Nimm mich ... von Vickie (wie ich bin!) ================================================================================ Kapitel 4 ― K.O.-Tropfen und ein Glas Milch ------------------------------------------- Sie drehte sich vorsichtig um, denn sie befürchtete ein »Was machst du denn hier?« oder »Wie siehst du denn aus?«. Der Offizier musterte sie. Er schien zu ahnen, was geschehen war, und fragte: »Polizei?« Tamia schüttelte mit dem Kopf. Es war nichts passiert, wodurch sie eine Anzeige erstatten musste.  »Gut.« Erleichtert atmete Sanchez auf, bevor er sie aufforderte, ihm zu folgen.  Mit gesenktem Kopf humpelte sie hinter ihm her und hoffte, dass der Portier sie nicht beachtete. Als Tamia sich in der spiegelnden Oberfläche des Fahrstuhls sah, erschrak sie. Sie sah nicht wie eine sexy Lady aus, sondern lediglich wie eine heruntergekommene Hure. Auf ihrer Wange waren Fingerabdrücke erkennbar, das Make-up war verschmiert, das kurze Kleid hochgerutscht, die Strumpfhose zerrissen und ihre Knie aufgeschrammt. »Ich weiß aber nicht, … ob ich auf Drogen bin.« Lieutenant Sanchez griff ihr Kinn, beugte sich zur ihr herab und blickte ihr tief in die Augen. »Pupillen sind geweitet.« »Oh, mein Gott. Bist du schön!«, stieß sie hervor. Er ignorierte ihren Gefühlsausbruch. »Gedächtnislücken?«, fragte er knapp wie so oft. Für einen Moment schloss sie die Lider und ging den Abend durch. »Ich kann mich soweit an alles erinnern.« Der Fahrstuhl ging auf. Da Tamia beim Auftreten ihr Gesicht verzog, schlang er einen Arm um ihre Taille und er stützte sie beim Laufen. Vor seiner Wohnung blieb sie stehen und weigerte sich, ihm zu folgen. »Du lässt niemanden in deinen privaten Wohnraum.« »Eintreten«, befahl Sanchez und ihr blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Nachdem sie ihre Schuhe im Flur abgestellt hatte, führte er sie ins Bad und ließ sie dort stehen. »Bin gleich wieder da.« Tamia bekam nicht mit, wohin er ging, denn die Dusche zog die vollständige Aufmerksamkeit auf sich. Sie war so groß, dass sie die gesamte Wandseite einnahm, und dazu knöcheltief in den Boden eingelassen. Sanchez meinte zwar, ein alleinstehender Mann zu sein, aber so eine extravagante Luxusdusche – auch wenn das Badezimmer ansonsten kühl und puristisch wirkte – passte nicht im Geringsten zu einer Singlewohnung. Kurz darauf tauchte Sanchez wieder auf und legte Kleidung und ein Handtuch, die anscheinend für Tamia gedacht waren, auf die Waschmaschine. Dann nahm er ihre Hand. Sie errötete. Ungerührt piekte er die Lanzette in ihren Mittelfinger und fing den Blutstropfen im Gehäuse ein. Tamia kam sich dumm vor, weil sie Romantik erwartet hatte. Dabei wollte er sie lediglich nach Drogen untersuchen. »Lass offen. Ich komme rein, wenn du dich längere Zeit nicht bewegst oder am Boden liegst.« Der Offizier tippte gegen das schmale Display, das er auf seiner Nase trug. Er würde sie durch das Wärmebild beobachten. Dann drehte er sich um und zog die Tür hinter sich zu. Tamia zog sich das Kleid aus und legte es ebenfalls auf die Waschmaschine. Die Strumpfhose mit dem Loch im Schritt warf sie in den Mülleimer. Sie begab sich unter die Dusche und suchte an der mit dunklem Stein verkleideten Wand vergeblich nach einem Duschkopf oder Schläuchen, fand aber nur ein Bedienpaneel. Ohne sich mit den verschiedenen Programmen auseinanderzusetzen, drückte sie auf die größte Taste und hoffte, dass dies die richtige war. Aus der Decke ergoss sich ein warmer Regenschauer. Tamia duschte lange. Immer wieder rieb sie sich mit Duschgel ein, um das grässliche Gefühl vom Körper zu waschen. Sie schrubbte sich die Schminkschichten vom Gesicht, selbst den Nagellack kratzte sie sich restlos ab. Erst als der Raum einer Dampfsauna glich, schaltete sie das Wasser ab.  