Broken Genius von caladriuss ================================================================================ Kapitel 6: Zauberhände ---------------------- Die ganze Nacht hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, was es mit Kaibas Verhalten auf sich hatte. Die ganze Zeit war er zugänglich gewesen, hatte nichts dagegen gesagt, dass ich auf seinem Bett gesessen hatte und er hatte mir mit Engelsgeduld den Zauberwürfel erklärt. Alles war gut gewesen. Aber ein Spruch und er warf mich raus. Sollte einer das verstehen! Wenn ich wenigstens wüsste, warum er meine Nähe überhaupt duldete. Normalerweise gifteten wir uns immer nur an, aber auf einmal konnten wir ganz normal miteinander reden. Ich war ja eigentlich schuld an seinem angebrochenen Knöchel, doch er warf es mir nicht mal vor. Wie sollte ich daraus denn schlau werden? Ich brauchte mal Pause von ihm. Sein seltsames Gehabe ging mir auf den Geist. Zugegeben, er war umgänglicher als sonst, aber diese Stimmungsschwankungen nervten mich. Sollte er doch sehen, wie er das Wochenende klarkam! Wenn er seinen Gehgips bekam, würde ich dabei sein, das nahm ich mir fest vor. Aber bis dahin sollte er eben allein zurechtkommen. Stattdessen traf ich mich lieber mal wieder mit Yugi. Seit er mit Tea zusammen war, bekam ich ihn kaum noch zu Gesicht. Die Zwei waren ja nicht in meiner Klasse. Zum Glück. Wenn ich die beiden turteln sah, wurde mir schlecht. Aber heute trafen wir uns mal wieder zu zweit. Wir gingen in unsere Lieblingspizzeria und spielten Duell Monsters gegeneinander. Wie in guten alten Zeiten. Dank Tea verstaubten Yugis Karten nämlich, denn sie fand das Spiel doof. Alles war gut. Ich konnte endlich mal wieder den Kopf frei bekommen. Aber dann musste Aber dann musste Yugi alles mit einer Frage kaputt machen. „Stimmt es, dass sich Kaiba wegen dir den Fuß gebrochen hat?“, er fragte es ruhig, aber mir drehte sich davon der Magen um. „W-wegen mir?“ Die ganze Schule wusste, dass Kaiba sich etwas gebrochen hatte. Aber dass sie auch noch wussten, dass es meine Schuld war… das war mir neu. „Alle reden darüber“, Yugi starrte konzentriert auf seine Karten. „Sie sagen, dass einer eurer Streits ausgeufert ist und du durchgedreht bist.“ Das… erklärte zumindest die Tuscheleien in den letzten Wochen. Mir war schon aufgefallen, dass hinter meinem Rücken über mich geredet wurde, aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm war. Yugi legte seine Karten zur Seite, sah mich jetzt doch besorgt an. „Hast du das wirklich getan, Joey? Ich verstehe ja, dass ihr eure Probleme miteinander habt, aber musste das sein?“ Selbst Yugi glaubte das? „Wir haben uns nicht gestritten und ich bin auch nicht schuld gewesen! Zumindest nicht direkt.“ „Du kannst ruhig ehrlich zu mir sein, Joey. Ich weiß ja, wie beleidigend Kaiba dir gegenüber werden kann.“ „Aber so war es nicht!“ Ich erzählte ihm, was sich wirklich zugetragen hatte. Wenigstens mein bester Freund musste mir doch glauben. Klar, Kaiba und ich hatten uns schon öfter dermaßen in die Haare gekriegt, dass wir uns fast geprügelt hätten. Aber es war nie dazu gekommen. Irgendwie war da noch eine magische Grenze, die uns daran gehindert hatte, handgreiflich zu werden. Und seit ich Kaibas Oberkörper gesehen hatte, war ich wirklich froh darüber. Vermutlich hätte er mir den Arsch versohlt. „Kato?“, fragte er überrascht. „Der Schläger, der letztes Jahr von der Schule geflogen ist?