Five Days von CaroZ ================================================================================ Kapitel 4: Tag 3 ---------------- Tag 3 Am dritten Tag flackerte das Licht. Auf dem ganzen Schiff verfiel die Beleuchtung immer wieder in Wackelkontakt, zuckte minutenlang wie ein Blitzgewitter, ehe sie mit halber Intensität wieder ansprang. Stellenweise war das Flackern dauerhaft und dabei von so hoher Frequenz, dass das Auge es kaum verfolgen konnte, das überreizte Hirn jedoch mit Migräneattacken darauf reagierte. Es war, als wäre es dem System nicht mehr möglich, die nächtliche Notbeleuchtung voll gegen das künstliche Tageslicht auszutauschen. Unter Flimmern und Klicken saß die Steuermannschaft auf der Brücke vor den Geräten und kämpfte gegen wachsende Nervosität und Unwohlsein an. Bereits in den frühen Morgenstunden ereignete sich ein erster epileptischer Anfall, der den Austausch eines Crewmitglieds nötig machte. Weit von einem epileptischen Anfall entfernt, aber dennoch alles andere als heiter gestimmt war an diesem Morgen Tony Stark, als er vor dem kleinen Spiegel in seinem Quartier stand – der im Übrigen kaum groß genug war, um die eigene Nase darin näher zu betrachten – und pünktlich während der Rasur von einem Beleuchtungsausfall überrascht wurde, was ihn zwang, die Morgentoilette zu unterbrechen. Nur mit einem Feinripp-Unterhemd und Boxershorts und mit dem Gesicht voller Rasierschaum trat er schicksalsergeben vor die Tür und klopfte an die seines Nachbarn. »Bruce?«, rief er ungeduldig. »He, haben Sie Licht?« »Kommen Sie rein«, lautete die knappe Antwort von drinnen. Stark tat wie geheißen und fand Banner zerzaust und müde auf seinem Bett sitzend vor. Der Wissenschaftler schenkte ihm ein mühsames Lächeln. »Lassen Sie sich Zeit. Ich war schon im Bad.« Stark musterte ihn skeptisch. »Na, munter wie ’n Springmäuschen sehen Sie ja nicht aus. Wo waren Sie gestern Abend?« »Ich hab geschlafen«, antwortete Banner spröde. »Den ganzen restlichen Tag. Ich weiß auch nicht, was los war. Irgendwas …« Er hielt inne, befeuchtete sich die Lippen und fuhr mit leiserer Stimme fort: »… Irgendwas stimmt auf diesem Flugzeug nicht, Tony.« »Das sagen Sie jemandem, der’s längst bemerkt hat.« Achtsam ließ Stark vor Banners Spiegel den Klingenaufsatz über seine Wange gleiten. Pepper hasste es, wenn er nicht ordentlich rasiert war. Wie vermutlich die meisten Frauen. Durch die offene Tür des winzigen Badezimmers unterbreitete er dem Kollegen seine Theorie: »Die ganze Atmosphäre in diesem fliegenden Bunker wird übler, seit wir Loki an Bord haben. Und obwohl wir glauben, dass wir uns von seinem Einfluss abgeschottet haben, wird’s kein bisschen besser.« Er reckte das Kinn, um auch seinen Hals von Stoppeln zu befreien. »Sie meinen, er ist es immer noch«, murmelte Banner. »Jap. Das meine ich. Sie sind der Physiker, Bruce, was sagen Sie dazu? Wir alle fühlen uns mies, wir … sind unfreundlich zu einander, wenn’s nicht nötig ist …« »Tony, meistens sind Sie unfreundlich, wenn es nicht nötig ist«, unterbrach Banner ihn von draußen. Starks Hand mit dem Rasierer stoppte auf halbem Weg. »Was ich meine«, fuhr Banner wesentlich sanfter fort, »ist, dass die anderen es hin und wieder nicht leicht haben, Ihre Sympathie zu gewinnen. Besonders Rogers lassen Sie ganz gerne mal abblitzen. Ist es nicht so?« »Finden Sie?« Stark dachte darüber nach. Er hatte sich doch bisher wirklich gut benommen, oder nicht? Seine Abneigung gegen S.H.I.E.L.D., blinden Gehorsam und Experimente an Personen hatte er nicht mehr heraushängen lassen als es nötig gewesen war, um nicht durchzudrehen. Der Rest war einfach … er. So war er. Ging nicht anders. Deal with it. »Ich geb mein Bestes«, sagte er ehrlich. »Kuscheliger wird’s nicht.« »Das dachte ich mir schon.« Stark hörte, wie der andere aufstand. Damit gab er wohl einer wachsenden inneren Ruhelosigkeit nach. »Wollen Sie wirklich hören, was ich denke?« »Klar.« »Das Gerät, mit dem wir Lokis Einfluss messen können, wurde noch nicht erfunden.« Blinzelnd starrte Stark in sein eigenes braunes Auge. Es kam nicht oft vor, dass jemand anders das aussprach, was er dachte. »Der Kerl schickt irgendwelche Strahlen in unsere Köpfe und in die technischen Geräte. Wollen Sie das damit sagen?« »Also … Ich weiß, es klingt absurd, aber … ja.« »Gut. Seh ich auch so.« Er hörte, wie Banner sich rührte. »Haben Sie einen Plan, Tony?« »Nö, noch nicht. Aber der kommt schon noch.« Schwungvoll klatschte er sich zwei Handvoll Aftershave ins Gesicht. »Ich muss mir das Zepter noch mal ansehen.« »Immerhin eine Beschäftigung«, seufzte Banner. »Sind Sie dann fertig?« »Gleich.« »Ich gehe schon vor. Machen Sie meine Tür einfach zu.« »Geht klar.« Stark hörte Banner hinausgehen, während er weiterhin in den Spiegel starrte. Eigentlich hatte er gehofft, nach der Rasur wieder etwas frischer und gepflegter auszusehen – natürlich nicht so adrett wie Steve Rogers, das war schließlich unmöglich –, doch das Ergebnis fiel eher mäßig aus. Immer noch sah er, genau wie die anderen an Bord, irgendwie … erledigt aus. Stumpf. Grau. Abgekämpft. Dabei konnte seit den letzten Tagen von harter Arbeit keine Rede sein. Irgendetwas anderes war hier am Wirken. Und es gefiel ihm nicht. Irgendwann trocknete er sich die Hände ab und machte sich gleichfalls auf den Weg zur Besprechung. Thor wusste nicht, was an diesem Morgen in seinem Kopf vorging. In schlafwandlerischer Benebelung erhob er sich von seinem Lager, wusch sich und kleidete sich an, ohne über die weiteren bevorstehenden Ereignisse nachzudenken, die seine Mitarbeit erforderten. Kaum beachtete er die Begrüßungen der anderen beim Frühstück, ließ die vorsichtigen Ansprachen am Tisch wie im Traum an sich abprallen, achtete nicht einmal wirklich auf das, was er aß, während sein Blick trübe durch den grauen Saal glitt, welcher der imposanten Speisehalle in der Residenz seiner Familie nicht annähernd gleichkam. Ohne jede Aufmerksamkeit stand er nach Beendigung der Routine wieder auf und ging, wohin auch immer seine schweren Füße ihn tragen mochten. Und als er vollends zu sich kam, stand er vor Lokis Zelle. Es war die Kälte, die ihn wachgerüttelt hatte. Das unstete, blinkende Licht, noch