Blood-red Diamond von MarySae (- Blutrote Seele -) ================================================================================ Kapitel 27: Zuhause ------------------- Die nächsten Minuten, vielleicht sogar Stunden, gingen in völligem Chaos unter. Männer stürmten das Labor, doch keiner von uns dreien nahm irgendeine Notiz davon. McSullens Abschiedsworte hingen bleischwer in der Luft. Eine Decke aus Trauer hatte sich über uns gelegt und erstickte alle anderen Gefühle im Keim. Jaden weinte. Tränen benetzten seine Haut und ich spürte, dass es bei mir ebenso war. Er hatte erneut seinen Vater verloren. Wieder hatte er ein so großes Opfer bringen müssen und ich wusste in diesem Moment nicht, wie viel dieses Opfer diesmal von ihm gefordert hatte.   Ich bemerkte kaum, wie ich hinausbegleitet wurde. Immer wieder versuchte dieser Mann mit mir zu reden, doch ich wollte es nicht. Das einzige Wort, das meine Decke aus Trauer durchbrach, war „Polizei“ und ich konnte nur vermuten, dass meine Eltern diese gerufen hatten. Nun war Hilfe da. Nun würden wir uns nicht mehr darum kümmern müssen. Doch nun war es zu spät. Ich kam erst wieder zu mir, als die frische Luft des heranbrechenden Morgens über meine verschwitzte Haut streifte und ich das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit das dunkle Blau des Himmels wieder wahrnahm. Doch noch immer hörte ich die vielen Geräusche dieser Horde an Menschen um mich herum nur wie durch einen massiven Schleier. Die Decke, die sie mir anboten, lehnte ich ab. Ich fühlte keine Kälte und ich wollte nicht noch mehr Last auf meinen Schultern tragen. Sie würde mich gänzlich erdrücken. Ich wusste nicht, wo ich war, doch meine Beine trugen mich in eine etwas abseits gelegene Ecke, die die Lichter der vielen Polizeiwagen kaum noch erreichte. Nach Luft ringend lehnte ich mich mit dem Rücken gegen eine eisige Backsteinmauer, schloss meine Augen und versuchte die Kontrolle über meinen Körper zurückzubekommen.   Wie lange ich das schon vergeblich versucht hatte, wusste ich nicht. Erst eine mir vertraute Stimme, brachte mich dazu aus der Taubheit meines eigenen Körpers aufzutauchen. „Amelina?“ Ich öffnete langsam die Augen. Die grellen Lichter blendeten mich. Dort standen sie vor mir. Adelio und … Jaden. Ich sah die Trauer auf seinem Gesicht, auch wenn ein großer Teil von ihr längst hinter einer beinahe emotionslosen Fassade verborgen lag. Ich wollte ihn umarmen, ihm Halt geben und ihn trösten, doch ich wagte es nicht, ihn mit meinen blutbefleckten Händen zu berühren. Denn immerhin war ich es, die Keith McSullen in sein Verderben gestützt hatte. Die seinen Ziehvater direkt in seinen Tod hatte laufen lassen … „Jaden. Es tut mir so … wahnsinnig leid. Ich wollte doch nicht, dass jemand …“ Meine heisere Stimme schien vom Wind davongetragen zu werden, noch ehe sie meinen Mund verließ. Ich hatte keine Kraft mehr. Ich war leer, ausgebrannt. Da war nicht mehr dieses junge, unschuldige Mädchen in mir. Da war nichts mehr. Ich konnte mich selbst in diesem eiskalten Körper nicht mehr finden. „Amelina. Er hatte es so gewollt. Von Anfang an.“ Seine Stimme klang fest und ruhig. Ganz anders, als ich es von ihm erwartet hatte. Es verwirrte mich sogar noch mehr, dass er anscheinend für alles bereits eine Erklärung parat hatte. „Hör zu. Er konnte nur so schnell hier gewesen sein, weil er bereits irgendwo in der Nähe gewesen war. Wahrscheinlich war alles, was er gesagt hatte, eine Lüge gewesen. Er hatte von Anfang an vorgehabt, den Gefangenen zu verhören und hat nur so getan, als würde ihn das nicht weiter interessieren. Er hatte sie alleine angreifen wollen, um niemanden in Gefahr zu bringen. Keith hatte schon lange vorgehabt zu sterben.“ Seine ruhigen blauen Augen lagen direkt auf mir, doch ich konnte seinem Blick nicht standhalten. Mich ließ das Gefühl nicht los, dass ich etwas hätte tun müssen, um das alles zu verhindern.   „Aber das … hätte einfach nicht passieren dürfen!“ Ich brachte kaum ein klares Wort heraus, weil alles in mir so furchtbar schmerzte. Ich war völlig am Ende. Körperlich und seelisch. „Es gab nichts, was wir hätten tun können. Und außerdem: Ohne Keith wäre ich jetzt tot. Ich habe ihm schon wieder mein Leben zu verdanken.“   Ich wusste, dass Jaden recht hatte. Ohne McSullen wären wir wahrscheinlich alle drei dort unten erschossen oder zu Versuchskaninchen gemacht worden. Er hat sich geopfert, um uns allen das Leben zu retten. Aber warum war ausgerechnet Jaden derjenige, der das so einfach akzeptieren konnte? Er war doch wie ein Vater für ihn gewesen! „Ich kannte meinen Vater, Amelina.“, meinte er plötzlich, so, als hätte er meine Gedanken in meinem Gesicht abgelesen. „Ich wusste ganz genau, was in ihm vorging. Diese Namen, die er im Augenblick seines Todes erwähnt hatte, waren die, seiner geliebten Frau und der beiden Zwillingstöchter. Glaub mir, so schwer es mir auch fällt, das zu sagen, aber dort wo er jetzt ist, geht es ihm besser als hier. Denn er ist endlich wieder Zuhause.“   Ich konnte mich nicht zurückhalten; mein Körper bewegte sich von ganz allein. Ich konnte nur noch seine Wärme spüren, als er meine Umarmung erwiderte und mich fest in den Arm nahm. Jede Träne, die nun über meine Wangen lief, war ein Tribut an die Menschen, die sich für diesen Kampf aufgeopfert hatten. Für jeden, der seine Familie zurücklassen musste, um sie zu beschützen, und für jeden, der nicht gezögert hatte, sein Leben für das Erreichen dieses so wichtigen Ziels zu geben.   Es dauerte lange, bis ich mich beruhigen konnte, doch niemand kam um uns zu stören. Erst, als ich mir wieder einigermaßen sicher sein konnte, nicht sofort wieder in Tränen auszubrechen, ließ ich den Rothaarigen los und entfernte mich ein paar Schritte von ihm. Ich räusperte mich, um das Kratzen aus meinem Hals zu vertreiben. „Sorry. Manchmal bin ich einfach zu viel Mädchen“, versuchte ich die Situation ein wenig aufzulockern, doch ich wusste, dass der Witz echt schlecht war. „Sind wir nicht alle manchmal ein bisschen viel Mädchen?“ Doch tatsächlich war es Jaden, der auf meine dumme Bemerkung einging und ich wagte es, ihm ins Gesicht zu sehen. Er hatte ein leicht schiefes Lächeln aufgesetzt und die Trauer in seinen Augen war dem üblichen Funkeln gewichen. Doch ich wusste, dass es noch lange dauern würde, bis auch der letzte Schatten aus seinen Seelenspiegeln verschwunden sein würde. Und ich würde ihm so gerne dabei helfen, zu vergessen.   „Schön zu sehen, dass unser Schnösel noch immer unbedingt das letzte Wort haben muss.“ Adelio, der sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hatte, trat nun wieder einen Schritt näher an uns heran und legte seinem Freund eine Hand auf die Schultern. Auch, wenn sein Blick noch etwas vorsichtig wirkte, lag doch sehr viel Sympathie in seiner Geste, was der Rothaarige sofort bemerkte. „Du bist doch nur neidisch, dass dir dieser coole Spruch nicht zuerst eingefallen ist, stimmt’s?“ Ein erleichtertes Lächeln huschte über das Gesicht des Braunhaarigen, als Jaden seine Stichelei erwiderte. „Das hättest du wohl gerne. Ich hatte einen deutlich besseren Spruch auf Lager, aber ich wollte dir Mal ein kleines Erfolgserlebnis gönnen.“ Jaden schnaubte gespielt. „Das würde ich hinterher auch sagen.“   Ich beobachtete erleichtert das kleine Kräftemessen zwischen den Beiden und war unheimlich froh, dass sich keiner von ihnen verändert zu haben schien. Doch was würde wohl endgültig nur die Zeit zeigen. Ich keuchte erschrocken auf, als ein Gefühl von Schwindel mich straucheln ließ. Zum Glück konnte ich mich gerade so an der Wand hinter mir abstützen, bevor ich zu Boden ging. „Amelina?