheidung zwischen Yôkai und Oni nicht ganz so leicht zu treffen, wie sie es gerade erscheinen ließ, aber sie wollte es Sayuri nicht noch schwerer machen, als ohnehin schon. „Tier? Was für ein Tier denn?“, fragte Sayuri arglos. Rin fühlte sich nur zu sehr an sich selbst erinnert, als sie kaum älter als Sayuri jetzt gewesen war. Als sie Sesshômaru zum ersten Mal gegenüber gestanden hatte, war er so schwer verletzt gewesen, dass das Geräusch ihrer Schritte, selbst sein Dämonenblut außer Kontrolle geraten ließ. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber sie hatte das Bild noch immer vor Augen. Blutrote Augen mit bläulich schimmernden Pupillen, deutlich vergrößerte Fangzähne und die Mundpartie schon etwas vorgeschoben, jederzeit bereit sich zu der Hundeschnauze weiterzuentwickeln, die Sesshômarus wahre Gestalt mit sich brachte. Im ersten Moment war sie zusammengeschrocken, aber komischerweise hatte sie nicht wirklich Angst vor ihm gehabt. Von Anfang an hatte sie geahnt, dass er sie nicht fressen würde, zumal als er sich beim zweiten Mal danach erkundigt hatte, wer sie so zugerichtet hatte, dass ihr eines Auge beinahe zugeschwollen war. Sie war damals noch nicht in der Lage gewesen ihn, die Lichtgestalt, anzusprechen, aber sie hatte ein Lächeln zu Stande gebracht. Und, wer wusste das schon, vielleicht hatte dieses Lächeln ihr das Leben gerettet, ihn dazu bewogen, sie tatsächlich wiederzubeleben, als er damals beinahe über ihren toten Körper gestolpert war. Im übertragenen Sinne natürlich. Jetzt aber schenkte Rin erst einmal Sayuri ein Lächeln, ehe sie antwortete: „Kôhei ist ein Wolf“ Sayuris Augen glänzten. „Aber Otou-san sagt immer, der Wolf in Japan ist tot!“ „Das stimmt auch. Da wo du lebst, gibt es keine Wölfe mehr, Sayuri. Aber wir sind hier in einer ganz anderes Gegend“, mischte sich Kôhei ein und setzte sich zu seiner Familie, die dunkelblauen Augen fest auf Sayuri gerichtet. Dennoch fing er Rins fragenden Blick auf. ‚Kagome‘, formte er unauffällig mit den Lippen, gerade ehe Sayuri zu ihm sah. „Wirklich?“ „Ja, wirklich, Sayuri. Hier gibt es noch Wölfe und hier gibt es Leute wie mich, die mit den Wölfen verwandt sind, aber fast aussehen wie Menschen“, bestätigte er ruhig. „Und deswegen hast du spitze Ohren?“, fragte Sayuri begierig weiter. Das Thema schien für sie weniger beängstigend als eher interessant zu sein. „Genau. Deswegen habe ich spitze Ohren und auch die hier…“, Kôhei zog leicht die Oberlippe hoch, als wollte er knurren, ließ das aber bleiben. Dennoch waren seine Reißzähne deutlich zu erkennen. Sayuri bekam ganz große Augen, da mischte sich Rin wieder ein: „Und weil Kôhei ihr Vater ist, haben auch Teshi und Saika solche spitzen Zähne“ Saika hatte den Wink verstanden und zeigte nun auch ihre Fangzähne, Teshi beeilte sich gleich darauf, es seiner Schwester nachzutun. „Aber keine spitzen Ohren!“, stellte Sayuri fest und sah die beiden aufmerksam an. „Ja, weil Okaa-san ein Mensch ist“, antwortete Saika an ihrer Eltern statt und ließ die Oberlippe wieder sinken, lächelte stattdessen etwas. Das schien Sayuri dann aber doch noch nicht richtig zu verstehen, denn ihr Gesicht war nun ein einziges Fragezeichen. „Schau, Sayuri. Kôhei ist ein Yôkai. Ich bin ein Mensch. Deswegen sind unsere Kinder keine Yôkai, weil sie nur ein Elternteil haben, das ein Yôkai ist. Verstanden?“, versuchte Rin zu erklären. Jetzt nickte Sayuri. „Solche Kinder nennen wir Hanyô. Halbdämonen“, setzte Kôhei fort. „Han-yô?“, wiederholte Sayuri, ganz als hätte sie bereits verstanden, dass dieses Wort für sie besondere Bedeutung hatte. „Genau. Und du…“, dabei tippte Rin dem Mädchen auf die Nasenspitze, „…du bist das auch“ „Ich?“ „Ja“, sagte Rin nur, während sie mit den Fingerspitzen wieder vorsichtig an einem von Sayuris Ohren zupfte. „Deswegen hast du die hier“ Sayuri war einen Moment lang ganz still. „Aber ich hab‘ doch keine solche Zähne“, wandte sie dann ein. „Ach nein?“, lachte Teshi, ehe Rin ihm mit einem Kopfschütteln Einhalt gebot. Stattdessen hielt sie Sayuri eine Hand hin. „Gib‘ mir mal deine Hand, Sayuri!“ Das Mädchen legte ihre kleine Hand auf Rins zierliche Finger. Vorsichtig griff Rin nach Sayuris Zeigefinger und führte ihn an das Gesicht des Mädchens, schob damit deren Lippen leicht auseinander und strich über den einen Eckzahn. Als sie die Spitze erreichten, zuckte Sayuri kurz zusammen. Rin ließ ihre Hand los und nun fühlte Sayuri selbst. Auf ihrem Gesicht breitete sich zunehmendes Staunen aus. „Ich… auch?“, fragte sie fast tonlos, als könne sie es nicht glauben. Rin lächelte leicht. „Ja, du bist auch eine Hanyô. Eines deiner Elternteile ist ein Mensch und eines ein Dämon. Deswegen… es ist schwierig zu sagen, aber es kann sein, dass die Leute, die du Mutter und Vater nennst, nicht wirklich deine Eltern…“, Rin verstummte, als Sayuri bereits nickte. Sie schien wenig überrascht. Ihre Worte bestätigten das auch nur: „Ich weiß. Otou-san hat einmal gesagt, ich bin adotiniert – oder so…“ Rin konnte sich ein Lachen nicht verbeißen und auch Kôhei schmunzelte. „Adoptiert?“, fragte er nach. Sayuri nickte eifrig. Der Wolfsdämon wechselte einen vielsagenden Blick mit seiner Gefährtin. Das machte vieles einfacher. Zu mindestens in diesem Punkt hatten sie sich anscheinend umsonst Sorgen gemacht. Und ihnen beiden fiel in diesem Moment ein Stein vom Herzen. ~*~ Kagome fand ihre Älteste bei Jinenji auf den Kräuterfeldern. Der riesenhafte Hanyô säte gerade etwas ein, während Kikyô ein Beet hochempfindlicher Heilpflanzen, die vor dem heißen Sommer durch ein Sonnensegel geschützt wurden, vom Unkraut befreite. Als sie ihre Mutter näher kommen sah, stand sie auf, klopfte sich die trockenen Erdkrumen von den Händen. Beim letzten Gewitter war der Boden zwar regelrecht durchtränkt worden, aber seit dem, sprich, seit etwa einer Woche, war es wieder so heiß gewesen, dass der Boden längst wieder seine Feuchtigkeit eingebüßt hatte. „Kannst du meine Tochter für eine Weile entbehren, Jinenji?“, wollte Kagome wissen. Der riesenhafte Hanyô sah auf, errötete wie üblich. Kagome wusste, dass er insgeheim ein wenig für sie schwärmte, auch wenn er das niemals zugegeben hätte. Jinenji war eben die Schüchternheit in Personifikation und seit seine Mutter nicht mehr lebte, versuchte auch niemand mehr etwas daran zu ändern. Yutaka kümmerte sich zwar ein wenig um seinen selbsternannten Patensohn und war da, wenn er gebraucht wurde, aber er versuchte nicht, den Hanyô zu erziehen. Jetzt aber nickte Jinenji und so machten Mutter und Tochter sich auf den Weg richtung Hütte, tauchten in den wohltuenden Schatten des Inneren ein. Kikyô wischte sich mit dem Handrücken ein wenig über die Stirn. „Puh. Es ist wirklich heiß, in den letzten Tagen“ Kagome nickte, während sie sich auf den Boden setzte. Sie hatte hier kein Thermometer, aber sie würde einiges darauf verwetten, dass sie mindestens an der Dreißig Grad Marke kratzten, wenn sie sie nicht längst überschritten hatten. Aber Hitze hin oder her, Kagome ließ sich dennoch nicht narren. „Aber nicht zu heiß zum üben. Also, Kikyô, wie weit bist du mit der Übung gekommen?“ Kikyô seufzte, ehe sie etwas verlegen zu Boden sah. „Nicht wirklich weit. Ich bekomme es einfach nicht richtig hin! Zweiseitige Bannkreise sind aber auch kompliziert!“, rechtfertigte sie sich, als sie sich neben ihre Mutter setzte. Kagomes braune Augen funkelten belustigt. „Deswegen lernst du sie ja auch erst jetzt. – Zweiseitige Bannkreise werden ja auch meistens durch Sutras oder ähnliche Hilfsmittel verstärkt, aber dennoch, die Grundlage musst du ohne schaffen“, dozierte sie ruhig und dachte dabei daran zurück, wie Miroku ihr seinerzeit diese Art von Bannkreis beigebracht hatte. Zu Beginn hatte sie sich auch reichlich dämlich angestellt, aber wenn es darauf ankam, hatte Miroku sehr geduldig sein können. Ein zweiseitiger Bannkreis hatte nach innen eine andere Wirkung als nach außen. Die Dämonenjäger benutzen solcherart Schutzbanne beispielsweise um ihre Lager und Werkstätten abzuschirmen. Nach innen konservierte die spirituelle Macht die Dämonenüberreste und halbfertigen Waffen, hinderte sie am Zerfall, nach außen schirmte die gleiche Macht ab, damit keine noch lebenden Oni angelockt wurden. So etwas über längere Zeit zu erhalten war nur mit Hilfsmitteln wie den üblichen Sutras möglich. Aber das spannen, sprich, die Grundlage, musste auch so beherrscht werden. Kagome kramte etwas heraus und legte es vor Kikyô auf den Boden. Es war der Reißzahn von einem der niederen Krieger am Schloss. Yôkai störte es nicht, wenn man ihnen einen Zahn abnahm. Der wuchs sowieso immer wieder nach. Aber es ruhte ein wenig Yôki in so einem Zahn. „Versuch‘ es, Kikyô“, forderte Kagome ihre Tochter auf. Die streckte etwas zögernd eine Hand über dem Zahn aus und schloss die Augen. „Kikyô. Konzentriere dich. Du musst dir schon sagen, dass du es schaffen kannst. Sonst funktioniert es erst recht nicht. Das ist wie mit allen anderen Mikokräften auch“ Kikyô seufzte, atmete dann tief durch und spannte die Hand etwas an, als sie es erneut versuchte. Und diesmal gingen von ihrer Hand hellviolette Strahlen aus, die eine durchscheinende Kuppel über dem Reißzahn bildeten. Es war wie ein Pulsieren, das die Kuppel durchlief, dann flackerte das Licht und schwand. Kikyô ließ die Hand sinken. „Wieder nichts. Gomen, Okaa-san“ Kagome legte aufmunternd eine Hand auf die ihrer Tochter. „Das war gar nicht einmal schlecht. Der Bannkreis hat seine Aufgabe erfüllt. Er hat innen das Yôki abgezogen und es außen abgegeben. Du musst es jetzt nur noch schaffen, ihn länger zu erhalten. Sonst verflüchtigt sich das Yôki nicht, sondern kehrt, so wie jetzt, sofort zurück“, erklärte sie ruhig, fasste den Reißzahn und gab ihn ihrer Tochter in die Hand, schloss sacht deren Finger darum. „Üb‘ einfach weiter. Aber das war schon eindeutig besser als letztes Mal“ Kikyô lächelte erleichtert, was Kagome nur ein Schmunzeln entlockte. „Erinnerst du dich noch, wie ich dir erzählt habe, wie ich das alles lernen musste?“, wollte sie wissen. Kikyô nickte. „Du hattest keinen Lehrer“ „Stimmt. Zu mindestens am Anfang nicht. Ich weiß noch, als diese dumme Totentanzkrähe das Juwel verschluckte und InuYasha sie verfolgen wollte. Mir gab er kurzerhand einen Bogen in die Hand und erwartete, dass ich damit umgehen könnte. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben einen Bogen in der Hand. Und natürlich konnte ich nicht wirklich damit schießen. Es hat auch noch eine ganze Weile gedauert, bis ich das lernte. Das erste Mal, dass ich einigermaßen ordentlich getroffen habe, war ausgerechnet gegen Sesshômaru. Und als ich den zweiten Pfeil hinterherschickte, durfte ich dann gleich lernen, dass der Herr meine Pfeile aus der Luft fangen kann, Mikokräfte hin oder her. Mit der Zeit konnte ich mir einiges von Miroku abgucken, dann wechselte die damalige Kikyô langsam die Seiten, beziehungsweise bezog uns genauer in ihrem Plan mit ein und brachte mir schließlich bei, wie ich auf Gefühl und Intuition hören konnte. Den Rest habe ich mir selbst beigebracht. Erst spät, als wir bereits hier lebten, habe ich mir von Miroku noch ein paar Sachen beibringen lassen, insbesondere, um den Taijiya zur Seite stehen zu können. Und zu Recht. Zwar gibt es auch heute noch ein paar Leute mit spirituellen Kräften inmitten der Taijiya, aber in diesem Punkt können sie Unterstützung gut gebrauchen“ „Ich weiß“, sagte Kikyô nur, aber Kagome verstand, dass ihre Tochter auch zwischen den Zeilen gelesen hatte. Kikyô wusste sehr gut, dass sie es leicht hatte, in Ruhe lernen konnte und dabei bisher noch nicht ernsthaft in Lebensgefahr geschwebt war. Auch wenn die Anwendung der Mikokräfte für sie komplizierter war, musste sie doch zeitgleich stets ihre Blutanteile im Gleichgewicht halten, so waren die Umstände, in denen sie lernte, eindeutig gedeilicher. „Fest steht, Kikyô, dass wir am Meisten vom Leben lernen. Vor allem lernen wir vom Leben, wann was richtig ist. Früher oder später wird es etwas geben, das dich das verstehen lehrt“ Kapitel 12: Treffen ------------------- „Bist du überhaupt nicht aufgeregt?“ Akeno klang beinahe entrüstet. Kanaye setzte die Teeschale ab und sah seine jüngere Schwester offen an. Und jetzt konnte sie das Flackern in seinem Blick sehen. Er brauchte nichts mehr zu sagen, sie hatte es bereits verstanden. Natürlich war er aufgeregt. Aber er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen. Als Erbprinz hatte er einen gewissen Eindruck zu hinterlassen, auch wenn die Yôkai, die draußen gerade der Kutsche entstiegen, hierhergekommen waren um sich zu profilieren und nicht um ihn zu prüfen. Gerade hatte ein Diener die Ankunft gemeldet, aber zuerst würden die Besucher in den Gästetrakt geleitet werden, dann würden die Eltern der Bewerberin Audienz bei Fürst Gin und Fürstin Azarni haben und erst dann würde Kanaye seiner potentiellen Braut vorgestellt werden. Es war längst alles durchgeplant. Dennoch hielt es keinen der Jugendlichen lange an der Tafel, schließlich beschlossen sie, wenigstens in den Garten überzusiedeln. Da würden sie ja wohl niemandem in die Quere kommen. So hatten sich bald alle sechs plus Benikas Gefährten Shinchiro in dem kleinen Pavillon versammelt und setzten dort ihr Gespräch fort. Auch Kyoko hatte sich anstecken lassen. „Ich bin gespannt wie sie wohl aussieht!“ „Vielleicht hat sie ja auch so silberne Haare, wie du. Dann bist du nicht mehr die Einzige, abgesehen von Chichi-ue!“, neckte Tadashi sie. Kyoko schnaufte. „Als ob du nicht genau wüsstest, dass das extrem selten ist“ Tadashi lachte. „Natürlich, Werteste“, feixte er weiter. Diesmal lachte Kyoko mit. Von ihren leiblichen Geschwistern war Tadashi immer ihr Lieblingsbruder gewesen und meistens nutzte er es bei aller Besonnenheit voll aus, dass sie ihm nicht lange böse sein konnte. Schon gar nicht, wenn er sie wie jetzt so offensichtlich aus der Reserve locken wollte. Oh nein, den Gefallen würde sie ihm nicht tun. „Ich ge-…“, sie unterbrach sich, als auf einmal Gelächter zu hören war. Sofort flogen die Köpfe der Geschwister herum. Da näherten sich zwei junge Yôkai, die eine mit etwa schulterlangen, tiefroten Haaren, etwa in Kanayes und Tadashis Alter, die andere mit hellbraunen, weitaus längeren Haare, sichtlich ein bisschen jünger. Da schienen die beiden der kleinen Versammlung unter dem Dach des Pavillons gewahr zu werden, hielten inne. Aus großen Augen sahen sich beide Gruppen an, beide waren eindeutig zu vertieft gewesen, um die jeweils andere früher zu bemerken. Kyoko löste sich zuerst aus ihrer Erstarrung und trat auf die beiden Fremden zu. Ob die mit der Kolonne der Besucher gekommen waren? Auf das naheliegenste kam sie in diesem Moment nicht und so grüßte sie unvoreingenommen, ein Verhalten das prompt erleichtert erwidert wurde. Offenbar hatten die beiden Fremden sie nicht einzuschätzen gewusst. „Gomen…?“ „Kyoko“, gab die Angesprochene nur zurück und lächelte leicht. „Und das da sind meine Geschwister. Naja, bis auf den da. Der ist mein Schwager“, erklärte sie, wobei sie wenig höfisch auf Shinchiro zeigte. Die beiden jungen Yôkai, sichtlich beides Kitsune, grüßten nun auch die anderen und auf einmal war die Befangenheit verflogen. „Hattet ihr eine gute Reise?“, fragte Benika. Die jüngere und anscheinend etwas offenere der beiden wiegte den Kopf von einer Seite zur anderen. „Ruhig aber sehr lang. Und ich habe diese Kutschen schon immer gehasst. Deswegen wollten meine Cousine und ich auch kurz Luft schnappen, jetzt wo wir endlich angekommen sind. Nachher müssen wir uns dann wohl für das Bankett fertig machen.“ „Dann gehört ihr also zu der angereisten Familie?“, wollte nun Kyoko wieder wissen. Diesmal war es die Ältere, die nickte. „Wenn ihr so wollt, ja.“ Kyoko runzelte etwas die Stirn. Diesen Satz hatte sie vor langer Zeit auch einmal gegenüber einer neuen Bekanntschaft in den Mund genommen. Unwillkürlich kam die Erinnerung an Shippou wieder hoch und ihre Miene verschloss sich einen Moment. Aber sie schob es rasch beiseite. Wer wusste, ob sie Shippou jemals wiedersehen würde, wer wusste, ob er überhaupt noch am Leben war. Sie bemühte sich, ihre Konzentration wieder auf die beiden Fremden zu lenken, die also offenbar Cousinen waren. Akeno grinste gerade ein wenig in sich hinein, ehe sie lauernd fragte: „Und, wie stellt ihr euch den Erbprinzen so vor? Vielleicht können wir euch warnen“ Dabei blieb ihr Seitenblick auf Kanaye geheftet, der seine Meinung zu der Fangfrage aber nur darin ausdrückte, dass er Akeno nicht mehr ansah. „Och, keine Ahnung. Wir haben nicht viel von ihm gehört. Er soll relativ unauffällig sein und sehr an der Familie hängen“, wich die Ältere der beiden Fremden aus, während die anderen inzwischen Tadashi ins Augen gefasst hatte und ihn unter halb gesenkten Wimpern neugierig musterte. Kyoko schmunzelte, als sie das bemerkte. Ob die Fremde sich das wohl auch trauen würde, wenn sie wüsste, dass sie hier die Fürstenkinder vor sich hatte? Aber sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als einer der Diener über den Kiesweg gehetzt kam. Rasch verneigte er sich, noch aus dem Lauf heraus, sodass er beinahe stolperte, ehe er hervorbrachte: „Der… der Fürst wünscht, dass ein jeder von den Gästen beisammen bleibt… wenn… wenn ich also bitten dürfte…“ Die jüngere der beiden Fremden verdrehte etwas die Augen, die ältere senkte nur ergeben den Kopf, ehe sie sich aufmachten, dem Diener zu folgen. So sahen sie nicht mehr, dass Kanaye, kaum dass sie im Schlossgebäude verschwunden waren, seiner Schwester spielerisch an die Kehle ging. „Was sollte das den bitte, Akeno, hm? Die Armen kriegen den Schock ihres Lebens, wenn sie herausfinden, vor wem sie da so einfach geplaudert hat!“ „Och, ich fand‘s lustig. Außerdem haben sie doch nichts Verfängliches gesagt“, sprang Benika ihrer Schwester bei, während Kyoko Tadashi fixierte, die Gelegenheit nutzend, den Spieß von zuvor umzudrehen. Ihr Tonfall triefte vor Amüsement, als sie anhob: „Sag mal, glaubst du, die Jüngere hat ein Auge auf dich geworfen?“ Zu ihrer grenzenlosen Überraschung bestand Tadashis einzige Antwort daraus, dass er leise vor sich hin brummelte und den Blick abwandte. Über Kanayes Lippen glitt ein hauchfeines Schmunzeln. Nachdem er von Akeno abgelassen hatte, war er der einzige, der so stand, dass er sehen konnte, dass sich auf Tadashis Wangen eine leichte Röte ausgebreitet hatte. ~*~ „Was hast du denn hier zu suchen?“ InuYashas Stimme klang eher interessiert als unfreundlich. Er saß auf einem sonnenwarmen Felsen direkt an der Küste, wo der raue Meereswind ein bisschen von der Mittagshitze vertrieb, das Oberteil seines Suikans hatte er dennoch abgelegt. Um ihn herum lagerten die tierischen Hunde, mit denen er auf Patrouille ging. Obwohl die Meisten weißes Fell besaßen, hechelten sie heftig. Kein Wunder, dass InuYasha ihnen eine Pause gegönnt hatte. „Ich wollte mit dir reden“, gab Natsu nur zurück und setzte sich auf den Felsen neben ihm. Ausnahmsweise trug auch sie Haori und Hakama in einer eher hellen Tönung, denn selbst einer Yôkai machte die Hitze langsam zu schaffen. InuYashas Hundeohren zuckten etwas. Er konnte wittern, dass sie diesmal keineswegs aufgeregt war, also war nichts Schwerwiegendes geschehen. Offenbar suchte sie tatsächlich nur das Gespräch. Also sah er sie abwartend an. „Arata war vorhin bei uns. Er berichtete, dass er es für wahrscheinlich hält, dass Sayuri das Blut eines DaiYôkai in sich trägt“ Jetzt atmete InuYasha tief ein. Ganz offensichtlich hatte er verstanden. Kurz nickte Natsu ihm zu, ehe sie fortfuhr: „Nun haben wir das Glück, dass wir immerhin einen fragen können, wie das ist. Einen, der das aus erster Hand weiß“ Sie lächelte ihn ein wenig an. Der Hanyô wandte den Blick ab und sah auf das Meer hinaus, dessen Oberfläche sich trotz heftiger Windböen nur leicht kräuselte. Im hellen Sonnenlicht erschien das Wasser stahlblau. Als er ansetzte, klang seine Stimme fast ungewohnt ernst. Die Nachricht, dass Sayuri war, wie er, schien ihn nachdenklich gestimmt zu haben: „Aus meiner Kinderzeit kann ich dir nicht viel sagen. Da war es schon schlimm genug, überhaupt ein Hanyô zu sein. Dabei habe ich erst später verstanden, warum meine Mutter damals so oft weinte. Als ich mich nach ihrem Tod alleine durchschlagen musste, verstand ich erst nicht, warum immer ich es mit Oni und ähnlichem zu tun bekam. Aber die meisten Oni, so beschränkt sie auch sind, können Yôkistärken fühlen. Und da ich als Hanyô kaum in der Lage bin, mein Yôki zu unterdrücken, kamen sie alle zu mir. Ich lernte mein Sankontessô kennen und sehr viel später erklärte Myôga mir, wie das Hijinkessô funktioniert. Er war der Einzige, der mir damals ab und an Gesellschaft leistete. Ich lernte zu kämpfen, weil ich es musste. Ich lernte, mich von Dörfern fern zu halten, weil sie mich sonst schlugen und ich doch eine gewisse Hemmung hatte, in dem Sinne unschuldige Menschen zu verletzten. Wenn im Schloss doch einmal ein Kind mit mir gespielt hatte und ich es aus Versehen verletzte, weil ich nie gelernt hatte, meine Kräfte zu drosseln, dann waren das die Anlässe, in denen Mutter am Meisten weinte. Das hatte sich tief in meinem Gedächtnis eingegraben. So zog ich unendliche Jahre lang beinahe allein durch die Gegend. Eines Tages kam ich in die Nähe von Musashi. Dort lief mir Kikyô über den Weg. Von ihr hörte ich von dem Juwel, von seinen Kräften, der Möglichkeit, ein voller Dämon zu werden. Das schien mir der Weg, das zu erreichen, was ich schon lange wollte: stärker werden, mich durchsetzen. Damals ahnte ich noch nicht, was dieses Streben bedeuten konnte. Ich begann Kikyô zu folgen, das Juwel zu belauern und landete dabei ein ums andere Mal an den nächsten Baumstamm geheftet – allerdings mit normalen Pfeilen. Aber jedes Mal verschonte sie mich, ließ mich laufen. Und irgendwann kamen wir ins Gespräch, unsere Bindung wurde enger, wir wurden beinahe etwas wie ein Paar. Ich begann ihr zu helfen, die Oni zu vertreiben, die sich ständig auf sie stürzten, um an das Juwel zu kommen. Und sie erzog mich. Sie war die Erste, nach meiner Mutter seinerzeit, die mir ein wenig lehrte, wie ich mit anderen umzugehen hatte. Schließlich akzeptierte man mich im Dorf, ich durfte dort ein und ausgehen, half auch dort, die Oni fern zu halten. Auch mit Kaede, Kikyôs jüngerer Schwester, freundete ich mich an. Beinahe hätte ich vergessen, was mein großer Wunsch war, ja war sogar bereit, anstatt dessen zum vollen Menschen zu werden. Damals liebte ich Kikyô. Ich hätte alles für sie getan. Dann kam Naraku dazwischen und plötzlich wendete sich das Blatt. Ich endete unter Bann an Goshinboku, Kikyôs voller Hass abgeschossenen Pfeil im Herzen. Es sollte fünfzig Jahre dauern, bis ich wieder am Leben teilnahm. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich alles geändert. Ich durfte vollkommen von vorn anfangen. Kagome und ich haben es uns am Anfang gegenseitig nicht leicht gemacht. Ich fiel in mein altes, ruppiges Verhalten zurück. Und noch jemand hatte gehört, dass ich wieder erwacht war. Sesshômaru. Ich hatte ihn vorher ab und zu Gesicht bekommen und seit ich aus dem Kinderalter heraus war, war eine solche Begegnung selten ohne Kampf abgegangen. Heute weiß ich, dass mein Leben sehr viel kürzer gewesen wäre, wäre ich kein Dai-Hanyô. Meine Stärke konnte Sesshômaru nicht richtig einschätzen, man sollte es wohl nicht so formulieren, aber ich überraschte ihn immer wieder. Und nur so kam ich oft genug davon. So sah ich also jetzt meinen Halbbruder wieder. Er wollte Tessaiga, ging dafür in die andere Welt, Kagome folgte ihm, ich ging hinterher. In diesem Kampf verlor Sesshômaru seinen Arm und ich gewann Tessaiga. Und so gute Dienste wie dieses Schwert mir seit dem geleistet hat… seit ich es habe, bekam ich es mit Gegnern zu tun, die ein einfacher Hanyô nicht überlebt hätte. Mit Tessaiga an meiner Seite begann ich zu verstehen, was das Besondere an mir war, welche Stärken ich besaß.“ Aus golden schimmernden Augen blickte InuYasha seine Schwägerin an, während seine Hände auf Tessaiga ruhten, das er im Schoss liegen hatte. „Erst da begann ich langsam zu verstehen, was es heißt, ein Dai-Hanyô zu sein.“ Natsu hatte ihm aufmerksam zugehört. Jetzt legte sie etwas nachdenklich den Kopf in den Nacken. „Das heißt, bevor du es wusstest, hat dir dein stärkeres Blut geholfen, dich oft gerettet. Bis deine Besonderheit dich mit stärkeren Gegnern zusammenführte. Da begann es Tribut zu fordern. So könnte man doch sagen, oder?“ InuYasha nickte leicht, ehe er leiser hinzufügte: „Vom größten Tribut, den es forderte, habe ich nie viel mitbekommen. Da solltest du Kagome fragen. Das könnte auch in etwa das sein, was du eigentlich wissen wolltest“ Er zuckte leicht mit den Ohren, erhob sich, steckte Tessaiga wieder ein und hängte sich sein Suikan-Oberteil über die Schulter. Dann stieß er ein leises, aufforderndes Knurren aus. Sofort sahen die Hunde zu ihm auf. Sie schienen allesamt nicht begeistert, weiter zu sollen, obwohl es keineswegs abgekühlt war, aber sie folgten. Natsu blieb noch einen Moment sitzen und sah dem Hanyô nach. Sie wusste, dass sie gerade eine von InuYashas nachdenklichen Phasen in Reinkultur erlebt hatte. Aber sie war froh darum. Er erzählte selten von seiner Vergangenheit, das meiste, was sie darüber wusste, hatte sie von Kagome erfahren. Aber so half es ihr, InuYashas Innenleben und damit vielleicht auch zum Teil das generelle Innenleben eines so starken Hanyô zu ergründen. Sie beschloss seiner Andeutung zu folgen und auch mit Kagome zu reden. Gleich Morgen, wenn Kagome sowieso wieder in der Bibliothek war. Sicher würde sie dann mehr erfahren. ~*~ „Ōji-sama? Euer Herr Vater lässt bitten“, sagte der Diener mit einer Verneigung und rasch trat Kanaye auf ihn zu. „Im Audienzsaal?“, wollte er nur wissen und hatte Akeno ihm vorhin noch jegliche Aufregung abgesprochen, so war sie ihm jetzt deutlich anzumerken. Nun, wenn sein Vater ihn rufen ließ, dann bedeutete das wohl, dass er die junge Hime namens Umeko – mehr wusste Kanaye ja schließlich noch nicht von ihr – nicht gerade für ungeeignet befunden hatte. Fürst Gin hatte seinem ältesten Sohn zwar versprochen, dass der das letzte Wort haben würde, aber in der jetzigen Situation war es schon recht wahrscheinlich, dass Umeko ihm erhalten bleiben würde. Mit langen Schritten machte er sich auf den Weg. Der Diener eilte an seine Seite und zurück am kleinen Saal klopfte er, meldete den Prinzen an. Deutlich hörte Kanaye das scharfe Einatmen auf der anderen Seite der Tür und trotz aller Anspannung schmunzelte er etwas. Da war wohl nicht nur er aufgeregt. Kaum hatte der Diener die Tür aufgeschoben, schlüpfte Kanaye hindurch, verneigte sich kurz gegen seinen Vater, nickte den beiden Kitsune zu, die an der Seite des Raums standen – sicher Umekos Eltern - und wandte dann erst den Blick zu der Gestalt, die sittsam vor Gins Pult kniete und ihm bisher noch den Rücken zuwandte. Sie trug einen hellen Kimono mit grünlichem Schneeflock-Muster, viel mehr sah er noch nicht. „Schön, dass du hier bist, mein Sohn. Wenn ich dir Umeko-hime vorstellen dürfte?“, begann Fürst Gin und Kanaye sah an den funkelnden Augen seines Vaters, dass der von der Wahl des Brautwerbers anscheinend begeistert war. Leicht wandte er den Kopf zur Seite, blickte zu der Knienden hinab, die im selben Moment zaghaft aufschaute. Kanaye konnte ein leises Auflachen nicht unterdrücken, als er ihren erst interessierten, dann schockierten Gesichtsausdruck sah. Sie hatte die roten Haare nun geflochten und etwas aufgesteckt, Lippen und Augen waren betont worden, aber dennoch hatte er sie sofort erkannt: Die ältere der beiden jungen Frauen, vorhin im Garten. Kanaye sah wieder seinen Vater an. „Wir kennen uns bereits“, gab er spitzbübisch von sich, beeilte sich aber erklärend fortzufahren, „Sie ist uns vorhin im Schlossgarten über den Weg gelaufen. Allerdings ohne mir zu verraten, wer sie ist“ „Was für Euch aber genauso gilt, Ōji-sama“, konterte Umeko nur schüchtern, den Blick hatte sie wieder gen Boden gerichtet. Fürst Gin lachte leise, er amüsierte sich köstlich über das Verhalten der Anwesenden, ebenso wie über die Mienen von Umekos Eltern, die sichtlich nicht ganz einzuschätzen vermochten, was das momentane Geschehen zu bedeuten hatte. Kanaye trieb das Spiel weiter, indem er sich neben Umeko auf ein Knie niederließ und mit schief gelegtem Kopf ihren Blick suchte. „Das kann ich ja nun nachholen. Mein Name ist Kanaye“, stellte er sich vor, ganz als ob sie das nicht jetzt auch längst wüsste. Tatsächlich entlockte er ihr damit ein leises Kichern, das sie aber rasch hinter ihrer Hand versteckte. Kanaye erhob sich wieder, sah kurz zu seinem Vater. „Wie ich sehe, scheint das Kennenlernen ja positiv zu verlaufen. Das kann dann beim Bankett morgen früh fortgesetzt werden“, befand der leichthin und entließ die gemischte Gruppe. Als auch Kanaye als letzter den Raum verließ, schüttelte Fürst Gin ein wenig den Kopf. Wenn das nicht eben der Beginn einer wunderbaren Freundschaft war… ~*~ „Und dein Adoptivvater… hat der dir jemals erzählt, ob er etwas über deine wahren Eltern weiß?“, tastete Rin sich derweil weiter vor. Sayuri verdrehte nachdenklich die Augen, ehe sie den Kopf schüttelte. Dann schien ihr aber doch etwas einzufallen. „Doch…äh, nicht zu mir. Aber zu Okaa-san hat er einmal gesagt, dass das einzige, was er von meiner wahren Mutter weiß, sich in meinem Namen wiederfindet. Aber ich weiß nicht, was er damit gemeint hat“ Entschuldigend zuckten ihre Ohren. „Schon gut, Sayuri. Nur weißt du, um die Wahrheit zu sagen… In der Gegend, wo du lebst, kannst du nicht mehr bleiben. Dort kennen die Leute keine Hanyô.“ „So wie sie keine Wölfe kennen?“, fragte Sayuri dazwischen. Rin schmunzelte. „In etwa so, ja. Jedenfalls würden sie Angst vor dir haben, jetzt wo du solche Ohren und Zähne hast. Dein Vater hat dich zu uns gebracht, damit wir auf dich aufpassen. Ich weiß nicht, ob und wann du ihn wiedersehen wirst“, setzte sie dann vorsichtig fort. Sayuri erstarrte und plötzlich hingen ihre Ohren niedergeschlagen zur Seite. In ihren Augen schimmerte es verdächtig. Sie schniefte ein wenig. „Dann hat er mich nicht mehr lieb? Nur weil er jetzt zwei eigene Kinder hat?“, fragte sie fast tonlos. „Ach nein, Sayuri… he…“, versuchte Rin zu beschwichtigen, ahnte aber, dass sie damit wenig Erfolg haben würde. Also legte sie schlicht einen Arm um Sayuris Schultern und sofort schmiegte die Kleine sich an sie, ließ sich tröstend in den Arm nehmen. „Dein Adoptivvater hat dich ganz bestimmt lieb. Genauso lieb wie seine anderen Kinder. Aber Hanyô und Yôkai leben ein anderes Leben, als du es gewohnt bist.“ Da sprang Kazuya heran, der bisher mit zum Hecheln halb geöffnetem Maul im Schatten eines Rhododendron gelegen hatte, wo er Sayuri gut im Auge hatte, aber auch am Besten vor der heißen Mittagssonne geschützt war. Heute war die Hitze wirklich mörderisch, besonders wenn man ein dickes Fell besaß. Dennoch stellte er sich jetzt, mit den Vorderpfoten an Rins Oberschenkel abgestützt, auf die Hinterläufe und leckte etwas über Sayuris Wange. Da kicherte Sayuri. „Nicht, Kazuya! Das kitzelt!“ Kazuya ließ von ihr ab, bemerkte aber durchaus das dankbare Zwinkern seitens Rin und stieß ein Fiepsen aus. Da packte Teshi die Gelegenheit beim Schopf, dass seine Mutter endlich aufgehört hatte, Fragen zu stellen. Oder zu mindestens so lange damit pausierte, dass er einhaken konnte. „Na komm, Sayuri. Revanche!“, forderte er. Vorhin hatte Sayuri ihn nämlich gefangen. Sayuri vergaß ihren Trübsal blitzschnell und sprang auf. „Rin“, die knappe Ansprache ließ Rin aufblicken. Sie schob sich die dunklen Haare hinters Ohr, ehe sie sich erhob. „Was gibt es, Sesshômaru-sama?“ Dessen goldener Blick glitt kurz zu Sayuri hinüber. „Sie hat geweint“, konstatierte er knapp. „Es geht ihr gut. Dank Kazuya hat sie sich wieder gefangen“, erwiderte Rin, als in diesem Moment auch Sayuri den Neuankömmling bemerkte. Weil aber auch Teshi kurz stehen geblieben war um höflich zu grüßen, nutzte sie die Chance, ihn abzuschlagen, ehe sie sich dem Weißgekleideten zuwandte. Teshi murrte. „Hey, das gilt nicht!“, beschwerte er sich, aber Sayuri beachtete ihn nicht mehr. Stattdessen musterte sie den Weißhaarigen, entdeckte die spitzen Ohren und legte nachdenklich den Kopf schief. „Bist du auch ein Wolf?“, fragte sie geradeheraus. Rin verzog das Gesicht, prustete dann aber doch vor Lachen. Das hatte ja so kommen müssen! Für ihre Reaktion erntete Rin einen fragenden Blick seitens Sesshômaru. „Gomen, Sesshômaru-sama…“, brachte sie mühsam hervor, während sie versuchte, sich wieder einzukriegen, stattdessen sprang Kôhei ein. „Sayuri weiß, was ich bin. Daher die Frage, Inu no Taishô“, erklärte er ruhiger, aber auch um seine Mundwinkel zuckte es. Sesshômarus goldene Augen richteten sich wieder auf Sayuri, die in der Mitte der kleinen Gruppe stand und sichtlich nicht nachvollziehen konnte, was an ihrer Frage so lustig gewesen war. Rin hatte derweil tief durchgeatmet. „Ich habe den Versuch gemacht, ihr die Situation zu erklären und sie hat es erstaunlich einfach hingenommen. Ich glaube sie fand es erstaunlicher, dass Kôhei mit Wölfen verwandt ist – die es da wo sie herkommt, schon nicht mehr gibt – als dass er ein Yôkai ist“, erklärte sie dann ausführlicher. Sesshômaru rührte keinen Muskel, sodass Rin bei aller Kenntnis ihres Ziehvaters doch überrascht war, als der InuYôkai an Sayuri gewandt sagte: „Wenn das so ist… ich bin kein Ookami. Ich bin ein Inu.“ Kapitel 13: Frühstück --------------------- „Ich habe gehört, Sayuri kennt nun die Wahrheit?“ Natsus Worte klangen weniger nach einer Frage, als nach einer Feststellung. Sesshômaru warf ihr über die Schulter einen kurzen Blick zu, ohne sich von der Balkonbrüstung wegzubewegen. Also trat sie neben ihn. Der Himmel über ihnen war bereits in nächtliches Blauschwarz gehüllt, aber noch immer war es ziemlich warm. „Rin scheint also die richtigen Worte getroffen zu haben“, bemerkte sie nur noch. „Hat sie. – Und du hast mit InuYasha gesprochen“, stellte er fest. Natsu nickte etwas. „Er sagt, er konnte in seiner Kindheit den Unterschied zwischen Hanyô und Dai-Hanyô schlecht nachvollziehen. Erst als er es dank Tessaiga und anderen Umständen mit stärkeren Gegnern zu tun bekam, fiel es ihm auf, wie groß die Differenz ist“, fasste sie kurz zusammen, was ihr Schwager ihr erzählt hatte. „Das denke ich mir. – Tessaiga hat ihn mächtiger und angreifbarer zugleich gemacht“, kommentierte Sesshômaru neutral. „Nicht zuletzt, weil es da jemanden gab, dessen Stärke kaum zu übertreffen ist und der ihn um Tessaigas Willen immer wieder angriff, nicht wahr?“, neckte Natsu mit einem Schmunzeln und drehte sich zur Seite, sodass sie ihn anblickte. Sesshômaru gab darauf keine Antwort. Auf dieser Ebene diskutierte er nicht weiter. Natsu wusste das auch, also wechselte sie rasch das Thema. „Wie es aussieht, kann es dauern, bis wir genaueres wissen. Arata wird morgen mit Sayuris Training beginnen, soweit die Kleine sich überreden lässt. Zu schade, dass wir die direkte Methode der Nachforschung abbrechen mussten. Aber um der Ehre des Hundeclans wegen können wir nicht mehr weiter fragen. Es würde dich in einem ziemlich seltsamen Licht dastehen lassen. – Weißt du, bei solchen Problemen bereue ich manchmal, dass ich keine kleine, unbedeutende Hime mehr bin, deren Handeln niemanden weiter interessiert…“ Während Natsu sprach, hatte Sesshômaru sich ihr zugewandt, eine Augenbraue etwas hochgezogen sah er auf sie hinab. Dann legte er zwei Finger an ihr Kinn, hob ihren Kopf etwas an und küsste sie leicht. „Bereust du immer noch?“, fragte er schlicht, als er wieder von ihr abließ. In Natsus Augen blitzte der Schalk. Nun gut, wenn er spielen wollte… das konnte sie auch. „Wer weiß? Vielleicht lasse ich mich ja überreden, doch nicht zu bereuen…“, merkte sie an. Ein leichtes, unterschwelliges Knurren ließ Sesshômarus Lippen erzittern, was Natsu aber zu ersticken wusste. „Frechheit“, stellte er nur fest, ohne sich von ihr zu lösen, ehe er den Kuss vertiefte und sie enger an sich zog. ~*~ Auf einer ganz anderen Insel, in einem ganz anderen Schloss, wurde wenige Stunden später, im Morgengrauen das Bankett eingeläutet. Ein Diener ging noch herum und entzündete die Fackeln an den Wänden des Raums mit seinem Fuchsfeuer, sodass der Raum bald darauf in erstaunlich helles Licht getaucht war. Dann betrat zuerst die Fürstenfamilie den Raum, Fürst Gin begleitete seine Gefährtin an den Tisch, die Kinder folgten hinterher. Sie alle trugen nicht, wie sonst üblich, Hakama und Kimonohemd, sondern Festrobe, ebenso wie die Gäste, die gleich darauf folgten. Kanaye unterdrückte ein Grinsen und stieß seinen Bruder mahnend mit dem Ellbogen in die Seite, als er dessen Blick interessiert über die Gästegruppe gleiten sah. Tadashi zuckte etwas zusammen, setzte sein Beobachten aber etwas unauffälliger fort. Akeno dagegen grinste unverhohlener, als sie Umeko sah, da brauchte es schon einen scharfen Blick seitens Azarni, dass die zweitälteste Prinzessin ihre Miene wieder unter Kontrolle bekam. Dennoch tanzten Kobolde in ihren violetten Augen. Azarni verdrehte unauffällig die Augen und wechselte einen belustigen Blick mit ihrem Gefährten. Das kam nun davon, dass sie Umekos ganze Familie beherbergten. Die Kennenlern-Phase war bei Shinchiro eindeutig unauffälliger abgelaufen, allein schon, weil er einzig von seinem Vater begleitet worden war. Aber gut, sei‘s drum. Der Rummel würde ihnen schon nicht schaden. Schließlich saßen auch die Gäste und das Essen wurde aufgetragen. Es bestand nur aus kleinen Snacks, denn man aß nicht aus Hunger, sondern zum Vergnügen, aber bald entspannte sich die Stimmung etwas und so versuchte Azarni ein Gespräch in Gang zu bringen. Sie hielt nicht viel davon, eine Bewerberin streng ins Gebet zu nehmen, deswegen hatte sie es am Vortag, im Arbeitszimmer ihres Gefährten, auch bei den nötigsten Fragen belassen. „Nun, Umeko, hast du dich schon etwas eingelebt?“, fragte sie aber nun. Irrte sie sich, oder stieß der Vater Umeko kurz an, ehe sie aufsah und zu einer Antwort ansetzte? Gleich. „Hai, das Gemach ist sehr schön“, sagte die Rothaarige aber dann mit einem etwas entschuldigenden Lächeln zurück. „Fast so schön wie der Garten, nicht wahr, Itoko?“, fragte eine andere Stimme dazwischen, auf die sofort ein missmutiges Zischen von einem der Erwachsenen folgte: „Still. Wir sind hier am Schloss, also benimm dich auch so!“ Kyoko, Akeno und Benika sahen sich kurz an, ehe sie in einer fast synchronen Bewegung ihre Fächer zückten, die sie grundsätzlich nur bei solchen wichtigen Anlässen bei sich trugen. Im Sichtschutz des bemalten Papiers kicherten sie dennoch, ohne großartig auf die Etikette zu achten. Azarni ermahnte sie diesmal nicht, fand sie die eben beobachtete Szene doch ebenso amüsant. „Oh, lasst sie nur. Vielleicht gehört ihr ja bald zur Familie. Da werden wir euch doch nicht den Mund verbieten“ Die beiden Cousinen, die bei der Ermahnung zusammengeschrocken waren, lächelten erleichtert, während die Miene von Umekos Mutter etwas nervös geriet. Wieder musste Azarni sich zusammennehmen, nicht die Stirn zu runzeln. Warum wurde sie das Gefühl nicht los, dass hier etwas nicht stimmte? ~*~ Als Sayuri am nächsten Morgen aufwachte, saß Saika neben ihrem Lager, wünschte ihr lächelnd einen guten Morgen. Sayuri antwortete noch etwas verschlafen, setzte sich dann aber auf. „Möchtest du heute mit uns frühstücken, Sayuri?“, wollte die ältere Hanyô wissen. Sayuri nickte eifrig. Bisher hatte sie nur allein gegessen, gut, meistens war Rin bei ihr gewesen, aber sonst niemand. So aber ließ das Mädchen sich bereitwillig helfen, als Saika ihr den Kimono anzog. Noch kam Sayuri damit nicht allein zurecht. Zu ungewohnt war diese Art Kleidungsstück. Dann folgte sie der Älteren. Der Kimono, den sie trug, war noch der Alte von Hotaru, vor einigen Tagen war ihr ein eigener angemessen worden, aber bis der fertig war, dauerte es wohl noch etwas. Sayuri störte sich nicht daran, im Moment hatte sie andere Sorgen: Sie hatte einen Bärenhunger! Derweil hatte Natsu ausgemacht, dass Kagome sich bereits in der Bibliothek aufhielt. „Irgendwann gehst du nochmal dazu über, hier zu übernachten“, bemerkte sie ironisch, als sie an den Tisch trat, an dem Kagome arbeitete. Die verzog nur das Gesicht und schob das Buch etwas von sich. „Es ist gruselig, Natsu. Immer wenn ich glaube, eine Spur gefunden zu haben, offenbart sich ein paar Seiten darauf, dass alles im Sande verläuft. Es ist zum verrückt werden“, stöhnte sie, ohne auf die Worte ihrer Schwägerin einzugehen. Natsu verschränkte die Arme ineinander. „Vielleicht kannst du Sayuri ja nach ein paar Hinweisen fragen. Rin hat das Kunststück fertig gebracht, Sayuri die Wahrheit schonend genug beizubringen. Und siehe da, anscheinend wusste Sayuri sogar, dass sie adoptiert ist, wenn auch nicht viel mehr. Aber wer weiß, was dir noch so für Fragen einfallen. Außerdem… sie hat dich lange nicht zu Gesicht bekommen. Sayuri wird sich bestimmt freuen“ In Kagomes Augen stand das Erstaunen deutlich geschrieben. Wieder einmal bewunderte sie Rin dafür, dass die offenbar jede Art von Gespräch zu führen wusste. Nun, wer es als kleines Kind bereits schaffte, Sesshômaru aufzutauen, der war offenbar mit einigem Talent gesegnet. „Das glaube ich gerne, Natsu. Aber du hast Recht, ich bin auch froh, wenn ich hier mal wieder raus komme. Ich tue ja kaum noch etwas anderes. Selbst meine Kinder haben kaum mehr etwas von mir. Hotaru ist fast nur noch hier am Schloss und Kikyô arbeitet trotz der Hitze für zwei, um mein Fehlen auf den Kräuterfeldern zu überdecken. Von InuYasha will ich gar nicht reden. Der kriegt mich sowieso kaum mehr zu Gesicht“ „Da kannst du ja fast froh sein, dass Akio und Itoe nicht hier sind, hm?