Broken Genius von caladriuss ================================================================================ Kapitel 4: Rückschritt ---------------------- Es war schwer, durchzuhalten, ohne Kaiba zu besuchen. Aber wenn ich ihn nicht nerven wollte, musste ich ihn auch mal ein paar Tage in Ruhe lassen. Mein Plan sah vor, die ersten drei Wochen gar nichts zu unternehmen. Danach würde Kaiba bestimmt wesentlich zugänglicher sein. Dann könnte er nämlich schon wieder auftreten und wunderbar zurechtkommen. Doch Kaiba, dieser elende Sturkopf, machte mir einen Strich durch die Rechnung. Es waren gerade mal zwei Wochen vergangen, als mich Mokuba am Montag in der Mittagspause vom Schulhof direkt in die Limousine zerrte. Was zum-? Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, als wir uns auch schon in Bewegung setzten. „Wohin fahren wir?“ „Ins Krankenhaus“, der Kleine sah irgendwie ziemlich verärgert aus. „Wieso? Ist etwas passiert? Hat es mit Kaibas Knöchel zu tun?“ Hoffentlich war es nichts Schlimmes. „So in der Art“, Mokuba sah mir direkt in die Augen. „Du kennst meinen Bruder, du weißt, dass er stur ist“ Ich nickte, aber worauf wollte er hinaus? „Nun, sagen wir, er hat diese verordnete Ruhe nicht ganz so ernst genommen?“ während er sprach, verfinsterte sich Mokubas Blick. „Soll heißen?“ „Der Idiot ließ sich nicht davon abhalten, weiter täglich in die Firma zu humpeln.“ Oha. Wieso überraschte mich das eigentlich? Er war doch mit Abstand der sturste Kerl, den ich kannte. War doch klar, dass er sich von einem angebrochenen Knöchel nicht von seiner Arbeit abhalten ließ. „Und jetzt ist es schlimmer geworden?“, fragte ich besorgt. „Keine Ahnung. Das wird ja gleich der Arzt feststellen. Eigentlich soll er ja heute den Gehgips bekommen“ Stimmt, zwei Wochen waren um. „Aber wozu brauchst du jetzt mich?“ Der Kleine sah mich irgendwie seltsam an. „Ich denke, wenn du ihn deswegen anpfeifst, wird er eher darauf hören, als auf mich“ „W-was? Warum sollte er?“ Kaiba sollte auf mich hören? Na klar, weil wir uns sonst ja auch so gut verstanden! „Seto meinte, du hast ihm geholfen, mit den Krücken umzugehen. Dich lässt er also an sich heran“, fuhr Mokuba fort. „Ich denke, bezüglich dieses Themas vertraut er dir“ Kaiba… vertraute mir? Wow, das machte mich echt sprachlos. Und stolz. Der kleine Sturkopf ließ sich also tatsächlich etwas von mir sagen. Bei dem Gedanken musste ich grinsen. „Jeden anderen hätte er garantiert weggestoßen, aber von dir ließ er sich sogar bedenkenlos festhalten, als er damals bei der Villa aus der Limousine gestiegen ist“ „Also mag er mich irgendwo doch“ Irgendwie ließ diese Erkenntnis innerlich einen kleinen Freudenhüpfer machen. „Mögen, naja…“ Mokuba wiegte den Kopf hin und her. „Ich bin zwar sein Bruder, aber auch ich weiß nie genau, was Seto denkt. Er ist nicht gerade der Typ, der sein Herz auf der Zunge trägt“ So hätte ich ihn auch nicht eingeschätzt. Unterkühlt und distanziert war Kaiba schon immer gewesen. Aber ich war mir trotzdem fast sicher, dass er zumindest eine minimale Sympathie für mich hegte. Sonst hätte er mich wahrscheinlich schon weggestoßen, als ich ihm im Krankenhaus mit den Krücken geholfen hatte. Wir wurden vor dem Krankenhaus abgesetzt. Ich wollte reingehen, aber Mokuba hielt mich zurück. „Er müsste gleich kommen.