Broken Genius von caladriuss ================================================================================ Kapitel 11: Streit ------------------ Verdammt, ich war spät dran! Die blöde Lehrerin hatte einfach nicht zum Ende kommen können und das Stundenende maßlos hinausgezögert. Obwohl ich so schnell machte, wie ich konnte, kam ich zu spät. Ich sah die Limousine vor dem Krankenhaus stehen, also hastete ich gleich weiter. Ich wusste ja ungefähr, wo ich hinmusste. Und tatsächlich fand ich Kaiba recht schnell. Er saß auf dem Behandlungstisch und er war den Gips schon mal los. Unauffällig gesellte ich mich zu ihm. Doktor Hikawe war schon dabei, Kaiba den neuen Gips anzulegen. Aber das, was ich vom Knöchel noch erkennen konnte, sah eigentlich vollkommen normal aus. Als könnte er einfach so aufspringen und damit herumlaufen. „Sehen Sie nun, wie wichtig es ist, dass Sie sich an meine Anweisungen halten?“, fragte Hikawe. „Die Röntgenbilder haben gezeigt, dass die Fraktur sogar besser verheilt ist, als ich gehofft hatte. Aber Sie sind ja auch noch jung und stark, da sollte sowas auch schnell heilen. Ich rate Ihnen, so schnell wie möglich mit einer Physiotherapie zu beginnen, damit sich der Muskelabbau in Grenzen hält.“ „Physiotherapie?“ Kaiba runzelte die Stirn. „Heißt das, ich soll noch öfter herkommen?“ Wo war das Problem? Er hatte doch viel Zeit. „Sie können sich auch einen Therapeuten in Ihrer Nähe suchen, solange Sie in drei Wochen zur nochmaligen Kontrolle herkommen. Früher glaubte man, Physiotherapie würde die Heilung verzögern oder beeinträchtigen, aber inzwischen weiß man, dass sie den Heilungsprozess nur noch fördert. Je früher man beginnt, desto geringer ist die Gefahr von Folgeschäden und umso früher sind die Patienten vollkommen beschwerdefrei.“, erklärte er. „Dadurch dass es nur ein Anbruch ist und die Fortschritte wirklich gut sind, denke ich, Sie sollten jetzt mit der Physiotherapie beginnen.“ Damit war Kaiba wohl einverstanden. „Gut.“ Hikawe lächelte. „Aber Sie werden auch so sehen, dass mit dem Gehgips alles leichter wird.“ Seinem Blick zufolge bezweifelte Kaiba das. Während der Gehgips trocknete, erklärte Hikawe, was es damit auf sich hatte. „Bei einem Gips besteht immer die Gefahr, dass sich Wasser im Bein sammelt oder sich eine Thrombose entwickelt. Außerdem baut man Muskelmasse ab. Deswegen ist es immer ratsam, einen Gehgips anzubringen, wenn es die Fraktur zulässt, was bei Ihnen ja der Fall ist. Sie können dadurch mit dem Fuß auftreten und normal laufen.“ „Laufen?“ Kaiba horchte auf. „Ich kann wieder normal laufen?“ „Zumindest für eine gewissen Zeit. Ein Gehgips ermöglicht es, im Idealfall ganz ohne Krücken zu laufen. Allerdings sollten Sie es für den Anfang ruhig angehen lassen und doch zumindest die ersten Tage nicht auf die Gehhilfen verzichten. Außerdem ist es für Sie wichtig, zu verstehen, dass das keineswegs bedeutet, Sie könnten den Fuß wieder normal belasten. Sie können damit laufen. Aber nicht den ganzen Tag und keine langen Strecken. Und es ist wichtig, dass Sie den Fuß weiterhin regelmäßig hochlegen und ruhen lassen.“ Trotz der Einschränkungen war das doch schon mal ein riesen Fortschritt. Er konnte wieder laufen. Das war das wichtigste. Hikawe fuhr fort. „Wenn Sie draußen sind, müssen Sie darauf achten, den Gips nicht den Witterungsverhältnissen auszusetzen. Also kein nasses Gras oder Spaziergänge durch den Regen. Und sollten Sie irgendwelche Beschwerden damit haben, kommen Sie sofort zu mir. Gegebenenfalls müssen wir den Gips dann wechseln. Bei uns gilt die Devise »ein Patient mit Gips hat immer Recht«“ Die Devise gefiel ihm, das sah ich. Aber Kaiba wirkte im Moment sowieso unglaublich erleichtert. Ich hatte seine Augen noch nie so leuchten sehen. „Beim Treppensteigen werden Sie weiterhin eine Krücke brauchen, aus Sicherheitsgründen. Und Sie werden sich am Anfang vermutlich ein wenig schwer tun, damit zu laufen. Dadurch, dass der Knöchel nicht zu Seite abknicken kann, wird es ein wenig gewöhnungsbedürftig sein. Aber Sie können mit dem Fuß ganz normal abrollen. Und wenn Sie das mit dem Laufen nicht hinkriegen, wird Ihnen auch dabei ein Physiotherapeut helfen können.