“ Unbemerkt von Kagome war Rin zu ihnen gekommen. Kagome grinste schief. „In dieser Hinsicht vielleicht. Aber ich werde natürlich niemals froh sein, dass ich die beiden so selten zu Gesicht bekomme. Es wird Zeit, dass sie sich mal wieder blicken lassen“ „Schon klar, Kagome. – Sag mal, hast du eigentlich überhaupt gefrühstückt?“ Die Miko schüttelte etwas den Kopf. „Na dann komm, du kannst bei uns mitessen. Sayuri ist diesmal auch dabei. Sie ist früh genug wach geworden“, sagte Rin nur und ohne zu Zögern folgte Kagome ihrer ‚Nichte‘. Natsu sah ihnen nur kurz hinterher. Hätte sie nicht eigentlich mit Kagome reden wollen? Gut, dann eben später… Sayuri sah sich derweil staunend um. So ein großer Tisch! Dann entdeckte sie Teshi und lief freudestrahlend zu ihm hinüber um ihn zu begrüßen. Saika sah dem kleinen Mädchen und ihrem Bruder zu, während sie sich bereits setzte. Sie wusste, dass das Arbeitszimmer von Sesshômaru nur ein paar Zimmer weiter war und dass er sicher nicht begeistert war, wenn hier getobt wurde, zumal er um diese Zeit meist schon arbeitete, aber sie wusste ebenso gut, dass er die Kleinen selten ermahnte, solange sie nicht völlig über die Strenge schlugen. Das wusste auch Rin, die eben den Raum betrat. Sie schmunzelte leicht, bei dem Gedanken. Schon früher hatte Sesshômaru eher den Meckerkopf Jaken ruhiggestellt, als sie, egal wie viel sie getobt hatte. Apropos, wo ist Jaken eigentlich? Hat Masa ihn schon wieder rausgeekelt? Sie alle wussten, dass die letzten fünfhundert Jahre dem privaten Kleinkrieg der Haushofmeisterin und des kleinen Krötendämons keinen Abbruch getan hatten. Offenbar hatte Jaken sich wieder irgendwo verkrochen und schmollte. Seit Rin Masa einmal gefragt hatte, wusste sie, dass das alles auf einer von vielen unbedachten Äußerungen Jakens begründet lag, die sich aber leider gegen den ehemaligen Inu no Taishô gewendet hatte. Und da Masa auf eben jenen fast so viel hielt wie Sesshômaru persönlich, war Jaken sein vorlautes Mundwerk mal wieder nicht gut bekommen. Während sie nachdachte, hatte sie sich an ihren Platz begeben und mit dem Frühstück begonnen, wie die anderen um sie herum auch. Kagome saß dabei direkt neben Sayuri und musterte die Kleine aus dem Augenwinkel. Sayuri war anscheinend wieder vollkommen gesund. Kein Fieberglanz, keine Schwäche mehr. Appetit hatte sie auch zu Genüge. Ein vorsichtiges Fühlen bestätigte Kagome darin, dass Sayuris Energien inzwischen im Einklang waren. Es war weitestgehend ungefährlich, sie jetzt mit dem Training beginnen zu lassen. Prompt fühlte sie Aratas Yôki näher kommen. „Sayuri?“, ließ sich da Rin vernehmen. Die kleine Hanyô blickte sofort auf, ohne allerdings das Kauen zu unterbrechen. „Sag mal, Sayuri, erinnerst du dich noch, was Teshi gestern mit dem Ast gemacht hat?“ Gestern war Teshis erste Trainingsstunde mit InuYasha gewesen und es war ihm tatsächlich gelungen, die Blutklingen einmal zu rufen und damit einen Ast zu zerfetzen – auf den er zwar nicht gezielt hatte, aber das war für den Anfang unwichtig. Sayuri nickte. „Möchtest du so etwas ähnliches auch lernen?“, fragte Rin weiter, ganz als wäre das nicht längst beschlossene Sache. Sayuris Ohren zuckten etwas. „Kann ich das denn?“, wollte sie skeptisch wissen. „Würde ich sonst fragen?“, fragte Rin zurück und lächelte das Mädchen an. Da nickte Sayuri heftig. „Klar will ich!“ Sie war schon im Begriff aufzuspringen, da hielt Kagome sie zurück, in dem sie ihre Hand leicht auf Sayuris legte. „Warte mal eben einen kleinen Moment“, bat sie sacht. Etwas wiederwillig blieb Sayuri wo sie war. Kagome schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Ich will dich nicht aufhalten, ich möchte nur etwas von dir wissen“ Ihr war nämlich eine Idee gekommen, die Sesshômaru zwar nicht gefallen würde, aber was wollte man machen. Sayuris grüne Augen sahen sie fragend an. „Sag, Sayuri, dein Adoptivvater… wie heißt er?“ Sayuri senkte kurz den Blick, ehe sie den Kopf schief legte: „Otou-san heißt Hibiko“ „Und weiter?“, hakte Kagome nach. Während Rin etwas fragend dreinblickte, brauchte Sayuri nicht lange nachzudenken. „Kuromori. Kuromori Hibiko“, nannte sie den vollen Namen ihres Adoptivvaters. Kagome nickte leicht. „Gut. Und wo habt ihr gewohnt? Wie heißt die Stadt?“ Sayuri runzelte etwas die Stirn. „Das weißt du nicht?“, fragte sie. Kagome verneinte. „Woher sollte ich? Man hat dich zu mir gebracht, ich weiß nicht, wo du herkommst“ Damit schien Sayuri einverstanden: „Nemuro“ „Nemuro also. Danke, Sayuri“, gab Kagome nur zurück, ehe sie ihre Hand von Sayuris nahm und die Kleine sofort aufsprang. Im gleichen Moment betrat Arata den Raum. Sayuri verharrte in der Bewegung. „Der ist neu“, bemerkte sie unbefangen. Das zeigt, dass du noch nicht gelernt hast, dich auf deine Sinne zu verlassen…, dachte Kagome bei sich und ein Blick zu Rin zeigte ihr, dass die ihre Gedanken teilte. Immerhin war Arata in letzter Zeit öfter in Sayuris Nähe gewesen. „Er heißt Arata. Und er wird dir beibringen, so etwas zu machen wie Teshi gestern“, sagte Rin aber nur und ließ Sayuri gehen. Kagome sah ihr einen Moment nach, ehe sie sich auf Rins stumme Frage zuvor besann. „Außerhalb des Bannkreises hat jeder Mensch zwei Namen. Einer ist sein eigener, der andere zeigt, zu welcher Familie er gehört“, erklärte sie also. Rin schien zu verstehen, denn sie nickte leicht. Da schien ihr etwas einzufallen. „Ach, übrigens… Sayuri hat einmal erwähnt, ihr Adoptivvater… täte manchmal so, als sei er ‚von ganz früher‘, wie sie das ausdrückte. Ich weiß ja nicht, ob du etwas damit anfangen kannst…“ Kagome hatte aufmerksam zugehört und nickte jetzt mit einem dankbaren Lächeln. „Oh doch, ich denke, damit lässt sich einiges anfangen. Danke, Rin!“ Kapitel 14: Erinnerungen und Überraschungen ------------------------------------------- „Endlich erwische ich dich mal, Kagome“ Die Miko sah auf, als Natsu an sie heran trat und legte die Unkrautbüschel beiseite, die sie gerade ausgerupft hatte. „Worum geht es denn?“, fragte sie und erhob sich langsam, um bei der Hitze keinen Schwindel zu provozieren. Dieser Sommer war wirklich mörderisch. Natsu musterte das leicht angedörrte Kräuterfeld, ehe sie antwortete. „Hat InuYasha dir erzählt, dass ich vor ein paar Tagen mit ihm gesprochen habe?“ Kagome nickte leicht. „Ja, heute Morgen, ehe er aufgebrochen ist, zur Patrouille. Warum?“ „Nun, ich möchte dich gerne etwas fragen. Auch auf die Gefahr hin, dass das unschöne Erinnerungen weckt“ Kagome streckte sich kurz, ehe sie ihre Schwägerin ansah. „Du willst wissen, was geschieht, wenn InuYasha durchdreht, nicht wahr?“ Natsu blinzelte ein wenig überrascht. „Woher weißt du das?“ Kagome lächelte etwas traurig. „Es ist leicht zu erraten, Natsu. Das ist so ziemlich das einzige, was InuYasha dir nicht selbst sagen kann. – Komm“ Damit machte sie sich auf den Weg richtung Hütte. Drinnen angekommen setzte sie sich auf ihren Futon und sah etwas nachdenklich drein. „Wenn ich mich recht erinnere, dann haben wir das erste Mal Naraku zu verdanken. Das heißt, nicht direkt, aber einer seiner Abkömmlinge war schuld. Damals hatte InuYasha die Windnarbe schon entdeckt, die den Kerl eigentlich mit Leichtigkeit hätte zerlegen können, aber leider konnte Goshinki Gedanken lesen. Also ist er ausgewichen. Und als InuYasha mit der bloßen Klinge zuschlug, hat er einfach draufgebissen. Goshinki war stark genug, Tessaiga zerbrechen zu lassen und InuYasha war da schon schwer verletzt. Dann plötzlich wendete sich das Blatt. Auf einmal veränderte sich InuYashas Haltung, seine Stimme, schließlich sah man auch, dass seine Augen glühend rot geworden waren. So wie die von Sesshômaru, wenn er seine wahre Form zeigt. Und auf einmal konnte er Goshinki treffen, ihn mit nur einem Klauenschlag zerfetzen. Goshinki kam nicht mehr dazu, auszuweichen“ „Aber wie das, wenn er doch Gedanken lesen konnte?“, fragte Natsu nach, als Kagome kurz verstummte. „Ich weiß es nicht genau, aber ich kann Vermutungen anstellen. Wenn InuYasha durchdreht, ist er nicht mehr Herr seiner selbst. Seine einzige Handlung besteht daraus, zu töten was sich bewegt. Mag sein, dass auch seine Gedanken erlahmen, er nur noch ans Morden denkt und seine Bewegungen purer Instinkt sind. Instinkt verursacht keine Gedanken“ „Das wäre möglich. Und dann?“ „Dieses Mal war er noch einigermaßen bei sich. Er warnte uns, ihm nicht näher zu kommen. Ich tat es natürlich trotzdem“ Jetzt zuckte ein leichtes Lächeln über Kagomes Lippen, als sie sich erhob und an eine der Truhen herantrat, die im hinteren Teil der Hütte standen. Nach ein wenig Kramen zog sie etwas heraus, an dem Natsu sofort eine leichte, reine Magie ausmachen konnte, die aber sichtlich inaktiv war. Es schien eine Art Kette zu sein. „Das ist eine Bannkette. InuYasha trug sie früher, zu Beginn, damit ich ihn zur Räson bringen konnte, später habe ich sie das ein oder andere Mal missbraucht um einen Streit abzukürzen. Ein Wort von mir und InuYasha wurde an den Boden genagelt. Damit habe ich ihn beim ersten Mal zurückgeholt. Beim zweiten Mal kam uns Sesshômaru in die Quere. Er nutzte es aus, dass InuYasha durchgedreht war, um seine wahre Stärke zu sehen. Dabei bekamen wir Zuschauer zum ersten Mal einen Eindruck davon, wie unempfindlich gegen sich und seine Umwelt InuYasha in seiner Dämonenform ist. Er spürt nichts mehr, nicht einmal seinen eigenen Schmerz. Sesshômaru hätte ihn in seine Einzelteile zerlegen können und InuYasha hätte es nicht gemerkt. Aber Sesshômaru schlug ihn nur bewusstlos und verschwand. Da Tessaiga diesmal ganz war, konnte wir es InuYasha zurückgeben und er wurde wieder normal. Dennoch haben wir gemerkt, dass je mehr Blut InuYasha in Dämonenform schmeckt, desto weniger Verstand besitzt er. Je mehr er tötet, desto mehr dreht er durch…“ Kagome musste kurz schlucken, ehe sie weitersprach: „Aber es gab noch eine dritte, erwähnenswerte Szene. Eine ganze Zeit später gerieten wir in einen Kampf im Inneren eines Dämons. Weil nichts mehr nützte, stärkte InuYasha Tessaiga mit Juwelensplittern. Dadurch wurde aber Tessaigas eigene Aura so sehr gesteigert, dass InuYashas Dämonenteil sich dagegen auflehnte. Er war wieder drauf und dran, durchzudrehen. Der Gefahr zum Trotz bin ich zu ihm, hab‘ ihn umarmt und ich weiß bis heute nicht, ob es meine Mikokraft oder meine Gefühle waren, die InuYasha auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt haben. Damals lernten wir, dass es eine Art gedrosselte Dämonenform gibt, in der er sich unter Kontrolle hat und sinnvoll kämpfen kann. Man erkennt sie daran, dass trotz roter Augen die goldenen Iriden sichtbar sind. Aber ohne meine Hilfe hätte er die weder erreicht noch aufrechterhalten können. Allein hatte er sich in Dämonenform nie unter Kontrolle“ „Es waren Eure Gefühle, Kagome-sama. Gegen Mikokraft hätte sich InuYasha-samas Dämonenblut nur noch mehr aufgelehnt. Einzig Euer Gefühl könnte in der Lage gewesen sein, ihn zu erreichen, seinen Verstand – und seine eigenen Gefühle – zu wecken“, mischte sich da jemand ein, den beiden Gesprächspartnerinnen vorher nicht bemerkt hatten. Myôga nutzte das um Kagome seine Art von ‚Gruß‘ zukommen zu lassen, was die aber nur damit beantwortete, dass sie ihn, wie es sonst InuYasha tat, abklatschte. Der Flohgeist segelte zu Boden. „Das hat man nun davon, wenn man hilfreiche Ratschläge gibt…“, jammerte er wehleidig. Natsu sah den kleinen Kerl mit gerunzelter Stirn an. „Also bedeutet die Verwandlung absolute Stärke aber auch absoluten Kontrollverlust. Je länger sie andauert, desto schlimmer wird es. Und einzig eine kontrollierende Magie wie sie Tessaiga enthält, oder starke, positive Gefühle, können dagegen ankommen“, fasste sie zusammen und reduzierte die Erzählung damit auf drei schlichte Regeln. Kagome nickte und Myôga schloss sich dieser Geste an, sobald er wieder aufrecht stand. ~*~ Arata war derweil mit Sayuri im Schlepptau richtung Trainingsplatz gegangen. Er nutzte den Weg, um sie zu mustern. Sie war schmächtig und klein, eben noch ein richtiges Kind. Er würde fast vorsichtiger sein müssen als damals, als er mit Rins Training begann. „Hast du deine Klauen schon einmal eingesetzt?“, wollte er schließlich von Sayuri wissen. Die sah zu ihm auf, ihre tierischen Öhrchen zuckten etwas. „Ja, gegen diese… diese komische Grauhaarige“, antwortete sie dann. Arata überlegte kurz, ehe ihm ein Licht aufging. Kaori. Jene Aufrührerin, die nun schon seit über einer Woche unten im Kerker schmorte. Sesshômaru hatte offenbar noch keine Muße gehabt, die Taubendämonin näher zu beachten. „Weißt du auch noch, wie du das gemacht hast?“, fragte er aber weiter. Sayuri hob die Hände, bog sie ansatzweise zu Klauen und machte dann eine halbherzige Bewegung nach unten außen. Arata spürte das kurze Aufflammen von Yôki an den Fingern der Kleinen, aber ihre Geste war zu unbestimmt, als dass der Klauenangriff, der ihr innewohnte, sich aktiviert hätte. Aber er wusste nun, wie es zu Kaoris schweren Verletzungen gekommen war. Sayuri hatte mit beiden Händen gleichzeitig zugeschlagen und das zugleich direkt in Kaori Körper gejagt, nicht nur durch die Luft geschlagen. Instinktiv hatte sie so gehandelt, dass der Klauenangriff seine zerstörerischste Wirkung entfalten konnte. „Versuch es mal nur mit einer Hand“, forderte er ruhig. Sayuri hob wieder die Hand und wiederholte die Geste, allerdings erneut zu lasch, als das etwas passiert wäre. Außerdem waren ihre Finger zwar gebogen, aber alles andere als angespannt. Ihr fehlt das Gefühl für den Kampf… ihr Denken ist das eines Menschen… Arata verzog nachdenklich das Gesicht, ehe er einen dünnen Zweig von Boden griff. „Schau mal, Sayuri. Nimm diesen Zweig in die Hand. Aber nur mit den Klauen, genau, nur die Spitzen halten den Zweig“ Beim ersten Versuch ließ Sayuri den Zweig fallen, weil er ihren Fingern entglitt. Zwar waren die Klauen einer Hanyô nicht so nachgiebig wie menschliche Fingernägel, aber genau das war sie schließlich noch nicht so wirklich gewöhnt. „Versuch‘ es noch einmal“, sagte Arata geduldig. Er ahnte schon jetzt, dass er mit Sayuri nur in sehr kleinen Schritten vorankommen würde. Sie war nicht dumm und nicht faul, sie versuchte es ihm recht zu machen, aber noch war sie sehr ungeschickt und kannte ihren eigenen Körper nicht. Immerhin gelang es ihr diesmal, den Zweig festzuhalten. „Sehr gut, Sayuri. Und nun… versuche mal, den Zweig kaputt zu kriegen. Drück‘ ganz fest zu“ Sayuri versuchte es – und prompt entglitt ihr der Zweig wieder. Von einigen schmalen Streifen seiner Rinde befreit war er noch immer in einem Stück. „Nicht schlimm, Sayuri. Nochmal“ Aratas dunkle Augen verrieten nicht, wie sehr es in ihm arbeitete. Mit den normalen Übungen würde er hier nicht weiter kommen. Normalerweise wusste ein Hanyô, was sein Instinkt war, das hatte er bei Teshi und Saika gesehen. Nach wenigen Trainingseinheiten hatte man die beiden gegen unbedeutende Wurmdämonen schicken können und sie hatten gewusst, wie sie zu reagieren hatten. Bei Sayuri würde das so nicht funktionieren. Da würde er sehr theoretisch arbeiten müssen. Und das beanspruchte Zeit. ~*~ „Tadashi? Bleib‘ mal hier“ Die vergleichsweise ernste Stimme seiner jüngsten Schwester ließ den Kitsune-Prinzen innehalten. Mit einem skeptischen Seitenblick auf die Silberhaarige ließ er sich wieder auf den Tatami-Matten nieder, die die Ecke der Bibliotek bedeckten. „Was ist los, Kyoko?“, wollte er wissen. Fast erwartete er, dass sie wieder von Shippô anfangen würde, stattdessen schnitt sie ein ganz anderes Thema an: „Yukiko und Umeko… irgendetwas ist seltsam mit den beiden. Sie verstehen sich so gut und doch sorgt immer einer von den Erwachsenen dafür, dass sie selten zusammen sind. Zu mindestens nicht, wenn kein anderer in der Nähe ist. Und Umeko hört reichlich selten auf ihren Namen. Ist dir das nicht auch aufgefallen?“ Tadashi legte etwas den Kopf auf die Seite. „Schon. Aber worauf willst du hinaus, hm?“ Kyoko brummelte leise vor sich hin, während sie unverwandt durch die großen Fenster blickte. „Ich weiß nicht, aber irgendwie habe ich das Gefühl, die ganze Truppe hat etwas zu verbergen“ Langsam nickte Tadashi. Jetzt wo Kyoko das sagte, fiel es ihm auch auf. „Du hast deine gute Beobachtungsgabe nicht verloren“, bemerkte er nur, hoffend, dass das nicht zu direkt war. Er wusste, dass sie solcherart Sprüche gerne an ihr Kennenlernen mit jenem so schmerzlich vermissten Adoptivbruder erinnerten. Aber diesmal schien sie das selbst nicht wahrzunehmen. „Ich hoffe ja selbst, dass da nichts hinter steckt, aber du weißt, dass gerade wir stets gefährdet sind. Mehr als andere Dämonenarten“ Wieder nickte der Ältere. „Da hast du Recht. Kitsune sind nicht umsonst Illusionsherrscher. Wir halten einfach beide die Augen offen, einverstanden? Vier Augen sehen mehr als zwei“ An Kyokos dankbarem Lächeln erkannte er, dass sie genau das bezweckt hatte. Sie beide mochten sich oft genug in den Haaren haben, wenn es darauf ankam, konnten sie ein ebenso verschworenes Team sein. Als Tadashi kurz darauf den Flur entlanglief, war er noch ein wenig in Gedanken. Beinahe zu spät merkte er, dass ihm jemand entgegen kam. Wie gerufen…, dachte er bei sich, als er die Witterungen erkannte, lief aber weiter, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Nur kamen ihm die beiden nicht näher. Jetzt hielt er doch inne. Dort vorne, hinter der Biegung war nur ein Gemach und das wurde eigentlich nur von Kyoko öfters betreten. Shippôs ehemaliges Zimmer. Was wollten die beiden denn da? Waren sie einfach nur neugierig, was sich hinter dieser Tür verbarg oder verfolgten sie ein Ziel? War er des Rätsels Lösung etwa schon auf der Spur? Rasch unterdrückte er sein Yôki und trat langsamer, behutsamer näher. Tatsächlich stand die Schiebetür einen Spalt auf und er erkannte Umekos unverwechselbaren, grüngemusterten Kimono. Und er hörte ihre Stimme: „Wer hier wohl einmal gewohnt hat? Das sieht so verdammt aufgeräumt hier aus. Als ob der Bewohner schon lange nicht mehr hier war. Was meinst du dazu, Umeko?“ Umeko!? Führte sie etwa Selbstgespräche? Nein. Überrascht vernahm Tadashi eine antwortende Stimme – von der jungen Yôkai, die er als Yukiko kannte: „Sieht ganz so aus, Yukiko. Interessieren würde es mich ja auch, aber sie sähen es sicher nicht gerne, wüssten sie, dass wir uns hier umgesehen haben“ „Allerdings!“ Tadashi hielt es für richtig, sich einzumischen. Langsam schob er die Tür gänzlich auf, blieb aber im Rahmen stehen. Die beiden jungen Yôkai wirbelten herum, blass vor Schreck. „Was…?“, setzte die im gemusterten Kimono – Umeko oder nicht? – an. Tadashi lachte trocken auf. „Was ich hier tue? Dieses Gemach gehört zum Familientrakt. Ich habe hier mehr zu suchen, als ihr“, stellte er klar. Schuldbewusst senkte die Sprecherin den Kopf, während die andere seinen Blick kurz trotzig erwiderte, ehe auch sie die Wimpern niederschlug. Tadashi zog eine Augenbraue hoch, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Die, die er als Umeko kennen gelernt hatte – Kanayes baldige Verlobte – sprach ihre Cousine mit dem Namen Umeko an, während sie selbst auf den Namen Yukiko hörte. Er beschloss, es darauf ankommen zu lassen. „Was wird hier gespielt?“, wollte er ernst wissen. Die Hellbraunhaarige sah wieder auf. „Wenn wir ehrlich sind… erzählt Ihr uns dann, wem dieses Gemach gehört?“, fragte sie frech. Tadashi sah sie forschend an, dabei hätte er am Liebsten gelacht. Das war ja wohl die Höhe. Aber gut, wenn er dadurch mehr erfuhr – und er nahm scharf an, dass das, was die beiden zu verbergen hatten, brisanter war, als die Tatsache, dass dieses Gemach einem verschollenen Adoptivbruder gehörte. Also nickte er schlicht. Die Hellbraunhaarige kicherte, wollte gerade wieder ansetzen, da sah auch die andere wieder auf. „Das meinst du jetzt nicht ernst, oder? Deine Eltern meucheln uns!“, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. Ihre Cousine zog eine Schnute, ohne den Blick von Tadashi zu nehmen, dann seufzte sie leise. „Gomen, Itoko… aber er hat uns gehört, er errät es sowieso früher oder später. Und er weiß jetzt, dass etwas mit uns nicht stimmt“ Tadashi sah sich das Hin und Her der beiden nicht länger an. „Was geht hier vor?“, stellte er seine Frage erneut, schärfer diesmal. Er ahnte langsam, dass da einiges hinterstecken musste. Schließlich ließ die Rothaarige die Schultern resignierend nach vorne fallen. „Sag‘ schon, Itoko… du hast ja Recht, es ist längst zu spät…“, murmelte sie fast tonlos. Tadashi verschränkte abwartend die Arme vor der Brust, die Augen nicht von der Hellbraunhaarigen nehmend, wohlwissend, dass er dadurch an der leichten Röte auf ihrem Gesicht nicht ganz unschuldig war. Aber diesmal interessierte ihn das herzlich wenig. Schließlich begann sie aber zu erzählen: „Meine Cousine heißt eigentlich Yukiko. Umeko, das bin ich. Ich bin die Tochter jener Yôkai, die Euch als Brauteltern vorgestellt wurden. Aber ich… ich wäre als Verlobte Eures Bruders niemals in Frage gekommen. Deswegen ersannen meine Eltern diese Maskerade“ Die darin bestand, die beiden Cousinen ihre Identitäten wechseln zu lassen, keine Frage. Aber… „Was mach dich weniger qualifiziert, als sie?“, fragte Tadashi direkt nach, zum einen lauernd, zum anderen aus echtem Interesse. Die Hellbraunhaarige lächelte etwas nervös. „Ich… ich bin im Gegensatz zu Yukiko… keine DaiYôkai“ Jetzt grinste Tadashi wirklich. Er hatte da mit ganz anderen Intrigen gerechnet. „Das ist das einzige Problem? Und dann hat man dem Brautwerber nicht gleich die richtige Cousine als Anwärterin vorstellen können?“, fragte er kopfschüttelnd nach. Die Rothaarige verzog das Gesicht. „Fragt das meine und Umekos Eltern, Ôji-sama“ „Hat meine Mutter nicht letztens bei Bankett noch gesagt, ihr sollt die Förmlichkeiten sein lassen?“, fragte er bloß zurück. „Ja, aber doch… weil wir vielleicht zur Familie gehören werden. Da-“ „Das ist jetzt nicht unwahrscheinlicher als vorher“, stellte Tadashi klar, noch ehe die echte Umeko ausreden konnte. Er lächelte leicht. „So ein blödes Verwirrspiel wird wohl aufzulösen sein. Aber vorerst ist euer kleines Geheimnis bei mir sicher, keine Angst“ Im nächsten Moment fand er Umeko an seiner Brust wieder, die ihn dankbar umarmte. „Oh, Gomen… Es ist nur… unsere Eltern würden uns persönlich umbringen, wenn sie wüssten, dass wir uns verplappert haben“, stotterte sie, als sie rasch wieder auf Abstand ging und die zarte Röte auf ihren Wangen war deutlich intensiver geworden. Tadashi bemühte sich, nicht allzu offensichtlich zu grinsen. Schließlich habe ich so etwas provoziert… ich erinnerte sie doch daran, dass Förmlichkeit Schwachsinn ist…, feixte er gedanklich, ehe er sich umwandte. Als er schon halb aus der Tür war, sagte er noch: „Ach, Umeko, weil du es wissen wolltest… dieses Gemach gehörte einst meinem Adoptivbruder. Nur leider ist der Gute seit vielen Jahren verschwunden. Wir wissen nicht, was aus ihm geworden ist“ Mit diesen Worten beschleunigte er seine Schritte und bog um die Ecke. Er merkte nicht, dass ihm jemand aus zu Schlitzen verengten, tieftürkisen Augen nachblickte. ~*~ Nachdenklich saß Kagome vor ihrer Hütte. In den letzten Tagen hatten sie rein gar nichts über die kleine Sayuri herausfinden können, selbst die Bibliothek gab langsam nichts mehr her. Rein theoretisch gab es nur eine Chance, an neue Informationen zu gelangen – man müsste aus dem Bannkreis heraus und versuchen, im neuzeitlichen Japan Nachforschungen anzustellen. Der Mann, der Sayuris erste Jahre begleitet hatte, kam ja schließlich von dort. Aber allein wollte und konnte sie das nicht veranstalten. Da merkte sie plötzlich, dass sich jemand neben sie gesetzt hatte. „InuYasha?“ Sie war doch etwas überrascht, ihn so früh hier zu sehen. Seit er das Kampftraining von Teshi und Saika ein wenig begleitete, wurde er davon gerne mal länger in Anspruch genommen. Das er vor Sonnenuntergang hier auftauchte, war an diesen Tagen selten. Und jetzt war gerade einmal Mittag vorbei. Außerdem hielt er auch noch etwas in der Hand, ein Päckchen, das in roten Stoff gewickelt war, rot wie sein üblicher Suikan. Ebenfalls Feuerrattenhaar. Sie legte etwas den Kopf schief, eine Geste der Verwunderung, die sie sich mit den Jahren angewöhnt hatte. Das kam davon, wenn man mit hundeblütigen Dämonen in engem Kontakt lebte. InuYasha grinste ein wenig, ehe er ihr das Päckchen wortlos auf den Schoß legte. Vorsichtig schob Kagome den Stoff auseinander – und glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als sie sah, was darin eingewickelt gewesen war. Schmunzelnd stemmte sie die Hände in die Hüften. „Und ich mache mir Gedanken, ob ich es dir zumuten kann, dich mitzuschleifen…“, bemerkte sie gespielt entrüstet. InuYasha verschränkte nur vielsagend die Arme und sah sie mit vor Schalk blitzenden Augen an, ehe er ernster wurde. „Ich habe sie damals in Kaedes Hütte gefunden, als der Brunnen sich für die drei Jahre schloss. Es wundert mich selbst, dass sie noch in so gutem Zustand ist, scheint als habe der Stoff sie geschützt“, erläuterte er dann. Kagomes Blick wanderte wieder in ihren Schoß. Auf dem auseinandergeklappten Stoff lag die alte, dunkle Basecap, die sie InuYasha immer aufgezwungen hatte, wenn er mit ihr im neuzeitlichen Tokio unterwegs gewesen war. Wie hatte er sie damals gehasst. Und jetzt, weit über fünfhundert Jahre später, kam er selbst auf die Idee, sie mit ihrer Hilfe zu begleiten? „Du hast also den gleichen Plan, wie ich, hmm? Dass wir Sayuris Ziehvater suchen gehen?“ InuYasha lächelte ein klein wenig. „Was bleibt uns anderes übrig. Und wenn wir schon mal dabei sind…“, deutete er an. Kagome blinzelte überrascht. „Da liegt halb Japan dazwischen“, bemerkte sie stockend, erstaunt fiel ihr auf, dass sie einen Kloß im Hals hatte. Über fünfhundert Jahre kein Kontakt und jetzt war es zum Greifen nahe. „Du hast den Hanyô-Express, Kagome…“, murmelte InuYasha da und sie musste unwillkürlich lachen. Dass er sich den alten Spruch gemerkt hatte. So lange sie nun schon an seiner Seite weilte, manchmal überraschte er sie noch immer. Ihre Augen brannten vor lauter Rührung. Sie schluckte, dann warf sie sich dem Hanyô in die Arme. Etwas überrascht fing er sie auf, hielt sie sanft fest. „Sie werden sich freuen, dich einmal wiederzusehen…“, fügte er nur noch hinzu. Kagome spürte, dass ihr die Freudentränen über die Wangen rannen, während sie den Kopf an InuYashas Schulter lehnte. „Und ich erst, InuYasha… und ich erst…“ Kapitel 15: Reiseplanung ------------------------ „Ihr könnt nun ins Audienzzimmer, Kagome-sama, InuYasha-sama“ Jaken hustete und verschluckte sich beinahe an der Ehrenanrede, aber er brachte sie über die Lippen. Der kleine Krötendämon tat sich auch nach all den Jahren noch schwer, die menschliche Miko und den Hanyô zu respektieren, aber er wusste ganz genau, dass bei Missachtung der Höflichkeitsregeln sein Herr Sesshômaru ganz andere Dinge vergessen würde. Lebenserhaltende Grenzen beim Umgang mit hilflosen, kleinen Krötendämonen zum Beispiel. Also beeilte er sich lieber, die Schiebetür aufzuschieben und die beiden hindurch zu lassen. Sesshômarus goldener Blick empfing Halbbruder und Schwägerin abwartend, ehe er sich auf das Utensil in InuYashas Hand richtete. Die Cappy. „Was hat es damit auf sich, InuYasha?“, wollte er knapp wissen, kaum dass die beiden vor seinem Pult knieten. Kagome atmete etwas durch. „Mir ist noch etwas eingefallen, wie wir an Informationen über Sayuri kommen könnten. Da hier nichts mehr ist, müssen wir eben an anderer Stelle suchen. Und diese andere Stelle heißt Kuromori Hibiko“, antwortete sie an InuYashas Stelle. An Sesshômaru leicht fragendem Blick erkannte sie, dass er sich weitersprechen ließ, also setzte sie unbehelligt fort: „Sayuris Adoptivvater. Der Mann lebt nicht weit entfernt vom Bannkreis. Ich denke, wir sollten ihn suchen und zu Rate ziehen“ „Zu Rate ziehen“, wiederholte Sesshômaru in einem Tonfall, der Kagome sofort an seinen manchmal doch recht sadistischen Humor erinnerte. „Naja, wir sollten ihn schon am Leben lassen. Immerhin hat er Gefährtin und Kinder. Aber vielleicht weiß er mehr über Sayuris wahre Eltern, als wir glauben. Man sollte ihn wenigstens fragen“, beeilte sie sich, genauer zu erklären, was sie vor hatte und straffte die Schultern ein wenig. „Dazu müsste ich aber den Bannkreis verlassen und InuYasha würde mich begleiten. Diese Kopfbedeckung“, sie zeigte auf die Cappy, „verdeckt seine Hundeohren, sodass er unter den Menschen nicht so sehr auffällt. Das hat schon früher immer geklappt“ Während sie sprach, sah sie Sesshômaru fest an. Sie wusste, dass es in seiner Entscheidungsgewalt lag, ob er sie gehen ließ. Er war nicht nur das Familienoberhaupt, sondern in gewisser Weise auch ihr Dienstherr, denn seinerzeit hatte sie das Hüten der Sekai no Tía auf seinen ‚Befehl‘ hin übernommen. Damit war sie ihm verpflichtet. Der DaiYôkai erhob sich und drehte ihnen den Rücken zu, sah zum Fenster hinaus. „Der ganze Plan“, verlangte er emotionslos. InuYashas Hundeohren zuckten etwas und auch Kagome grinste in sich hinein. Dem Kerl war eben nichts vorzumachen. „Nun ja, ich würde die Möglichkeit gerne nutzen, meine Familie besuchen zu gehen. Und dazu würde ich Kikyô und Hotaru gerne mitnehmen“, fügte sie an. Eine Weile lang sagte niemand etwas. Gerade als es InuYasha zu bunt wurde und er aufmucken wollte, drehte Sesshômaru sich wieder halb um. Das Sonnenlicht von draußen tauchte sein Gesicht in einen eigenartigen Halbschatten. „Unter einer Bedingung“, bemerkte er ruhig. Kagome legte den Kopf schief. Wo war der Haken? „Ihr geht nicht allein. Kôhei wird euch begleiten“ Damit hatte die Miko nun nicht gerechnet. Dann aber verstand sie, welche Rolle Sesshômaru seinem Schwiegersohn zugedachte, dass er ihn mitschicken wollte. „Warum Kôhei? Einen Anstandswauwau habe ich doch schon“, scherzte sie und zupfte dabei vielsagend an einem von InuYashas Hundeohren. Der grummelte in sich hinein. Sesshômaru drehte sich vollends zu seiner Schwägerin um. Es war ihm anzusehen, dass er ihre Wortwahl missbilligte, aber verstanden hatte, was sie mit der für ihn sicher fremden Wortkreation hatte ausdrücken wollen. „Ich denke wir sind uns einig, dass InuYasha andere Qualitäten besitzt, aber nicht diese“ Touché, dachte Kagome nur, gut gekontert, Sesshômaru… Aber sie stieß gespielt resignierend die Luft aus. „Dir kann man auch nichts vormachen, Sesshômaru. Also gut. Wir gehen mit Kôhei. Aber dann soll er Hofkleidung tragen“ Das schien nun wiederrum Sesshômaru etwas zu verwirren. „Deine ehemalige… Tracht war auch nicht gerade höfisch“, merkte er an. Kagome brauchte einen Moment um zu verstehen, dass er ihre Schuluniform meinte, die sie früher des Öfteren getragen hatte. „Schon, Sesshômaru. Aber Kimonohemd und Hakama sind immerhin unauffälliger als die Wolfstracht. Wir werden sowieso die Blicke auf uns ziehen, wie die bunten Hunde“, wandte sie ein und da sie diesmal einen ernsten Tonfall anschlug, schien der InuYôkai geneigt, ihr das zu glauben. Er würde sicher nicht in die Menschenwelt gehen und es ausprobieren. Aber etwas interessierte ihn dann doch: „Gibt es bei euch noch mehr solcher… Sprichworte über unseren Clan?“ Kagome biss sich auf die Lippe um ein Schmunzeln zu unterdrücken. So hochgestochen konnte auch nur einer wie Sesshômaru es formulieren. „Ja, da gibt es einige. Ich kann dir ja gerne noch ein paar beibringen“, gab sie zurück und konnte sich dabei einen süffisanten Augenaufschlag nicht verkneifen. Sesshômaru zeigte sich gänzlich ungerührt: „Kein Bedarf. – Ihr könnt gehen“ Damit wandte er sich wieder dem Fenster zu und Kagome beeilte sich, InuYasha im Schlepptau, möglichst schnell aus dem Raum zu kommen. Lange konnte sie sich das Lachen nämlich nicht mehr verkneifen. ~*~ Tadashi fuhr zusammen, als sich ihm ruckartig jemand in den Weg stellte. Aber schon auf den zweiten Blick beruhigte er sich wieder. „Kanaye. Was soll das? Ich hätte dich beinahe über den Haufen gerannt“, schimpfte er leise. Der nur wenig ältere Prinz ignorierte seine Ermahnung und machte auch keine Anstalten, ihm wieder aus dem Weg zu gehen. „Was sollte das eben werden?“, wollte er scharf wissen. Tadashi runzelte etwas die Stirn, ehe er schlicht zurückgab: „Unwichtig. Ich erkläre es dir andermal“ Immerhin hatte er sein Versprechen gegeben, dass er das Geheimnis der beiden vorerst für sich behalten würde. „Du erklärst mir also später, warum du mit Umeko allein warst? Sie soll meine Verlobte werden, falls du das vergessen hast“, knurrte Kanaye. Tadashi verdrehte die Augen. „Jein“, gab er unbestimmt von sich. Jetzt knurrte Kanaye erst recht auf. „Was ‚Jein‘ ?“ Resignierend stützte Tadashi die Hand an der Schläfe ab und schüttelte leicht den Kopf. „Soweit zum Thema ich würde es für mich behalten…“, seufzte er leise, ehe er sich beeilte fortzufahren, weil er wusste, dass Kanaye diese Bemerkung durchaus falsch verstehen könnte: „Ich war nicht allein mit ihr, ihre Cousine war auch da. Erstens. Und zweitens… wie erkläre ich das jetzt, ohne dass es zu kompliziert klingt… die Rothaarige, deine zukünftige Verlobte heißt eigentlich Yukiko. Umeko ist die Hellbraunhaarige, die Cousine“ Immerhin erreichte er damit, dass Kanaye für einen Moment der Wind aus den Segeln genommen wurde. Also fuhr Tadashi fort: „Sie sind aus Neugier in Shippôs Gemach gewesen. Ich habe sie belauscht, wie sie sich richtigherum angesprochen haben und sie zur Rede gestellt. Das ist alles. Frag‘ mich nicht, was die Eltern der beiden zu diesem Spielchen bringt, vielleicht wollen sie uns testen, vielleicht wollen sie uns veralbern, vielleicht gibt es einen ernsthaften Grund, die beiden wissen es auch nicht. Fest steht, dass Yukiko – die Rothaarige – eine DaiYôkai ist und die echte Umeko nicht. Das ist das einzige Indiz, das wir haben. Soweit genug der Erklärung?“ Kanaye schien vorerst sprachlos, nickte aber. „Und jetzt?“, fragte er, als er sich wieder etwas gefangen hatte. „Jetzt hatte ich eigentlich gesagt, ich behalte die Geschichte für mich, aber da du es jetzt schon weißt, können wir die anderen auch gleich einweihen und dann gemeinsam überlegen, ob uns eine Lösung einfällt. Ich hätte es ungern, dass die beiden samt Familie hochkant vom Hof gejagt werden“, stellte Tadashi klar und versuchte dabei mit mäßigem Erfolg das wissende Grinsen seines Bruders zu ignorieren. Er wusste längst, dass der durchschaut hatte, warum Tadashi über jeden Tag froh war, den die beiden – und insbesondere die ‚echte Umeko‘ – bei Hofe blieben. ~*~ „Wir gehen Obaa-san besuchen?“ Hotaru jubelte jetzt sicher schon seit zehn Minuten ununterbrochen. Kagome beobachtete den Freundentanz ihrer Jüngsten schmunzelnd, während InuYasha sich demonstrativ vor die Tür verzogen hatte um seine Ohren zu schonen. Schließlich gebot Kagome dem Theater Einhalt, indem sie ihre Tochter an den Schultern festhielt und zu sich herum drehte. Vor ihr kniend sah sie ihre Jüngste ernst an. „Genau genommen gehen wir Sayuris Ziehvater suchen. Aber ja, wir werden den Umweg zu meiner Familie machen, du wirst deine Oma und vielleicht auch deinen Uropa und deinen Onkel kennenlernen. Aber ich möchte, dass du dich benimmst. Ein siebenjähriges Mädchen wie du ist doch groß genug, sich zu benehmen, oder?“ Halb abwartend, halb auffordernd sah Kagome ihre Tochter an. Nach kurzem Zögern nickte Hotaru ernsthaft. „Klar, Okaa-san!“ „Das ist gut. Kikyô und Kôhei werden uns ebenso begleiten. Am Allerwichtigsten ist, dass du niemandem gegenüber, dem ich das nicht auch erwähne, sagst, dass einige von uns etwas anderes als Menschen sind. Dir und deiner Schwester sieht man es kaum bis gar nicht an. Dein Vater wird seine Hundeohren verstecken und Kôheis spitze Ohren fallen hoffentlich weniger auf. Aber du darfst dich nicht verplappern, hörst du?“ Hotaru war zwar noch jung genug, dass man sie im schlimmsten Falle für solcherart Äußerungen höchstens auslachen würde, aber genau das konnte ins Auge gehen. Wer es nicht wusste, unterschätzte gern, dass auch Hotarus Viertel Dämonenblut ihr einige Stärke und Unberechenbarkeit verlieh. Sie könnte es, wenn sie es darauf anlegte, leicht mit Menschenkindern aufnehmen, die doppelt so alt waren, wie sie. Aber genau das sollte sie eben nicht zeigen. „Alles weitere erkläre ich dir Stück für Stück. Es gibt Dinge, auf die wirst du in diesen Tagen achten müssen und später nie wieder. Die Menschen haben sich eine Welt geschaffen, in denen viele Dinge funktionieren, ohne dass jeder sie durchschaut. Und das macht es für jeden gefährlich, der sich nicht an bestimmte Regeln hält. Hast du mich verstanden, Musume?“ „Hai, Okaa-san!“ Na hoffentlich…, dachte Kagome bei sich. Um ihre Älteste machte sie sich da weniger Sorgen. Kikyô wusste sich zu benehmen. Und InuYasha erinnerte sich hoffentlich an frühere Ausflüge. Also erhob die Miko sich. Es waren noch ein paar Vorbereitungen zu treffen. Tief atmete Kagome durch, als sie Hotaru von Kiraras Rücken half und der Nekomata dankend durch die dichte Mähne fuhr. Kirara hatte sie hierher gebracht, würde aber in der Nähe auf ihre Rückkehr warten. Sie komplett mitzunehmen wäre zu auffällig, immerhin sah Kirara selbst in kleiner Form nur zum Teil wie eine normale Katze aus. Kagomes braune Augen richteten sich auf die Umgebung. Der schmale Streifen Strand hier war steinig und rau und dennoch erinnerte sie sich nur zu gut an die Ankunft der Dämonenvölker hier, kurz nachdem der Bannkreis gespannt worden war. „Okaa-san?“ Die Ansprache ließ Kagome zur Seite gucken, wo ihre Tochter ihr gefolgt war. „Hier hast du damals gewartet, in der Zeit des Umzugs, oder?“ Kagome lächelte leicht, während sie nickte. „Als die Dämonenvölker ankamen, ja, da habe ich hier gewartet. Und du warst da auch schon dabei“, sagte sie sacht, griff unwillkürlich nach InuYashas Hand und drückte sie leicht. Er schlang einen Arm um ihre Taille und legte die Hand auf ihren Bauch. Da schien auch Kikyô zu verstehen, wie ihre Mutter den letzten Satz gemeint hatte, denn sie kicherte ein wenig. Derweil hatte auch Kôhei zu ihnen aufgeschlossen. Der Wolfdämon trug wie vereinbart weder die goldbraune Wolfstracht, noch die Rüstung, stattdessen seine Hofkleidung, die aus Kimonohemd und Hakama bestand, beides in gedeckten Tönen. Seine leicht gewellten, honigfarbenen Haare trug er offen, sodass seine Ohren ein wenig verdeckt wurden. Kagome nahm das zur Kenntnis und sah dann dorthin, wo scheinbar wieder Meer lag. Sie aber sah den Bannkreis, der die Luft vibrieren ließ, wie an einem sehr heißen Tag. Unwillkürlich schloss sie die freie Hand um den Anhänger ihrer Kette, um jenen eisblauen Kristall, der so viel mehr Macht hatte, als es schien. Dann sah sie sich zwischen ihren Leuten um. „Seit über fünfhundert Jahren zum ersten Mal – bereit, InuYasha?“ Der Hanyô nickte nur und zog seinen Arm zurück, um wieder ihre Hand zu fassen. Mit der anderen Hand rückte er die Cappy zurecht. „Und ihr? Auch bereit?“, fragte Kagome die anderen drei. Ihre beiden Töchter nickten, Kôhei sah nur geradeaus, aber wer gelernt hatte, Sesshômarus nicht vorhandene Mimik zu interpretieren, der kam auch mit Kôheis oft nonverbaler Ausdrucksweise klar. Also atmete Kagome erneut tief durch, ehe sie auf den Bannkreis zutrat – und hindurch. Kagome spürte den Übergang klar und deutlich, für die anderen war es nur ein kurzes Ziehen. Dann standen sie in einem lichten Waldstück, dem man ansah, dass die nächsten menschlichen Siedlungen nicht wirklich weit waren. Kôhei hustete kurz und auch InuYasha war anzumerken, dass er für einen Moment flacher atmete, ehe er sich einigermaßen eingewöhnt hatte. Selbst Kikyô und Hotaru verzogen im ersten Moment ein wenig das Gesicht. Einzig Kagome rührte sich nicht, aber nach all der Zeit merkte auch sie, wie viel stickiger die Luft hier war. Was ein Schritt doch alles bedeuten kann… Kapitel 16: Wiedersehen ----------------------- Drei Tage vergingen, ehe Kagome und ihre Begleiter sich Tokio näherten. Es war zunehmend schwieriger geworden, nicht aufzufallen, schon gar, wenn sie nicht darum herum kamen, mitten durch Stadtgebiete laufen zu müssen. In diesem Moment war Kagome sehr dankbar dafür, dass die Dämonenseide, aus der ihre Gewänder waren, ebenso wenig schmutzig wurde, wie InuYashas Feuerrattenhaar. Einzig Hotaru hätte ein Bad gebraucht, denn einem Kind maß man noch keine Kleidung aus Dämonenseide an, dazu wuchs es zu schnell wieder heraus. Aber das würden sie nachholen müssen. InuYasha verharrte auf ein Zeichen Kagomes hin und setzte sie ab, als sie den Stadtrand erreichten. Kôhei, der Hotaru auf dem Arm gehabt hatte, damit sie schneller waren, stellte das Mädchen wieder auf die Füße. Kurz strich Kagome ihren Kimono glatt. „So, vorsichtig alle zusammen, Tokio wird vermutlich noch chaotischer sein, als die anderen Städte auf dem Weg. Es ist laut und dreckig“ „Das habe ich auch schon gemerkt“, kommentierte InuYasha und rümpfte demonstrativ die Nase, woraufhin Kagome ihm einen spielerischen Schlag gegen den Arm verpasste. „Du kennst das doch noch. Aber wir sind eine zu große Gruppe um den Weg über die Dächer zu nehmen – auch wenn dir das sicher lieber wäre“, neckte sie. InuYasha verdrehte die Augen. „Keh!