Let me be with you... von Vienne (Liebe geht seltsame Wege) ================================================================================ Kapitel 6: Kiss me ------------------ Es war voll im Crown. Zumindest im Freisitz vorm Café. Es war eine laute Geräuschkulisse. Viel Lachen, Kindergeschrei und Eltern, die ihren Zöglingen hinterher riefen. Sonnenschirme waren aufgespannt wurden. Die Aushilfen rannten im Eiltempo von einem Tisch zum nächsten und nahmen die Bestellungen auf. Verteilten Kaffee und Kuchen. Eis für die Kinder. Zufrieden, dass alle so gut arbeiteten, stand Motoki im Rahmen der Schiebetür und beobachtete das Treiben. Für den September war es ein guter Tag. Er hatte schon verregnetere erlebt. Sein Blick wanderte umher. Irgendwas fehlte. Besser noch irgendwer. Und davon gleich mehrere. Sowohl sein bester Freund Mamoru als auch seine liebste Mädchen-Clique waren heute noch nicht hier gewesen. Er wusste, dass Rei erst morgen wiederkommen würde. Mamoru würde mit seinen Krücken wahrscheinlich eh nicht kommen. Er hatte ihm neulich erst am Telefon gesagt, dass ihm das in den öffentlichen Verkehrsmitteln einfach viel zu umständlich und anstrengend war. Motoki war noch in Gedanken, als ihn eine Stimme da heraus riss. Verwirrt sah er sich um und eine Minako, die scheinbar vollkommen aufgelöst auf ihn zugestürmt kam. Sie strauchelte beim Bremsen ein wenig und er fing sie auf. “Entschuldigen Sie bitte.”, Minako drehte sich zu einem Pärchen um, wo sie den männlichen Part angerempelt hatte. Er quittierte es mit einem Nicken und die Blondine wandte sich ab und Motoki zu. “Was ist denn los, Mina? Du bist ja ganz durcheinander.” “Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten oder hast du zu tun?” “Ich hab Zeit. Die Jungs haben alles unter Kontrolle. Komm mit. Wir gehen ins Hinterzimmer.” “Motoki!”, Minako klang empört und grinste gleichzeitig. Er erwiderte es und schob sie vor sich her und in Richtung des kleinen Aufenthaltraumes, der sich hinter der Theke befand. Die beiden verschwanden darin und das Mädchen ließ sich augenblicklich auf das alte Sofa fallen. Ihre Tasche glitt neben sie auf den Boden. Motoki nahm ihr gegenüber Platz und sah sie fragend an. Legte den Kopf schief. “Erinnerst du dich an unser Gespräch gestern Nachmittag? Als die Schulkameraden von Mamoru hier auftauchten und diese Kiriko meinte, Rei würde nicht zu Mamoru passen.” “Ja.” ”Und an die Reaktionen von Ami und Mako?” ”Ja. Sie beharrten darauf, dass Rei und Mamoru zusammen gehören würden. Aber warum fragst du mich das überhaupt?” ”Ich hab mich mit ihnen gestritten.”, Minako lehnte sich zurück und schaute zur Decke. “Deswegen?” ”Ja. Und weil wir Usagi und Mamoru zusammen gesehen haben.” “Was?”, der junge Mann saß kerzengerade in seinem Sessel. “Ami, Mako und ich waren bummeln. Ich hatte vorher Usagi eine Nachricht geschickt und sie meinte, sie käme nicht mit. Mamoru wäre vor ihrer Tür gestanden und hat sie zum Eisessen eingeladen. Sie klang sehr glücklich. Erst recht als sie mir erzählt hat, dass er ihr ein Kompliment zu ihren offenen Haaren gemacht hat.”, das Mädchen lächelte, “Wir haben sie vorhin in einem kleinen Straßencafé gesehen. Mako und Ami dachten, dass Mamoru Rei mit einer anderen betrügen würde. Hätten sie das nicht gesagt, hätte ich geschwiegen. Aber so hab ich ihnen erzählt, dass es Usagi wäre. Du hättest die beiden, also Usagi und Mamoru mal sehen müssen. Sie wirkten total gelöst. Haben gelacht und als sich ihre Finger berührten, sind