“ „Ich bin okay“, meinte ich schnell, nachdem ich kurz die Augen zusammenkneifen musste, um diese merkwürdigen bunten Punkte aus meinem Sichtfeld zu vertreiben. „Komm Linchen. Du brauchst dringend Ruhe. Und außerdem warten deine Eltern bestimmt schon auf dich. Oh, und Emily und Sebastian sind auch wohlbehalten zurückgekommen! Sie würden dich bestimmt auch sehr gerne sehen! Wir sollten gehen.“ Ja, das sollten wir. Ich wollte hier weg. Unbedingt. Zurück in mein Leben. Meine Freunde wieder sehen. Selbst das Putzen meiner Wohnung klang plötzlich unheimlich verlockend. Mir hatte diese Langeweile gefehlt, die mein Leben sonst erfüllt hatte. Und ich konnte es kaum erwarten, endlich wieder ich selbst zu sein.   Aber warum tat mir plötzlich alles so furchtbar weh? Woher kamen diese Schmerzen in meiner Brust, die jeden Atemzug begleiteten? Warum waren meine Beine so schwer, dass ich dachte, ich könnte sie kaum heben? Ich sah Adelio, der direkt vor mir stand, mit einem bezaubernden Lächeln im Gesicht. Ich wusste, dass er von nun an nicht mehr von meiner Seite weichen würde und ein Teil in mir freute sich sehr darüber. Doch warum hatte ich Zweifel an diesem Gefühl? Was hinderte mich daran mich zu freuen, jetzt, wo ich endlich meinen größten Wunsch erfüllt bekommen hatte? Woher kamen die Tränen, die diesen Druck in meinem Kopf auslösten?   Und warum hatte ich auf einmal das Gefühl zu fallen?   „Bevor du gehst, Amelina, lass mich dir noch eine einzige Frage stellen: Du hast sie damals auch gehört, oder? Diese Melodie?“ Innerhalb von Sekunden gefror sämtliches Blut in meinen Adern und ich stoppte meine unbeholfenen Schritte. Ich war nicht mehr in der Lage mich zu bewegen. Obwohl ich mich von ihm abgewandt hatte und ihn so nicht ansehen konnte, hörte ich die plötzliche Veränderung in seiner Stimme. „Ich war mir nicht sicher, ob du sie auch gehört hattest oder ich mir das alles am Ende doch nur eingebildet hatte. Ich habe mir immer eingeredet, dass du wegen des Unfalls viel zu weggetreten warst, um etwas zu bemerken. Dass du deshalb nie etwas gesagt hattest. Und vor allem immer so abweisend zu mir warst.“ „Was redest du da eigentlich für einen Quatsch, Jaden?“ Ich hörte Adelios Stimme, aber verstand seine Worte nicht. Da war etwas in meinem Kopf und es nahm mein ganzes Ich ein. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich gerade aus einer kleinen Flamme heraus neu geboren worden. „Doch ich habe es nicht vergessen. Dieses Gefühl. Diese Gedanken.“ Jaden achtete nicht auf die Worte des Braunhaarigen, sondern ich spürte seinen Blick direkt auf mir. „Ja, ich war manchmal echt gemein zu dir, aber das habe ich nur getan, um dich zu beschützen! Jeden Tag war ich da draußen auf gefährlichen Missionen und ich wusste, dass ich dir Sorgen bereiten würde oder dich zu dummen Aktionen verleiten könnte, wenn wir beide uns anfreunden würden. Und genau das hast du am Ende ja auch getan.“ Ich wusste worauf er anspielte. Die Aktion in dem verlassenen Krankenhaus. Er hatte recht. „Ich … wusste, dass du damals, gleich nach deiner Ankunft im Bergwerk, vor Aurelias Tür gestanden hast. In dem Moment habe ich mir nur Gedanken darüber gemacht, wie ich es hinbekommen kann, dass du in Sicherheit bist. Ich dachte, wenn du mich hasst, würdest du dich von mir fern halten und einfach abwarten, bis ich die ganze Sache regeln konnte.“ Dieses Ziehen in meiner Brust. Es tat so unheimlich weh!   „Ich habe zwar absolut keine Ahnung, was du da faselst, Davis, aber hör auf Lina zum Weinen zu bringen! Sie braucht jetzt Ruhe und nicht noch deine … fragwürdige Geschichte!“ Da war Wut in Adelios Stimme. Aber wieso? Nur, weil mir tatsächlich Tränen über die Wangen liefen? War das der Grund, weshalb er plötzlich meinen Arm packte und mich mit sich ziehen wollte? Vielleicht. Aber da war noch mehr. Und ich spürte förmlich sein Herz brechen, als ich mein Handgelenk aus seinem Griff befreite.   