Nimm mich ... von Vickie (wie ich bin!) ================================================================================ Kapitel 3 ― Folgen Sie fünfhundert Metern dem Straßenverlauf ------------------------------------------------------------ Bevor der Fahrstuhl zum Stillstand kam, stolperte Tamia durch die sich öffnende Tür und knallte mit der Schulter gegen das harte Metall. Der Portier sah sie verwundert an. Sie presste ein genuscheltes »Wiederseh’n« heraus und flüchtete aus dem Ausgang. Sie ging nicht über Los, zog auch keine viertausend Dollar, nahm nicht den Bus, sondern lief einfach geradeaus. Tamia rempelte Fußgänger an, ignorierte die roten Ampeln. »Sanchez, du blödes Arschloch!«, schrie sie. »Zum Teufel mit dir!« Frustriert trat sie gegen eine Mülltonne, die unter einer Straßenlaterne stand. Ein Mann, der mit seinem Kind im Garten spielte, schimpfte über ihren Wutausbruch. Tamia wedelte mit der Faust und keifte zurück. Ein Auto hupte sie an, weil sie rückwärts auf die Fahrbahn trat. Auf der anderen Straßenseite bellte vom Lärm aufgebracht ein Wachhund. »Lasst mich doch alle in Ruhe!« Sie steckte sich die Kopfhörer tief in die Ohren, drehte die Musik auf vollste Lautstärke und konzentrierte sich auf die leuchtenden Markierungen der Navigation. Die Umgebung konnte sie somit zwar ausblenden, aber die Gedanken an Sanchez ließen sie nicht los. Der durchdringende Blick und die stramme Körperhaltung störten sie nicht. Ganz im Gegenteil – sie faszinierten sie. Das breites Kinn und die markanten Kieferknochen, selbst die Adlernase fand sie nun wahnsinnig männlich. Wenn sie an seine dunkle Stimme dachte, die aus der Kehle eines wilden Tieres stammen musste, bereitete es ihr Gänsehaut. Sie wollte diesen Mann anfassen, schmecken und ihn in sich spüren. Mit ihm Liebe machen.  »Verdammt!«, fluchte sie und hielt sich ihre stechende Seite. »Ich hasse ihn, ich hasse ihn, ich hasse ihn, ich hasse ihn!« Und er hasste sie. Er hasste Frauen, die mit dem Arsch wackeln. Frauen wie sie. Wie sie es drehte und wendete, körperliche Anziehung funktionierte auch ohne jegliche Sympathie – das hatte sie schon oft selbst erfahren. Ein Mann brauchte nur einen geilen Körper und den richtigen Hüftschwung haben, um sie zu befriedigen. Das Schlimme war, dass Sanchez das von ihr hielt, was sie von den Männern behauptete, die ihr andauernd hinterherliefen. Sie war bloß ein hirnloses, triebgesteuertes Dummerchen. Besser wäre es, wenn sie dieses blöde Arschloch vergäße.   Bis Tamia in der Basis ankam, hatte sich ihre Wut auf Sanchez dermaßen gesteigert, dass sie einem Vulkan Konkurrenz machte. Sie schnaubte, als würden eruptive Gase aus ihren Nasenlöchern entweichen, und ihre Schultern bebten zornig. Die Soldaten, die in den Korridoren des Wohnheims standen, wichen zurück. Ein Tollkühner unter ihnen klopfte einen flotten Spruch und wurde sogleich mit einem Fauchen bestraft. »Was ist denn mit der Süßen los?«, hörte Tamia hinter sich. »Sie sollte sich mit Sanchez zusammentun!«, blödelte ein anderer. Tamia blieb abrupt stehen. Gemächlich lief sie auf den Soldaten zu und schockfrostete sein Grinsen mit ihrem Blick. Zarte Hände legten sich um sein Gesicht, bevor Tamia ihn zu sich herunterzog und ihm, wie der Mafiaboss ein Todesurteil verhängte, einen Kuss auf die Lippen gab.  »Schreib schon mal dein Testament.« Mitfühlend klopfte sein Kamerad ihm auf die Schulter. Den Rest der Unterhaltung bekam Tamia nicht mit. Sie hatte sich bereits in ihr Quartier zurückgezogen.  