Blood-red Diamond von MarySae (- Blutrote Seele -) ================================================================================ Kapitel 25: Entscheidungen -------------------------- „Da sind sie!“ „Ihr elenden Mistkerle! Wie verdammt seid ihr hier rein gekommen? Wollt ihr uns etwa alle lebendig begraben?“ Ein lautes Schnauben. „Als ob wir hier unten Sprengladungen zünden würden! Das habt ihr Widerlinge euch wohl selbst zuzuschreiben! Ihr seid anscheinend zu feige, um gegen zwei kleine Jungs anzutreten, hab ich recht?“ Wütendes Grummeln. „Halt bloß die Klappe, Bürschchen! Es interessiert mich nicht, was du für einen Mist laberst und noch weniger, was ihr meint, hier tun zu können! Ihr werdet hier sowieso nicht mehr lebend rauskommen!“ Schnelle Schritte. Das Geräusch von Schüssen. Jeder Knall schien mein Trommelfell zum Bersten zu bringen. Der Schmerzensschrei fremder Männer. Ich hielt die Luft an und hoffte einfach nur, dass alles gut werden würde … Es musste einfach!   Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis sich auch die letzten Geräusche von uns entfernt hatten, aber die Stille, die sich plötzlich über uns legte, war mehr als unangenehm. Ich war so angespannt, dass ich das Blut durch meine Adern rauschen hörte. Und als Emily dann ihre Hand nach der Klinke ausstreckte, um die Tür zu öffnen, ließ mich das raschelnde Geräusch ihrer Kleidung automatisch zusammenfahren. „Die Luft ist rein“, meinte sie, nachdem sie aus dem Spalt der Eisentür geblickt und anscheinend nur den leeren Gang vorgefunden hatte. „Los, jetzt!“   Die Blonde übernahm die Führung, dicht gefolgt von Sebastian. Die Schritte meiner Eltern hallten direkt hinter mir durch den Gang und ich spürte ihren nervösen Atem in meinem Nacken. Auf dem Boden lagen einige bewusstlose Körper verstreut. Zwei lagen direkt vor der Tür, drei weitere verteilten sich auf der gesamten Länge des Flurs. Adelio und Jaden hatten gute Arbeit geleistet. So zermatscht und blutbeschmiert, wie die Gesichter der Männer waren, würden die noch eine ganze Weile schlafen. Wahnsinn, was die beiden alles konnten! Immerhin legten sie sich hier mit teils panzerschrankgroßen Männern an! Und noch unglaublicher war die Tatsache, dass sie diese Kämpfe anscheinend locker gewinnen konnten. Nachdem wir nur wenige Schritte schleichend gegangen waren, hielt Emily plötzlich inne und beugte sich nach einem dunklen Gegenstand, der vor ihr auf dem Boden lag. Als ich erkannte, was das war, sog ich scharf die Luft ein. Wohl ein wenig zu laut, denn die junge Frau blickte mich an und entsicherte die Waffe. „Nur für alle Fälle“, meinte sie leise zu mir und ich nickte zustimmend. Ich wusste, dass es nötig war, sich zu bewaffnen, wenn man sich gegen eine ganze Horde skrupelloser Diebe stellte, aber ich könnte trotzdem niemals auf einen Menschen schießen. Egal wie und warum. Allein die Vorstellung, jemandem das Leben nehmen zu können, war … unerträglich.   