sie wahrscheinlich gerade in den Augen des jeweils anderen ertrunken.” ”Echt? Na wenn da mal nichts läuft. Scheint so, als wären die beiden total ineinander verliebt.” ”Das glaube ich auch. Aber erzähl das mal Ami und Mako. Die wollten davon gar nichts wissen. Sie meinten, dass Usagi nur nett wäre und Mamoru langweilig und sie ihn davon ablenken wollte. Und das wenn Rei wieder da ist morgen, alles wieder beim Alten wäre. Sie denken wirklich, dass er fix mit Rei zusammen ist. Selbst als ich ihnen sagte, dass er nur aus Nettigkeit mit ihr ausgeht. Ich meine, Mamoru hat noch nie Rei gefragt oder?” ”Nein. Nicht das ich mich daran erinnern könnte. Er war teilweise sogar eher genervt von ihren Flirterein.” “Eben. Und heute hat er Usagi gefragt. Er hat sie nach einem Date gebeten. Vielleicht nicht offiziell, aber sie sind zusammen ausgegangen. Sie und er. Und glaub mir, nicht nur aus Nettigkeit. Aber wie gesagt, Mako und Ami sind da vollkommen anderer Meinung.” Motoki sah, wie verzweifelt die Blondine war. Sich aufgebracht durch die blonde Mähne fuhr. Laut fluchte und seufzte und wahrscheinlich am liebsten Dinge zerschlagen hätte. Er sah ganz genau ihre Wut in den Augen. Und konnte es durchaus nachvollziehen. Schon lange war er der Meinung, dass sein bester Freund in seine beste Freundin verliebt war. Und umgekehrt genauso. Doch sie hatten irgendwie keinen guten Start gehabt. Waren ständig aneinander gerasselt und schnell zum Mittelpunkt des Crown geworden, sobald sie dort auftauchten. “Wie wird Rei reagieren, wenn sie es erfährt?”, er blickte Minako direkt an. “Keine Ahnung. Ich nehme an, sie wird sich fürchtlich aufregen und zu einer Furie mutieren. Sie wird Usagi allein die Schuld daran geben. Wahrscheinlich wird sie auf dem Standpunkt beharren, dass sie Mamoru verführt hätte oder so ein Blödsinn.” ”Naja, so falsch ist es ja nicht.” “Ich weiß. Aber es gehören immer noch zwei dazu.”, Minako sah den jungen Mann herausfordernd an, “Und erinnere dich an letzten Sommer.” Motoki wusste sofort, was sie meinte: ”Der Tag an dem Rei auf Mamoru traf, als der sich gerade einen wunderbaren Streit mit Usagi lieferte.” ”Genau.” “Ich erinnere mich. Die beiden waren aneinander geraten, weil er sie mit ihrer schlechten Mathenote aufgezogen hatte und sie steigerten sich immer mehr rein.” ”Aber es war nicht bösartig.” “Nein, sie hatten Spaß.” ”Und dann kam Rei.” “Und dann kam Rei.”, wiederholte er ihre Worte, “Sie begann sofort mit den Flirtversuchen. Mina?” ”Hm.” ”Glaubst du, die beiden wären schon letzten Sommer zusammengekommen, wenn Rei nicht aufgetaucht wäre?” ”Ja. Und was denkst du?” ”Ich denke auch.”, er war aufgestanden und reichte ihr die Hand. Zog sie hoch: ”Was machen wir jetzt?” ”Keine Ahnung. Ich befürchte nur, dass wenn wir eingreifen, alles nur noch schlimmer wird. Obwohl, ich wette, dass Ami und Mako ohnehin Rei davon erzählen werden. Usagi und Mamoru sind schon so gut wie tot.”, sie seufzte und massierte sich die Schläfen, “Ich denke, wir sollten wirklich erst eingreifen, wenn es zu sehr ausartet.” “Einverstanden.” Das Mädchen folgte ihm zur Tür und wieder in den Gastraum. Setzte sich ihm gegenüber an den Tresen. Sie hoffte wirklich, dass alles gut gehen würde. Sie gönnte es ihrer Freundin von Herzen. Schließlich nahm die sich immer zurück, wenn es um sie selbst ging. Doch Minako wusste, dass Mamoru ihr gut tat. Zu ihr passte. Und das es andersherum genauso war. So locker wie heute hatte sie den Schwarzhaarigen bisher noch nie erlebt. Die