Tamia ging das ganze Prinzessinnen-Programm durch. Eine halbe Stunde lang stand sie unter der Dusche und kippte sich trotz ihrer kurzen Haare so viel rosa Shampoo auf den Kopf, dass sie nach dem Abspülen im farbigen Schaum stand. Als sie aus der Duschnische trat, quoll der Wasserdampf heraus und erfüllte das Zimmer mit dem süßen Duft von Erdbeerkaugummi. Das Handtuch um den Körper gewickelt, setzte sie sich auf das Bett und lackierte sich die Nägel.  Mit Ruben Sanchez zusammentun! Tamia zischte abfällig durch die Zähne. Das wäre das Letztes, was sie tun würde, sagte sie sich. Ihre Gedanken hingegen kuschelten sich bereits an einen warmen, stattlichen Körper und weigerten sich zu akzeptieren, dass Sanchez sie hasste. Er fand sie doch attraktiv oder hatte sie dies falsch verstanden? Das widerspricht sich nicht damit, dass ich dich ficken will. Als hätte der Lieutenant tatsächlich gesprochen, fuhr sie hoch. Sie drehte einige Runden im Zimmer, bevor sie Hände wedelnd und mit gespreizten Fingern vor dem Spind stehen blieb. Vorsichtig – damit sie ihre frisch lackierten Nägel nicht ruinierte – nahm sie ein Kleid vom Bügel. Eigentlich hatte sie es sich gekauft, um mit ihren beiden besten Freundinnen die Stadt auf den Kopf zu stellen. Aber nun war Tam in Amerika. Tess und Tilly hingegen auf dem Ehrenfriedhof in Norfolk.  Das Kleid sah an ihrem Körper aus wie flüssiges Gold und endete knapp unter dem Hintern. Tamia stellte gern ihre schlanken Beine zur Schau, um davon abzulenken, dass ihre Brüste nur händefüllend waren. Nachdem sie sich eine champagnerfarbene Netzstrumpfhose angezogen hatte, umrandete sie ihre Augen mit dunklen Metallicfarben und trug mehrfach Mascara auf. Auf Lipgloss verzichtete sie. Es störte lediglich beim Küssen. Nachdem sie sich ausgiebig in dem winzigen Spiegel über der Spüle betrachtet hatte, schlüpfte sie in die High Heels mit dem höchsten Absatz und trat aus ihrem Zimmer.  Pfiffe und billige Sprüche empfingen sie. Tamia schlug die unmoralischen Angebote aus, da sie keinen ihrer Kameraden wollte. Erst recht keinen, der wegen chronischem Frauenmangel anfing zu sabbern, wenn er Brüste sah. Tamia wollte eine Herausforderung. Darüber hinaus wollte sie heute niemand Bekanntes sehen. Sie rief sich ein Taxi, da sie nicht in die Clubs gehen wollte, die man zu Fuß erreichen konnte; sie wollte so weit wie möglich Abstand nehmen. Der Fahrer brachte sie in die angesagteste Disco, der Eintritt war dementsprechend teuer und selbst der Türsteher hatte sich herausgeputzt. Tamia stolzierte an den prächtigen Palmen vorbei, berührte mit den Fingerspitzen das Bezahlpanel und trat ein. Kitschige Chartmusik dröhnte aus den Lautsprechern. Die Diskokugel verteilte bunte Punkte im Saal. Schwitzige Menschen drängten sich Haut an Haut, zuckten unter dem Stroboskop. Tamia stellte sich an die Bar und ließ sich von einem beliebigen Typen zu einem Drink einladen. Während er ihr Schmeicheleien ins Ohr brüllte und ihren Oberschenkel streichelte, nippte sie am Cocktail und hielt nach brauchbaren Männern Ausschau. Sobald das Glas nur noch zerquetschte Limetten und geschmolzenes Eis beinhaltete, stürzte sich Tamia auf die Tanzfläche. Ein großer Latino mit hautengem, glänzendem Shirt tanzte sie an. Da er nur mittelmäßig aussah, drehte sie ihm den Rücken zu und rieb im Rhythmus der Musik ihren Hintern