Sehr bald erreichten wir das Ende dieses Flurs, an dem er sich in zwei Richtungen ausbreitete. In der linken Hälfte waren bereits die Trümmer die Trümmer der Laboreinrichtung zu erkennen, die die Sprengladung dort über den Boden verteilt hatte. Eine wabernde Wolke aus Staub hing noch immer in der Luft und tauchte alles in ein milchiges, trübes Grau. „Wir müssen hier entlang“, kam es plötzlich von Sebastian und ich sah mir die andere Seite des Flurs genauer an. Tatsächlich war an dessen Ende eine große Stahltür mit einem Kartenlesegerät und sogar einem Ziffernblatt zur Eingabe eines Passworts direkt daneben. Neben der Reihe von Laboren, die wir bereits entdeckt hatten, war dies der einzige Raum weit und breit. Daher war es sehr wahrscheinlich, dass Jaden dahinter den Serverraum vermutete. „Ihr solltet euch schnell zu dem Geheimgang aufmachen und verschwinden! Wir kommen nach, wenn…“   Obwohl ich eigentlich in die Richtung des Serverraums gesehen hatte, hatte ich niemanden herauskommen sehen. Erst als Emilys Schrei die Luft zerriss und sich daraufhin ihre Hand um ihren Unterarm verkrampfte, bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Etwas Metallisches schlug auf dem Boden auf, doch ich konnte nichts erkennen, was das Geräusch verursacht hatte. Wieder zog ein Knall durch die Luft und endlich begriff ich, dass man auf uns schoss! Ein Weiß gekleideter Mann lugte aus der nun geöffneten Metalltür und zielte mit einem alten Revolver auf uns. Seine Hand zitterte, als er ein weiteres Mal den Abzug betätigte. Der Schuss verfehlte uns wieder nur knapp. In diesem Moment schien auch Sebastian zu schalten, denn gerade als ich mich zu meinen Eltern umdrehte, um sie in Sicherheit zu lotsen, griff er Emilys Arm und stürzte auf gleicher Höhe mit mir dorthin zurück, wo die Mauer uns Deckung geben würde. Wir hatten uns eben erst in Sicherheit gebracht, als wieder etwas auf dem Boden entlang schabte und ein merkwürdiges, pulsierendes Echo verursachte. Ich konnte gerade noch erkennen, dass es eiförmig war und nur wenige Meter von uns entfernt zur Ruhe kam. Keine Sekunde später detonierte das Ding und eine grünliche Flüssigkeit spritzte heraus, deren Spritzer uns nur um Zentimeter verfehlten. Plötzlich lag ein ohrenbetäubendes Zischen in der Luft und ich hatte das Gefühl zu ersticken, als ich sah, was dort vor sich ging. Dort, wo das Ding explodiert war, färbten sich Boden und Wände erst schwarz und kurz danach fraßen sich Löcher in die Oberfläche. Ich hatte in Chemie nicht wirklich aufgepasst, aber mir war plötzlich umso mehr bewusst, dass wirklich nicht weniger als unser Leben auf dem Spiel stand.   „Säure!“, japste meine Mutter atemlos, was meine Vermutung nur bestätigte. „Diese verdammten …!“, zischte mein Vater und drückte meine Mutter enger gegen die Wand, um sie besser vor weiteren Angriffen schützen zu können. Zum Glück war er immer schon einen guten Kopf größer gewesen und auch körperlich deutlich breiter als sie. „Meine Uhr!“ Emilys schriller Schrei übertönte selbst das Zischen der ätzenden Säure und riss mich aus meinen Gedanken. Wie ein Ertrinkender, der verzweifelt nach der letzten Möglichkeit griff, um sich zu retten, streckte sie sich, um zurück zu der Stelle zu gelangen, wo sie vor einigen Augenblicken noch gestanden hatte. Doch Sebastian konnte das mit viel Mühe gerade noch verhindern. „Emily, nicht!“ Völlig perplex blickte ich an ihnen vorbei zurück und bemerkte einen kleinen, goldenen Gegenstand, der sich inmitten der ätzenden Flüssigkeit befand und sich langsam in Luft auflöste. Erst beim zweiten Hinsehen, erkannte ich, dass das eine Uhr war. Hatte Emily sie verloren? Die Uhr besaß ein fragiles Ziffernblatt, welches zu meiner Verwunderung nicht Weiß war, so wie es normalerweise der Fall war, sondern in einem wunderschönen Dunkelgrün schimmerte. Erst dann wurde mir die ganze Sache klar.   „Nein! Meine Uhr! Mein Segensstein! Nein! Er kann nicht …! Er darf doch nicht …! Ich muss ihn holen! Sofort holen!“ Ich konnte die Verzweiflung in ihrer Stimme kaum ertragen. Ich fühlte mich in diesem Augenblick an den Moment zurückversetzt, wo Emily weinend vor mir stand und mich für den Tod ihres Freundes verantwortlich gemacht hatte. Heute wusste ich, dass sie damals von ihren Gefühlen überwältigt gewesen war und mittlerweile glaubte ich, sie besser zu kennen. Verzweiflung und Tränen verzogen ihr Gesicht und während Sebastian versuchte, sie weiterhin aus der Gefahrenzone zu halten, konnte ich nur dumm da stehen und die Szene beobachten. Ich spürte, wie meine Muskeln zitterten, aber ich konnte nicht einen von ihnen bewegen. „Emily! Emily! Warte! Hör auf!“ Doch sie schien Sebastians Worte überhaupt nicht wahrzunehmen. Ihr Blick war starr auf ihren grünen Segensstein gerichtet, der bereits kaum noch vorhanden war. Trotz ihrer schweren Verletzungen, die ihr wahrscheinlich unglaubliche Schmerzen bereiteten, stemmte sie sich mit aller Macht gegen seinen Griff. „Mein Stein! Mein Stein!“, schluchzte sie immer und immer wieder, was auch mir Tränen in die Augen trieb. Es hatte keinen Sinn. Ihr Segensstein war für immer verloren. „Emily! Emily, hör mir zu! Das ist nur ein blöder Stein! Du brauchst ihn nicht zum Leben! Damit kannst du Patrik auch nicht wieder zurückholen!“   Ihre Bewegungen stoppten. Plötzlich schien ihr Körper zu Stein erstarrt zu sein. Sebastian nutzte die Gelegenheit, um sie in seine Richtung zu drehen und ihr ins Gesicht zu sehen. „Ich weiß, dass du glaubst, dass dein Segensstein die einzige Verbindung zu Pat ist, die du noch hast, aber glaub mir, dass ist nicht wahr! Dein Herz, deine Gefühle, deine Erinnerungen. Das alles ist tausend Mal kostbarer als dieses Stück Erde! Du liebst ihn und du trauerst um ihn und das ist völlig normal. Bitte, lass dich nicht von deinen Gefühlen auffressen. Lass dich nicht von Rache, Wut und Trauer zerfressen.“ Plötzlich wurden Sebastians Gesichtszüge weicher und ein kleines Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Ich kannte Patrik schon ewig. Seit dem Kindergarten waren wir befreundet. Ich weiß, wie glücklich er war, als wir beide dich bei unserem Urlaub am Strand kennengelernt haben. Eure Segenssteine hatten euch sofort zueinander geführt. Ich weiß, dass er dich sehr geliebt hat und das habe ich auch.“ Emilys Augen spiegelten die Verwirrung wieder, die diese Worte in ihr auslösten. „Was?“, hauchte sie, unfähig einen vollständigen Satz rauszubringen. „Du und Patrik waren wie Geschwister für mich. Wir waren Tag für Tag zusammen und das war die absolut schönste Zeit meines Lebens! Doch irgendwann merkte ich, dass ich für dich mehr empfand, als nur Freundschaft. Aber natürlich habe ich nie ein Wort darüber verloren und hatte es auch eigentlich nie vorgehabt. Du und Patrik. Ihr wart glücklich und mehr hatte ich nie gewollt. Aber ich habe meinem besten Freund versprochen auf dich aufzupassen! Also werde ich nicht zulassen, dass du dein Selbstmordkommando hier weiter durchziehst! Ich helfe dir, diesem ganzen irrsinnigen Treiben ein Ende zu setzen, und dann bringe ich dich dorthin, wohin du möchtest. Und ich verlange nichts mehr, als an diesem Ort bei dir sein zu dürfen.