“, machte er, gab sich aber geschlagen. „Du hälst es aus?“, fragte Kagome daraufhin in Kôheis Richtung und der Wolfsdämon nickte leicht. „Was bleibt mir anderes übrig?“, wollte er nur wissen. Kagome lächelte in sich hinein. Wer Kôhei nicht kannte, hätte, so wie er sich jetzt gab, niemals vermutet, dass er so etwas wie eine eigene Meinung besaß. Wenn er wollte, stand er Sesshômaru in Sachen Emotionslosigkeit in Nichts nach. Früher war das sein Panzer gewesen. Heute war es eine schlichte Gewohnheit, die er genauso aufsetzen wie abstellen konnte. Und im Moment bediente er sich ihrer, um sich in der ungewohnten Umgebung in Ruhe akklimatisieren zu können. Damit setzte sie sich in Bewegung. Gefolgt von den anderen betrat sie zum ersten Mal seit über fünfhundert Jahren die Stadt, in der sie geboren worden war. ~*~ Sayuri betrat derweil zum ersten Mal alleine den Trainingsplatz. Schwerterklirren hallte über den Platz, überall sprangen junge Dämonen herum und in gewisser Weise waren die Sayuri doch unheimlich. Wo war bloß Arata? Rin hatte doch gesagt, er würde hier auf sie warten? Skeptisch ließ sie den Blick schweifen, sah bald hierhin, bald dorthin, aber sie konnte nicht ein bekanntes Gesicht entdecken. Plötzlich, aus heiterem Himmel, bekam sie einen heftigen Stoß in die Seite und fiel unsanft zu Boden. Staub geriet in ihren Mund, den sie angeekelt ausspuckte. Mit einem leisen „Hey!“, rappelte sie sich wieder auf, doch der junge Schwarzhaarige, der sie umgeworfen hatte, beachtete sie nicht weiter. Er war vollkommen in seinen Trainingskampf mit einem Rotschopf vertieft. Unsicher schluckte Sayuri. Wie sollte sie hier bloß jemand bestimmten finden? Da hörte sie auf einmal eine bekannte Stimme. „Hey, Naoto, langsamer! Führ‘ den Schwung sauber, sonst taucht jeder unter deiner Waffe durch, anstatt sich nur die Mühe zu machen, zu kontern!“ Der hat doch gestern mit Arata geredet… oder? Etwas zögerlich wandte Sayuri sich in diese Richtung. Da war der blondhaarige Mann. Wie hieß er noch gleich? Jaro… nein, Jiro! Etwas zögerlich setzte sie sich in Bewegung. Vorhin hatte sie noch standhaft behauptet, natürlich allein gehen zu können. Rin hatte doch extra noch gefragt! Zum ersten Mal in ihrem Leben dachte Sayuri lange genug über eine Handlung nach, um ein wenig Reue zu empfinden. Es wäre vieles einfacher gewesen, wenn Rin sie begleitet hätte. Vor allem hätte sie niemand umgerannt – wie es ihr jetzt schon zum zweiten Mal beinahe passierte – denn jeder hier, selbst der allerneuste Schüler wusste, dass er es mit dem Fürsten persönlich zu tun bekam, wenn er Rin auch nur schief ansah. Diese Begründung kannte Sayuri zwar nicht, aber sie hatte den Effekt bereits mehrfach beobachten dürfen. Vor allem in den letzten acht Tagen. Endlich hatte sie den Blondhaarigen erreicht. „Jiro-san?“, fragte sie etwas zaghaft. Der hochgewachsene Mann reagierte sofort. Mit einer Handbewegung bedeutete er seinem Schüler, Pause zu machen und dieser ließ sichtlich erleichtert das Katana sinken, das er in der Hand hielt. Jiro schmunzelte kurz, ehe er sich umsah. Sayuris leise Stimme hatte er dank seines dämonischen Gehörs durchaus gehört, aber nicht zuordnen können. Als er das kleine Mädchen jetzt sah, wurde ihm aber klar, wer sie war. Arata hatte ihn gestern auf sie angesprochen. Jiro hatte momentan die beiden jüngsten Schüler der regulären Akademie unter sich und Arata hatte ihn nach deren Ausbildungsstand gefragt. Aber beide waren talentiert und schon sehr schnell, das war noch ein paar Level zu hoch für Sayuri. Dennoch wandte er sich ihr jetzt zu. „Was willst du denn von mir?“, fragte er ruhig. Sayuri blinzelte zu ihm hoch, ihre zuckenden Öhrchen zeigten ihre Unsicherheit an. Sie versuchte etwas zu sagen, aber ihre Stimme war angesichts dessen, dass nicht weit entfernt gerade jemand schwungvoll zu Boden ging, selbst für Jiros dämonisches Gehör zu leise. Sie versuchte es erneut: „A-rata-san?“ Der blonde Dämon sah kurz auf sie hinab, ehe er witternd den Kopf hob und schließlich kurz den Arm ausstreckte. „Dort“, sagte er mit einem Wink hinüber zu einem der Bäume am Rande des Platzes, wo Arata lehnte. Kurz traf sich der Blick der beiden Lehrer, sie nickten sich zu. Jiro hatte verstanden, warum Arata sich nicht selbst gezeigt hatte, obwohl der Akademieleiter Sayuri die ganze Zeit über im Blick gehabt hatte. Er hatte ausprobiert, ob Sayuri versuchen würde, sich auf ihren Geruchssinn zu verlassen. Aber darauf war sie anscheinend nicht gekommen, er würde noch ein wenig langsamer vorgehen müssen. Sayuris Blick folgte seinem Fingerzeig und da Arata sich jetzt auch in Bewegung setzte und näher kam, wandte Jiro sich wieder seinem eigenen Schüler zu. Mit einem leichten Händeklatschen machte er ihn auf sich aufmerksam: „Los, Naoto. Weiter geht’s!“ ~*~ „Huch, du bist ja schon da“ Wie um seiner Worte Lügen zu strafen, klang Kanayes Stimme alles andere als erstaunt, als er an seinen kaum jüngeren Bruder herantrat, der es sich in der versteckten Ecke der Bibliothek gemütlich gemacht hatte, die einzig ihnen, den Fürstenkindern vorbehalten war. Die persönlichen Diener und selbst ihre Eltern kamen nur hierher, wenn es unbedingt nötig war. Hier hatten die sechs ihre Ruhe und selbst Shinchiro kam nur selten mit hierher. Von der Seite erklang ein Kichern und Kyoko, die gerade eine Schriftrolle zurück ins Regal gelegt hatte, gesellte sich zu ihren Brüdern. Warum Tadashi von ihnen allen am engagiertesten bei der Sache war, war inzwischen ein offenes Geheimnis. Sie ignorierte gekonnt den mörderischen Seitenblick ihres Lieblingsbruders, setzte sich aber vorsichtshalber neben Kanaye. Nach und nach trudelten dann auch die anderen drei ein. „Also, Klappe die dritte. Hat irgendjemand eine neue Idee?“, begann schließlich Akeno, die auf Kyokos anderer Seite Platz genommen hatte und warf einen fragenden Blick in die Runde. Die Geschwister zuckten nur mit den Schultern und einen Moment herrschte Stille, ehe Kyoko nachdenklich die Augen verdrehte. „Wie wäre es denn, wenn wir einfach mal versuchen, uns ein paar weitere Informationen zu erschleichen? Ich meine, wenn wir wenigstens eine Theorie haben, können wir vielleicht Okaa-san und Otou-san ins Vertrauen ziehen. Sie werden das eher verstehen, als unsere Gäste vielleicht glauben. Schließlich weiß doch heute kaum mehr, wie die beiden zusammenkamen. Dass Okaa-san aus dem Volk ist und keine DaiYôkai. Selbst Shippô hat es damals nicht gewusst, als er schon eine ganze Weile bei uns ein und aus ging“ Tadashi unterdrückte ein verwundertes Blinzeln, merkte er doch, dass Kyokos Stimme ausnahmsweise nicht melancholisch klang, obwohl sie den Namen ‚Shippô‘ in den Mund genommen hatte. Aber er störte sich nicht daran, im Gegenteil, es freute ihn. Vielleicht kam sie langsam mit seinem Weggang klar. Sie alle haderten damit und vermissten ihren Adoptivbruder, aber sie hatten sich langsam daran gewöhnt, dass er nicht mehr da war. Tadashi schob den Gedanken beiseite, als er merkte, dass nun er vom Thema abkam. Stattdessen nickte er leicht. „Das ist eine ganz vernünftige Idee, Kyoko. Nur… wie? An die Eltern von den beiden kommen wir nicht heran, ehe die unseren nicht mit einbezogen sind“ „Auch wieder wahr. Aber vielleicht… Shin, könntest du bei den jüngeren Familienmitgliedern herumfragen, ob irgendwem etwas komisch vorkommt. Vielleicht verplappern sie sich“, befand Kanaye. Der jüngste Prinz nickte sofort. Er freute sich, auch etwas tun zu können. Da seine beiden Brüder deutlich älter waren, als er, stand er meistens ziemlich hinter ihnen zurück und das triezte ihn gewaltig, zumal auch er inzwischen annähernd erwachsen war. „Gute Idee. Und du, Kanaye, du könntest doch mal schauen, ob Yukiko und Umeko noch Ideen haben. Ich meine, wer wird die Eltern der beiden besser kennen, als sie selbst. Ich rede mit Aya, sie kann schweigen wie ein Grab und meinetwegen dann die Anstandsdame spielen, wenn du dich mit deiner Verlobten verabredest“, hakte Akeno ein. Kanaye wiegte mit amüsiertem Funkeln in den Augen den Kopf hin und her. „Noch ist sie nicht meine Verlobte. Und wenn das Ganze nicht bald aufgeklärt wird, wird sie es auch nie werden. Aber gut, so machen wirs“, bestätigte er, ehe er sich mit einem abschließenden Blick in die Runde erhob. „Jemand Gegenvorschläge? Sonst würde ich jetzt trainieren gehen. Chichi-ue wartet“ Da niemand etwas sagte, verließ Kanaye den Raum. ~*~ Kirara hatte sich derweil nicht weit vom Bannkreis entfernt, sondern sich den nächsten Baum gesucht, der ihr unter die Augen kam und lag nun auf einem Ast inmitten der Baumkrone. Die kleinen Blätter malten ein seltsames Spiel von Licht und Schatten auf ihr cremefarbenes Fell. Kirara leckte leicht über ihre Schulter, wo nur noch eine dünne Wulst davon sprach, dass dort vor einigen Wochen ein Schwertstreich tief gedrungen war. Dennoch war dieser Heilfortschritt nichts, was sie zufrieden stellte. Langsam bauten ihre Kräfte ab, sie kam in die Jahre. Sie war inzwischen fast 1300 Jahre alt, die meisten Nekomata erreichten nicht einmal das tausendste Lebensjahr. Keiner wusste so recht, wie alt eine Nekomata eigentlich werden konnte. Bakus wurden im Ernstfall etwa fünftausend Jahre alt, Kirin war der Inbegriff von Unsterblichkeit und Yuki Onna kamen selten einmal über das dreihundertste Lebensjahr hinaus. Alles weitere Lebendige fiel entweder unter Oni – zu denen keine Regeln vorlagen -, Mensch, Tier oder Yôkai und half Kirara als Nekomata, als urmagisches Wesen, auch nicht dabei, ihr eigenes Alter einzuschätzen. Sie wusste bloß, dass sie nicht mehr die Jüngste war. Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als sie spürte, dass sich jemand zu ihr gesellte. „Kazuya, mein Sohn. Ausnahmsweise mal nicht bei deiner neuen Freundin?“, fragte sie etwas neckend, allerdings mehr um sich selbst abzulenken. Der jüngere Nekomata-Kater legte den Kopf schief, versuchte sichtlich zu ergründen, welche Stimmung seine Mutter tatsächlich umtrieb, aber er antwortete: „Sayuri trainiert. Und in dieser Form kann ich da schlecht etwas helfen“ Kirara setzte sich auf. „Verständlich. Und, Kazuya? Ich hatte meine Gründe, dir zu verbieten, dich ihr in großer Form zu zeigen, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Im Moment bist du für Sayuri ein besserer Freund und besserer Halt in der für sie fremden Welt, wenn du das liebe Streichelkätzchen bist und nichts anderes“ „Aber dich hat sie doch auch schon in großer Form gesehen“, wandte der Jüngere ein. Kirara maunzte leicht auf. „Ja, einmal, als wir sie aus Kaoris Unterschlupf holten. Ich bezweifle, dass sie davon genug mitbekommen hat um Schlüsse zu ziehen, zumal sie seit dem wenig mit mir zu tun hat“, stellte sie richtig, ehe ein Geräusch am Fuße des Baumes ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie richtete den Blick nach unten und erkannte das dunkelfellene Wesen, das einem erwachsenen Menschen etwa bis zur Hüfte gegangen wäre, sofort. „Yume“, konstatierte sie, während ihr Sohn nur grüßend mit den Schweifspitzen zuckte. Im Gegensatz zu ihr, hatte er keine sonderlich enge Bindung zu Yume. Das Baku legte den Kopf in den Nacken, sein elefantenähnlicher Rüssel pendelte etwas, als es seinen dunklen Augen fest auf Kirara richtete. Ein Schimmern erschien darin, als es in der ihm eigenen Art zu ‚sprechen‘ begann. Das, was es der Nekomata zeigte, gefiel der allerdings so gar nicht. ~*~ Leicht schüttelte Kagome den Kopf, als sie merkte, dass sie doch ein wenig überlegen musste, bis sie den Weg fand. Da fiel ihr ein anderer Gebäudekomplex auf, der große Hof, das Tor davor. Die Schule… Sie lächelte ein wenig. Als Kikyô ihre Mutter von der Seite fragend ansah, blinzelte Kagome kurz. „Dort bin ich die letzten Jahre zur Schule gegangen. Ich habe dir doch erzählt, dass es hier Gebäude gibt, die nur dafür da sind, den Kindern lesen, schreiben – und die Geschichte des Landes beizubringen. Wobei letztere allerdings um einige Aspekte erleichtert ist. Um die tatsächliche Existenz von Yôkai zum Beispiel“ Sie grinste Kôhei an, der scheinbar ungerührt nach vorne blickte. Aber sie merkte, dass er zu ihr hinüberschielte. „Ich glaube es immer noch nicht recht. Die Menschen verleugnen unsereins einfach?“, fragte er schließlich nach einem Moment. „Seit mehr als fünfhundert Jahren gibt es Yôkai offiziell nicht mehr in der Menschenwelt. Das musst du bedenken. Das sind für Menschen mehrere Generationen“ Dabei bemühte sie sich leise zu sprechen, damit niemand der ohnehin schon sichtlich neugierigen Passanten ihr Gespräch hörte oder ihm auch nur größere Bedeutung beimaß. Dennoch war ihr etwas aufgefallen. Warum zum Kuckuck ist das Schultor geschmückt? Ist heute wieder Abschlussfeier gewesen? Sie fand so schnell keine Antwort, zumal sie es nicht recht einschätzen konnte. Sie wusste zwar, dass Frühsommer war, aber nicht welcher Monat oder gar welcher Tag. Unter dem Bannkreis gab es schließlich keinen Kalender. Und über fünfhundert Jahre lang die Tage zu zählen, wäre auch müßig gewesen. Sie schüttelte etwas den Kopf, ehe sie erstaunt bemerkte, das sie diesmal automatisch den richtigen Weg eingeschlagen hatte. „Okaa-san! Hast du nicht gesagt, wenn das rote Feuer leuchtet, müsse man stehen bleiben?“, riss ihre jüngere Tochter sie aus ihren Gedanken und Kagome bemerkte erschreckt, dass sie beinahe tatsächlich bei Rot auf die Straße gelaufen wäre. Rasch verharrte sie und legte Hotaru eine Hand auf die Schulter. „Ganz recht, ich war in Gedanken. Danke, Hotaru-chan“ Die Kleine grinste stolz, ehe ihr Blick von etwas auf der anderen Straßenseite angezogen wurde. Ein Hang wurde von einer langen Treppe überwunden, an deren oberen Ende sich ein traditionelles Tor erhob, das den Eingang zu einem Schreingelände kennzeichnete. „Schau mal, Okaa-san!“ Kagome lächelte, als sie erkannte, was ihre Tochter so interessierte. Im gleichen Moment sprang die Ampel auf grün und inmitten einer Gruppe Passanten überquerten sie den Asphalt. InuYasha ignorierte geflissentlich, dass er dabei in eine Glasscherbe trat. Seine Fußsohlen waren vom ständigen barfuß-Gelaufe robust genug, um nicht großartig verletzt zu werden. Stattdessen sah er auf, als Kagome nach seiner Hand griff und sie leicht drückte. Sacht erwiderte er den Druck. „Du bist zurück“, bemerkte er mit einem warmen Ton, den nur seine Familie so von ihm kannte. Und gemeinsam erklommen die fünf die Treppenstufen. Hotaru rannte stürmisch vor – und sofort in jemanden herein. Aber sie rollte sich gekonnt ab und stand schneller wieder auf den Beinen, als ihr Gegenüber, eine junge Frau von vielleicht zwanzig, einundzwanzig Jahren, mit dunklen, lockigen Haaren, die sich etwas mühsamer aufrappelte. „Vorsichtig, Kleine“, sagte sie, ehe sie leicht erstarrte, als ihr die vier anderen Neuankömmlinge auffielen. Und ihr Blick fiel besonders auf InuYasha. Er schien sie an etwas zu erinnern. Doch nach einem Moment schüttelte sie den Kopf. Hotaru hatte sich derweil wieder darauf besonnen, dass es höflicher wäre, zu grüßen und sich zu entschuldigen und die junge Frau erwiderte die leichte Verbeugung des Kindes. Dann aber verabschiedete sie sich eilig. Hotaru kam wieder zu ihrer Mutter gelaufen. Kagome hob etwas mahnend die Augenbrauen hoch. „Pass bloß auf, dass du nicht mal in Sesshômaru hinein rennst“ Hotaru kicherte, da gebot InuYasha ihr mit einer Handbewegung Einhalt. „Wenn ich die Witterung noch richtig in Erinnerung habe, kommt da wer, Kagome“, bemerkte er, während er sich wieder richtung Treppe umdrehte. Als Kagome es ihm nachtat, sah man am Fuße der Stufen eine Frau mitte, Ende vierzig stehen – und sie starrte zu ihnen auf, als seien sie eine Erscheinung. Schließlich war es Kagome, die sich zuerst aus ihrer Erstarrung löste. „Okaa-san“, hauchte sie fast tonlos, ehe sie die Treppen wieder hinab zu steigen begann, schneller wurde, schließlich rannte, bis sie ihrer Mutter in die Arme fiel. Frau Higurashi drückte sie völlig perplex an sich. „Kagome… wo kommst du denn her?“ Ehe Kagome antworten konnte, schlangen sich zwei weitere Arme um Frau Higurashi, allerdings nur etwa auf Hüfthöhe. „Obaa-san!!!“ Angesprochene schien für einen Augenblick zu erstarren, ehe sie beide sanft von sich schob. Kagome grinste offen. „Darf ich vorstellen? Hotaru, deine Enkelin. Sie ist übrigens meine Jüngste“ Jetzt schien Frau Higurashi endgültig erschlagen. Aber sie fing sich wieder halbwegs, sah auf das vielleicht sechs-, siebenjährige Mädchen hinab, dann die Treppe hinauf, an deren oberen Ende noch immer drei Gestalten standen, vom Licht hinter ihnen in einen seltsamen Strahlenkranz gehüllt. Eine junge Dame im hellen, jadefarbenen Kimono, ein junger Mann in Kimonohemd und Hakama – und ein weiterer junger Mann mit silbernen Haaren, eine zerschlissene, dunkle Cappy auf dem Kopf, der die Arme in die Ärmel seines wohlbekannten, roten Suikans gesteckt hatte. Frau Higurashi schüttelte etwas den Kopf, rieb sich lächelnd mit zwei Fingern die eine Schläfe, als habe sie Kopfschmerzen. „Ich glaube, du hast eine Menge zu berichten, oder, Kagome? Aber kommt erst einmal herein. Opa und Souta müssten im Haus sein“ Kapitel 17: Familiengeschichten ------------------------------- „Souta ist noch unter der Du-…“ Die Stimme des alten Priesters erstarb, als er erkannte, dass nicht nur seine Schwiegertochter das Haus betreten hatte. Mit aufgerissenen Augen stand er da. „K-Kagome?“ Er schien der Meinung zu sein, einer Halluzination zu erliegen. Kagome lächelte ein wenig. „Ja, ich bin es, Jii-san!“, antwortete sie mit strahlenden Augen, woraufhin der alte Mann fast ungläubig die Arme ausbreitete. Kagome umarmte ihn fest, ehe sie zurücktrat und mit einer Armbewegung auf ihre Begleiter zeigte. „Da euch nur einer von ihnen bekannt sein wird…“, begann sie schmunzelnd, wurde aber von ihrer Mutter unterbrochen: „Kommt doch erst einmal richtig herein. Ihr habt doch eine ziemliche Reise hinter euch, wenn ich mir euch so ansehe“ Kagome hielt inne. „Aber wir sind vollkommen staubig, insbesondere Hotaru sieht nicht gerade frisch aus“, wandte sie ein. Ihre Mutter zuckte nur mit den Schultern. Offenbar war ihr das angesichts der Situation reichlich gleichgültig. Also folgten die Besucher ins Wohnzimmer und Hotaru, die schon zwischenzeitlich kaum hatte stillstehen können, nutzt die Raumveränderung als Vorwand, um auf Entdeckungstour zu gehen. Kagome folgte ihr mit den Augen. „Viel hat sich nicht verändert… oh, doch, Buyos Korb ist weg“ Ihr Opa nickte etwas. „Er ist vor einem halben Jahr gestorben. Er war eben alt“, erklärte er, woraufhin Kagome kurz betreten dreinblickte, es aber beiseiteschob. So schade es um das geliebte Haustier war, es war nicht zu ändern. Und die letzten Jahrhunderte hatten sie abgeklärt. „Buyo war eine Katze, keine Nekomata, eine ganz normale, tierische Katze. InuYasha und er haben sich früher immer gegenseitig geärgert“, erklärte sie dann mit einem Seitenblick zu Kôhei, der nur knapp nickte. Inzwischen hatten sich alle gesetzt und Frau Higurashi musterte die Besucher. Dabei blieb ihr Blick an Hotaru hängen. „Das ist also meine Enkelin?“, fragte sie nach einer Weile. Der Opa riss wieder die Augen auf, bedeutete das doch, dass er dort seine Urenkelin vor sich sitzen hatte, aber Kagome lächelte nur. „Hotaru ist meine Jüngste. Sie hat allerdings drei ältere Geschwister – und die Älteste sitzt ebenfalls vor euch“ Sie blickte zu Kikyô, die bisher zurückhaltend, aber doch neugierig den Blick hatte schweifen lassen, nun aber genau in die Augen ihrer Großmutter sah. Frau Higurashi schreckte ein wenig zusammen. „Aber… ich verstehe nicht ganz…“ „Warum sie aussieht, als sei sie nicht einmal zehn Jahre jünger als ich?“, fragte Kagome nach. „Das liegt daran, dass wir nicht durch den Brunnen gekommen sind. Für mich sind mehr Jahre seit dem Abschied vergangen, als für euch. Gut Fünfhundert um es genau zu nehmen“ Sie wartete einen Moment, aber weil sie merkte, dass ihre Zuhörer den Atem anhielten, sprach sie rasch weiter, griff dabei in ihren Ausschnitt und zog den Kettenanhänger hervor. „Dieser Anhänger hier besitzt ähnlich wie das Shikon no Tama eine sehr starke Magie. Allerdings ist sie nicht so gefährlich und auch nicht so begehrt. Mit seiner Hilfe konnte ein großer Bannkreis gespannt werden, über Inseln im Norden von Japan, die heute keiner mehr kennt. Und seit ich diese Kette trage und den Bann erhalte, ist meine Lebenszeit die einer Yôkai. – Kikyô hier kam… pi mal Daumen viereinhalb Jahre nachdem ich hier zum letzten Mal durch den Brunnen gesprungen bin. Aber da sie auch Dämonenblut trägt, hat sie ebenso eine sehr lange Lebenszeit und altert auch langsamer“ Sie atmete kurz durch, ehe sie fortfuhr: „Hotaru dagegen ist tatsächlich erst sieben Jahre alt, so wie sie auch aussieht. In der frühen Kinderzeit sind sowohl sie, als auch ihre Geschwister wie Menschen gealtert“ Verständlicherweise machte ihre Familie Gesichter, die zeigten, wie wenig sie das ganze Geschehen wahrhaben wollten. Aber das hinderte Kagomes Opa nicht daran, weitere Fragen zu stellen. „Und wer ist er?“ Dabei zeigte er auf Kôhei, der daraufhin nur die Lippen etwas öffnete, sodass seine Reißzähne sichtbar wurden. Kagome grinste in sich hinein. „Damit kannst du meinen Opa nicht erschrecken, Kôhei. Der hat früher monatelang Umgang mit InuYasha gehabt“, stellte sie klar, woraufhin InuYasha gespielt beleidigt die Arme verschränkte. Kagome legte eine Hand auf seinen Unterarm, ehe sie an ihre Familie gerichtet fortfuhr: „Also, das ist Kôhei, ein Yôkai, wie ihr seht. Wer er ist, nun, wie erkläre ich das am Besten… dass InuYasha einen Halbbruder hat, wisst ihr ja. Besagter Halbbruder hat eine Ziehtochter – und Kôhei ist deren Gefährte… Ehemann sollte ich wohl zum besseren Verständnis sagen. InuYashas Bruder hat darauf bestanden, dass er uns begleitet, damit wir unsere eigentliche Mission nicht aus den Augen verlieren. Unser Besuch hier ist nämlich eigentlich nur Nebenprogramm. Und ich bin sicher, Kôhei wird ein wachsames Auge auf uns haben“ Dabei grinste sie neckisch. Kôhei brummte etwas vor sich hin. „Ich bezweifle stark, dass es eine gute Idee wäre, Shuuto-samas Befehlen nicht zu gehorchen“, ließ er nur verlauten. „Solltest du aber mal versuchen. Kann richtig lustig sein, glaub’s mir“, mischte InuYasha sich ein. „Ich glaube es reicht, wenn du da eine Anekdote nach der anderen zu erzählen hast“, zerrte Kagome das Gespräch in geregelte Bahnen zurück, denn wenn sie ehrlich war, hatte sie im Moment keine Lust, darüber zu diskutieren, wie sinnvoll es war, Sesshômaru gegenüber Respekt zu zeigen. Dass InuYasha das nach wie vor schon aus Prinzip nicht tat, war ein offenes Geheimnis. „Gomen, Okaa-san, Jii-san“, wandte Kagome sich derweil an die unbeteiligten Zuhörer, woraufhin beide nur etwas schal lächelten. Sie schienen verständlicherweise überfordert mit der Situation. Da hörte man auf einmal jemanden die Treppe hinab kommen. „Jii-chan? Ist Okaa-san schon wieder zu Hause?“ Die Stimme war deutlich tiefer, als Kagome sie in Erinnerung hatte, aber sie erkannte Souta trotzdem sofort. Erwartungsvoll drehte sie sich im Sitzen halb um, InuYasha tat es ihr gleich, während er sich nun endlich die Cappy vom Kopf zog, die er zwischenzeitlich vergessen zu haben schien. Seine Hundeohren zuckten auffällig – und das war in etwa das erste, was Souta sah, als er, da er keine Antwort bekommen hatte, das Wohnzimmer betrat. Etwas geschockt blieb der junge Mann, zu dem Souta inzwischen geworden war, stehen. Er trug nur Trainingshosen, hatte ein Handtuch um die Schultern gelegt, seine Haare waren noch feucht. InuYasha ließ sich von dem ungewohnten Anblick nicht abschrecken. Grinsend hob er eine Hand. „Hey, Souta“ ~*~ „Hey, ihr drei!“ Shin, der sich bisher wenig unauffällig genähert hatte und dennoch nicht bemerkt worden war, trieb mit seiner Ankunft die drei Angesprochenen auseinander. Etwas verschreckt verbeugten die drei jungen Fuchsdämonen sich, die bisher unter einem Baum im Schlosshof gesessen hatten. Shin lachte. „Lasst das. Kommt, ich zeige euch, von wo ihr meinen Bruder besser beobachten könnt, als von den Orten, die ihr gerade besprochen habt“, neckte er und kümmerte sich nicht um die Verlegenheit der Ertappten. Es wunderte ihn wenig, dass er und die anderen Neugier weckten, als seien sie ein Zeichen außerirdischen Lebens. Die Verlegenheit wandelte sich aber bald in Erwartung um und so unterdrückte der jüngste Prinz ein erneutes Schmunzeln und drehte sich um, schlug den Weg richtung Trainingsplatz ein. Wie jeden Tag trainierte sein Vater dort um dieser Zeit mit Kanaye, später dann, wenn weniger Betrieb war – und weniger Leute sich darüber mokieren konnten – würde er auch mit Akeno trainieren. Nur diese beiden seiner Kinder hatten seinerzeit, an der Kitsune-Akademie, das Katana gewählt, alle anderen hatten den Bogen und trainierten sich weitestgehend gegenseitig, damit niemand aus der Übung kam. Shin machte einen kleinen Schlenker und setzte dann aus der Bewegung heraus auf einen nur spärlich belaubten Baum, der schon seit Jahrzehnten nicht mehr richtig ergrünte. Er war vor langer Zeit einmal von einer ziemlich heftigen Attacke getroffen worden und schwächelte seit dem. Aber seine Äste waren noch stark genug, um auf ihnen zu sitzen und seine teils kahlen Zweige eigneten sich perfekt als Träger für einen dichten Bannkreis, wollte man nicht entdeckt werden. Dass dieser Baum aus diesem Grunde sicher auch schon für das eine oder andere Stelldichein hergehalten hatte, wusste unter der Hand jeder. Der junge Prinz wartete noch auf seine Begleiter, ehe er die Hände übereinander auf einen der seitlichen Äste legte und sich kurz konzentrierte. Der Bannkreis spannte sich leicht und doch unsichtbar, aber das hatte Shin schon immer gekonnt. Jetzt warf er den drei Gästen über die Schulter einen kecken Blick zu, während er auf Fürst Gin und dessen Ältesten zeigte, die am Rande des Trainingsplatzes mitten in einen Trainingskampf vertieft waren. „Na, ist der Blick besser, als aus einem normalen Versteck?“, fragte er neckisch und zwinkerte den Dreien zu, ehe er sich auf seinem Ast umdrehte und die drei ansah. „Wer genau seit ihr eigentlich?“ Es stellte sich heraus, dass er es mit einem weiteren Cousin zu tun hatte – und mit zweien, die ihm keine Antwort geben wollten. Shin runzelte etwas die Stirn. „Was soll denn das? Ihr könnt mir doch wohl sagen, wer ihr seid…“, murrte er gespielt beleidigt, dabei kreisten die Gedanken in seinem Gehirn bereits. Hatte auch dieses Verhalten mit dem kleinen Geheimnis dieser Familie zu tun, die hier zu Gast war? Der sichtlich jüngere der beiden öffnete kurz etwas den Mund, als wollte er etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders und schüttelte nur entschuldigend den Kopf. Shin ertappte sich dabei, seufzend die Augen verdrehen zu wollen. Wenn die drei hier ihm nicht einmal ihre Identität verraten wollten, dann bekam er auch nichts anderes aus ihnen heraus. Klar, er konnte es ihnen befehlen, sie zum Reden zwingen, er war ein DaiYôkai und ein Prinz und von den dreien hier war das kein anderer, aber das wollte er nicht. Besser, Kanaye versuchte sein Glück bei Umeko und Yukiko. In einer knappen Bewegung hob er den Kopf, als habe er etwas gehört, dann lächelte er entschuldigend. „Onee-san ruft mich. Wenn ihr nicht mehr gucken wollt, löst den Bannkreis einfach, indem ihr die Stelle berührt, von der aus ich ihn gespannt habe. Hier“, sagte er, nickte kurz zu dem gemeinten Ast und sprang dann vom Baum. Im Gegensatz zu den dreien konnte er seinen eigenen, intakten Bannkreis leicht überwinden. Dann verschwand er blitzschnell. Kanaye hatte seinen Bruder am Rande des Trainingsplatzes aus dem Augenwinkel ausgemacht und da der ihm keine Geste zukommen ließ, wusste der älteste Prinz, woran er war. Gleich nach dem Training würde er seinen Vater fragen, ob er noch einmal relativ allein mit ‚Umeko‘ reden durfte. ~*~ Geduldig hob Arata den kleinen Stein wieder auf und warf ihn erneut in Sayuris Richtung. Sie waren nicht mehr auf dem Trainingsplatz, sondern außerhalb der Schlossmauern, denn so langsam wie er mit Sayuri vorankam, wollte er ihr nicht zumuten, von den anderen Schülern geschnitten zu werden. Er wusste noch genau, wie es Kôhei damals ergangen war, nur weil niemand den Ursprung seines Verhaltens kannte oder gar verstand. Was Sayuri anbetraf, arbeitete er im Moment erst einmal daran, dass sie ihre eigenen Bewegungen einschätzen lernte, ihre Kraft, ihre Schnelligkeit, ihre Genauigkeit kennenlernte. Sie musste zielsicherer und bestimmter werden, vorher würde ihr ohne Extremsituation nicht einmal ein einziger Klauenangriff gelingen. „Na also!“ Er nickte bestätigend, als Sayuri den kleinen Kiesel diesmal fing. Gut, nur, weil sie beide Hände benutzt hatte, anstatt eine, wie Arata es ihr erklärt hatte, aber immerhin. Mit einer Geste bedeutete er ihr, den Stein zu ihm zurückzuwerfen und wiederholte die Übung dann abermals. Noch ein paar Mal landete der Kiesel auf dem Boden, ehe Sayuri ihn wieder fing – und wieder mit beiden Händen. „Gut, Sayuri. Aber jetzt versuche es mit nur einer Hand“, betonte er noch einmal, worauf die Kleine eine konzentrierte Miene machte und nickte. Diesmal schien sie zu verstehen, dass dieses Detail wichtig war. Arata beschloss ein Experiment zu machen. Wenn es ihr – wenn auch nicht wahrgenommener – Instinkt war, der sie im Zweifelsfall leitete, dann sollte es so vielleicht gehen. Die Zeit, die er für Sayuris Training am heutigen Tage veranschlagt hatte, neigte sich langsam dem Ende und er wollte ihr ein Erfolgserlebnis mit auf den Weg geben. Also klaubte er unbemerkt einen zweiten Kiesel auf und nahm ihn in die gleiche Hand wie den anderen. Als er sachte warf, flogen nun beide Steinchen auf Sayuri zu. Und ehe sie es sich versah, hatte sie instinktiv zugegriffen, ihre Finger schlossen sich um den einen Kiesel, noch ehe sie den anderen Arm gehoben hatte. Ein Strahlen erschien auf ihrem kindlichen Gesicht, als sie den gefangenen Kiesel auf ihrer Handfläche betrachtete, als sei er ein Schatz. Arata schmunzelte etwas. Er wollte nicht zu optimistisch sein, aber vielleicht… vielleicht hatte er einen Weg entdeckt. ~*~ Vor Kiraras innerem Auge erschienen Bilder, die sie erschreckten. Sie sah wieder den Riss in ihrer Schulter, den die Schwertspitze im Kampf gegen Kaori geschlagen hatte. Doch plötzlich ging von den Wundrändern ein grünliches Pulsieren aus. Sie zuckte zusammen. So hatte es sich nicht zugetragen, aber sie kannte inzwischen Yumes Ausdrucksweise. Dieses grelle, leuchtende Grün stand für schädlich, krank – und für Gift. War die Klinge vergiftet gewesen? Yumes Kopfschütteln zeigte ihr, dass diese Schlussfolgerung nicht ganz richtig war. Stattdessen zeigte das Baku ihr nun eine Katanaklinge und diesmal erkannte sie, dass während des Schlages staubfeine Teile davon absplitterten, die in einem seltsam schwarzen Licht glänzten. Sie riss die Augen auf, als sie verstand, was das war. Nur ein einziges Mal war sie damit in Berührung gekommen. Es war gefährlich, eigentlich tödlich, das zeigte auch Yumes nächstes Bild. Kirara sah sich selbst und wie das giftgrüne Licht Stück für Stück mehr Besitz von ihrem Körper ergriff. »Ich verstehe, Yume. Sobald das Gift sich gänzlich ausgebreitet hat, ist es vorbei mit mir. Vielleicht komme ich in die Jahre, aber da ist auch das Gift, das mich schwächt. Ich weiß nun, was zu tun ist, Yume. Ich danke dir vielmals!« Sie brachte ein leichtes Schnurren zustande, ehe sie sich ruckartig an Kazuya wandte, der sie etwas paralysiert anblickte. Er hatte das stumme Gespräch schließlich nicht mitbekommen und wusste nicht, was seine Mutter so erschreckt hatte. Kirara hatte jetzt auch keine Muße, es ihm zu erklären. Das einzige, was dieser Art Gift von der Verbreitung abhielt, war absolute Ruhe – und den Körper dazu anregen, neues, unvergiftetes Blut zu produzieren. Sie musste ihre Wunde erneuern und offen halten. Aber sie wusste ganz genau, dass das erst möglich war, wenn sie sich unter Obhut befand, geschützt war. Außerdem würde der Blutverlust ihr irgendwann das Bewusstsein rauben und dann brauchte sie jemanden, der die Wunde weiter offen hielt. Denn das einzige, das sie heilen konnte, war die Kraft einer Miko. Außer Kagome und Kikyô besaß aber niemand ausreichend Kraft. Sie musste auf deren Rückkehr warten. Yume hatte sie vielleicht gerade noch rechtzeitig gewarnt. Denn wenn sie ihre Schwäche richtig interpretierte, war das Gift ihrem Herzen bereits gefährlich nah. „Kazuya, begleite mich bitte ins Taijiya-Dorf. Ich muss mit Katashi sprechen“, forderte sie aus heiterem Himmel und während sich die Miene des Unverständnis auf Kazuyas Gesicht vertiefte, sprang Kirara bereits vom Baum und verwandelte sich. Kurz fuhr ein heftiger Schmerz in ihr Herz. Allerdings, gerade noch rechtzeitig, Yume… hoffentlich gerade noch… Als sie sich mühsam abstieß und rasch gefolgt von Kazuya davonflog, blickte Yume ihr nach. Ich habe dir viel mehr zu verdanken, als ich dir mit dieser Warnung zurückgeben kann… viel Glück, Kirara… ~*~ Es wäre überflüssig, zu erwähnen, dass Souta einen Moment brauchte, um sich zu fangen. „Inu-no-niichan“, flüsterte er vollkommen perplex, als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte. „Nee-chan“, fügte er dann hinzu. Kagome erhob sich, um ihren Bruder zu umarmen. „Oh, Souta…“ Und zum wiederholten Male in den letzten Minuten zeigte sich in ihrer Stimme nur zu gut, wie sehr sie ihre Familie vermisst hatte. Fünfhundert Jahre waren eine verdammt lange Zeit für einen menschliche Seele, auch wenn sie so unbeugsam und rein wie Kagomes war. Nach einem Moment löste sie sich wieder von ihm, besah ihn sich von oben bis unten. „Richtig erwachsen bist du geworden“, grinste sie dann. Souta lachte leise. „Kein Wunder, Nee-san. Hier ist die Zeit schließlich nicht stehen geblieben. Ich bin jetzt einundzwanzig“ Kagomes Augen bekamen einen nachdenklichen Ausdruck. „Einundzwanzig…“, wiederholte sie langsam, ehe sie den Kopf wieder hob. „Dann sind für euch also fast sechs Jahre vergangen, stimmt‘s?“ In Kagomes Rücken nickte der Opa. „Ziemlich genau sogar. – Wusstest du das nicht?“ Nun war es an Kagome, aufzulachen. „Wir ihr vielleicht an unserem Aufzug seht, leben wir, als sei für uns noch immer die Sengoku Jidai. Kalender sind da nicht unbedingt in Reichweite. Und Tageszeitungen auch nicht“ Souta lachte noch immer in sich hinein. „Und ich dachte schon, du bist extra zum Ehemaligentreffen hier angetanzt“ „Ehemaligentreffen?“ Er nickte. „Heute Abend trifft sich dein Abschlussjahrgang an der Oberschule. Frei nach dem Motto ‚Das haben wir in den letzten sechs Jahren aus uns gemacht‘“ Deswegen also der Schmuck im Hof…, erinnerte Kagome sich, ehe sie den Kopf schüttelte. „Nein, davon hatte ich keine Ahnung“ Sie wandte sich halb ab und setzte sich wieder. „Sagt mal, da Souta jetzt aus dem Bad raus ist – wollt ihr euch nicht ein bisschen frisch machen?“, meldete sich Kagomes Mutter wieder zu Wort, die die ganze Zeit geschwiegen hatte und für sich alles Neue sortiert hatte. Jetzt fand sie zu ihrer üblich treusorgenden Art zurück. Gleichzeitig verschwand Souta wieder nach oben, vermutlich um sich etwas Vernünftiges anzuziehen. Kagome überlegte einen Moment. „Wenn ich es mir so recht überlege… eine Dusche dürfte ein ziemliches Abenteuer werden. Seit fünfhundert Jahren das erste Mal“, sie lächelte. „Und Hotaru kann eine Wäsche, glaube ich, auch ganz gut gebrauchen“ Ihre Jüngste sah zu ihrer Mutter auf. „Dusche?“, fragte sie neugierig. „Ja, Dusche. Das ist etwas anderes als ein Waschzuber oder eine heiße Quelle. Komm, ich zeige es dir“ Damit ergriff sie die Hand ihrer Tochter und zog sie mit sich. Frau Higurashi sah sich unter den Zurückgeblieben um. „Du hast dich sehr verändert, InuYasha“, sagte sie schließlich. Der Hanyô strafte ihrer Worte lügen, indem er mit trotzig blitzenden Augen die Arme wieder verschränkte. „Keh!“ Dann aber wurde er ernst. „Alles Kagomes Schuld“, behauptete er, ehe er amüsiert mit den Hundeohren zuckte. „Es hat sich insgesamt viel verändert. Außerdem habe ich jetzt eine Familie. Nicht nur Kagome und meine Kinder, sondern auch meinen Bruder und dessen Leute. Davon hätte ich damals nicht einmal zu träumen gewagt“ Er erhob sich. „Sagt Kagome, ich bin am heiligen Baum, wenn sie wieder runter kommt“, fügte er dann nur hinzu und war im nächsten Augenblick verschwunden. Kôhei sah ihm kurz nach. „Heiliger Baum?“, wollte er dann wissen. „InuYasha meint Goshinboku. Der Baum, an den er seinerzeit gebannt war. Er existiert auch hier noch – der alte Baum dort vorne auf dem Schreingelände“, erklärte Kagomes Opa, der sämtliche Berührungsängste inzwischen verloren zu haben schien. InuYasha schlenderte derweil über den Hof. Am Fuße von Goshinboku lag ein alter Fußball. Soutas wahrscheinlich. Die Leidenschaft hatte er also nicht verloren. Der Hanyô blickte sich um. Dort waren die Nebengebäude – die Lagerhalle und das Brunnenhaus. Einen Moment war InuYasha versucht, in letzterem vorbeizusehen, aber er ließ es dann doch bleiben. Der Knochenfresser war inzwischen ohne Funktion. Was sollte er noch da. Er ließ den Blick weiter schweifen. Neben der Tür des Lagerhauses lehnte der Besen, den Kagomes Opa so oft benutzt und an der Seitenwand des Wohnhauses stand etwas, das fast wie das Fahrrad aussah, das Kagome manchmal mit im Mittelalter gehabt hatte. Nur war dieses Zweirad hier breiter, nicht rosa sondern dunkelrot und hatte auch keinen Korb am Lenker, wie der, in dem Shippô immer so gerne mitgefahren war. Shippô…, schoss es dem Hanyô durch den Kopf. Den kleinen Kerl hatte er auch schon lange nicht mehr gesehen. Obwohl… klein war er vermutlich gar nicht mehr. Eher schon ein Jugendlicher. InuYasha schob den Gedanken beiseite und wandte sich Goshinboku zu, sprang mit einem Satz hinauf, auf den untersten Ast, der stark genug war, ihn zu tragen. Er lehnte sich gegen den Stamm und zog Tessaiga aus dem Gürtel, hielt es im Schoss, damit er bequemer sitzen konnte. Dabei lächelte er leicht. Er hatte deutlich gefühlt, wie unglaublich glücklich Kagome gewesen war, ihre Familie einmal wiederzusehen, das hatte er schon gespürt, als er ihr seine Idee erzählt hatte. Es würde ihr sicher gefallen, wenn sie ein paar Tage hier blieben. Ja, vielleicht war das keine schlechte Idee. Und so spöttisch er das vorhin gesagt hatte, er würde Kôhei schon dazu bekommen, Sesshômarus Auftrag nicht so ganz genau zu nehmen. Kapitel 18: Eine Dusche und ein Verdacht ---------------------------------------- Na also, manchmal funktioniert es doch… Zufrieden beobachtete Arata, dass es Sayuri inzwischen gelang, den Stein in die Luft zu werfen und mit der anderen Hand wieder aufzufangen. Was ein wenig wie erste Übungen zum Jonglieren-Lernen aussah, war ein gewaltiger Fortschritt. Und das nur, weil er auf einen einfachen Trick zurückgegriffen hatte – und auf den Instinkt, den Sayuri besaß, ohne ihn zu kennen. Ein Hanyô war ein halber Yôkai und Yôkai hatten eine fast tierische Seite, die sich gerade in der Kindheit in Verspieltheit und anderen Eigenheiten zeigte. Offensichtlich ging das auch Sayuri nicht ab und so hatte es gereicht, ein Steinchen zu nutzen, dass ein wenig silbrig glänzte, damit sie es als Schatz betrachtete und sich mehr anstrengte, es zu fangen. Mit Erfolg, wie man sah, denn gerade schlossen sich ihre Finger zum fünften Mal in Folge darum. „Sehr gut, Sayuri. So, jetzt wirf mir den Stein zu. Feste!