an ihm. Warmer Atem strich durch ihr Haar, Finger fummelten an ihrer Kleidung. Nach drei Liedern hatte sie genug und suchte sich den nächsten Kerl. Der Cocktail-Typ hatte anscheinend Gefallen an Tamia gefunden und freute sich, als sie zurück an die Bar kehrte. Dies kam ihr gelegen, denn das tropische Klima im Saal machte Durst. Sie erduldete sein sinnloses Gelaber und leerte mit ihm einige Gläser, bevor sie ihn mit einem mitleidigen Küsschen auf die Wange verabschiedete. Mit dem Bier in der Hand tauchte sie in der tanzenden Meute unter. Eine Gruppe junger Männer chillte in einer Sitzecke. Tamia warf ein charmantes Lächeln in die Runde und der schwarzhaarige Schönling wusste sofort, dass er gemeint war. Sicherlich war sie nicht die Erste, die ihn ansprach. Mit einer kecken Hüftbewegung forderte sie ihn zum Tanzen auf und er sprang sofort an. Sein Fuß wippte im Takt, während er darauf wartete, bis das nächste Lied einsetzte. Dann legte er los: Seine geschmeidigen Bewegungen ließen die Jungs und Mädels, die sich in den Käfigen beweisen wollten, alt aussehen. Beeindruckt schlang Tamia ihre Arme um seinen Hals. Der Mann zog sie eng an sich heran, der Zitrusduft seines Aftershaves benebelte ihre Sinne und bereitete ihr Schwindel. Fordernde Hände wanderten an ihrem Hintern, ihre Lippen an seinem Hals, seine Jeans zwischen ihren Beinen. Schweiß rann ihr den Rücken hinunter und seine Stirn glitzerte feucht. »Lass uns rausgehen.« Er schob sie Richtung Hinterausgang. Bevor die Tür zufiel und die Musik wegsperrte, hatte er sie an die Wand gedrückt. Das nannte sie Tatkraft! Der Typ probierte, wie viel Zunge er in Tamias Hals schieben konnte, während sie ungeduldig sein Hemd aufknöpfte und über seine glatte Brust fuhr. Makellos. Und ihr zweiter Gedanke: Langweilig. Aber der Mann fand sie keineswegs langweilig. Er zog ihren Ausschnitt nach unten und befreite eine Brust von der Spitzenunterwäsche. Eine Hand wanderte unter ihr Kleid. »Du gehst aber schnell ran«, kicherte Tamia, wand sich aber von seiner Hand weg, sodass er sein Ziel verlor. »Du bist so heiß.« Hemmungslos knetete er ihren Busen. Hinter seinem Kopf leuchteten zwei Mondsicheln.  Zwei? So viel hatte sie doch gar nicht getrunken? Tamia drückte den Schwarzhaarigen von sich, der im nüchternen Zustand vermutlich nicht so gut aussah, wie sie ihn momentan wahrnahm. Er fühlte sich durch ihren Widerstand jedoch angestachelt, riss ein praktisches Loch in ihre Netzstrumpfhose und schob ihren Tanga zur Seite.  »Lass mich …« Tamias Stimme klang piepsig und überhaupt nicht überzeugend. Anstatt sie loszulassen, schrubbte er an ihrer empfindlichen Stelle, als würde er eine Käsereibe bedienen. »Au! Du tust mir weh!« »Sorry«, murmelte er und zwirbelte an ihrer Brustwarze. Das war doch kein Schalter, mit dem man einfach so die Lust hochdrehen konnte! Tamia war erbost, dass er sie so grob anfasste, und trat ihm mit dem Absatz heftig auf die Zehen.  »Du verdammtes Miststück!