Last Desire 4.5 von Sky- (Another Desire) ================================================================================ Kapitel 1: Ein neues Zuhause ---------------------------- Die Fahrt in die Chester Avenue hatte irgendwie länger gedauert als zuerst angenommen und als sie endlich ankamen, donnerte es bereits und es sah verdächtig nach einem Gewitter aus. „Mann, Mann, Mann…“, murmelte der 26-jährige Fahrer und parkte den Wagen in der Einfahrt. „Irgendwie scheint das Wetter in Boston immer beschissen zu sein.“ Andrew Asylum sagte nichts, sondern starrte teilnahmslos aus dem Fenster und wirkte etwas trübsinnig. Ganz im Gegensatz zu O alias Oliver O’Brien, der wie immer bester Laune war und sich nicht einmal vom schlechten Wetter die Stimmung verhageln lassen wollte. „Ich hoffe, dir gefällt dein neues Zuhause.“ Das Haus, in welchem Oliver lebte, war ein ziemlich großes und sehr modern und besaß zudem ein großes Gelände. Es schien erst vor kurzem gebaut worden zu sein und wirkte sehr einladend. Allerdings gab es auch eine Sicherheitsanlage, die sofort ins Auge fiel. Grund dafür war, weil es in der Gegend hin und wieder mal zu Einbrüchen kam, wie Oliver erzählte. Das wird also mein neues Zuhause sein, dachte Andrew als er das sah. Irgendwie erschien ihm dieser Gedanke noch merkwürdig und fremd, denn es würde eine große Veränderung in seinem Leben bedeuten, nachdem er zehn Jahre lang im Institut verbracht hatte. Auch wenn er es nicht offen zugeben wollte, er hatte irgendwie Angst davor und so wirklich hundertprozentig freuen konnte er sich auch nicht darauf. Natürlich wusste er, dass es Gründe hatte, wieso er hier einziehen würde. Da er den elektrischen Gedankenschaltkreis hatte und sein Leben darauf angewiesen war, musste dieser gewartet und auch wenn nötig repariert werden, sonst würde es lebensgefährlich für ihn werden. Und nach Dr. Brown war Oliver der Einzige, der dazu fähig war, weil dieser das nötige technische Verständnis besaß und auch geschickt genug war. Da fiel die Entscheidung nun mal ganz eindeutig aus. Oliver war auch bekannt als „The Operator“, der wohl gefährlichste Cyberterrorist der Welt und er arbeitete beim weltweit größten Technologiekonzern „Vention“ als Entwickler. Er war unschlagbar in Sachen Computer und Technik, aber er galt auch als arbeitsfaul, sehr impulsiv, unberechenbar, eigenwillig und er machte nur das, wozu er gerade Lust hatte. Deshalb war er auch nicht gerade zuverlässig und hatte den Ruf weg, dass er rein gar nichts wirklich ernst nahm. Weder seine Arbeit, noch das Leben überhaupt. Andrew war nicht gerade begeistert gewesen, als er hörte, wie Oliver so drauf war, aber L hatte ihm versichert, dass er in besten Händen war, auch wenn Oliver etwas schwierig war. Nun ja, schwierig? Oliver hatte in Wammys House immer die schlechtesten Noten gehabt. Oft war es sogar vorgekommen, dass er gar nicht erst die Tests bearbeitet hatte, sondern einfach etwas anderes machte. Er machte nur dann wirklich mit, wenn ihn das Thema interessierte und wenn er für ein bestimmtes Thema Feuer gefangen hatte, dann war er unschlagbar und dann hängte er sich so sehr hinein, dass es schon fast an Besessenheit grenzte. Dann konnte er kaum noch an etwas anderes denken. Deshalb stand das O nicht nur für „Operator“, sondern auch für „Obsession“. Für Andrew stand fest, dass er sicherlich noch so seine Schwierigkeiten mit Oliver haben würde, wenn sie wirklich den ganzen Tag aufeinander hocken würden. Immerhin waren sie recht verschiedene Menschen und hatten auch unterschiedliche Ansichten. Oliver war stets gut gelaunt und schon fast sorglos, was