“ Der nächste Schritt musste jetzt sein, dass sie lernte, gezielt ruckartige Bewegungen zu machen. Gerade mit der Hand. Und werfen war da ein ganz guter Anfang, dass sie den Bewegungsablauf lernte. Die grünen Mandelaugen des kleinen Mädchens wandten sich ihm zu, als sie die Hand hob. Arata ahnte, dass er, Unwissenheit hin oder her, einem reinen Menschen in ihrem Alter niemals solche Übungen abverlangen dürfte, dazu ging er selbst jetzt zu schnell vor. Aber es funktionierte. Sayuri warf, er fing den glänzenden Kiesel mühelos auf und wog ihn kurz in der Hand. Apropos Mensch. Eigentlich müsste auch Sayuri eine schwache Nacht haben – oder einen schwachen Tag, so wie Jinenji. Aber wann war der? In der Mondphase, in der sie geboren worden war oder in der Mondphase, in der der Bann gelöst wurde und sie wieder eine Hanyô wurde? Oder etwa ein Mix aus beidem? Sie würden wohl beobachten müssen. Da er Sayuris auffordernden Blick bemerkte, nickte er ihr leicht zu und warf das Steinchen wieder in ihre Richtung. Sie fing diesmal mühelos. Sag‘ ich ja… manchmal funktioniert es… ~*~ So schwer er Kagome gefallen war, sich in Tokio zu orientieren, so erstaunlich leicht fiel es ihr im Haus. Gut, die Wahrscheinlichkeit zu irren war deutlich geringer, aber sie wusste dennoch, dass da noch andere Gründe waren. Ihr Elternhaus war ihr immer wichtig gewesen, mochten die Jahrhunderte dahin gezogen sein. Tokio dagegen, oder eher der Landstrich, auf dem heute Tokio war, hatte immer weiter an Bedeutung verloren. Mit einem leichten Lächeln drückte sie die Badezimmertür auf und trat hinein. Ein kurzer Blick umher, auch hier war wenig verändert. Hotaru neben ihr blieb staunend stehen. Schmunzelnd betrachtete Kagome das Gesicht ihrer jüngsten Tochter, in dem die Augen immer größer wurden. „Na komm, Hotaru, ausziehen“, forderte sie aber schließlich, ehe sie ihrer Tochter in die Dusche half. „Schau mal, kommst du da ran?“, fragte sie, während sie die Hand nach dem Duschkopf ausstreckte. Erwartungsvoll gab Hotaru ihr das Verlangte und beobachtete dann staunend, wie gleich darauf Wasser direkt aus dem Duschkopf zu strömen begann. Vorsichtig regulierte Kagome die Temperatur, ehe sie den Duschkopf drehte, sodass ihre Tochter das Wasser abbekam. „Warm!“, stellte sie begeistert fest und hielt mal die eine, mal die andere Hand unter den Wasserstrahl – bis, ja, bis sie mit den Fingern zu eng an den Duschkopf geriet, wo der Druck stärker war. Halb kreischend, halb lachend wich Kagome zurück, als das Wasser in alle Richtungen spritzte. „Hey, Hotaru, ich wollte eigentlich nach dir duschen und nicht gleichzeitig“, grinste sie, ehe sie ihrer Tochter kurzerhand den Duschkopf in die Hand drückte und ihren Obi aufband. Dann stieg sie zu dem Mädchen in die Duschkabine, das sich noch immer vor Lachen bog. „Jetzt zufrieden, Würmchen?“, wollte sie wissen. Hotaru kicherte. In Anbetracht dessen, dass ihr Name „Glühwürmchen“ bedeutete, war Hotaru diesen Spitznamen gewöhnt. Als Antwort hob sie bloß den Duschkopf – inzwischen hatte sie einigermaßen durchschaut, wie das Ding funktionierte – und lenkte damit den Wasserstrahl in das Gesicht ihrer Mutter. Die aber ließ sich nicht narren. Sanft wand sie ihrer Tochter den Duschkopf wieder aus der Hand, richtete den Wasserstrahl nach unten und hob gespielt mahnend den Zeigefinger der freien Hand. „Setz das Zimmer nicht unter Wasser, Hotaru. Deine Großmutter wäre sicher nicht begeistert“ Das wirkte. Anstandslos ließ Hotaru zu, dass Kagome nun begann die Haare ihrer Tochter zu waschen und dem Mädchen dann sämtlichen Reisestaub vom Körper zu spülen. Als Kagome sich schließlich mit sich selbst beschäftigte, nutzte Hotaru die Zeit, sich das, was sich in einer Nische der Wand befand, näher unter die Lupe zu nehmen. Shampoo, Duschgel und ähnliches waren für sie schließlich gänzlich unbekannt. Kagome ließ ihre Tochter forschen, solange das Mädchen die Flaschen geschlossen ließ. Als sie schließlich mit ihren Haaren fertig war, bugsierte Kagome Hotaru aus der Dusche und wickelte sie in ein Handtuch, das schon bereitlag. Danke, Souta…, dachte sie bei sich, ahnte sie doch, dass er auf dem Weg nach oben etwas herausgelegt hatte. Der Farbe nach zu urteilen, war es sogar eines der Badetücher, die früher ihr gehört hatten. Während sie ihre Tochter abrubbelte, klopfte es an der Tür. „Ja?“ „Lass eure Kleidung liegen, ich wasche gleich sowieso. Vor der Tür liegt etwas für dich und Hotaru“ Kagome schüttelte schmunzelnd den Kopf, während sie sich die von Feuchtigkeit schweren Haare hinters Ohr steckte. Ihre Mutter würde sich wohl nie ändern. ~*~ „Du heißt also Aya?“ Die Risu-Yôkai blieb kurz stehen, um an die Tür zu klopfen, vor der sie angelangt waren. „Hai. Eigentlich bin ich die Zofe von Akeno-hime“, antwortete sie, während sie auf ein kurzes „Herein“, die Tür langsam aufschob. Im Raum – dem kleinen Audienzsaal, der Kanaye als Erbprinz zustand – kniete der junge Kitsune an seinem Pult, unterhielt sich mit einer Dienerin, die eben Tee gebracht hatte. Jetzt aber schickte er sie mit einer Handbewegung weg und blickte stattdessen den Neuankömmlingen entgegen. Sein Blick ruhte dabei kurz auf der echten Yukiko, ehe er weiterschwiff, allen unbestimmt grüßend zunickte. „Aya…“, bemerkte er nur. Die Zofe seiner Schwester nickte leicht, während sie sich mit halb gesenktem Kopf den Gästen zuwandte, demonstrativ den Blick auf ‚Umeko‘ richtete, so der begleitenden Mutter sagend, dass sie aufmerksam war. Den Cousinen sagte sie dadurch gleichzeitig, dass sie Bescheid wusste. Wortlos drehte sich die Begleitperson um und verschwand aus dem Raum, Aya schob die Tür zu und kniete sich daneben. Kanaye wartete noch einen Moment, bis er davon ausgehen konnte, dass die Begleiterin – die Mutter der echten Umeko – außer Hörweite war, ehe er das Wort ergriff: „Zuerst einmal, mein Bruder hat Wort gehalten. Einzig wir Fürstenkinder – und Aya – wissen über euer kleines Geheimnis Bescheid, unsere Eltern noch nicht. Allerdings überlegen wir, letzteres zu ändern. Unsere Mutter hätte sicher weniger Probleme mit dem Sachverhalt, als ihr glauben mögt. Sie ist selbst nie ganz unumstritten gewesen“ Die Rothaarige, die in Wirklichkeit Yukiko hieß, wirkte nun auch neugierig. „Wie denn das? Nach allem was wir kennengelernt haben, ist sie eine ganz liebe Persönlichkeit, zurückhaltend und schlicht. Die perfekte Fürstin“ Kanaye lachte leise. „Schön, dass ihr meine Mutter so schätzt. Aber Haha-ue ist nicht so zurückhaltend, wie ihr glaubt. Wir nehmen sogar an, dass einige Inititative damals, als Chichi-ue und sie sich kennenlernten, von ihr ausging. Haha-ue entstammt einer einfachen Familie aus dem Volk, ihr beiden“ Beide rissen nun die Augen auf, aber Yukiko ließ den Kopf rasch wieder sinken. „Das mag sein, aber… eine nicht standesgemäße Heirat ist sicher kein so großes Vergehen wie Mord und Ehebruch. Umeko und ich haben noch einmal nachgedacht. Es könnte die Abstammung meines Bruders sein, die unsere Eltern davon abhielt, direkt mich vorzuschlagen“ Kanaye horchte auf. Mord und Ehebruch? Das ließ entweder auf eine Familienintrige oder auf verletzte Eitelkeit schließen. „Ohne euch zu Nahe treten zu wollen… lasst mich raten. Der Betrogene hat seinen Nebenbuhler aus dem Weg geschafft“ Nach kurzem Zögern war es die echte Umeko, die nickte. „Erst strafte mein Onkel nur meine Tante für ihre Verfehlung, aber als er herausbekam, wie lange das Ganze schon ging, wurde ihm klar, dass mein Cousin höchstwahrscheinlich nur Yukikos Halbbruder ist. In seiner Wut brachte er den Liebhaber meiner Tante um. Erst danach wurde ihm klar, wie sehr diese Handlung seiner Ehre schadet, solange er nicht offenbahrt, dass sein Sohn nicht sein Sohn ist, und er hat davon abgesehen, meinen Cousin abzuerkennen. Dennoch weiß irgendwie jeder Bescheid, was damals geschah“ Yukiko hob noch immer nicht wieder den Blick. „Seit dem bin ich in der erweiterten Familie nicht gerade gut angesehen. Mein… Halbbruder übrigens auch nicht. Einzig mein Onkel, Umekos Vater, hält noch wirklich zu uns. Ich könnte mir vorstellen, dass er diesen Plan ausgeheckt hat“ Kanaye wiederstand mühsam der Versuchung die Hand resignierend an die Schläfe zu legen. Stattdessen schüttelte er etwas den Kopf. „Wenn es das wirklich ist, haben wir zu mindestens einen Grund, egal wie nachvollziehbar der sein mag. Aber wie dem auch sei… ich bin immer noch dafür, dass ich meine Eltern einweihe. Chichi-ue und Haha-ue sind, denke ich, schlimmeres gewohnt. Intrigen kennen die beiden zu Genüge“ „Und wenn wir dann vom Hof geschmissen werden…?“, wollte Yukiko etwas zögernd wissen. Kanaye sah kurz zu ihr, ehe er mit neckisch blitzenden Augen den Blick zu Umeko wandte: „Die Wahrscheinlichkeit ist gering, ihr beiden. Zumal Ihr, Umeko, einen Fürsprecher haben dürftet…“ Er lachte in sich hinein, als er ihr Erröten bemerkte. Dass sie Tadashis Interesse erwiderte, war schwer zu übersehen. Glück gehabt, Bruderherz… wenn wir das hier aufklären können, gewinnst du sie vielleicht… ~*~ Als Kagome die Treppe wieder hinab kam, trug sie einen einfachen, hellen Rock und eine beige Bluse, Hotaru steckte in einem schlichten, gelben Sommerkleid, das ihr anscheinend ausnehmend gut gefiel. Kagome schmunzelte, als ihre Tochter sich aufmerksamkeitsheischend vor ihrer älteren Schwester um sich selbst drehte, um das neue Kleidungsstück zu präsentieren. „Vorsicht, Hotaru. Denk‘ daran, dass es nur geliehen ist!“, mahnte sie nur, ehe sie sich wieder an den Tisch begab, an dem seitlich noch immer Kôhei saß und sie jetzt interessiert ansah. Fragend blinzelte Kagome, woraufhin er nur eine Hand auf seinen Oberschenkel legte. Offenbar stellte er seine Frage lieber nonverbal, unwissend, ob er vielleicht hiesige Selbstverständlichkeiten ankratzte. Kagome verstand ihn dennoch. Er spielte auf den Rock an, der gerade einmal knapp bis zum Knie ging. Auch für war es seltsam, nach so langer Zeit wieder ein derart kurzes Kleidungsstück zu tragen. Andererseits… auch die Röcke der Wolfstracht waren nicht sehr viel länger. Anscheinend wunderte ihn also nur, dass abseits seines Clans noch andere, Menschen obendrein, sich derartig kleideten. „Das ist ganz normal, Kôhei. Manchmal sind die Kleidungsstücke sogar noch kürzer, selbst die Uniformen der Schulmädchen haben noch kürzere Röcke als diesen hier. Das hat sich mit der Zeit einfach herausgebildet, dass die Menschen, gerade die Mädchen und Frauen nichts mehr dabei finden, Haut zu zeigen“, erklärte sie also. Kôhei nickte leicht. Ob er das nun verstanden hatte oder einfach nur hinnahm, blieb sein Geheimnis. „InuYasha ist übrigens am heiligen Baum, sollen wir dir sagen“, bemerke er dann ruhig. „Kikyô? Passt du kurz auf Hotaru auf? Ich schau mal, was dein Vater von mir will“, fragte Kagome in Richtung ihrer Ältesten. Die nickte nur, also begab Kagome sich nach draußen. Sie ahnte, dass InuYasha sich nicht nur aus Sentimentalität nach draußen verzogen hatte. Irgendetwas wollte er mit ihr besprechen. Als sie unter den Ast trat, auf dem InuYasha saß, sah er bereits zu ihr hinab. „Da bist du ja endlich“, erklang InuYashas Stimme, wobei der Hanyô einigermaßen geschickt überspielte, dass Kagomes Aufzug in ihm nicht nur Erinnerungen weckte. Etwas wie diesen knielangen Rock hatte sie zuletzt getragen, als sie durch den Brunnen zu ihm zurückgekehrt war, seit dem trug sie Chihaya oder Kimono und die zeigten bekanntlich beide wenig Haut. „Ungeduldiger Kerl“, schnappte Kagome da zurück, griff aber nach der Hand, die sich ihr schlicht von oben entgegenstreckte. Mit einem Ruck zog InuYasha sie zu sich auf den Ast, dann auf seinen Schoß. Einen Arm schlang er sichernd um ihre Taille, die andere Hand lag wie zufällig auf der bloßen Haut ihres Oberschenkels, wo der Rock durch den Schwung etwas verrutscht war. Kagome konnte ein Kichern nicht unterdrücken, als sie den Stoff zurechtzupfte. „Was soll das denn?“ „Gefällt’s dir hier etwa nicht?“, konterte InuYasha bloß und grinste sie frech an. Kagome gab sich geschlagen und wechselte das Thema. „Was wolltest du denn von mir?“ „Souta sprach von einem Treffen an deiner Schule. Was wird das?“ Kagome zuckte etwas die Schultern. „Naja, es kommen eben die ehemaligen Mitschüler zusammen, es wird getratscht, wird wohl Essen geben und vielleicht auch getanzt, was weiß ich…“, erwiderte sie. InuYasha schüttelte sich kurz, sodass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte, wenn er sie nicht festgehalten hätte. „Verschone mich bloß mit Tanz“, bemerkte er. „Klar doch, InuYasha. Ich we-… soll das heißen, du spielst mit dem Gedanken da hin zu gehen?“ Kagome war gelinde gesagt überrascht. „Es würde dir doch Freude machen, oder?“ „Oh, InuYasha, du bist ein Schatz!“ Den darauffolgenden, dankbaren Kuss erwiderte InuYasha nur zu gerne. Hatte er es sich doch gedacht, dass Kagome es begrüßte, noch einmal einen kleinen Ausflug in ihr altes Leben zu wagen. Er kannte sie lange genug. Als sie eine Weile später wieder ins Haus zurückkehrten, hatte sich Souta – jetzt in Jeans und T-Shirt – ebenso dazugesellt, wie Kagomes Mutter. Hotaru nutzte die Rückkehr ihres Vaters sofort, um auch ihm das neue Kleid vorzuführen und InuYasha war einfühlsam genug, es gebührend zu bewundern. Kagomes Blick dagegen heftete sich auf ihre Mutter. „Wo hast du die Sachen eigentlich her?“ „Das Kinderkleid ist von den Nachbarn“, erwiderte Frau Higurashi nur, ehe sie sich wieder darauf konzentrierte, den Tee zu verteilen, den sie in der Zwischenzeit zubereitet hatte. Kagome ließ sich so leicht aber nicht abspeisen. „Und meins? Das sind keine von meinen alten Sachen, das weiß ich auch nach fünfhundert Jahren noch“ Ihre Bemerkung entlockte Kagomes Opa ein leises Husten, anscheinend konnte er mit diesen Zeiträumen noch nicht so ganz umgehen. Kagomes Mutter dagegen sah nicht einmal auf. „Och, die hat Hitomi hier deponiert. Sie hat sicher nichts dagegen, dass sie dir für kurz geliehen wurden“ Kagome schloss kurz nachdenklich halb die Lider. Sollte sie diesen Namen kennen? Dann fiel es ihr wieder ein. „Souta?!“ Ihr Bruder lächelte nur leicht verlegen. „Naja, mal so, mal so“, wich er aus. Kagome zog eine Augenbraue hoch, sah aber davon ab, nachzuhaken. Nicht so InuYasha. „Hä? Wer?“ „InuYasha! Erinnerst du dich etwa nicht mehr? Das kleine Mädchen damals, aus Soutas Klasse? Du hast doch noch mit Souta geprobt“, wies Kagome ihn grinsend zurecht, wobei ihr Seitenhieb aber eher Soutas Verlegenheit verstärkte, als bei InuYasha auch nur einen Funken davon zu erzeugen. Dennoch raffte Souta sich auf, zu erklären, was Sache war: „Hitomi und ich… wir sind seit Jahren zusammen. Aber manchmal haben wir so unsere Differenzen und dann kann schon mal wochenlang Funkstille sein. Das meinte ich“ Kagome nickte verstehend. Dieses Prinzip kannte sie schließlich zu Genüge, auch wenn es bei InuYasha und ihr ab und zu eindeutig mehr als nur Differenzen gewesen waren. Da fiel ihr etwas ein. „Sag mal… die junge Frau, die Hotaru vorhin, als wir ankamen, umgerannt hat… könnte das…?“ Nun hatte sie es doch nicht geschafft, Souta wurde rot. „Ja, vermutlich war das Hitomi. Sie hat hier übernachtet“ Ein scharfer Blick seitens Kagome hielt InuYasha aus Rücksicht auf Hotarus Anwesenheit davon ab, das Thema vertiefend zu erörtern und schließlich ergriff Kagomes Mutter, die die ganze Zeit über still in sich hineingeschmunzelt hatte, wieder das Wort. „Und wie lange wollt ihr bleiben?“ „Lange nicht. Kagome, du weißt…“, mischte Kôhei sich ruhig ein. Die Schwarzhaarige nickte etwas. „Ich weiß, Kôhei“, bestätigte sie, ehe sie das Thema gedanklich beiseiteschob. Dieser Tag heute galt ihrer Familie und nicht dem Auftrag. So vergingen die nächsten Stunden zwischen Erzählungen und einem leichten Abendessen, das Kagomes Mutter sich – natürlich – nicht nehmen ließ. Auch nicht, nachdem Kagome angekündigt hatte, dass sie sich wohl doch auf dem Ehemaligentreffen blicken lassen würde. InuYasha würde sie begleiten und auch Hotaru. Kikyô ging schlecht, ihre Ähnlichkeit zu Kagome war nicht zu verleugnen und niemals konnten sie tatsächlich sagen, dass sie Kagomes Tochter war. Und Kôhei strebte sicherlich nicht einmal danach, sich auf dem Schulhof aufzuhalten, der direkt an der Straße lag. Das würde schon für InuYashas Nase eine Durchhalteprobe werden. Kagome hatte sich entschieden, wieder den Kimono anzuziehen und auch Hotaru in den ihren zu kleiden, denn das passte besser zu der Geschichte, die sie sich mit der Hilfe von Souta und ihrer Mutter zurechtgebastelt hatte, um zu erklären, warum sie nur spärliche Informationen über sich und ihren Verbleib preisgeben konnte. Sorgfältig flocht sie die inzwischen trockenen Haare ein, Kikyô half ihr dabei, das blaue Seidenband, mit einzuarbeiten, das dem Ganzen einen etwas edleren Anschein gab. Hotaru durfte, auf langes Betteln hin, das limettenfarbene Haarband, das zu dem Kinderkleid gehört hatte, anbehalten. Die daran angenähte, kleine, gelbe Blume verschwand zwar fast in ihrem dicken Haar, aber es sah dennoch niedlich aus. Nachdem Kagome sich noch einmal versichert hatte, dass es sowohl Kikyô, als auch Kôhei nichts ausmachte, zurückzubleiben, schulterte sie Pfeilköcher und Bogen, die sie spaßenshalber mitnehmen würde – gerade Yuka würde gucken – und machte sich mit Gefährte und jüngster Tochter auf den Weg. „Und, Hotaru? Vergiss nicht, du bist erst fünf!“, erinnerte Kagome ihre Jüngste noch einmal, als sie die Treppe zur Straße hinabschritten. Hotaru blitzte sie aus vorwurfsvollen, braunen Augen, in denen die Sprenkel, deren goldene Farbe sie ihrem Vater verdankte, in der Dämmerung deutlich zu sehen waren, an, ohne ihren Lauf zu unterbrechen: „Klar, Okaa-san“ Kagome fühlte sich an ein gewisses Fürstentreffen vor vielen Jahren erinnert und die gleichen Gedanken wie damals schossen ihr durch den Kopf: Na hoffentlich… Kapitel 19: Kiraras Leiden -------------------------- Als Kirara inmitten des Hauptdorfes der Taijiya aufsetzte, knickte sie beinahe ein. Dafür dass sie bis vor weniger als einer Stunde außer ein wenig Schwäche nichts von dem Gift in ihrem Körper mitbekommen hatte, ging es jetzt schnell mit der Verbreitung. Und sie ahnte, dass ihre eigene Aufregung – und auch Angst – sehr dazu beitrug. Und sie wusste, dass Katashis geschockter Blick, als er ihr entgegen kam und ihren zittrigen Stand bemerkte, diesmal nicht grundlos war. „Kirara!“, die Stimme des Nekomata-Katers war voller Schreck, als er sich blitzschnell verwandelte, um neben sie zu treten und sie zu stützen. Kirara blickte ihn an, zum ersten Mal seit langem wieder extrem froh über seine direkte Nähe. Jetzt hatten sie auch Mitglieder der Taijiya entdeckt und auch Atsukos roten Blick fühlte Kirara in der Seite, obgleich ihre Tochter nicht zu ihr kam, weil sie mitten im Training mit zwei jungen Taijiya steckte. „Bring‘ mich bitte zum Schrein. Der… der Kampf gegen Kaori, ich habe eine Vergiftung abgekriegt, die sich erst jetzt bemerkbar macht… nicht irgendein Gift…“, erklärte Kirara mühsam, wohlwissend, dass sie nicht mehr lange in der Lage war, pragmatisch zu denken. Ihr Herz klopfte heftig in ihrer Brust – und verteilte die schädlichen Energien weiter und weiter in ihrem Körper. Viel zu schnell eigentlich. Sobald ihre Knochen, ihr Knochenmark angegriffen wäre, oder sobald ihr Herz, ihre Lunge schlappmachte, wäre es zu spät. Bis dahin musste sie wenigstens versuchen, ihr Ende hinauszuzögern. Warum muss Kagome ausgerechnet jetzt unerreichbar sein?, fragte sie sich innerlich, gab das Hadern aber auf. Ein dämonisches Wesen haderte nicht und Kirara war ein annähernd dämonisches Wesen. Halbwegs wenigstens. Katashi musste das spüren, aber dennoch ließ er nicht locker: „Was für eines?“ Kirara schwankte etwas, ihre Beine drohten einzuknicken und automatisch drängte sie sich enger an den Kater an ihrer Seite. Ihre Sicht verschwamm bereits und er war der einzige Halt, den sie bei sich wusste. Anstatt ihm aber zu antworten, formte sie mühsam andere Worte: „Ich… ich muss die Wunde… er-erneuern. Und offen halten. D-Du musst das… mach-en.“ An diesem Punkt mischte Kazuya sich ein, der jetzt auch zum ersten Mal hörte, warum seine Mutter dem Zusammenbruch nahe ware und entschlossen drängte er sich an ihre andere Seite und schob sie vorsichtig vorwärts. Sein Vater reagierte prompt, stützte Kirara weiterhin von der anderen Seite und so kamen sie Schritt für Schritt dem Schrein näher. Gerade als sie in das Innere traten, kam auch Atsuko herangejagt, die man offenbar hatte ziehen lassen, als man Kiraras Zustand auch mit menschlichen Sinnen erfasste. „Mutter!“, keuchte sie erschrocken, fragte aber erst gar nicht, was geschehen war. Sie ahnte, dass sie im Ernst der Situation keine Antwort bekommen hätte. Stattdessen zerrte sie entschlossen die dünne Decke, die die Dokumentetruhe schmückend bedeckte, von dem Holz und schleifte sie bis in die Ecke vor dem Aufbewahrungsort von Sangos Hiraikotsu. Die beiden Kater betteten Kirara auf das notdürftige Lager, während Kazuyas und Atsukos Mutter kaum mehr bei Bewusstsein schien. Katashi setzte sich direkt neben Kiraras Kopf nieder, nachdem die sich ihrer Schwäche folgend nun endlich in ihre kleine Form hatte zurückziehen können, ohne zu riskieren, dass sie die Wegstrecke nicht mehr schaffte. Allerdings war sie auch nicht mehr stark genug, der Ohnmacht zu entrinnen. Mit letzter Kraft suchte sie noch ein paar Worte zusammen, wohlwissend, dass es ihre letzten sein könnten: „Sagt Ka-gome oder… oder Kik-yô Bescheid, sie wissen, was zu tu… zu tun ist. E-es war… Gift-kristall…“ Damit schlug die unnachgiebige Schwärze über ihr zusammen. Die drei anderen Nekomata saßen da wie zu Salzsäulen erstarrt. Gegen Giftkristall war kein Kraut gewachsen, selbst Jinenji kannte da keines. Gegen Giftkristall wirkte nur Mikokraft und zwar starke. Katashi erinnerte sich, dass Kirara einmal erzählt hätte, sie habe es schon einmal mit Giftkristall zu tun gehabt – und Kagome war stark genug gewesen, den Vergifteten zu heilen. Wenn er sich recht erinnerte, hatte Kirara sogar gesagt, es habe sich damals um Kôga, den heutigen Fürsten der Ookami gehandelt. Die Erinnerung daran, machte ihm etwas anderes klar. Wenn jemand wusste, wie sie vielleicht am Leben zu halten war, dann Kirara selbst. Und sie hatte es ihnen noch gesagt. Kurz blickte er auf seine Tochter, deren Pfoten nach dem Training auf den Felsen am Dorfrand etwas aufgeschürft waren. Das war in Nullkommanichts verheilt, aber bis es soweit war, durfte sie Kiraras Behandlung nicht übernehmen. Blut auf Blut würde sich vermischen und dann wäre Atsuko auch noch vergiftet. „Ich halte ihre Wunde offen, Kazuya, du musst zurück zu deiner kleinen Freundin“, bestimmte er also nur. Angesichts der angespannten Lage, wiedersprach Kazuya nicht. Sorge um seine Mutter hin oder her, er hatte sich entschieden, Sayuri zur Seite zu stehen und dann würde er das auch tun. Ihr Training war sehr wahrscheinlich längst zu Ende. Es wurde schon dunkel. Also machte er sich nur wenig wiederstrebend auf den Weg. Atsuko erhob sich ebenfalls, als sie sah, dass ihr Vater bereits eine Pfote zur Schnauze gehoben hatte und darüber leckte um sie zu säubern. Er unterbrach seine Bewegung allerdings. „Wo gehst du hin?“ Das klang nicht lauernd, sondern interessiert, sichtlich war ihr Vater erstaunlicherweise noch in der Lage, pragmatisch zu denken. Auf das naheliegenste kam er dann allerdings doch nicht. „Was wohl, Katashi? Ich gehe zur Grenze, damit ich Kagome und die anderen abfangen kann, wenn sie kommen. Außerhalb des Bannkreises finde ich sie zwar nicht, aber ich kann sie dann so schnell als möglich herbringen. Und wenn wir sehr viel Glück haben, kommen vielleicht auch ausgerechnet Akio oder Itoe zu Besuch. Die könnten ebenfalls etwas ausrichten.“ Da hatte sie Recht. An die mittleren Kinder von Kagome hatte bisher keiner gedacht. Mindestens gemeinsam könnten auch die Fast-Zwillinge, wie sie überall genannt wurden, stark genug sein, Giftkristall zu läutern, auch wenn bei ihrer Kräfteverteilung der dämonische Blutteil stärker durchzuschlagen schien, als bei Kikyô und Hotaru. Also machte Atsuko sich unbehelligt auf den Weg. Sie war sich durchaus im Klaren, dass sie im Notfall auch Emi aufsuchen könnte, die Nekomata, die den Taijiya auf der Nékoinsel diente, und über diese Kontakt zu Kuraiko aufnehmen. Die Urkönigin der Panther hatte immer noch genug Bindung zur Sekai no Tía, dass sie deren Aufenthaltsort spüren könnte. Aber das wollte sie nur im äußersten Notfall machen. Denn wenn Atsuko eines hasste, dann waren es die Fallwinde, die in den Schluchten oberhalb des Néko-Taijiyadorfes herrschten. ~*~ „Ich fasse es nicht. Da könnten wir uns nach Jahren wiedersehen und sie kommt einfach nicht!“ Die hochgewachsene, junge Frau mit schulterlangen, schwarzbraunen Haaren, die vor dem Schultor stand, warf empört die Arme in die Luft. „Nana, Yuka, beruhige dich mal. Das hier ist doch kein Staatsempfang“, versuchte ihr Gegenüber zu beschwichtigen, deren schwarze Haare lang und wellig waren. Die Yuka genannte schnaubte durch die Nase. „Na du musst es ja wissen, Frau Dolmetscherin. Du kennst Staatsempfänge ja zu Genüge. Ich dagegen muss mich mit Ehemaligentreffen zu Frieden geben und die sind mir wichtig, verstanden?“, brauste sie auf. Die andere verdrehte etwas die Augen. „Wie Sie wünschen“, witzelte sie bloß und diesmal gelang es ihr, die alte Freundin zu beruhigen. Yuka schüttelte nur den Kopf, ehe sie ruhiger hinzufügte: „Trotzdem ist es eine Frechheit. Einfach einen Tag vorher abzusagen. Klar kann sie ihre Schauspieler nicht einfach im Stich lassen, ohne Regie geht gar nichts. Aber sie hätte uns trotzdem nicht einfach so im Regen stehen lassen sollen. Und überhaupt – selbst Kagome ist gekommen, u-“ „Kagome?“, unterbrach ihr Gegenüber sie und sah sich suchend um. Da schien auch Yuka zu merken, was sie da eben so leichtfertig dahingesagt hatte. Aber es war ja so. Da kam Kagome die Straße herunter. Auch die andere junge Frau war nun herumgewirbelt, hatte Kagome entdeckt. „Kagome!“, riefen beide gleichzeitig. Gerufene lächelte nur und hob winkend eine Hand, während sie mit der anderen Hotaru am Kragen zurückhielt, die bereits begeistert vorstürmen wollte. „Hier geblieben, Fräulein“, raunte sie nur, ehe sie bei den beiden anderen angekommen waren. „Ayumi! Yuka! Wie schön euch endlich einmal wiederzusehen!“ Im nächsten Moment lagen die drei alten Freundinnen sich in den Armen. Kagome freute sich, ihre Freundinnen wieder zu sehen, aber bereits jetzt merkte sie, dass es ihr weniger bedeutete, als es früher getan hätte. Die beiden hier und Eri, sie waren Schulfreundinnen gewesen. Mädchen, mit denen sie redete, von denen sie sich auslachen und verkuppeln ließ. Aber es waren immer andere gewesen, die ihr wahres Selbst gekannt hatten. Sango war derer die erste gewesen und es waren andere hinzugekommen. Dennoch war es wie ein willkommener Anflug von Vergangenheit und vor allem Unbedarftheit, Ayumi und Yuka wiederzusehen. InuYasha zuckte unter der Cappy mit den Hundeohren und blieb abwartend zwei Meter hinter Kagome stehen. Er wurde auch erst bemerkt, als die drei wieder auseinandertraten. „Und wer ist das da?“, wollte Yuka nämlich wissen. Auch Ayumi sah neugierig drein. Kagome grinste hinterhältig: „Was glaubt ihr denn, wer das ist?“ Einen Moment schienen beiden zu überlegen, dann holte Yuka tief Atem: „Doch nicht etwa…“ Kagome unterbrach sie rasch. „Doch, das ist er“, bestätigte sie, ehe sie an den Fingern aufzuzählen begann: „Der gewalttätige, unhöfliche, ruppige, eigensinnige, eifersüchtige, egoistische Freund – das heißt, inzwischen Ehemann.“ Und dabei zwinkerte sie InuYasha, der trotz Kagomes neckischem Tonfall kurz vor dem Platzen schien, belustigt zu. Rasch trat er einen Schritt vor. „Sag bloß, das war damals deine Beschreibung für mich.“ Kagomes Grinsen wurde beinahe teuflisch und Ayumi und Yuka sahen sich perplex an. Was sollte das denn jetzt werden? Aber Kagome nutzte bloß die Steilvorlage um zu kontern: „Och, genau genommen, InuYasha, passt diese Beschreibung auch heute noch manchmal ganz gut. Insbesondere wenn du mal wieder so besitzergreifend bist, wie jetzt gerade“ Damit spielte sie auf seine Hand an, die auf ihrer Schulter lag. Gleichzeitig wand sie sich mit einer geschickten Bewegung aus seinem Griff und hakte sich stattdessen bei ihm ein. „Aber wenn du willst, kannst du auch sehr sanftmütig und nett sein.“ Ayumi und Yuka wechselten erneut einen vielsagenden Blick. „Ich glaube, wir haben ihn damals falsch eingeschätzt“, stellte Yuka trocken fest. Ayumi kicherte. „Genau genommen hast du doch damals schon gesagt, dass Kagome ihn mag. Oder erinnere ich mich da falsch?“, wollte sie spitzfindig wissen. Yuka stieß bloß spöttisch die Luft aus: „Pff. Na so wenig wie sie an Hojo interessiert war. Und so wie sie über den da geredet hat“, rechtfertigte sie sich, mit dem Finger auf InuYasha zeigend. Kagome hatte der Diskussion amüsiert zugehört. „Sagt mal, ihr beiden, wolltet ihr jetzt mit mir oder lieber über mich reden? Wenn letzteres zutrifft, gehe ich nämlich schon mal rein“, unterbrach sie die beiden schließlich und wandte sich demonstrativ dem Schultor zu. Das schien die beiden zur Besinnung zu bringen. „Aber nein, Kagome! Natürlich wollen wir das nutzen, um mit dir zu reden!“, beeilten sie sich zu beteuern und überschwänglich wie früher griff jede nach einem von Kagomes Armen und so zogen sie die Freundin mit sich. InuYasha, der sich aus Rücksicht auf die menschliche Zerbrechlichkeit ohne Wiederstand zur Seite stoßen ließ, sah der Dreiergruppe kurz hinterher, ehe er, seine Tochter an der Hand, bedächtiger folgte. Kagome ließ es derweil geschehen, dass Ayumi und Yuka sie mit sich zerrten. Innerlich lachte sie aber. Wen habe ich da noch besitzergreifend genannt? ~*~ „Sesshômaru-sama? Das…äh…Tier.“ Der silberhaarige InuYôkai zog eine Augenbraue hoch, bei dem Wortlaut von Jakens Ansage. Er kannte diese Wortwahl. Jaken hatte sich noch nie merken können – oder wollen - , um wen oder was es sich bei Yume handelte. Das konnte allerdings auch gut daran liegen, dass der Krötendämon den Kontakt zu dem Baku meist vermied. Die schauerlichen Geschichten, die unten den Menschen über Yumes Gattung umgingen, stammten zum Großteil von Jakens Clan, denn die Krötendämonen und Kappas hatten schon immer in Fehde mit den Baku gesteckt, wenn diese sich auch eher in Schmähungen, denn in Kampfhandlungen ergoss. So ganz war Sesshômaru sich allerdings auch nicht sicher, ob nicht einige der Gerüchte, die wiederum Baku über Krötendämonen streuten, in Jaken ein perfektes Beispiel fanden. „Lass‘ ihn herein.“ Sesshômaru sagte konsequent ‚ihn‘ und nicht ‚es‘, obwohl Baku eigentlich geschlechtslos waren. Aber er wusste, wie hilfreich Yumes Vermittlerdienste schon oft gewesen waren und er schätzte das seltsame Wesen, genug um ihm durch die männlich erscheinende Anrede auch eine gewisse Anerkennung in der Umgebung zu sichern. Tatsächlich wartete Yume auch gar nicht erst darauf, dass Jaken ihm die Tür öffnete, sondern nutzte seinen Rüssel um dies selbst zu tun und den Krötendämon ungerührt beiseite zu drängeln. Jaken wirkte zugleich angewidert und angesäuert, jedenfalls beeilte er sich, das Arbeitszimmer seines Herrn zu verlassen. „Yume“, sprach Sesshômaru das Baku also an, darauf wartend, dass sich etwas tat. Yume legte nur ein wenig den Kopf schief, während es den Hundefürsten fixierte. Kein anderer Audienzsuchender hätte es gewagt, Sesshômaru so direkt und unverfroren in die Augen zu sehen, aber Yume musste das tun, um seine Gedankensprache so präzise wie möglich zu gestalten. Zuerst erreichte Sesshômaru jetzt ein Bild von Kirara, dann von der Schulterwunde, die diese im Kampf gegen Kaori davongetragen hatte. Wirklich aussagekräftig war das noch nicht. Aber das kam sicher noch. Eine Ahnung, die Sesshômaru direkt bestätigt bekam, als kurz Schwärze herrschte, ehe er eine ganze Bilderreihe zugeschickt bekam, deren zugehörige Situation er sich nur zusammenbasteln konnte, ohne je dabei gewesen zu sein. Er sah einige riesige Feder, darauf sitzend eine Frau mit zerrissenem Kimono, den Rücken halb frei, auf dem eine spinnenförmige Brandnarbe zu erkennen war. Kagura. Er erkannte sie sofort. Beim zweiten Bild war sie schon weiter weg, sprach dafür, dass sie wieder einmal auf der Flucht gewesen war. Das ‚vor wem?‘ klärte sich schnell, denn das nächste Bild zeigte InuYasha und seine ehemalige Bande beieinanderstehen, dann den jungen Wolfsfürsten, der zusammengekrümmt auf dem Boden lag, ein Arm violett angelaufen und das Gesicht auf den Boden gepresst, vermutlich um Schmerzlaute zu unterdrücken. Tapfer war dieser Kôga ja, das hatte Sesshômaru ihm nie absprechen wollen oder auch nur können. Auf dem nächsten Bild kniete Kagome in ihrer früheren, geradezu unsäglichen Tracht neben ihm, einen ihrer Pfeile fest in der Hand, die Spitze blitzte metallisch auf. Jetzt liefen die Bilder schneller und dichter aufeinander folgend ab, wie ein Film. Kagomes Erinnerungen, die Yume hier zweifellos nutzte, mussten noch sehr detailliert sein. So sah er jetzt, wie sich der Pfeil dem Arm des Wolfsdämons näherte, wie eine schwarzleuchtende Barriere entstand, die ihn zurückweisen wollte, aber nicht stark genug war. Der Pfeil drang ein Stück in Kôgas Haut, zog etwas an wie ein Magnet und entfernte es auf dem Fleisch des Ookami. Augenblicklich nahm der Arm wieder seine normale Farbe an, während der schwarzleuchtende Splitter einfach verschwand. Geläutert durch den Pfeil, der Kagomes Mikokraft zentrierte. Sesshômaru ahnte, mit was die Miko es in diesem Moment zu tun gehabt hatte. Und anscheinend hatte das etwas mit Kirara zu tun. „Was, Yume?“, fragte er neutral, als das Baku kurz seine Sendung unterbrach um zu blinzeln. Und Yume fuhr fort, begann wieder mit einem Bild von Kirara, dann von einer Katanaklinge. Sesshômaru wusste es nicht, aber was Yume ihm jetzt zeigte, waren die gleichen Bilder, mit denen Yume auch Kirara selbst den Sachverhalt erläutert hatte. Aber Sesshômaru verstand. Offenbar war Kirara mit einer Klinge verwundet worden, die aus einer längst verbotenen, aber ebenso effektiven wie perfiden Giftkristall-Legierung hergestellt worden war. Leider hielten sich viel zu viele Dämonenschmiede nicht an solche Verbote oder schlichte Wertvorstellungen, das beste Beispiel dafür hatte er ja persönlich kennengelernt – bis das Schwert seinen Meister verschlang, denn das war ja schließlich Kaijinbous Ende gewesen. Dass er an der Schaffung des Schwertes nicht ganz unschuldig gewesen war, überging Sesshômaru geflissentlich. „Jaken!“ „Hai, Sesshômaru-sama?“ Sofort lugte der Krötendämon in den Raum. „Schick‘ meinen Sohn zu mir. Und dann schaff‘ mir Tôtôsai her, egal von wo.“ „Hai-Sesshômaru-sama, sofort Sesshômaru-sama!“ Jaken eilte davon, obgleich er nicht ganz glücklich schien. Den Sohn, womit zweifellos Erbprinz InuKin gemeint war, zu holen, war nicht weiter schwierig. Auch kannte er seinen Herrn lang genug um zu ahnen, dass der sich die inhaftierte Aufrührerin noch einmal vornehmen wollte und seinen Erben zum Kennenlernen einer solchen Aktion mitnahm. Aber die Suche nach Tôtôsai konnte sich aufwendiger gestalten, war der doch selten lange an einem Ort und noch seltener gerade dann in seiner Werkstatt, wenn einer der Hundebrüder direkt oder indirekt etwas von ihm wollte. ~*~ Sayuri ahnte derweil nicht im Geringsten etwas von den aufbrausenden Verhältnissen im Schloss und um das Schloss herum. In Begleitung des kleinen Kazuya, der sich nicht anmerken ließ, welche Sorge um seine Mutter ihn umtrieb, lief sie durch die Gänge, zielstrebig zu dem kleinen Saal, in dem das Essen eingenommen wurde. Seit einigen Tagen aß sie jetzt regelmäßig mit allen Familienmitgliedern, die das nötig hatten und mit den Meisten von ihnen war sie jetzt schon vertraut genug, um sich weniger fremd zu fühlen. Rin hatte sie von Anfang an mehr als freundlich aufgenommen, mit Teshi hatte sie sich längst angefreundet und auch Saika war stets nett zu ihr. Shizuka dagegen, die gemeinsam mit ihrem Vater im Dorf lebte, wie sie inzwischen wusste, war ähnlich wie Natsu jemand, den sie mochte, aber noch kennenlernen musste. Wer aber heute noch mit am Tisch saß, war jemand, den Sayuri bisher nur ein oder zweimal gesehen hatte. Da Rin, als Sayuri den Raum betrat, mit diesem Jemand in ein Gespräch vertieft war, erfuhr Sayuri nun auch dessen Namen: Zankò. Die silberweißen Haare erinnerten sie an den seltsamen Mann, den sie ab und an in ihrer Nähe sah, der aber bisher nie viel mit ihr gesprochen hatte. Allerdings besaß dieser Junge hier deutlich schräg geschnittene Katzenaugen, so wie die Frau, die sich Natsu nannte. Und er hatte spitze Ohren. Sofern Sayuri sich erinnerte, ein Zeichen dafür, dass er kein Mensch war, aber auch kein Hanyô wie sie selbst. Er war ein Yôkai, so wie die meisten Schlossbewohner. Da bemerkte Arisu, die wie stets beim Essen schräg hinter Rin und Saika kniete, den Neuankömmling, neigte sich leicht zur Begrüßung vor, denn auch wenn Sayuris Abstammung nicht ganz geklärt war, gehörte sie zur Familie und stand über der Dienerschaft. Auch wenn das meist nicht ganz ernst genommen wurde, solange die Familie unter sich war, solange einer der Prinzen anwesend war, hielt Arisu sich lieber an die Regeln. Das wiederrum machte Rin auf Sayuri aufmerksam, sodass die junge Frau sofort ihr Gespräch unterbrach und Sayuri zu sich winkte. „Da bist du ja, Mädchen. – Huch, wo hast du denn den Kratzer her?“ Fast automatisch fuhr das Mädchen sich mit der Fingerspitze über die kleine Schramme am Unterarm, die sichtbar geworden war, als Sayuri nach ihren Stäbchen griff. „Ich hab einmal nicht gefangen“, antwortete sie und Enttäuschung sprach aus ihrer Stimme. Rin schloss daraus, dass das Fangen inzwischen schon ganz gut klappte, wenn Sayuri sich über einmal nicht-fangen so ärgerte und von daher wertete sie das als Fortschritt. Im nächsten Moment drückte sie den Handrücken an die Lippen, um ein Kichern zu unterdrücken, weil Sayuri einen weiteren Blick auf ihre Schramme hatte werfen wollen, sie nicht mehr entdeckte und mehr als überrascht mit den tierischen Öhrchen auf ihrem Kopf zuckte. Mit den Heilkräften einer Hanyô war Sayuri schließlich bisher nicht großartig in Kontakt gekommen. Rin beschloss aber, ihr das jetzt noch nicht näher zu erläutern, damit die Kleine nicht übermütig wurde. Schön und gut, dass erste Übungen zu klappen schienen, sie wollte keine gefährliche Situation provozieren. Hanyô konnten manchmal unberechenbar und für einen Menschen auch nach jahrhundertelanger Erfahrung nicht zu durchschauen sein. Das wusste Rin aus eigenster Kenntnis. ~*~ Minuten nachdem sie durch das Schultor gezerrt worden war, fand Kagome sich zwischen den beiden alten Freundinnen auf einer der langen Holzbänke wieder, die auf dem Schulhof aufgestellt worden waren. Zwischen den wenigen Bäumen hingen Lampionketten und die Tische waren ebenfalls mit Kerzen geschmückt die angezündet werden würden, sobald die Dunkelheit hereinbrach. Soweit war es aber noch nicht. „Wo ist Eri eigentlich?“, unterbrach Kagome den Redeschwall der beiden anderen, die so schnell und so wild durcheinander redeten, dass sie ohnehin nur die Hälfte mitbekam. Yuka verschränkte nur wütend die Arme vor der Brust, sodass es Ayumi überlassen blieb, zu antworten: „Eri wollte doch zum Film, als Regisseurin. Und anscheinend hat sie zum ersten Mal die Chance dazu, tatsächlich selbst Regie zu führen. Da konnte sie natürlich nicht weg. So hat sie sich mir gegenüber am Telefon jedenfalls erklärt.“ Kagome nickte verstehend und schwieg einen Moment zu lang. Sofort riss Yuka wieder das Ruder an sich: „So, jetzt aber richtig, Kagome!“ Angesprochene runzelte etwas die Stirn. „Was?“ „Na alles! Aus Souta war ja immer nur herauszukriegen, dass du direkt nach der Schule geheiratet hast und weit weggezogen bist.“ Kagome lachte auf. „Ach, das meinst du. Also gut. Souta hat natürlich Recht. Und viel habe ich ihm auch nicht erzählt, weil ich es nicht darf. InuYasha, seine Familie und ich sind Teil eines privaten – und geheimen, ehe ihr auf die Idee kommt, neugierige Fragen zu stellen – Forschungsprojektes. Nur soviel… wir leben wie in der Sengoku Jidai, wie vor fünfhundert Jahren.“ „Ach deswegen seit ihr beide so seltsam angezogen. Ich meine, Kimono und so’n Zeug trägt doch heute kaum einer mehr“, mischte Ayumi sich ein. Kagome unterdrückte mühsam eine allzu schnelle Antwort. Sie war froh, dass die Geschichte mit dem Forschungsprojekt fruchtete und tatsächlich keine genaueren Fragen kamen, da sollte sie sich nicht im Nachhinein verplappern. „Ganz genau. Das hier ist sozusagen Arbeitskleidung. Und ich besitze auch kaum mehr etwas anderes“, erwiderte sie also nur. „Und was bist du da von Beruf? Oder darfst du das auch nicht sagen?“, fragte Yuka stürmisch weiter. „Naja, am Ehesten kannst du mich wohl eine Ärztin nennen. Aber eher was Kräuterkunde und so etwas angeht“, wich Kagome aus und war insgeheim mehr als froh, dass sie mit solcherart Fragen schon gerechnet hatte. Wäre auch zu abwegig gewesen, hätte sie angenommen, ihre Schulfreundinnen hätten ihre unverbrüchliche Neugier verloren. Und tatsächlich waren beide unersättlich: „Und du hast wirklich sofort geheiratet damals?“ Kagome grinste schon wieder in sich hinein. Nein, nicht sofort und jein, nur nach Dämonenart, antwortete sie im Stillen, sprach aber nur aus: „Ja, ziemlich. Immerhin leben InuYasha und ich im gleichen Häuschen und das wäre doch etwas komisch gekommen. Aber es gab auch noch einen anderen Grund.“ „Ja?