« Er schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht und sie ging zu Boden. Tamia hielt ihre glühende Wange und starrte ihn an. Sie dachte an Yon, die selbst gegen größere und stärkere Männer ankam. Sie bereute, dass sie kein Nahkämpfer war. Sie erinnerte sich an ihre Freundinnen, die sie vor einem Jahr verloren hatte, sehnte sich nach ihrer Familie, hörte Vaters Stimme, wie er ihr verboten hatte, spät auszugehen, und Mutters Versprechen, sie zur Party zu bringen und abzuholen, sah das zerfetzte Lieblingskuscheltier ihrer Schwester auf dem Boden, bevor … Der Mann zog sie auf die Beine und stieß sie gegen die Wand. Danach öffnete er seine Hose. Er wollte es doch nicht durchziehen? Mit dem Ding? Wie lächerlich! Dieser schlaksige Kerl wollte sich also mit einer Soldatin angelegen. Der Alkohol verlieh der Situation einen seltsam lustigen Touch und Tam kicherte in sich hinein. Da der Kerl es gar nicht komisch fand, packte fest ihr Kinn. Tam biss hinein. Schreiend zuckte er zurück und sie nutzte die Gelegenheit, um ihm zwischen die Beine zu treten und auf die Straße zu rennen.  Stöhnend sank der Mann auf die Knie. »Verdammtes Miststück …« Grelle Scheinwerfer ließen sie wie ein dummes Reh auf der Fahrbahn stehen bleiben. Autos hupten und wichen ihr aus. Hupende Autos? War das ein Déjà-vu? Tam blieb mit ihrem Schuh am Bordstein hängen, knickte mit dem Fuß um und fiel hin. Eine Weile lang blieb sie am Boden, da sie nicht das Gleichgewicht fand, um sich aufzurichten. Schließlich krabbelte sie zur nächsten Straßenlaterne und zog sich hoch.  Sie fluchte und steckte sich zwei Finger in den Mund, um den Brechreiz auszulösen. Die Tränen stiegen ihr in die Augen, als sich der Mageninhalt endlich auf der Straße ausleerte. Würgend und spuckend hoffte sie, dass der Alkohol oder sonstige Sachen, die sie unwissend zu sich genommen hatte, noch nicht vollständig in ihrem Blut aufgenommen worden waren.  Ob sie einen Passanten um Hilfe bitten sollte? Oder wäre es besser, wenn sie sich ein Taxi rief? Was wäre, wenn diese Menschen die Situation ausnutzten? Es kam nicht selten vor, dass Taxifahrer mit besoffenen Mädels einen Abstecher zu einem abgelegenen Ort machten. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu laufen. Aber wo befand sich die Basis?  Tam gab wirre Befehle an ihr TCD. »Adresse. Nach äh… zurück eben!« Sie lachte über ihre Inkompetenz. »Ich will doch nur zurück!« Ihre Sicht verschwamm. »Nagiva… Viganation. Klingt wie Vagina!«, gackerte sie. »Na. Vi. Gation. Ha! Ich hab’s! Navigation. Rückweg!«  »Folgen Sie fünfhundert Metern dem Straßenverlauf«, forderte die Frau in ihrem TCD sie auf. Tam tat wie ihr geheißen. Nachdem sie ihre High Heels ausgezogen hatte, setzte sie einen wackligen Schritt nach dem anderen. Ihr Fußgelenk schmerzte höllisch, aber der Schwindel ließ ein wenig nach. »Nach hundert Metern links abbiegen.«  Sie hielt die Arme mit ausgestrecktem Daumen hoch. »Links ist da, wo der Daumen rechts ist.« Lachend zählte sie hundert Schritte ab. Als sie an der Straßenecke ankam, umarmte sie die Laterne. »Puh … Wie weit ist es noch? Ich hab keine Lust mehr. Ich will in mein Bett!«  Tamia hielt sich wacker auf den Beinen und lief weiter. Nach einiger Zeit ragten vor ihr Hochhäuser in den sternenlosen Nachthimmel. Sie war nicht zurück zur Basis gelaufen, sondern zu Lieutenant Sanchez. Ungläubig rieb sie die Augen und schmierte sich das Make-up auf den Handrücken. Rückweg bedeutete nicht der Weg zur Basis, sondern der Rückweg der letzten Strecke. Vorsichtig trat sie an den Hauseingang heran und fuhr mit dem Finger die Namensschilder auf und ab. Ohne zu klingeln, setzte sie sich auf die Treppenstufen und stützte ihr dreckiges Gesicht in die Hände. Ein Schatten breitete sich über Tamia aus und das dunkle Seufzen einer bekannten Stimme ertönte hinter ihr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)