Das Handtuch um den Körper geschlungen, wischte sie über den beschlagenen Spiegel und starrte sich an. Sie sah fertig aus – aber zumindest war der Badvorleger unter ihren Füßen flauschig. Der harte Lieutenant besaß eine weiche Badematte! Tamia kicherte und dann ärgerte sie sich, dass sie so albern wie ein Schulmädchen war. Sie zog das langärmelige Shirt an. Es reichte ihr bis zu den Oberschenkeln und auch die Baumwollhose musste sie an den Beinen und am Bund umkrempeln. Leise öffnete sie die Tür. Sanchez lehnte am Tresen, der das Wohnzimmer von der Küche trennte, eine Hand in der Hosentasche und die andere am Whiskyglas. Blaugrüne Augen durchbohrten sie auf eine Art, vor der sich Menschen gewöhnlich fürchten. Aber Tamia begriff, dass er sie mit diesem Blick nicht töten wollte. Am Mittag, als sie auf dem Dach dicht neben dem Geländer stand, hatte er sie genauso konzentriert angesehen. Er passte auf sie auf. »Setz dich.« Wenn Tamia nicht so müde wäre, würde sie sich die Haare raufen. Setz dich, lass offen, eintreten, unterhalt mich, keine Fragen … Kürzer ging es wohl nicht! Nachdem sie sich auf das Sofa niedergelassen hatte, nahm er auf dem Couchtisch ihr gegenüber Platz und stellte das Glas neben sich auf die massive Steinplatte. Behutsam legte er ihren Fuß auf sein Bein, cremte das Gelenk mit einer Salbe ein und legte einen Verband an. Ihr Herz schlug schneller bei seinen vorsichtigen Berührungen. »… Wie bist du darauf gekommen, dass ich hier bin?« Er legte ein Kühlpad auf ihren Knöchel. »Hab dich beobachtet.« Du mieser Stalker!, wollte sie rufen, aber sie hielt sich zurück. Lieutenant Sanchez hatte sie bei sich aufgenommen und sie versorgt. »Warum denn?«, fragte sie stattdessen. »Ich trage die Verantwortung für euch. Nachdem dein Partner Sergeant Rowe im Gefängnis gelandet ist, weil ein anderer über die Stränge geschlagen hat, mache ich das so.«  Nathan Rowe hatte ihr davon erzählt. Er und sein damaliger Partner hatten einspringen müssen, weil ein anderer Soldat wegen einer Barschlägerei in Untersuchungshaft gekommen war. Da Nathan und Wilson unvorbereitet waren, waren sie bei der verdeckten Mission aufgeflogen und im mittelamerikanischen Knast geendet. »Sergeant Rowe blieb auf dem Stützpunkt und Sergeant Canaw, mit der du auch öfters unterwegs bist, ist mit ihren Kameraden ausgegangen. Du hast dich aber entschieden, allein in eine andere Gegend zu fahren. Da du ansonsten gern in Gesellschaft bist, bin ich davon ausgegangen, dass etwas nicht stimmte.« Ich wollte dich aus meinem Kopf vertreiben. Er fuhr ihr über die Wange. »Du wurdest geschlagen.« Tamia hatte sich ausgiebig im Spiegel betrachtet, um sicherzugehen, dass sie das Make-up vollständig entfernt hatte. Ihr war nicht aufgefallen, dass ihre Wange angeschwollen war. »Beim Training passiert mehr.« »Es ist eine andere Sache, wenn ein Mann eine Frau schlägt.