offensichtlicher künstlich als sonst, ließ den tristen Ort noch unheimlicher wirken, reizte seine trägen Sinne zu hellster Wachsamkeit. Er konnte sich nicht erinnern, hierher gekommen zu sein. Konsterniert rieb er sich die Augen und die frierenden Arme. Was wollte er hier, ohne eine konkrete Anweisung? Ratlos spähte er ins Innere des Glaszylinders. Loki schlief. Nach wie vor unbedeckt. Seine dunkle Gestalt lag hingestreckt und reglos, und nur in den wenigen Momenten, wenn das unzuverlässige Licht ihn beschien, war seine klammweiße Haut zu sehen, die geschlossenen Augen, die schlanken Hände mit den bläulichen Fingerspitzen. Irgendetwas sagte Thor, dass das magische Auge, das die Zelle ständig beobachtete, in diesem Moment blind war. Niemand sah ihnen zu, zumindest nicht im Augenblick. Er wusste nicht, woher er diese Sicherheit nahm. Einen kurzen Moment lang beobachtete Thor seinen schlafenden Bruder. Dann schob er, ohne den Auftrag dazu erhalten zu haben, die gläserne Tür auf und schlüpfte hindurch. Noch im Eintreten bückte er sich nach der dunkelgrauen Decke, faltete sie in der Luft auf. Und legte sie über seinen Bruder. Loki erwachte nicht. Keiner seiner Muskeln zuckte, als Thor die Enden der Decke vorsichtig unter seinen Körper schob, damit die Wärme nicht entweichen konnte. Bis unter das Kinn zog er den Saum hoch, fast bis dorthin, wo in kurzen Abständen Lokis warmer Atem aus seinen Lungen zurückkehrte. Dann trat Thor zurück und betrachtete sein Werk. Das hier war alles, was er tun konnte – und trotzdem viel zu wenig. Erst lange Minuten später fiel ihm ein, dass er auf der Besprechung erwartet wurde. »Nick, das hält man im Kopf nicht aus!«, beschwerte sich Agent Hill, als die fünf S.H.I.E.L.D.-Mitarbeiter endlich mit Verspätung im Konferenzraum erschienen. Über ihnen summten und flimmerten die Lampen, jede zweite Sekunde versank das Zimmer mit dem glänzenden Tisch in gespenstischem Zwielicht, um plötzlich wieder taghell zu werden. Fury schwieg ehern, während er sich setzte. Seine Miene zeigte keine Regung, auch dann nicht, als Hill neben ihm weiterhin verdrießlich auf ihn einredete. Romanoff musterte ihre vier Kollegen eingehend von der Seite. Sogar Coulson sah erschöpft aus. Sie wusste, dass er die Dunkelheit nicht mochte und selbst zum Schlafen ein kleines Licht neben seinem Bett brennen ließ. Die ständigen Ausfälle der Beleuchtung hatten ihm zweifellos eine unruhige Nacht beschert. Zu ihrer Erleichterung war Bruce Banner anwesend. Er schaute genauso trübsinnig drein wie das Gros der Versammelten, aber immerhin schien sein halbtägliches Fehlen am Vortag keinem ernsteren Gebrechen geschuldet zu sein. Den Umständen entsprechend munter hatten sich somit alle Beteiligten wie jeden Morgen eingefunden, um knapp die Lage zu erörtern. Fast alle, wie ihr dann auffiel. »Nick?«, flüsterte sie zu ihrer Linken. »Thor ist nicht da.« Fury, auf dessen anderer Seite noch immer Hill leise zeterte, bewegte lediglich seine Augenbraue kurz nach oben, was bedeutete, dass er sie vernommen hatte. Rogers, Stark und Banner – die Romanoff zwar allesamt für fähig hielt, denen sie aber hin und wieder die soziale Reife von Sandkastenknirpsen unterstellen wollte – diskutierten auf ihren Plätzen über Thors leeren Stuhl hinweg leise, aber hitzig das Technikproblem, das den Helicarrier heimgesucht hatte wie ein Fluch. Sie hoffte, dass Fury von sich aus Stellung zu der Misere beziehen würde, und hierin enttäuschte ihr Vorgesetzter sie nicht. »Wie Ihnen aufgefallen sein dürfte«, ließ der Direktor ohne jede Herumdruckserei verlauten, »haben S.H.I.E.L.D.s beste Techniker bisher keins der ausgefallenen Geräte zur Wiederaufnahme des Betriebs überreden können. Für diese Unannehmlichkeiten möchte ich mich entschuldigen. Mir ist bewusst, dass dieses … Problem … nicht das beste Bild von unseren Leuten vermittelt.« Romanoff erwartete irgendeinen ätzenden Kommentar von Tony Stark. Kurz fragte sie sich, weshalb keiner kam; dann fiel ihr wieder ein, dass Stark Industries an der Konstruktion des Luftschiffes maßgeblich beteiligt gewesen war. »Ich versichere Ihnen, dass wir tun, was in unserer Macht steht. Leider sieht es nicht so aus, als wären die Schwierigkeiten bald behoben. Wir denken darüber nach, die Lichtanlagen vom Hauptstrom abzukoppeln und über den Notstrom zu betreiben, aber ob das die Lage ändert, wird sich zeigen.« »Also könnten wir schon heute Abend im Dunkeln hier rumsitzen?«, fragte Stark mit gefurchter Stirn. »Das hoffe ich nicht.« »Erst kein Kaffee, jetzt kein vernünftiges Licht … Ich hoffe, das ist nicht so ein Belastungstest, Nick?« »Glauben Sie mir, das einzige Versuchsobjekt an Bord befindet sich auf der Arrestebene«, versicherte Fury. »Was mich übrigens zu der Frage bringt, wo Thor ist. Hat ihn jemand gesehen?« Niemand gab eine Antwort, und Romanoff wollte soeben darauf hinweisen, dass auf diesem Schiff sicherlich keiner den anderen rund um die Uhr beaufsichtigte – da kam Thor, wie herbeigerufen, zur Tür hereingestürzt. Er fing sich sofort und nahm Haltung an, um aus der Höhe den Tisch hoheitlich zu überblicken. Die erwartungsvollen Blicke zur Kenntnis nehmend klärte er seine Stimmbänder und wandte sich dann beinahe feierlich an den Direktor: »Nick Fury. Du musst den Winterzustand in euren Verliesen beenden. Dort unten ist es kalt wie in Jotunheim.« »Wie wo?«, fragte jemand. Der Adressierte nahm die Kritik mit einem Nicken zur Kenntnis. »Das Absenken der Umgebungstemperatur gehörte zum Experiment.« »Ich weiß. Trotzdem muss es jetzt aufhören.« »Gut, wenn du darauf bestehst.« »Moment!«, fiel Agent Taps, der bisher den Mund gehalten hatte, lauthals ein. »Director Fury, wir werfen doch jetzt nicht alle Pläne über Bord, nur weil ein Www…« Er stockte und taxierte Thor mit einer Ahnung von Abscheu im Gesicht. »… weil jemand das sagt? Es ist uns noch nicht gelungen, ein Einlenken zu erzwingen!« »Doch, das ist es«, behauptete Thor und spannte die Schultern. »Seht auf eurem bewegten Bild nach. Loki ist zugedeckt. Es ist nicht mehr notwendig, ihn mit Kälte zu quälen. Er hat das Zugeständnis akzeptiert.« »Als würde ich das glauben!