schnell den Eindruck vermittelte, dass er sich überhaupt keine Gedanken um die Sorgen der Welt machte. Und Andrew war vollkommen anders. Er nahm Probleme immer viel zu ernst und nahm sie sich auch oft viel zu sehr zu Herzen. Oft hatte er das Gefühl, als wäre er immer schuld an allem und genau das zerfraß ihn schon seit Jahren. Dieses Denken hatte ihn damals in den Selbstmord getrieben und ihn in schwere Depressionen gestürzt. Selbst jetzt, nach über zehn Jahren hatte sich an diesem Denken nichts geändert und das belastete ihn sehr. Und oft wurde er auch von Zweifeln und Ängsten geplagt. Von Selbstzweifeln und der Angst davor, andere zu enttäuschen. Oliver hingegen kümmerte sich überhaupt nicht um die Meinung anderer und machte nur sein eigenes Ding, ohne Rücksicht auf Verluste. Und selbst wenn er dann den Karren in den Dreck gefahren hatte, zuckte er einfach lässig mit den Schultern und sagte bloß „C’est la vie!“ Diese Haltung konnte jemand wie Andrew, der die Probleme der ganzen Welt als seine eigene Schuld ansah, einfach nicht verstehen und er fragte sich schon, was diesem so sorglosen Menschen wirklich durch den Kopf ging und ob er tatsächlich so war, oder ob das nicht vielleicht nur eine Fassade war. So wie sein Lächeln, das er immer aufsetzte, wenn er von seiner Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit übermannt wurde. Nachdem Oliver den Motor abgestellt hatte, stieg er aus und holte Andrews Taschen aus dem Kofferraum. „Ich warne dich aber schon mal vor, Andy. Da drin ist es ein klein wenig chaotisch.“ „Schon gut.“ Oliver reichte knapp an die 1,82m und war damit knapp drei bis vier Zentimeter größer als Andrew. Sein schwarzes Haar war fast schulterlang und er hatte es sich der Einfachheit halber zu einem Zopf gebunden, weil er nach eigener Aussage keine Lust hatte, sich ständig zu frisieren. Auch was seine Klamotten betraf, so war er nicht wählerisch. Meist trug er einen einfachen Pullover, khakifarbene Jeans und Stiefel. Er war weder sonderlich muskulös, noch wirklich schmächtig. Sein ganzes Wesen strahlte etwas Sorgloses und Gelassenes aus, als könne ihn wirklich rein gar nichts erschüttern und tatsächlich hatte noch niemals jemand ihn wirklich wütend oder traurig erlebt. Nun gut, im Waisenhaus war er sehr schwer depressiv gewesen, da er wegen einem angeborenen Herzfehler nie mit den anderen Kindern draußen spielen durfte, weil er sonst Gefahr gelaufen wäre, einen Herzanfall zu erleiden oder schlimmstenfalls sogar zu sterben. Denn zwei Herzinfarkte hatte er schon gehabt. Aber als er dann 15 Jahre alt war und sich ein Herzspender für ihn fand, hatte er sich komplett geändert und von Depression war nicht mehr die geringste Spur zu sehen. Es schien so, als hätte man mit einem neuen Herzen auch sein Hirn ausgetauscht… Diese ganze Charakterveränderung hatte Andrew damals nur am Rande mitbekommen, da er den Kontakt zu den anderen Kindern eher gemieden hatte. Aber dennoch war es ihm so, als wäre das gar nicht Oliver, sondern eine Art Zwilling. Dabei war er damals immer so unmotiviert im Unterricht gewesen und hatte fast ständig geschwänzt, weshalb er der schlechteste Schüler von allen war. Und wirklich Interesse, eines Tages L’s Nachfolge anzutreten, hatte er auch nie gehabt. Wahrscheinlich war auch das der Grund gewesen, wieso er das ganze Lehrprogramm boykottiert und stattdessen seinen eigenen Dickkopf durchgesetzt hatte. Fragte sich, wie denn das Zusammenleben mit ihm sein würde, denn Andrew erinnerte sich nicht gut genug daran, ob Oliver ein geselliger oder ein einzelgängerischer Mensch war. Aber da er sich schon so angeboten