Sonne, Strand und Eiswasser von Shizana (Beitrag zur ALS Ice Bucket Challenge) ================================================================================ One Shot -------- Ein Rascheln im Gebüsch. „Knirpse auf drei Uhr, nya!“ „Reiches Buffet direkt dahinter. Könnten wir nicht –“ Ein Geräusch, als wäre eine Holzplanke auf eine harte Oberfläche aufgeschlagen, ließ den unfertigen Satz in ein jämmerliches „Aua“ münden. „Jetzt nicht! Heute schnappen wir uns dieses dämliche Pikachu, komme was da wolle! Keine Experimente!“ „Aber Musashi, wenn es so dämlich ist, wie kommt es dann, dass es unseren Megadragotechrobo 3 mit ein wenig Wangenblitzen scheinbar mühelos in die Luft gejagt hat?“ Abermals schlug Härte auf Härte und lockte ein empörtes Fauchen hervor. „Vergiss die Technik, wir machen es dieses Mal auf die altherkömmliche Methode!“   Auf leisen Sohlen schlich sich das diebische Rocket-Trio zwischen den hohen Bäumen voran. Unnötig, eigentlich, denn in wenigen hundert Metern Entfernung hatte sich eine Menschenmenge versammelt, die den sonst so idyllischen Strand von Shoyo City in einen wahren Schauplatz verwandelte. Mehrere Stände waren entlang der hellsandigen Küste aufgebaut worden, in denen kleinere Händler sowie Privatleute ihre Kauf- und Tauschwaren anboten. Der Duft von leckeren Warmspeisen und frischen Pofflés lag in der Luft, warm vom reichen Sonnenschein. Zwischen all den Schaulustigen rannten Kinder lachend umher, die mit den vielen freiumherlaufenden Pokémon spielten. Ein Fest für die Sinne. Eine kleine Spielergruppe erheiterte die Besucher mit ihrer fröhlichen Straßenmusik, geprägt vom freien Klang des Akkordeons. Das angrenzende Meer spülte friedlich um die nackten Füße jener, die sich den feuchtfrohen Wasserspaß nicht nehmen lassen wollten. Bunt und hell lud die offene Veranstaltung zur Feierlichkeit ein. „Da vorne sind sie“, zischte Musashi im Flüsterton zu ihren beiden Partnern hinter, den Arm bedeutend nach vorn gestreckt. Doch die Aufmerksamkeit des jungen Mannes und des aufrechtgehenden Katzen-Pokémon, die ihr auf dem Fuße folgten, lag auf scheinbar allem, nur nicht ihrem eigentlichen Ziel. „All diese verschiedenen Pokémon“, schwärmte der junge Mann vor sich hin. Ein entzückter Ausruf folgte, als er ein hübsch hergerichtetes Elfun an der Seite einer älteren Dame im tannengrünen Kleid entdeckt hatte. „Da weiß man gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll, nya“, bestätigte Nyasu, dessen Blick in alle Richtungen ging, sichtlich beeindruckt von all den verschiedenen Eindrücken. „Ich habe schon mindestens zwei Pfoten voll Pokémon entdeckt, die Sakaki-sama mit Sicherheit erfreuen würden, no nya.“ „Bleibt bei der Sache!“, zischte Musashi erneut zu ihnen hinter. Die junge Frau schenkte Mann und Pokémon einen strengen Blick. „Pikachu in unseren Besitz zu bringen, hat für uns oberste Priorität! Wenn die Maus im Sack ist, können wir uns immer noch an all den Leckerbissen hier bereichern.“ „Redest du von Essen oder Pokémon, nya?“ Sie konnte sich ein vielheißendes Grinsen nicht verkneifen. „Beides natürlich, wenn wir schon mal dabei sind.“ „Leute, kommen euch diese Gestalten nicht auch unangenehm bekannt vor?