“ Emily schien zu perplex, um ein Wort sagen zu können, aber die Tränen stoppten allmählich. Ein Ausdruck tiefer Ruhe zeichnete sich auf ihren Zügen ab, als sie eine für sie ganz entscheidende Frage stellte. „Darf ich … dafür lernen, dich zu lieben?“ In diesem Augenblick strahlte Sebastian vor Freude und ich spürte, wie mir ganz warm ums Herz wurde. Er drückte ihr einen Kuss auf ihre Stirn und ließ von ihr ab. „Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen.“   Mit einer fließenden Bewegung erhob er sich vom Boden, nahm die Waffe, die die Blonde fallen gelassen haben musste, als Sebastian sie weggestoßen hatte, und überwand den letzten Meter zur Gabelung der Flure. Ich hielt den Atem an, als der Blonde sich an die Wand drückte und um die Ecke lugte, worauf Schüsse und ein Schrei die Stille zerrissen. Einen Moment später war wieder alles ruhig. „Emily?“ Er sagte ihren Namen so voller Liebe, dass es selbst in meinem Magen aufgeregt kribbelte. Er streckte ihr die Hand entgegen, die sie sofort ergriff. „Geht es?“ Sie stand etwas wackelig auf ihren Beinen, doch sie schien entschlossen zu sein, jetzt stark zu sein. „Natürlich. Immerhin sind wir hier noch nicht fertig!“ Sie ließ seine Hand nicht los, als sie sich neben ihn stellte.   Doch bevor sie losgingen, streifte mich ihr Blick noch einmal. „Amelina, los jetzt! Verschwindet!“ Doch trotz der Aufforderung, bewegte ich mich keinen Millimeter. „Aber …! Aber was ist mit euch?“ Ich konnte sie doch nicht so verletzt zurücklassen! Wer weiß, ob es noch mehr von diesen Säure-Granaten gab? „Wir bringen das hier um jeden Preis zu Ende! Wir verbarrikadieren uns in dem Raum und werden uns um die Daten kümmern! Diese verdammten Mistkerle sollen heulend vor den Trümmern ihrer ach so tollen Forschung zusammenbrechen! Danach kommen wir sofort nach.“ Plötzlich sah ich Sebastian in einem ganz anderen Licht. So mutig und willensstark hätte ich ihn gar nicht eingeschätzt. Für mich war er immer der nervöse Junge gewesen, den ich damals eher zufällig kennengelernt hatte. Nur jemand, der lediglich einer sehr guten Freundin helfen wollte und deshalb im Hintergrund die Fäden gezogen hatte. Doch die junge Frau an seiner Seite schien ihm unermessliche Kraft zu geben und ihn zu einem völlig neuen Menschen gemacht zu haben. „Versprochen?“ Es war mir egal, ob man mich jetzt für kindisch halten würde, aber ich wollte sichergehen, dass ich die beiden wiedersehen würde. Sie waren mir in den letzten Stunden unendlich wichtig geworden. „Versprochen!“, sagten beide aus einem Mund und ich lächelte ihnen zu. „Abgemacht! Passt auf euch auf!“ Ich blickte kurz zurück, um meinen Eltern zu zeigen, mir zu folgen, und lief dann los, um meinen Teil zu dieser Mission beizutragen. In meinen Gedanken klammerte ich mich das Bild zweier endlich wieder glücklichen Menschen.   Ich rechnete hinter jeder Ecke damit, dass irgendjemand mit einer gezückten Waffe schreiend auf mich zu sprang, doch zu meiner Überraschung begegneten wir keiner Menschenseele. Ich konnte mir das nur dadurch erklären, dass es bereits weit nach Mitternacht sein musste, und die anderen Bandenmitglieder wahrscheinlich friedlich in ihren Betten lagen, ohne etwas von der aktuellen Situation an ihrem Arbeitsplatz zu ahnen. Ich konnte jedenfalls nur hoffen, dass es keine Vorschrift gab, die besagte, dass das Handy immer griffbereit am Bett