“, wollte Yuka begierig wissen. Kagome sah zu InuYasha, der ein paar Meter entfernt wie unbeteiligt an einem Baumstamm lehnte, trotz Cappy aber mit Sicherheit jedes Wort gehört hatte. Sie machte eine auffordernde Kopfbewegung. InuYasha, der wusste, dass das nicht ihm galt, rührte sich nicht von der Stelle. Da stemmte Kagome die Arme in die Hüften. „Na, das hab‘ ich gern. Erst nicht abwarten können und dann nicht von der Stelle rühren. Na komm schon, du schüchternes Würmchen“, sagte sie und eine leichte Strenge lag in ihrer Stimme. Da kam Hotaru, die bisher neben ihrem Vater gestanden hatte, heran. Yuka zog scharf die Luft ein. Da war sie anscheinend nicht drauf gekommen. „Deine Tochter?“, fragte Ayumi statt ihrer. Kagome nickte lächelnd und zog Hotaru, die nun bei ihr angekommen war, auf ihren Schoß. „Meine Tochter Hotaru. Fünf Jahre alt“, stellte sie vor. Damit regulierte sie Hotarus Alter zwar fast um zwei Jahren nach unten, aber anders war es nicht möglich. Hotaru schwieg auch dazu, immerhin hatte ihre Mutter ihr eingebläut, dass sie für heute Abend noch einmal fünf war. Dafür bemerkte Kagome aus dem Augenwinkel Ayumis unwillkürliche Geste, die Hand der Freundin, die kurz auf ihrem Bauch ruhte. Kagome schmunzelte. „Hey, Glückwunsch. Wann ist es soweit?“ Ayumi sah ein wenig verlegen auf den Boden. „Das dauert noch… ich bin erst im Zweiten.“ Yuka starrte sie derweil an, wie von einem anderen Stern. Dann schob sie beleidigt die Unterlippe vor. „Und mir nichts verraten!“ Ayumi sah noch immer nicht wieder hoch, aber sie lächelte jetzt. „Ich weiß es selbst erst seit ein paar Tagen. Nicht einmal mein Mann weiß bisher Bescheid, Yuka. Er ist noch auf Geschäftsreise, deswegen ist er auch heute nicht mitgekommen“, gab sie dann fast tadelnd von sich. Kagome zog nur eine Augenbraue hoch, weil sie in Ayumis Miene lesen konnte, dass das nicht alles war. Tatsächlich fuhr die Lockenhaarige etwas zaghafter fort: „Außerdem habe ich keine Ahnung, wie er darauf reagieren wird. Er hat gerade so ein gutes Angebot gekriegt. Er könnte nach Amerika zurück, wo er her kommt und auch ich könnte ohne Probleme überwechseln, mein Arbeitgeber hat auch da drüben Stellen zu vergeben. Yuka, du weißt wie ehrgeizig Luke ist. Und für ihn kann dieses Angebot den Durchbruch bedeuten. Ich weiß nicht, ob er sich gerade jetzt über ein Kind freuen würde. Ich… ich habe Angst, dass er der Meinung ist, ich sollte das Kind nicht bekommen. Ich will ihm seine große Chance nicht verbauen, aber ich könnte auch niemals…“ „…das Kind umbringen, stimmt‘s?“, setzte Kagome sanft fort, als Ayumi die Stimme versagte. Jetzt nickte die auch nur. Yuka waren alle Gesichtszüge entgleist, sie schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen, nahm ihr aber jemand anderes ab. „Keh! Als ob man so eine Art des Mordens ernsthaft in Betracht ziehen würde, wenn man auch nur einen Funken Anstand im Leib hat!“ InuYashas patzige Stimme hätte Kagome auch erkannt, ohne hochzuschauen. So aber funkelte sie ihn wütend an. Der Hanyô war zu ihnen gekommen. „Wahnsinnig sensibel von dir, InuYasha“, merkte sie ironisch an, ehe sie fortfuhr: „Abgesehen davon, denk‘ daran, das Natsu damals auch beinahe soweit war“ „Keh! Die hatte ja wohl andere Gründe“, beharrte InuYasha. Kagome hob wie mahnend den Zeigefinger: „Nach den Spielregeln ‚unserer‘ Zeit, ja. Dein Bruder und sie, das darf nicht sein, obendrein nicht verheiratet, nicht einmal Klarheit über die Form der Beziehung und dann auch noch ihre Cousine dazwischen, die deinen Bruder für sich will. Heutzutage ist das genauso ein nichts, wie Ayumis Gründe für dich, verstanden?“ Tatsächlich verstand InuYasha, welche Ermahnung tatsächlich in Kagomes Worten gelegen hatte. Er sollte hinnehmen, wenn hier etwas anders gehandhabt oder gewichtet wurde, als er es gewohnt war. „Schon gut“, brummte er und Kagome hätte schwören können, dass seine Ohren unter der Cappy zur Seite hingen. „Natsu ist meine Schwägerin. Die Ehefrau von InuYashas Halbruder“, erklärte sie derweil in Richtung Yuka und Ayumi, um die Situation etwas zu entschärfen. Und sie war nicht nur beinahe soweit, sie hat es sogar getan… ohne Tenseiga gäbe es Kin nicht…, fügte sie in Gedanken hinzu, sprach es aber verständlicherweise nicht aus. Stattdessen bemühte sie sich, das Gesprächsthema in unverfänglichere Richtungen zu lenken. „Also, Ayumi hat also Mann und bald auch Kind. Und du, Yuka?“ Yuka, die sich inzwischen wieder etwas gefasst hatte, hob abwehrend die Hände. „Oh, bewahre, nein. Das wäre auch noch nichts für mich. Ich bin schließlich nie lange an einem Ort. Die großen Sportveranstaltungen sind doch nie alle in einem nahen Umkreis. Ich meine, ein paar kurze Geschichten gab es da schon, aber was festes, neee. Noch nicht.“ „Das haben schon ganz andere gesagt“, murrte InuYasha wieder, der sich gerade zum Gehen gewandt hatte und diesmal hielt Kagome sich die Hand vor den Mund, weil sie lachen musste. Oh ja, das Thema ‚In der nächsten Zeit bitte noch keine Gefährtin und Familie schon mal gleich gar nicht‘, war ihnen nur zu bekannt. Wobei ‚In der nächsten Zeit‘ die nächsten Jahrhunderte bedeutet hätte, wenn es damals nach Sesshômaru gegangen wäre. Heute war er vermutlich selbst ganz froh, dass es damals nicht ganz nach seinem Willen gegangen war. Aber sie winkte rasch ab, als Yuka schon wieder den Mund öffnete, um nachzufragen. „Interna“, sagte sie nur knapp und Yuka verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. Kagome hatte ja gesagt, sie dürfe nicht zu viel verraten. Offenbar galt das auch für innere Angelegenheiten ihrer angeheirateten Familie. So kam Kagome vorsichtig auf das vorherige Thema zurück. „Weißt du, Ayumi, spätestens wenn du dein Kind im Arm hast, bist du über alle Zweifel erhaben. Ich weiß, wovon ich spreche. Als ich damals schwanger wurde, war das Projekt noch mitten in der Entstehung, es wurde viel gebaut, wir waren auch oft unterwegs und überhaupt war das Umfeld denkbar ungeeignet für ein Baby. Aber InuYasha war der beste Halt, den ich damals wie heute haben könnte. Er mag manchmal etwas eigenartig sein, aber er ist ein richtig guter Vater.“ Wie bisher hielt Kagome sich halb an die Wahrheit, halb dichtete sie Dinge dazu. In Wahrheit war InuYasha bei Kikyô damals noch sehr unbeholfen gewesen. Aber ebenso wie sie, hatte er schnell gelernt. Und das war das Wichtigste. Ayumi antwortete nicht, aber in ihrem bewegten Mienenspiel konnte Kagome ablesen, dass ihre alte Freundin die Botschaft verstanden hatte. Gut so, Ayumi. Jobs findest du im Zweifelsfall überall und dein Mann wird schon verstehen. Aber das Leben dieses, deines Kindes ist unwiederbringlich. Glaub‘ an dich. Manchmal ist der Glaube an sich selbst und das Vertrauen das allerwichtigste. Kapitel 20: Ehemaligentreffen ----------------------------- „Sag mal, Kagome, sehe ich das richtig? Ist das etwa ein Bogen, den du da über der Schulter hast?“, fragte Yuka da plötzlich, sichtlich war das Thema ihrer Frage absichtlich völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Kagome ging nur zu gerne darauf ein und grinste. „Oh ja. Und ich kann mit dem guten Stück umgehen, glaub’s mir mal. Immerhin musste ich lernen, damit zu jagen.“ Yuka erwiderte ihre Geste. „Soll das etwa eine Herausforderung sein?“, wollte sie lauernd wissen. „Wer weiß…“, erwiderte Kagome nur gelassen und ließ den Bogen von ihrer Schulter gleiten. Mit einer kleinen Geste gebot sie Hotaru, von ihrem Schoß zu klettern. „Na das wollen wir doch mal sehen, meine Liebe. Die Zielscheiben gibt es noch“, deutete Yuka nur an und im nächsten Moment waren die drei alten Freundinnen unterwegs zum anderen Ende des Schulgeländes, wo die Sportanlagen waren. Ehe sie es sich versahen, schlossen sich weitere Neugierige an. „Aber nicht die ersten beiden. Das ist albern“, bestimmte Yuka schlicht, als sie ankamen und zeigte auf zwei der Zielscheiben, die keine zehn Meter entfernt standen. Kagome konnte ihr nur zustimmen, das wäre tatsächlich albern gewesen. Aber sie griff nur nach einem Pfeil und legte ihn wortlos an. Sie achtete weder sonderlich auf ihre Haltung, noch auf das, was um sie herum geschah. Nach all den Jahren, war so ein Schuss nicht wirklich erwähnenswert, das war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Sie spannte die Sehne, konzentrierte sich darauf, ihre Mikokraft zurück zu halten, damit der Pfeil nicht etwa gleich aufleuchtete und ließ das Geschoss los. So unspektakulär wie zielsicher landete der Pfeil im Schwarzen einer Scheibe, die in dreißig Meter Entfernung stand. Yuka nickte beifällig. „Gar nicht einmal so schlecht. Aber deine Haltung ist katastrophal. Als ob du mitten aus der Bewegung schießt.“ „Tu‘ ich ja auch meistens“, gab Kagome salopp zurück, zog einen weiteren Pfeil aus dem Köcher und hielt beides Yuka hin. „Jetzt du.“ Bereitwillig nahm Yuka die Waffe an sich, prüfte kurz, wie sie bei dem eigenartig geformten Griffstück die Finger legen musste – täuschte sie sich, oder waren da Hundeköpfe eingeschnitzt? – und legte den Pfeil dann an. Im Gegensatz zu Kagome stand sie genau lehrbuchgerecht, spannte die Sehne, zielte noch einmal und schoss. Auch ihr Pfeil landete im Schwarzen. „Wie nicht anders zu erwarten“, kommentierte Kagome, ehe sie ihren Bogen wieder an sich nahm und diesmal auf eine Scheibe zielte, die eigentlich nur für Demonstrationszwecke dort stand. Normalerweise übte kein Schüler damit. Es erforderte doch sehr viel Übung, mit dem Han-Kyû auf fast fünfundfünfzig Meter zu treffen. Kagome verließ sich erneut auf ihren Instinkt – und traf ohne große Probleme erneut ins Schwarze. Diesmal pfiff Yuka ehrlich anerkennend durch die Zähne, ehe sie auffordernd die Hand ausstreckte. Bereitwillig überließ Kagome ihr erneut den Bogen. Normalerweise hätte sie das nicht einfach gemacht, aber erstens vertraute sie Yuka, zweitens konnte die mit einem Bogen umgehen und drittens stand sie ja einen halben Meter daneben. Yuka hatte derweil angelegt, zielte, die Zungenspitze konzentriert zwischen die Zähne geklemmt und schoss. Die Pfeilspitze bohrte sich an den äußersten Rand des schwarzen Bereiches. Um sie herum war ein gedämpftes aber vielstimmiges „Oooooh…“, zu vernehmen. Kagome konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, als sie auch Yukas missmutigen Laut hörte. „Das ist nur, weil ich so einen Bogen nicht gewohnt bin. Das ist schließlich kein Sportbogen“, rechtfertigte die sich hitzig, als sie den Bogen zurückgab. Kagome grinste von einem Ohr zum anderen, als sie ihre Waffe über die Schulter hängte und losstapfte um die Pfeile einzusammeln. Sonst würde man sich morgen bei Unterrichtsbeginn sicher wundern. „Alles Ausreden“, konterte sie aber noch und sofort rannte Yuka ihr hinterher. „Von wegen. So ein Primitivbogen schießt doch ganz anders, als ein richtiger Sportbogen.“ Kurz überlegte Kagome, was Sesshômaru wohl zu dem Attribut ‚primitiv‘ bezüglich einer der Waffe, die einmal zu seiner Waffenkammer gehört hatten, gesagt hätte. Vermutlich wäre Yuka schon nicht mehr in einem Stück gewesen, ehe sie ausgesprochen hatte. „Richtig, Yuka. Das ist eben ein Gebrauchsbogen, ein Jagdbogen. Und wenn man damit umgehen kann, dann tut er auch, was er soll“, stichelte sie stattdessen weiter. Und schon fanden sie sich in der schönsten Kebbelei wieder. ~*~ Nach beendetem Abendessen machte Sayuri sich in Kazuyas Begleitung auf in ihr Gästezimmer. Bei dem Weg über den Flur, bekam sie unversehens Gesellschaft von dem Jungen, der ihnen heute Gesellschaft geleistet hatte, ohne selbst etwas zu essen. Sein Gewand wirkte wie eine umgekehrte Chihaya, die Hakama waren weiß, das Kimonohemd dagegen rot. Letzteres überzog ein blasses Blättermuster und um die Hüfte war ein blutrotes Tuch geschlungen. „Wer bist du?“, stellte Sayuri jetzt die Frage, zu der sie während des Essens nicht gekommen war. Die katzenartigen Augen richtete sich auf sie, ehe der Junge antwortete: „Zankò. Jüngster Sohn des Fürsten.“ Die Worte klangen ein wenig hochnäsig, wobei Sayuri aber nicht ganz einschätzen konnte, ob er das ernst oder scherzhaft meinte. „Aber Rin ist doch die Hime“, sagte sie. Über die Lippen ihres Begleiters huschte ein kurzes Lächeln. „Rin ist ja auch meine Ziehschwester. Aber sie ist ein Mensch. Der Fürst ist ein Yôkai. Sie könnte gar nicht seine leibliche Tochter sein.“ Sayuri nickte ernsthaft, auch wenn die Logik, die der augenscheinlich dreizehnjährige Prinz an den Tag legte, für eine Fünfjährige noch ein wenig zu hoch war. Zankò schien das jetzt auch zu merken, also versuchte er zu erklären: „Wir sind drei Kinder. InuKin, ich und meine Schwester Naomi, die aber bei unserer Großmutter erzogen wird. Und da ist dann noch Rin. Mein Vater hat sie vor vielen Jahren adoptiert.“ Diesmal leuchtete in Sayuris Augen das Verstehen. Mit diesem Sachverhalt konnte sie etwas anfangen. „Adoti-…“, diesmal bemerkte sie ihren Fehler selbst und korrigierte schnell, „…äh, adoptiert also.“ Zankò nickte leicht. „Und Kagome?“, fragte Sayuri da weiter. Zankò überlegte einen Moment, wie er das am einfachsten ausdrücken konnte. InuKin und auch Naomi hätten hier vermutlich weniger Probleme gehabt, sich auszudrücken, waren sie es doch von mindestens einem jüngeren Geschwisterkind gewohnt, etwas für Kleinkinder verständlich zu erklären. „Kagome ist die Gefährtin…äh, die Ehefrau von InuYasha. Und InuYasha ist der Halbbruder meines Vaters. Mein Großvater ist auch InuYashas Vater, meine Großmutter aber nicht seine Mutter. Verstehst du?“ Nach kurzem Zögern nickte Sayuri tatsächlich, aber ihre zuckenden Öhrchen verrieten, dass sie noch eine Weile daran zu knacken haben würde, durch die Verwandtschaftsverhältnisse ihrer Gastfamilie durchzublicken. Bisher wusste sie schließlich noch nicht, dass die sie Umgebenden sogar teilweise blutsverwandt mit ihr waren. Draußen war inzwischen die Sonne untergegangen – und auf einmal hielt Sayuri inne. Sie stolperte beinahe, als sie auf einmal das Gefühl hatte, etwas in ihr würde verloren gehen. Eine seltsame Leere machte sich in ihr breit und für einen Moment verschwamm ihre Sicht. Diesmal fiel sie wirklich und landete auf den Knien, ein Zittern lief durch ihren schmächtigen Körper. Kazuya starrte sie erschrocken an, ehe er das leichte Pulsieren bemerkte, dass vom Körper seiner kindlichen Freundin ausging, dann wie sich die silberne Strähne in ihrem Nacken schubweise dunkel färbte. Ihre tierischen Öhrchen erschienen kurz wie ausgefranst, ehe sie ganz verschwanden. Sayuri krampfte sich zusammen, eine Hand tastete haltsuchend nach Kazuya, während sie die andere auf ihren Bauch gepresst hatte, als sei ihr übel. Vermutlich war es das auch. Der kleine Nekomata-Kater kam ihr ein paar Schritte näher, drückte die Seite seines Kopfes an ihre suchenden Finger, um ihr zu zeigen, dass er bei ihr war. Seine Mutter hatte Recht. Jetzt brauchte Sayuri keinen starken Partner, sondern ein Streichelkätzchen. Leise, dumpf, bemüht tröstend begann er zu schnurren, während er nun auch seine Schulter, dann seinen ganzen Körper an sie schmiegte. Sayuris Arm umfing seinen Hals und zog ihn näher. Kazuya ließ es geschehen, blickte aber flehend zu Zankò auf, der wie erstarrt schien. Bedeutsam schüttelte Kazuya den Kopf, ehe er mit Fängen vorsichtig nach der vormals silbernen Strähne von Sayuris Haaren griff und sie durch seine Zähne gleiten ließ. Da schien Zankò zu verstehen, was geschehen war. Augenblicklich wirbelte er herum und lief zurück zum Esszimmer. Hoffentlich fand er Rin noch vor. Die war immerhin Mutter zweier Hanyô! Sie würde doch helfen können? Oder? ~*~ „Hey, nicht schlecht, Higurashi.“ Kagome, die gerade den letzten Pfeil eingesammelt hatte und überprüfte, ob der noch zu gebrauchen war, ehe sie ihn in den Köcher zurücksteckte, sah sich um. Es dauerte einen kleinen Moment, ehe es ‚klick‘ machte und sie den jungen Mann im hellgrauen Anzug in der fortgeschrittenen Dämmerung erkannte, der als einziger der Zuschauer noch geblieben zu sein schien. „Hojo-kun. Du bist also auch hier“, erwiderte sie freundlich und drehte sich zu ihm um. „Warum sollte ich mir das entgehen lassen?“, fragte er nur zurück und lächelte sie in der altbekannt gewinnenden Weise an. Kagome war dafür aber schon immer recht unempfindlich gewesen. Aber sie trat auf ihn zu. „Bist du denn nirgends unterwegs?“, wollte wie wissen. Hojo lachte leise. „Nicht wirklich. Ich studiere noch, weiß du?“ „Jetzt ja“, konterte Kagome schlagfertig und erwiderte nebenbei unverfroren Yukas Blick, der halb forschend, halb lauernd auf ihr lag. Rasch sah die Freundin in eine andere Richtung. Kagome biss sich auf die Lippe um das unwillkürliche Lachen zu unterdrücken. Da konnte sie vorhin noch so deutlich gemacht haben, dass InuYasha zu ihr gehörte und sie zudem Familie hatte, so ganz würde Yuka ihr damaliges Vorhaben sie mit Hojo zu verkuppeln, sicher nie vergessen. Und Hojo lieferte in seiner bekannt charmanten Art auch gleich die passende Vorlage: „Darf ich dich zurückbegleiten?“ Und sei es nur um Yuka zu provozieren, Kagome nickte und hakte sich bei Hojo ein. Während sie gemeinsam zum vorderen Teil des Schulhofes zurück liefen, wo die Tische aufgestellt waren und inzwischen auch schon sehr viel mehr ehemalige Mitschüler versammelt waren, als noch vorhin, schwiegen sie allerdings, bis Hojo schließlich fragte: „Nachher soll getanzt werden. Würdest du mir die Ehre erweisen oder hält dich irgendeine Krankheit davon ab?“ Der Nachsatz kam so arglos, dass Kagome sich schon wieder ein Lachen verbeißen musste. Es war schon erstaunlich wie absurd und glaubhaft zugleich die Ausreden ihres Großvaters damals gewesen waren. „Oh, ich denke, die einzige ‚Behinderung‘ die mich davon abhalten könnte, wäre mein Mann“, erwiderte sie aber nur. „Huch, ich bin auch nicht alleine hier. Sua wird sich sicher jemanden zu suchen wissen. Kann dein Mann sich nicht auch anderweitig umsehen?“ „Das bezweifle ich stark, Hojo-kun. Wenn überhaupt wird sich mein Mann nur von mir zum Tanzen überreden lassen. Allerhöchstens vielleicht noch von unserer Tochter. Aber ich überlege es mir, einverstanden?“ Hojos Lächeln war Antwort genug. Zum Glück ist er eindeutig weniger aufdringlich als sein Sengoku-Vorfahre, dachte Kagome bei sich, als sie ihre Tochter schon auf sich zustürmen sah. „Okaa-san! Otou-san will dich sprechen!“, rief Hotaru und griff bereits nach der Hand ihrer Mutter um sie mit sich zu ziehen. Mit einem Schmunzeln löste Kagome sich von Hojo. „Du entschuldigst?“, sagte sie noch, ehe sie ihrer Tochter folgte. Bei InuYasha angekommen, der wieder an seinem Baum lehnte, schien Hotaru schon wieder auf dem Sprung. „Wohin des Weges, Musume?“, fragte Kagome, ehe Hotaru losrennen konnte. „Spielen!“, antwortete Hotaru und zeigte dabei auf zwei Jungen in ihrem angeblichen Alter und ein höchstens dreijähriges Mädchen, die anscheinend so etwas wie Fangen spielten. „Gut“, Kagome nickte ihrer Tochter zu und sofort sauste die davon. Kagome wandte sich unterdessen an InuYasha. „Du wolltest mich gar nicht sprechen, oder? Du wolltest mich bloß von Hojo weghaben“, konstatierte sie schmunzelnd. „Der Kerl ist ja schlimmer als Kôga“, kommentierte er nur. Kagome zog eine Augenbraue hoch. „Hört, hört. Und so etwas aus deinem Munde. Aber vergiss nicht, dass hier Neuzeit-Regeln herrschen. Im Übrigen bin ich da anderer Meinung. Ich meine, immerhin hat Hojo mir keinen Heiratsantrag gemacht.“ „Kôga auch nicht.“ „Stimmt. Der hat von vorneherein gesagt, ich sei bereits seine Frau“, konterte Kagome trocken. InuYasha stieß geschlagen die Luft aus: „Keh!“, ehe er nach einem Moment fortfuhr: „Halt dich trotzdem vom ihm fern.“ Kagome lachte. „Ach, du grüne Neune. Bist du etwa eifersüchtig? Wenn ich Hojo hätte haben wollen, hätte ich das damals sofort haben können. Dank meiner lieben Freundinnen, war er mir ja ständig auf den Fersen.“ InuYashas Antwort bestand in einem unterschwelligen Knurren. „Du gehörst zu mir“, stellte er bloß in einer Weise klar, die Sesshômaru zur Ehre gereicht hätte, und hatte sich im nächsten Augenblick herabgebeugt um ihre Lippen mit den seinen zu versiegeln. Kagome spielte mit, aber als er von ihr abließ, tippte sie ihm mit dem Finger auf die Nasenspitze. „Wie war das noch mit dem besitzergreifenden Getue?“ ~*~ Zankò hastete derweil den Gang entlang. Er wusste nicht ganz etwas mit der Situation anzufangen. Klar wusste er von der schwachen Nacht der Hanyô, schließlich gehörten genügend Hanyô zu seinem direkten Umfeld. Aber so ein Zusammenbruch wie eben bei Sayuri? Das kannte er höchstens von Shizuka und bei der hatte das eindeutig andere Gründe. Ohne zu klopfen riss er die Tür zum Esszimmer auf – fand zu seiner Erleichterung Rin noch vor. Alle Anwesenden starrten ihn erschrocken an. „Sayuri, sie-“, er schnappte nach Luft. „Sayuri!? Otouto-chan, was ist denn?“, antwortete Rin sogleich und war bereits aufgesprungen. „Sie ist zusammengebrochen. Ich glaube… ich glaube, es hat mit ihrer schwachen Nacht zu tun“, brachte der jüngste Prinz hervor. Rin reagierte sofort. „Teshi, Saika, bringt mir Shizuka zurück. Zankò, du holst Arata. Er wird bei seiner Enkelin sein. Ich gehe zu Sayuri. Wo ist sie?“ „Auf dem Flur zu den Gemächern. Mit Kazuya“, rief Zankò noch, ehe er schon wieder davonstürmte, seinen Auftrag auszuführen. Auch Rins eigene Kinder fragten nicht weiter. Sie ahnten beide, dass Rin selbst nicht viel mehr Ahnung hatte, als sie, aber auf das Schlimmste vorbereitet sein wollte. Tatsächlich war Rin besorgt. Sayuri war nach dem fast lebenslangen Bann ihrer dämonischen Hälfte etwas Besonderes, niemand konnte so recht einschätzen, was eine schwache Nacht, zumal diese erste für sie bedeutete. Wenn sie Pech hatten, lief das wieder auf ein mehrtägiges Fieber oder Ärgeres hinaus. Und wenn dem so war, dann mussten sie schnell handeln. Diesmal hatten sie keine plötzliche Geheimwaffe, die sich in letzter Instanz dazugesellte. Kazuya war zwar bei Sayuri, aber an ihn hatte sie sich inzwischen gewöhnt, so sehr sie den kleinen Nekomata-Kater zu mögen schien. Endlich erreichte Rin das zusammengebrochene Mädchen, das zusammengekrümmt und beinahe regungslos da lag, die Augen geschlossen, Kazuya so nah bei sich, wie es irgend ging. Der kleine Kater blickte bittend zu ihr auf und Rin bemühte sich um ein aufmunterndes Lächeln, ehe sie versuchte, Sayuris Arme, die sich um Kazuya geklammert hatten, etwas zu lösen, damit sie das Mädchen auf den Arm nehmen und zu ihrem Lager bringen konnte. Endlich gelang es ihr. Als sie die Kleine hochnahm, öffnete Sayuri flatternd die Augenlider. „Mir… ist schlecht…“, jammerte sie leise vor sich hin. Rin schluckte ein wenig, als sie das fiebrige Glitzern in ihren Augen sah. Aber sie bemühte sich um eine gelassene Stimme, als sie behutsam mit den Fingern über Sayuris Stirn und Wange strich. „Ich weiß, Sayuri-chan. Aber es wird gleich besser, glaub‘ mir…“, flüsterte sie sanft und beschleunigte ihre Schritte. Sayuri schien ihr tatsächlich zu glauben, denn sie schloss wieder die Augen und obgleich sie noch immer vollkommen verkrampft war, schien sie gleich darauf erschöpft eingeschlafen zu sein. ~*~ Kagome nutzte die Minuten, die sie ungestört bei InuYasha stand, um sich ein wenig umzublicken. Yuka und Ayumi waren nicht schwer zu erkennen gewesen, beide waren zwar deutlich erwachsener geworden, hatten aber weder ihr altbekanntes Verhalten, noch ihren Kleidergeschmack sonderlich geändert, selbst die Frisuren waren großteils gleich geblieben. Hojo war da schwerer zu erkennen gewesen und unter den anderen, die sich inzwischen in Grüppchen auf dem Schulhof tummelten, konnte sie nur selten ein vage bekanntes Gesicht ausmachen. Fünfhundert Jahre hatten eben dafür gesorgt, dass sie sich nur noch an diejenigen gut erinnerte, mit denen sie recht viel zu tun gehabt hatte. Eben machte sie Hojo wieder aus, der, Hand in Hand mit einer jungen Dame, die aus einem anderen Teil Asiens zu stammen schien, über den Hof spazierte, mal hier, mal da auf ein paar Worte stehen blieb. Die Augen seiner Begleiterin waren, für Kagome, die sich mit Yôkai auskannte, ein wenig raubtierhaft geschnitten. Unwillkürlich schloss Kagome die Augen, fühlte behutsam nach – und musste innerlich grinsen. „Ob Hojo weiß, wen oder was er sich da angelacht hat?“, murmelte sie leise vor sich hin. Die junge Frau war zwar keine Yôkai, aber sie besaß deren Blut, wenn auch sehr verwaschen. Kagome vermutete, dass noch etwa ein Viertel ihres Blutes dem eines Dämons entsprach, so wie bei ihren Kindern. Es war zwar selten, dass sich eine solche Blutlinie durchsetzte, aber wie man an ihren beiden mittleren Kindern sah, war es mit nur einem Viertel Dämonenblut möglich, ohne allzu großen Aufwand unerkannt unter Menschen zu leben. Akio und Itoe waren schließlich mehr in der Welt unterwegs, als dass sie mal unter den Bannkreis kamen. InuYasha war derweil ihrem Blick gefolgt, musterte das Pärchen skeptisch. Allerdings ahnte Kagome, dass er dabei sein Augenmerk eher auf den männlichen Teil des Pärchens legte. Eifersüchtiger Kerl…, dachte sie bei sich, während sie sich vielsagend rücklings an InuYashas Brust lehnte. Eine Geste, die demonstrativ genug war, ihn von Hojo abzulenken. Sofort umfingen sie seine Arme und Kagome genoss seine Nähe, während sie nach Hotaru Ausschau hielt, die unermüdlich mit den anderen Kindern spielte. Gerade ließ sie sich von dem etwa dreijährigen Mädchen fangen, das unter ihnen war, während sie den beiden Jungen gnadenlos davonrannte. Obwohl sie offensichtlich die Fäden des Spiels in Händen hielt, schien sie Spaß zu haben. Kagome war froh, ihr das Spiel erlaubt zu haben. Ohne die Toberei wäre der Abend vermutlich ziemlich langweilig geworden, für die Kleine, denn es gab kein großartiges Programm, die meisten hatten anscheinend genug damit zu tun, von den vergangenen sechs Jahren zu erzählen. Kagome hätte da um ein Vielfaches mehr zu erzählen gehabt, aber mindestens 98% davon wären ihr nicht geglaubt worden, also beließ sie es bei der abgespeckten Version von dem Forschungsprojekt. Dennoch wollte sie nicht mehr die ganze Zeit abseits stehen und so löste sie sich sacht aber bestimmt von InuYasha, um sich wieder unter die Leute zu mischen. InuYasha blieb, wo er war. Welchen Grund das jetzt genau hatte, wusste Kagome nicht, aber sie konnte sich einige Möglichkeiten denken. Kagome wusste später nicht mehr, wann Ayumi und Yuka sie wieder aufgespürt und in Beschlag genommen hatten, aber obgleich sie langsam ganz froh gewesen wäre, die beiden wieder für einen Moment loszuwerden, spürte sie dennoch, wie Ayumi sich plötzlich neben ihr anspannte. Es war inzwischen ganz dunkel und auch wenn Kerzen und Lampions bunt schimmerten, änderten die daran wenig. Da schon eher die Straßenlaternen, die wenigstens den Eingangsbereich erleuchteten. Dort war eben ein weiterer Neuankömmling aufgetaucht, reichlich verspätet offenbar. Allerdings hatte der junge Mann rotblondes Haar, etwas an das Kagome sich eindeutig erinnert hätte, da war sie sich sicher. Gefärbt war das auch nicht. Ihre Ahnung bestätigte sich, als sie hörte, wie der junge Mann den ersten, den er antraf, nach Ayumi fragte. Sein amerikanischer Slang war kaum zu überhören. Kagome sah zu Ayumi. „Luke?“, fragte sie nur. Die alte Schulfreundin nickte und schien ein wenig zu schlucken. Offensichtlich wusste sie nicht, wie sie mit dem Auftauchen ihres Ehemannes umzugehen hatte und Kagome wusste auch genau, auf welches Thema genau sich Ayumis Unsicherheit bezog. Aufmunternd legte Kagome ihr eine Hand auf die Schulter. „Du machst das schon. Denk‘ einfach immer an das Kleine. Du wirst den Kerl schon überzeugen.“ Damit schob sie Ayumi ein Stück in die Richtung ihres Mannes, gerade als der Gefragte am Eingang in ihre Richtung zeigte. Luke drehte sich um und Kagome konnte graue Augen erkennen, als er näher kam. Der Mann war durchaus eine ansehnliche Erscheinung, aber jetzt kam es darauf an, ob er mit der plötzlichen Nachricht auch umgehen konnte. Entschlossen packte Kagome nach Yukas Hand und zog sie mit sich. Sollte Ayumi das allein mit ihrem Mann regeln. Nach kurzem Widerstreben ließ Yuka sich dann auch mitziehen. Kagome schlug den Weg zum eben eröffneten Büffet ein, wohlwissend, dass sie InuYasha dort antreffen würde. Tatsächlich stand der Hanyô an den beiden langen Tischen, die sich vor mitgebrachten Kleinigkeiten aller möglichen Leute beinahe bog. Als sie neben ihn trat, sah sie aus dem Augenwinkel, dass er mit zwei Fingern Tessaigas Heft berührte. „Dämonisches Fischfilet war mir lieber…“, raunte er leise und Kagome musste sich zum wiederholten Male an diesem Abend das Lachen verkneifen. „Aber nur, wenn du es selbst filettiert hättest… ach nein, verzeih‘, das warst ja nicht du, das war Tessaiga“, konterte sie aber ebenso spitz, ehe sie sich selbst einen Überblick über das verschaffte, was dargeboten war. InuYasha grummelte ein wenig vor sich hin, was ihn aber nicht davon abhielt, sich von überall etwas herauszupicken und in seiner Schüssel Mengen zu sammeln, die buchstäblichen einem ganzen Regiment gereicht hätten. Kagome schmunzelte nur darüber, während sie wie zufällig eine Platte mit scharf gewürztem Sushi vor InuYashas Nase wegzog, augenscheinlich nur um sie Yuka zu empfehlen. In Wirklichkeit erinnerte sie sich noch sehr gut, was InuYashas feine Hanyô-Sinne zu scharfem Essen zu sagen hatten. Dann erst suchte sie sich selbst ein paar Sachen heraus und begab sich mit ihrem Gefährten an einen der Tische, augenblicklich gesellte sich Hotaru dazu, die bisher noch in ihr Spiel vertieft gewesen schien. Jetzt aber hatte sie offenbar Hunger, denn sie konnte gar nicht schnell genug auf die Bank kraxeln. Kagome hielt ihr helfend die Hand hin und schob ihr dann ihren Teller zu. Sollte Hotaru sich ruhig von da etwas aussuchen. Im Gedränge am Büffet hätte Hotaru sich eh‘ nicht behaupten können, ohne aufzufallen. Kagomes Blick suchte dagegen Ayumi, die mit ihrem Mann noch immer etwas abseits stand, mit ihm redete. Jetzt schien sie zur Sache zu kommen, denn sie zögerte sichtlich, suchte nach Worten, das erkannte Kagome trotz Entfernung und Dunkelheit. In diesem Moment aber lenkte Hotaru ihre Aufmerksamkeit auf sich, als das Mädchen zu husten begann. Die kleine Vierteldämonin hatte es nämlich genutzt, dass auch Yuka, die auf ihrer anderen Seite saß, ihre Konzentration gerade mehr auf Ayumi, denn auch ihren Teller richtete und von dort eines der kleinen Teilchen stibitzt, die mit diesem lustigen, gelben Pulver bestreut waren. Jene Sushi-Variation, die Kagome gerade noch vor InuYasha gerettet hatte. Auch für Hotaru war Currypulver eindeutig zu scharf und so war Kagome jetzt erst einmal damit beschäftigt, ihre Tochter zu beruhigen. Jemand reichte hilfreich ein Stück Weißbrot herüber und Kagome dankte das mit einem Lächeln. Als Hotaru sich wieder gefangen hatte und Kagome aufblicken konnte, kamen Ayumi und Luke gerade zu ihnen herüber. „Sie hat‘s ihm gesagt. Und unglücklich wirkte seine Reaktion nicht…“, murmelte InuYasha leise, der das gesamte Gespräch sicherlich mitbekommen hatte, Cappy hin oder her. „Das freut mich für sie…“, erwiderte Kagome nur ebenso leise, ehe sie Ayumi freundlich lächelnd entgegenblickte. Die alte Schulfreundin wirkte mehr als erleichtert, als sie ihren Ehemann vorstellte. Offenbar war Luke früher wiedergekommen als geplant und war auch für sie überraschend aufgekreuzt. Da erhob sich auf einmal Musik, anscheinend hatte jemand die Anlage eingeschaltet, und fast in der gleichen Sekunde fand sich ein dritter junger Mann in Kagomes unmittelbarer Nähe ein. Hojo. Er hatte also nicht vergessen, dass sie ihn nicht gänzlich abgewiesen hatte. Nun sah er sie fragend an. Kagome blickte seitwärts zu InuYasha, der noch in sein Essen vertieft schien, oder wenigstens so tat. Dann sah sie wieder zu Hojo auf. „Ein Tanz“, betonte sie, während sie sich erhob und den Kimono glattstrich. Eine Geste mit der Hand bedeutete Hotaru bei ihrem Vater zu bleiben, was die Kleine gut gelaunt hinnahm, denn so bekam sie die Möglichkeit, auf dessen Teller nach Leckerbissen zu suchen – ohne Gefahr zu laufen, wieder so eine Überraschung wie gerade eben zu erleben. Bereitwillig ließ Kagome sich von Hojo auf die improvisierte Tanzfläche inmitten des Schulhofes führen, wo sich inzwischen auch andere einfanden. Es war ein lockeres Lied, das erklang, gut für den Auftakt und so vergaß Kagome bald InuYashas wie auch immer geartete Reaktion und genoss den Tanz. Hojo jedenfalls schien glücklich und machte auch keine Anstalten, sie näher zu sich ziehen zu wollen. Da seine bisherige Begleitung sich tatsächlich sofort den Nächstbesten gekrallt hatte, brauchte sie sich um die auch keine Sorgen zu machen. Alles in Butter. Als das Lied ausklang, war sie beinahe enttäuscht. Das war wohl tatsächlich der einzige Tanz gewesen, für sie heute Abend. Aber sie wollte es InuYasha nicht zumuten, weiter bei Hojo zu bleiben. Dessen manchmal casanova-artiges Verhalten hatte InuYasha schließlich schon immer provoziert. Doch sie hatte die Rechnung wieder einmal ohne ihren Hanyô gemacht. Kaum lösten sich Hojos Hände von Kagomes, war InuYasha an ihrer Seite und hielt ihr den Unterarm in der traditionellen Tanzaufforderung hin. Überrascht blickte Kagome zu ihm auf, sah direkt in seine goldenen Augen, die durch die Nacht nur noch intensiver leuchteten. Als sie ihre Hand auf seine legte und auf das neue Lied horchte, lächelte sie etwas. Was Eifersucht nicht alles bewirken kann…, dachte sie amüsiert. InuYasha war kein schlechter Tänzer, im Gegenteil. Er mochte nur das Hofzeremoniell nicht, mochte die Tanzschritte nicht, die erstens nicht sonderlich abwechslungsreich und zweitens auch nicht sehr eng beieinander waren. Oft tanzten schließlich vollkommen unbeteiligte Personen nebeneinander und da wäre zu große Nähe frevelhaft gewesen. Mittelalter eben. Offenbar hatte er aber jetzt gerade gesehen, dass es hier anders zu ging und dass selbst Hojos wenig aufdringliche Art ihn näher an Kagome heran gebracht hatte, als ein zeremonieller Tanz Ehepartner beieinander tanzen ließ. Die Melodie erwies sich derweil als sanft und leise, fast romantisch. Genau richtig, wie sie fand. Als der Hanyô jetzt die herrschaftliche Haltung aufgab und kurzerhand die Hand auf ihren Rücken legte, kam Kagome bereitwillig näher und schmiegte sich während des Tanzes an ihn. Dass ihr das dann doch den einen oder anderen Seitenblick einbrachte, interessierte sie wenig. Sie war nur froh, dass der Abend so harmonisch verlaufen war, es hatte sie gefreut, ihre alten Schulfreundinnen wiederzusehen und auch zu wissen, dass ihr Weggang bei Hojo keinen bleibenden Schaden hinterlassen hatte. Wenn ich damals geahnt hätte, was mich dazu führen würde, sie alle wiederzusehen… wenn ich damals geahnt hätte, dass ich so lange an InuYashas Seite würde bleiben können… Gleichzeitig ahnte sie, dass es ihr schwer fallen würde, ihre Familie nach nur einem Tag schon wieder zu verlassen und sehr wahrscheinlich nie wieder zu sehen. So sehr ihre alten Schulfreundinnen an Bedeutung verloren hatten, so viel bedeutete ihr ihre Familie noch immer. Mutter, Großvater und Bruder wieder zurückzulassen würde nicht einfach werden. Da beugte InuYasha sich plötzlich leicht zu ihr hinab, um ihr ins Ohr flüstern zu können, ohne den Tanz zu unterbrechen: „Was würdest du davon halten, noch ein paar Tage zu bleiben?“ Kagome stockte kurz in der Bewegung. „Aber… Sayuri…“, setzte sie an, InuYasha schüttelte allerdings nur unauffällig den Kopf. „Die kann auch noch ein paar Tage auf uns warten. Im Schloss ist sie in Sicherheit und außerdem ist Kaori mindestens vorerst ausgeschaltet.“ Die Taubendämonin war aber nicht das einzige Problem, soviel wusste Kagome durchaus. InuYashas Vorschlag erschien ihr aber viel zu verlockend, um weiter Gedanken an die Feinde der Familie zu verschwenden. „Und Kôhei?“, wollte sie allerdings wissen. InuYasha blitzte sie verschmitzt an. „Der drückt ein Auge zu… dafür darf ich im nächsten Monat den Wachdienst im Kindergarten übernehmen.“ Dass damit der Schulunterricht gemeint war, sofern die Gruppe sich während des Unterrichts aus dem Schloss herausbewegte, war Kagome durchaus klar. Da meistens nichts passierte, war dieser Dienst relativ langweilig und die betroffenen Väter – Tián, Kôhei und InuYasha – schoben ihre eigenen Zuständigkeiten gerne von sich. Einzig Sesshômaru war fein raus. Durch seine Audienzzeiten und seinen Rang allgemein, kam er gar nicht in Frage. Aber so wirklich schien InuYasha das Opfer, das er da brachte, nicht zu jucken. Kagome lächelte strahlend. „Ich danke dir vielmals, ehrenwerter Herr Gefährte“, scherzte sie und beide lachten leise, ehe sie nahtlos ihre Schritte anpassten, weil das Lied wieder wechselte. Es war wohl doch nicht der einzige Tanz heute Abend… Kapitel 21: Soutas Plan ----------------------- Während Kagome also über den Ablauf des Ehemaligentreffens sehr erfreut war, begann Kikyô langsam sich zu langweilen. Ihre Großmutter war mit dem Abwasch beschäftigt und Kikyôs Hilfangebot war energisch ausgeschlagen worden. Ihr Urgroßvater war sonst wohin verschwunden, wenn sie dem gelegentlichen Aufkeimen von schwacher, reiner Magie Glauben schenken konnte, dann betete er irgendwo. Und ihr Onkel? Der war vor nicht allzu langer Zeit ins obere Geschoss verschwunden und seitdem nicht mehr aufgetaucht. Kôhei saß noch in ihrer direkten Nähe, aber der schien sich damit abgefunden zu haben, dass momentan nichts vorwärts ging. Kikyô konnte nicht wissen, dass der Wolfsdämon nach dem Handel mit InuYasha hingenommen hatte, dass sie zum Planen des weiteren Vorgehens noch mehr Tage Zeit hatten. Mit einem leichten Seufzen holte sie den Reißzahn aus ihrem Ärmel, den ihre Mutter ihr zum Üben des schweren Bannkreises gegeben hatte. So konnte sie wenigstens etwas Sinnvolles machen. Aber schon nach wenigen Versuchen merkte sie, dass alle die fremden Gerüche und Geräusche hier ihr die Konzentration extrem erschwerten und so gab sie es vorerst auf und steckte den Zahn wieder ein. Draußen war es inzwischen stockduster, aber noch gab es kein Anzeichen, dass ihre Eltern zurückkehren würden. Da inzwischen auch ihre Großmutter irgendwo oben beschäftigt war, erhob Kikyô sich schließlich und ging die Treppe hinauf. Sie fand die Gesuchte in einem der Zimmer die vom Flur abgingen, anscheinend damit beschäftigt einen weißen Schonbezug von einem Gestell zu ziehen, dass aussah wie ein erhöht liegender, sehr dicker Futon. So wie sie ihre Großmutter kennengelernt hatte, wollte sie dabei keine Hilfe haben. Also ging Kikyô ein paar Schritte weiter, bis sie ein leichtes Kratzen vernahm, das klang, als würde etwas über Papier geführt. Ein Schreibpinsel war das nicht, aber was sonst? Neugierig öffnete sie die Tür einen Spalt und erkannte Souta im künstlichen Licht von einer dieser ‚Lampen‘ sitzen. Er hatte sich etwas vorgebeugt und hielt eine Art kleinen Stab in der Hand, mit dem er über das Papier fuhr, mal langsam und sorgfältig, dann wieder ruckartig und schnell. Bemüht, ihn nicht aufzuschrecken, schlüpfte Kikyô ins Zimmer und lugte ihrem Onkel über die Schulter. Was sie sah, entlockte ihr dann doch einen leisen Laut der Überraschung, der wiederum Souta auffahren ließ. „Wa-… ach, Kikyô, du bist es“, er beruhigte sich sichtlich schnell wieder und legte den dünnen Stab ab, der vorne angespitzt war, wie Kikyô jetzt erkennen konnte. Dennoch vermochte sie ihren Blick nicht von den beiden Papierbögen zu nehmen, die vor Souta auf der Tischplatte lagen. Der eine, kleinere, der bereits das eine oder andere notdürftig geglättete Eselsohr zur Schau trug, zeigte eine sichtlich ältere Zeichnung, während der andere, größere anscheinend eine ins reine gearbeitete Fassung des alten Bildes war. Beide aber zeigten eindeutig ihre Eltern. Und sie waren fast unglaublich gut getroffen. Ihr Vater mit halb trotzigem, halb verschmitztem Blick in den Augen, die Ohren so detailliert gezeichnet, dass Kikyô sie beinahe zucken zu sehen glaubte. Ihre Mutter dagegen, die auf dem alten Bild noch etwas wie ein vergleichsweise eng anliegendes Kimonohemd und einen extrem kurzen Rock trug, war auf dem neuen Bild nicht nur gereifter, sondern auch im Kimono dargestellt. Wo sie auf den alten Bild nur zaghaft InuYashas Hand hielt, hatte sie sich auf der neueren Version gut sichtbar bei ihm untergehakt und blickte zu ihm auf, der Schalk in ihren Augen schien sich mit dem von InuYasha zu messen. Kikyô schüttelte ungläubig den Kopf. Sie hätte nie geglaubt, dass ein gezeichnetes Bild Charaktere so gut einfangen konnte. Selbst Rin und Saika vermochten das nicht ganz so gut und die beiden waren innerhalb der Familie diejenigen mit der meisten, künstlerischen Begabung. „Deine Zeichnung ist… wunderschön“, bemerkte sie schließlich, wohlwissend, dass selbst diese Formulierung ihre Begeisterung nicht in Worte zu fassen vermochte. Souta lächelte ein wenig. „Ich danke für das Lob, Kikyô. Aber ich zeichne eigentlich nur zum Spaß. Jetzt wo meine Schwester endlich einmal wieder da ist, musste ich einfach eine neue Version von diesem uralten Bild anfertigen. Vor allem, wo ihr doch nicht lange bleibt, das hat euer dämonischer Begleiter doch gesagt“, erklärte er. Kikyô nickte etwas, auch wenn sie sich dessen nicht so ganz sicher war. Kôhei wirkte ihr ein wenig zu gelassen, selbst für seine Verhältnisse, wenn sie doch morgen schon wieder aufbrechen wollten. Er musste von Rin wissen, dass Menschen Schlaf brauchten und eigentlich müsste er sich wundern, wo Kagome blieb, wenn sie vor einem frühen Aufbruch noch eine Mütze Schlaf abbekommen wollte. Insofern nahm sie fast an, dass sie wenigstens noch einen Tag hier verbringen würden. „Du hast sie perfekt getroffen…“, fuhr sie aber fort, während sie die feinen, dunkelgrauen Linien musterte, die der kleine Stab hinterlassen hatte. So zierlich ein guter Zeichner auch mit dem Pinsel zu zeichnen vermochte, so gleichbleibend dünn gelang das nie. „Ich kenne meine Schwester. Und Inu-no-niichan ist vergleichsweise leicht. Er ist etwas Besonderes, kein einfacher Mensch, bei dem man sich an jeder einzelnen Linie aufhalten müsste um den Unterschied zu anderen deutlich zu machen. Sein Charakter ist offensiv, man kann ihn geradezu lesen, dann ist es auch einfach, das auf Papier zu bringen… Wollte ich zum Beispiel dich zeichnen wäre es schwieriger. Dein Verhalten ist eher defensiv, du zeigst dich nicht so sehr nach außen. Andererseits siehst du meiner Schwester zwar ähnlich, hast aber einige stille, ernste Züge, die bei ihr weniger ausgeprägt sind. Zu mindestens nicht im normalen Umgang. Ich weiß, dass sie genauso verschlossen dreinschauen kann, wie deine Augen es ständig tun“, erläuterte Souta derweil leichthin, sichtlich offen dafür, die Genauigkeit seiner Arbeit zu begründen. Jetzt griff er nach einem anderen, dünnen Stab, der neben dem ersten lag und begann einige Linien seiner Zeichnung nachzuziehen, schwärzer und ein wenig dicker. Kikyô erkannte, dass es sich dabei einzig um die äußeren Konturen handelte. Ihr Blick wurde allerdings erneut von dem alten Bild eingefangen. „So sah Okaa-san also aus, als sie so alt war, wie ich jetzt wirke?