“, mischte sich Kojiro in den kurzen Austausch der beiden Freunde, wobei er nach vorn in Richtung Knirpsengruppe deutete. Augenblicklich kam das Trio zum Stehen. Neben einem Waffelstand kauerten sie sich eng zusammen und lugten an dem Holzhäuschen vorbei, Kojiros Fingerzeig folgend. „Das ist der Mega-Prof, nya!“, rief Nyasu überrascht aus, als er den Mann mittleren Alters im Weißkittel und dem zausen schwarzen Haar erkannte. „Und unser Möchtegernsternchen“, ergänzte Musashi spöttisch. Damit tat sie all ihre aufrichtige Geringschätzung jener ruhmreichen Frau entgegen kund, die Pokémon-Champion und erfolgreiche Schauspielerin zugleich war. „Mit ihrem ach-so-tollen Guardevoir. Was will die denn hier?“ „Kommt mir das nur so vor, oder sieht sie tatsächlich etwas nass aus?“ „Wir sind am Strand, nya“, bemerkte Nyasu im vorwurfsvollen Ton zu Kojiro hoch. „Außerdem trägt sie einen Bikini.“ Musashi schnaubte abfällig. „Was für eine beneidenswerte Figur …“ „Na, na“, versuchte Kojiro die Freundin zu beschwichtigen. Die negativen Schwingungen, die von ihr ausgingen, bereiteten ihm Unbehagen. „Nya? Was haben die denn jetzt vor?“ Aufmerksam rückte das Team enger zusammen und hielt den Blick auf den Knirps und die beiden Prominenten fixiert. Sie beobachteten gespannt, wie der Knirps mit seinem Pikachu auf der Schulter neben dem Professor zu einer kleinen Holztribüne geführt wurde. Oben nebeneinander aufgestellt, eilten Schwester Joy und ein dunkelhäutiger Mittzwanziger herbei, die dem Pokémon-Professor den Kittel und dem jungen Pokémon-Trainer Jacke, T-Shirt und Hose abnahmen. „Oho, zwei Mutige haben sich gefunden!“, rief ein kleingewachsener Mann hohen Alters in Hawaiihemd, kurzer Baggyhose und Strohhut auf dem Kopf über ein Mikrofon aus. Durch die Lautsprecher klang seine Stimme kratzig-heiser, dennoch kräftig. „Wer gesellt sich noch dazu? Ein Freiwilliger noch für eine aufregende Eisdusche!“ „Citron, komm schon!“, winkte Satoshi seinem Freund zu, der inmitten der Zuschauermenge stand. Der blonde Junge mit Brille und im blauen Overall zog sich sofort weiter zurück, um sich vor der Herausforderung zu drücken. Da hatte er nicht die Rechnung mit seiner kleinen Schwester gemacht, die ihn sofort energisch bei den Händen packte und nach Kräften hervorzog. Mithilfe weiterer kräftiger Hände wurde das junge Genie schließlich aus der Meute herausgeschoben und auf die Tribüne befördert, wo er sich mit hochrotem Gesicht dagegen sträubte, vor all den anwesenden Leuten aus seinem Anzug zu klettern. „Das ist unsere Chance!“, geriet Musashi in helle Begeisterung, als sie die unverhoffte Geste des Jungen erkannte, der gerade im Begriff war, sein Pikachu in die Zuschauermenge zu schicken. „Nyasu! Kojiro!“ „Roger!“, reagierten beide im Akkord. Das Trio teilte sich sogleich auf, um die gelbe Elektromaus abzufangen. Es brauchte keine Absprache unter ihnen. Längst war das brünette Mädchen mit ihrem rosafarbenen Canotierhut gefunden und galt, abgelenkt zu werden. Diesen Part übernahm Kojiro, indem er das Mädchen wie zufällig im Vorbeigehen anrempelte. Sie stolperte, musste aufgefangen werden, woraufhin sie sich fluchend nach dem Rüpel umdrehte. Im passenden Moment trat Musashi in die Quere des gelben Maus-Pokémon und haschte es eilig in einem Sack ein, den sie vorsorglich bei sich getragen hatte. Der Eingriff geschah zu schnell, als dass Pikachu hätte reagieren und seinen Lauf rechtzeitig stoppen können, so sprang es dem Dieb direkt in die Falle. Noch im Rückzug verschnürte Nyasu, der über Musashis Schulter hing, den Stoffsack mit einem Garnstück. „Pikachu gefangen, no nya.