“ Tatsächlich fuhr wenige Minuten später eine weitere Limousine vor und Kaiba stieg in Begleitung von Roland, seinem PA, aus. Sie waren beide pikfein angezogen. Roland stand der schwarze Anzug ja schon gut, aber bei Kaiba saß er wirklich wie angegossen. Er schmiegte sich perfekt an seine breiten Schultern und unterstrich seine schlanke Statur, zeigte dabei aber nicht, dass er durchaus gut trainiert war. Die schwarzen Hosen schmeichelten seinen langen Beinen ohne sie aber zu lang und schlaksig wirken zu lassen. War bestimmt eine Maßanfertigung. Er trug einen schwarzen auf Glanz polierten Lederschuh und die Haare waren ordentlich zu einem Seitenscheitel gekämmt. Sein ganzes Outfit wirkte unendlich elegant, selbst der Gipsfuß änderte nichts daran. Aber als Roland ihm die Krücken reichte, wurde es doch ein klein wenig lächerlich. Da stand er, von oben bis unten gestriegelt und dann kamen dazu diese albernen Krücken. Ohne auf Mokubas bösen Blick zu achten, humpelte er voran. Mich beachtete er nicht einmal. Also folgten wir ihm nur schweigend. Mir fiel auf, dass er inzwischen wirklich sicher mit den Krücken laufen konnte. Er war viel schneller als noch vor zwei Wochen. So eine wichtige Person wie Kaiba kam natürlich auch sofort ran. Doktor Hikawe schnitt den Gips auf und untersuchte das Bein. Es war gar nicht mehr so geschwollen wie direkt nach dem Unfall. Eigentlich sah sein Knöchel fast normal aus. „Gab es irgendwelche Probleme?“, fragte er, während er langsam vom Knöchel zur Fußsohle glitt. „Alles Bestens“, Kaibas Antwort kam viel zu schnell. Als Hikawe leichten Druck auf die Fußsohle ausübte, verspannte sich sein ganzer Körper. Es tat anscheinend weh. Wieso log er? Der Arzt schien es zumindest nicht zu bemerken. „Dann röntgen wir das mal“ Während Kaiba brav sein Beinchen röntgen ließ, wandte Mokuba sich an mich. „Ist dir etwas aufgefallen?“ Was sollte mir aufgefallen sein? Dass er in diesem Anzug ziemlich gut aussah? Dass die zum Seitenscheitel gekämmten Haare seinem Gesicht unglaublich schmeichelten? Nein, er meinte bestimmt etwas anderes. „Dass er Schmerzen hatte, als Hikawe Druck auf seine Fußsohle ausgeübt hat?“ Mokuba nickte. „Eigentlich dürfte es nicht mehr so schlimm sein. Er sollte ja heute den Gehgips kriegen“ „Aber warum ist es denn noch so schlimm?“ „Kannst du dir das nicht denken?“, verärgert wandte sich der Kleine Roland zu, der sich bis jetzt seelenruhig im Hintergrund gehalten hatte, wahrscheinlich nur wartete, bis Kaiba fertig war und wieder zur Firma wollte. „Wenn Sie ihm nicht geholfen hätten, hätte er das nie durchziehen können!“, fauchte Mokuba. Roland rückte ungerührt seine Sonnenbrille zurecht. „Mr. Kaiba ist mein Chef. Ich habe zu tun, was er von mir verlangt.“ „Aber nicht, wenn es ihm schadet!“ „Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass ich sein Vorhaben nicht unterstützen kann. Aber davon wollte er nichts hören. Er hat mir sogar gedroht, mich zu entlassen, wenn ich mich da einmische“ Mokuba schnaubte. „Typisch! Ab sofort werden Sie keine Befehle mehr von ihm entgegen nehmen! Mein Bruder ist krankgeschrieben. Er darf gar nicht arbeiten!“ „A-aber“ „Nichts aber! Warten Sie bei der Limousine. Ich komme gleich nach und dann regeln wir alles“ Erstaunlicherweise kuschte Roland tatsächlich. Ohne ein weiteres Wort verließ er das Behandlungszimmer. „Was war das?“, fragte ich verwirrt. Mir erschien das alles ziemlich merkwürdig. „Mein Bruder hätte es nie geschafft, das alles durchzuziehen, wenn Roland ihm nicht geholfen hätte. Er hat ihn herumchauffiert, ihm geholfen unauffällig durch den Hintereingang in die Firma zu kommen und alles so arrangiert, dass er alle Geschäftsmeetings in seinem Büro abhalten konnte.