«, höhnte Taps. Fury griff schweigend nach der Fernbedienung und schaltete die Überwachungskamera zu. Ein flüchtiger Blick genügte, um Thors Aussage zu bestätigen. Romanoff sah, wie Fury und Taps einen langen Blick tauschten. Nein, einig waren die beiden Männer sich in diesem Moment nicht. »Wir werden die Temperatur auf der Arrestebene wieder anheben«, entschied Fury und beendete den Augenkontakt mit dem unbeliebten Versuchsleiter. »Danke.« Thor neigte den Kopf und setzte sich auf seinen Platz. Gleichzeitig erhob sich stattdessen Agent Hill, um den soeben von Fury erteilten Befehl zur Retemperierung weiterzuleiten. Dass sie dafür den Raum verließ, anstatt ihren Kommunikator zu benutzen, ließ Romanoff besorgt die Stirn runzeln. Der Verzicht auf diesen Luxus musste bedeuten, dass auch das Kommunikationssystem an Bord nicht mehr einwandfrei funktionierte. Sie fragte sich, ob es überhaupt eine Art von Gerät auf dem Helicarrier gab, das noch keine Störungen zu verzeichnen hatte. Es war wahrlich wie verhext. Direkt unheimlich. In den nächsten Minuten wurden die weiteren Schritte des Experiments besprochen. Thor wurde angehalten, Lokis Kooperation weiter zu fördern, indem er einfache Untersuchungen an ihm vornahm. Diese setzten den als so zwingend notwendig erachteten Körperkontakt voraus und sollten, wie Romanoff vermutete, sowohl Loki als auch Thor die Scheu davor nehmen. Sie selbst konnte sich indes nicht vorstellen, dass mit ihrem Gefangenen bereits eine derart tiefgreifende Veränderung vorgegangen sein sollte. Noch immer sah sie vor sich, wie Loki sie mit herablassendem Lächeln dazu aufforderte, ihr Schicksal vor ihm auszubreiten. Sah den Genuss in seiner Miene, als sie ihm von Agent Barton erzählte. Hörte den kalten, drohenden Ton seiner Stimme, als er ihr in aller Bildhaftigkeit ausführte, wie er den Mann zu töten gedachte, den sie liebte. War es wirklich möglich, in Loki so etwas wie Zuneigung zu erwecken? Etwas in seine Hülle zu pflanzen, das es dort nicht gab? Loki liebte nicht, er hasste nur. Selbst ein so starkes Medikament würde ihm nicht vorgaukeln können, dass er einem anderen Geschöpf Gefühle entgegenbrachte. Daran glaubte sie nicht. Bei allem Vertrauen in die Wissenschaft, nein. Thor sicherte Fury einmal mehr seine Mitarbeit zu. Taps hingegen würdigte er keines Blickes. Auf Coulsons direkte Nachfrage hin musste der Versuchsleiter einräumen, dass Lokis Temperatur, die er seit der Platzierung des Messfühlers überwacht hatte, auf einen bedenklich niedrigen Wert gesunken war, was einerseits anzeigte, dass die Kälteeinwirkung tatsächlich problematisch wurde, und andererseits, dass das kritische Zeitfenster sich geschlossen hatte. Der Fieberschub war vorüber und damit auch die so wichtige erste Prägephase. »Aber der Köder ist ausgeworfen!«, betonte Taps und ließ pathetisch die flache Hand auf die Tischplatte fallen. »Wir müssen nur noch kräftig an der Schnur ziehen, um diesen Fisch an Land zu holen.« Eine dämliche Metapher, fand Romanoff, aber ehe Stark oder sonst jemand einen Witz darüber machen könnte, kam Agent Hill wieder zur Tür herein. Dafür, dass sie lediglich einen Befehl hatte weiterleiten wollen, war sie unangemessen lange fort geblieben. »Director«, wandte Hill sich so steif wie aufgelöst an Fury. »Ihre Anweisung zur Temperaturanhebung auf der Arrestebene habe ich übermittelt, aber … Nick, es gibt mehr Probleme, als wir dachten. Die Lebenserhaltungssysteme regieren auch nicht mehr. Wir bekommen Lokis Zelle nicht warm, und ich fürchte, bald werden wir es vielleicht auf dem ganzen Schiff nicht mehr warm haben.« Als Thor aus dem Fenster sah, blickte er durch die vereisten Rahmen hinab auf finstere, tief hängende Wolken. Unter ihnen würde schon bald ein ausdauernder Regen über Midgards graugrüne Oberfläche niedergehen. Gedankenverloren starrte er auf den weißen Nebel, der vor der Scheibe vorüber zog. Seine Notlüge war von Nick Fury ohne jedes Zögern akzeptiert worden. Dabei wusste Thor, dass die Menschen nur den Speicher ihres sehenden Apparates sichten mussten, um festzustellen, dass er Loki zugedeckt hatte und nicht sein Bruder sich selbst. Das taten sie aber nicht; niemand schien an seiner Ehrlichkeit zu zweifeln. War ein solches Detail denn überhaupt wichtig? Der Ase hatte nicht vor, Lokis Behandlung fehlzuleiten. Im Gegenteil. Seit er selbst angefangen hatte zu glauben, dass der Liebestrank wirkte, seit er Lokis tiefe Verunsicherung gespürt hatte, wünschte er sich nichts sehnlicher als ein gutes Ende für dieses Experiment. Er wollte einen gutwilligen, von Wahnsinn und Eifersucht geheilten Bruder zurück nach Hause bringen. Seine Familie wieder vervollständigen. Den Frieden seiner Kindheit wiedergewinnen. Nichts erhoffte er sich mehr als das, seit Loki ihn verraten und sich nach seiner Niederlage in den Abgrund des sterbenden Bifröst gestürzt hatte. Schließlich fand er aufs Neue die Zuversicht, sich seiner Aufgabe zu stellen. Wissend, dass Taps und Coulson ihn diesmal beobachten würden, machte er sich auf den Weg zu dem gläsernen Verlies. Bei sich trug er drei Dinge des alltäglichen menschlichen Lebens: eine Uhr, einen Stift und ein Stück Papier. »Bitte nicht in Runen schreiben«, hatte Coulson lächelnd gesagt. Unnötig, ihn darauf hinzuweisen, dass das Futhark Zahlen und Laute mit denselben Zeichen wiedergab. Und etwas anderes als Zahlen würde er nicht aufschreiben müssen. Thor hörte, wie sämtliche Zugänge zur Arrestebene sich mit einem dumpfen Geräusch abschotteten, sobald er eingetreten war. Auf diese Weise verhinderten die wachhabenden Supervisors, dass Loki, sollte Thor ihn wider Erwarten befreien, diesen Bereich verlassen konnte. Schwarz lag die Zelle da. Das Licht des Notstromgenerators, oder wie auch immer dieses zweite Versorgungswunderding heißen mochte, war düsterer als das bläulich-weiße, eher violett, gespenstisch. Es ließ nur jene Flächen heller erscheinen, die von klarem Weiß waren. Dazu gehörten, wie Thor schaudernd bemerkte, auch Lokis weit geöffnete Augen sowie seine grinsend entblößten Zähne, als er seinen Bruder auf sich zukommen sah. »Thor.