« Sanchez ballte eine Faust und die Knöchel knackten. Seine harte Miene bewies, wie ernst es ihm war, und dies fühlte sich gut an. »Hast du dich ordentlich gewehrt?« »Ich hab ihm in die Eier getreten.« »Mit diesen Schuhen? Autsch.« Sie lachte leise und er strich ihr ein weiteres Mal über die Wange.  »Du solltest …«, Sanchez malte sich mit einem imaginären Pinsel wild durchs Gesicht, »das ganze Zeug weglassen. Du siehst in Natura viel hübscher aus.« Viel Hübscher. Ihr Atem stockte. Er bemerkte, dass ihr das Kompliment unangenehm war. Daher legte er ihr Bein zur Seite und stand auf. »Möchtest du was zu trinken? Kaffee, Tee, Wasser?« »Was würdest du von mir denken, wenn ich Milch verlangen würde?« Sanchez lachte offen und das Grübchen erschien wieder. »Ich finde, dass es durchaus ein rundes Bild ergibt. Du – in viel zu großen, schlabbrigen Klamotten auf meiner Couch.« »Ich will das, was du trinkst.« Beleidigt stülpte sie ihre Lippen aus und kuschelte sich in das Shirt. Es roch nach frischer Wäsche und unverwechselbar nach Ruben Sanchez. »Als ob ich dir Alkohol geben würde.« Ohne die Miene zu verziehen, ging er in die Küche und kam nach kurzer Zeit mit einem Whiskyglas wieder.  Amüsiert musterte Tamia den Tumbler, in dem zwei Eiswürfel in 4 cl Milch schwammen. »Mmh, ein guter Jahrgang!« Das erste Mal an diesem Tage entspannte sie sich. Sie nippte an ihrer eisgekühlten Milch und schloss die Augen. Seit Ewigkeiten hatte sie nicht mehr die Gelegenheit gehabt, auf einer Couch zu lümmeln. Das letzte Mal war, als sie vierzehn war. Mit ihrer Familie. »Nicht heulen.« Tamia zuckte zusammen. »Ich heul doch gar nicht!« »Tut mir leid. Ich … ich kann mit emotionalen Frauen nicht umgehen.« »Wie haben es deine Freundinnen bloß mit dir ausgehalten?« Tamia schob trotzig ihr Kinn nach vorn. Sein scharfer Blick brachte sie auf einen bestimmten Gedanken und sie grinste süffisant: »Hattest du überhaupt mal eine?« »Du bist ganz schön neugierig.« »Du antwortest nicht auf meine Frage.« Mit gleichgültiger Miene verschränkte er seine Arme. »Wozu auch?« »Ich erzähle doch auch von mir!« Sie leerte das Glas in einem Zug und knallte es auf die Tischplatte. Mit Milch wirkte diese Geste aber nicht so cool. Seufzend zog Tamia die Beine an und drückte ein rundes Sofakissen an sich. Was hatte sie veranlasst, an ihre Familie zu denken? Seit dem Neuanfang mit der Versetzung in die USA hatte sie erfolgreich verdrängen können, wie einsam sie war, doch heute war sie gefangen in den Erinnerungen. Oh, wie sehr vermisste, sie ihre Eltern, ihre Schwester, wie sehr vermisste sie Tess und Tilly. Sanchez setzte sich zu ihr und legte unbeholfen einen Arm um sie. Sein Anblick löste ein leises Kichern in ihr aus. Stocksteif und mit angehaltenem Atem saß er da, sodass Tamia nicht umhinkam, sich aus seiner unbeholfenen Umarmung zu befreien und aufzustehen.  »Dein Knöchel«, hielt er sie zurück.  »Er ist nur leicht verstaucht!« Elitesoldaten marschierten selbst mit gebrochenem Fuß. Tamia rüttelte an seinen Schultern und drückte ihn gegen die Lehne. »Sei mal locker!« Als er sich ein wenig entspannte, schob sie seine Beine auseinander und setzte sich auf seinen Schoß. »Jetzt kannst du den Arm um mich legen.« »Gut so?« »Streicheln.