“ Ah ja… Das klang ganz nach Kaiba. Aber das mit dem hereinschleichen verstand ich nicht. Ich fragte Mokuba danach. Er verdrehte die Augen. „Mein Bruder ist dermaßen eitel! Er wollte nicht, dass seine Angestellten oder seine Geschäftspartner sehen, dass er einen Gips tragen muss.“ „Ist das denn keinem aufgefallen?“ „Von der Tiefgarage aus führt ein Fahrstuhl, den nur mein Bruder benutzen kann, bis in die Chefetage. Seinen Sekretärinnen hat er frei gegeben, also war er da ganz allein.“, der Kleine seufzte. „Und sein Schreibtisch hat eine Rückwand, also kann niemand sein Bein sehen, wenn er sich dahinter befindet.“ Für mich klang das ziemlich ausgeklügelt. Aber wo war da das Problem? Bei der Arbeit saß er doch eh nur herum. „Aber bei der Arbeit kann er sein Bein ja nicht hochlegen. Und um dahin zu kommen, muss er ja auch ziemlich durch die Gegend hüpfen.“, erklärte Mokuba. „Außerdem hast du doch gesehen, was er macht, wenn andere den Raum betreten“ Was denn? Ich dachte an die Polizisten. „Er steht auf“ Mokuba nickte. Als der Kleine sie hereingeführt hatte, war Kaiba ganz automatisch aufgestanden. Dann würde er das wohl auch machen, wenn er seine Geschäftspartner empfing. Sein Stolz ließ es wohl wirklich nicht zu, dass er sich die Blöße gab, seine Verletzung zuzugeben. Dann musste es ihm vermutlich ziemlich gegen den Strich gehen, dass ich davon wusste. Endlich kam Kaiba wieder. Zielsicher humpelte er zum Behandlungstisch und setzte sich darauf. „Wo ist Roland?“ „Ich habe ihm gesagt, dass er, solange du krankgeschrieben bist, nicht mehr unter deiner Leitung arbeitet.“, murrte Mokuba. Kaiba schien das alles andere als lustig zu finden. „Bitte was? Was denkst du dir dabei!“ „Dass du deinen Fuß nicht schonst, wenn man dich nicht dazu zwingt!“ Kaiba wollte etwas erwidern, aber der Arzt kam ihm zuvor. Er hielt das Röntgenbild hoch, als er eintrat. „Das sehe ich genauso“, bemerkte er. „Der Heilungsprozess ist nicht so fortgeschritten, wie er sein sollte.“ „Da siehst du es!“ triumphierend zeigte Mokuba auf die Aufnahme, auch wenn ich mir sicher war, dass er darauf genauso wenig erkannte wie ich. „Ich hab dir gesagt, dass es nicht besser wird, wenn du das alles auf die leichte Schulter nimmst!“ Brühwarm erzählte er dem Arzt alles über Kaibas Arbeitswahn. „Ist doch kein Wunder, dass das nicht heilt!“ endete er. Hikawe starrte Kaiba missbilligend an. „Mir scheint, Ihnen ist nicht ganz klar, was Sie da tun. Die Krankschreibung gilt nicht nur für die Schule sondern auch für Ihre Arbeit.“ „Das ist doch alles total übertrieben!“, knurrte Kaiba. Wenn Blicke töten könnten, wäre Mokuba vermutlich tot umgefallen. Hikawe verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie viele Geschäftsmeetings hatten Sie denn?“ „Nicht viele. Fünf. Alles nicht so schlimm“ „Und bei allen fünf Treffen sind Sie aufgestanden und haben den angebrochenen Knöchel belastet, nicht wahr?“ Der Arzt hob herausfordernd eine Augenbraue. Doch Kaiba schien das immer noch nicht allzu tragisch zu sehen. „Ist ja nicht so, als hätte ich stundenlang darauf gestanden.“ „Und bei der Arbeit konnten Sie den Fuß nicht hochlegen. Wie lange haben Sie denn gearbeitet?“ „10 Stunden am Tag“, warf Mokuba ein. Das schien den Arzt noch weniger zu begeistern. „Wissen Sie eigentlich, dass Sie großes Glück gehabt haben, dass sich der Bruch nicht verschlimmert hat? Der Knochen ist verdammt instabil, er hätte auch brechen können. Dann müssten wir nämlich doch operieren. Das Ganze wirft Sie um mindestens eine Woche im Heilungsprozess zurück.