“ Das klang doch alles ganz gut. Scheinbar auch für Kaiba, denn er wirkte ungewöhnlich ungeduldig, während Hikawe noch einmal den richtigen Sitz des Gipses kontrollierte. „Dann treten Sie jetzt mal damit auf!“, forderte er. Bereitwillig rutschte Kaiba vom Behandlungstisch. Allerdings trat er nur mit dem gesunden Bein auf, das andere hielt er doch noch vom Boden fern. „Na los, Sie können mir vertrauen, dass es schon in Ordnung ist, wenn Sie auftreten.“ Vielleicht erinnerte sich Kaiba gerade daran, wie schmerhaft es das letzte Mal für ihn gewesen war. Zumindest zögerte er. Nur langsam und wirklich äußerst behutsam setzte er mit dem Gips auf dem Boden auf. Und er schien selbst überrascht zu sein, dass es nicht wehtat. „Es geht wirklich.“, hauchte er. „Na sehen Sie.“ Hikawe drückte ihm die Krücken in die Hand. „Und zuhause können Sie sich vorsichtig herantasten. Machen Sie nicht mehr, als Sie sich zutrauen, aber nutzen Sie ruhig die Möglichkeit, zu laufen.“ Kaiba nickte nur. Er schien immer noch ganz erstaunt, dass er tatsächlich auftreten konnte. Fast wie hypnotisiert starrte er seine Füße an. Und trotzdem stütze er sich wieder auf die Krücken, als wir das Krankenhaus verließen. Vielleicht wollte er es langsam angehen lassen. Zumindest legte er auch in der Limousine den Fuß sofort hoch. „Traust du deinem Gehgips noch nicht?“, spöttelte ich. „Ich gehe es nur langsam an.“ Er warf mir einen giftigen Blick zu. „Problem damit?“ „Ist dein Fuß. Aber freu dich doch, dass du jetzt viel mobiler bist als vorher. Hätte nicht gedacht, dass du damit wirklich laufen darfst.“ „Ich auch nicht.“ Er warf erneut einen Blick auf den neuen Gips und wieder begannen seine Augen zu leuchten. Auf seine Lippen stahl sich sogar ein schwaches Lächeln. Obwohl es ihm schmeichelte, wirkte es bei ihm immer ein wenig schüchtern, irgendwie jungenhaft. Aber er sah wirklich schön damit aus, besonders, weil er sich heute wieder in Schale geworfen hatte. Er trug wieder einen Anzug und sein Haar war ordentlich nach hinten gekämmt. „Wieso hast du dich so zurechtgemacht?“ „Ich kann ja schlecht herumrennen wie frisch aus der Mülltonne gekrabbelt.“ Ich runzelte kritisch die Stirn. „Das war dir die letzte Woche aber auch egal.“ „Erstens bin ich auch da nicht schlampig herumgelaufen und zweitens war ich da zuhause und nur du anwesend.“ „Ach, ich bin es also nicht wert, dass du dich für mich schick machst, ja?“ „Warum sollte ich das tun? Reicht dir mein legeres Hausoutfit nicht?“ „Doch… ist mir doch egal, wie du rumrennst.“ Egal, was ich sagte, das Lächeln blieb auf seinen Lippen. Anscheinend bedeutete ihm dieser Fortschritt unglaublich viel. Und es war ansteckend. Wenn ich ihn ansah, kam es mir so vor, als würde sein Glück auf mich überspringen. Also erwiderte ich sein Lächeln und genoss genau wie er einfach den Augenblick. Als wir in der Villa ankamen, wollte er geradewegs die Treppe hoch, aber ich hielt ihn zurück. „Willst du nicht erst mal unten bleiben? In den Garten oder so? Du musst dich doch jetzt nicht mehr in deinem Zimmer verschanzen.“ Er überdachte meinen Vorschlag. „Im Garten ist es aber zu sonnig.