hatte, ihn aufzunehmen, war ja eigentlich anzunehmen, dass er schon recht aufgeschlossen und offen sein musste. Nachdenklich und immer noch verunsichert folgte Andrew ihm und gleich schon, als sie das Haus betraten, stellte sich heraus, dass Oliver gewaltig untertrieben hatte. Es war nicht bloß ein „bisschen chaotisch“, es sah aus, als befände er sich im Anfangsstadium des Messie-Syndroms. Überall lagen alte Zeitschriften und irgendwelcher Krimskrams herum. In den Ecken stapelten sich diverse Kartons und in der Küche sah es noch schlimmer aus. Auf der Spüle stapelte sich das schmutzige Geschirr und überall lag irgendetwas herum. Das Wohnzimmer, wo ein Computer und mehrere Laptops an diversen Kabeln angeschlossen waren, die über den ganzen Boden gingen und damit ziemliche Stolperfallen waren, sah auch aus, als wäre dort kürzlich eine Party gefeiert worden. Überall lagen leere Flaschen und Pizzakartons herum und auch einige leere Kartons vom Chinaimbiss. Andrew verschlug es die Sprache, als er das Chaos sah und war erst mal entsetzt. Wie um alles in der Welt konnte man nur so ein Durcheinander anrichten? Oliver sah den entsetzten Gesichtsausdruck, schien das Ganze aber selbst viel lockerer zu sehen. „Ich sagte doch, es ist ein wenig unordentlich.“ „Wie um alles in der Welt hast du das geschafft? Räumst du nie auf?“ „Ich konnte noch nie wirklich Ordnung halten. Ist leider mein großer Schwachpunkt, neben meiner kleinen Aufmerksamkeitsschwäche für uninteressante Dinge. Ähm, du wohnst übrigens oben, da hab ich noch ein paar Zimmer frei. Ich hab auch schon alles einrichten lassen. Regeln gibt es eigentlich kaum welche im Haus. Ich werde nachher noch den GSK an meinem Laptop einrichten und neu kalibrieren. Somit kann ich in Zukunft die Wartungen von meinem PC aus durchführen und bekomme dann über mein Handy jederzeit Meldungen, wenn irgendetwas mit dem Chip sein sollte. Wenn wir diese Prozedur hinter uns haben, kannst du jederzeit problemlos rausgehen und wir haben dann diesen Teil wenigstens schon gleich abgehakt. Tut dir sicher auch mal ganz gut nach der ganzen Sache, wenn du auch mal Ablenkung hast. Ach ja und noch etwas: Finger weg von meinen Computern und an mein Baby darf auch kein Kratzer ran.“ „Dein… Baby?“ fragte Andrew und runzelte verwirrt die Stirn. Oliver lachte und erklärte „Ich hab da ein Fahrzeug, an dem ich zurzeit im Hinterhof herumschraube. Ist gerade mein absolutes Hobby, neben meinen ganzen Animes und Mangas. Ach ja, bevor ich es vergesse: wehe, von meinen Figuren fehlt auch eine. Ich hab alle im Kopf. Angefangen von Arcueid Brunestud bis hin zu Zero. Wenn eine fehlt, werde ich es merken!“ Als ob ich mit irgendwelchen Animefiguren etwas anfangen könnte. Wichtig ist erst mal, dass jemand mal diesen Saustall aufräumt. L hat nicht übertrieben, als er sagte, dass Oliver eine Klasse für sich ist. Der Kerl ist der reinste Chaot. Das kann ja noch heiter werden. Sie gingen die Treppen hoch ins obere Stockwerk, wo es auf dem Flur ähnlich chaotisch war, da überall irgendwelche Kisten herumstanden. Oliver führte ihn in ein Zimmer, welches schon fast riesig war. Es war das einzige, welches komplett aufgeräumt war und es hatte wirklich alles, was man brauchte. Kleiderschränke, einen Schreibtisch mit Computer, einen 40-Zoll Fernseher und ein Doppelbett. Es gab sogar ein Klavier, da Oliver wohl noch in Erinnerung hatte, dass Andrew früher gerne gespielt hatte. Die Fenster waren riesig und neugierig betrachtete Andrew die Aussicht. Der Blick fiel auf den Garten und dieser war paradoxerweise ordentlich gepflegt und es waren sogar Figuren in die Sträucher geschnitten worden. Irgendwie wirkte das Haus von außen viel ordentlicher, als es drin eigentlich war. „Fühl dich ganz wie zuhause. Wenn du Fragen hast, kannst du mich jederzeit gerne stören. Entweder bin ich im Wohnzimmer oder draußen am arbeiten, oder du findest mich irgendwo in meinen Hobbyräumen. Du kannst ja schon mal deine Sachen auspacken und dich noch ein wenig hinlegen. Ich geh die Küche aufräumen und dann koch ich erst mal was.