“ Okay… das machte Kaiba doch ein wenig sprachlos. Er öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, schloss ihn jedoch schnell wieder, ohne einen Ton herausgebracht zu haben. „Dann gipsen wir Ihr Bein mal wieder ein“ „Gehgips?“, fragte Kaiba vorsichtig. Der böse Blick, den Hikawe ihm zuwarf, ließ ihn vollends verstummen. Er sagte keinen einzigen Ton mehr, während Hikawe ihm einen neuen Gips anlegte. Mokuba bombardierte ihn regelrecht weiter mit Vorwürfen. Selbst mir wurde das zu viel, vor allem, weil Kaiba keine Anstalten mehr machte, sich auch nur ansatzweise zu verteidigen. Also schob ich den Kleinen mit Nachdruck vor die Tür und wies ihn darauf hin, dass Roland auf ihn wartete. „Na schön“, murrte er. „Kannst du ihn dann zur Villa begleiten und aufpassen, bis ich wiederkomme?“ Ich bezweifelte zwar, dass Kaiba einen Babysitter brauchte, aber ich nickte brav. Hauptsache der Kleine hörte endlich auf, ihn so anzugreifen. Dass Kaiba das nämlich doch an die Nieren ging, zeigte sein Blick so deutlich. Seine Augen waren irgendwie matt und hatten einen Ausdruck der Resignation angenommen. „Ich empfehle Ihnen wirklich, alles ein bisschen ruhiger anzugehen.“, sagte Hikawe, als er fertig war. „Schonen Sie sich, legen Sie das Bein hoch.“ Kaiba nickte nur schwach, nicht mehr gewillt, gegen irgendetwas zu protestieren. „Ich rate Ihnen wirklich, diesmal meine Anweisungen zu befolgen. Sollte nämlich bis nächste Woche wieder keine Besserung eingetreten sein, werde ich doch dafür plädieren, den Bruch mit Schrauben zu fixieren. Und dann gipse ich Ihr Bein bis zum Oberschenkel ein.“ Der Arzt sagte es ruhig, aber ich sah, dass es bei Kaiba Panik auslöste. Er hatte Angst vor einer Operation. Konnte ich nachvollziehen. „Es wird nächste Woche besser sein!“, sagte ich bestimmt. Beide sahen mich überrascht an. Was denn? Ich würde alles in meiner Macht stehende tun, um ihm die Operation zu ersparen. Reichte ja schon, dass er den Gips noch eine Woche länger würde tragen müssen. Hikawe nickte nur. „Das hoffe ich doch“ Nur Kaiba schien dem ganzen nicht so ganz zu glauben. Er sah mich nur unverwandt an, als zweifle er an meinem Verstand. „Komm schon“, ich drückte ihm seine Krücken in die Hand. „Bringen wir dich nach Hause“ Wortlos folgte er mir. Unten stand die Limousine, mit der Mokuba mich abgeholt hatte. Die andere war schon weg. Vermutlich regelte der Kleine gerade die Firmenangelegenheiten. Ich half Kaiba beim Einsteigen und kletterte dann schnell hinterher. Irrte ich mich oder war er seit der Ansage des Arztes wesentlich zögerlicher? Er bettete sein Bein so vorsichtig auf der Rückbank, als wäre es aus Glas. Scheinbar hatte ihn Hikawe wirklich verschreckt. Dass ich mitfuhr, hinterfragte er nicht einmal mehr. Fast als hätte er seine Stimme verschluckt. Unentschlossen rang ich mit den Händen. Ich wusste nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte, wenn er so ruhig war. Sollte er mich meinetwegen anschreien, in Grund und Boden brüllen. Das wäre mir tausendmal lieber als seine jetzige Zurückhaltung. „Netter Gips“ Okay, das war blöd. Aber ich musste einfach irgendetwas sagen, um diese Stille zu durchbrechen. Ich hätte gedacht, dass er darauf anspringen und wütend reagieren würde. Aber er nickte nur vage. Ich schnaubte genervt. „Nun komm schon! Tu tust so, als würde die Welt untergehen.“ Aber auch darauf reagierte er nur mit einem gleichgültigen Schulterzucken. „Du musst dir keine Sorgen machen. Es wird keine Operation geben, dafür werde ich schon sorgen“ Da sah er doch auf. Wieder dieser kritische Blick. „Wie soll das gehen?