« Wie ein Schatten glitt Loki unter der Decke hervor und war mit einem Mal ganz dicht an dem Glas, das sie trennte. Thor sah das faszinierte Lächeln im Gesicht seines Bruders, das vor ihm im Nebel verschwand, als sein eigener Atem an der Scheibe beschlug. Lokis Lebenshauch dagegen blieb unsichtbar. »Bruder«, brachte Thor heiser hervor. Ihm war kalt. Schon jetzt fühlte es sich an, als sei die Kälte ihm bis in die Knochen gekrochen. »Wie rührend du dich um mich sorgst«, sagte Loki entzückt und drehte dabei langsam den Kopf, um sich nach der Pritsche umzusehen, auf der seine Decke lag. »Ist es deine? Sie riecht nach dir.« Automatisch machte Thor einen Schritt zurück. Die feuchte Trübnis an der Scheibe schrumpfte zusammen. »Wir müssen … reden«, erklärte er. »Ah, aber das tun wir doch«, erwiderte Loki lächelnd. Seine Lippen und Finger waren blau, doch er war bei klaren Sinnen, als rollte das Blut noch immer heiß und schnell durch seine Adern. Triumphierend fuhr er fort: »Deine menschlichen Freunde lassen nichts unversucht, um mir meinen Aufenthalt zu verleiden. Die Kälte … die Einsamkeit … das schreckliche Licht … Und du siehst, es beeindruckt mich nicht. Wann werden sie es einsehen?« »Bruder …«, begann Thor vorsichtig, doch Loki unterbrach ihn. »Was wollt ihr noch von mir, Thor? Ihr kennt meine Pläne. Glaubt ihr, ihr könntet mich dazu bringen, sie selbst zu vereiteln? Das Portal wird sich öffnen. Die Chitauri werden Midgard unterwerfen. Und ich werde herrschen.« Thor nahm sich zusammen. »Von einer gläsernen Zelle aus kannst du keine ganze Welt beherrschen«, sagte er. Mit einem abfälligen Kopfschütteln wandte sich Loki von der Scheibe ab und durchquerte sein Gefängnis. »Deine leeren Worthülsen langweilen mich.« Er setzte sich auf die Pritsche, den Blick finster auf Thor gerichtet. »Und doch bist du der einzige Zeitvertreib, den ich habe. Nur deshalb mag ich deine Besuche. Aber wie ich sehe, möchtest du dieses Mal nicht in meine Nähe kommen. Nicht in … Berührungsnähe.« Kurz kehrte das abstoßende Lächeln zurück. Seine Augen blitzten. Thor fühlte das Aufwallen von Unwohlsein im Magen. Das hier war nicht, wie es sein sollte. Loki hatte kein Fieber mehr, war nicht länger verwirrt, nicht ohne jede Sicherheit wie noch am Abend zuvor. Stattdessen war er genau wie zu Beginn seiner Gefangennahme: unangreifbar. Es war, als hätten die drei Tage unter Medikation rein gar nichts bei ihm bewirkt. Woran mochte das liegen? Daran, dass er einen Teil des Tranks nicht eingenommen hatte, weil ihm übel gewesen war? Jetzt jedenfalls war er voller Zuversicht und dunkler Gier. Thor wurde klar, dass er nicht tun konnte, worum er gebeten worden war. »Komm doch zu mir, Bruder. Öffne diese Tür und leiste mir Gesellschaft«, säuselte Loki. »Setz dich neben mich. Wärme mich.« »Was?« Unsicherheit befiel Thor, jene Unsicherheit, die er eigentlich bei seinem Bruder erwartet hatte – nein, sogar vorausgesetzt hatte. Jäh verspürte er den Drang, Kehrt zu machen, wegzulaufen. Wieder ein Gefühl, das ihm bisher fremd gewesen war. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Loki legte den Kopf schief. Seine Lippen kräuselten sich in verborgenem Vergnügen. »Und ihr dachtet, ihr könntet mich gefügig machen. Mich vergiften.« »Niemand vergiftet dich«, hörte Thor sich sagen. Und dann war Loki blitzartig wieder an der Scheibe. Krachend prallte Seine Faust auf das Glas. »Lüg mich nicht an!«, schrie er, die Zähne gefletscht. Thor war zurückgesprungen und fing sich strauchelnd. Sein Herz hämmerte. Als er hochsah, stand Loki wieder entspannt vor ihm. »Ich sehe es sofort, wenn du lügst«, sagte er schlicht. »Darin bist du sehr ungeübt, Thor.« Schwer atmend starrte Thor seinen früheren Bruder an. Nein, keine Sekunde länger würde er das hier ertragen. Die Beengtheit, das schlechte Licht, die Launen seiner Mitinsassen – all das hatte an seinem sonst so unerschütterlichen Nervenkostüm gezerrt, und Loki genoss es, auch noch die Reste davon in Stücke zu reißen. Wenn er nicht sofort von hier fort ging, würde ihm Mjolnir in die Hand fliegen. Kurzerhand drehte er sich um und schritt aus. »Warte!« Lokis heller Ruf ließ ihn innehalten. Thor atmete keuchend aus. Was war es, das er in seiner Stimme gehört hatte? Wut … oder Angst? Langsam drehte er sich um. »Geh nicht«, bat Loki ruhig. Längst war nicht mehr zu erahnen, welche Emotion eben noch sein Gesicht gezeichnet haben mochte. »Es ist einsam, Bruder. Du wirst mich doch nicht allein lassen. Ich leide.« Er sagte es gerade weich genug, um den Anschein von Kummer zu erwecken – und zugleich so kühl, als hätte er alles unter Kontrolle, als stellte er eine Forderung, die auf jeden Fall erfüllt werden würde. »So dumm bin ich nicht«, brummte Thor. Loki lächelte überlegen. »Aber du willst den Menschen gefallen, deren Schoßtier du geworden bist.« Sein Blick ging hinunter zu Thors Hand. »Du hast etwas mitgebracht. Was wollen deine Freunde von mir? Soll ich etwas malen?« Er gluckste amüsiert. »Soll ich ihnen zeichnen, wie das Innenleben meiner Seele aussieht? Woraufhin sie Theorien über meinen Verstand aufstellen, um herauszufinden, was ich vorhabe? Wie ich mich gängeln lasse? Wie sie mich überreden können, ihnen zu helfen?« Thor schluckte und sah beiseite, um das gehässige Grinsen nicht sehen zu müssen. »Oh, ja. Ein Komitee der klügsten Menschen wird sich über den Tisch beugen, auf dem das Papier liegt, das ich restlos schwarz gemalt habe. Davon können sie dann ableiten, was sie jetzt noch nicht begreifen wollen: dass ich keine Gefühle habe, Thor, die es zu erwecken gilt.« Leise lachend durchwanderte Loki das beengte Innere seiner Glaszelle. Thors Finger und Zehen waren erfroren. Beinahe glitten ihm Stift und Zettel aus den taub gewordenen Händen. »Ich werde jetzt gehen«, sagte er knapp. »Oh nein, nein. Bleib hier.« Loki kam eilig wieder an die Scheibe. »Wir unterhalten uns doch so gut, Bruder. Und du möchtest ihnen doch gefallen. Warum tust du nicht, wozu du gekommen bist?« Einladend trat er von der Begrenzung zurück bis ganz ans Ende der Zelle. »Ich werde nicht davonlaufen. Komm nur herein.« »Du wirst mich täuschen«, knurrte Thor. »Ich bin schon einmal zu oft darauf hereingefallen.« »Oh, ja, das bist du.« Loki betrachtete ihn beinahe hingerissen. »Aber wie soll ich an dir vorbeikommen? Du warst immer der Stärkere von uns beiden.« »Und du der Schnellere.