“ Da fiel mir erst auf, dass die Rötung von gestern wirklich weg war. Also war es wirklich kein Sonnenbrand gewesen. Aber es zeigte trotzdem seinen empfindlichen Hauttyp. „Dagegen gibt es Sonnencreme.“ Das leuchtete ihm ein. „Aber vorher machen wir dir was zu essen.“, beschloss ich. „Weil du Hunger hast?“ „Exakt.“ Ich ging voran, während er mir hinterher humpelte. In der Küche setzte er sich auf die Anrichte neben dem Herd und sah mich abwartend an. „Was willst du essen?“, fragte ich erwartungsvoll. „Du hast Hunger.“ „Und du keine Meinung?“ „Ich bin nicht wählerisch.“ „Ach nein?“ Das bezweifelte ich jetzt doch ein bisschen. Wer reich war, hatte die Wahl und war demzufolge garantiert auch wählerisch. „Sind Nudeln deinem verwöhnten Gaumen genehm?“ „Das wird sich zeigen.“ „Wann?“ Er wiegte geheimnisvoll den Kopf hin und her. „Wenn es fertig ist.“ „Und wenn es dir nicht schmeckt?“ „Dann musst du danach etwas anderes kochen.“ „Großartig!“, knurrte ich. „Aber da ja nur ich Hunger habe, dürfte es ja egal sein, ob es dir schmeckt oder nicht.“ „Das ist ziemlich egoistisch.“, bemerkte er trocken. „Mir doch egal. Ich koche und entweder du isst es oder lässt es!“ Er warf mir einen beleidigten Blick zu und schwieg. Anscheinend schmollte er. Egal, ich machte mich daran, diese gigantische Küche nach Zutaten und Kochgeschirr zu durchsuchen. Kaiba hätte mir ja einfach helfen können, aber er grollte mir wohl wirklich. Ich fand aber auch so, was ich suchte. Es dauerte eben nur länger. Während ich Nudeln aufsetzte und eine Tomatensauce aus keine Ahnung was improvisierte, merkte ich ihm Augenwinkel, wie Kaiba vom Tisch glitt. Was hatte er denn vor? Ganz vorsichtig stellte er sich mit beiden Beinen auf den Boden. Wollte er versuchen, zu laufen? Ich lehnte mich an den Tresen und sah gespannt zu, wie er ganz langsam und zögerlich den Gips vorschob. Aber er haderte damit, den anderen vom Boden zu lösen, als würde er dem ganzen noch nicht vertrauen. Da! Bevor er wirklich den Schritt wagte, zog er sich doch eine Krücke zur Hilfe heran. Erst damit wagte er es tatsächlich, den gesunden Fuß vom Boden zu lösen und sich auf den Gips zu stützen. Und auch wenn es nur kurz und mithilfe der Krücke war, so hatte er doch tatsächlich einen ersten Schritt gewagt. „Wie fühlt es sich an?“, fragte ich leise. „Merkwürdig. Als würde man auf Eiern laufen.“ „Aber es funktioniert und das ist die Hauptsache.“ „Ja…“ Er lächelte schwach. „Es wird funktionieren.“ Zuversicht stand ihm zumindest wesentlich besser als Resignation. Aber noch reizte er seine neugewonnene Mobilität nicht aus. Nach dem ersten Schritt schwang er sich wieder auf die Anrichte und sah mir weiter beim Kochen zu. Als die Nudeln fertig waren, kippte ich sie in eine Schüssel und stellte sie neben den Herd, während ich mich weiter um die Sauce kümmerte. Doch plötzlich zupfte Kaiba sich ein paar Nudeln heraus, einfach so, und steckte sie sich in den Mund. Welch barbarisches Benehmen! „Die sind etwas zu salzig.“, bemerkte er. Ach? „Weißt du, dass es ziemlich unhöflich ist, einfach mit bloßen Händen in die Schüssel des Koches zu langen?“ Ich zog sie von ihm weg, damit er nicht nochmal hineingreifen konnte. „Weißt du eigentlich, dass es mindestens genauso unhöflich ist, ungefragt in fremden Küchen zu kochen?“, bemerkte er trocken, „Und da das meine Schüssel ist, zählt dein Argument sowieso nicht.“ „Wenn meine Kochkünste so unhöflich sind, werde ich dich mit dem Resultat nicht belästigen! Und es ist Mokubas Schüssel.“ „Und da Mokuba mein Bruder ist und kein eigenes Geld verdient, sondern nur Taschengeld von mir bekommt, ist es doch meine.“ „Du willst also deine Schüssel wieder?“ Genervt kippte ich die Nudeln auf den Tisch und drückte ihm die leere Schüssel in die Hand. „Dann werde glücklich damit!