“, wollte sie wissen. Souta folgte ihrem Blick kurz, ehe er den Kopf schüttelte und seine Arbeit fortsetzte, während er antwortete: „Da war sie jünger. Das Bild stammt aus der Zeit, als sie noch regelmäßig durch den Brunnen hin und her sprang. Da war ich… Güte, elf vielleicht? Und sie etwa fünfzehn, sechzehn.“ Kikyô staunte. Für einen Elfjährigen war dieses Bild umso erstaunlicher, denn auch wenn es bei weitem nicht an das Neue herankam, war auch das Alte sorgfältig und hübsch gezeichnet, bildete InuYasha und Kagome genau ab. Souta selbst riss sie schließlich aus ihrer Betrachtung, als er sich aufrichtete, einen Bogen halbdurchsichtiges, hellgraues Papier über das neue Bild zog. „Sag mal, was genau ist eigentlich dieser ‚Auftrag‘, auf dem ihr unterwegs seit? Könnte Tokio damit Probleme kriegen?“, fragte er ernst nach. Kikyô erinnerte sich andeutungsweise daran, dass ihre Mutter erzählt hatte, zwei ziemlich gefährliche Abenteuer hätten beinahe auch das neuzeitliche Tokio ins Chaos gestürzt. Aber das war bei ihrer Suche sehr unwahrscheinlich. Also schüttelte sie den Kopf. „Wir suchen nur jemanden. Den Ziehvater von einem Waisenkind, von dem wir uns mehr Informationen über die Abstammung der Kleinen erhoffen. Leider wissen wir von dem Mann nicht viel mehr als den Namen und eine vage Andeutung.“ Souta schob mehrere der kleinen Stäbe zusammen um sie in eine Metallschatulle zu legen. „Weißt du, wenn man hier bei uns jemanden sucht, dann geht das am einfachsten mit etwas technischer Hilfe“, deutete er an. Kikyô legte den Kopf schief. „Tech-nisch?“, fragte sie zögernd. Souta schmunzelte. „Technik ist fast wie Magie, nur das Menschen sie sich ausgedacht haben. Jeder kann sie benutzen, wenn er weiß, wie es geht.“ Kikyô nickte leicht, ehe sie sich im Zimmer umsah. „Und welche… Technik könnte bei unserer Suche behilflich sein?“ Souta wies mit der Hand auf ein flaches, mattsilbernes Teil, das neben ihm auf dem Zeichentisch stand. „Das Internet.“ ~*~ Rin war mehr als erleichtert, als die Tür wieder aufgeschoben wurde und Arata, dicht gefolgt von Zankò hereinkam. Der Akademieleiter kniete sich direkt neben Rin an das Lager der kleinen Hanyô, die Rin möglichst bequem auf den Futon gebettet hatte. Sayuris Stirn war inzwischen von einem dünnen Schweißfilm bedeckt und sie sah kaum weniger gequält aus, als am Tag ihrer Ankunft. Arata atmete mit einem Kopfschütteln tief durch. „Das sieht alles andere als gut aus. – Was sagt Ihr dazu?“ Die Frage des erfahrenen InuYôkai richtete sich an Shizuka, die eben auch hereinkam, hinter ihr stürzte Teshi ins Zimmer. Es war ein offenes Geheimnis, dass das junge Mädchen alle Bücher der Schlossbibliothek, die sich mit Yôkistärken, Mischblütern und ähnlichem beschäftigen, annähernd auswendig kannte. Shizuka blickte ernst drein, ehe auch sie langsam den Kopf schüttelte. „Ich kann Euch leider nur Recht geben, Arata-san. – Aber ich kann mir auch denken, wo das herkommt. Ihr Körper weiß nichts mit der Veränderung anzufangen. Wenn ich mich recht erinnere, Rin, dann gab es dieses Phänomen auch bei Teshi, oder?“ Rin wiegte leicht den Kopf hin und her, ohne den Blick von Sayuris gequälten Gesichtszügen zu nehmen. „In gewisser Weise. Bei Saika auch. Aber da waren die beiden wenige Wochen alt, ihre erste schwache Nacht eben. Sie haben die Nacht über nicht geschlafen und nur gebrüllt, aber am Morgen war es wieder gut.“ „Ich fürchte fast, bei ihr wird das nicht so einfach…“, mischte Arata sich wieder ein und nahm Arisu, die bereits auf eigene Faust losgeeilt war, etwas Wasser und einen weichen Stofflappen zu holen, die kleine Schüssel ab. „Kann ich noch irgendetwas tun?“, fragte die Zofe. Rin warf ihr ein kurzes Lächeln zu. „Nein, danke, Arisu. Das heißt, doch, du könntest die Flurwache informieren, dass wir eine Kranke haben und hier oben Ruhe herrschen soll.“ Die Sika-Yôkai verbeugte sich leicht zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. „Und… der Herr?“, wollte sie aber wissen. Unwillkürlich glitt über alle Gesichter ein kurzes Lächeln. Sie alle wussten, dass einzig Natsus oder Rins Wort Gewicht hatte, wenn es darum ging, Sesshômaru eventuell von irgendeinem Ort fernzuhalten. „Der Herr ist sowieso beschäftigt…“, erklang eine weitere Stimme und Natsu, die den Raum fast lautlos betreten hatte, zog die Aufmerksamkeit kurz auf sich. Ihre silbriggrünen Katzenaugen ruhten besorgt auf Sayuri. Keiner fragte weiter, was Natsu mit ihren Worten meinte. Im Moment gab es wichtigeres, als womit Sesshômaru sich die Zeit vertrieb. Plötzlich jedoch begann die kleine Hanyô sich noch heftiger herumzuwerfen, ihre Hände krallten sich in die dünne Decke – und in Kazuya, der das mit zusammengebissenen Zähnen über sie ergehen ließ, weil Sayuri ihn eh zu fest im Griff hatte, als dass er sich hätte losmachen können, ohne ihr wehzutun. Fast automatisch ging Natsus Hand richtung Obi, wo ihr Instrument steckte, aber sie zögerte. „Kann man irgendetwas für sie tun, außer sie zu beruhigen?“ Arata und Shizuka schüttelten synchron den Kopf. „Sie ist eigentlich zu alt für diese Symptome, deswegen geht es ihr so schlecht. Wir können tatsächlich nicht mehr machen, als abzuwarten. Es kann gut sein, dass sie wieder ein paar Tage ausgeschaltet ist, sie fiebert jetzt schon…“, erklärte Shizuka leise. Wäre Kagome anwesend gewesen, hätte sie sicher automatisch die Parallele zu den Kinderkrankheiten gezogen, denn Windpocken und Co machten einem ja auch mehr zu schaffen, je älter der Patient bereits war. „Und vorhin hat sie gesagt, ihr wäre schlecht“, fügte Rin aber nur hinzu, die inzwischen begonnen hatte, Sayuris Stirn behutsam zu kühlen. An der Unruhe der Hanyô änderte das aber auch nichts. Schließlich trat Natsu einen Schritt vor. „Wenn uns sowieso nichts außer Abwarten bleibt, dann können wir die Versammlung auch auflösen.“ Obwohl sie leise und freundlich sprach, wussten alle, dass das ein Befehl gewesen war. Einzig Rin blieb zurück, weiterhin Sayuris Stirn kühlend. Sie wusste, was ihre Adoptivmutter vor hatte und sie wusste auch, welch durchschlagende Wirkung Natsus Lieder haben konnten. Im Zweifelsfall würde sie eben auch einschlafen. Natsu duldete das, als sie neben Sayuris Lager hinkniete und ihr Instrument hervor holte. „Armes Kind… auch wenn ich einfach mal annehmen will, dass dein Elternteil dir mit dem Bann nur Gutes wollte, jetzt zeigt sich der Rattenschwanz der ganzen Geschichte… na, mal sehen ob wir dir helfen können….“ Damit setzte sie ihr Instrument an die Lippen, schloss die Augen und begann zu spielen. Was zuerst nur kurze Tonkombinationen waren, verschmolz bald zu einer Melodie, die sanft und getragen im Raum hing – und langsam aber sicher ihre Wirkung entfaltete. Sayuri entspannte sich zwar nicht wirklich, aber sie wurde ruhiger, bis sie schließlich still lag. Wenn man ihr schon die Leiden dieser ersten schwachen Nacht nicht abnehmen konnte, wenigstens der hinzugekommene Albtraum ließ sich auslöschen. Natsu lächelte ohne ihr Spiel zu unterbrechen. Geht doch… ~*~ Sesshômaru war derweil, kaum, dass Jaken InuKin vorbeigebracht hatte, Richtung Verlies aufgebrochen, seinen Sohn direkt auf den Fersen. Der augenscheinlich knapp sechzehnjährige ließ seinen Vater nicht aus den Augen. Er wusste nicht, was der diesmal vor hatte, denn wie üblich erklärte Sesshômaru sein Handeln nicht, aber InuKin wusste, dass es etwas Wichtiges sein musste. Ebenso wie sein Vater hatte er den Aufruhr gehört, der im Nordtrakt, wo die Familiengemächer lagen, entstanden war. Wenn Sesshômaru das ignorierte und ihn noch zusätzlich holen ließ, musste es wirklich herausragend sein, was er plante. Als sie nun an den beiden Wachen vorbeigingen, die den Eingang zu den Arrestzellen bewachten, ahnte InuKin bereits, was anlag. Sie traten an den sechs Zellen vorbei, die zuvorderst lagen und nur durch Gittertüren verschlossen waren. Sie waren meist nur für solche gedacht, die Unruhe stifteten und nicht mehr als zwei Tage einsitzen mussten. InuKin wusste, dass selbst sein Schwager Kôhei diese Zellen von innen kannte. Weiter hinten lag jedoch der richtige Kerker und hier wurde es nicht nur dunkler, sondern auch mit festen Türen bestückt und vor jeder besetzten Zelle war ein eigener Wächter postiert. Momentan traf das nur auf eine Einzige zu: Die, in der sich Kaori befand. InuKin versuchte sich so gut es ging zu erinnern, was er über die Taubendämonin wusste. Gegnerin des Fürstenrates, Aufrührerin – und zuletzt Entführerin von Sayuri. Er wartete ab, während die Wache auf Sesshômarus Zeichen hin rasch die Tür öffnete. Dahinter erstreckte sich eine winzige, dunkle Zelle von vielleicht zwei mal drei Metern. In der hintersten Ecke stand Kaori, ihr Kopf war ihr auf die Brust gesunken, die Arme waren über den Kopf gestreckt, wo man sie an kurzen Ketten gefesselt hatte. Normalerweise hätte man einer Gefangenen die Ketten lang genug gemacht, dass sie sich wenigstens setzen, die Arme aber nicht senken konnte. Dies war bei Kaori allerdings nicht geschehen und dementsprechend ausgelaugt sah sie aus. Vermutlich hatte sie nur alle paar Tage ein wenig Wasser bekommen und keinen Krümel Essen, übliche Praxis, wenn man es mit einem dämonischen Schwerverbrecher zu tun hatte, der nicht gleich hingerichtet wurde. Jetzt endlich schien sie bemerkt zu haben, dass sie nicht mehr allein war und dass der Neuankömmling nicht gekommen war, um ihr Wasser zu bringen. Sie fuhr auf und ihre Kiefermuskeln spannten sich an, fast als wollte sie wütend knurren und könne sich erst im letzten Moment zurückhalten. InuKin wusste, dass sein Vater diese Anzeichen ebenso gesehen hatte, aber er reagierte nicht auf die Beinahe-Drohung. „Kaori“, konstatierte er nur neutral, während er die Widersacherin emotionslos musterte. Angesprochene starrte ihn wortlos an, schien eine Art Blickduell herauszufordern, das Sesshômaru allerdings mühelos gewann, weil Kaori ihre Aufmerksamkeit plötzlich auf den jüngeren Dämon im Raum richtete. InuKin bemühte sich um einen ebenso nichtssagenden Gesichtsausdruck wie sein Vater ihn zur Schau trug, was ihm sogar halbwegs gelang. Dennoch war in der Dunkelheit des Kerkers die katzenartige Form seiner Augen nur zu gut zu erkennen. Und genau das schien Kaori aufgefallen zu sein. „Sieh an, der Mischblut-Prinz“, wisperte sie mit rauer Stimme, der man anhörte, wie wenig Flüssigkeit sie die Tage über erhalten hatte. „Hast du sonst nichts zu sagen?“, mischte sich Sesshômaru kühl ein. „Warum so-“, Kaoris Stimme erstarb nun endgültig. Auf eine Geste Sesshômarus hin, brachte der Wächter eine Schüssel Wasser, die er Kaori grob an die Lippen zwang. Nach dem Trunk war deren Stimme wenigstens wieder zu verstehen: „Warum sollte ich? Dir ist die Reinheit der großen Dämonenclans nicht heilig genug, das ist altbekannt. Es ist unter meiner Würde, mich weiter damit auseinander zu setzen.“ InuKin schüttelte sich innerlich. Wollte die Dame eigentlich sterben? Sie provozierte es ja geradezu. Sesshômaru dagegen blieb gespenstisch ruhig: „Unter deiner Würde, ja?“ Seine Augen verengten sich für den Bruchteil einer Sekunde, ehe er einen Schritt näher zu Kaori trat. Sie war kleiner als er, aber er machte sich nicht die Mühe, auf sie hinabzusehen, sondern blickte zwischen ihren gestreckten Armen hindurch auf die schartige Wand. „Eine Dämonin, die einem jener beiden Clans angehört, die sich untereinander oft vermischen, eine Dämonin, die als Vagabundin durch die Lande zieht und eine Bande Banditen gegen den Fürstenrat führen will, eine solche Dämonin will mir erzählen, was Würde ist?“ Kaori rührte sich weder, noch kam ein Ton über ihre Lippen. Gewissen Stolz besaß sie also doch. InuKin beobachtete jede Regung der beiden Gegner, wartete, dass sein Vater fortfuhr. Sicher hatte er Kaori nicht tagelang hier unten schmoren lassen, um dann aus nichtigen Gründen gerade jetzt zu ihr zu gehen. Es musste etwas geschehen sein. Die Bestätigung bekam er sogleich. „Besitzt deine Bande einen Schmied, Kaori?“ Den Sinn der Frage schien die Angesprochene nicht recht zu verstehen. „Was ginge dich das an?“ Die Bewegung, in der Sesshômaru zurücktrat, sie am Kimonokragen packte und auf Augenhöhe zu sich hinauf zog, war blitzschnell. „Besitzt deine Bande einen Schmied?“, wiederholte der InuYôkai seine Frage unbeugsam. Kaori lackte trocken auf. „Nicht mehr. Deine werte…“, sie hustete abwertend, „Schwägerin hat ihm den Gar ausgemacht.“ Offenbar machte es ihr wenig aus, zuzugeben, dass Kagomes Kraft einen ihrer Untergebenen hatte platt machen können. Sie störte bloß, dass Kagome in eine Dämonenfamilie hatte einheiraten können, wenn man so wollte. Das zu mindestens war Kins Interpretation, während sein Vater wieder einmal nicht zu erkennen gab, wie er über die Erwiderung dachte. „Die Legierung von Giftkristall. War sie ihm bekannt?“, fuhr Sesshômaru fort. Kaori schien ernstlich nachzudenken. Offenbar war ihr klar geworden, dass eine geschickte Handbewegung Sesshômarus ausreichte, damit ihr Genick Vergangenheit war. Also zeigte sie sich kooperativ – und plötzlich drückte sie sich ausführlich und gewählt aus. Dennoch war ihre Angst deutlich zu wittern und am liebsten wäre Kin ein paar Schritte rückwärtsgegangen. „Er nicht, der war ja noch ein halbes Kind. Und seit diese Legierungen verboten sind, praktizieren sie zwar noch einige, aber lehren tut es keiner mehr. Aber ich meine, er hatte mal erwähnt, sein Vater habe es noch gekonnt – und er habe ein Erbstück aus dieser Legierung.“ „Das Katana, das eine verdiente Freundin der Familie schwer verwundete“, ließ Sesshômaru sich herab zu informieren. Der einzige, der fast unmerklich zusammenzuckte war Kin. Unwillkürlich fragte er sich, wovon und von wem sein Vater redete. Kaori dagegen war unbeeindruckt und auch Sesshômaru drehte sich, als er merkte, dass er keine weitere Reaktion bekam, wortlos um und verließ die Zelle, die der Wachmann wieder hinten ihnen verschloss. „Päppelt sie auf, ich brauche sie noch. Einmal die Woche etwas Nahrung“, sagte er schlicht, ehe er sich, dicht gefolgt von seinem Sohn wieder auf den Weg nach draußen machte. Als sie wieder am Tageslicht waren, schloss InuKin etwas auf. „Was geschieht jetzt mit ihr?“ Sein Vater warf ihm nur einen kurzen Seitenblick zu. „Dem Tatbestand nach, könnte ich sie zum Duell verurteilen, gegen die, die sie zu schmähen versuchte. Da Sayuri dafür noch zu klein ist, müsste ein erblich gleichwertiger Vertreter ran und das wäre nur InuYasha. Der hat allerdings wohl keine Skrupel, Kaori tatsächlich umzubringen, also lassen wir das. Ich brauche sie noch, wenn weitere Fragen auftauchen“, erläuterte er neutral. InuKin nickte gehorsam. Das war nur logisch. ~*~ „Inter-net?“, echote Kikyô erneut etwas unsicher. Souta grinste. Er ahnte, dass seine Nichte keine Ahnung hatte, wovon er sprach. Dennoch nickte er bestätigend, während er die Zeichensachen endgültig weglegte und das silberne Ding – seinen Laptop – zu sich zog. „Das Internet ist wie ein ganz großes Gedächtnis, dem jeder etwas hinzufügen und aus dem jeder etwas ablesen kann“, fuhr er fort mit Erklären, während er das Gerät hochfahren ließ und drehte sich auf seinem Stuhl zu Kikyô um. „Also, wen sucht ihr denn?“ „Der Mann heißt Kuromori. Kuromori Hibiko. Er lebt in Nemuro und hat dort Familie. Gefährtin und mindestens ein Kind. Und Okaa-san meint, er könnte entweder etwas mit Schauspiel oder mit Tourismus zu tun haben, was auch immer letzteres ist.“ Souta nickte nachdenklich, ehe er die Suchmaschine erst einmal nur nach dem Namen suchen ließ. Nebst diversen Links zu unterschiedlichen sozialen Netzwerken – die zu erklären er jetzt gerade keine Muße hatte – waren auch ein paar brauchbare Ergebnisse darunter. Unter anderem mehrere Firmenseiten – und die Seite einer Vermisstenkartei. „Sieh an…“, murmelte Souta vor sich hin, während er die Seite öffnete. „Könnte das euer Kind sein?“, fragte er dann, nickte auf das Foto, das auf dem Bildschirm erschienen war. Kikyô nickte leicht, nachdem sie sich mit der Bildschirmanzeige vertraut gemacht hatte. „Wenn man sich die tierischen Ohren dazudenkt… ja, das kann durchaus Sayuri sein. Warum?“ Souta zeigte auf die Schriftzeichen unter dem Bild. „Kuromori Sayuri“, las er schlicht vor. „Scheint so, als habe er die Anzeige geschaltet, um das Verschwinden der Kleinen zu erklären. Und hier…“, er scrollte ein Stück hinunter,“ hier haben wir auch die Kontaktdaten… mal sehen, das ist die Polizei, aber hier… schau‘ einer an, das ist ja fast besser.“ Auf dem Bildschirm war der Foto einer Straßenecke zu erkennen – an der Sayuri angeblich zum letzten Mal gesehen wurde. An dieser Straßenecke war der Eingang zu einem Geschäft, oder genau genommen… einem Reisebüro. Quer über das seitliche Schaufenster zog sich Werbung für die Hauptattraktion dieses Reisebüros: Historische Ausflüge. „Bingo“, murmelte Souta vor sich hin, als er aus dem Augenwinkel Kikyôs Lächeln sah. Offenbar hatten sie einen Treffer gelandet. „Wenn er nicht gefunden werden wollte, ist er selber schuld. Er müsste dieses… Internet? … doch kennen.“ „Sollte er“, grinste Souta zustimmend, ehe er den Laptop zuklappte. „Übrigens, was hältst du davon, wenn wir Nee-chan den morgigen Tag hier gönnen und ihr noch nicht sagen, dass ihr neue Informationen habt? Wir können derweil Vorbereitungen treffen. Wenn ich mich an das Konzept dieses historischen Urlaubs richtig erinnere, dann haben diese Reisebüros Kleiderkammern mit Kimono und so’nem Zeug. Mit euren eigenen Sachen könnt ihr da nicht reinmarschieren. Ich meine, es sind noch einige Sachen von Kagome hier, Okaa-san hat sie bestimmt nicht weggeschmissen. Die müssten Nee-chan und vermutlich auch dir passen. Aber für Inu-no-nii-chan und für Hotaru brauchen wir noch Anziehsachen, die nicht auffallen. Das Kinderkleid von den Nachbarn ist nur geliehen, das könnt ihr nicht mitnehmen. Sag, Kikyô, magst du morgen mit mir in die Stadt gehen und etwas für die beiden suchen? Dann hat Nee-chan noch ein bisschen Zeit für sich.“ Nach kurzem Nachdenken lächelte Kikyô zustimmend. „Du bist… sehr rücksichtsvoll. Ich bezweifle schwer, dass Akio sich so um mich sorgen würde“, bemerkte sie, während sie einen Schritt zurücktrat um Souta Platz zum Aufstehen zu lassen. Der junge Mann erwiderte das Lächeln, fragte aber: „Akio?“ „Gomen. Akio ist mein Bruder. Er und Itoe sind die Mittleren von uns vieren“, erklärte Kikyô rasch. Souta nickte verstehend, ehe er anmerkte: „Sag das nicht, wenn Geschwister gebraucht werden, helfen sie immer. Ich meine, ich bin es gewohnt, Kagome ein paar Sachen abzunehmen. Als sie noch hin und her gesprungen ist, hat sie viel in der Schule verpasst. Was meinst du, wer zu ihren Freundinnen getapert ist und die Aufzeichnungen besorgt hat? Oder wenn sie mal in der Schule war und die Hälfte der Bücher zuhause lag, die für den Unterricht nötig sind. Was meinst du, wer zu spät zur Schule gekommen ist, weil er ihr die Bücher hinterher gebracht hat? Und wie gesagt, da war ich elf.“ Kikyô lachte bei der Vorstellung. „Oh ja, das klingt, als hättest du Erfahrung“, bestätigte sie, ehe sie den Kopf wandte. „Hotaru ist zurück. Und dann sind Okaa-san und Otou-san auch nicht weit“, erklärte sie auf den fragenden Blick ihres Onkels hin. Tatsächlich klackte gleich darauf die Haustür und im nächsten Moment hörte man Hotarus rennende Schritte die Treppe hinauf. „Onee-chan!“, rief sie laut. Kikyô beeilte sich, ihrer kleinen Schwester zu öffnen und ihr spielerisch den Mund zuzuhalten. „Pscht, Hotaru! Andere Leute schlafen hier. Und wenn du nicht zu einem Viertel Dämon wärst, würdest du das auch längst, Aka-chan.“ „Ich bin kein Baby!“, murrte Hotaru, kaum das Kikyô ihre Hand sinken ließ, hielt aber dann den Mund, weil Kagome die Treppe herauf kam, dicht gefolgt von ihrer Mutter und InuYasha. Souta kam nun auch aus seinem Zimmer, nickte seiner Schwester zu, ehe sich sein Blick mit Kikyôs kreuzte. „Morgen“, konstatierte er mit verschwörerischer Stimme und hielt ihr die Hand hin. Kikyô schmunzelte. Den fragenden Blick ihrer Mutter geflissentlich ignorierend, schlug sie ein. „Morgen“, bestätigte sie. Kapitel 22: Städtebummel, Bannkreise und ein Vorwurf ---------------------------------------------------- Es war gerade Mittag, als sich die Haustür am nächsten Tag hinter Souta und Kikyô schloss. Noch trug Kikyô ihren hellen, jadefarbenen Kimono, was aus beiden ein etwas seltsam anmutendes Pärchen machte, denn Souta trug die Kleidung, die für seine Zeit eher üblich war: Jeans, ein schwarzes Poloshirt und eine einfache Jacke. Kikyô atmete ein wenig flach, als sie die Innenstadt betraten, blickte sich aber neugierig um. Gerüche, Geräusche, alles war laut und aufdringlich und künstlich. Als sie, Souta auf dem Fuße folgend, eines der Gebäude seitlich der Straße betrat, wurde es noch schlimmer. Künstlicher, gekühlter Wind schlug ihr entgegen, eine seltsame Melodie hing in der Luft. Kikyô kniff die Augen zusammen, gab sich aber tapfer. „Wie halten Akio und Itoe das bloß aus…“, murmelte sie allerdings die gleiche Frage vor sich hin, die ihr Vater schon vor Tagen gestellt hatte. Das war doch Horror. Ihrem neu kennengelernten Onkel machte das sicher nichts aus, seine Sinne waren schwächer als ihre, aber Kikyô hatte da so ihre Schwierigkeiten, sich zu akklimatisieren. „Hotaru ist jetzt also sieben. Wie groß etwa?“, fragte er da. Kikyô dachte kurz nach. „Knapp ein Meter zwanzig, glaube ich.“ Dann jedoch verharrte sie skeptisch, weil er auf eine Treppe zusteuerte, die die Menschen anscheinend selbstständig transportierte. „Komm schon, Kikyô“, forderte er sie auf, als er ihr Zögern bemerkte und griff kurzerhand nach ihrem Arm, um sie mit sich zu ziehen. So brachten sie die Rolltreppe unbeschadet hinter sich – ohne zu bemerken, dass jemand auf sie aufmerksam geworden war. Eine Weile suchten sie in der Kinderabteilung nach einem einfachen Kleid in Hotarus Größe, bis sie schließlich fündig wurden. Kikyô hatte sich die ganze Zeit bemüht, nicht zu offensichtlich zu staunen. Diese Mengen, diese Farben, diese Auswahl! Was auf der einen Seite erdrückend war, faszinierte sie auf der anderen Seite. Wie viele Näherinnen und Schneiderinnen an diesen Massen von Kleidungsstücken wohl gearbeitet hatten? Und das war bisher nur die Kinderabteilung gewesen. Zurück im Erdgeschoss, bei der Männerkleidung, war es wenig anders. Nur dass es hier keine Kleider und Röcke gab, wie Kikyô feststellte. Offenbar war es Standard wie Souta Beinkleider mit getrennten Beinen zu tragen. Sie folgte ihrem Onkel, während der schaute, was sich für InuYasha finden ließ. „Ich würde ihm ja Sachen von mir geben, aber Inu-no-nii-san ist zwar ein paar Zentimeter kleiner als ich, dafür aber um einiges kräftiger“, erklärte er zwischendurch einmal. Dennoch fanden sich recht schnell eine einfache, dunkle Stoffhose und ein rotes Hemd, die InuYasha passen müssten. Die größere Hürde würde da sein, ihn von Schuhen zu überzeugen, auch wenn sie sich schlussendlich für Sandalen entschieden, bei denen vielleicht ein bisschen weniger Überredungskunst vonnöten sein würde. Nachdem Souta bezahlt hatte – wobei Kikyô sich in der Schlange vor der Kasse mit dem ewigen Klingeln der Geldschublade in den Ohren, nicht gerade wohl fühlte – verließen sie zufrieden das Geschäft. Und obgleich es draußen nicht weniger stickig war, atmete Kikyô tief durch, als sie wieder auf dem Bürgersteig waren. Souta grinste ein wenig. „Das muss alles ein bisschen viel für dich sein, hm?“, wollte er wissen. Kikyô lächelte etwas schal und nickte. Allerdings. Diese Welt war nicht unbedingt etwas für sie, vor allem nicht mit all dieser Hektik. Schon wieder hetzten zwei junge Menschen an ihr vorbei und achteten so wenig auf ihre Umgebung, dass Kikyô beinahe umgerannt worden wäre. Unwillkürlich knurrte sie leise auf, aber zum Glück ging das im allgemeinen Lärm unter. Einzig Souta hatte es gehört und schüttelte warnend den Kopf. „Komm, zum Abschluss zeige ich dir etwas. Ist auch etwas abgelegener, da ist es ruhig – vergleichsweise wenigstens….“ Wieder fasste er nach Kikyôs Hand und zog sie mit sich. Nachdem sie um ein paar Ecken gebogen waren, erreichten sie tatsächlich eine sehr viel ruhigere Gegend – und ein kleines Café. Als sie die Tür durchquerten, landeten sie in einem kleinen Raum, offenbar einem Vorzimmer. Sofort trat ihnen jemand entgegen, der eine kleine Flasche in der Hand hielt. Kikyô zuckte zurück, als sie den beißenden Geruch bemerkte, der von dieser ausging. Souta streckte derweil die Hände aus, ließ sich aus der Flasche etwas auf die Finger sprühen. Für einen Augenblick stank es noch schlimmer, dann verflüchtigte sich der Geruch etwas, wurde selbst für Kikyô annehmbar. Aus diesem Grund ließ sie auch zu, dass man auch ihr die seltsame Flüssigkeit auf die Finger sprühte und verrieb sie ebenso wie ihr Onkel. Dann durften sie in einen zweiten Raum weitergehen und jetzt sah Kikyô bereits, was an diesem Lokal so besonders war – für einen Tokioter weniger, denn von dieser Sorte gab es gut vierzig allein in dieser Stadt, aber das konnte Kikyô beim besten Willen nicht wissen. Sie hatte einzig die Katzen entdeckt, die in einem weiteren, mit einer Glasscheibe abgetrennten, Raum saßen, lagen und herumliefen. Zwei von ihnen schliefen seelenruhig, obwohl vier Menschen mit in diesem Raum waren, eine Schwarze kletterte gerade einem der Menschen auf den Schoß. Getränke, sprich Tee, gab es aber im Katzenzimmer nicht und so blieben Souta und Kikyô erst einmal davor und setzten sich an einen der Tische. „Ich hätte es euch ja allen gezeigt, aber mindestens dein Vater hätte wohl bei dem Desinfektionsmittel da vorne gestreikt. Selbst für dich war es grenzwertig, oder?“, fragte Souta schließlich mit gedämpfter Stimme, nachdem sie die ersten Schlucke getrunken hatten. Kikyô kicherte ein wenig. Sie war inzwischen aufgetaut genug, um sich auch ein wenig mädchenhaft zu zeigen. „Das ist wohl wahr. Aber was genau soll das hier eigentlich darstellen? Ich meine, Okaa-san hat mir erzählt, dass es Räumlichkeiten in den Städten gibt, zu denen man gehen kann um gegen Bezahlung etwas zu trinken oder zu essen. Aber Katzen streicheln?“ „Das gibt es auch erst seit einigen Jahren, inzwischen ist es aber ein richtiger Trend. Viele Menschen haben nicht genug Zeit oder Platz, sich eine eigene Katze oder überhaupt ein eigenes Haustier zu halten. Für die ist so ein Café wie dieses. Das ganze gibt es auch mit Hunden, mit Kaninchen und seit neuestem sogar mit Ziervögeln.“ Kikyô schüttelte etwas den Kopf. „Men-… äh, Städter sind seltsam“, befand sie, ehe sie ihre leere Tasse abstellte. Souta grinste ob ihres Beinahe-Versprechers. „Vielleicht sind wir das. Aber wir machen das Beste draus“, spielte er mit, ehe er wieder im Plauderton fortfuhr: „Ich bin hier öfter. Beim ersten Mal hat Hitomi mich mitgeschleift, sie hat schon immer alles angezogen, was mit Tieren zusammenhing. Dabei hatte sie das Glück, auch immer mit ihnen zu tun haben zu können. Ganz früher waren es Kaninchen und seit Neustem hat sie einen Hund. Der ist auch der Grund, dass sie sich hier nicht mehr blicken lässt. Nyoko wäre alles andere als begeistert. Die Kleine ist ja unheimlich lieb, aber Katzen kann sie überhaupt nicht ab.“ „Das glaube ich sofort. Hunde und Katzen, das passt selten“, gab Kikyô zurück, ehe sie neckisch hinzufügte: „Allerdings… lass mich aus dem Nähkästchen plaudern… wenn sie zueinander finden, dann passt alles. Zu mindestens bei Hund und Löwe ist es so.“ Sie lachte leise und Souta der nach den Erzählungen von vergangenen Nachmittag wusste, wovon sie sprach, stimmte ein. ~*~ Als Sayuri mühsam die Augenlider öffnete, stach ihr das helle Sonnenlicht schmerzhaft in die Augen. Mit einem leisen Wimmern drehte sie sich auf die Seite, kniff die Augen wieder zu und rollte sich etwas zusammen. Ihr war noch immer übel und ihre kleinen, tierischen Öhrchen hingen platt zur Seite, unterstrichen wie schlecht es ihr noch immer ging. Rin, die im Torbogen Richtung Balkon lehnte und das durchaus gesehen hatte, seufzte schwer. Die Sonne hatte beinahe ihren höchsten Stand erreicht und ging der Kleinen noch immer nicht viel besser. Zwar hatte sie einigermaßen durchgeschlafen, aber das war auch schon alles. Rin stieß sich von der Wand ab und kehrte an Sayuris Lager zurück, wo sie gewacht hatte, seit sie Natsu bei Sonnenaufgang abgelöst hatte. „Sayuri… he, Sayuri…“, rief sie mit gedämpfter Stimme. „Nicht wieder einschlafen, Kleine. Du musst etwas trinken, hörst du?“ Sayuri grummelte halb verschlafen, halb gequält vor sich hin und rollte sich enger zusammen, die Arme noch immer um ihren Bauch geschlungen. Offenbar rebellierten ihre Organe, einschließlich des Magens, noch immer. „Sayuri…“, Rin wurde jetzt eindringlicher, winkte gleichzeitig Arisu heran. Mit der Hilfe der Sika-Yôkai, half sie Sayuri, sich aufzurichten und setzte ihr vorsichtig die Teeschale an die Lippen. Sayuri schaffte gerade drei Schlucke, ehe sie sich wieder verkrampfte. Rasch brachte Rin die Teeschale in Sicherheit, zog das kleine Hanyômädchen an sich, um es in ihrem Arm zu wiegen. Leise summte sie vor sich hin und fast augenblicklich dämmerte Sayuri wieder weg. Behutsam fühlte Rin ihre Stirn und stellte mehr als erleichtert fest, dass das Fieber zurückging. Sayuri schien sich schneller zu erholen, als befürchtet, aber immer noch langsamer als gehofft. Langsam ließ sie die Kleine auf ihr Lager zurücksinken, zog ihr wieder die Decke bis zur Brust über den Körper. Es war längst wieder brütend warm draußen, aber wenn Sayuri jetzt Zug abbekam, würde das eindeutig mehr schaden, als ein wenig zu viel Wärme. „Was… nun, Rin?“, fragte Arisu im Flüsterton. Rins Blick ruhte noch einen Moment auf der wieder Schlafenden. „Warten und hoffen, Arisu. Bist du so nett und holst Shizuka? Sie sollte im Unterrichtsraum sein. Meines Wissens wollte sie die nächste Schicht übernehmen. Und ich bin mit Arata zum Training verabredet.“ Arisu lächelte etwas und nickte. Keinen Augenblick später war sie aufgesprungen und längst durch die Tür gewitscht. Das Kampftraining ihrer Herrin und Freundin übernahm nach wie vor Arata, wie schon ganz zu Anfang, dabei wäre Kôhei heutzutage längst in der Lage, das zu übernehmen. Aber der ließ seiner Gefährtin einfach viel zu viel durchgehen. Arisu grinste in sich hinein. Die amtierende Generation der Ookami, seien es Kôhei oder auch der unkonventionelle Fürst Kôga, ließ kaum mehr darauf schließen, dass sie einst disziplinierter gewesen waren, als das Volk ihrer Dienstherren, das Volk der Inu. Damals, als jenes sich von den Ookami abspaltete, vor zigtausend Jahren, da hätte es gerade im Clan der Ookami keine Weichheiten, kein Nachgeben gegeben. Undenkbar. Und heute? Jetzt schlich sich das Grinsen auch in Arisus Gesicht. Schon seltsam, was die Zeit aus den Wesen machte… ~*~ “Ich komme ja schon! Geduldet euch mal.“ Die Stimme wurde von einem aufgeregten Kläffen begleitet, als Hitomi die Tür öffnete. Draußen standen ihre Freundinnen, mit denen sie auch nach der Schule noch Kontakt hatte. Eine von ihnen stolperte beinahe in sie hinein, aber auch die anderen wirkten so aufgeregt und… beinahe entsetzt, wie nach dem Sturmklingeln zu vermuten. Beschwichtigend hob Hitomi beide Hände. „Beruhigt euch, Leute! Kommt rein“, forderte sie gelassen, auch wenn sie mehr als perplex war. Was bitte war denn jetzt geschehen? Mindestens zwei ihrer Freundinnen standen buchstäblich einem Herzinfarkt nahe. Als es ihr endlich gelungen war, alle vier ins Wohnzimmer zu verfrachten und ihre nicht einmal kniehohe Mitbewohnerin in ihren Korb zu schicken, blickte sie den Besuch mit in die Seiten gestützten Armen an. „Also, was ist los?“ Entgegen des bisherigen Gebarens blieben ihre vier Freundinnen fast gespenstisch ruhig. Sie wechselten nur unbehagliche Blicke, bis eine es wagte, Hitomi wieder in die Augen zu sehen. „Wir… wir waren in der Stadt. Und da haben wir Souta gesehen“, begann sie langsam. Hitomi runzelte die Stirn. „Und?“, wollte sie ungeduldig wissen. „Er… er war nicht alleine…“, deutete nun eine andere an. Hitomi stieß die Luft aus. „Wird das wieder eine von euren Verschwörungstheorien?“, wollte sie wissen. Dieserart Szenarien hatten sie während der Schulzeit gerne geschmiedet, aber gerade deswegen mussten die vier doch wissen, dass sie da nicht drauf reinfallen würde. Doch synchron schüttelten die vier die Köpfe und verneinten damit ausdrücklich. „Nein, Hitomi, wir meinen es ernst! Wir wollen dich doch nur warnen. Sieht so aus, als-“ „Halt die Klappe, Aoko“, fuhr Hitomi sie an und sofort verstummte die Angesprochene. Hitomis Stimme hatte scharf geklungen, aber innerlich war sie nicht ganz so selbstsicher, wie sie sich gab. Sie schalt sich selbst für ihre Zweifel, aber eigentlich vertraute sie ihren Freundinnen. Sie würden wohl einiges, aber Lügengeschichten über ihren Freund erzählen? Nein, das traute sie ihnen nicht zu. Genausogut vertraute sie aber auch Souta. Sie glaubte eigentlich nicht, dass er sich so sang und klanglos jemand anderen suchen würde. Streitigkeiten hin oder her, sie waren seit so vielen Jahren ein Paar. Nein, bestimmt hatten ihre Freundinnen sich geirrt, oder es gab für alles eine einleuchtende Erklärung. „Seid ihr… sicher?“, fragte sie daher, bewusst die drei anderen, nicht Aoko, anguckend. Zwei von ihnen senkten mitleidig den Blick, bloß Tama antwortete ihr: „Wir haben ihn beim Einkaufen gesehen. Und dann… hat er sie in euer Café mitgenommen.“ Für einen Augenblick war Hitomi erstarrt. Ihr Café, das Katzencafé, das sie Souta einst gezeigt hatte und wo sie so oft gemeinsam gewesen waren, bis sie ihre kleine Hündin bekommen hatte und sich aus Rücksicht auf die Kleine dort nicht mehr blicken ließ? Unwillkürlich richtete sich ihr Blick auf den halbwüchsigen Hund, der inzwischen in seinem Korb friedlich schlummerte und von dem beginnenden Drama nichts zu ahnen schien. Hitomi versuchte, sich nichts von ihren wirbelnden Gedanken anmerken zu lassen, als sie sich wieder ihren Freundinnen zuwandte. „Und ihr meint nicht, es gibt keine andere Erklärung?“ Innerlich fluchte sie. Jetzt hatte ihre Stimme doch gezittert. Dagegen schien in ihren bisher mitleidigen und etwas befangenen Freundinnen jetzt die Abenteuerlust hochzukommen. „Wir… könnten ihm ja nachspionieren…“, schlug Kairi mit einem schiefen Grinsen vor, das zeigte, wie wenig ernst sie ihren Vorschlag meinte. Die Vierte im Bunde, Suki, schien allerdings fast begeistert: „Au ja.“ Suki war manchmal die Blauäugigkeit in Person, sie sah noch immer in allem ein Spiel, nahm selten etwas oder jemanden ernst. In diesem Punkt war sie auch nicht sonderlich empathisch begabt, das zeigte ihre verständnislose Miene, als Aoko ihr den Ellbogen bezeichnend in die Rippen stieß. Hitomi dagegen atmete tief durch. So albern es klang, aber vielleicht würde sie sich dadurch beruhigen können. Sicher war es eine Nichtigkeit, die ihre Freundinnen zu ihrer Annahme brachte. Aber EUER Café!, hallte es in ihrem Hinterkopf wieder. Hitomi versuchte hartnäckig, die Zweifel zu ignorieren. Sie wollte keine Eifersucht zeigen, solange sie nicht wusste, auf wen – und ob es überhaupt angebracht war. „Gut. Aber ich komme mit“, stellte sie klar und blickte gleich darauf in vier Paar entgeisterte Augen. Kairi, die Älteste unter ihnen, die schon immer so etwas wie die Anführerin der Clique gewesen war, war sie Erste, die sich fing. „Okeeey…“, sagte sie langgezogen und erhob sich. Mit einem großen Schritt stand sie vor Hitomi. „Es… tut mir Leid, dass wir dir so eine Neuigkeit überbringen mussten. Aber wir wollten, dass du es wenigstens weißt, wenn wir schon…“ „Lass es, Kairi. Ich will es mit eigenen Augen sehen und wenn es wirklich so ist, dann ist Souta für mich gestorben. Aber ich… ich WILL es noch nicht glauben…“ Bei aller Nachdrücklichkeit in der Wortwahl war ein wenig Erschöpfung aus ihrer Stimme herauszuhören. Wieder wechselten ihre Freundinnen einen bedauernden Blick, das bekam Hitomi durchaus mit, als sie ihre Jacke holen ging. „Okaa-san?“, rief sie richtung Obergeschoss. „Hai?“ „Ich gehe mit den anderen raus. Nyoko schläft, ich lasse sie hier, ja?“ „Gut. Geh nur, Hitomi!“ Damit kämpfte Hitomi ihre aufgewühlten Gefühle erneut herunter und verließ mit ihren Freundinnen das Haus. - Eine Viertelstunde Fußmarsch später erreichten sie den Stadtteil Tokios, in dem das Schreingelände von Soutas Familie lag. Etwas verwirrt, dass ihre Freundinnen sie gerade hierhin geführt hatten, warf Hitomi einen Blick in die Runde. Kairi verzog das Gesicht. „Ja“, konstatierte sie leise. Also hatte Souta seine potentielle Neue mit zu sich nach Hause genommen. Sprach das jetzt für oder gegen die Theorie ihrer Freundinnen? Hitomi wusste es nicht und langsam fiel es ihr auch schwer, zu diesem Thema noch einen klaren Gedanken zu fassen. Wortlos folgte sie ihren Freundinnen die lange Treppe hinauf, ehe sie die Führung übernahm, in der Dämmerung das Haus umrundete und zwischen Lager- und Brunnenhaus hindurch in den Garten ging. Von hier aus konnte man die Fenster auf der Rückseite des Hauses gut sehen, das wusste sie. Und zur Rückseite lag das Zimmer von Soutas längst ausgezogener, älterer Schwester und auch Soutas eigenes. Einen Moment kämpfte Hitomi mit sich, ehe sie den Blick hob und hinauf schaute. Noch im selben Augenblick zuckte sie zusammen, stolperte einen Schritt rückwärts und konnte einen erstickten Aufschrei nur knapp vermeiden. Soutas Fenster war hell erleuchtet und der Schattenriss der dort befindlichen Person war… eindeutig weiblich. Und – noch schlimmer – gerade zog eben jener Schattenriss ganz offensichtlich sein Oberteil aus. Dann drehte die Unbekannte sich zur Seite, verschwand aus dem Sichtbereich des Fensters. Hitomi kniff gequält die Augen zusammen. Hatten ihre Freundinnen also recht gehabt. Sie hatte das Gefühl, ihr Herz würde sich verkrampfen, als sie aufschluchzte. Tränen brannten in ihren Augen, während sie wie schutzsuchend die Schultern hochzog. Ihre Freundinnen, die ebenso erstarrt waren, erschauerten allesamt bei diesem Anblick. Suki kaute unbehaglich auf ihrer Unterlippe, während Kairi nicht lange fackelte. Rasch zog sie Hitomi zu sich und umarmte sie tröstend. Hitomi ließ es willenlos geschehen. Sie fühlte nur noch Leere. Sie ahnte, die Wut würde später noch kommen, aber im Moment hatte sie nicht mal dazu Kraft. Kairi blickte von dem schluchzenden Häufchen Elend in ihrem Arm auf und wechselte wie schon so oft an diesem Abend einen bedauernden Blick mit dem Rest der Clique. „Wir sollten sie nach Hause bringen…“, merkte Tama schließlich leise an und Kairi nickte langsam. Das war wohl jetzt das Beste. Bei Hitomi zuhause angekommen, öffnete ihnen die Mutter ihrer Freundin sofort. Erschrecken war in ihrem Gesicht zu lesen, als sie Hitomis zusammengesunkene Gestalt inmitten der Clique erkannte, aber sie trat rasch beiseite, damit Tama und Kairi ihre Freundin hinauf in deren Zimmer bringen konnten. Aoko blieb im Flur stehen, fast wartend auf die besorgte Nachfrage von Hitomis Mutter, die auch postwendend erfolgte: „Was ist geschehen?“ Aoko seufzte leise. „Souta… er hat eine Neue. Wir haben ihn heute in der Stadt gesehen und vorhin wollte Hitomi sich selbst überzeugen. Wir haben sie auf frischer Tat ertappt, in Soutas Zimmer“, erklärte sie etwas nuschelnd. Hitomis Mutter entgleisten die Gesichtszüge. „Wisst ihr, ob vorher irgendetwas vorgefallen war?