« »Versuche mich, Thor«, lockte Loki weiter. »Stelle deine Menschen zufrieden. Du wirst es nicht bereuen. Ich kooperiere … für den Moment.« Das unheilvolle Lächeln war Thor nur zu bekannt. Er traute seinem Bruder nicht, konnte ihm nicht trauen, schon gar nicht in einer solchen Gemütsverfassung. Und dennoch war da noch etwas anderes in Lokis weichem, blassem Gesicht, eine Ahnung von … Angst. Er wollte nicht, dass Thor ihn verließ. Und noch weniger wollte er, dass Thor nicht wiederkam. Vielleicht tat der Zaubertrank doch seine Wirkung. Thor trat wieder an die Zelle heran und streckte die Hand nach dem öffnenden Druckknopf aus. Die Verriegelung glitt zurück. Thor umfasste die Zellentür und drückte sie auf. Schob sich schnell hindurch und schloss sie wieder – wobei er Loki aus den Augen lassen musste – und brachte die klammen Sekunden, in denen er dem Wohlwollen seines Gegenüber ausgeliefert war, rasch hinter sich. Jeden Moment rechnete er damit, dass Loki auf ihn zuschnellte, ihn schlug, ihm eine versteckte Waffe in die Seite rammte. Doch nichts geschah. Loki stand ihm gegenüber, den Rücken dicht am Glas, und sah ihn erwartungsvoll an. Als er endlich mitten in der Zelle stand, musterte Loki ihn voller Zufriedenheit. Dann ging er ohne zu zögern auf ihn zu. »Sie können es auch nicht lassen, oder, Mr. Stark?« Coulson schmunzelte, als sich den beiden Gesichtern, die sich im Beobachtungsfenster spiegelten, ein drittes hinzugesellte. »Ich bin mehr an Psychologie interessiert, als Sie denken«, behauptete Stark. Er sah auch Taps kurz an, doch der schaute stur geradeaus, hinunter in Lokis Zelle. »Und von hier ist die Sicht einfach viel besser. Ich sehe, er hat’s mal wieder geschafft, unseren kleinen König um den Finger zu wickeln.« »Es sah nicht von Anfang an danach aus«, gab Coulson zu bedenken und kreuzte nachdenklich die Arme vor der Brust. »Loki wirkt heute äußerst zurechnungsfähig.« »Also, ich weiß nicht, ob ich einen Typen mit goldenen Ziegenhörnern auf dem Kopf, der Deutsche auf Englisch anschreit, vor ihm niederzuknien, als zurechnungsfähig bezeichnen würde.« »Ich meine im Verhältnis«, erwiderte Coulson munter. »Sie haben Ihre Niederlage im Poker noch nicht verkraftet, was?« »Pssst!«, zischte Agent Taps. »Würdigen Sie gefälligst diesen unfassbaren Erfolg!« Sein nervös zuckender Finger zeigte überflüssigerweise auf Thor und Loki, die nebeneinander auf der Pritsche saßen. Loki wirkte entspannt und selbstgenügsam, während Thor mit einiger Zurückhaltung die Untersuchungen vornahm, die überhaupt nicht notwendig waren und nur dazu dienten, beide Männer zusammenzubringen. Er beobachtete die Uhr, während er über eine ganze Minute Lokis Atemzüge zählte, um sie auf dem Papier zu notieren. »Niedlich«, kommentierte Stark. »Finden Sie es nicht unheimlich?«, fragte Coulson. »Hmm. Sollte ich, oder? Loki wollte Thor töten. Und jetzt …« Er beugte sich weiter vor. Verblüfft sah er zu, wie Loki das Kinn hob, als Thor die Finger in seine Halsbeuge legte. Ein fast träumerischer Ausdruck hatte sich auf sein Gesicht gestohlen. »… Ähm …« »Zumindest hat er gegen die Untersuchung nichts einzuwenden«, sagte Coulson nüchtern. »Er lässt es sich gefallen«, pflichtete Stark murmelnd bei. »Als ob … er es mag …« Agent Taps’ Züge verzerrten sich zu einem breiten Grinsen. »Nicht nur das, meine Herren. Er genießt es. Sehen Sie?« Dort unten zählte Thor mit sichtbarem Unbehagen Lokis Pulsschläge. Er starrte auf die Uhr, nicht auf seinen Bruder, und hielt so viel Abstand wie möglich. Loki hielt still und schien fasziniert dabei zuzusehen, wie jeder seiner Atemzüge Thors blondes Haar bewegte. Stark musste trocken schlucken. »Phil, stellen Sie mal den Ton lauter. Könnt schwören, dass der Kerl schnurrt.« »Aber das ist wohl kaum eine richtige Berührung«, sagte Coulson ratlos, »das ist kein Streicheln, nichts Gefühlvolles, das ist ein simples … Pulsfühlen.« »Loki ist schon jetzt wie das Opossum.« Stark fand sich unfähig, den Blick von dieser bizarren Szene loszureißen. »Aber diesen Effekt sollten wir doch erst nach fünf Tagen haben?« Taps giggelte. »Nun, ich glaube, ein so viel leistungsfähigeres Gehirn ist zu einer weit stärkeren Bindung fähig. Ich bin überaus neugierig, wohin uns dieses Experiment noch führen wird. Welche Einblicke in die menschliche Psyche uns noch bevorstehen!« »Ich glaube, Sie vergessen, dass das da unten kein Mensch ist«, erinnerte Stark ihn nachdrücklich, »sondern ein Alien.« Der Sohn eines Eisriesen, hatte Thor ihm gesagt. Das erklärte, warum Loki die Kälte so gut verkraftete. In der Zelle hatte Thor soeben das Zählen beendet. Rasch ließ er seinen Bruder los, wandte sich ab, notierte den ermittelten Wert. Den sich niemand ansehen würde. Sofort danach stand er auf und ging schnellen Schrittes zur Tür der Zelle. Loki sah ihm nach, mit einer Mischung aus Überraschung und Verdrossenheit auf den fahlen Zügen. »Du wirst wiederkommen!«, rief er. »Ich weiß es!« Ungehalten ballte er die Fäuste, blieb aber sitzen. Thors Verhalten ließ an überstürzte Flucht denken. Er schloss die Zelle hinter sich und hatte kein Wort des Abschieds für Loki übrig. Aufgerieben, wie Stark den besonnenen Hünen selten gesehen hatte, verließ Thor die Arrestebene, und wiederum allein blieb Loki zurück, der ihm lange mit erfrorener Miene hinterher starrte. Thor zuckte zusammen, als ihm jemand eine Hand auf den Arm legte. »Hey, gaaaaanz ruhig. Ich bin’s nur«, sagte Tony Stark ruhig und hielt ihm eine Tasse hin. »Ich dachte, vielleicht kannst du das gebrauchen … Siehst so durchgefroren aus.« »Es ist wahrhaft kalt dort unten«, räumte Thor mit belegter Stimme ein, wofür er sich sofort schämte, und nahm dem anderen den Becher etwas ruppiger ab als beabsichtigt. Noch immer fror er, selbst in dem wohl temperierten Korridor. Er war gerade auf dem Weg zu seinem Quartier gewesen, wo er vorgehabt hatte, sich eine Decke um die Schultern zu schlagen und nachzudenken. Stark zeigte vage auf die Tasse. »Das ist … irgendwas mit … Kräutern oder so. Dachte, das kennst du vielleicht am ehesten, so als … äh …« Er gestikulierte etwas hilflos und hob die Schultern. Wie immer wirkte er dabei nicht wirklich verlegen, sondern ganz so, als gehörte das alles zu einer größeren Show, deren Hauptrolle er spielte. Thor nickte geistesabwesend. »Danke. Sei nicht ungehalten, wenn ich … einen Moment allein sein möchte.