“ Das Gesicht des Katers zierte ein breites, finsteres Grinsen. „Oh, das war kalt!“, klang die Stimme des Veranstalters über die Lautsprecher, woraufhin die Menge in ein lautes Gelächter ausbrach. „Einen feurigen Applaus für unsere mutigen Freiwilligen!“ Von der Begeisterung der Zuschauer für einen kurzen Moment abgelenkt, bemerkte Musashi nicht, wie ein hochgewachsener, stämmiger Mann ihren Fluchtweg kreuzte. Im Schwung ihres eiligen Schrittes prallte sie gegen den breiten Bauch, federte zurück und fand sich einen Sekundenbruchteil später mit ihren vier Buchstaben im wenig weichen Sandboden wieder. Perplex wie sie war, verlor sie den Diebessack aus ihren Händen und auch der Kater purzelte ihr haltlos von den Schultern. Dann geschah alles sehr schnell und direkt aufeinanderfolgend. „Oh, tut mir leid, Fräulein. Sind Sie verletzt?“, nuschelte der Bergmann in Hemd und Strandhose zu ihr herunter. „Als Nächstes dürfen unsere Helden die nächsten Teilnehmer nominieren!“, schallte es euphorisch durch die Lautsprecher über ihr. „Serena, Serena! Schau mal, da!“, quiekte Eureka mit ihrer kindlichen Stimme laut und unüberhörbar in Unfallsnähe. „Satoshi!“, kam es von Serena und direkt darauf vom Knirps: „Roketto-dan! Was habt ihr schon wieder vor?!“ „Wenn jemand fragt »Was habt ihr schon wieder vor« …“ „… antworten wir aus Barmherzigkeit der Welt“, reagierte Kojiro auf die Startzeile ihrer gemeinsamen Kampfansage, eilte zu seiner Partnerin hinüber und half ihr auf die Beine, um ihre übliche Show abzuziehen. „Um die Zerstörung der Welt zu verhindern …“ „… um den Frieden der Welt zu beschützen …“ „… durchdringen wir das Böse in »Liebe« und »Wahrheit« …“ „… die liebenswerten und charmanten Bösewichte …“ „Musashi!“ „Kojiro!“ „Als Paar von Team Rocket gleiten wir durch die Galaxie!“ „Weißes Loch, ein weißes Morgen erwartet uns!“ „Irgendwie so, nya!“ * „Soonansu!“, machte sich das blaue Blasen-Pokémon, wie gehabt, für seinen Einsatz im Motto selbständig und verließ seinen Pokéball aus freiem Willen. „Roketto-dan, gebt Pikachu wieder –“ „Ah, ich sehe!“, fiel der Mann von Zwergengröße der unerkannten Auseinandersetzung dazwischen und streckte den freien Arm nach dem Agentenpaar aus. „Wir haben zwei weitere Teilnehmer! Herzlichen Glückwunsch, ihr beiden seid für die Ice Bucket Challenge nominiert!“ Irritiert tauschte das Quartett von Bösewichten Blicke untereinander aus, während die ahnungslose Zuschauermenge um sie herum in lautem Applaus ausbrach. „Musashi, Kojiro – so sind doch eure Namen? Na los, nicht so schüchtern! Kommt rauf, kommt rauf!“, ermutigte sie der Alte, sich zu ihnen auf die Tribüne zu gesellen. „Wa-wa-was ist denn jetzt los? Hey, Pfoten weg!“, entrüstete sich Musashi in ihrer Überrumpelung. Ein junger Mann mit dunklem Teint und bunten Steckern in der bergig hergerichteten Afrofrisur trat auf sie zu, um sie höflich bei der Schulter zu fassen. Sie schlug die Hand sofort barsch zurück und suchte den Blickkontakt zu ihrem Partner. „Kojiro! Was ist hier los?!