“ „Ganz einfach. Ich werde einfach aufpassen, dass du dein Füßchen schonst“ ich sagte das mit einem Brustton der Überzeugung, der ihn zu verblüffen schien. Er neigte den Kopf etwas. „Warum?“ „Weil du das ja scheinbar nicht kannst“, ich grinste ihn unverschämt an. „Eigentlich sollte es niemanden überraschen, dass du das nicht geschafft hast. Jeder hätte wissen müssen, dass du das unterschätzt und dich wieder in die Arbeit stürzt“ Er schien einen Moment darüber nachzudenken. Aber dann nickte er. „Stimmt, es ist alles eure Schuld“ „Unsere?“ „Ihr hättet mit meiner Sturheit rechnen und mich abhalten müssen“, er nickte bekräftigend, bedachte mich mit einem fast schon vorwurfsvollen Blick. Er brachte das dermaßen überzeugt rüber, dass ich lachen musste. Immerhin gewann er langsam wieder seinen Biss. Und er schien optimistischer zu werden. „Wieso bist du eigentlich so herausgeputzt?“, fragte ich interessiert. Er sah wirklich umwerfend in diesem Anzug aus, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er immer so zur Arbeit ging. „Geschäftsmeeting mit Franzosen“ „Wichtige Kunden?“ Er nickte. „Sehr wichtig.“ „Und deswegen bist du so aufgebrezelt? Wolltest du die mit dem Outfit und Augenaufschlag bezirzen oder was?“ Da wurde sein Blick schlagartig eisig und kalte Wut glomm darin. „Du denkst tatsächlich, ich würde versuchen, mir durch mein Aussehen Vorteile zu verschaffen?“ Oh, das nahm er mir wirklich übel. „Ich bin nicht so ein abgewrackter Stricher wie du!“, knurrte er. Na Wahnsinn, jetzt wurde er auch noch beleidigend. Wer hätte gedacht, dass er darauf so empfindlich reagierte? „Krieg dich mal wieder ein!“, raunte ich. „Meine Firma ist die erfolgreichste in ganz Asien.“, zischte er. „Und sie ist es, weil ich mir diesen Erfolg hart erarbeitet habe. Ich habe die besten Aufträge und Verträge, weil ich der Beste bin und nicht, weil ich mir durch mein Aussehen Vorteile verschafft habe! Ich würde nie meinen Körper verkaufen!“ Argh! Das wollte ich doch gar nicht sagen. Ich würde nie auch nur auf die Idee kommen. Es gab auf der ganzen Welt keinen Menschen, der mehr Stolz besaß als Seto Kaiba. „Das meinte ich auch gar nicht!“ „Was dann?“ Man, der konnte wirklich furchteinflößend knurren. „Ich wollte nur wissen, warum du dich so fein machen musst, nur wegen ein paar Franzosen“ Es fiel mir schwer, ruhig zu bleiben und nicht ebenso beleidigend wie er zu werden. Aber dann hätte er mich vielleicht aus der Limousine gekickt und ich hätte nicht mehr dafür sorgen können, dass er sich schont. Womöglich hätte er dann doch die Operation ertragen müssen und das wollte ich einfach nicht. Also versuchte ich, ruhig zu bleiben. „Es geht um Seriosität, Wheeler“, er schnaubte, „Aber davon verstehst du nichts“ „Dann erkläre es mir“ Er musterte mich skeptisch, als wüsste er nicht, ob er mich ernstnehmen sollte, ob es mich tatsächlich interessierte. Tat es nicht, aber wenn er von seiner Arbeit sprach, regte er sich dabei vielleicht wieder ab. „Es ist schwer, in der Geschäftswelt ernstgenommen zu werden, wenn man jung ist. Schon Geschäftsmänner unter 40 werden als noch grün hinter den Ohren und unerfahren eingestuft. Aber ich bin gerade mal 18. Da ist es schwer, sich Respekt zu verschaffen“, er beobachtete mich kritisch, genau darauf achtend, ob ich überhaupt zuhörte. Das tat ich. Also fuhr er fort. „Viele glauben, Sie könnten mich übers Ohr hauen oder für dumm verkaufen. Deswegen ist das Auftreten entscheidend. Verstehst du das?