« »Oh, nein, nein, klar doch. Ruh dich aus. Hey, schließlich bist du derjenige, von dem alles abhängt. Ähm … Wenn du was brauchst, sag bescheid.« »Danke.« Konfus wandte Thor sich zum Gehen; dann hielt er noch einmal inne. In der Hand, die nicht die Tasse hielt, lag noch immer der Zettel mit den beiden Zahlen. 22 und 112. Fragend hob er das Papier hoch. »Braucht Agent Taps das?« Stark hob die Brauen. »Nein. Das weißt du doch. Die Messungen waren ein Vorwand, damit Loki sich nicht wundert, wieso du ihn besuchst.« »Ah. Ja, so war es.« »Lass mal sehen.« Der andere Mann nahm den Zettel und warf einen kurzen Blick darauf. »Hm, sieht ’n bisschen erhöht aus. Emotionen?« »Erregung.« Thors Stimme war ohne jeden Ton. Missmutig wandte er sich von Stark ab und setzte ohne ein weiteres Wort den Weg in seine Räumlichkeiten fort. Die Mittagsbesprechung fiel äußerst knapp aus. Gute Neuigkeiten gab es keine, im Gegenteil; die Maschinerie an Bord des Helicarriers trat mehr und mehr in Streik, so etwa gab es neben der Arrestebene nun weitere Bereiche, in denen die Temperaturregulation ausgefallen war, etwa die Nahrungsspeicher. »Die Wasserbassins befinden sich direkt nebenan«, sinnierte Agent Hill und beobachtete die Mienen ihrer S.H.I.E.L.D.-Kollegen. »Was tun wir, wenn uns das Trinkwasser gefriert?« »Uns mit Eispickeln bewaffnen und kleine Taufeuerchen legen?«, schlug Stark vor. »Was Sie nicht alles lustig finden«, schnaubte Rogers. »Diese Situation könnte schnell noch sehr viel schlimmer werden, sehen Sie das nicht?« Bruce Banner neben ihm drehte unermüdlich einen Kugelschreiber zwischen den Fingern. »Die Sorge ist auf jeden Fall nicht unbegründet, wenn man bedenkt, dass wir in einer Flughöhe von etwa fünfzigtausend Fuß mit einer Außentemperatur von fast minus sechzig Grad unterwegs sind«, sagte er ernst. Ein Grabesblick von Nick Fury folgte dieser Feststellung. »Mit den gegenwärtigen Statuswerten kann ich nicht einmal anbieten, die Fluggeschwindigkeit zu erhöhen. Wir werden New York City nicht früher als in zwei Tagen erreichen, solange wir gezwungen sind, langsam zu fliegen.« »Dann müssen wir landen.« Rogers schien zu erwarten, dass niemand diesen Vorschlag begrüßte, und tatsächlich sprachen die Blicke, die auf ihm ruhten, Bände. »Ich werde ein so bahnbrechend verlaufendes Experiment nicht abbrechen!«, kündigte Taps resolut an. »Davon ist ja auch nicht die Rede. Verfrachten Sie Loki in eins Ihrer Labore und machen Sie dort weiter. Wir kommen schon auf anderen Wegen nach Manhattan. S.H.I.E.L.D. hat Wege, und davon genug, das weiß ich.« »Tatsache ist«, schaltete sich nun auch Romanoff in gewohnt unberührter Manier ein, »dass wir weder eine Erklärung für die technischen Störungen an Bord haben noch sie beheben können, wie es scheint.« »Ich muss zugeben, die Lage ist mehr als unangenehm«, bestätigte Fury. »Und ich muss Ihnen außerdem sagen, auch wenn es Ihnen nicht gefallen wird: Am schnellsten werden wir beim Stark Tower sein, wenn wir uns einfach zusammennehmen und durchhalten. Es sind noch etwas mehr als achtundvierzig Stunden bis zum Eintreffen. Ich glaube, dass wir es schaffen können.« »Während uns Ihr Schiff unter dem Hintern auseinander fällt?«, empörte sich Rogers in ungewohnt aggressiver Wortwahl. »Director Fury, Sie riskieren im schlimmsten Fall Menschenleben!« Der Gescholtene holte tief Luft und erklärte: »Ich biete an, dass alle, die die Mission nicht zu Ende führen wollen, bei einem Zwischenhalt von Bord gehen können, Captain Rogers.« Nun klappte der Soldat den Mund zu. Dieses Zugeständnis war wohl mehr, als er erwartet hatte. Fury hatte einen klugen Zug gemacht: Eine Mission nicht zu Ende zu führen kam für einen beherzten und entschlossenen Mann wie Rogers, der um seine Vorbildfunktion wusste, nicht in Frage. Als Einziger das sinkende Schiff zu verlassen war in seinen Augen unvorstellbar, dessen war sich jeder bewusst, und als Rogers nun wie erwartet den Mund hielt, wandte die allgemeine Aufmerksamkeit sich rasch wieder anderen Dingen zu. Agent Taps frohlockte, als er endlich damit beginnen konnte, die bisher errungenen Erfolge des Projekts Five Days noch einmal detailliert auszuführen. Die Umsitzenden waren unruhig; entweder weil sie bereits informiert waren oder weil zwischenzeitlich angeregte Flüstergespräche aufkamen. So etwa hörte man gegen Ende der Schilderungen Stark über den Tisch zu Banner wispern: »Verdammt, Bruce – doch, es war wie mit dem Affen …« Unmittelbar nach der Entlassung durch Fury trat Agent Romanoff an den sitzen gebliebenenThor heran, der so farblos und frustriert aussah wie noch nie seit Beginn der Reise. »Du siehst furchtbar aus«, sagte sie mit aller Anteilnahme, die ihr gemütsarmes Naturell aufzubringen vermochte. »Was ist passiert?« Sie legte ihm die Hand auf den Arm, und daraufhin schien tatsächlich ein wenig Spannung von ihm abzufallen. Seine ungewöhnlich blauen Augen schauten hoch in ihre, scheu wie die eines Jungen. Widerwillig sagte er: »Es macht mich krank.« »Was?«, fragte sie zart. »Alles. Das … mit Loki. Ich habe … Furcht verspürt, von Anfang an. Ich finde keine Ruhe. Ich schlafe kaum. Heute konnte ich meine Mittagsmahlzeit nicht bei mir behalten.« Ihr war bewusst, dass Thor sich verpflichtet fühlte, immer die Wahrheit zu sagen, doch so viel Offenheit erstaunte sie. Die Auswirkungen von psychischem Stress waren ihr bekannt – mehr als ihr lieb war –, doch selten hatte sie so viel Angst gehabt, dass ihr Magen rebelliert hatte. Und etwas sagte ihr, dass auch Thor diese Erfahrung bisher absolut fremd gewesen war. Er war überfordert mit dieser Bangigkeit, für die er keine Erklärung hatte. Doch sie konnte nicht mehr für ihn tun als aufmunternd seinen Arm zu drücken. »Halt durch«, sagte sie ihm. »Welche Wahl habe ich schon?«, gab er kraftlos zurück. Da ließ sie ihn gehen. Es hatte lange gedauert, bis Banner es geschafft hatte, Agent Hill die Erlaubnis abzuringen, das Zepter noch einmal untersuchen zu dürfen. »Es ist von sämtlichen Umwelteinflüssen abgeschottet«, erklärte sie schließlich, nachdem er sie fast eine Dreiviertelstunde lang bearbeitet hatte wie ein Bildhauer seinen Findling. »Sicherheitsstufe drei. Sie haben keinen Zugang, Dr. Banner.