Ich sah ihn an. Direkt in seine wunderschönen Augen, aus denen der Schmerz förmlich sprach. Ja, wir wussten beide, was gleich geschehen würde. „Es tut mir leid, Adelio. So wahnsinnig leid. Ich kann nicht mit dir gehen.“ Etwas in mir zerbrach bei diesen Worten. Ein großes Loch brannte sich in meine Seele. „Warum nicht?“ Es war keine Kraft mehr hinter seinen Worten. Da war nur noch Leere. Ich wollte ihn nicht weiter quälen, doch er hatte es verdient, die Wahrheit zu hören. „Weil endlich alles Sinn ergibt. Jedes Gefühl, jede Sekunde der Angst. Jedes Mal, wenn er mich berührte. Jedes Wort von ihm. Endlich habe ich begriffen, warum es bei ihm anders war, als bei jedem anderen. Warum sich bei ihm alles so gut angefühlt hatte! Warum ich ihm ohne jegliche Zweifel vertraut habe! Diese Melodie … Diese erste Begegnung … Adelio, Jaden ist mein Seelenpartner! Mein Stein hat es mir gesagt. Es war immer mein größter Wunsch gewesen, jemanden zu finden, den ich bedingungslos lieben kann. Ich hatte mich als kleines Kind schon entschieden dem Weg meines Segenssteins zu folgen! Das war es, worauf mein Leben aufgebaut war. Ich kann jetzt nicht sagen, dass mein ganzes Leben bloß eine Lüge war! Du bedeutest mir wahnsinnig viel, aber … Es tut mir leid.“   Mein lautes Schluchzen lag nun zwischen uns. Die Welt war seltsam still geworden. Alles schien so unwirklich in diesem Moment. Dieser Schmerz in seinen Augen. Er zerriss mich innerlich. Ich wollte ihn nicht so leiden sehen. Und doch wusste ich, dass ausgerechnet ich der Grund dafür war. Ich wollte ihn berühren, ihn trösten, doch er zuckte zurück. In diesem Moment war auch ein Teil meines eigenen Herzens gestorben. „Natürlich. Gegen einen Seelenpartner und das Hokuspokus der Segenssteine komme ich natürlich nicht an. Die einfache Liebe eines Mannes für eine Frau reicht ja heutzutage nicht mehr. Da hab ich wohl Pech gehabt, was?“ Ich öffnete meinen Mund, immer und immer wieder, doch ich bekam keinen Ton heraus. Ich konnte ihm nicht sagen, dass das nicht stimmte, denn … das, was ich gerade tat, war exakt das, was er mir vorwarf. Ich drängte seine Gefühle weg, nur weil mein Segensstein mir etwas anderes vorgeschrieben hatte. Ich hatte immer an die Macht und die Wahrheit der Seelenssteine geglaubt und eigentlich nie einen Funken Zweifel daran gehabt. Aber jetzt … „Dann bleibt mir wohl nichts weiter übrig, als euch alles Gute zu wünschen.“   Ein letzter Blick. Das stumme Eingeständnis. Und nur einen Moment später, war er weg. Einfach in die Lichter der Polizeiwagen abgetaucht. Die Kälte seiner Abwesenheit traf mich wie ein Schlag in den Magen.   „Gib ihm etwas Zeit.“ Zwei Arme legten sich um meine Taille und zogen mich sanft nach hinten. Ich spürte die Hitze seines Körpers, die unter seiner Kleidung loderte. Doch ich war mir nicht sicher, ob sie die eisige Kälte vom Verlust meines besten Freundes komplett aus mir vertreiben konnte. Ich lehnte mich an ihn. Er war in diesem Augenblick das Einzige, was mir Halt gab. „Adelio ist nicht der Typ, der seine Freunde im Stich lässt, glaub mir. Er muss das bloß erst alles verstehen. Amelina, ich liebe dich! Es wird alles wieder gut, das verspreche ich dir.“ Ich wollte ihm antworten, ihm sagen, dass er recht hatte und ihm mitteilen, wie wahnsinnig ich mich freute, diese Worte zu hören. Dass ich mir sicher war, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, denn mein Herz hatte sie schon viel früher gewählt. Doch ich konnte es nicht. Meine Kehle war zugeschnürt und nahm mir die Möglichkeit zu reden. Nur die Tränen konnten noch für mich sprechen.   Ich habe meinen Seelenpartner gefunden. Ich habe ihn ganz dicht bei mir. Jemanden, der mich so liebt, wie ich bin. Und jemanden, den ich bis an das Ende meiner Tage lieben kann und werde. Jaden war so viel mehr, als ich mir immer gewünscht hatte.   Mein Traum war in Erfüllung gegangen und jetzt war endlich alles gut!   Oder? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)