“ Aoko schüttelte leicht den Kopf. „Eigentlich nicht. Die andere ist zwar ganz hübsch, aber… naja. Außerdem scheint sie einen leichten Tick zu haben. Als wir sie vorhin in der Stadt sahen, trug sie einen Kimono.“ Hitomis Mutter nahm das zur Kenntnis. Da kamen Kairi und Tama die Treppe wieder hinab. „Hübsch war sie wirklich. Aber wisst ihr, was mir aufgefallen ist, vorhin?“, Tama wartete auf keine Antwort, sondern fuhr gleich fort, „Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie Souta ein bisschen ähnlich sieht. Oder besser… seiner Schwester, wenn ich mich recht an die erinnere. Jedenfalls hat Soutas Neue lackschwarze Haare, bestimmt bis zur Hüfte. Dunkle Augen und eine gute Figur. Nicht zierlich, sondern eher… sehnig, sportlich.“ „Stimmt. Und dann dieser Kimono. Edel sah der aus, richtig wertvoll“, hakte Aoko ein, schüttelte dann aber den Kopf. „Was machen wir uns noch Gedanken darüber. … Hitomi schläft jetzt hoffentlich. Wir kommen morgen Abend nochmal, einverstanden?“, fragte sie dann in Richtung von Hitomis Mutter. Die konnte nur nicken. Ihre Tochter tat ihr jetzt schon leid. - „Huch, Kikyô, was tust du denn hier? – Hey, das steht dir. Ist früher auch eines von Kagomes liebsten Sachen gewesen.“ Soutas Frage, als er Kikyô in seinem Zimmer vorfand, war rhetorisch gemeint gewesen, er konnte es sich selbst zusammenreimen warum seine Nichte Kagomes alte Sachen hier anprobierte. Kagome hatte beim Abendessen – nachdem sie gemerkt hatte, dass ihre Fragen nach dem nachmittäglichen Zeitvertreib ihres Bruders und ihrer Ältesten auf keine brauchbare Antwort stießen – das Thema gewechselt und auf die Fragen ihrer Jüngsten hin, von früher berichtet. Die anderen zerstreuten sich für eine Weile, als Kagome schließlich vom Tisch aufstand, um Hotaru ins Bett zu bringen (oder es wenigstens zu versuchen, denn schon gestern hatte Hotaru nicht geschlafen, was aber eher an ihrem dämonischen Blutanteil, als an jedwedem Ungehorsam lag) – wie schon gestern, sollte Hotaru die Nacht in Kagomes altem Zimmer verbringen. Sollte aber nur die geringste Möglichkeit bestehen, dass Hotaru diese Nacht schlafen würde, sollte im Moment lieber keiner in das andere Zimmer platzen. Also war Kikyô hier. InuYasha würde nachher offiziell auf dem Dach sein, aber sicherlich früher oder später mitsamt seinen Töchtern und Kagome auch in deren altem Zimmer nächtigen und Kôhei stromerte vermutlich durch den Garten und suchte sich da ein ruhiges Plätzchen. Es war unwahrscheinlich, dass er schlafen würde. - Ápropos Kôhei. „Ich geh‘ mal schauen, wo der Herr Wolfsdämon abgeblieben ist. Kikyô, kommst du mit?“, fragte InuYasha schließlich, als Frau Higurashi in die Küche ging und den Teil des Nachtischs vorbereitete, der Hotaru aufgrund alkoholischer Anteile vorenthalten wurde, und sprang ebenfalls auf. Seine Tochter, die eben – wieder im Kimono – die Treppe hinab kam, nickte. Sie erahnte es anhand der Energien, ihr Vater konnte es sicher wittern, dass Kôhei bei ihrem Urgroßvater war. Und was die beiden zu bereden hatten, würde sie durchaus interessieren. Kikyô und ihr Vater fanden ihren dämonischen Begleiter an der Tür des Lagerhauses, in dem sich Opa Higurashi momentan aufzuhalten schien. Tatsächlich hörten sie ihn dort drinnen werkeln. „Hier befand sich also tatsächlich S’soungas gebannte Form? Über Jahrhunderte?“ Kôheis Stimme klang sichtlich ungläubig. InuYasha grinste in sich hinein. „Sieh‘ an, die Legende vom Höllenschwert ist also damals bis zu euch Wölfen vorgedrungen?“ Kôhei wandte ihm nicht einmal den Kopf zu, er hatte InuYashas Herannahen längst bemerkt. Kagomes Opa dagegen schreckte zusammen – und ließ prompt einige Pappschachteln fallen, die er in den Armen gehabt hatte. Eine verlor ihren Deckel und offenbarte ein vertrocknetes Etwas, das entfernt an die Hand eines reptilienverwandten Dämons erinnerte. Kikyô trat einen Schritt vor, um ihrem Urgroßvater dabei zu helfen, die Kartons wieder aufzuheben. Sie hatte in den vergangenen Tagen längst bemerkt, wie schwer solche Manöver dem alten Mann fielen. Anscheinend war sein Rücken nicht mehr ganz in Ordnung. Doch der Alte war schneller, als sie dachte. „Ahh, eine Kappa-Pfote!“, rief er begeistert und riss Kikyô den offenen Karton, den sie gerade aufgehoben hatte, aus den Händen, sodass deren Inhalt mit Schwung in Kôheis Richtung geschleudert wurde. Aber der Ookami-Krieger wäre kein solcher gewesen, wenn er das unfreiwillige Wurfgeschoss nicht mit Leichtigkeit aufgefangen hätte, ehe es ihn abtreffen konnte. Etwas skeptisch musterte er das Ding. „Das ist nicht echt“, konstatierte er dann. Kagomes Opa fuhr auf und wollte gerade entrüstet protestieren, da pflichtete InuYasha dem Wolfsdämon bei. „Stimmt. Wenn das da einem Artgenossen von Sesshômarus Ober-Trottel gehört hätte, wäre es deutlich kleiner. Das Ding ist ja fast halb so groß wie der ganze Jaken.“ Kôhei nickte. „Und Wüstenkappas, die diese Größe erreichen, hätten hellere Haut, fast weiß.“ Opa Higurashi ließ die Arme sinken und betrachtete sein Sammlerstück, als habe man ihm einem Jackpot vor der Nase weggezogen. Seufzend sank er in sich zusammen, da drückte ihm Kikyô die restlichen drei Kartons, die sie inzwischen eingesammelt hatte, in die Arme. Der Inhalt des obersten Kartons klapperte dabei, als würden kleine, harte aber hohle Teile aneinanderschlagen. Neugierig lüpfte Kikyô den Deckel ein wenig und Erstaunen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Was ist denn das?“ Mit spitzen Fingern zog sie etwas aus dem Karton, dass aus einer kleinen, rechteckigen Platte und einer daran befestigten, roséfarben schimmernden Kugel bestand. Unwillkürlich knurrte InuYasha auf, sodass seine Tochter ihn erschrocken ansah, ehe er sich wieder fing. Das war nicht das Echte. Das Echte war ein für alle Mal Vergangenheit. Das hier waren nur Duplikate ohne magische Kraft. Wie hatte Kagome das mal genannt? Suwenirs – oder so. Kagomes Opa schenkte dem Etwas nur einen kurzen Blick. „Ach, Humbug. Die laufen sowieso nicht mehr. Weiß der Geier wieso“, murrte er vor sich hin und auch wenn die drei Umstehenden sich darin einig waren, dass sie kein Wort verstanden hatten, so kapierten sie doch, dass die komischen Nachbildungen dem alten Mann nicht sonderlich viel bedeuteten. Jener hatte inzwischen die Kisten wieder auf das Regal gestellt und machte Anstalten, den Raum zu verlassen. „Ich gehe beten“, sagte er nur. Kôhei sah ihm mit hochgezogenen Augenbrauen nach. Bildete er sich das nur ein, oder hatte er immer noch keine Antwort auf seine Frage bekommen? Kikyô dagegen trat hinter ihrem Urgroßvater her. „Darf ich mitkommen, Hiijiji?“ Der alte Mann blieb stehen und sah sie skeptisch an. „Geht das denn, mit seinem Erbe?“ Er nickte Richtung InuYasha, der eben begann, Kôhei an des Großvaters statt die Geschichte von S’sounga zu erzählen. Kikyô kicherte. „Oh, genau genommen besitze ich selbst so viel Mikokraft, wenn meine dämonische Seite etwas dagegen hätte, müsste ich nur noch vor Schmerzen winselnd auf dem Boden liegen“, stellte sie klar. Ihr Urgroßvater nahm das so hin und so folgte sie ihm, hinter Brunnen- und Lagerhaus, wo, eingebettet in die Ausläufer des Gartens, der eigentliche Schrein stand. Er war klein und alt, das dunkle Holz war verwittert, aber das Häuschen wirkte stabil. Neugierig betrat sie es direkt hinter ihrem Großvater und ließ sich dann ihm gegenüber auf die Knie nieder. Kurz konzentrierte sie sich um behutsam die Anteile ihrer Aura auseinander zu sortieren. Zuhause war das nicht so schlimm, aber je nach dem, welchen Göttern dieser Schrein besonders geweiht war, wären sie vielleicht nicht so begeistert, anteilig dämonische Aura ihre Gebete begleiten zu sehen. So aber wirkte einzig ihre reine Aura, als sie gemeinsam mit ihrem Urgroßvater das Gebet begann. Als sie Minuten später aufsah, erkannte sie, dass ihr Vorfahre sie musterte. Erst da erkannte sie, dass ihre Aura hier im Schrein etwas ausgebrochen war und als heller Schimmer um sie herum zu sehen war. Rasch verbarg sie sie wieder und straffte die Schultern etwas. „Wie geht das eigentlich? Dämonisches Blut und Mikokraft….“ „Es geht, Hiijiji. Im Gegenteil, es hat seine Vorteile. Mit dieser Mikokraft kann ich meine dämonische Seite gut unter Kontrolle halten. Dass sie einmal ausbricht ist fast unmöglich. Außerdem… Mikokraft und Yôki sind ja keine feindlichen Energien, sie sind eher zwei Ausprägungen derselben Macht.“ Der Alte nickte. „Erklären kannst dus. Aber kannst du es auch anwenden?“, wollte er lauernd wissen. Kikyô wollte gerade die Stirn runzeln, da zog ihr Urgroßvater ein Sutra hervor, warf es ihr entgegen und weil Kikyô bewusst nicht auswich, landete es auf ihrer Brust. Der alte Mann schien versuchen zu wollen, das was an ihr dämonisch war, zu läutern. Was er auch tat, deutlich fühlte Kikyô die flimmernde Kraft, die sich rund um sie herum zu ziehen begann. Aber der Bann war schwach. Konnte ihr Urgroßvater es nicht besser, oder wollte er nicht? Oder war es das Alter? Kikyô wusste es nicht, aber sie ging auf die Herausforderung ein. Bewusst drückte sie ihre Mikokraft zurück, ließ ihre dämonische Seite etwas in den Vordergrund treten – und zerstörte das Sutra mit einem kurzen Pulsieren ihrer jetzt gemischten Aura. Der Alte riss die Augen auf, fing sich aber sofort wieder. Das nächste Sutra pappte er auf den Boden und legte die Hände darauf. Langsam aber sicher baute sich ein Bannkreis rund um den Schrein auf. Kikyô gab keinen Kommentar zu dessen Schwäche, sondern legte die Hände aufeinander, um ihre dämonische Aura dorthin zu rufen, einen gezielten, einfachen Klauenangriff nutzen zu können, der weder stark war, noch einen Namen hatte. Doch jemand kam ihr darin zuvor, ihrem Urgroßvater die Illusion von beachtenswerter Stärke zu nehmen: Kôhei. Sicher bemerkte er den Bannkreis, aber der störte ihn nicht im Geringsten, als der Wolfsdämon in den Schrein lugte. „Kikyô? Deine Großmutter ruft zum Nachtisch – dein Vater ist schon vorgegangen.“ Der letzte Halbsatz kam neckisch. Kikyô hätte beinahe gegrinst, bemühte sich aber um eine neutrale Miene, als sie erkannte, mit welcher Enttäuschung ihr Urgroßvater Kôhei anstarrte. „Hiijiji?“, fragte sie, um ihn abzulenken. Der Alte blickte sie an, aber sie wandte den Blick nun zu Kôhei. „Kann ich dich um etwas bitten? Borgst du mir einen Zahn?“ Kôhei zog eine Augenbraue hoch, kam der Bitte aber nach. Es war kaum Blut an dem Reißzahn, den er Kikyô gleich darauf auf der flachen Hand hinhielt und die Lücke in seinem Fang wäre spätestens in einer halben Stunde wieder geschlossen. Kikyô packte den Zahn und legte ihn vor sich auf den Boden. „Schau, Hiijiji, so habe ich das von Okaa-san gelernt“, kündigte sie an, ehe sie die Hand ausstreckte, die Handfläche dem Zahn zugewandt. Ihr ‚Trainingszahn‘ war inzwischen nicht mehr zu gebrauchen, ohne Bearbeitung hielt totes, dämonisches Material eben höchstens ein paar Wochen. Jetzt würde sie sich anstrengen müssen. Kôhei mochte kein DaiYôkai sein, aber sein Yôki war mächtiger als das der meisten einfachen Krieger am Schloss. Konzentriert drückte sie ihre dämonische Seite wieder gänzlich zurück, weckte ihre Mikokräfte und lenkte sie so in Richtung des Zahns, wie sie es gelernt hatte. Weder Kôheis interessierter, noch Opa Higurashis abwartender Blick geriet mehr an ihr Bewusstsein. In diesem Moment gab es nur sie, den Zahn und ihre Kraft, die sie für ihre Aufgabe formen musste. Hellviolette Strahlen begannen von ihrer Hand auszugehen, formten über dem Zahn eine kleine, zunehmend dichter werdende Kuppel, die, kaum dass sie vollendet war, leicht pulsierte. Einmal, zweimal, dann zitterte die imaginäre Membran nur noch. Kikyô öffnete die Augen nicht, während sie bis fünf zählte, sie verließ sich einzig auf ihr Gespür, bemüht ihre Konzentration aufrecht zu erhalten. Als sie den Bannkreis schließlich fallen ließ, kehrte kein Yôki in den Zahn zurück. Zurück blieb nur poröses Zahnmaterial, das innerhalb der nächsten Minute zu Staub zerfallen würde. Triumph breitete sich in Kikyô aus. Sie hatte es geschafft! Sie hatte es tatsächlich geschafft! Die einfachste Form eines zweiseitigen Bannkreises war ihr gelungen! Endlich. In ihrem innerlich Jubel konnte sie sich eine freche Bemerkung nicht verkneifen: „Gomen, Hiijiji, aber… so geht das.“ Dann wandte sie sich an Kôhei. „Jetzt können wir Essen gehen.“ Mit einem leichten Kopfschütteln, einem kurzen Blick auf seine Zahnspende, aber wortlos wandte Kôhei sich ab und Kikyô folgte ihm. Zurück blieb ein mehr als fassungsloser Opa Higurashi. Kapitel 23: Souta und Hitomi ---------------------------- „Oji-san? Was ist los?“ Hotarus arglose Frage ließ Souta kurz innehalten, aber er gab keine Antwort. „Weißt du was, Hotaru? Ich glaube, Kikyô wollte dir hinten beim Garten etwas zeigen.“ Damit schickte Kagome ihre Tochter nach draußen, ehe sie sich aufrichtete und die Hände in die Hüften stützte. „So, und jetzt Klartext, Souta. Was ist los? Gestern warst du noch bester Dinge, heute Mittag gehst du los, dich mit Hitomi zu treffen und als du zurückkommst, schaust du drein wie drei Tage Regenwetter. Ich mag erst seit zwei Tagen hier zu Besuch sein, aber ich kenne dich noch immer gut genug um zu wissen, dass das nicht normal ist. Und dein fahriges Herumgelaufe hier auch nicht. Also?“ Tatsächlich blieb Souta stehen und erwiderte den Blick seiner Schwester. „Sie hat mich versetzt“, sagte er nur. Kagome lachte leise. „Nimm dir ein Beispiel an Hojo früher. Wie oft habe ich den versetzt, ohne dass er es übel genommen hat“, feixte sie. Ihr Tonfall zeigte klar, dass sie die Sache noch nicht wirklich ernst nahm. Souta ging jedoch nicht auf den Scherz ein, sondern ließ sich nur auf das Sofa fallen und legte den Kopf in den Nacken. „Wenn es nur das wäre, Nee-chan. Ich hab‘ bei ihr angerufen, wollte wissen ob etwas dazwischen gekommen ist. Drangegangen ist nur ihre Mutter – und hat mir unmissverständlich klar gemacht, dass Hitomi mich nicht zu sehen wünscht.“ Jetzt wurde auch Kagomes Miene ernst. Sie hatte die Bitterkeit in Soutas Stimme gehört. „Und das ist nicht normal“, konstatierte sie trocken, mit Absicht so, dass Souta protestieren könnte, wenn dieses Prozedere einen jeden der Streits zwischen ihm und seiner Freundin begleiten würde. Er protestierte aber nicht, sondern seufzte nur abgrundtief, sodass Kagome sofort auf ihn zu kam und sich neben ihm auf das Sofa setzte. Einen Moment schwieg sie, ehe sie behutsam fragte: „Hast du einen Verdacht, warum das Ganze?“ Souta schüttelte nur langsam den Kopf. „Ich habe nicht die geringste Ahnung. Vorgestern war noch alles gut, gestern haben wir uns nicht gesehen und heute – wie gesagt. Wir haben nicht gestritten, nichts“, murmelte er sichtlich mehr zu sich selbst, als das seine Worte für Kagome bestimmt wären. Kagome legte ihm eine Hand auf die Schulter. Dann jedoch fiel ihr etwas ein und sie runzelte etwas die Stirn und wechselte das Thema. „Sag mal, Okaa-san hat doch gestern ein paar Kartons unter meinem alten Bett hervorgezaubert. Wenn ich mich nicht irre, waren da meine Klamotten drin – und Kikyô hat sich auffallend dafür interessiert.“ Souta schien den Themenwechsel nicht wirklich zu bemerken, denn er antwortete eher mechanisch: „Hai. Ich hatte ihr gesagt, dass deine Sachen auch ihr passen müssten, weil sie eine ganz ähnliche Statur hat, wie du damals.“ „Und… warum? Nur als Zeitvertreib, oder…“ Kagome sprach nun beinahe lauernd. Eigentlich wollte sie ihren Bruder nur ein wenig ablenken, unwissend, dass sie damit auch das eigentliche Problem ergründete. Souta hob den Kopf wieder und für einen Moment spielte fast etwas wie ein Lächeln um seine Mundwinkel, ehe er wieder kraftlos war. „Nein, nicht nur. Eigentlich wollten wir es dir noch nicht sagen, aber es scheint, als ob wir euren Gesuchten ausgemacht hätten. Tarnung ist in der Stadt am Einfachsten mit… unauffälligerer Kleidung als eurem mittelalterlichen Kram. Deswegen habe ich Kikyô gesagt, dass sie deine alten Sachen anprobieren soll – und ich war mit ihr in der Stadt und habe etwas für InuYasha und für Hotaru gekauft.“ Im ersten Moment wollte Kagome lachen, stattdessen zog sie scharf die Luft ein, als ihr etwas klar wurde. „Und Kikyô sieht aus, als wäre sie kaum jünger als du…“, hauchte sie erschrocken. Souta sah sie einen Moment verständnislos an, ehe ihm sämtliche Gesichtszüge entgleisten. Mit der flachen Hand hieb er sich leicht vor die Stirn. „Das darf doch nicht… du glaubst, Hitomi hat uns gesehen und da sie ja nichts von den Familienverhältnissen weiß…“ Er brach ab, als Kagome nickte. „Sie, oder jemand der es ihr zugetragen hat. Oh, gami, kein Wunder, dass sie dich nicht mehr sehen will. Wenn sie glaubt, du hättest dich anderweitig umgesehen…“ Auch Souta stöhnte auf, die Hände jetzt vor dem Gesicht zusammengeschlagen. Er schüttelte den Kopf. „Das darf doch einfach nicht wahr sein…“, wiederholte er. Wieder kehrte einen Moment Stille ein, dann stand Kagome ruckartig auf. „Doch das ist wahr und deswegen müssen wir das Beste draus machen“, sagte sie fest und blickte ihren Bruder ernst an. „Ich weiß, das klingt jetzt komisch, aber ich brauche eine wirkliche, ehrliche Antwort von dir: Vertraust du Hitomi?“ Etwas perplex sah Souta auf, aber er registrierte den Tonfall seiner Schwester und nickte ernsthaft. „Kann sie ein Geheimnis für sich behalten, egal wie brisant es ist?“ Wieder nickte er fest. „Gut. Und du willst mit ihr zusammen sein? Langfristig, meine ich.“ Jetzt schlug Souta etwas verlegen die Augen nieder, aber er nickte erneut. Kagome atmete tief durch. „Also gut. – InuYasha, komm runter da! Ich muss mit dir reden“, rief sie dann aus heiterem Himmel. Im Gegensatz zu ihrem Bruder konnte sie schließlich fühlen, dass ihr Gefährte auf dem Dach saß und von dort seine Töchter und die Umgebung im Auge behielt. Fast augenblicklich klirrte es ohrenbetäubend. Kagome stützte die Stirn auf eine Handkante. „Manches…“, knurrte sie resignierend vor sich hin, ehe sie ihren Gefährten, der eben die Treppe herab kam, wütend anfunkelte. „Kannst du nicht einfach durch die Tür kommen? Jetzt darf meine Familie auch noch ein neues Fenster bezahlen. Herzlichen Dank, mein Lieber“, fauchte sie, wohlwissend, dass das Klirren zuvor daher kam, dass InuYasha ohne Rücksicht auf die geschlossene Scheibe durch Kagomes Zimmerfenster eingestiegen war. InuYasha ließ schuldbewusst die Hundeohren hängen, worauf Kagome fast wieder lachen musste. Er konnte manchmal wirklich wie ein Kleinkind sein. Vielsagend zupfte sie ihm eine verbliebene Scherbe vom Suikan, ehe sie sich um einen ernsten Tonfall bemühte. „Ich habe vor, Hitomi die Wahrheit zu sagen. Über mich, über uns, die ganze Familie. Hast du etwas dagegen?“ Es war ihr deutlich anzusehen, dass das eher Information als Frage war, dass sie sowieso keinen Wiederspruch dulden würde. InuYasha zuckte auch nur mit den längst wieder aufgerichteten Ohren. „Tu was du für richtig hälst“, gab er nur zurück. „Gut. – Souta? Auf geht’s.“ Ihr Bruder fuhr zusammen. Er war noch zu mitgenommen um mit dem Elan seiner Schwester mitzuhalten. Dass die die Organisation ganz anderer Problemlösungsmaßnahmen gewöhnt war, trug nur dazu bei. „Souta!“ „Ja? Was?“ Jetzt lachte Kagome wirklich. Als sie sich wieder halbwegs eingekriegt hatte, wischte sie sich mit einer Handbewegung die Lachtränen aus den Augen. „Oh, Souta. Glaubst du, ich marschiere alleine zu deiner Freundin, um wieder geradezubiegen, dass sie deine Nichte anscheinend für deine Affäre hält? Nun komm schon!“ ~*~ Es war bereits der nächste Nachmittag, als Sayuri erneut erwachte – und diesmal fühlte sie sich schon deutlich besser. Die Magenschmerzen waren vergangen, ihr Atem brannte nicht mehr so. Ihre vom Fieber geröteten Wangen hatten wieder eine gesündere Farbe angenommen und ihre Augen waren wacher als je in den letzten zwei Tagen, als sie die Lider aufschlug. „Geht’s dir besser, Sayuri?“, erklang eine Stimme, die einen leicht hallenden Unterton besaß. Sayuri zuckte mit den Hundeohren, als sie den Kopf etwas hob und versuchte sich aufzusetzen. Sofort stützte eine Hand sie im Rücken, half ihr dabei. Leicht nickte das Hanyômädchen. „Ein Glück. Möchtest du etwas essen?“, fragte sie Stimme weiter und diesmal drehte Sayuri den Kopf und blickte die Weißhaarige, die gefragt hatte, an. „Nein. Aber… ich hab‘ Durst“, erwiderte sie mit noch etwas dünner Stimme. Shizuka lächelte. „In Ordnung. Ich lasse dir etwas bringen. Kann ich dich einen Moment allein lassen?“, wollte wie wissen. Sayuri nickte wieder. Sie hatte noch ein bisschen Halsschmerzen, aber ob das von der überstandenen Qual oder von ihrem Durst stammte, wusste sie nicht. Überhaupt wusste sie reichlich wenig. Was war überhaupt geschehen? Shizuka hatte sich derweil erhoben, war zur Tür geeilt und hindurch verschwunden. Sayuri konnte ihre Schritte auf dem Flur hören, dann einen Moment lang nichts. Minuten später näherten sich wieder Schritte, von zwei Personen diesmal. Sayuri richtete sich ein wenig auf. Sie erkannte diesen… Duft. Ja, sie roch, wer da kam! Rin, unverkennbar. Die liebe, nette junge Frau, die Mutter von Teshi und Ehefrau von dem Wolf. Wolfsdämon, korrigierte Sayuri sich innerlich, das hatte man ihr ja erklärt. Aber seit wann… Ihr war ja bewusst gewesen, dass sie besser hörte und im Dunkeln etwas besser sah, als früher, da waren die Ohren und die spitzen Zähnchen in ihrem Mund, die früher nicht dagewesen waren. Merkmale einer Hanyô, hatte Rin gesagt. Aber riechen? Seit wann konnte sie Leute am Geruch erkennen? Sayuri legte den Kopf schief und zuckte verständnislos mit den Ohren. So sah Rin sie, als sie durch die Tür schlüpfte, Arisu auf den Fersen, die einen Becher in der Hand hielt. Wieder zuckten Sayuris Ohren, als sie schon an der Tür ausmachte, dass der Becher Tee enthielt. Wieder war es der Geruch gewesen, den sie erkannt hatte. Aber wie? Diese Frage stellte sie auch gleich, noch bevor sie den Becher entgegen nahm und gierig an die Lippen setzte. Gleichzeitig zuckte sie vor der Hitze des Getränkes zurück und verschob das Trinken lieber auf ein paar Minuten später. Stattdessen blickte sie erwartungsvoll zu Rin auf, die sie wie immer strahlend anlächelte. „Wie ich sehe bist du wieder gut drauf, Sayuri. – Nun, wie soll ich sagen, du weißt doch, dass du jetzt besser hören kannst, nicht wahr? Und genauso ist es mit dem Riechen. Wir wissen noch nicht ganz genau, welches Tier in dir steckt, aber daher kommt diese Fähigkeit“, erklärte sie sanft. Sayuri blickte nachdenklich drein. „Was… kann ich denn noch?“, wollte sie dann begierig wissen. Das wurden ja immer mehr Neuigkeiten. „Das wissen wir nicht, Sayuri. Das soll Arata herausfinden, deswegen trainiert er mit dir.“ Arata! Den hatte sie ja beinahe vergessen! „Hat er… gewartet?“, fragte Sayuri etwas ängstlich. Hoffentlich war ihr Lehrer jetzt nicht böse auf sie. Zu ihrer Erleichterung schüttelte Rin den Kopf. „Nein, keine Angst, Sayuri. Er wusste, dass du krank warst.“ „Warum war ich denn krank?“, fuhr Sayuri direkt fort, erfreut, dass sie im Moment brauchbare Antworten bekam. „Ich habe dir doch erzählt, dass du eine Hanyô bist, nicht wahr? Und Hanyô werden einmal im Monat zu einem normalen Menschen, für eine Nacht oder für einen Tag nur. Für dich war es vor ein paar Tagen zum ersten Mal so, deswegen warst du krank.“ Sayuri wagte jetzt an ihrem Tee zu nippen und diesmal verbrannte sie sich nicht wieder die Zunge, also schluckte sie schneller, froh, endlich gegen ihren Durst ankämpfen zu können. Außerdem linderte das warme Getränk die Halsschmerzen. Als sie den Becher schließlich absetzte, fiel ihr etwas anderes auf. „Wo ist Kazuya?“ Rin hob leicht die Schultern, nachdem sie sich im Zimmer umgesehen hatte. „Ich weiß es nicht, Sayuri. Aber er kommt sicher bald wieder. – Weißt du was, am Besten du schläfst noch etwas. Morgen darfst du dann zum ersten Mal mit den anderen in den Unterricht, einverstanden?“ Sayuri nickte eifrig, während sie gleichzeitig ein Gähnen unterdrückte und überließ Arisu den leeren Becher. Dann ließ sie sich zurück auf ihr Lager sinken. Der Schlaf griff schon wieder mit weit ausgebreiteten, einladenden Armen nach ihr. Sie war wohl doch noch etwas mitgenommen. Augenblicke später war sie eingeschlafen. ~*~ „Hier wohnt sie? Nette Gegend“, kommentierte Kagome, als sie an Soutas Seite in die Straße einbogen, an der auch das Haus von Hitomis Familie lag. Um sich den Wohnraum hier leisten zu können, musste man eine Menge hinblättern. Kagome war sich durchaus bewusst, dass die Situation ihrer Familie, die Tatsache, dass sie ein ganzes Haus für sich; Souta und sie je ein eigenes Zimmer gehabt hatten, nur der Tatsache zu verdanken war, dass sich das Haus seit Generationen in Familienbesitz befand. Sonst hätten Souta und sie, gerade nach dem Tod ihres Vaters, sicher nicht an so einem Ort aufwachsen können, sondern hätten sich mit ihrer Mutter auf ein paar wenigen Quadratmetern verwirklichen müssen. Dieses Viertel hier war dagegen wirklich denen vorbehalten, die man als reich bezeichnete. Kagome merkte, dass sie in ihrer Nachdenklichkeit stehen geblieben war und beeilte sich, zu ihrem Bruder aufzuschließen, der bereits ein paar Schritte voran war und sich anschickte, an einem der Häuser zu klingeln. Das leise Schrillen war auch auf dieser Seite der Tür zu vernehmen. Rasch hörte man Schritte sich der Tür nähern, dann wurde diese einen Spalt geöffnet. Kagome erkannte das Gesicht einer Frau etwa im Alter ihrer eigenen Mutter hinauslugen. Deren Miene versteinerte, als sie Souta erkannte – und als sie die Begleitung sah erst Recht. Kagome setzte ein beschwichtigendes Lächeln auf. „Entschuldigen Sie bitte, aber ich fürchte, es gab da zuletzt ein Missverständnis. Mein Name ist Higurashi Kagome, ich habe meinen Bruder begleitet um mit Hitomi-san zu reden. Wäre das möglich?“ Kagome sprach schnell, damit ihnen nicht die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde, aber seit sie ihren Namen genannt hatte, schien Hitomis Mutter sowieso nachdenklich geworden zu sein. Souta dagegen hielt sich zurück. „Deine Schwester also, ja, Souta? Das ist das ganze Geheimnis?“, wollte sie schließlich absichernd wissen. Der Einfachheit halber nickte Souta vorerst. „Hai, Anju-san.“ Angesprochene sah ihn prüfend an, schien ihm aber zu glauben. Ein großer Pluspunkt, wie Kagome für sich entschied. Da drehte Hitomis Mutter sich halb um, um ins Haus zu rufen: „Hitomi! Du hast Besuch!“ Auf ihrem Bett drehte Hitomi sich auf die andere Seite, als sie den Ruf ihrer Mutter hörte. Sie wollte niemanden sehen. Soutas Verrat schmerzte zu sehr. Ihre kleine Hündin schien da anderer Meinung. Hatte sie bisher ruhig neben Hitomi auf dem Bett gelegen, den Arm ihrer Besitzerin um sich, hatte sie trotz ihrer Jugend gelassen hingenommen, dass bisweilen Tränen ihr Fell nässten, so befreite sie sich jetzt zappelnd aus dem Griff Hitomis und stürzte kläffend die Treppe hinab. Unwillkürlich ging Souta in die Knie, als sich ihm ein orangebrauner Fellball entgegenwarf und mit heller Welpenstimme kläffend nach Streicheleinheiten verlangte. Mit einem leisen Lächeln tat er der kleinen Hündin den Gefallen und deren über dem Rücken bereits etwas eingerollte Rute begann erfreut zu wedeln. Hitomis Mutter seufzte leicht, ehe sie einen Schritt zurücktrat und die Tür aufzog. „Ich hoffe es ist richtig, dass ich dir glaube, Souta. Wenn du nach all den Jahren anfangen solltest, mit ihr zu spielen, dann wird das Konsequenzen haben.“ Souta nickte eilig, während Kagome sich unauffällig bemühte, den Blick von Hitomis Mutter aufzufangen. Als es ihr gelang, hätte sie beinahe gelächelt. Oh ja, mit der würde sie sich in so einem Falle auch nicht anlegen wollen. Hitomis Mutter war zwar recht klein – sie ging Souta nicht einmal bis zur Schulter – aber unterkriegen lassen würde die sich von nichts und niemandem. So aber folgte sie ihrem Bruder die Treppe hinauf. Oben angekommen ließ Souta die kleine Hündin, in der Kagome inzwischen einen Shiba erkannt hatte, auf den Boden und sofort wieselte die Kleine in das nächste Zimmer und blaffte jemanden mit ihrer hellen Stimme an. Kagome sah ihren Bruder aus dem Augenwinkel schmunzeln. „So ist Nyoko schon gewesen, als sie erst ein paar Tage bei Hitomi war. Stets darauf bedacht, dass jeder ihre Anwesenheit mitbekommt.“ Kagome hielt kurz inne, als sie den Namen der Hündin hörte. Nyoko. Kleinod. Das war auch der Spitzname gewesen, den Shippô einst für Kyoko erfunden hatte. Und jetzt zog dieser verrückte junge Fuchs mit einer Bande Wegelagerer durch die Gegend und wollte selbst ihr den Grund nicht verraten. Nur zu gut erinnerte Kagome sich an das kurze Treffen vor ein paar Wochen. Aber sie schob es beiseite. Wichtiger war jetzt, Hitomi von der Wahrheit zu überzeugen. Prüfend sah sie ihren Bruder an, der nickte nach kurzem Zögern und gemeinsam folgten sie der Aufforderung der kleinen Hündin und betraten das Zimmer. Hitomi lag ausgestreckt auf ihrem Bett, das Gesicht der Wand zugedreht und ignorierte sogar ihre aufgeregte, kleine Hündin. Kagome blieb zurück, als Souta sich kurzerhand auf die Bettkante setzte und Hitomi vorsichtig eine Hand auf die Schulter legte. „Hey….“ Die junge Frau fuhr auf, ihre dunklen Locken waren ihr halb ins Gesicht gefallen, dennoch sah Kagome, wie sich Hitomis Augen erst überrascht weiteten, dann wütend verengten und sie sich mit einer raschen Bewegung losmachte. „Hau ab, Souta! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben!“, fauchte sie bitterböse und machte Anstalten, sich wieder wegzudrehen, aber Souta hielt sie behutsam zurück. „Ich gehe nicht, bevor wir miteinander geredet haben, Hitomi-chan“, beharrte er. Hitomi stieß sauer die Luft aus. „Ich wüsste nicht, was wir beiden noch zu bereden hätten. Im Übrigen bin ich für dich nicht mehr Hitomi-chan. Und jetzt verschwinde!“ „Nein.“ Da wurde es Hitomi endgültig zu viel. „Gut, wenn du mich jetzt schon aus meinem eigenen Zimmer vertreiben willst – was denkt meine Mutter sich eigentlich dabei, dich reinzulassen? Aber gut, dann gehe ich eben“, sagte sie zynisch und stand ruckartig vom Bett auf. Leider schaute sie nicht, wohin sie ihre Füße setzte und trat prompt auf einen Kuli, der am Boden lag. Sie knickte um, verlor das Gleichgewicht und einzig Soutas reflexartiges Eingreifen verhinderte, dass ihr Hinterkopf Bekanntschaft mit dem Bettpfosten machte. Hitomi war so erschrocken, dass sie erst nach ein paar Sekunden protestierte, weil Souta sich kurzerhand aufgefangen und nachdrücklich wieder auf ihre Matratze geschoben hatte. Dann aber stieß sie ihn erneut von sich und resignierend ließ Souta sich von der Bettkante schieben. Kagome hielt es an dieser Stelle für besser, sich einzumischen: „Souta, ich glaube, du solltest unten warten. Ich mach‘ das schon.“ Es wäre eindeutig besser gewesen, wenn Hitomi ihren Freund hätte reden lassen, aber das würde ein hoffnungsloses Unterfangen werden. Da versuchte sie es lieber alleine. Hitomi fuhr herum, als sie die ihr fremde Stimme hörte, starrte die schwarzhaarige Frau Mitte, Ende zwanzig, die im Türrahmen lehnte, misstrauisch an. „Wer seid Ihr?“, wollte sie wissen. Kagome lächelte sie freundlich, aber etwas abwartend an, als sie sich vom Türrahmen abstieß und einen Schritt näher trat. „Darf ich mich setzen?“, fragte sie, anstatt einer Antwort. Etwas überrumpelt nickte Hitomi, schien die Anwesenheit Soutas, der sich tatsächlich zurückzog, bereits vergessen zu haben. Etwas an dieser jungen Frau strahlte eine Sicherheit und Lebenserfahrung aus, die ebenso einnehmend wie beängstigend war. Vorsichtig, um sich nicht mitten auf Nyoko zu setzen, ließ Kagome sich auf der Bettkante nieder, musterte Hitomi kurz. Aus dem kleinen Mädchen, das sie von damals in Erinnerung gehabt hatte, war eine hübsche, junge Dame geworden, deren wilder Lockenkopf ihr aber immer noch eine gewisse Niedlichkeit bewahrt hatte, letzteres war ihr schon am ersten Tag aufgefallen, als Hotaru Hitomi auf dem Schreingelände umgerannt hatte. Aber sie wusste ganz genau, dass Hitomi sie im Gegenzug nicht erkannte und war daher wenig überrascht, als Hitomi perplex die Augen aufriss, als Kagome jetzt etwas verspätet auf deren Frage antwortete: „Mein Name ist Kagome. Soutas Schwester Kagome.“ Kapitel 24: Meine Vergangenheit ------------------------------- „Kagome?“, echote Hitomi atemlos. Sie schien so ziemlich mit allem gerechnet zu haben – auch damit, Soutas ‚Neue‘ direkt vorgestellt zu bekommen – nur nicht damit, dessen Schwester gegenüber zu sitzen. Aus diesem Grund lächelte Kagome auch nur etwas und wartete, bis Hitomi sich wieder eingekriegt hatte, ehe sie zu sprechen begann: „Ich bin seit Jahren zum ersten Mal auf Besuch hier und eine meiner… Begleiterinnen ist anscheinend für dieses Missverständnis verantwortlich. Nur habe ich ein Problem. Wenn ich dir erkläre, was los war, wenn ich dir meine ganze Geschichte erzähle, dann kann das Schwierigkeiten geben. Deswegen muss ich dir im Vorhinein ein Versprechen abnehmen, Hitomi. Was ich dir jetzt erzähle, das muss vollständig unter uns bleiben. Genau wie Souta in all den Jahren zum Glück nie ein Wort darüber verloren hat, muss ich auch dich bitten, zu schweigen. Ansonsten ist es mir leider unmöglich, eure… Differenzen auszuräumen.“ „Differenzen… pah!“, fauchte Hitomi, verstummte aber perplex, als sie Kagome leise lachen hörte. „Wenn du wüsstest, wie sehr du mich gerade an mich selbst erinnerst, Hitomi. Mein Ehemann und ich waren zu Beginn auch kein sehr harmonisches Pärchen“, erklärte die ihr Amüsement sofort, ehe sie abwartend dreinblickte. Es dauerte einen Moment, bis Hitomi verstand, dass Reaktion von ihr erwartet wurde. „Also gibt es… für all das eine Erklärung? Souta-.“ „Hat dich nicht hintergangen, genau. Und ja, es gibt eine Erklärung, auch wenn dir die vielleicht nicht schmecken wird, denn wer zum ersten Mal damit konfrontiert wird, wird das vielleicht nicht glauben, was ich dir erzählen möchte. Im Nachhinein kann ich dir versuchen, manche Dinge zu beweisen, aber vorher geht das nicht. Vorher musst du mir zuhören. Deswegen meine Bitte.“ Wieder war einen Moment Stille zwischen ihnen, ehe Hitomi nickte. „Also gut. Ich werde schweigen wie ein Grab. Erzähl mir, was geschehen ist.“ Zustimmend nickte Kagome und setzte sich etwas bequemer hin, ehe sie begann, ihre Geschichte vor Hitomi auszubreiten: „Meine Geschichte hat unheimlich viel mit Magie zu tun. Und mit Wesen, die im heutigen Japan eigentlich nicht mehr existieren sollten, es aber natürlich dennoch tun. Denn, auch wenn die wenigsten von uns noch etwas über sie wissen, so sind sie uns Menschen doch um ein Vielfaches überlegen. Ich rede von Yôkai, Tiergeistern, Dämonen. Meine Geschichte sollte mich mit ihnen mehr als nur bekannt machen. Und sowohl Souta, als auch unser damaliges Haustier Buyo hatten ihren Anteil daran. Alles begann an meinem fünfzehnten Geburtstag….“ Und so begann Kagome, Stück für Stück ihre Geschichte zu erzählen. Sie berichtete von InuYasha, dem Shikon no Tama, von Miroku, von Naraku, von Sango, Kohaku und den Dämonenjägern. Sesshômaru wurde erwähnt, der Endkampf, schließlich die drei Jahre, die Kagome erzwungenermaßen wieder hier in der Neuzeit verbrachte. Ihre Rückkehr in InuYashas Arme, die Abenteuer rund um die Artefakte des magischen Gleichgewichtes, rund um Natsu und InuKin, dann Kikyô. Als Kagome von der Sekai no Tía und deren Nebenwirkungen berichtete, stand Hitomi der Mund offen vor Staunen. Schließlich fanden Akio und Itoe und natürlich auch Hotaru Erwähnung. „Und weil ein wichtiger Auftrag in Familienangelegenheiten uns sowieso außerhalb der Bannkreise führte, haben wir hier vorbeigesehen. Angesichts von Soutas und deinem Zwist, hätten wir das wohl besser nicht getan.“ „Ach Quatsch. Souta hat sich bestimmt unbändig gefreut, dich einmal wiederzusehen!“, fuhr Hitomi aus dem Affekt heraus auf. Kagome schlug sich die Hand vor den Mund, um zu verbergen, dass sie grinsen musste. „Weißt du eigentlich, dass das das erste Mal heute war, das du ohne Groll von Souta geredet hast?“, wollte sie mühsam beherrscht wissen. Hitomi zuckte zusammen, dann lächelte sie. „Ich habe gehofft, dass es eine sinnvolle Erklärung gibt. Und wenn ich ehrlich bin… so unglaublich deine Geschichte ist, deine Art, wie du sie erzählt hast, dein Auftreten, das macht es fast unmöglich, dir nicht zu glauben“, erläuterte sie, ehe sie einen Finger nachdenklich ans Kinn legte. „Außerdem, ich erinnere mich an eine von Soutas Zeichnungen, eine ziemlich alte. Du warst darauf zu sehen und ein Junge mit langen Haaren und... Hundeohren. Ich habe das immer für eine von seinen Fantastereien gehalten, aber irgendwo im Hinterkopf habe ich gewusst, dass an diesem Bild etwas anders ist.“ Kagome schmunzelte, ehe sie etwas aufhob, das sie an den Bettpfosten gelehnt hatte. Es war eine Zeichenmappe, aus der sie nun vorsichtig ein Blatt Papier holte, das deutlich schon bessere Tage gesehen hatte. Aber die Zeichnung war noch immer sehr gut zu erkennen. „Meinst du das hier?“, wollte sie wissen, obwohl sie die Antwort bereits kannte. Souta hatte ihr, bevor sich aufbrachen, die Mappe in die Hand gedrückt und ihr erklärt, was sich darin befand. Hitomi warf nur einen kurzen Blick auf das Bild, ehe sie nachdrücklich nickte. Doch dann wurde ihr Blick wieder ernster. „Wer war das denn nun, den meine Freundinnen mit Souta in der Stadt erwischt haben?“ Kagome blickte die Freundin ihres Bruders offen an: „Kikyô.“ „Kikyô? Aber ein kleines Kind…“ „Vergiss nicht, was ich dir erklärt habe. Seit Kikyôs Geburt sind fast fünfhundert Jahre vergangen. Sie sieht aus wie… etwa 19 würde ich sagen“, unterbrach Kagome sie, als es an der Tür klopfte und Souta beinahe vorsichtig in den Raum lugte. „Keine Angst, Souta, du kannst reinkommen, ohne dass du Gefahr läufst, gefressen zu werden“, neckte Kagome. Hitomi sah schuldbewusst zur Seite, aber Souta schien einfach nur erleichtert. „Ich habe Okaa-san angerufen, damit sie mit den anderen kommt. Allerdings glaube ich, es ist besser, wenn du versuchst Inu-no-niichan davon zu überzeugen, dass er ein Hemd anziehen soll.“ Kagome grinste in sich hinein, ehe sie die Hand nach dem Handy ausstreckte, das Souta noch in der Hand hielt. Wie sie vermutet hatte, war ihre Mutter noch am Apparat. „Hai, Okaa-san. … Hai… nein, lass ihn nur. Soll er im Suikan durch Tokio laufen, ist er früher oft genug, im Moment stört das nicht. Es reicht schon, wenn ich das mit ihm diskutieren darf, wenn wir zu unserem Auftrag aufbrechen. … Hai, Okaa-san … Hai … Gut, bis gleich.“ Sie gab Souta sein Telefon zurück und wandte sich wieder Hitomi zu. „Soweit zur Behauptung. Jetzt geht es ans beweisen“, witzelte sie, ehe sie aufstand. Nyoko, die zwischenzeitlich in den Genuss von Streicheleinheiten seitens Kagome gekommen war, japste empört. Aber sie war gleich wieder versöhnt, als Souta Kagomes Sitzplatz einnahm und die kleine Hündin zu kraulen begann. Soutas Augenmerk lag aber mehr auf Hitomi. „Verstehst du jetzt? Was gestern geschehen ist und auch, warum ich immer ausgewichen bin, wenn es um meine Schwester ging? Selbst das, was ich wusste, hätte ich nie erzählen dürfen, wenn ich nicht einiges durcheinanderbringen wollte.“ Hitomi hob den Kopf wieder, behielt die Lider aber niedergeschlagen. „Hai, Souta, ich verstehe. Aber du musst mich auch verstehen. Mit soetwas rechnet kein normaler Mensch.“ „Natürlich verstehe ich das. Allerdings wirst du dich an so etwas gewöhnen müssen, wenn du einmal zu dieser verrückten Familie gehören willst.“ Er grinste, als Hitomi errötete. „Naja… wenn du mich mißtrauisches Weib noch haben willst…“, murmelte sie leise vor sich hin. Souta gab sein Lächeln nicht auf, als er sich vorbeugte und Hitomi einen leichten Kuss auf die Stirn gab. „Natürlich will ich dich noch!“, flüsterte er leise. ~*~ „Du brichst auf?“ Natsus Worte waren eigentlich keine Frage, sie wusste längst Bescheid. Sesshômaru, der gerade den Raum betreten hatte, blieb neben ihr stehen. „Hai“, antwortete er knapp. „InuKin wird mich begleiten. Du hältst mit Masa die Stellung.“ Natsu wandte den Kopf, ungeachtet dessen, dass Moe, die die ruckartige Bewegung ihrer Herrin nicht vorhergesehen hatte, ihr deswegen in den Haaren ziepte: „Gibt es einen Grund dafür?