Leben nach dem Waisenhaus von Nightprincess ================================================================================ Kapitel 3: Nach vorne schauen ----------------------------- ~~~~~ Seto Kaiba ~~~~~ Seto saß wie immer im Arbeitszimmer seines Ferienhaues an seinem Schreibtisch. Rebecca war mit ihrem Sohn Eric draußen vor dem Haus und baute mit ihm zusammen einen Schneemann, sein Neffe hatte zwar darum gebeten, dass Seto ebenfalls half, dieser hatte jedoch abgelehnt, da er noch einige wichtige Dinge zu erledigen hatte. Er wollte heute unbedingt noch ein paar Grafiken seiner neusten Erfindung fertigstellen. Seit er sich aus den geschäftlichen Angelegenheiten der Kaiba Corporation zurückgezogen hatte und Mokuba zusammen mit Rebecca die Leitung übernahm, war Seto nur noch damit beschäftigt, die Duell Disk zu verbessern. Am Anfang hatte er noch mit seinem besten Wissenschaftler Scott Irvine zusammengearbeitet, aber seit dieser an Altersschwäche verstarb, arbeitete der Brünette nur noch alleine. Mit den neuen Wissenschaftlern der Kaiba Corporation kam er nicht so recht klar. Wenn er seinen Kopf freikriegen musste, fuhr Seto gerne mit seiner Harley Davidson durch die Berge und wenn er Besorgungen in der nächsten Stadt zu erledigen hatte, nahm er seinen schwarzen Porsche Cayenne. Einmal in der Woche kam eine Bedienstete vorbei, die sich etwas um den Haushalt kümmerte, aber in der Regel machte er alles alleine, so dass sie meist nicht lange blieb oder oftmals sogar gar nicht kommen musste, weil Seto ihr einfach freigab. Der Brünette war lieber alleine in dieser abgeschiedenen Gegend. Hier konnte er sich konzentrieren und neue Entwicklungen zu Papier bringen. Er hatte hier sogar ein kleines Labor ganz für sich allein, wo er verschiedene Versionen seiner Duell Disk zusammenbauen und testen konnte. Seto würde nur noch nach vorne blicken, die Zukunft war alles, was für ihn noch wichtig war. Das redete er sich zumindest ständig ein. ~~~~~ Mokuba Kaiba ~~~~~ Mokuba hatte auch die restlichen Pappkartons aus dem Lager geholt, sich allerdings vorerst nicht um deren Inhalt gekümmert und einfach nur im Gang abgestellt. Er würde sich später darüber Gedanken machen. Jetzt gab es erstmal wichtigere Dinge zu erledigen. Er musste Seto anrufen und ihn nach dem Bild fragen, das er in seiner alten Umhängetasche gefunden hatte. Also ging er mit dem Bild in der Hand nach oben in den großen Flur, um sich dort gleich das schnurlose Haustelefon zu schnappen. Er wählte die Nummer des Ferienhauses und wartete, unruhig von einem Fuß auf den anderen tretend. „Seto Kaiba, wer stört?“ „Seto, ich bin‘s, Mokuba.“ „Willst Du mit Deiner Frau sprechen? Die ist grade draußen mit Eric. Warte kurz, ich hol sie mal rein.“ Mokuba hob abwehrend die Hand. „Nein, warte, ich wollte eigentlich mit Dir reden.“ „Ist was in der Firma passiert?“ Er schüttelte schnell den Kopf. „Nein, nein, keine Sorge, mit der Firma ist alles in Ordnung…“ Der Schwarzhaarige zögerte und biss sich auf die Unterlippe. „Sag schon, was ist los?“ Mokuba atmete einmal tief durch. „…erinnerst Du Dich noch an meine blaue Umhängetasche, die ich damals im Waisenhaus getragen hatte?“ Kurz war es still, dann erklang ein leises Seufzen aus dem Telefon. „Mokuba. Hatte ich Dir nicht gesagt, dass ich nicht mehr über das Thema Waisenhaus reden will?“ Mokuba wischte sich über die Augen und seufzte leise. „Ich weiß, aber das ist wirklich wichtig.“ Erneut war es kurz still. „Fein, aber das ist wirklich das letzte Mal, verstanden?