“ „Ich weiß es nicht, Musashi“, beteuerte dieser. Schwester Joy selbst war es, die sich seiner angenommen hatte und ihn ohne jegliche Gewalt am Arm zur Tribüne führte. Geradeso wie ein Schlächter sein Waaty mit umschmeichelnden Worten zur Schlachtbank führte. Zumindest war es dieses Gefühl, was das sonnige Lächeln der Pokémon-Krankenschwester in ihm auslöste. Die beiden Pokémon blieben unbeachtet zurück. Kurz blinzelten sie einander an, ehe sie dem Geschehen im Schleichschritt folgten. „Hey, Finger weg!“, fauchte Musashi derweil ihre unfreiwillige Begleitung an und drehte sich zu ihr herum. Ihr Herz setzte für einen Schlag lang aus, als sie in das lange Gesicht des Mannes hinaufblickte, der sie noch um einen Kopf überragte. „Bitte entschuldige“, sprach er mit einer ungeahnt glatten Stimme, als sei sie mit feinem Sandpapier geschliffen worden. „Normal ist das nicht meine Art, aber würdest du bitte etwas weniger die Krallen ausfahren? Zu versuchen, mit aller Gewalt Wände einzurennen, bringt bei mir gar nichts.“ Sie schluckte. „Bitte?! Pass mal auf, Freundchen, dass ich dich nicht gleich einrenne. Du siehst selbst schon wie so ‘ne Wand aus!“ „Oh, vielen Dank für das Kompliment!“ Ihr schauderte. Das dunkle Gesicht des Burschen erhellte sich vor lauter Stolz, woraufhin ihr die Frage kam, was mit diesem Kerl nicht ganz rund lief. Sie hatte ihre Worte garantiert nicht als Schmeichelei gemeint. „Ich bin übrigens Zaku…–“ „Fass mich einfach nicht an“, murrte sie noch einmal und wich seiner Hand aus, indem sie sich vorwärtsbewegte. „Sag mir lieber, was ihr hier mit uns vorhabt!“ „Wir veranstalten zugunsten der Gesundheitsforschung eine sogenannte Ice Bucket Challenge“, erklärte er, ohne weiter auf das aggressive Verhalten der Frau einzugehen. „Damit soll auf eine schlimme, noch kaum erforschte Krankheit aufmerksam gemacht werden: der ALS. Zu diesem Zweck wird den Teilnehmern ein wenig kaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Ihr müsst nur für ein paar Sekunden standhalten, ungefähr wie bei einer Mutprobe. Also wirklich nichts, wovor man Angst haben müsste.“ Sie warf einen prüfenden Blick zu der Tribüne hoch. Jetzt, wo er es sagte, fiel ihr auch auf, dass der Knirps und sein kleiner Technikfreakfreund von oben bis unten durchnässt waren. Zu ihren Füßen waren die Holzdielen regelrecht geflutet und eine weiße, dünne Schicht lag darüber. Das machte sie stutzig, aber vielleicht handelte es sich auch nur um Sand. „Das ist alles?“ Er nickte. „Und wieso sollte man so einen Mist mitmachen?“ „Es ist für einen guten Zweck.“ „Tze, interessiert uns nicht!“ „Die Aktion wird von der Pokémon-Liga gestellt und gefördert. Carne-san selbst, die derzeitige Pokémon-Champion Kalos‘, beteiligt sich daran. Ebenso einige der regionalen Arenaleiter. Da vorn zum Beispiel, der Koch am Buffet“, er deutete zu einem schlanken Mann in elegant weiß-blauer Kochbekleidung und hoher Kochmütze, „das ist Zumi-san, einer der aktuellen Top Vier. Und der Veranstalter, der kleinwüchsige Alte dort oben, das ist Hiyoku Citys Arenaleiter, Fukuji-san. Ein ganz netter und hochgeschätzter Kollege von mir.“ Musashi warf einen prüfenden Seitenblick zu ihm hinter. Dieser langgezogene Kerl war also ein Arenaleiter, wenn sie ihn richtig verstanden hatte. „Und da wären natürlich auch noch andere wichtige Persönlichkeiten wie der Professor“, fuhr er fort, sichtbar stolz auf diese Tatsache. Bedeutend nickte er in Richtung des ebenfalls gänzlich durchnässten Weißkittelträgers, derzeit in einen grauen Bademantel gehüllt. „Aha?