“ Kochen? Ausgerechnet so ein Chaot wie Oliver, der sich nach dem Müll im Wohnzimmer zu urteilen in der letzten Zeit nur von Fast Food ernährt hatte, wollte kochen? Oh Gott, das konnte ja noch heiter werden… „Du kochst?“ „Klar. Normalerweise hab ich eigentlich keine große Lust dazu, wenn ich alleine bin. Deshalb bestell ich mir dann lieber etwas beim Lieferservice, aber jetzt, wo du von nun an hier wohnst, kann ich ja mal wieder den Hobbykoch rauslassen.“ „Und wie lange ernährst du dich nur von Fast Food?“ „Das wechselt immer. Eine Zeit lang hab ich immer Fertiggerichte oder Pasta gehabt, aber in den letzten drei Jahren hab ich mir immer Pizza und gebratene Nudeln bestellt. Ich hatte eben keine Lust zum Kochen und da ich sowieso viel zu tun hatte, kam mir der Lieferservice auch immer recht.“ „Aha… Ähm, kann ich dir irgendwie helfen?“ „Nee, du hast für heute noch Schonfrist. Ich ruf dich einfach, wenn ich fertig bin. Es kann aber noch etwas dauern. Ein klein wenig bin ich schon aus der Übung und ich will dich schon ganz gerne überraschen.“ Warum nur habe ich so ein verdammt ungutes Gefühl dabei, wenn er mir so breit grinsend sagt, dass er mich überraschen will und ich dabei gleichzeitig weiß, dass er ein Chaot ist? Hoffentlich ende ich nicht noch mit einer Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus. Gut gelaunt wie sonst auch immer verabschiedete sich Oliver vorerst von seinem neuen Mitbewohner, um sich an die Arbeit zu machen. Andrew musste zugeben, dass er wirklich ziemlich müde war, immerhin hatte er die letzten Nächte kein Auge zugekriegt und hatte immer noch mit dem Stress und der Aufregung der letzten Tage zu kämpfen. Kein Wunder, dass sein Körper jetzt so reagierte. Und wenn es wirklich nichts zu tun gab, dann konnte er sich ja noch ein wenig hinlegen und sich ausruhen. Nachdem er seine Jacke und seinen Schal abgelegt hatte, warf er sich aufs Bett und hatte das Gefühl, als wäre das alles hier ein ziemlich seltsamer Traum und als würde das hier gar nicht passieren. Das Bett war so viel bequemer als im Institut und zumindest hatte sein Zimmer Fenster und war hell und gemütlich eingerichtet. Zugegeben, gegen das Chaos im Haus musste dringend etwas unternommen werden, aber dieses Zimmer hier war wirklich toll. Aber war es wirklich richtig, hier zu wohnen und sich von Oliver aushalten zu lassen? Irgendwie kam er sich wie ein absoluter Schmarotzer vor, dass er einfach so hier wohnen durfte und dabei sogar noch die Untersuchungen mit drin waren. Eigentlich hätte er ja von einem Team von Wissenschaftlern betreut werden und wahrscheinlich in einer ähnlichen Einrichtung wie Dr. Browns Institut leben müssen, wenn Oliver nicht etwas gedreht hätte. Da er Anteile an Vention hatte und sich prima mit dem Konzerninhaber verstand, hatte er es organisieren können, dass er sich alleine um die Wartung des elektrischen Gedankenschaltkreises kümmerte und die Ergebnisse der Untersuchungen regelmäßig an Vention schickte, damit diese dort ausgewertet werden konnten. Das Letzte, was Andrew wollte war, schon wieder irgendwo als Versuchskaninchen missbraucht und auch noch eingesperrt zu werden. Und Oliver hatte kurzerhand