“ Mokuba nickte, obwohl sein Bruder das ja eigentlich gar nicht sehen konnte. „Natürlich. Ich hätte Dich auch nicht darauf angesprochen, wenn es nicht wirklich wichtig gewesen wäre.“ „Schon gut. Also, was ist nun mit der Tasche? Ich erinnere mich daran. Die hatte Gozaburo doch damals mit meiner eigenen Tasche entsorgt, oder?“ Wieder nickte Mokuba zustimmend. „Das dachte ich auch. Aber ich hab sie unten im Lager gefunden, Du weißt doch, ich wollte das doch ausräumen, für Erics Überraschung.“ „Ja, hast Du erzählt. Die Tasche war also dort unten in einer Kiste?“ „In einem alten unbeschrifteten Pappkarton ganz hinten in einer Ecke. Deine Tasche war auch drin, aber da hab ich jetzt nicht reingeschaut.“ „Ist wahrscheinlich eh nichts Besonderes drin.“ Mokuba kniff die Augen zusammen. „Dasselbe hab ich von meiner Tasche auch gedacht, als ich reingesehen hab. Nur ein paar alte bemalte Blätter und ein paar Buntstifte…“ Erneut zögerte er. „Aber?“ „…aber ich hab innen an der Seite ein kleines Geheimfach entdeckt…“ Er lehnte sich seufzend mit dem Rücken an die Wand. „Und?“ „…und ich hab noch ein zusammengefaltetes Zeichenblatt gefunden, allerdings…“ Er stockte, schüttelte leicht den Kopf. „Allerdings was? Mokuba, lass Dir doch nicht alles aus der Nase ziehen, Du bist kein Kind mehr, also raus mit der Sprache. Was ist so wichtig an diesem Bild, dass Du mich dafür extra anrufen musst?“ Der Schwarzhaarige betrachtete sich die Buntstiftzeichnung und blinzelte sich ein paar Tränen aus den Augen. „Es ist eine Abbildung von uns beiden als Kinder in einer liebevollen Umarmung, darunter steht ‚für immer zusammen‘. Und ganz unten in einer Ecke hat jemand einen kleinen, blonden Kopf mit Hundeohren und eine kleine Hundepfote gezeichnet, daneben die Worte ‚damit ihr mich nicht vergesst‘.“ Mokuba schwieg kurz. „Das Bild kommt mir nicht bekannt vor, ich wusste auch nicht, wer es gemalt hat, also…“ Er rutschte nachdenklich an der Wand hinab und setzte sich auf den Fliesenboden. „Also was, Mokuba?“ „…also hab ich das Bild umgedreht, um zu schauen ob dort vielleicht ein Name steht…“ Seufzend betrachtete er sich die Rückseite des Bildes. „Und, steht da etwas?“ „Ja. Da steht: ‚Für Seto und Mokuba, damit wir immer Freunde bleiben, euer Hündchen…‘“ „Hündchen? Wer ist Hündchen?“ „…Joey.“ Stille, dann ein erschrockenes Keuchen. „Joey? Was hat Joey damit zu tun?“ Mokuba seufzte erneut und lass nochmal die Worte vor, die auf der Rückseite der Buntstiftzeichnung, in krakeliger Schrift, zu lesen waren. „‚Für Seto und Mokuba, damit wir immer Freunde bleiben, euer Hündchen Joey‘. Genau so steht es auf der Rückseite.“ Das Nächste was Mokuba durch das Telefon hörte, war ein dumpfer Aufprall. ~~~~~ Seto Kaiba ~~~~~ Seto hatte vor Schreck das Telefon auf seinen Schreibtisch fallen lassen und hielt sich gerade den Kopf, weil er mit einmal einen pochenden Schmerz dort fühlen konnte. Ein Bild tauchte plötzlich vor seinem inneren Auge auf, eine Buntstiftzeichnung, die er in der Hand hielt. Es war genau das Bild, das sein Bruder ihm gerade beschrieben hatte. Er konnte es genau vor sich sehen, die krakelige Schrift, den kleinen blonden Kopf mit den Hundeohren in der Ecke, all das hatte er schon einmal gesehen, vor langer Zeit. Stöhnend schloss er die Augen, um das Bild zu vertreiben. Er hörte nur nebenbei die besorgte Stimme von Mokuba. „Seto? Alles okay?“ Er griff nach dem Telefon und wischte sich leicht über die Augen. „Alles gut. Mir ist nur das Telefon aus der Hand gerutscht.“ „Hast Du Dich an etwas erinnert?