« »Aber Sie«, sagte er mit entwaffnendem Lächeln. Sie verdrehte die Augen. »Ja, genau das wollte ich gerade hinzufügen«, seufzte sie. »Also kommen Sie. Ehe Sie meine Nerven noch überstrapazieren. Ich weiß wirklich nicht, was Sie zu finden hoffen.« »Es sieht ganz so aus, als wüssten Sie das sehr wohl«, stellte er fest. Er hatte scharf beobachtet, wie die Agentin während ihres Gesprächs im Labor auf und ab gegangen war, und noch während sie ihre endgültige Einwilligung erteilt hatte, hatte sie speziell gesicherte Schubladen geöffnet und Dinge herausgenommen, die er gut kannte: hier eine Ampulle, dort die passende Kanüle, schließlich ein Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit. Wie ertappt sah sie sich nach ihm um. »Sie fragen mich doch hoffentlich nicht, wozu ich das mitnehme.« »Tue ich nicht, nein.« »Also dann …« Sie schob einen Plastikschutz über die Nadel der aufgezogenen Spritze und lud Banner mit einem Kopfnicken ein, ihr zu folgen. Der Physiker ließ sie nicht warten. Auf kurzem Wege führte Hill ihn tief in die dunklen Eingeweide des Helicarriers. Der Notstrom ließ das wenige Licht kränklich erscheinen wie die dünnen Strahlen eines blassen Mondes, und in etwa so effizient war es auch – man sah die Hand vor Augen, aber nicht viel mehr. Hinter mehreren Hochsicherheitstüren, deren Passage zuerst einen Handscan, später sogar einen Netzhautscan nötig machte, kam schließlich eine dunkle Stahlverriegelung zum Vorschein. »Infraschall von der Qualität, wie wir sie an der Speerspitze gemessen haben, durchdringt diese Wände nicht«, ließ Hill ihn wissen. Banner unterließ es, sie darauf hinzuweisen, dass er keinesfalls mit derselben Geräuschemission rechnete wie noch am ersten Tag. Das Messgerät in der Hand sah er sie abwartend an, damit sie diese schwere letzte Pforte für ihn öffnete. Mit dem, was ihn erwartete, hatte er nicht gerechnet. Schon als die schützende Wand zurückzuweichen begann, spürte er das Anschwellen eines … Drucks, der auf seine Ohren und seine Schultern niedersank wie ein langsam zunehmendes Gewicht. Heftige Übelkeit überflutete ihn, sodass er taumelnd eine Hand auf den Mund presste, während die Barriere endgültig verschwand und die Sicht auf das vernichtende Werkzeug preisgab, das auf einem Metalltisch ruhte und aus seinem glühenden blauen Auge zornige Zerstörung aussandte. Wie Fausthiebe droschen Töne, Eiseskälte und grauenhaftes Wispern aus dem Leuchten heraus auf die Eindringlinge ein, sangen unfühlbare Winde ein scharfes, Verderben bringendes Lied. Banner ballte die Hände zu Fäusten und ging in die Knie vor Verzweiflung. Neben ihm sah er, wie auch Hill sich krümmte. Er hatte Recht gehabt. Es war das Zepter. Die ganze Zeit. Seine Macht hatte in gleichem Maße zugenommen wie Loki die Kontrolle über seinen Willen verloren hatte. Es war diese Mischung aus Schall, Druck und purer Energie, die die Ausfälle auf dem gesamten Schiff bewirkt hatte, genau wie all das Unwohlsein in den Reihen der Crew. Es war, als kämpfte Loki durch das Zepter gegen sie, weil er es anders nicht mehr konnte. Und er wurde immer stärker. Dabei hätte er schwächer werden sollen. Er hätte kooperieren, aufgeben sollen. Doch das war nur scheinbar passiert. Nur oberflächlich. Banner gelang es, Worte hervorzustoßen. »Das Medikament!«, würgte er. »Es hat Lokis Unterbewusstsein von seinem Bewusstsein abgekoppelt – aber nicht von dem Zepter!« Hill hustete etwas Abgehacktes, das er nicht verstand. Soeben begriff er, dass er ein noch viel schwerwiegenderes Problem hatte. Sein Herz hämmerte rasant und schmerzhaft in seiner Brust wie ein Presslufthammer. Hilflos drückte er eine Hand darauf. Fletschte die Zähne. Rang mit der Bestie, die sich brüllend in ihm aufbäumte. »Tun Sie es!«, schrie er, und seine Stimme hatte sich bereits dunkel gefärbt. Hatte sich in die des Anderen verwandelt. »Tu es, verflucht noch mal!« Hill handelte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sie auf ihn zustolperte. Schnell. Sie hatte nur noch Sekunden. Schon durchfloss seinen Arm der Impuls, seine Faust in ihr wild verzerrtes Gesicht zu schlagen. Doch dann machte Hill unerwartet einen gewagten Satz, der sie auf seine andere Seite beförderte. »Es tut mir Leid, Bruce!«, gellte sie. Dann spürte er den erlösenden Einstich. Schwärze hüllte ihn ein. Frieden. »Wir dürfen ihn damit nicht sich selbst überlassen«, sagte Rogers eindringlich. »Er leidet, das wissen Sie so gut wie ich.« »Niemand überlässt Thor sich selbst«, versicherte Romanoff. »Es ist nur so, dass wir nichts für ihn tun können. Unser Zuspruch scheint ihn nur noch mehr zu verstören. Er kapselt sich regelrecht ab von uns.« Zu viert saßen sie auf der Ausgleichsebene in dem kleinen Raum, der für das gesellschaftliche Beisammensein kleinerer Gruppen ideal war und der besonders gern für Pokerrunden unter der Besatzung genutzt wurde. Coulson hatte sich Romanoff, Stark und Rogers spontan angeschlossen, da er – wenn seine Gleichmütigkeit auch nicht unbedingt sofort darauf schließen ließ, wie er wusste – durchaus Anteil nahm an den Gedanken der großen Helden seiner Zeit, für die er sich so begeisterte. Und zu denen er sich selbst nicht zugehörig fühlte. Die Big Five, so viel stand fest, waren Captain America, Iron Man, Thor, Black Widow und der Hulk. Im äußersten Fall mochte man noch seinen Kollegen Agent Barton alias Hawkeye dazuzählen. Doch er, Coulson, war kein Held. Seine Arbeit sah anders aus. Er war dafür da, hinter dem Rücken seiner Helden die Fäden zu ziehen, damit deren Auftritte glatt über die Bühne gingen. Mit dieser Rolle war er vollauf zufrieden. Und wenn er ehrlich war, hoffte er immer noch, dass Captain Rogers eines Tages seine Sammelkarten signierte. »Gestern hat er sich noch nicht so zurückgezogen«, gab Stark zu bedenken. »Ich habe da ein wirklich gutes Boxmatch gerichtet. Übrigens, Steve, Sie schulden mir noch eins.« Rogers betrachtete ihn angewidert. »Sie denken jetzt wirklich an Vergnügen, Stark?« »Ich denke immer an Vergnügen. Hilft mir dabei, nicht an Verhängnis zu denken.