in seinem Sinne gehandelt und alles arrangiert, dass er der Einzige war, der sich um die Wartung und Auswertung kümmerte. Irgendwie sollte er sich ja freuen, dass er endlich eine neue Bleibe hatte und dass er wesentlich besser leben konnte als vorher. Aber so ganz konnte er das nicht, denn es fiel ihm schwer, sich an diese neue Situation zu gewöhnen. Irgendwie war ihm nicht ganz wohl dabei, nie wieder ins Institut zurückzukehren, was aber auch daran lag, dass er jahrelang von Dr. Brown manipuliert worden war. Rumiko hatte bei ihm Symptome des Stockholm-Syndroms festgestellt, deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass es ihm so widerstrebte, nie wieder zu Dr. Brown zurückzukehren, obwohl dieser ihn regelmäßig verprügelt, erniedrigt und vergewaltigt hatte. Keiner hatte ihn verrückt oder dumm deswegen genannt, nein sie hatten alle Verständnis und konnten verstehen, wieso es ihm so unglaublich schwer fiel, sich von all dem zu lösen. Andrew sah auf sein Handy und bemerkte erst jetzt, dass Beyond ihm eine SMS geschickt hatte. „Wünsch dir alles Gute. Melde dich demnächst mal, okay?“ Andrew schickte ihm eine Antwort, dass er irgendwann mal anrufen würde, er allerdings noch etwas Zeit brauchte. Nachdem er erfahren hatte, was Beyond in den letzten zehn Jahren durchgemacht hatte und nun mit L glücklich zusammen war, hatte Andrew diesen Schlag erst mal verkraften müssen. Immerhin war er damals in L verliebt gewesen und er brauchte erst einmal Abstand zu allem, um sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Ihm war klar, dass er nie in der Lage sein würde, ein normales freundschaftliches Verhältnis zu Beyond aufzubauen, wenn er nicht erst einmal Abstand gewann und versuchte, seine Gefühle in Ordnung zu bringen. Sonst würde es doch sowieso nur wieder darauf hinauslaufen, dass sie beide mit einem gebrochenen Herzen endeten. Damit war keiner von ihnen beiden glücklich und so hatte Beyond akzeptiert, dass Andrew vorerst den Kontakt zu ihm abbrechen wollte, bis er in der Lage war, ihm auf rein freundschaftlicher Ebene zu begegnen. Auch deshalb wohnte er jetzt bei Oliver. Andrew streckte sich müde und ehe er sich versah, fielen ihm die Augen zu. Nach dem Stress der letzten Tage und den schlaflosen Nächten spürte er erst jetzt, dass er völlig am Ende seiner Kräfte war. Doch bevor er einschlief, musste er wieder an Frederica denken. Seine beste Freundin, die er zurückgelassen hatte. Ob es ihr wohl gut ging? Dumme Frage, man experimentierte tagtäglich mit ihr und sie war an lebenserhaltenden Maschinen angeschlossen, weil sie sonst sterben würde. Wie sollte es ihr denn da bitteschön gut gehen? Aber sie hatte doch selbst so gewollt, dass er ohne sie ging, weil sie noch etwas Wichtiges zu tun hatte, was immer es auch sei… Und seit er fort war, hatte er auch nicht mehr ihre Stimme gehört und sie war ebenso wie Dr. Brown spurlos verschwunden. Deshalb konnte er nicht einmal genau sagen, wo sie war und wie es ihr ging und ob sie ihr Ziel schon erreicht hatte. Doch lange konnte er diesem Gedanken nicht nachgehen, da er in einen tiefen und traumlosen Schlaf fiel. Das Erste, was er wieder wahrnahm, war eine sanfte Berührung an seiner Schulter und wie jemand seinen Namen sagte. Langsam wachte er auf und rieb sich müde die Augen. Es war Oliver. „Ich hab dich gerufen, aber als du nicht gekommen bist, dachte ich mir schon, dass du eingeschlafen bist.“ „Wie lange hab ich denn…“ „Eine ganze Weile. Ich musste ja erst einmal das Chaos in der Küche beseitigen. Na komm, sonst wird alles noch kalt.