Blicke die er Usagi geschenkt hatte, sprachen Bände. Ganze Bücher hätte man damit füllen können. Das Mädchen seufzte. Bedankte sich bei Motoki für den Himbeershake. Sie nahm sich vor, das Thema im Beisein von Ami und Makoto nicht mehr anzusprechen. Und schon gar nicht vor Rei. Die würde ohnehin noch früh genug erfahren, was da zwischen ihrem vermeintlich festen Freund und ihrer Freundin lief. “Mach dir nicht so einen Kopf.”, Motoki grinste sie aufmunternd an. “Ich versuch’s.” Auf den Straßen war immer noch viel los. Die meisten Menschen nutzten die noch verbleibende Zeit des Nachmittages, um einkaufen zu gehen. In den Einkaufspassagen war immer noch Hochbetrieb. Soviele Leute wie in die Geschäften hinein fanden, wurden zeitgleich wieder heraus gespült. Auf den Gehsteigen schien es ein stetiger Fluss zu sein, der lauter bunte Flecken transportierte. Niemand war in Eile, aber es war eine gewisse Hektik zu spüren. So wie es in den meisten Metropolen der Welt der Fall war. Tokio war da sicher keine Ausnahme. Und doch störten die Menschen sich nicht daran. Waren es gewöhnt und hatten sich angepasst. Sie ließen sich nicht die Laune verderben. Sie bekamen von der Hektik nichts mit. Genauso wenig wie sie im Café irgendetwas wahrgenommen hatten, war auch jetzt alles herum egal. Nur sie waren wichtig. Nur die Nähe des jeweils anderen. Die Menschen schienen ihnen auszuweichen. Schienen einen Bogen um sie zu machen. Sie konnten ab und an ein Fluchen hören, was man ihnen widmete. Doch sie lachten nur leise darüber und schüttelten die Köpfe. Ab und an blieben sie an einem Schaufenster stehen. Betrachteten es und diskutierten darüber, was sie dort sahen. Oftmals waren sie überraschenderweise der gleichen Meinung. Dann sahen sie sich verdutzt an und ertranken in den Augen des jeweils anderen. Mussten sich dann immer losreißen, um weiter zu gehen. Ihre Finger waren ineinander verschlungen. Sie konnten und wollten sich nicht loslassen. Der Tag wäre ohnehin viel zu schnell vorbei. Usagi blieb vor einem Laden stehen, der Krimskrams verkaufte. Die Sachen waren nicht besonders wertvoll. Aber mit viel Glück hatte sie dort schon kleine Unikate erstanden. Sie zeigte Mamoru einen Anhänger, der an einem Verkaufsständer vorm Eingang hing. Es war ein einfaches Schmuckstück. Ein Sichelmond in Silber. Ohne viel Schnickschnack. Mamoru nahm ihn ihr aus der Hand und ließ ihre Hand los. Perplex starrte das Mädchen erst auf ihre Hand und dann dem jungen Mann hinterher, der im Laden verschwunden war. Sie ging ihm hinterher, kam aber nicht weit. Mamoru hatte sich schon umgedreht und grinste sie vergnügt an. Ihr Blick schien ziemlich dämlich zu sein, denn er begann schon zu lachen. “Was ist denn? Warum lachst du so?”, sie schaute ihn schmollend an. “Schau mal hinter mich.” “Was?” “Tu es einfach, Usako.” Sie nickte nur. Schaute an ihm vorbei und in Richtung des Verkauftresens. “Oh.” “Das dachte ich auch.”, Mamoru drehte sich ebenfalls um und winkte der älteren Dame, die sie beide im Bus kennengelernt hatten, zu. “Gehört ihnen der Laden?”, das Mädchen ging in Richtung Kasse. “Ja. Aber unter der Woche stehen meistens mein Sohn und meine Schwiegertochter hier. Ich mach das nur noch am Wochenende.”, die Dame lächelte, “Sie scheinen immer besser mit den Krücken gehen zu können.” “Es geht so. Am liebsten wäre es mir natürlich ohne.”, Mamoru verdrehte ein wenig die Augen. “Das verstehe ich. So ein junger Mann wie sie möchte natürlich lieber schneller unterwegs sein. Aber