“ Ich nickte. Mit diesem Anzug sah er aus wie ein erfolgreicher Geschäftsmann, autoritär und vermögend. Aber auch wie ein gebildeter Mann, nicht wie ein dummer Teenager. Ich zumindest würde mir nicht zutrauen, ihn überlisten zu können. Sein Erscheinungsbild schien nämlich zu sagen: »Mach mit mir Geschäfte und du wirst ein reicher Mann. Aber versuchst du, mich zu verarschen, wachst du morgen mit Betonschuhen auf« „Also vermittelt dein Aufzug Kompetenz und Erfolg“, schlussfolgerte ich. Er nickte, scheinbar milde davon angetan, dass ich es tatsächlich verstand. Ich begriff ja, was er mir damit sagen wollte, aber nutzte er denn so nicht auch sein Äußeres zu seinem Vorteil? Kompetenz und Erfolg schön und gut, aber was ihn in jedem Look ausmachte, waren diese blauen Augen und seine schlanke gazellengleiche Gestalt. Der Anzug schmeichelte ihm zwar, aber wäre er klein und dick, könnte der das auch nicht retten. Ich meine, Nachteile hatte er durch sein Aussehen ganz bestimmt nicht. Besser, ich fragte nicht danach. Vielleicht zählte das auch zu dem ganz normalen Alphamännchengehabe der Geschäftswelt. Schließlich liefen alle Geschäftsmänner in Anzügen herum. Nur keinem stand er so gut wie Kaiba. „Aber es geht nicht nur um das Erscheinungsbild, sondern auch um das Auftreten“, fuhr er fort. „Der erste Eindruck ist entscheidend. Sobald dein Verhandlungspartner den Raum betritt, musst du ihm also den Eindruck vermitteln, den er von dir haben soll.“ „Und der wäre?“ „Wenn jemand in mein Büro kommt, muss ihm gleich klar werden, dass das mein Revier ist und meine Regeln gelten. Also muss ich die Zügel in der Hand behalten“ „Und wie?“ „Durch Präsenz“, er sah nachdenklich aus dem Fenster. „Du bestimmst die Herzlichkeit der Begrüßung und damit auch gleich den Ton, in dem das Gespräch verläuft. Bist du reserviert, aber höflich, signalisierst du, dass es knallharte Verhandlungen werden und du keine Kompromisse eingehst. Bist du freundlicher, zum Beispiel bei jahrelangen Vertragspartnern, wird auch das Gespräch lockerer.“ „Und du stehst beim Eintreten eines Geschäftspartners auf, damit ihr ebenbürtig seid“ „Exakt“, er sah mich überrascht an, als hätte er nicht gedacht, dass ich etwas verstand. „Wenn du deinem Gegenüber nicht auf Augenhöhe begegnest, signalisiert ihm das unterbewusst, dass er über dir steht“ Klang irgendwie wie ein Spiel. „ Aber egal ob locker oder knallhart, du darfst nie die Kontrolle verlieren. Du begrüßt den anderen zuerst, bevor er zu Wort kommt, du forderst ihn auf, näher zu kommen, bevor er selbst auch nur einen Schritt auf dich zu macht. Und du bietest ihm einen Sitzplatz an, bevor er sich selbst setzen kann. Damit bestimmst du, wo er sitzt, du weist ihm seinen Platz zu.“ „Okay…“, das klang irgendwie merkwürdig. Diese Kleinigkeiten sollten über ein Geschäft entscheiden? „Du agierst und zwingst ihn dazu, zu reagieren. So stellst du sicher, dass alles nach deinen Vorstellungen verläuft.“ Man, Kaiba hatte das alles so verdammt gut durchdacht. Wenn man das so hörte, könnte man meinen, er hätte jedes Geschäft schon nach der Begrüßung in der Tasche. „Aber wird dein Gegenüber dann nicht dasselbe versuchen?“ „Natürlich“, er nickte, als wäre das ein bedeutungsvoller Aspekt. „Wenn man sich zu Verhandlungen trifft, dann wissen beide Parteien, dass sie von der Zusammenarbeit profitieren. Aber wer am Ende mehr profitiert, entscheidet sich dadurch, wer die Verhandlungen dominiert.