“, gab sie sich weiterhin unbeeindruckt. Dass ihr Interesse allmählich doch geschürt wurde, würde sie sich nicht anmerken lassen. „Schau, es ist wirklich nicht so schlimm“, versuchte er sie weiterhin von der Aktion zu überzeugen. Nichts ahnend von dem stillen Sinneswandel der Agentin. „Es mag nach einem harten Brocken klingen, aber das Überwinden dieser felsigen Steinwand lohnt sich auf mehrere Ebene.“ Ja, für wahr. Der Lohn für diese witzhafte Überwindung klang wahrlich ebenso verlockend und delikat, wie der Duft des Sternekoch-Buffets zu ihr herüberwehte. Es gab hier noch so viel mehr zu holen als ein paar exquisite Desserts nach Wahl. Sie sah hinauf zu der Holztribüne, auf welcher Kojiro bereits widerwillig neben dem Knirps Stellung bezogen hatte. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Zu deutlich konnte Musashi die stumme Frage aus den smaragdgrünen Augen ihres Partners herauslesen. Es kostete sie alle Selbstbeherrschung, sich ein verräterisches Schmunzeln zu verkneifen. Kojiro und sie waren in der Tat ein perfekt eingespieltes Team. Er hatte mit nur einem Blick erkannt, dass sie bereits einen neuen Plan ausgeheckt hatte. Diese Erkenntnis stimmte sie überaus zufrieden. Beherzt setzte sie Fuß auf die flachen Holzstufen, die zu der Tribüne hinaufführten. Ihr Blick glitt dabei abschätzend zu dem Pokémon, welches sich zu ihrer Rechten majestätisch in die Höhe erstreckte. Ein dünner, weißer Nebel ging von seinem blauen, kristallbesetzten Körper aus, der die sonst so warme Luft spürbar frostig herunterkühlte. Das Amagarga wirkte äußerst stark und gesund auf sie. Ganz anders als jenes seiner Art, dem ihr Team vor einiger Zeit in diesem Fossilienlabor begegnet war. Dieses hier war wachsam, strahlte eine selbstsichere Ruhe aus und zeugte von der Fürsorge eines gewissenhaften Trainers. Ein sicherer Gewinn, auch wenn ihr etwas mulmig bei dem Gedanken war, es erneut mit diesem langhalsigen Eiszeitdinosaurier als Ziel zu versuchen. „Ihr beiden?“, entrüstete sich Carne im gedämpften Ton, um ihr Image als Idol nicht vor all den Anwesenden zu gefährden. „Hakase, ich denke nicht, dass wir –“ „Kein Grund zur Besorgnis“, fiel der Professor ihr sanft ins Wort. Er schien sich seiner Sache sicher zu sein, als er zu dem Agentenpaar herübertrat. Keinerlei Vorwurf oder Tadel vergangener Begegnungen der unfeinen Art spiegelte sich auf seinen entspannten Gesichtszügen. „Dies ist eine friedliche Veranstaltung. Wir haben viele Gäste, die genau das schätzen. Ich bin mir sicher, dass es für uns alle das Beste wäre, wenn wir dieses besondere Ambiente weiterhin beibehalten. Meint ihr nicht auch?“ Die beiden Rockets tauschten einen vergewissernden Blick untereinander aus. „Wenn ihr versprecht, die Polizei aus dem Spiel zu lassen …“ „… versprechen wir, dieses eine Mal keinen Ärger zu machen“, ergänzte Kojiro den Satz seiner Partnerin. „Das ist ein Kompromiss, no nya“, unterstrich Nyasu die Forderung. Unmissverständlich streckte er die Pfote in Richtung des Professors in die Höhe. Jener hockte sich zu ihm herunter. „Abgemacht.