mit so eine lieben Freundin als Krankenschwester werden sie sicher schnell wieder gesund.” Mamoru und Usagi sahen sich an. Sie lächelte scheu und auch er wurde ein wenig rot um die Nase. “Na zeigen Sie ihr doch mal ihr Geschenk.” ”Geschenk?”, die Blondine sah erst zu der Dame und dann zu Mamoru. Der zauberte wie von Geisterhand eine kleine Schachtel hervor. “Mach sie auf.” ”Was?” “Mach sie auf, Usako.” Vorsichtig und fast schon ehrfürchtig öffnete das Mädchen die kleine rosa Schachtel. Nahm langsam die Kette samt Anhänger heraus. Samt Sichelmond-Anhänger. Mit offenem Mund starrte sie das Schmuckstück an und dann Mamoru. “Aber...”, Tränen sammelten sich in ihren Augen. “Nicht weinen, Prinzessin.”, die ältere Dame trat zu ihr und reichte ihr ein Taschentuch, “Freuen Sie sich, dass er Ihnen solch ein schönes Geschenk macht. Haben Sie denn heute einen besonderen Tag? Oh verzeihen Sie. Aber ich bin immer schrecklich neugierig.” “Schon okay.”, Mamoru lächelte und legte Usagi die Kette um den Hals, “Aber eigentlich ist es gar kein besonderer Tag.” “Doch.” Überrascht blickte er zu dem Mädchen. In Sekundenbruchteilen lag sie in seinen Armen. Seine Krücken fielen klappernd zu Boden. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie die Dame sie aufhob und in den Armen hielt. Er wollte etwas sagen, konnte aber nicht. Sein Kopf war leer gefegt. Er spürte ihre Finger, die in seinem Nacken mit seinen Haarspitzen spielte. Sah ihre leuchtenden blauen Augen. Die Freude darin. Sein Herz raste. “Heute ist ein besonderer Tag.”, ihre Worte waren leise und doch laut genug für alle Anwesenden. Langsam näherte sie sich mit ihrem Gesicht seinem. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und in ihrem Bauch flogen die Schmetterlinge kreuz und quer. Was sie gerade im Begriff war zu tun, war vollkommen verrückt. Genauso verrückt wie Mamoru sie gerade machte. Sie stand auf ihren Zehenspitzen und spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Er atmetet recht schnell. So wie sie. War er vielleicht genauso nervös wie sie gerade? ”Was ist denn heute so besonders?”, er flüsterte. Das sie beobachtete wurden, hatten sie schon längst vergessen. Und selbst wenn sie es noch gewusst hätten, wäre es ihnen vermutlich ziemlich egal gewesen. “Es ist der Tag, an dem wir uns das erste Mal geküsst haben.” Die letzten Worte kamen ihr tonlos über die Lippen, die keine Sekunde später mit seinen verschmolzen. Es war nur ein flüchtiger, zarter Kuss. Aber er sagte alles. Kaum eine Minute später trennten sie sich wieder. Sahen sich verklärt an. Ein Räuspern war zu vernehmen und beide drehten sich um. Die altere Dame lächelte sie breit und wissend an: ”Ach so jung und die erste große Liebe. Es ist immer wieder schön, so etwas in meinem Alter noch zu sehen.” Usagi und Mamoru schwiegen lächelnd. “Hier.”, die Frau reichte ihm seine Krücken, “Genießen Sie beide doch bitte noch das schöne Wetter. Und die traute Zweisamkeit.” Sie schob das Paar langsam aber bestimmend zur Tür. Vorbei an einer Horde Teenager, die gerade dabei waren, den Laden zu betreten. Die Dame wünschte den beiden alles Gute und winkte ihnen noch kurz fröhlich hinterher, bevor sie wieder im Inneren ihres Ladens verschwand. Mamoru und Usagi sahen ihr noch kurz nach, bevor sie langsam weiter liefen. Das Mädchen nahm ihm eine der Krücken ab, so dass er nur mehr eine nutzte. Sie schmiegte sich an ihn. Darauf bedacht, ihn nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. “Magst du noch weiter