“ Oliver ging mit einem zufriedenen Lächeln voran und der immer noch verschlafene Andrew folgte ihm. Als sie in die Küche kamen, bemerkte Andrew irgendwie nichts von einer Aufräumaktion. Es sah eigentlich genauso chaotisch aus wie vorher schon und sowohl im Waschbecken, als auch in der Spüle stapelten sich Pfannen und Töpfe und sonstiges. Offenbar war das doch nicht gelogen und Oliver war tatsächlich ein totaler Chaot. Zögernd setzte sich Andrew an den Tisch, während sein Gastgeber fröhlich summend die Teller vorbereitete. Und was er da servierte, ließ den schüchternen und depressiven 25-jährigen komplett die Sprache verschlagen und er konnte nicht glauben, was er da sah. Das war nicht bloß einfache Hausküche, die Oliver da zubereitet hatte, sondern mindestens 3-Sterne Küche. Und allein wie es angerichtet war, sah es aus, als wäre es einem Bild entsprungen. „Das… das hast wirklich du gekocht?“ „Klaro. Ich hab mal für ein Jahr in einem Edelrestaurant gejobbt, als ich meine Leidenschaft für die gehobene Küche entdeckt habe. Dabei habe ich auch eine Zeit lang unter Gordon Ramsay gearbeitet.“ „Gordon Ramsay? Etwa DER Gordon Ramsay?“ Oliver nickte und setzte sich schließlich selbst. Dabei erzählte er ganz locker und nebenbei her, wie er eine Kochschule besucht hatte und dann irgendwann bei Ramsay gelandet war. Andrew hielt es zunächst für einen echt guten Scherz, denn er hätte ja mit einigem gerechnet, aber nicht damit, dass ausgerechnet Oliver bei ihm gearbeitet hatte. Aber der Gute hatte sogar ein Foto als Andenken, was seine Geschichte eindeutig bewies. „Die Zeit war ziemlich anstrengend, aber ich hatte echt Spaß dabei. Der gute Gordon ist auch eigentlich ein absolut toller Kerl, nett und er hört einem zu, wenn man Sorgen oder Probleme hat. Aber wenn er erst mal hinterm Herd steht, wird er zur rasenden Wildsau und ich hab noch nie einen Koch ein so dermaßen buntes Vokabular benutzen hören. Als er gesehen hat, wie chaotisch ich bin, ist er vollkommen ausgerastet und hat wortwörtlich gesagt „Was für eine verfickte Scheiße soll das hier sein? Willst du aus meiner Küche einen verdammten Saustall machen, du verdammter Scheißer? Verfickt noch eins, räum endlich auf oder ich reiß dir eigenhändig den Arsch auf!“ Nun, er war in solchen Situationen ein absoluter Psychopath, aber wie gesagt: im Alltag ist er ein echt toller Kerl und ich bewundere ihn auch sehr.“ „Aber wenn du ein Jahr lang bei ihm gearbeitet hast und so gut kochen kannst, wieso machst du da nichts draus? Warum vergeudest du dein Talent, wenn du dich nur von Junk Food ernährst?“ Irgendwie konnte Andrew nicht so wirklich verstehen, was da überhaupt in Olivers Kopf vor sich ging. Warum lernte er überhaupt so etwas, wenn er es sowieso nicht im Alltag anwendete? „Ich selber bin vollkommen anspruchslos in der Hinsicht. Und außerdem ist es langweilig, nur für mich selbst zu kochen und der Grund, wieso ich nicht mehr daraus mache ist einfach der, weil das Kochen bloß ein Hobby ist. Ich habe sehr viele Hobbys gehabt, aber meine wahre Leidenschaft ist meine Arbeit bei Vention und meine Tätigkeit als „The Operator“. Wenn ich Lust auf etwas habe, dann mache ich es auch und wenn ich gerade keine Lust habe, dann lasse ich es. Just Do It ist mein Motto. Dasselbe geht auch für dich: wenn du etwas möchtest, dann tu es einfach.