“ Ich nickte düster. „Und Kaiba hat dir geholfen?“ Ich nickte erneut. „Das ist doch sonst nicht seine Art.“ Yugi lächelte. „Aber ich habe euch ja immer gesagt, dass er gar kein so schlechter Kerl ist.“ „Hätte er mir nicht geholfen, hätte er sich auch nicht den Knöchel angebrochen.“ Ich seufzte schwer. Eigentlich wollte ich heute nicht über ihn nachdenken, aber Yugi zwang mich dazu. Und er ließ mein schlechtes Gewissen wieder auf Hochtouren laufen, wo ich es doch gerade erst zum Schweigen gebracht hatte. „Aber dann hätte dich Kato vermutlich krankenhausreif geprügelt. Wäre das besser gewesen?“ „Wahrscheinlich. Dann hätte ich nicht so ein schlechtes Gewissen.“ Ich musste wieder daran denken, wie Kaiba damals so blass vor Schmerz auf der Treppe gesessen hatte. Und daran, wie schwer er sich mit dem Gips tat. „Er wird schon zurechtkommen.“, meinte Yugi sanft. „Kaiba ist stur und er muss den Gips doch nur sieben Wochen tragen. Danach wird er wieder ganz der Alte sein.“ „Ja, schon möglich.“ Aber mir gefiel nicht, dass er sich so aufgab. Außerdem musste er den Gips noch eine Woche länger tragen, was zwar seine eigene Schuld war, aber… Moment! Es war seine Schuld! Das war es! Er war gestern sauer geworden, als ich darauf zu sprechen kam. Na klar, er der unfehlbare Seto Kaiba, zu stolz um Fehler zuzugeben, fühlte sich angegriffen. Nur weil er zu stur gewesen war, sich ein wenig zurückzuschrauben, war sein Bein noch nicht besser geworden, und er wusste das. Er wusste, dass es seine Schuld war und er sie niemand anderem in die Schuhe schieben konnte. Das nagte an ihm, kränkte seinen Stolz, da er ja sonst so perfekt war. Und deswegen hatte er gestern so angepisst reagiert. Weil ich ihm seinen Fehler wieder vorgeworfen hatte. So langsam verstand ich es. Er duldete mich, warum auch immer, aber nur solange er sich nicht angegriffen fühlte. So ein Feigling! „Entschuldige mich, ich muss los.“ Ich sprang auf und rannte nach draußen. Klar, es war unhöflich, Yugi einfach sitzen zu lassen, aber ich musste Kaiba den Kopf waschen gehen. Entschlossen lief ich durch die Villa und stürmte sein Zimmer. Oh ja, ich würde ihm die Meinung geigen! Als ich reinstürmte und seinen Namen brüllte, lag er quer auf dem Bett und warf Smarties in die Luft, um sie mit dem Mund zu fangen. Mein Ansturm erschreckte ihn wohl so, dass er sich an einer Schokolinse verschluckte. Fast schon panisch setzte er sich auf, rang nach Luft und hustete verzweifelt. Ups. Das war nicht gut. Ich wollte ihm den Kopf waschen und ihn nicht umbringen! Schnellte eilte ich zu ihm und klopfte ihm mit der Faust auf den Rücken. Scheinbar half ihm das, die Linse wieder rauszuwürgen. Gierig schnappte er nach Luft. Glück gehabt. Ich atmete erleichtert auf. Zornig fuhr er zu mir herum. „Willst du mich umbringen?!“ „Kann ich wissen, dass du Smarties durch die Luft wirfst?“ Er knurrte böse. „Wieso fällst du wie eine Horde Barbaren in mein Zimmer ein? Ich hab gesagt, ich brauche keinen Aufpasser!“ „Nein, du brauchst jemanden, der dir einen Tritt in den Arsch verpasst!“ Er kniff die Augen zusammen, starrte mich finster an. „Der Seto Kaiba, den ich kenne, würde sich nie so hängen lassen!“ „Was weißt du schon?“, er schnaufte. Ich baute mich vor ihm auf, sah streng auf ihn herab. „Ich weiß, dass du langsam mal anfangen musst, dich mit deiner Situation zu arrangieren und aufzuhören, die Schuld herumzuschieben.“ „Ich habe mich arrangiert!“ „Indem du Smarties durch die Luft wirfst? Der Wahnsinn!