« Er gehorchte ihr. Ruben sah an sich herunter. Auf seinem Schoß lag mit seligem Lächeln die Frau, die sich zur Aufgabe gemacht hatte, ihm das Leben schwer zu machen. Den Zwischenfall in seinem Büro konnte er als einmaliges Ereignis abtun. Mit der Einladung – auch wenn er vorgab, sie aus Langeweile zu sich bestellt zu haben – hatte er aber eine Grenze überschritten, an dessen Nähe er sich nicht einmal gewagt hatte. Eine Soldatin sollte dem Militär dienen, nicht ihm als Unterhaltung. Die vermeintliche Blondine rieb ihre Wange an seinen Oberschenkel und schnurrte im Schlaf. Ob ihr bewusst war, welch niedliche Geräusche sie von sich gab? Ruben freute sich, etwas gefunden zu haben, womit er sie necken konnte. Vorsichtig strich er eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Nie fiel es ihm schwerer sich zurückzuhalten. Sie war ihm zum ersten Mal beim morgendlichen Appell aufgefallen, als eine Lücke zwischen den stramm stehenden Soldaten seinen Blick auf sich zog. Beim zweiten Hinsehen bemerkte er, dass dort kein Mann fehlte: Die Person war einfach nur winzig! Die Akten der Neuzugänge hatte er sich natürlich angesehen, aber er hielt sich nie mit Nichtigkeiten wie Geschlecht oder Körpergröße auf. Die Erkennung auf seinem Display verriet ihm, dass das Subjekt Tamia Rivero hieß, aus dem ersten Regiment aus Tasmanien stammte und nicht einmal 1,70 m maß. Während Ruben den geänderten Tagesplan mit dem Staff Sergeant besprach, beobachtete er die Soldaten aus dem Augenwinkel, als sein Blick sich mit dem von Rivero kreuzte. Normalerweise wandten sich die Leute von ihm ab, wenn er sie ansah, Tamia aber schenkte ihm ein offenes Lächeln. Und es war um ihn geschehen … Jahre lang hatte Ruben Sanchez schwer an sich gearbeitet. Er war erbarmungslos zu seinen Untergebenen, trieb sie zu Höchstleistungen. Da er die einzige weibliche Soldatin, die es in die Eliteeinheit geschafft hatte, besonders hart rannahm, wurde ihm eine sexistische Einstellung vorgeworfen. Dabei ging es ihm nur darum, seine Maßstäbe zu wahren. Bei sportlichen Wettspielen mochte es fair sein, die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau zu berücksichtigen. Würde man aber den Frauen gestatten, wie bei den Olympischen Spielen zwanzig Meter weniger weit zu werfen und ein paar Sekunden weniger schnell zu rennen, würden sie auf dem Feld statt einer Goldmedaille die Beine weggesprengt bekommen, weil sie die Granate nicht weit genug werfen konnten. Ruben behandelte die Frauen nicht schlechter, er nahm bloß nicht extra auf sie Rücksicht. Denn in seinem Team gab es keine Geschlechter. Für ihn waren es alles Soldaten, seine Männer – und mit Mann bezeichnete er das Mitglied der Mannschaft. Wovon der Staff Sergeant redete, bekam Ruben nicht mit. Er starrte Corporal Rivero ungläubig an. Keiner der Soldaten konnte ihn, den verhassten Offizier, leiden, aber diese Soldatin bewies das Gegenteil und strahlte ihn an. Um nicht dem schönen Mund zu verfallen, ballte Ruben die Fäuste, bis die kurzen Nägel schmerzhaft in das Fleisch drückten. Er konnte nicht einschätzen, auf welche Art er sie ansah, aber er hatte ihr Lächeln getötet. Die Soldatin runzelte die Stirn, dann bildete sich eine steile Zornesfalte zwischen ihren Brauen und sie wandte sich ab. Und das war gut so. Lieutenant Ruben Sanchez vermied persönliche Bindungen zu seinen Männern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)