« »Ihre Egozentrik ist wie immer äußerst hilfreich!«, ätzte der Captain. Coulson kam seiner Rolle als Hüter des Friedens nach und hob beschwichtigend die Hände. »Das Schlimmste, was passieren kann«, sagte er ruhig, »ist, dass wir damit anfangen, gegeneinander zu arbeiten. In dieser Hinsicht muss ich Ihnen allen ein Lob aussprechen: Obwohl Sie nicht gerade Busenfreunde sind, halten Sie in dieser Situation zusammen. Was ich sehr vernünftig finde.« »Es ist ja nicht so, als könnten wir einander aus dem Weg gehen«, lenkte Stark ein. »Es ist nicht einfach, aber wir halten uns gut.« »Zumindest jetzt noch«, sagte Rogers spröde. »Sie wollen doch hoffentlich nicht der Erste sein, der sein Eis in den Sand schmeißt?« »Nein, Stark. Ich werde mich zusammennehmen, wie es sich für einen Soldaten gehört.« Stark hob eine Braue an. »Heißt also, Sie gehen nicht von Bord?« »Natürlich nicht.« »Gut, Captain, diese Einstellung gefällt mir.« Mit Entzücken sah Coulson, wie ein ermunterndes Lächeln die Runde machte. Zart, aber sichtbar. »Was also können wir für Thor tun?«, brachte Romanoff sie zurück zum ursprünglichen Thema. »Ihm scheint es sehr viel schlechter zu gehen als uns.« »Ich sag euch, was wir machen sollten«, sagte Stark unumwunden, »aber jammert nicht, wenn’s euch nicht gefällt. Das Einzige, was wirklich helfen würde, ist –« Er ließ die rechte Faust in die offene linke Hand fallen. »– Loki den Garaus machen.« Der Tisch schwieg. Coulson nahm zur Kenntnis, dass kaum jemand überrascht aussah. Einem jeden schien dieser Gedanke bereits gekommen zu sein. Es war erneut Rogers, der vorsichtig einwandte: »Das Experiment zu sabotieren wäre ein schweres Vergehen.« »Natürlich wär’s das«, beharrte Stark, »aber ich bin kein Soldat, Steve, ich sehe die Sache anders. Ich sehe, dass wir von Loki nichts mehr gewinnen können. Lebend nützt er uns rein gar nichts mehr, im Gegenteil, er macht uns allen das Leben zur Hölle, indem er einfach nur da ist. Warum ihm nicht das Licht auspusten? Ich weiß, das klingt selbst für mich brutal und kaltschnäuzig, aber er ist ein Massenmörder. Und er möchte weitere Massen morden. Irgendwo muss doch mal Schluss sein. Barton und Selvig wären sofort von seinem Einfluss befreit … höchstvermutlich jedenfalls. Thor könnte in Ruhe schlafen. Wir alle könnten in Ruhe schlafen. Wenn Loki es irgendwie schafft zu entkommen, fangen wir wieder von vorne an. Es gibt de facto keinen Grund, ihn am Leben zu lassen. Und dieses Experiment – seien wir ehrlich – ist ein Witz. Der Einzige, der das toll findet, ist Taps. Für seinen Lebenslauf.« Mit einem vielsagenden Blick in die Runde kreuzte er die Arme im Nacken und lehnte sich demonstrativ zurück. »Ihre Sichtweise leuchtet mir ein«, gestand Rogers. »Aber mir widerstrebt es, einen so strikten Befehl zu missachten. Lebend könnte Loki S.H.I.E.L.D. von großem Nutzen sein. Er hat immenses Wissen, Kenntnisse von Welten, die auch Thor nicht kennt, Zugang zu mächtiger Technologie. Wenn er kooperiert, könnten wir durch ihn in künftigen intergalaktischen Kriegen einen großen Vorteil erlangen.« »Der Punkt ist aber, Steve«, widersprach Stark hitzig, »dass Loki nur mit einem kooperieren wird, und das ist Thor. Und der, so gern ich den Großen auch hab, ist nun mal ein eher schlichtes Gemüt. Er würde sowieso mit Loki nach Asgard abhauen. Thor will Frieden haben, auf seinem weißen Ross über Wiesen galoppieren, rohen Lachs essen und was nordische Götter sonst noch alles so machen. Außerdem …« Seine Miene wurde schlagartig besorgt. »… hasst er das, was gerade mit Loki passiert. Natasha hat es uns doch gesagt. Und ich hab’s gesehen. Phil, Sie auch. Es ist widernatürlich. Kuschelnde Opossums sind eine Sache, kuschelnde Superschurken eine ganz andere. Loki verwandelt sich nicht in einen netten Schwiegersohn, sondern in ein psychisches Wrack. Seine Gefühle werden ihn auffressen. Diese Droge wird aus seinem genialen Hirn Gelee machen.« Coulson konnte nicht anders, als langsam zu nicken. Er hatte ebenfalls gesehen, was Stark schilderte. Zwar war es nicht spektakulär gewesen, doch es war nur eine leise Ahnung dessen, was ihnen noch bevorstand. »Loki verliebt sich in Thor, so viel steht fest«, musste er einräumen. »Und zwar gegen seinen Willen. Es wird nicht gut gehen.« »Meine Rede, Phil.« Sekundenlang taxierte Stark die Runde, legte dann bedeutsam einen Finger an die Lippen und fuhr leise fort: »Wenn es keinen anderen Weg mehr gibt, müssen wir tun, was nötig ist. Lokis Zelle kann mittels Geheimcode aus dem Flugzeug abgeworfen werden. Nicht mal er würde einen Fall aus einer Höhe von dreißigtausend Fuß überleben. Fünfzigtausend, mittlerweile.« Entschlossen wandte er sich an Romanoff: »Natasha, Sie haben doch sicher den Code.« Die rothaarige Frau mit der undurchschaubaren Mimik erwiderte seinen Blick kalt. »Tun Sie, was Sie für richtig halten«, sagte sie abweisend und erhob sich in einer fließenden, lautlosen Bewegung von ihrem Stuhl. »Aber ich werd’s nicht tun.« Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Raum und ließ die drei Männer allein. Nach einigen Sekunden schweigender Verblüffung sah Coulson wieder zu Stark. Dieser öffnete den Mund und schloss ihn wieder. »Ihr Plan stößt nicht auf Begeisterung«, merkte Rogers an. »Ähm. Ja. War mir irgendwie klar.« Stark befeuchtete sich die Lippen. »Andererseits … gibt’s noch andere Wege, an den Code zu kommen.« Er nickte Coulson zu. »Und genau vor mir sitzt einer.« Bei der Abendbesprechung fehlten Thor und Bruce Banner. Agent Hill erklärte mit blassem Gesicht, dass sich Letzterer bis zum Ende der Reise unter Dauermedikation befinden werde. Außerdem erläuterte sie die erschreckende Feststellung, die sie und der Wissenschaftler zuvor gemacht hatten: dass sämtliches technisches wie menschliches Versagen, das auf dem Schiff wütete, auf den stetig wachsenden Einfluss des unheilvollen Speers zurückzuführen sei. Es sah ganz danach aus, als würde die Bedrohung von allen Seiten keinesfalls geringer – vielmehr schien die schicksalhafte Reise des Helicarriers in einer Katastrophe zu gipfeln, die für die Menschen an Bord einem Krieg gegen Lokis dunkle Armee in nichts nachstand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)