“ Normalerwiese nahm ihr Gefährte seinen Erben nur sehr selten mit zum Treffen des Fürstenrates. Vor allem nicht, wenn erst in der vorherigen Nacht dessen Handicap zu Tage getreten war. „Ich nehme auch Kaori mit“, informierte Sesshômaru seine Gefährtin emotionslos. Natsu schmunzelte etwas. „Ach deswegen hast du sie aufpäppeln lassen“, bemerkte sie. „Auch“, erwiderte Sesshômaru nur. Natsu lag da ganz richtig, denn niemals hätte er dem Fürstenrat eine Gefangene vorsetzen können, die dem Hungertod nahe stand. Wäre sie nur Feindin seines Clans gewesen, wäre es dem Fürstenrat herzlich egal, was er mit ihr anstellte, aber bei Feinden des Rates war Hungerfolter strengstens untersagt. Aber er hätte Kaori auch so die Nahrung nicht länger verweigern können, wenn er noch irgendetwas mit oder von ihr erreichen wollte. Sie war bei seinem Besuch im Kerker nur noch von den Ketten aufrecht gehalten worden. Für Natsu erklärte sich daraus aber auch, warum ihr Gefährte den ältesten Sohn mitnahm: zu zweit konnten sie genug auf eine Gefangene acht geben, selbst wenn verbliebene Mitglieder von deren Gruppe versuchen würden, Kaori zu befreien. Wäre Kin hier geblieben, hätte entweder sie mitgemusst – und der Fürstenrat duldete bei den Ratssitzungen nur ungern die Gefährtinnen der Fürsten, Ausnahme war auch hier mal wieder Tôran – oder Sesshômaru hätte einige seiner Krieger mitnehmen müssen – und das tat der InuYôkai nur gezwungenermaßen, das wusste Natsu genau. Ihr Gefährte liebte den Anflug von Freiheit, den die kurze, einsame Reise zum Versammlungsort des Fürstenrates bedeutete, noch immer. „Viel Spaß“, kommentierte sie daher auch nur lapidar, ehe sie sich wieder gerade hinsetzte, damit Moe fortfahren konnte, ihre Haare zu kämmen. Einen Atemzug später war sie schon wieder mit ihrer Zofe allein. Als Moe ihre Arbeit beendete und einen Schritt zurücktrat, stand Natsu auf. „Danke, Moe. Sei doch so lieb und bitte Masa zu mir. Es gibt da etwas, was ich mit ihr besprechen möchte.“ „Hai, Natsu-san“, bejahte die Spatzendämonin und war im nächsten Moment auf und davon. ~*~ Kagome hatte Souta und Hitomi taktvoll allein gelassen und war die Treppe hinab gestiegen, um ihre Familie unten in Empfang nehmen zu können, wenn sie kamen. Allerdings würde das noch einen Moment dauern. Stattdessen traf Kagome im Erdgeschoß auf Hitomis Mutter, die an einem kleinen Tisch am Fenster zur Straße hin saß und etwas zu falten schien. Als Kagome näher trat, erkannte sie die Figur, die unter den Fingern der braunhaarigen Frau entstand. „Das könnte ein passendes Geschenk für Hitomi und Souta werden. Die beiden sind gerade dabei, sich wieder zu versöhnen“, bemerkte Kagome schlicht. Hitomis Mutter sah von ihrer Arbeit auf, schien einen Moment über die Worte des Gastes nachzudenken, ehe sie deren Bedeutung erriet. Dann aber lächelte sie. „Sie kennen die Bedeutung der Figuren?“ Kagome erwiderte die Geste nur, ehe sie erwiderte: „Der Lotus, im Origami das Symbol für den Neuanfang.“ Sie zog sich den nebenstehenden Stuhl heran und setzte sich zu der älteren Frau. „Eine Bekannte von mir kreiert auch gerne Origami. Von ihrem Vater hat sie seinerzeit die traditionellen Figuren gelernt und seit dem experimentiert sie gerne herum“, erklärte sie. Dass Shizukas Vater Tián dieses Wissen aus China mitgebracht hatte, dem Land, in dem die Kunst des Origami entstanden war, verschwieg sie geflissentlich. Es würde nur Fragen aufwerfen, denn heutzutage hatte sich das Origami längst über die ganze Welt verbreitet. „Sagen Sie, wenn sie Soutas Schwester sind, warum stellen Sie sich uns erst jetzt vor?“, wollte Hitomis Mutter schließlich wissen, nachdem sie die letzte Lasche herumgezogen hatte und die fertige Papierblüte ablegte. Es tat Kagome beinahe leid, die freundliche Frau mit der gleichen Lügengeschichte abspeisen zu müssen, die sie ihren Schulfreundinnen gegenüber benutzt hatte, aber anders ging es nicht. Sie konnte mit der Wahrheit nicht hausieren gehen. Dass sie Hitomi die ganze Geschichte erzählt hatte, war schon eine große Ausnahme gewesen. „Ach, übrigens, wenn es gleich klingelt, dann dürfte das meine Familie sein, ich habe sie gebeten, zu kommen, damit Hitomi uns alle kennenlernen kann, ehe ich wieder abreisen muss.“ Hitomis Mutter schien darin kein Problem zu sehen, denn sie nickte nur. „Was halten Sie davon, wenn Sie gleich zum Essen bleiben?“ Kagome schmunzelte innerlich. Souta hatte auf dem Weg nebenbei erwähnt, dass ihrer beider Mutter und Hitomis Mutter sich blendend verstanden und jetzt ahnte Kagome auch, warum. Beide waren äußerst fürsorglich und sahen sich im Verhalten der jeweils anderen sicher nur bestätigt. „Solange etwas mit Fleisch dabei ist… ich fürchte, mein Ehemann bringt mich persönlich um, wenn ich ihm auch nur einen Tag etwas Vegetarisches vorsetze.“ Das stimmte zwar nicht ganz, aber es war durchaus bezeichnend, dass InuYasha meist einen großen Bogen um eventuelle Essen mit dem menschlichen Teil der Familie machte, wenn Rin einmal die Woche ein vegetarisches Menü bevorzugte. Nicht umsonst hatte InuYasha nun einmal Hundeblut und Hunde waren Fleischfresser. Gäbe es hier heute vegetarisches Essen, InuYasha brächte es fertig und würde mit Nyoko um deren Futter konkurrieren – eine Peinlichkeit, die Kagome sich gerne ersparen würde. Zu ihrer Erleichterung erklärte Hitomis Mutter, dass Steak geplant waren. Eindeutig etwas, womit InuYasha würde leben können. So blieb nur noch eines zu klären: „Übrigens würde ich darum bitten, dass Sie mich beim Vornamen nennen. Ich bin das Siezen nicht gewohnt.“ Auch das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber für Kagome gehörte das Siezen zum höfischen Leben und nicht in die Familie. Zum Glück schien Hitomis Mutter auch da nichts gegen zu haben. „Dann nenn‘ du mich aber auch beim Namen. Ich heiße Anju.“ Mit einem Lächeln nickte Kagome, als es auch schon an der Tür klingelte. Anju erhob sich und öffnete – nur um reflexartig einen Schritt rückwärtszutreten, weil sie beinahe umgerannt worden wäre. „Okaa-san! Baa-chan hat versprochen, dass wir auf dem Rückweg Bus fahren!“ Hotaru begrüßte ihre Mutter gewohnt stürmisch. Anders als sonst erwiderte Kagome die Umarmung ihrer Tochter allerdings nicht. „Hotaru? Gehört es sich, wie ein Irrwisch in ein fremdes Haus zu stürzen und die Hausherrin fast von den Beinen zu holen?“, wollte sie streng wissen. Hotaru ließ die Arme sinken und deutete einen schuldbewussten Blick gen Boden an, der aber nicht länger als einen Augenaufschlag dauerte. Kagome verdrehte die Augen, packte ihre Tochter an den Schultern, um sich in Anjus Richtung zu drehen: „Geh‘ dich wenigstens entschuldigen.“ Sofort machte Hotaru sich auf den Weg. Vom Treppenabsatz aus erklang ein leises Lachen. „Habe ich es jetzt besser getroffen, oder schlechter, Kagome? Mich hat sie komplett umgerannt, sich aber freiwillig entschuldigt.“ Gemeinsam mit Souta kam Hitomi die Treppe hinunter und gesellte sich zu den anderen ins Wohnzimmer. Hotaru wirbelte herum, musterte ihren Onkel und dessen Begleitung, ehe sie fröhlich rief: „Das ist Oji no Tsuma?“ Während Hitomi rot anlief, musste Souta sich deutlich sichtbar ein Lachen verkneifen. Kagome trat zu ihrer Jüngsten um schlimmeres zu verhindern: „Noch nicht, Hotaru. Sie ist… die Verlobte deines Onkels.“ „So wie Teshis Tante und Kôgas Erbe?“, fragte Hotaru dazwischen. „In etwa, Hotaru. Nur dass Hitomi sich deinen Onkel selbst ausgesucht hat.“ „So wie Obaa-san und Sesshômaru-sama?“ Kagome biss sich auf die Unterlippe. Auch das war weit komplizierter gewesen, aber sie hatte jetzt keine Muße, dies vor allen auszubreiten. „So ungefähr, Musume. Und jetzt verhalte dich mal einen Moment ruhig, einverstanden?“ Immerhin hatte Hotaru daran gedacht, dass Sesshômaru in der Öffentlichkeit nicht als Großvater betitelt werden mochte, auch seinen Kindern war das informelle ‚Otou-san‘ unter Fremden untersagt, wenn, dann hatten sie ihn mit 'Chichi-ue' anzureden. Inzwischen waren auch die anderen Mitglieder der Gruppe hereingekommen, Kagomes und Hitomis Mutter begrüßten sich, während der Rest der Gäste sich umschaute, jeder auf seine Art. InuYasha witterte, Kôhei ließ den Blick schweifen – und Kikyô hatte Souta ausgemacht und nickte ihm kurz zu, ehe sie auf ihn zutrat. Sie und Hitomi maßen sich dabei gut sichtbar mit den Augen, ehe sich bei beiden fast gleichzeitig ein freundlich grüßendes Lächeln auf die Lippen schlich. Souta und Kagome wechselten einen erleichterten Blick, den auch Anju mitbekam. Offenbar hatte sich die Lage entspannt. „Ich kümmere mich um das Essen. – Nein, bleib‘ nur, Hitomi, unterhaltet ihr euch mal schön. Ich bin sicher, Reina, du wirst mir gerne helfen, oder?“ Tatsächlich schien Kagomes Mutter rein gar nichts dagegen zu haben, sie folgte der Hausherrin in die Küche und ließ den Rest im Wohnzimmer zurück. Nachdem Hotarus Wissensdurst wenigstens für die nächsten Minuten gestillt war, übernahm es Kagome, alle vorzustellen und während Kikyô darauf achtete, dass Hitomis Mutter gerade nicht hinschaute, zog InuYasha auch kurz die Cappy vom Kopf – was natürlich wieder zur Folge hatte, dass seine Hundeohren Opfer streichelnder Finger wurden. Er nahm es allerdings, wenn auch mit griesgrämiger Miene, reglos hin, ehe er die Mütze wieder aufsetzte und schnupperte. Die ersten Essensgerüche drangen aus der Küche. „Wie hieß das, Kagome? Steak?“ „Hai, InuYasha“, bestätigte sie nur, ehe sich alle auf die Bitte Hitomis hin, auf dem und rund um das Sofa versammelten. Recht bald kam ein lockeres Gespräch in Gang. ~*~ Masa betrat nach kurzem Anklopfen das Gemach der Fürstin, fand diese auf den ersten Blick auf dem Balkon. Wenig verwunderlich, war doch allen bekannt, wie sehr Natsu ihren Beobachtungsposten auf der Balkonbrüstung liebte. Jetzt aber wandte sie sich ihrer Besucherin zu, begrüßte die Haushofmeisterin freundlich. „Ihr wolltet mich sprechen, Natsu-san?“ „Hai. Mein Gefährte hat dir sicher gesagt, dass wir beide die Aufsicht über das Schloss haben, solange er unterwegs ist. Aber darum bat ich dich nicht zu mir. Ich habe eine persönliche Frage.“ „Die da wäre?“ Masa blieb neben der Löwendämonin stehen und stützte die Hände auf der Brüstung ab. „Du bist eine verdiente, hochrangige Schlossbewohnerin, durchaus hübsch obendrein. Dennoch hörte ich nie, dass jemand um dich werben würde, oder auch nur bei meinem Gefährten oder Arata die Erlaubnis dazu eingeholt hätte.“ Masa legte eine Hand auf die andere und blickte mit einem leichten Lächeln auf den Lippen über die Brüstung hinab in den Garten. „Ich war einst versprochen. Aber mein Anverlobter fand den Tod im Kampf gegen die Néko, ehe ich alt genug zur Heirat war.“ Natsu hielt kurz die Luft an, ehe sie tief durchatmete. „Mein Geburtsclan also mal wieder, hm? Irgendwie scheint dieser Zwist in allem zu stecken.“ „Scheint so, ja. – Naja, dann starb der ehemalige Inu no Taishô, Sesshômaru-sama ließ sich kaum auf dem Schloss blicken und dann kamen meine Eltern auf einer Sondermission um. Mein Großvater hatte lange Probleme, den Tod meiner Mutter zu verwinden, er hatte andere Probleme, als mir einen neuen Verlobten zu suchen.“ „Das glaube ich gerne.“ Für einen Moment herrschte Stille, ehe Natsu nachsetzte: „Aber aus eigenem Antrieb kam nie jemand an?“ Jetzt schmunzelte Masa. „Nein, nie. Ich kenne allerdings auch den Grund dafür.“ In Natsus silbriggrüne Katzenaugen geriet echte Neugier. „Ich nehme an, bei den Néko wird es anders gehandhabt, weil das weibliche Geschlecht dort seltener geringer geschätzt wird, als das männliche. Aber bei allen anderen Fürstenhäusern ist es so, dass, sofern es denn eine weibliche Haushofmeisterin gibt, diese nicht durch Köpfchen, sondern eher durch körperliche Fähigkeiten auf diesen Posten gekommen ist, wenn Ihr versteht, was ich meine.“ Und wie Natsu verstand. „Dann wird also klischeehafterweise das Betthäschen des Fürsten zur Haushofmeisterin gemacht, damit ein gewisser, gesellschaftlicher Stand gegeben ist?“, fragte sie dennoch absichernd nach. „Meistens ist es schon eine legitime Nebenfrau, aber ansonsten habt Ihr Recht“, bestätigte Masa. Natsu zog eine Augenbraue hoch. „Und weil die Schlossbelegschaft annimmt, dass es bei dir ebenso ist…“ „… wagt natürlich niemand, auch nur um das Recht zur Werbung zu bitten. Eine Nebenfrau des Fürsten wäre unantastbar“, vervollständigte die Braunhaarige. „Und dich stört das nicht?“, wollte Natsu interessiert wissen. Masa hob zum ersten Mal in diesem Gespräch den Kopf und blickte ihre Gesprächspartnerin direkt an. „Nicht wirklich, Natsu-san. Ich bin zufrieden mit meinem Leben, wie es ist.“ Natsu verzog das Gesicht zu einem Schmunzeln. „Dann ist es dir also recht, mir in mehreren Hinsichten untergeordnet zu sein?“ Masa zog vielsagend die Augenbrauen hoch, legte eine Hand an den Kragen ihres Kimono. „In meiner Halsbeuge befindet sich kein Zeichen. Nicht einmal ein Konkubinen-Mal.“ Das nur als schlichte Kontur sichtbare Zeichen einer Nebenfrau hätte Natsu dort auch nicht erwartet. „Sesshômaru-sama beließ mich an meinem Posten, weil sein Vater mich dorthin gesetzt hatte und selbst der hat mich nie über Gebühr berührt. Wenn überhaupt Vitamin B mich an meinen Posten befördert hat, dann die Dankbarkeit des ehemaligen Inu no Taishô gegenüber meinem Großvater und meinen Eltern“, fuhr Masa fort. Natsu nickte etwas. In diesem Punkt hatte sie sich auch keine Sorgen gemacht. Es war ihr bloß aufgefallen, dass Masa trotz ihres hohen Ranges keinen Gefährten hatte. Aber das hatte anscheinend weitreichende Gründe. Dennoch hatte Natsu da schon seit einiger Zeit einen Verdacht, den sie aber nicht aussprechen wollte, um keine alten Wunden aufzureißen. Und dieses Gespräch hatte sie darin nur bestätigt. ~*~ Kagome und die anderen waren derweil mit dem Essen fertig geworden und saßen jetzt noch ein wenig beisammen. Inzwischen war auch Hitomis Vater nach Hause gekommen, aber auch wenn er sich für einen Moment höflich dazu gesetzt hatte, merkte man ihm an, dass er nach langem Arbeitstag müde war und so nahm es ihm niemand übel, als er sich nach einer halben Stunde wieder verabschiedete und ins Obergeschoss verschwand. Die anderen blieben noch einen Moment. Kagome hatte sich schon seit geraumer Zeit bequem an InuYashas Seite gekuschelt, während das Gespräch munter dahinplätscherte und inzwischen war auch bei Souta und Hitomi keine Spur des vorangegangenen Zwistes mehr zu sehen. Im Gegenteil. Die junge Frau saß auf Soutas Schoß und fühlte sich dort sichtlich wohl, während sie die Gelegenheit, dass die beiden Mütter wieder einmal jedes Hilfsangebot im Keim erstickt hatten und sich zu zweit in der Küche dem Abwasch widmeten, nutzte, um Fragen zu den tatsächlichen, familiären Hintergründen zu stellen. Es schien sie wirklich zu interessieren, wie das Leben in einem Fürstenhaus des feudalen Japans ablief und während InuYasha es nicht aufgab, jegliche Strenge des Protokolls durch saloppe Bemerkungen herunterzuspielen, wurden Hotarus Zwischenrufe immer seltener. Irgendwann stieß Kikyô ihre Mutter vorsichtig an, nickte dann zu ihrer kleinen Schwester hinab, die doch tatsächlich mit dem Kopf im Schoß ihrer älteren Schwester eingeschlafen war. Kagome schmunzelte bei dem niedlichen Anblick, den die beiden boten. „Die Kleine ist ein Wirbelwind. Aber auch solche müssen einmal schlafen – oder, Kagome?“, merkte Souta an, als er dem Blick seiner Schwester folgte. „Irgendwann einmal“, bestätigte sie vieldeutig. Als aufgrund ihres Tonfalles fragende Blicke in die Runde geworfen wurden, schaltete Kôhei sich erklärend ein: „Ihr Dämonenblut ermöglicht ihr, dass sie nicht immer schlafen muss. Hotaru ist zwar noch recht jung, aber auch bei ihr schlägt das bereits durch. Kikyô schläft vielleicht alle vier, fünf Tage, Hanyô wie InuYasha oder auch meine Kinder manchmal über eine Woche nicht. Viele vollblütige Yôkai schlafen auch gar nicht, oder nur in Notfällen, beispielsweise wenn sie nach schweren Verwundungen sehr geschwächt sind, oder so.“ Kagome nickte zustimmend. „Genauso ist es. – Ihr könnt es als Auszeichnung betrachten, Hotaru innerhalb von… zweieinhalb Tagen bettreif bekommen zu haben.“ Ihrer Stimme war das Augenzwinkern buchstäblich anzuhören, in Kagomes braunen Augen blitzte der Schalk. „Das ist allerdings selten“, brummte InuYasha vor sich hin und zog seinen Arm zurück, der bisher um Kagomes Schultern gelegen hatte, als er spürte, dass sie sich aufrichten wollte. „Ich denke, es ist besser, wenn wir jetzt gehen. Wo Hotaru schon einmal eingeschlafen ist, sollten wir das nutzen und sie so schnell wie möglich in ein Bett befördern. Es ist tiefste Nacht, wir nehmen eine Abkürzung. – Nicht wahr, InuYasha?“ Der sah sie nur aus golden schimmernden Augen an, offenbar hatte er wieder einmal keine Lust, nachzudenken. „Hanyô-Express“, deutete Kagome mit einem unhörbaren Seufzen an. Da grinste InuYasha. „Aber klar doch.“ Zufrieden damit erhob Kagome sich. „Also….“ Hitomi nickte und rutschte von Soutas Schoß um ebenfalls aufzustehen. Ohne Vorwarnung kam sie auf Kagome zu und umarmte sie. „Ich danke vielmals für dein Vertrauen, Kagome. Was ich heute erfahren habe, wird mein Geheimnis bleiben, versprochen.“ „Dann habe ich dir zu danken“, kehrte Kagome um und lächelte, ehe sie in die Runde sah. „Kôhei, tust du mir den Gefallen und nimmst meine Mutter gleich huckepack? Es wäre unschön, wenn sie allein zurückgehen muss, während wir den schnellen Weg wählen.“ Die Antwort des Wolfsdämons war nur ein knappes Nicken. „Gut. – Dann… vielen Dank für den netten Abend, Hitomi. Ich hoffe, wir sehen uns noch einmal, ehe ich abreise“, sagte Kagome freundlich. „Und ich werde gar nicht beachtet?“, wollte Souta wissen, der bezüglich des Nachhauseweges überhaupt nicht bedacht worden war. Bevor Kagome aber etwas sagen konnte, mischte Kikyô sich ein, die ihre kleine Schwester auf dem Arm hielt und deswegen mit gedämpfter Stimme, aber nicht minder anzüglich sprach: „Du bleibst doch eh‘ hier, Oji-chan.“ Über Soutas, wie auch Hitomis Wangen zog sich ein leichter Rotschimmer, der im Licht der künstlichen Lampen deutlich zu sehen war, während Kagome nur resignierend eine Handkante an der Stirn abstützte: „Manchmal frage ich mich, ob das der Effekt dessen ist, dass sie als einzige von unseren Vieren noch Miroku in Natura erlebt hat“, stöhnte sie mit einem Augenzwinkern in InuYashas Richtung, worauf der breit grinste. „Vielleicht…“, war seine einzige Antwort, ehe man zum Aufbruch rüstete. Der Tag war lang gewesen. Lang und sehr erlebnisreich. Hotaru sollte nicht die einzige bleiben, die ihrer Müdigkeit nachgab. Auf der raschen Reise über die einsamen Dächer Tokios dämmerte auch Kagome, den Kopf an InuYashas Schulter gebettet, friedlich ein. Kapitel 25: Retter und Helden ----------------------------- Es war eine seltsame Mischung aus Tatendrang und Traurigkeit, die Kagomes Brust erfüllte, als sie zwei Tage später auf der obersten Stufe der Schreintreppe stehen blieb. Es war eine wunderschöne Zeit hier gewesen, aber sie wusste auch ganz genau, dass sie nicht länger bleiben konnten. Kôheis Zugeständnis hin oder her, sie hatte schon gestern Abend die wachsende Unruhe des Ookami bemerkt und dessen Erleichterung, als sie ihm mitteilte, dass sie heute wieder aufbrechen würden. Kôhei hatte keineswegs Angst vor seinem Schwiegervater, aber er respektierte diesen deutlich und hasste es, dessen Aufforderungen zuwider zu handeln. Kagome strich ihren Kimono glatt, als sie sich umdrehte, die Versammelten ansah. Während InuYasha, Kikyô, Kôhei und Hotaru hinter ihr standen, waren Souta und die anderen auf dem Schreingelände geblieben. Auch Hitomi war gekommen, stand neben Souta und winkte jetzt ebenso wie die anderen. Der Abschied war nicht leicht für Kagome, aber auf der anderen Seite wollte sie auch zurück unter den Bannkreis, in das Leben, in dem sie sich nicht gegenüber dem Großteil der Bevölkerung verstellen musste. Und sie fühlte sich für Sayuri verantwortlich, zumal diese Mission hier ihre Idee gewesen war – gut, ihre und InuYashas zugleich. Außerdem war da ein ungutes Gefühl, dass sie zurückzog, eine unbestimmte Sorge, auch wenn sie nicht wusste um wen und warum. Mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen, winkte Kagome zurück. „Lebt wohl, meine Lieben!“, rief sie noch, dann begann sie die Stufen hinab zu steigen, nicht schnell wie auf dem Hinweg, sondern langsam, ganz als wollten ihre Füße sich jede Unebenheit in dem jahrhundertealten Stein noch einmal einprägen. Die anderen folgten, schweigend aus Respekt, selbst Hotaru. Bis Nemuro waren es wieder drei Tage Weg, sie hatten genug Zeit, das Erlebte Revue passieren zu lassen und die Erinnerungen fest in ihren Herzen aufzubewahren. Für immer. ~*~ In all den Tagen der Abwesenheit sowohl InuYashas, als auch Kôheis, war es an Tián hängen geblieben, die kleinen Ausflüge der ‚Schulklasse‘ zu begleiten. Heute aber war Sayuris erster ‚Schultag‘ und daher blieb die Gruppe heute im Unterrichtsraum. Tián nutzte die Zeit, um am Strand etwas frische Luft zu schnappen. Die Brandung spülte über seine bloßen Füße, als er schließlich stehen blieb und Richtung Horizont blickte. Irgendwo in dieser Richtung lagen die letzten Ausläufer von Hokkaido und weit dahinter die chinesische Küste. Geboren im Süden Japans, wo einst die Komori ein ähnliches Fürstentum bildeten, wie es die acht großen Völker heute auf den Bannkreis-Inseln taten, vertrieben von einem der bösartigsten und herrschsüchtigsten Komori, die es je gegeben hatte, war China lange Zeit seine Heimat gewesen. Bis ein Mordauftrag ihn zurück nach Japan führte – und in das Leben, das er heute führte. Ein melancholisches Lächeln zeichnete sich auf den Lippen des dunkelhaarigen Yôkai ab, als er plötzlich die Schultern anspannte, beinahe herumgefahren wäre. Im letzten Moment beherrschte er sich, drehte sich langsamer um, blickte die beiden Grenzgänger an, die den Strand entlang kamen. Einer wischte mit einem einfachen Tuch gerade Blut von seiner Schwertklinge, Blut das für eine einfache Verwundung bei einem Dämon viel zu reichlich war. Wen hatten die beiden erwischt? Einen Oni? Dessen Blut wäre schwarz. Einen Taijiya? Durften sie gar nicht. Misstrauisch stellte er sich den beiden in den Weg. Beide Grenzgänger, ein Kitsune und ein Hebi, wie Tián schnell identifizierte, verharrten und nickten grüßend. Sie alle wussten, dass dieser Komori unter dem Schutz des gesamten Inuclans stand und somit zu respektieren war. Kaum einer wusste allerdings einzuschätzen, bis zu welchem Grade Tián sich seinen Respekt auch selbst verdienen konnte. Früher hätte er das nicht gekonnt, was aber weniger an ihm, als an einer Eigenheit seiner Familie lag – jener Familie, die in China zurückgeblieben war, als er sich einst von ihnen lossagte. „Mit wem oder was seid ihr denn zusammengestoßen?“, wollte Tián auch nur wissen. Beide Grenzgänger musterten ihn kurz, ehe der Hebi salopp erwiderte: „Einen Eindringling, jung, männlich, kurzse, fast farblossse Haare. Trug einen ssseltsamen, engen Haori.“ Tián runzelte die Stirn. „Trug?“, betonte er die Vergangenheitsform in den Worten seines Gesprächspartners. Die gespaltene Zunge des Hebi war kurz zu sehen, als der antwortete: „Hai, Tián-ssssan. Der machtsss nichts mehr lange. Dabei haben wir ihn nur leicht verwundet, wie es unsssere Befehle sssind: Verjagen nicht töten. Aber der…“ Ebenso misstrauisch wie aufmerksam versuchte Tián sich einen Reim auf die Erzählung des Grenzgängers zu machen. So entging ihm auch nicht, dass an der Klinge des Einen etwas hängen geblieben war, das durch Wischen nicht abging. Gerade zupfte der Kitsune den hellgrauen, lederartigen Fetzen von dem Metall und steckte sein Katana weg. Und in diesem Moment wurde aus der weit hergeholten, dumpfen Ahnung Gewissheit. Zwei mehr als verwirrte Grenzgänger zurücklassend, stürzte Tián an den beiden vorbei. Einer der beiden tierischen Füchse blaffte ihm hinterher, aber Tián kümmerte sich nicht darum. Er wusste, was dieser Fetzen war. Das gleiche Material, mit dem das Heft seines Aikuchi umwickelt war: Flügelhaut eines Komori. Und außer ihm sollte es hier keine Komori geben – seine Tochter als Dreiviertel-Dämonin einmal ausgenommen. Es blieb nur eine Möglichkeit: Wen die beiden Grenzgänger aufgerieben hatten, musste ein Biānfú sein – ein Festland-Komori. Und deren Schwäche kannte Tián nur zu gut. Er hatte sie einst am eigenen Leib erfahren. Fand er seinen Artgenossen nicht schnell genug, wäre selbst die einfachste Verletzung sein Todesurteil. ~*~ „Sag mal, Teshi, wolltest du mich nicht an etwas erinnern?“ Die Stimme seiner Mutter ließ den Hanyô innehalten. Etwas verwirrt drehte er sich um, blickte die Sprecherin an, seine Wolfsohren – die sich von den Hundeohren InuYashas nur durch eine etwas abgerundetere Spitze unterschieden – zuckten. Rin war mit vor der Brust verschränkten Armen mitten auf dem Gang stehen geblieben. Obwohl der Weg über die Flure vom Familienflügel zum Verwaltungstrakt, in dem auch das Schulzimmer lag, nicht besonders lang und auch Teshi längst bekannt war, ließ Rin es sich selten nehmen, ihren Sohn persönlich zum Unterricht zu bringen. Also warum jetzt die Unterbrechung? Da fiel es Teshi plötzlich ein und ein etwas beschämtes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. „Das hab‘ ich doch glatt vergessen…“, murmelte er in sich hinein. Rin schüttelte amüsiert den Kopf. „Na so was. Da vergisst du, dass deine neue Freundin heute ihren ersten Schultag hat. Schäm‘ dich, Teshi“, schalt sie ihn liebevoll. „Tu‘ ich ja schon…“, murrte der Wolfshalbdämon vor sich hin, ehe er an die Tür trat, neben der Rin bezeichnenderweise stehen geblieben war. Doch gerade als er die Hand zum Klopfen heben wollte, hielt er inne. „Warte mal, Okaa-san… ich glaube sie ist nicht allein. Das ist… die Schneiderin, glaube ich.“ Rin dachte kurz nach, dann nickte sie. „Dann wird Sayuris Kimono endlich fertig sein. – Na geh‘ schon, Teshi, lass die anderen nicht warten. Aber sag‘ ihnen, dass Sayuri gleich kommt, nicht dass sie sich Sorgen machen.“ Teshi nickte eifrig und flitzte dann los. Kaum war er weg, betrat Rin das Gemach, wenn auch ohne anzuklopfen. Die Schneiderin war eine Hundedämonin, sie hatte die Anwesenheit Rins und Teshis vor der Tür sicher längst gewittert – und vermutlich auch das Gespräch mitgehört. Sayuri dagegen wirbelte bloß nicht herum, weil sie Assistentin der Schneiderin sie geistesgegenwärtig festhielt. Sonst wäre das kleine Messer der Schneiderin, mit dem sie einen Faden hatte abtrennen wollen, sicher in den Saum gefahren, wenn es nicht gar Sayuri verletzt hätte. „Heya, Sayuri, immer mit der Ruhe“, beruhigte Rin schmunzelnd und kam näher. Sayuri drehte ihr den Kopf zu. „Ach du bist es…“ „Hast du mich etwa nicht gewittert?“, wollte Rin wissen, die ja mitbekommen hatte, dass Sayuri sich langsam ihres Geruchssinnes bewusst wurde. Sayuri senkte etwas den Blick. „Doch schon… ich hab‘ gerochen, dass da jemand kommt, den ich kenne. Aber wer von euch…“ Sie schien nahe dran, aufzuschluchzen. So wenig weinerlich sich Sayuri bei kleineren Verletzungen oder Anstrengung zeigte, so nah‘ am Wasser gebaut war sie manchmal, wenn sie glaubte, etwas falsch gemacht zu haben. „Schon gut, Sayuri. Das kommt noch, glaube es mir… Teshi und Saika haben auch eine ganze Weile gebraucht…“, tröstete Rin und tätschelte Sayuri behutsam die Wange. Zaghaft lächelte Sayuri. „Dann ist ja gut…“, murmelte sie beruhigt und stand jetzt still, während die Schneiderin die letzten Kleinigkeiten prüfte, ob der Sitz des Kimono so war, wie geplant. Auch wenn die Kimono der Kinder noch nicht aus der teuren und schwer zu bearbeitenden Dämonenseide gefertigt wurden, so war auch jeder normale Kimono eine Kapitalanlage und musste sorgfältig gearbeitet sein. Aber die blonde Hundedämonin schien zufrieden, als sie sich aufrichtete, ihre eigene Kleidung glattstrich und ihrer Assistentin winkte, Sayuri loszulassen. Sofort stellte das Mädchen sich bequemer und weniger steif hin, sichtlich froh, ihre Haltung so wählen zu können, wie sie wollte. Rin lächelte leicht, ehe sie den kleinen Gast der Familie betrachtete. Sie selbst hatte ja den Stoff ausgesucht, aber erst jetzt konnte sie beurteilen, ob das fertige Kleidungsstück zu Sayuri passte. Innerlich nickte Rin zufrieden. Ja, das sah hübsch aus. Weich cremefarbener Stoff mit unzähligen, roséfarbenen Blütenranken, dazu ein hellblauer Obi mit der gleichen Musterung. „Gefällt es dir?“, wollte Rin sacht wissen. Zu ihrer Erleichterung nickte Sayuri eifrig. „Sehr schön. – Bist du bereit für deinen ersten Schultag?“ Betont erwartungsvoll blickte Rin Sayuri an, woraufhin die erneut emsig nickte. Die grünen Augen des Mädchens strahlten. „Sehr schön!“, wiederholte Rin und erhob sich aus dem Knien, streckte Sayuri die Hand hin. Begeistert griff Sayuri zu und als sie das Gemach verließen, schlugen sie zum ersten Mal den Weg Richtung Verwaltungstrakt ein. Sayuris erster Schultag hatte begonnen. ~*~ Tián wusste nicht genau, was ihn ausgerechnet zu der Felsgruppe trieb, die er gerade ansteuerte, aber als er die ersten Steinbrocken überwand, erkannte er, dass sein Instinkt ihn nicht getrogen hatte. Dort lag eine Gestalt, die ledrigen Schwingen, die um den Verletzten herum ausgebreitet waren, zeigten ihm auch, dass seine Ahnung nur zu richtig gewesen. Stöhnend vor Schmerz wand der Liegende sich hin und her, schien kaum mehr bei Bewusstsein. Auf den ersten Blick erkannte Tián die tiefe Schnittwunde am Flügelsaum, aus der unaufhaltsam Blut quoll, tiefrot und dickflüssig. Das Salz in der Meeresluft hatte die Wundränder bereits verhärten lassen, aber heilen tat die Wunde deswegen noch lange nicht. Tián wusste ganz genau, dass sein unfreiwilliges Bad im Meer damals, ihm das Leben gerettet hatte. Sonst wäre er sicher verblutet, ehe Shiori damals durch Zufall jemanden mitbringen konnte, der ihn retten konnte. Shiori… Er zwang seine Gedanken wieder in die Gegenwart zurück. Kagome war gerade eindeutig nicht in Reichweite, also musste er, Tián, alles tun, um den armen Kerl zu retten. Die Frage, was ein Festlanddämon auf den Bannkreisinseln suchte – und wie er überhaupt hier hinein gekommen war – verschob er auf später. Stattdessen schlidderte er mit angewinkelten Beinen die Felskante hinunter und hockte sich neben dem Verletzten hin. Die Züge desjenigen waren bereits eingefallen, obwohl die Verwundung nur Minuten her sein konnte, selbst sein Stöhnen wurde immer schwächer. Und gleichzeitig spürte Tián eine zunehmende Spannung von dem geschwächten Körper ausgehen und er ahnte auch, um was es sich dabei handelte. Der Liegende war an der Grenze zum Kontrollverlust, das erkannte er auch an den leuchtend roten Augen, die sich ihm abermals zuwandten, als der Verletzte sich herumwarf. So in etwa musste Shiori ihn damals auch kennengelernt haben. Doch im gleichen Moment fuhr es ihm wie ein Messer ins Herz. Diese Gesichtszüge kamen ihm noch aus einem ganz anderen Grund sehr bekannt vor. Genau genommen erkannte er das Gesicht, erkannte den vor ihm liegenden Dämon. Unwillkürlich lag ein Keuchen in Tiáns Stimme, als er einen jener Namen aussprach, die er seit Jahrhunderten nicht mehr in den Mund genommen hatte: „Hayato…!“ Die Antwort war ein Zucken und ein ersticktes Husten, als sich das Rot in den Augen seines Gegenübers kurz klärte und der Verletzte den Kopf zu heben versuchte, was ihm aber nicht gelang. Dennoch glitt kurz Erkennen durch nachtschwarze Iriden, ehe in ihnen wieder dämonisch rotes Feuer brannte. Tián fasste einen Entschluss. Er hatte indirekt schon einen Cousin und eine Cousine auf dem Gewissen. Er wollte nicht auch noch für den Tod eines weiteren, alten Vertrauten verantwortlich sein, nur weil er nicht in der Lage war zu helfen. Egal wie und warum Hayato – oder Yuen, wie sein chinesischer Name lautete – hierher gekommen war, er würde ihn retten. Kurz entschlossen streifte Tián seinen linken Ärmel zurück und setzte die Klauen der rechten Hand am linken Unterarm an, an der Innenseite wo die Haut weicher war und man obendrein eine Narbe nicht so schnell sehen würde. Eigentlich reichten ihm die Narben am Rücken, die er von der Folter vor Jahren zurückbehalten hatte, vollauf, aber nur aus Eitelkeit würde er seinen Cousin sicherlich nicht verbluten lassen. Hayato war sein Verwandter und Verwandte vermochten sich untereinander mit ihrem Blut zu heilen, wenn die Selbstheilungskräfte des Betroffenen nicht von sich aus stark genug waren. Doch gerade als Tián die Klauen in seinem Fleisch versenken wollte, packten erstaunlich kräftige Finger sein Handgelenk und hielten ihn eisern zurück. „Ti-án! Bist du… bist du… verrückt ge-worden!?“, stieß der Verletzte mühsam hervor. Tián bemühte sich um ein ebenso beruhigendes wie unbeugsames Lächeln, ehe er die Hand abschüttelte und mit einer ruckartigen Bewegung seine Haut aufriss. Kurz quoll ein Schwall Blut hervor, dann begann der Strom bereits wieder abzuebben. Mit der freien Hand fing Tián sein Blut auf und ließ es gezielt auf die Wunde seines Cousins fließen. Der zuckte heftig zusammen, mit geweiteten Augen sah er zu, wie die Verletzung sich langsam aber sicher besserte. Als Tiáns Wunde sich bereits wieder schloss, versiegte auch die Blutung an dem Riss in Hayatos Flügel. Kurz darauf schimmerte dessen Kontur und im nächsten Augenblick waren die Flügel verschwunden, anstatt dessen war da jetzt ein königsblauer Umhang, auf dem Hayato lag. Das Rot aus den Augen des Festlanddämons war gänzlich verschwunden, doch jetzt blinzelte er ungläubig, musterte den vor ihm knienden, der gerade wieder den Ärmel über die fast verheilte Stelle gleiten ließ und Anstalten machte, aufzustehen. Ehe er das aber tun konnte, schlossen sich erneut Finger um sein Handgelenk, hielten ihn zurück. Nach ein paar Augenblicken erklang eine noch heisere, schwache Stimme: „Ich habe es mir also doch nicht eingebildet. Du bist es wirklich… Tián, Biǎomèi…“ ~*~ „Hotaru! Hotaru, komm her“, leise zitierte Kagome ihre Tochter zu sich, wohlwissend, dass die von ihrem mühsam ergatterten Sitzplatz nicht freiwillig aufstehen würde. Aber Hotaru konnte auch nicht wissen, dass das höflich wäre, vor heute war sie nie mit so etwas wie einem Bus gefahren und Kagome wunderte sich eher schon, dass Hotaru bisher durchgehalten hatte. InuYasha und Kôhei begleiteten sie längst wieder auf dem Weg über die Dächer und vor ein paar Minuten hatte sich ihnen auch Kikyô angeschlossen. Einzig Hotarus Magen schien das öffentliche Verkehrsmittel überhaupt nichts anhaben zu können. Erstaunlich. Aber trotzdem sollte ihre Jüngste den Platz besser für eine ältere Dame freimachen. Hotaru kam der Aufforderung ihrer Mutter nach und erntete dafür ein dankbares Lächeln der alten Frau. Doch gerade als die sich hinsetzen wollte, drängelte sich ein schlaksiger, junger Mann vor, stieß die alte Dame beiseite und ließ sich selbst auf den frei gewordenen Platz fallen. Es war nur Kagomes trainierten Reflexen zu verdanken, dass sie einen Schritt vortreten und den Fall der stolpernden Frau stoppen konnte, ehe die im vollen Bus das Gleichgewicht verlor. Erschrocken keuchte die Alte auf. „Hey, Sie! Sie sehen doch dass diese ältere Dame gehbehindert ist! Warum nehmen Sie ihr den Platz weg?“, wollte jemand von der Seite wissen. Der junge Mann reagierte provozierende Sekunden lang gar nicht, dann pflückte er einen Ohrhörer aus seinem Ohr und blickte selbstzufrieden in die Runde. „Bitte was? – Ich bin auch behindert. Schwerhörig, wissen Sie?“ Damit steckte er den Hörer wieder ins Ohr und stellte sich für weitere Kommentare gänzlich taub. Scheinbar gelangweilt blickte er aus dem Fenster. Kagome verdrehte die Augen, während sie weiterhin die ältere Dame stützte, die sich von ihrem Schock noch nicht so ganze erholt zu haben schien. Dadurch bemerkte sie zu spät, dass Hotaru sich wieder von ihrer Seite gelöst hatte und entschieden die zwei Schritte bis zu ihrem ehemaligen Sitzplatz zurücklegte. Aufmerksamkeitsheischend zog sie den jungen Mann am Jackenzipfel, bis der sie entnervt ansah. „Was willst du, Balg?“, wollte er unfreundlich wissen. Hotaru, die durchaus mitbekommen hatte, dass die Dinger in seinen Ohren sein Hörvermögen deutlich einschränkten, fackelte nicht lange. Mit einer schnellen Bewegung hatte sie sich auf die Zehenspitze gestellt und ihm beide Ohrhörer aus den Ohren gezogen. „Baa-san möchte da sitzen!“, stellte sie dann erst klar. Entgeistert sah der junge Mann das kleine Mädchen an, ehe er breit zu grinsen begann. „Ich möchte hier auch sitzen, du Zwerg.“ Damit wollte er ihr das Kabel seiner Ohrhörer wieder aus der Hand nehmen, aber er hatte sichtlich nicht damit gerechnet, dass Hotaru es festhalten würde – und vor allem nicht, mit welcher Kraft. Die ruckartige Bewegung ließ sein Smartphone aus der Hosentasche rutschen und auf den Boden fallen, dabei löste sich der Stecker der Ohrhörer – und plötzlich dröhnte das Lied, dass er gehört hatte, quer durch den gesamten Bus. Mehrere Mütter hielten ihren Kindern augenblicklich die Ohren zu, während einige Grüppchen jüngeren Semesters sich nur vielsagend angrinsten. Wieder andere schüttelten missbilligend den Kopf. Der Liedtext war mehr als nur grob zu nennen. Auch Kagome hätte ihre Tochter gerne davon abgehalten, weiter dem Text zu lauschen, aber in diesem Moment kam ihr der dämonische Blutanteil ihrer Tochter zu Hilfe. Hotaru hielt sich nämlich schon von selbst die Ohren zu, weil es ihr schlicht und einfach zu laut war, was da aus dem seltsamen, kleinen Kasten plärrte. Dass sie dazu das Kabel freigab, bekam der junge Mann, der jetzt gar nicht mehr selbstgefällig wirkte, sondern mit hochrotem Kopf auf dem Boden nach seinem Gerät angelte, gar nicht mit. Als er es endlich zu packen bekam, hielt der Bus gerade an der nächsten Haltestelle. Kagome konnte kaum so schnell gucken, wie der junge Mann nach draußen verschwunden war. Jetzt im Nachhinein konnte sie sich ein Schmunzeln dann doch nicht verkneifen. Behutsam löste sie eine Hand vom Oberarm der alten Dame und legte sie ihrer Tochter auf die Schulter. Hotaru wirbelte herum, die Lippen zusammengepresst, als wollte sie ungehalten knurren, aber im letzten Augenblick beherrschte die Kleine sich, als sie merkte, dass es nur ihre Mutter war, die sie berührt hatte. Mit einer kurzen Geste bedeutete Kagome ihr, dass sie die Hände herunternehmen konnte. Dann erst half sie der alten Dame, sich auf den endlich freigewordenen Platz zu setzen. Diese schien sich inzwischen von ihrem Schreck erholt zu haben. Während der Bus wieder anfuhr, wurde Kagome bewusst, dass sämtliche Blicke auf sie gerichtet waren – oder eher, auf ihre Tochter. Hotaru hatte es jetzt auch bemerkt und lächelte glücklich. Die Aufmerksamkeit schien ihr zu gefallen. Kagome grinste in sich hinein, als sie von jemandem in ihrer Nähe hörte: „Die Kleine ist eine richtige Heldin.“ Es war mit einem Augenzwinkern gemeint, das wusste Kagome, aber sie freute sich über die Anerkennung, die ihre Tochter so genoss. Zuhause stieß sie mit ihrer forschen, ungebändigten Art manchmal auf Granit, weil das Hofprotokoll sie sehr einengte und sie deshalb in ihrer Freizeit gerne einmal übertrieb. Kagome konnte sich durchaus vorstellen, dass Hotaru, sobald sie alt genug war, dem Beispiel ihrer älteren Geschwister folgen und hauptsächlich außerhalb des Bannkreises leben würde. Aber darüber mochte sie sich im Moment noch keine großartigen Gedanken machen. Dennoch gönnte sie es Hotaru, sich in der Bewunderung sonnen zu können. Die ältere Dame, die Hotaru eine Weile gemustert hatte, beugte sich jetzt vor, deutete lächelnd, ohne sich jedoch zu erheben, eine leichte Verbeugung an. Hotaru erwiderte Lächeln und Verbeugung, ehe ihre Augen die Hand der Dame erfassten, die in deren Handtasche verschwunden war und nach etwas zu kramen schien. Und das gefiel Kagome gar nicht. Vermutlich wollte die alte Dame ihre kleine Retterin mit einigen Süßigkeiten entlohnen, aber der intensive, weiße Zucker, der heutzutage verwendet wurde, wäre für Hotarus Geschmacksnerven ebenso zu viel wie das Currypulver am Abend des Ehemaligentreffens. Mit einer Geste machte sie die Alte auf sich aufmerksam. „Gomen, aber lassen Sie nur. Sie tun meiner Tochter damit keinen Gefallen, sie dürfte es sowieso nicht essen. Der Zucker, Sie verstehen?“, mischte sie sich ein. Vermutlich würde die alte Dame jetzt den Schluss ziehen, Hotaru sei Diabetikerin, aber das war Kagome im Moment egal. Hauptsache Hotaru bekam die Süßigkeiten erst gar nicht zu sehen. Die ältere Dame hatte ihre Suche auch sofort aufgegeben und hob nun die Hand, um Hotaru leicht durch die Haare zu wuscheln. „Na dann… trotzdem danke ich dir vielmals, kleine Heldin. Ohne dich und deine Mutter hätte ich wohl stehen müssen – oder hätte mir sehr wehgetan.“ Kagome war mehr als erleichtert, als Hotaru sich nichts anmerken ließ und nur zurücklächelte. Da hielt der Bus erneut. „Komm, Hotaru, hier müssen wir raus“ Als sie den Bus verließen, warteten die anderen drei bereits an der Haltestelle. Sofort erfassten InuYashas Augen das strahlende Gesicht seiner jüngsten Tochter und mit fragendem Blick sah er seiner Gefährtin entgegen. Kagome zuckte nur leicht mit den Schultern. „Deine Tochter hat sich gerade zu einer kleinen Heldin gemausert. – Wenn ich da an ein gewisses Feuer und ein gewisses in Gefahr geratenes Mädchen denke, dann muss sie das von dir haben, InuYasha“, schmunzelte sie. Kikyô horchte auf. „Feuer? Kind in Gefahr? Die Geschichte habt ihr nie erzählt“, bemerkte sie. „Nein? Gut, dann hole ich das jetzt nach. Kommt“, erwiderte Kagome nur und während die Gruppe ihren Weg brav auf dem Bürgersteig fortsetzte, erzählte Kagome Kôhei und ihren beiden Töchtern, wie es gekommen war, dass InuYasha im neuzeitlichen Tokio beinahe berühmt geworden wäre. Und das alles nur, weil ein kleines Mädchen ihren hundeohrigen Retter gezeichnet hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)