“ Seto schüttelte leicht den Kopf, um den Kopfschmerz loszuwerden. „Schon möglich. Es ist eine Buntstiftzeichnung, richtig? Und die Schrift ist krakelig, als hätte ein Kind die Wörter geschrieben?“ Er hörte ein erschrockenes Einatmen. „Ja! Genau das ist es! Hat Joey das gemalt? Warum war das in meiner Tasche? Wir haben ihn doch erst viel später kennengelernt! Oder war es vielleicht ein andrer Joey? Gibt ja sicher viele davon. Ist nur merkwürdig, dass ich mich nicht daran erinnern kann. Immerhin scheinen wir ja Freunde gewesen zu sein, also damals, vermutlich im Waisenhaus. Da waren ja viele Kinder und so.“ Seto seufzte. Mokuba redete noch immer so viel, wenn er aufgeregt war, dabei war er mittlerweile erwachsen. „Ich weiß nicht, Mokuba. Ich kann mich auch nicht genau erinnern. Ich weiß nur, dass ich dieses Bild schon einmal gesehen habe, irgendwann. Ich konnte es mir jedenfalls bildlich vorstellen. Ob es tatsächlich Joey Wheeler gemalt hat und warum es in Deiner Tasche war, kann ich Dir allerdings wirklich nicht sagen.“ „Und wenn wir ihn einfach danach fragen?“ „Ich glaube nicht, dass es so eine gute Idee ist, außerdem weiß ich nicht einmal wo Wheeler jetzt wohnt und seine Telefonnummer hab ich ebenfalls nicht.“ „Ich könnte doch einfach Yugi danach fragen, der führt doch noch immer den Laden seines Großvaters. Vielleicht weiß der ja, wo Joey jetzt ist?“ Erneut seufzte Seto leise. „Mokuba, muss das wirklich sein? Ist es wirklich so schlimm, dass Du Dich nicht mehr an das Bild erinnern kannst? Das ist doch viele Jahre her. Was bringt es Dir jetzt noch, wenn Du Dich an die Zeit im Waisenhaus erinnerst? Denk doch lieber an die Zukunft, an Deinen Sohn.“ „Aber, Seto! Da steht doch auf dem Bild: ‚damit ihr mich nicht vergesst‘. Also wer auch immer das Bild gemalt hat, wollte nicht von uns vergessen werden. Und wenn es wirklich Joey Wheeler war, der das Bild gemalt hat, dann ist er sicher wütend und verletzt gewesen, weil wir uns nicht an ihn erinnern konnten.“ Seto runzelte die Stirn und starrte aus dem Fenster. „Wenn er es wirklich war, hätte er uns das doch gesagt.“ Ein Seufzen erklang aus dem Telefon. „Hättest Du ihm denn auch nur ein Wort geglaubt? Damals?“ Seto schwieg und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er kannte die Antwort auf die Frage seines Bruders und sie gefiel ihm nicht. „Vermutlich nicht.“ „Siehst Du. Also ist es kein Wunder, dass er nie etwas gesagt hat, wenn er es tatsächlich ist.“ „Aber trotzdem. Können wir die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen?“ „Nein, Seto! Diesmal nicht. Du hast Dich lange genug versteckt und die Vergangenheit einfach ignoriert. Als Du damals die Vergangenheit hinter Dir lassen und das Waisenhaus und Gozaburo vergessen wolltest, hab ich nichts gesagt. Als Du Dich dann nach der Scheidung zurückgezogen hast und Deine Ex-Frau vergessen wolltest, hab ich ebenfalls geschwiegen und einfach nur gehofft, dass Du irgendwann wiederzurückkommst. Aber jetzt bist Du schon so lange fort und versteckst Dich. Es ist wirklich genug! Ich werde Yugi anrufen und ihn fragen, ob er weiß, wo sich Joey aufhält und dann werde ich Joey nach dem Bild fragen und Du wirst mich diesmal nicht davon abhalten, Seto.“ „Moki…!“ „Komm mir nicht damit, Seto. Du weißt, dass das schon lange nicht mehr bei mir zieht. Bestell Becci und Eric einen lieben Gruß von mir. Ich meld mich später vielleicht nochmal. Bis dann.“ Seto starrte ungläubig auf das Telefon in seiner Hand. Sein frecher, kleiner Bruder hatte einfach aufgelegt. „Ja, ist das denn zu fassen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)