“ Damit und indem er die Pfote des Katers kurz schüttelte, war der vorübergehende Waffenstillstand zwischen den beiden Fronten besiegelt. Satoshi, derweil ebenfalls in einen wollig beigen Bademantel gehüllt, trat auf Musashi zu. Auge in Auge sah er zu ihr auf. „Da hast du dein wertvolles Pikachu zurück“, brummte sie patzig und gab Kojiro einen Wink, den aufgesammelten Sack mit ihrem Diebesgut dem Jungen zu überreichen. Auf sein leises „Danke“ hin rollte sie kurz mit den Augen. Sie schnappte den Kater beim Nackenfell. „Du machst schön mit!“ „Nya?!“, empörte sich dieser, riss die Augen auf und bedachte die Freundin mit einem ungläubigen Blick. „Du meinst, ich soll mir kaltes Wasser über den Kopf schütten lassen, no nya?“ „Sind wir nicht ein Team?“, schnippte sie zurück. „Niemals, nya!“ Er begann sich nach Leibeskräften unter ihrem unnachgiebigen Griff zu winden, um freizukommen. „Wasser bekommt meinem Fell nicht gut! Ich habe Stunden gebraucht, um den Schmodder unserer letzten Bruchlandung loszubekommen, no nya! Lass mich los, no nya! Lass mich sofort runter, Musashi, nya!“ „Ich habe einen Plan“, wisperte sie ihm zu, wobei sie sich dicht an sein Ohr neigte. „Mach einfach mit.“ „Mag ja gut sein, nya, aber selbst für hundert Pikachu lasse ich mich nicht freiwillig übergießen. Ich bin doch kein Myrapla, no nya!“ „Sonansu?“, wandte sie sich schließlich an ihren blauen Pokémon-Partner, welcher sofort verstand. Kurz salutierte es und eilte im Watschelgang an ihre Seite, um ihr den wild zappelnden Kater abzunehmen. Es hatte sichtlich Mühe, doch gab sein Bestes, den Kater festzuhalten. „Entschuldigt“, trat der Professor auf sie zu, „aber Pokémon sind aus Sicherheitsgründen von dieser Aktion ausge… –“ „Nyasu kann das ab“, fiel Musashi ihm barsch ins Wort. Ein überzeugtes Grinsen zierte ihre roten Lippen. „Eine kalte Dusche bringt ihn nicht um.“ „Bestimm nicht für mich, no nya!“ Carne seufzte kapitulierend. „Also schön. Sicherheit geht vor, daher werde ich euch dieselben Fragen stellen wie den anderen vor euch auch schon. Ist euch ein Risiko auf Herzinfarkt oder Kreislaufproblemen bei euch bekannt?“ „Pff, wenn dem so wäre, müssten wir schon hundertfach gestorben und wiederauferstanden sein“, winkte Musashi ab. Widerwillig – und erst nach einem prüfenden Blick zu Kojiro, der sich gerade das schwarze Hemd über den Kopf zog – folgte sie der Aufforderung, sich ebenfalls ihrer langen Handschuhe und der Uniformjacke zu entledigen. „Habt ihr sonstige Erkrankungen oder Schwächen im Immunsystem?“ „Wir sind durch und durch gesund und unzerstörbar!“, strotzte Kojiro auf hin der Frage und schwellte stolz die Brust. Im Stehen streifte er sich die Stiefel von den Füßen. „Das ist gut.“ Carne nickte, an einem Lächeln bemüht. „Wir werden euch gleich für einige Sekunden unter eiskaltes Wasser stellen. Um den Schock für euch abzumildern, wird ein Countdown heruntergezählt. Haltet bitte stand, solange ihr könnt. Anschließend wird man sich um euer Wohl sorgen.“ „Mo-Moment!“, meldete sich Kojiro schnell zu Wort. Einschüchterung ließ sich aus seinem Gesicht ablesen. „Wie ist das mit dem »eiskalten Wasser« genau gemeint?