“ Damit hatte er nicht gerechnet. Er sah mich nur vollkommen verwirrt an, also könnte er nicht fassen, dass ich ihm so patzig kam. „Wenn du was essen willst, dann hör auf mich zu kritisieren. Also halt die Klappe, behalt die Finger bei dir und geh mir nicht auf den Keks!“ Unwillkürlich zog er die Schüssel fester an sich. Man, wenn er mich so ansah, bekam ich fast ein schlechtes Gewissen. „Das ist mein Haus.“, murmelte er, allerdings nicht gerade mit Nachdruck. „Aber ich koche!“ Dagegen sagte er nichts mehr. Sieg für mich. Da er jetzt ruhig war, konnte ich mich darauf konzentrieren, der Sauce irgendwie zu Geschmack zu verhelfen. Aber egal, was ich dazugab, irgendwie schmeckte es einfach fad. Vielleicht war ich kein guter Koch, aber es würde schon gehen. Doch gerade als ich anrichten wollte, merkte ich, dass Kaiba verschwunden war. Aber wohin? Hatte ich ihn vertrieben? Etwas ratlos machte ich mich auf die Suche. Wo könnte er denn stecken? Als erstes sah ich in sein Zimmer, aber da war er nicht. Auf der Terrasse auch nicht. Unten im Wohnzimmer auch nicht. Verdammt, die Villa war so riesig, dass es ewig dauern würde, ihn zu finden. Woher hätte ich denn auch wissen sollen, dass er gleich beleidigt sein und abhauen würde? Nach einer gefühlten Ewigkeit brach ich die Suche schließlich ab. Der würden schon wieder auftauchen und ich hatte Hunger. Jetzt würde das Essen zwar kalt sein, aber viel versauen konnte man daran eh nicht mehr. Und zu meiner Überraschung fand ich in der Küche auch Kaiba wieder. Er saß wieder auf dem Tresen, als wäre nichts gewesen und sah mich unverwandt an. In den Händen hielt er seine Schüssel, inzwischen gefüllt mit Nudeln, vermischt mit einer Sauce, die besser aussah, als meine Kreation. „Wo hast du das denn her?“, fragte ich verblüfft. Ich tat hier mein Bestes, um zu kochen und er zauberte einfach von irgendwo sein eigenes Essen her. „Für so etwas beschäftige ich einen Koch.“ Seine Stimme klang auf einmal kühler, distanzierter. Und auch sein Blick wirkte feindseliger als zuvor. „Oh…“ Mehr konnte ich dazu nicht sagen. Mich irritierte sein Verhalten ungemein. Was war denn in ihn gefahren? Er schwang sich von der Anrichte, stellte sich auf beide Beine, nur um mich eiskalt niederzustarren. „Das hier ist mein Haus! Und meine Küche!“ Er tat einen Schritt auf mich zu. „Mir scheint, du hast vergessen, welche Besitzverhältnisse hier bestehen. Du hast mir in meinem Haus nicht zu sagen, was ich zu tun oder wie ich mich zu verhalten habe! Und du hast dich erst recht nicht wie der Hausherr aufzuführen!“ Oha! Er markierte sein Revier. Vielleicht war ich ihm gegenüber wirklich ein bisschen zu vorlaut geworden. Ich hatte vergessen, dass wir keine Freunde waren und er auch nicht der Typ, der sich lange auf der Nase herumtanzen ließ. „Wenn du in der Küche kochen willst, in Ordnung. Aber frag mich doch erst, verdammt nochmal!“ Ich senkte betreten den Blick. „Es tut mir Leid.“ Geräuschvoll knallte er neben mir die Schüssel auf den Tisch. „Iss! Und dann gehst du nach Hause.“ Sein Blick war eindringlich und zeigte mehr als deutlich, dass er mich nicht bat. Er ging zurück zum Tresen und schnappte sich die Krücke. Stimmt, er war eben die Schritte wirklich ohne Hilfe gelaufen. Aber statt sich darüber zu freuen, machte er mich nieder. „Es wäre nett, wenn du die Schweinerei entfernst, bevor du gehst.