“ Er grummelte leicht. „Du bist selbst schuld, dass du den Gips länger tragen musst.“ Da wurden seine Augen wieder dunkel vor Zorn. Das war wirklich der Knackpunkt. Sobald man ihn mit seinen Fehlern konfrontierte, rastete er aus. Ich fuhr schnell fort, ehe er mich erneut rauswerfen konnte. „Aber ich bin schuld daran, dass du dir überhaupt den Knöchel angebrochen hast.“ Ich senkte meine Stimme. Bis jetzt hatten wir nicht darüber gesprochen. Wir beide wussten, dass es ohne mich nie passiert wäre, er hatte es jedoch nie erwähnt. „Aber es ist doch egal, wer an was schuld hat. Wichtig ist nur das hier und jetzt.“ „Was soll das werden?“, fragte er kritisch. „Du kannst nicht ändern, was passiert ist, du kannst nur das Beste daraus machen.“ Er starrte mich durchdringend an. Und das ziemlich lange, als wöge er ab, wie er meine Worte auffassen sollte. Glaubte er mir? „Und was soll ich deiner Meinung nach machen?“, fragte er gepresst. „Nutz die Zeit und such dir eine Beschäftigung. Du kannst zwar nicht laufen, aber deine Hände sind gesund.“ „Und was?“ „Wie wäre es mit malen?“ „Ich kann nicht malen!“, murrte er. „Hast du es mal probiert?“ „Wozu? Ich kann es einfach nicht.“ Ich seufzte. „Wenn du nächste Woche deinen Gehgips kriegst, hast du auch viel mehr Möglichkeiten als heute.“ „Ich will aber nicht malen!“ er reagierte wie ein bockiges kleines Kind. „Dann irgendwas anderes.“ „Lesen zählt nicht, oder wie?“ „Nein! Dabei bewegt man sich doch nicht.“ „Aber beim Malen, ist klar!“ Er verdrehte genervt die Augen, sichtlich nicht angetan von meinen Vorschlägen. „Naja… nicht direkt.“ Das war ein schlagendes Argument. „Aber wenigstens machst du dann was Nützliches.“ „Lesen ist also sinnlos?“ „Es ist mal etwas anderes. Du kannst ja nicht nur die ganze Zeit lesen!“ „Aber ich kann ja nichts anderes machen!“ „Du versuchst es doch nicht mal!“ Beleidigt verschränkte er die Arme vor der Brust. „Was weißt du schon? Du hast doch keine Ahnung. Und du hast mir erst recht nichts zu sagen!“ Ich seufzte genervt. Der Kerl war wirklich stur und verdammt uneinsichtig. Am liebsten hätte ich ihn gepackt und kräftig durchgeschüttelt, damit er wieder zur Vernunft kam. Aber dann kam mir eine viel bessere Idee. Er würde sich aufraffen, oh ja! „Wenn du die nächsten Wochen nur auf deinem Bett sitzen und schmollen willst, dann viel Spaß!“, schnaufend verschränkte ich die Arme vor der Brust, „Aber heul nicht, wenn du danach dick und fett bist!“ „Wie Bitte?“, er sah mich ungläubig an. „Was denn? Denkst du, du kannst sechs Wochen auf deinem Arsch sitzen, ohne dabei wie ein Hefekloß aufzuquellen?“ Treffer! Das saß. Ich sah an seinen immer größer werdenden Augen, dass ihn das traf. Kaiba war eitel und krankhaft auf sein Äußeres bedacht. Die Aussicht, seinen perfekten Körper zu verlieren, schien ihm ganz und gar nicht zu gefallen. Innerlich lachte ich mir ins Fäustchen. Man musste nur wissen, wie man Kaiba händeln musste. Ich sah, wie in seinen Augen ein entschlossener Ausdruck aufleuchtete. Jetzt würde er sich garantiert nicht mehr so gehen lassen. „Und was schlägst du vor? Außer malen?“ „Wir könnten auch Duell Monsters gegeneinander spielen.“ Er verdrehte die Augen. „Da ist ja selbst Malen anspruchsvoller.“ „Klar, weil du es nicht kannst.“ Er knurrte leise. „Dann nicht. Aber du kannst dich nicht weiter wie Gollum in deiner Höhle verkriechen.“ „Wer?“ „Gollum. Du weißt schon. Der aus >Herr der Ringe