bummeln?”, er sah zu ihr, als sie an einer roten Ampel stoppten. “Was hälst du vom Jubaan-Park. Es ist sowieso erst fünf.” ”Sicher. Da haben wir auch ein wenig Ruhe.” Usagi nickte. Sie wusste, worauf er hinaus wollte. Sie mussten reden. Dringend! Es war etwas zwischen ihnen. Es musste geklärt werden. Als sie im Park ankamen, war dieser fast wie ausgestorben. Scheinbar hatten nur ein paar wenige Pärchen den Weg hierher gefunden. Sie saßen spärlich verteilt auf dem weitläufigen Gelände. Usagi und Mamoru suchten sich eine Bank am See. Ließen sich darauf nieder und betrachteten die Enten, die laut schnatternd auf sie zu kamen, in der Hoffnung, die beiden hätten Brot für sie dabei. Der Wind war ein wenig aufgefrischt und ließ das Wasser sich kräuseln. Leise raschelten die Blätter und die Rosen an den Büschen hinter ihnen wogen leicht hin und her. “Letzte Woche saß ich hier mit Rei. Da hat sie mir gesagt, dass ich bei dir vorbei schauen soll.”, das Mädchen knetete nervös den Stoff ihres Pullis, “Nun sitze ich hier mit dir.” “Du hast mich geküsst.” “Tut mir leid.” “Warum?” ”Weil ich dachte, dass, wenn du mich bis jetzt nicht geküsst hast, ich eben den ersten Schritt machen muss. Ich meine, wir hatten diverse Momente, wo wir die Chance dazu gehabt hätten. Als ich über deinen Teppich gestolpert bin. Oder in der Küche. Oder, oder vorhin im Café. Und als du mir den Anhänger geschenkt hast, und ich danke dir von Herzen für das schöne Geschenk, konnte ich nicht anders. Warum hast du ihn mir überhaupt geschenkt? Ich meine, dass hättest du nicht tun müssen. Jetzt muss ich dir auch was schenken. Dabei weiß ich gar nicht was. Sag mir, was du dir wünschst und ich...” Sie wurde abrupt unterbrochen. Spürte seinen Zeigefinger auf ihren Lippen und sah sein Lächeln, dass sie fast schon zum Schmelzen brachte. “Kann es sein, dass du dich gerade um Kopf und Kragen redest, Usako?” Sie nickte nur und wurde rot um die Nase. “Hör mal, du musst mir nichts schenken. Ich hab dir den Anhänger geschenkt, damit du dich immer an diese Woche, in der du mich wirklich verrückt gemacht hast, erinnerst. Es waren tolle Nachmittage. Es ist ein toller Nachmittag. Das du mich vorhin geküsst hast, hat mich glücklich gemacht. Ich muss zugeben, dass ich mich wirklich nicht getraut hätte. Somit danke ich dir dafür, dass du den ersten Schritt gemacht hast. Danke!”, er beugte sich zu ihr und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. “Wie geht es jetzt weiter? Rei wird morgen wieder da sein.”, Usagi versank in seinen Augen. Mal wieder. Der Oberstufenschüler sah sie an, strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und warf dann den Kopf in den Nacken. Seufzte laut. “Mamo-chan?” “Soll ich ehrlich sein?” ”Ja.” “Ich hab nicht die leiseste Ahnung. Noch nie in meinem ganzen Leben, und wir reden hier von achtzehn Jahren, war ich so planlos wie jetzt gerade. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich weiß nicht, was ich tun oder sagen soll. Mal ganz zu schweigen davon, wie ich mich Rei gegenüber verhalten soll. Du hast mich wirklich vollkommen durcheinander gebracht in den letzten Tagen, Usako.” ”Das tut mir leid.” “Muss es nicht.”, er lachte auf und schaute sie an, “In der komplette letzte Woche hast du mein Leben auf den Kopf gestellt. Bis Montag dachte ich von dir nicht wirklich das Beste. Und das tut mir auch jetzt leid. Ich hätte nie im Leben vermutet, dass du so bist, wie ich dich erlebt habe. Du warst und bist wie ausgewechselt. Ich hab in den letzten