“ Er deutete auf die Nudeln, die ich vorhin auf den Tisch gekippt hatte. Dann humpelte er davon. Etwas sprachlos blieb ich zurück. Das… war wirklich äußerst überraschend gekommen. Dabei hätte mir klar sein müssen, dass er mich nicht in seinem Haus schalten und walten lassen würde wie ich wollte. Er war von Natur aus ein dominanter Mensch und er würde nicht zulassen, dass jemand ihm die Zügel aus der Hand nahm. Sein Haus, sein Herrschaftsbereich. Seufzend machte ich mich daran, die Sauerei zu beseitigen und auch gleich meine selbst kreierte Sauce wegzuschütten. Eher lustlos probierte ich nebenbei die Nudeln aus der Schüssel, die Kaiba hingestellt hatte. Wow… das Essen war echt der Hammer. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so etwas Gutes gegessen zu haben. Und Kaiba konnte das bekommen, wann immer er wollte? Zum Glück war er abgehauen, bevor er meins probiert hatte. Damit konnte ich auf keinen Fall konkurrieren. Aber wie hatte er bei einem so guten Essen einfach abhauen können, ohne davon wenigstens zu probieren? Egal, ich musste ihn sowieso suchen, um mich zu entschuldigen und mit ihm ins Reine zu kommen. Ich wollte nicht, dass er mich jetzt wieder ausschloss, auch wenn mir klar war, dass seine neugewonnene Mobilität auch dafür sorgte, dass er nicht mehr zwingend auf meine Gesellschaft angewiesen war. Aber es wäre nicht fair. Ich hatte ihn begleitet, als er darauf angewiesen war und damit hatte ich ja wohl verdient, auch weiter behelligt zu werden. Ich nahm die Schüssel mit und machte mich auf die Suche. Erstaunlicherweise fand ich ihn recht schnell, und zwar im Garten. Ich war einfach mal meinem Gefühl gefolgt und fand ihn ziemlich weit hinten im Garten, an dem kleinen Teich, den ich auch schon von seiner Terrasse auch gesehen hatte. Vorsichtig ging ich näher heran. Er saß im Gras und beobachtete die Fische im Teich. „Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte ich leise. Er sah auf, nicht im Mindesten von meinem Erscheinen überrascht, aber er antwortete auch nicht. Also setzte ich mich einfach. Er ließ mich dabei nicht aus den Augen. Irgendwie konnte ich seinen Blick nicht so recht deuten. Er starrte mich so durchdringend an, als würde er mein Gehirn scannen, aber seine Augen waren dabei dunkel und verschlossen, so dass ich seine momentane Stimmung nicht einschätzen konnte. Also begann ich einfach mal. „Ich wollte mich entschuldigen. Du hast recht, ich habe mir dir gegenüber zu viel herausgenommen. In Zukunft werde ich mich mehr zurückhalten.“ Ich hatte jedes Wort auch so gemeint und meine Entschuldigung war absolut aufrichtig. Allerdings schien sie ihn nicht gerade zufrieden zu stellen. Er schraubte nur unbeeindruckt eine Augenbraue in die Höhe, maß mich mit diesem kritischen Blick. Normalerweise hätte mich das unruhig werden lassen, aber ich konnte das inzwischen ganz gut durchschauen. Durch sein Schweigen wollte er mich verunsichern und strafen. Aber ich hatte schon lange begriffen, dass ich mich zur Ruhe zwingen musste, wenn ich bei ihm etwas erreichen wollte. Wenn ich auf seine Spielchen hereinfiel, ließ er mich eiskalt auflaufen. Ich hielt ihm die Schüssel mit den Nudeln hin. „Die sind wirklich gut.“ „Ich weiß.“ Allerdings schenkte er der Schüssel keine Beachtung. „Willst du nicht probieren?“ „Nein. Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nach Hause gehen?“ Er klang irgendwie genervt. „Schon…“, murmelte ich. Meinte er das ernst? „Dann geh endlich! Nimm die Schüssel meinetwegen mit.“ Etwas unbeholfen stand er auf und stützte sich auf seine Krücke. „Ich fürchte, du verstehst nicht ganz, wie genau unsere Beziehung zueinander ist. Wir sind keine Freunde und ich habe auch kein Interesse, etwas daran zu ändern.“ „Und warum hast du mich dann die letzte Woche geduldet?“ Verärgert fuhr ich auf, „Nur damit ich die unterhalte?“ „Ich kann mich nicht erinnern, dich darum gebeten zu haben.“ Unbeeindruckt hielt er meinem Blick stand. „Du hast es aber auch nicht ausgeschlagen!