liegen musste. Das könnte sich als ziemlich ungünstig für uns herausstellen…   Wir überwanden die Treppe ins oberste Geschoss des Laborkomplexes und ich folgte dem Weg zurück an die Stelle, an der wir hier eingedrungen waren. Zu meinem Glück waren die Räume alle beschriftet und ich erinnerte mich noch genau an die Orte, die wir durchsucht hatten. Beinahe schon erleichtert bog ich in den Gang ein, der, wie ich vermutete, der richtige war. Aber … War die Wand eben auch schon so völlig Weiß und unscheinbar gewesen? War ich hier wirklich richtig? Wo war dieser blöde Geheimgang eigentlich genau gewesen? Kein Wunder, dass ihn anscheinend nie jemand entdeckt hatte! Er war plötzlich wieder absolut unsichtbar! Wie ein Mensch, der sich plötzlich irgendwo an einem pechschwarzen Ort wiederfand und keinerlei Orientierung hatte, tastete ich mich ein wenig hilflos an der Wand entlang. Die Kühle der Fliesen unter meinen Fingerspitzen brachte meinen erhitzten Körper zum Erschaudern. „Hier muss es doch irgendwo sein!“, zischte ich immer wieder und ich bemerkte, dass sich die Nervosität so langsam in Panik verwandelte. Wir waren so kurz davor hier wieder rauszukommen! Meine Eltern und … ich. Ein quietschendes Geräusch ertönte, als ein Finger seltsam tief in eine der Fugen rutschte, und in der nächsten Sekunde unterbrach ein kleiner, schwarzer Spalt das reine Weiß der gefliesten Wand. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen zog ich die Tür auf und Schwärze empfing mich. Ich hörte, wie meine Eltern hinter mir nach Luft schnappten. „Amelina! Was …?“ Meine Mutter klang heiser. Sie hatte viel mitgemacht. Sie war am Ende ihrer Kräfte.   Ich trat einen Schritt zur Seite, damit der Weg zum Geheimgang nicht länger versperrt war. „Ein geheimer Gang, den wir durch Zufall entdeckt haben. Er führt direkt in den Keller des Lifetime Palace.“ Die Augen meiner Eltern weiteten sich. „Dem Hotel?“ Ich nickte meinem Vater bestätigend zu. „Ihr müsst da durchgehen und einen Weg hinaus finden! Bitte! Ihr müsst mir einen Gefallen tun!“ Ich hatte meine Entscheidung getroffen. Ich würde es selbst nicht tun können. „Bitte, ruft diese Nummer hier an, sobald ihr die Möglichkeit dazu habt.“ Ich zog mein Smartphone und ein kleines, lieblos abgerissenes Stück Papier aus meiner Hosentasche, auf das flüchtig ein paar Zahlen geschrieben waren, und hielt sie meinen Eltern hin. Meine Mutter nahm es mit zitternden Fingern entgegen. „Was ist das?“ Sie blickte kurz auf die Zahlen und sah dann wieder mich an. Ein kleines Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. „Das ist die Nummer einer für uns sehr wichtigen Person. Sag ihm bitte, dass Jaden und wir hier sind und was genau passiert ist. Er wird schon wissen, was zu tun ist.“ Es war an der Zeit es ihm zu sagen. Das hatten Jaden und ich bereits vor einiger Zeit beschlossen. „Aber … warum tust du es nicht selbst? Ruf die Person doch an, wenn wir draußen sind! Ich bin sicher, das Hotelpersonal wird uns helfen, wenn wir ihnen alles erklären!“   Das Lächeln wich nicht, als ich den Kopf schüttelte. „Nein, Mama, ich komme nicht mit. Meine Freunde bleiben schließlich auch hier und kämpfen einen Kampf, der uns alle betrifft.“ „Aber Amelina! Die beiden Jungs haben gesagt, dass sie es schaffen werden! Wir können ihnen auch helfen, indem wir qualifizierte Hilfe holen!