Tagen den Stunden unserer Treffen entgegen gefiebert. Das ist auch ein Grund, warum ich heute zu dir gefahren bin. Ich weiß, dass ich mich wahrscheinlich gerade wie ein Vollidiot anhöre. Tut mir leid.” ”Du hörst dich nicht wie einer an.”, ihre Stimme war leise und vor der Frage, die sie jetzt stellen wollte, hatte sie ein wenig Angst, “Willst du mich wiedersehen?” “Ja.”, er war selbst über seine laute Antwort überrascht. “Ja?” ”Ja! Ich will dich unbedingt wiedersehen. Jeden Tag. Und wenn ich dafür wieder am Tisch mit deinem seltsamen Vater sitzen muss.” “Dann müssen wir es Rei sagen.” “Ich weiß. Und ich werde derjenige sein, hab ich Recht?” Das Mädchen nickte. Wollte gerade antworten, als ihr Handy klingelte. Sie zog es ein wenig umständlich aus der Tasche und erschrak, als sie den Namen des Anrufers auf dem Display sah. Mamoru entging ihre Reaktion nicht: ”Rei!” “Ja. Soll ich...” ”Ja, geh ran.” Sie nickte nur und schob mit zitternden Fingern den grünen Telefonhörer über den Bildschirm und nahm das Handy ans Ohr: “Hallo Rei!” “Endlich erreich ich dich. Mensch, warum bist du denn nicht ans Handy gegangen?”, Rei klang hektisch und erleichtert zu gleich, “Ich hab schon gedacht, dir ist was passiert. Was kein Wunder wäre. Immerhin bist du wirklich der größte Tollpatsch, den ich kenne.” “Ich hatte immer viel zu tun. Mamoru hat mich rumgescheucht.” “Habt ihr euch vertragen?” ”Ja. Halbswegs. Warum rufst du eigentlich an? “Ich wollte fragen, ob du weiß, wo Mamoru ist? Sein Handy ist scheinbar auf lautlos gestellt. Er geht nicht ran.” “Mamoru, ähm...”, Usako blickte zu Mamoru. Er hatte teilweise mitgehört und bedeutete ihr nun zu sagen, dass sie mit ihm einen kleinen Spaziergang machte. Sowas war ja schließlich wirklich nicht verboten. “Usagi, bist du noch dran?” “Ja, sorry. Da war gerade so ein Rauschen in der Leitung. Was war nochmal mit Mamoru?” “Ich hab gefragt, ob du weißt, wo er ist. Er geht nicht an sein Handy und zuhause ist er scheinbar auch nicht.” “Er steht neben mir.” “Neben dir? Aber wieso das denn?” ”Nach dem er mir gestern tierisch auf den Keks gegangen ist und rumgejammert hat, weil er nicht aus der Bude kommt, hab ich mir gedacht, ich zieh ihn mal auf die Straße. Wir sind gerade im Jubaan-Park.” “Aha.” ”Soll ich was ausrichten?” ”Nein. Schon okay. Ich sehe ihn ja eh am Montag. Da kann er sich morgen noch von dir erholen.”, das Mädchen kicherte, “Und bring ihn wieder heil nach Hause.” “Ich versuch’s.” “Danke. Wir sehen uns sicher am Montag im Crown, oder?” ”Klar. Hab noch einen schönen letzten Tag in Kobe.” “Danke. Bis übermorgen.” ”Bis dann!”, Usagi packte ihr Handy wieder in ihre Tasche. Sah dann zu Mamoru. “Sie macht sich wirklich keine Gedanken darum.” “Sie sieht mich nicht als Konkurrenz an.” “Du klingst enttäuscht. Bist du immer noch sauer auf sie?”, er sah sie fragend an. “Schon. Ich überlege schon seit Mittwoch, wie ich ihr sagen kann, dass ich ihren Beweggrund weiß. Aber immer wenn ich mir einen Satz überlegt habe, werde ich wütend. Und ich weiß, dass ich ihr den sicherlich genauso wütend an den Kopf schleudern werde. Und nun ist alles noch viel komplizierter geworden.”, sie lehnte sich gegen ihn. Ihr Herz schlug ihr wieder bis zum Hals. Seine Nähe machte sie wahnsinnig. Er hatte den Arm um sie gelegt, näher an sich gezogen. Hätte er es gekonnt, hätte er die Zeit angehalten. Aber sowas war nicht möglich. Tief atmete er ihren Duft ein. Sie roch nach Pfirsich und Vanille. Mamoru hauchte ihr einen leichten Kuss auf