“ „Ich habe dir die Gelegenheit gegeben, Abbitte zu leisten, da du schließlich der Grund für das hier…“ Er klopfte mit der Krücke gegen den Gips. „… bist. Aber jetzt reicht es. Du hast deine Schuld beglichen, ich vergebe dir. Also verschwinde!“ Dass er das so ruhig sagen konnte, machte mich rasend! Abbitte? Was hatte der Typ denn für eine merkwürdige Sicht auf die Dinge? Dachte er wirklich, ich hätte nur mein schlechtes Gewissen beruhigen wollen? „Also willst du, dass ich gehe und dich in Ruhe lasse?“ „Exakt.“ Ich schnaufte verärgert. Es war wirklich schwer, die Fassung zu wahren, wenn er sich so aufführte. „Du weißt ja, wo der Ausgang ist.“ Er wandte mir den Rücken zu und humpelte zurück zum Haus. „Du benimmst dich wie ein riesen Idiot!“, fauchte ich. „Sollte für dich doch nichts Neues sein.“ Er ließ mich eiskalt abblitzen! Sein Entschluss stand fest, und was ich davon hielt war ihm völlig egal. Vollkommen gelassen setzte er seinen Weg fort. „Du egoistisches Arschloch!“, schrie ich wütend. „So kannst du mit mir nicht umgehen!“ Da blieb er doch stehen. Er wirbelte zu mir herum und starrte mich eiskalt nieder. So einen fiesen Blick hatte ich bei ihm schon lange nicht mehr gesehen. „Ich habe mich dir gegenüber nie verstellt.“ Wahnsinn! Seine Stimme war sowohl tadelnd als auch eindringlich. Wenn er nicht schrie, um sich durchzusetzen sondern ruhig blieb, wirkte das wesentlich eindrucksvoller. „Dein kindischer Verstand hat dich vielleicht zu der Annahme verleitet, wir würden Freunde werden, nur weil wir es tatsächlich einige Tage ausgehalten haben, ohne uns an die Gurgel zu gehen. Das wird aber nicht passieren, okay? Ich brauche keine Freunde wie dich!“ „Weil du zu arrogant bist, um Freunde zu haben!“ „Weil du nicht auf meinem Niveau bist.“, entgegnete er kühl. „W-was soll das heißen, du Mistkerl?“, schrie ich. „Du bist intellektuell keine gute Gesellschaft. Du bist faul, ungebildet, unkonzentriert, unfokussiert und auch noch stolz darauf! Du weißt nicht, was du willst oder kannst und du gibst dir auch keine Mühe es herauszufinden. Du wirst nie etwas erreichen, denn du bist nur unterster Durchschnitt der Gesellschaft und wirst dich nie darüber erheben. Dementsprechend ist auch dein Wortschatz und dein Themenspektrum. Und ich habe kein Interesse an diesem hohlen Geschwafel, das du und deine Freunde so gerne betreiben. Also kehr zurück zu deiner süßen kleinen Kindergartengruppe und lass mich in Ruhe!“ Großartig! Er sagte mir eiskalt ins Gesicht, dass er mich für dumm und unreif hielt. „Du denkst also, ich bin deinem Verstand nicht gewachsen.“, entgegnete ich gezwungen ruhig. „Aber du kennst mich überhaupt nicht genug, um mich vernünftig einschätzen zu können.“ „Ich verspüre auch nicht den Drang, etwas daran zu ändern. Das Gespräch ist beendet!“ ohne mich noch einmal zu Wort kommen zu lassen, ließ er mich stehen. Das wars also? Er schoss mich ab wie eine billige Affäre? Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Einerseits verstand ich, dass ihn meine Aktion mit dem Kochen verärgert hatte, ich verstand sogar, dass er mir gegenüber sein Revier markierte, aber ich hasste ihn für diese arrogante Art, mit der er mich abgeschossen hatte. Als wäre ich ein blödes Spielzeug, das ihm nun langweilig geworden war. Ich hatte wirklich gedacht, zwischen uns wäre alles gut, wir könnten sogar Freunde sein. Aber vielleicht hatte ich doch zu viel in all das hineininterpretiert. Vielleicht hatte sich letztendlich doch nichts zwischen uns geändert. Er war nach wie vor ein reiches verwöhntes Arschloch und wir würden nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Klang logisch. Nur warum konnte ich mich dann nicht damit abfinden? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)