“ Die Champ gestattete sich ein amüsiertes Schmunzeln. Selbsterklärend trat sie neben Amagarga, legte ihm eine Hand auf und deutete mit der anderen zu dem Gerüst über den unfreiwillig Freiwilligen auf. Die Agenten hoben daraufhin ihren Blick. Über ihnen hoben sich zwei weitere Pokémon von dem herabfallenden Sonnenlicht ab: das Seestern-Pokémon Starmie und das Hummer-Pokémon Wummer. Der Sinn und Zweck für ihre Anwesenheit und Position ergab sich von selbst. „Also“, ergriff Carne erneut das Wort, „Musashi, Kojiro und Nyasu, nehmt ihr die Ice Bucket Challenge an?“ „Ich protestiere, nya!“, zeterte Nyasu weiter, doch es gab kein Entrinnen. Woingenau drückte den Kater kraftvoll zu Boden, wobei es selbst laut zustimmend salutierte. Das Agentenpaar zögerte. Je länger ihr Schweigen dauerte, umso lauter wurden die ermunternden Zurufe des Strandpublikums. „Na los, ihr beiden!“, sprach Satoshi den beiden Rivalen Mut zu. In einer bestärkenden Geste hob er die Fäuste vor den Körper und nickte ihnen zu. „Ihr packt das!“ Nach einem kurzen Moment erwiderte Musashi das Nicken. Entschlossen straffte sie die Schultern. „Wir akzeptieren!“ Es entlockte Carne ein Schmunzeln. Dann richtete sie ihren Blick auf die beiden Wasserpokémon und hob den Arm. „In Ordnung. Bereit?“ Das Publikum zählte den Countdown: „Drei … Zwei … Eins …“   PLATSCH!   Zeitgleich aktivierten die beiden Wasserpokémon ihre Hydropumpe. Der frostige Hauch von Amagargas Pulverschnee-Attacke umhüllte das herabstürzende Wasser in einem weißen Nebel, vereinzelt glitzernd wie ein flüssiger Teppich aus winzig kleinen Diamantfundamenten. Das instant eisgekühlte Wasser ergoss sich über das Rocket-Quartett, ohne zu gefrieren. Einen Sekundenbruchteil später war der kurze, erschrockene Ausruf Kojiros zu hören. So fest er konnte ballte er die Hände zu Fäusten, um seine Beherrschung nicht zu verlieren. Nyasu brüllte auf. In einem plötzlichen Kraftschub befreite er sich aus Woingenaus fixierenden Griff und stürzte in einem Rasafftempo davon. Und Musashi … „AH! Verdammt, ist das KALT!“ Sie sprang augenblicklich unter der Flut hervor, auf der Suche nach Rettung. Doch ihre Peiniger waren unnachgiebig. Dummerweise handelte es sich bei den Wasserspendern um lebende Wesen. Starmie und Wummer kannten die Spielregeln, die ihr Trainer ihnen aufgetragen hatte. Das blaue Hummer-Pokémon blieb hartnäckig und zielte weiterhin mit seiner üppigen Wasserfontäne aus seiner wuchtigen Schere auf die Frau, die laut fluchend und schreiend umherrannte, als sei sie auf der Flucht vor einem Schwarm aufgebrachter Bibor. „Verdammt, HÖRT AUF! Hört endlich auf!“ Ihr aufbrausendes Fluchen wurde ignoriert. „Das reicht jetzt! Sonansu, Spiegelcape!“ Ihr treuer Partner reagierte sofort auf ihren Befehl und eilte an ihre Seite. Noch in der Bewegung begann der blaue Körper in allen Regenbogenfarben zu einem bunten Magiemantel aufzuleuchten. Doch genau in dem Moment, als es sich zwischen Frau und Flut aufbauen wollte, kam es auf der dünnen Eisschicht, die sich durch Amagargas Pulverschnee-Attacke über das nasse Holz gezogen hatte, ins Rutschen. Die Hydropumpe schlug auf den magischen Schutzschild ein, doch anstelle des Senders, wurde Kojiro zum Ziel der duplizierten Attacke. Durch die Wucht des Konters geriet das Pokémon ins Straucheln, verlor das Gleichgewicht und riss seine Trainerin schlussendlich und laut polternd mit sich zu Boden.  „Genug“, befand Carne, woraufhin die Wasserpokémon ihre Fontänen einstellten. Sie winkte ihrem Partner, woraufhin sich Guardevoir erst zu Kojiro, dann zu Musashi begab, um auch ihnen einen wärmenden Mantel zu überreichen. „Das war tapfer! Einen tosenden Applaus für unsere Helden!