den Haarschopf. Sie hatte ihm vorhin im Café eine Liebeserklärung gemacht. Mehr oder weniger. Aber ihre Worte hatten sein Herz berührt und ließen es seitdem in einem unregelmäßigen Takt schlagen. Er hatte nicht viel darauf geantwortet. Sie hatte ihn sprachlos gemacht. Und ohnehin war er schon immer der Typ Mensch gewesen, der nie viel über Gefühle sprach. Für ihn war Verliebtheit bisher immer nur eine wilder Vermischung chemischer Botenstoffe gepaart mit Hormonen gewesen. Doch Usagi ließ ihn diese Gedanken über den Haufen werfen. Ihm war klar, dass das zwar schon irgendwie so war. Aber trotzdem noch nicht alles. Er schluckte schwer. Doch er war sich sicher, dass er ihr das jetzt Folgende sagen sollte und musste. Irgendwie war er es ihr schuldig. “Usako?” ”Hm?”, sie sah zu ihm auf. “Du hast mich vorhin im Café gefragt, ob Liebe immer so kompliziert ist.” Usagi nickte. “Das was zwischen uns gerade ist, ist gar nicht so kompliziert. Es ist vielleicht neu für uns, weil wir es nicht gekannt haben, aber es ist nicht kompliziert. Auch wenn wir es unseren Freunden noch sagen und Reis Herz mehr oder weniger brechen müssen, ist es im Grunde doch ganz leicht. Ich meine, wir sitzen hier, oder?” “Ja.” “Wir haben uns geküsst, richtig?” ”Ja.” “Also was ist daran kompliziert? Eigentlich ist doch alles klar.” Das Mädchen hob eine Augenbraue und sah ihn verwirrt an: ”Worauf willst du hinaus?” ”Na was glaubst du?” ”Du meinst, dass wir, also du und ich, dass wir ein Paar sind?” “Jepp!”, er grinste von einem Ohr zum anderen, “Oder siehst du da irgendwas anders?” Sie schlug die Hände vor den Mund und in ihren Augen sammelten sich die Tränen. Sie wollte etwas sagen. Ihm erklären, dass sie vor Freude heulte. Doch stattdessen schlang sie einfach nur die Arme um seinen Hals und drückte ihre Lippen auf seine. Versank mit ihm in einem innigen Kuss, während die erste Träne ihre Wange hinunter kullerte. Sie spürte seine Hände auf ihrem Rücken und in ihrem Nacken. Wie er sie näher an sich zog. Als beide den Kuss nach einer gefühlten Ewigkeit beendeten, lehnte Mamoru seine Stirn an ihre. Sah ihr direkt in die Augen. Sah das Glück darin. Sie waren glücklich. Sie waren zusammen. Sie waren verliebt. Und sie waren unbesiegbar. Mittlerweile war es dunkel draußen, als sie den Appartementblock von Mamoru erreichten. Usagi hatte zuhause bereits angerufen und gesagt, dass es später werden würde. Mehr musste sie ihrer Mutter, die abgenommen hatte, nicht erklären. Vielleicht morgen oder nächste Woche. Aber nicht mehr heute. Heute wollte sie nur noch mit Mamoru auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer sitzen und den angebrochenen Schokoladenvorrat weiter plündern, dabei Kakao trinken und ihn ab und an küssen. Sie nahm seinen Schlüssel und schloss die Haustüre auf. Hielt sie ihm auf, während er an ihr vorbei humpelte und in Richtung Aufzug. Sie war natürlich schneller als er und betätigte den Knopf. Die Tür des Lifts sprang sofort auf und sie stiegen ein. Sie zog ein paar Haarklammern aus der Tasche und steckte sich die Haare zu ihren zwei Knoten zusammen. Erklärte es Mamoru damit, dass sie den Nacken gerne wieder etwas luftiger hätte und brachte ihn somit zum Schmunzeln. Mamoru drückte sein Stockwerk. Dann zog er das Mädchen an sich ran und küsste sie. Ihre Lippen waren wie eine Sucht für ihn. Seit ihrem ersten Kuss sehnte er sich stetig nach mehr. Und sie lies ihn gewähren. Zu seinem Glück. Ihre zunächst zaghaften Küsse hatten sich in den letzten zwei