“ Er machte eine kurze Pause, als gäbe er mir Zeit, um das Gesagte zu begreifen, ehe er fortfuhr. „Um die Kontrolle über den Verlauf zu bekommen, wird dein Gegenüber versuchen, zu demonstrieren, dass er besser ist. Indem er dir seine Erfolge und seine Stärken aufweist oder versucht, bei dir Schwachstellen zu finden.“ „Und dann?“ „Dann musst du gegenhalten, zeigen, dass du in dem Gebiet viel erfolgreicher bist und solltest du das nicht sein, musst du ihn eben anders unten halten. Indem du ihm deine Erfolge und deinen Einfluss um die Ohren haust, oder seine Firma in Grund und Boden kritisierst. Egal wie, Hauptsache, du bleibst oben“ Ich nickte. „Verbaler Schwanzvergleich also“ Kaiba sah mich schief an, als missfiele ihm meine Auslegung. Aber dann nickte er langsam. „So… könnte man es auch sagen“ „Dann sind Verhandlungen also nur ein Machtspiel“ „Im Prinzip schon. Die wirklichen Verhandlungen sind dann nur noch reine Formalität“ Ich musste grinsen. „Das klingt wirklich nach verbalem Schwanzvergleich“ „Schon möglich“ „Und hast du den Schwanzvergleich mit den Franzosen gewonnen?“ Auf seinen Lippen zeichnete sich ein schwaches Lächeln ab. Sah irgendwie süß aus. „Kann man so sagen“ „Und was bringt dir das jetzt? Macht? Expandierst du jetzt nach Frankreich?“ „Würde ich in jedes Land expandieren, mit dem ich Geschäfte mache, würde ich mein ganzes Leben nur noch in Flugzeugen und Hotels verbringen.“, er verdrehte die Augen, als wäre meine Aussage das dümmste, was er je gehört hatte. „Es bringt Geld. Und auch Kontakte und neue technische Möglichkeiten, aber vor allem Geld“ „Wie viel denn?“ Er warf mir einen tadelnden Blick zu. „Darüber redet man nicht. Sagen wir einfach… mehr als du, deine Freunde, deine Familie und deine Klassenkameraden zusammen jemals verdienen werden“ Das… war mal eine ordentliche Summe. Und er hatte sie an einem Tag verdient. Verdammt, dieser Kerl war wirklich unverschämt reich! Wir erreichten die Villa. Während ich Kaiba folgte, grübelte ich darüber nach, wie ungerecht die Welt doch manchmal war. Kaiba hatte absolut alles. Ein riesiges Haus, eine eigene Firma, Macht, Ansehen und dazu noch gutes Aussehen. Ich hingegen musste mir meine Miete eisern zusammenkratzen. Als wir die Eingangshalle passiert hatten, sah ich irritiert auf. Kaiba manövrierte wieder das Wohnzimmer an. „Warum gehst du nicht in dein Zimmer?“, fragte ich verwundert. „Weil die Treppe verdammt viele Stufen hat“ er ließ sich auf die Couch sinken und legte sofort das Bein hoch. Anscheinend war er jetzt wirklich darauf bedacht, seinen Knöchel so wenig wie möglich zu belasten. „Ich könnte dich hinauftragen, wenn das das einzige Problem ist“ Da warf er mir einen finsteren Blick zu, scheinbar nicht sehr angetan von der Idee. „Oder auch nicht“, seufzend sank ich auf einem Sessel nieder. Derweil zog Kaiba einen Laptop unter der Couch hervor. „Was wird das?“, fragte ich skeptisch. „Ich schaue nur nach meinen Bilanzen“, murmelte er. Konzentriert tippte er auf der Tastatur herum. War ja furchtbar spannend! „Könnte es sein, dass du ein Workaholic bist?“, fragte ich gelangweilt. Ihm beim Tippen zuzuschauen war alles andere als aufregend. „Na und? Dafür bin ich reich. Also quatsch mich nicht voll!“ Touché. Er hackte weiter auf der Tastatur herum, aber irgendetwas schien nicht zu stimmen. Aber es war interessant seine Mimik dabei zu beobachten. Erst war es nur ein Stirnrunzeln. Doch dann fing seine linke Augenbraue an, verdächtig zu zucken und er rammte seinen Eckzahn in die Unterlippe. Dann entkam ein dunkles Knurren seiner Kehle. „Dieser Mistkerl“, zischte er. „Was ist los?