“ Auf Zuruf des Ansagers brach das Publikum im lauten Klatschen aus. „Alles okay, Musashi?“, erkundigte sich Kojiro nach dem Wohl seiner Partnerin und streckte ihr die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Der junge Mann bebte noch vor lauter Kälte. Triefend und tropfend gab er ein jämmerliches Bild ab, das lavendelfarbene Haar klebte ihm klatschnass im Gesicht. Dennoch bemühte er sich um ein Lächeln. Müde langte Musashi nach seiner Hand aus. Ein leises Fluchen stahl sich aus ihr hervor, als sie sich zurück auf die Beine quälte. „Vorne haben sie ein Lagerfeuer gemacht“, erklärte er, um der unglücklich dreinblickenden Freundin Mut zuzusprechen. „Lass uns hingehen und uns ein wenig aufwärmen, ja? Danach könnten wir das Buffet plündern, wenn du magst.“ Sie murmelte etwas Unverständliches. „Hm?“ „Ich hasse so was“, brummte sie, kaum hörbar, und zog den weichwarmen Wollmantel enger um ihren fröstelnden Körper. Zärtlich strich er ihr die nassen Strähnen ihres langen magentafarbenen Haars aus dem Gesicht. Von ihrer sonst so strengen Frisur war nichts mehr geblieben. Das Haar hatte seinen Schwung verloren und hing der Frau nur noch schwer, wie zementiert vom Eiswasser, an den Seiten und dem Rücken hinab. Er neigte sich ein Stück zu ihr herunter, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Als sie nur widerwillig den Blickkontakt erwiderte, lächelte er verständnisvoll. „Ich weiß.“ „Ähm, Leute?“, räusperte sich Nyasu neben ihnen. Jemand musste sich erbarmt haben, dem triefnassen Kater ein mit Pelipper-Motiven besticktes Handtuch zu geben, in welches er sich bis zu den Ohren eingewickelt hatte. „Ich glaube, die wollen noch was von euch, no nya.“ Fragend blickten die beiden Agenten zu dem Trio von Champion, Arenaleiter und Professor auf. „Herzlichen Glückwunsch“, sprach der Alte unter seinem viel zu großen Strohhut kratzig zu ihnen hoch. Mit einer kleinen Schachtel in den schrumpeligen Händen trat er auf sie zu. „Für das erfolgreiche Bestehen der Eiswasser-Herausforderung habt ihr euch ein Tapferkeitsabzeichen verdient.“ Vorsichtig hob er zwei kleine, blaukristallene Anstecker heraus, die in ihrer Form an das Eiskristall-Pokémon Frigometri erinnerten. Er reichte jedem der beiden eines davon mit einem anerkennenden Nicken, ein drittes legte er dem Katzen-Pokémon in die Pfoten. „Auch meinen Glückwunsch und Dank. Das war marvelous!“ Der Professor schenkte ihnen ein ehrliches Lächeln. Mit einer ausladenden Handbewegung deutete er in Richtung Fernsehteam, das etwas abseits des Publikums ihrer Arbeit nachging. „Als Nächstes dürft ihr bis zu drei weitere Personen bestimmen, die sich ebenfalls dieser Herausforderung stellen dürfen.“   Die drei Rockets sahen einander an. Ein breites Grinsen legte sich über ihre Gesichter.     Zur selben Zeit irgendwo in Kanto:   In einer der unzähligen Pokémon-Pensionen lief es einem gewissen Pflegepaar eiskalt den Rücken hinunter. An einem anderen Ort zog ein Snobilikat den Schwanz zwischen die Hinterläufe und verkroch sich kläglich unter dem immensen Schreibtisch seines Herrn.     * Japanische Version der Kampfansage, bestmöglich übersetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)