Stunden zu intensiveren, leidenschaftlicheren gewandelt. Waren fordernd geworden. Und Mamoru fragte sich jedes Mal, warum sie sich nicht gleich bei ihrer ersten Begegnung geküsst anstatt gestritten hatten. Soviel wertvolle Zeit war verloren gegangen. Am liebsten hätte er sie für immer bei sich behalten. Der Aufzug gab das Zeichen, dass sie das gewünschte Stockwerk erreicht hatten. Usagis Lippen trennten sich von seinen. Verlegen lächelte sie ihn an und drehte sich dann zur Tür. Ordnete ihre Kleidung ein wenig, strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Langsam schob sie dir Türe auf. Mamoru war neben sie gehinkt und stubste sie liebevoll an. Sie grinste nur: ”Warte wenigstens bis wir bei dir sind.” ”Warum denn, war doch keiner sonst da drin außer uns beiden.” “Baka.” ”Ich dich auch!” Sie lachte. Genau wie er. “Da seid ihr ja endlich.” Erschrocken verstummten sowohl Mamoru als auch Usagi und sahen nach vorne. Den Gang entlang. “Rei.”, Mamorus Stimme war rau, “Was machst du hier? Ich dachte, du kommst erst morgen Nachmittag. Und wir sind doch auch erst für Montag verabredet.” Die Schwarzhaarige kam fröhlich auf ihn und ihre Freundin zu. Umarmte erst Usagi, die stocksteif dastand und keine Worte fand. Dann umschlang sie Mamoru. Schmiegte sich an ihn: ”Opa und ich haben schon den heutigen Zug genommen. Ich wollte dich überraschen, deswegen habe ich dir nichts gesagt. Sorry für die kleine Notlüge. Aber ist das nicht toll?” ”Ich mag keine Überraschungen.” “Ach komm schon, Mamoru. Freu dich doch mal. So können wir den ganzen Sonntag zusammen verbringen. Nur du und ich. Dann können wir spazieren gehen.” ”Ich war heute schon genug spazieren, stimmt’s Usagi?” Ihr voller Name jagte dem genannten Mädchen einen Schauer über den Rücken. Seine Stimme klang kalt und fremd. Sie versuchte die Tränen zurückzuhalten. Nickte nur. “Dann machen wir es uns eben auf dem Sofa gemütlich und schauen einen unserer Lieblingsfilme.” Usagi wurde schlecht. Allein die bloße Anwesenheit von Rei ließ ihr speiübel werden. “Danke, dass du ihn zurück gebracht und auf ihn aufgepasst hast, Usagi.”, die Schwarzhaarige drückte ihre Freundin erneut. “Kein Ding. War schon okay mit ihm.”, sie schaute ihrer Freundin nicht in die Augen und stattdessen zu Mamoru. Sie sah seine Angst darin. Vermischt mit Wut und Frust und sie konnte all diese Gefühle nur allzu gut nachvollziehen. “Jetzt kümmere ich mich wieder um ihn.” “Tu das. Ich muss los.” Ohne ein weiteres Wort rannte Usagi zurück zum Aufzug. Drückte verzweifelt auf den Knopf und rannte schlussendlich doch die Stufen hinunter. Ihre Finger umklammerten fest den Anhänger um ihren Hals. Es war vorbei. Es war vorbei, noch ehe es richtig beginnen konnte. Rei war zurück und hatte unmissverständlich klar gemacht, dass sie Mamoru wollte. Entfernt hörte sie ihren Namen. Hielt an und schaute im Treppenhaus nach oben. Sah sein Gesicht. Doch sie schüttelte nur den Kopf und rannte weiter hinab. Durch das Foyer, an den Briefkästen vorbei und hinaus. Zurück blieb eine sich wundernde Freundin, die sich aber keine großen Gedanken um Usagi machte und ein verwirrter und wütender Mamoru. Er verfluchte seinen Muskelfaserriss. Ohne Krücken wäre er ihr jetzt hinterher gehechtet. Egal was Rei dann gedacht hätte. Doch so konnte er nichts tun, als ihren Namen zu rufen. Ohne ein Chance sie dadurch aufzuhalten. Sein Herz schrie nach ihr. Sein Verstand schallte ihn einen unsäglichen Dummkopf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)