“ „Mokuba hat meinen Zugriff auf den Firmenserver blockiert“ Oh… der Kleine meinte es wohl ernst, wenn er sagte, Kaiba solle nicht arbeiten. Er nahm ihm jede Möglichkeit. „Wir müssen in die Firma!“ Was? Kaiba sprang auf. Wieder trat er mit dem Gips auf, aber anscheinend versuchte er, den Schmerz zu ignorieren. So ein Idiot! „Müssen wir nicht!“, ich baute mich schnell vor ihm auf und stieß ihn zurück auf die Couch. „Du musst dich ausruhen, mehr nicht! Mokuba wird das alles schon im Griff haben, also entspann dich“ „Was weißt du schon?“, knurrte er. Seufzend ließ ich mich auf die Armlehne der Couch sinken, zog vorsichtig sein Bein wieder darauf. „Ich weiß, dass du dein Bein wirklich schonen solltest. Sonst wird es nicht besser und du musst es doch operieren lassen“ Das löschte seinen Tatendrang tatsächlich aus. Ermattet ließ er sich gegen die Lehne sinken und resignierte. „Ich bin zur Untätigkeit verdammt“, nuschelte er. „Dann nutz die Zeit und entspann dich mal. Sieh es als Urlaub an“ Er schnaubte nur und gab sich seinem Selbstmitleid hin. Es passte ihm gar nicht, jeder Kontrolle enthoben worden zu sein, aber vermutlich war es so am besten. Wenn man Kaiba nicht zur Ruhe zwang, hielt er sie auch nicht ein. „Kaum passt man eine Sekunde nicht auf und bricht sich was, wird man einfach aus allem rausgeworfen, wie ein kaputtes Teil einfach ersetzt“, er seufzte schwer. „Das ist so unfair“ Also ein bisschen übertrieb er jetzt doch. Schwerfällig stand er auf, diesmal wesentlich vorsichtiger. Er angelte nach den Krücken und humpelte in Richtung Eingangshalle. „Wo willst du denn hin?“ verwundert lief ich hinterher. „Nach oben“ Inzwischen hatte er die Treppen erreicht. Etwas unbeholfen umfasste er das Geländer und erklomm mithilfe einer Krücke die ersten Stufen. Ich nahm ihm schnell die Zweite ab, die ihn zu hindern schien. „Was willst du oben?“ „Schlafen“, murmelte er. Schlafen? Ich sah auf die Uhr. „Es ist gerade mal 17Uhr“ „Und? Wozu soll ich wachbleiben? Kann ja eh nichts tun“ Innerlich verdrehte ich die Augen. Wenn er sich im Moment selbst leidtun wollte, dann sollte er doch. Wenigstens rannte er dann nicht durch die Gegend. Es dauerte eine Weile, bis wir endlich die Treppen erklommen hatten und Kaiba wirkte doch ein wenig erschöpft danach. Aber immerhin hatte er es ohne Hilfe geschafft. Und dass er dabei wirklich vorsichtig gewesen war, bewies doch, dass er jetzt tatsächlich mehr auf sich achten würde, oder? Er nahm die zweite Krücke wieder an sich, suchte sicheren Stand und humpelte weiter. Kopfschüttelnd folgte ich ihm. Doch plötzlich hielt er inne. Was war denn nun schon wieder? Er drehte sich zu mir um und sah mich kritisch an. „Gibt es einen Grund dafür, dass du mir immer noch folgst?“ Gute Frage. „Um zu gewährleisten, dass du dich schonst?“ „Ich gehe sowieso gleich schlafen, also kannst du ruhigen Gewissens nach Hause gehen“ Auf einmal so abweisend? Bis gerade eben hatte ihn meine Anwesenheit nicht gestört. Aber dann fiel mir ein, wohin wir liefen. Zu seinem Zimmer, seinem privaten Reich. Er wollte nicht, dass ich seinen privaten Bereich betrat. Das konnte ich verstehen. Immerhin fände ich es auch nicht sonderlich toll, wenn er einfach so in mein Zimmer latschen würde. „In Ordnung“, ich nickte geschlagen. „Dann komme ich morgen nach der Schule wieder und sehe nach dem Rechten, in Ordnung?“ Er murrte leise. „Mach was du willst“ Dann humpelte er weiter seiner Wege. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)