“ Das war mein Vater. Sachlich wie immer. Doch ich sah ihm an, dass seine ruhige Fassade bröckelte. Ich kannte ihn einfach zu gut. „Jaden und Adelio haben mehr als einmal ihr Leben für mich riskiert. Sie haben mich aufgenommen und beschützt, als ich verängstigt, hilflos und allein war. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es schaffen werden, denn ich glaube an sie, aber mir ist klar geworden, dass ich es mir nie verzeihen würde, wenn ich in diesen so wichtigen Stunden nicht bei ihnen wäre.“   Den Mund meiner Mutter umspielte ein trauriges Lächeln. „Das ist jetzt also dieser Moment, in dem eine Mutter sagen muss, dass sie den Entscheidungen des Kindes vertraut, hab ich recht? Dieser Moment, in dem man sein geliebtes Kind gehen lassen muss, obwohl man es gar nicht möchte.“ Trotz ihrer Worte sah sie mich bloß ruhig an. Ich selbst war wie gelähmt. „Du weißt, ich vertraue dir, Amelina, und du weißt, dass ich ungeheuer stolz auf diese junge Frau bin, die gerade vor mir steht. Trotzdem verlangst du in diesem Moment von mir, dass ich fliehe, während meine Tochter sich mit einer ganzen Bande von Mördern anlegt. Bitte versteh‘, dass es mir unmöglich ist, da „Ja“ zu sagen.“ Der Kloß in meinem Hals nahm mir die Möglichkeit zu atmen. Was sollte ich denn darauf erwidern? „Mama …“ „Deine Mutter hat recht. Wie könnten wir dich einer solchen Gefahr aussetzen, nur um uns selbst zu retten? Du bist unsere wertvolle, kleine Tochter und wir lieben dich sehr.“ Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. „Aber wir sehen auch, dass da vor uns nicht mehr unsere kleine Amelina steht, sondern eine wahnsinnig starke Frau, die für ihre geliebten Menschen über sich hinauswächst. Wenn dir diese jungen Männer so viel bedeuten, könnten wir dich nie davon anhalten, ihnen zu helfen, denn du würdest genau den Schmerz und die Sorge fühlen, den wir die letzten Tage erlitten haben, als wir nicht wussten, wo du warst und was mit dir passiert ist. Und wie könnten wir das zulassen?“ Ich spürte die Tränen in meinen Augen brennen, doch ich wischte sie nicht weg. Ich begrüßte sie sogar. Denn das waren Tränen der Liebe. Obwohl ich es immer tief in meinem Inneren gespürt hatte, wurde es mir jetzt erst richtig bewusst: Meine Eltern liebten und unterstützten mich. Wir waren eine Familie. „Danke! Mama, Papa.“ Sie legte ihre Hand für einige Momente auf meine Schulter und drückte sie ganz fest. Ich spürte ihre angenehme Wärme und all die Gefühle, die sie für mich hatte, wie einen unaufhaltsamen Strom durch mich hindurch fließen. Und dieser Strom brach selbst dann nicht ab, als sie wieder von mir abließ.   „Komm, Liam, wir gehen. Wir müssen Hilfe holen und zwar schnell!“ „Leila … Ja, du hast recht. Amelina, pass bloß auf dich auf, hörst du?“ „Das werde ich!“   Ich blieb noch eine Weile stehen und sah meinen Eltern zu, wie sie sich in den engen Gang zwängten und in der Dunkelheit verschwanden. Ich schloss die Tür hinter ihnen und spürte, wie sich ein Teil von mir plötzlich seltsam leicht anfühlte. Die Sorge um meine Eltern war verschwunden. Ich wusste, dass sie jetzt in Sicherheit waren und schon sehr bald Hilfe holen würden. Jetzt musste ich nur noch dafür sorgen, auch meine Freunde hier wieder gesund und munter rauszuholen.   Wie genau ich das anstellen wollte, war mir allerdings noch selbst ein Rätsel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)