“ Oliver stellt sich immer alles so einfach vor. Er wirkt wie jemand, dem einfach alles zufliegt und der sich niemals anstrengen muss im Leben. Der wurde sicher niemals verletzt oder enttäuscht und sieht immer alles so locker und unkompliziert. Gott, ist der naiv. Dabei ist das Leben hart genug und ich kann es einfach nicht ab, wenn er so denkt… ich hasse das… Doch Andrew schwieg und musste zugeben, dass Oliver ein verdammt guter Koch war und sein Handwerk wirklich verstand. Was er da zubereitet hatte, könnte wirklich aus einer Sterneküche stammen. Nachdem sie fertig waren, streckte sich der Hacker und ließ dabei seine Fingerknöchel leise knacken. „So, da wir gestärkt sind, können wir gleich mit der Untersuchung beginnen.“ Kapitel 2: Computerprobleme und Wassermelonen --------------------------------------------- Sie gingen ins Wohnzimmer und setzten sich auf die Couch, nachdem sie den ganzen Müll beiseite geräumt hatten. Sogleich schnappte sich Oliver seinen Laptop und begann auf der Tastatur zu tippen, während er eine Melodie vor sich hinsummte, die er womöglich im Radio aufgeschnappt hatte. Andrew, der eigentlich nur untätig herumsaß und ihm zuschaute, sah ihn unsicher an und fragte „Muss ich irgendetwas tun?“ „Moment…“ Nachdem der gebürtige Ire fertig war, legte er den Laptop kurz zur Seite und holte ein kleines Taschengerät aus, welches er Andrew an den Hinterkopf drückte. „Damit kann ich sehen, ob das Signal steht aber so wie es aussieht, scheint alles zu klappen. Normalerweise müsste man dich verkabeln, aber auf diesen Riesenaufwand habe ich überhaupt keine Lust und du sicherlich genauso wenig. Deshalb mache ich alles über kabellose Verbindung, allerdings funktioniert das nur über eine recht kurze Distanz, weil das sonst zu ungenau ist und das Signal nicht richtig übertragen wird. Das könnte sonst zu Fehlern führen. Aber ich hab glücklicherweise schon alles vorbereitet und installiert, deshalb sollte es recht schnell gehen.“ Damit steckte er das Gerät wieder ein und setzte sich wieder an den Laptop. Er begann wieder zu tippen, dann wartete er. Er wartete und selbst nach einigen Augenblicken tat sich nichts. Also begann er wieder zu tippen und seufzte schließlich ein wenig entnervt. „Maaaaa… das gibt’s ja wohl nicht. Immer wenn es wichtig ist, streikt das blöde Ding. Der hat sich einfach aufgehängt und macht, was er will. Ist ja noch schlimmer als meine Ex.“ Oliver versuchte noch die ganze Zeit, etwas zu retten, aber so wie es sich anhörte, funktionierte da wohl nichts. Also verschob er vorerst die Untersuchung, schaltete den Laptop aus und stand auf. „Da kann man nichts machen. Der Laptop hat sich gerade verabschiedet. Ich muss mal gucken, wieso er schon wieder so herumzickt. Sorry Andy, aber wir müssen das erst mal verschieben. Aber da sowieso alles bei dir funktioniert, ist das ja auch kein Problem.“ „Und wie lange dauert es, bis der Laptop wieder funktioniert?“ „Null Ahnung. Erst mal muss ich schauen, wieso er sich wieder so querstellt. Aber bevor ich da wieder rangehe und mich weiter so ärgere, muss ich mich erst einmal abreagieren, sonst kann ich mich nicht konzentrieren. Zum Glück kenne ich die perfekte Lösung für solche Probleme: eine Wassermelone!“ Wassermelone? Wie zum Teufel sollte das denn gegen Frust helfen? Andrew sah, wie Oliver in die Küche verschwand und herumwühlte. Wenig später kam er mit einer Wassermelone unterm Arm zurück und sagte „Bin kurz auf dem Dach.“ „Und… was willst du dort?“ „Na was wohl? Die Wassermelone vom Dach schmeißen.“ Irgendwie wurde dieser Oliver ihm immer rätselhafter. Nicht nur, dass er eine sehr fragwürdige Lebensphilosophie hatte, jetzt wollte er eine Wassermelone vom Dach werfen, weil er genervt war, dass sein Laptop nicht funktionierte? Wo lag darin denn bitteschön der Sinn? Will er mich jetzt irgendwie verschaukeln, oder meint er das ernst? „Willst du auch?“ fragte der Hacker schließlich und wandte sich an Andrew. Dieser verstand erst mal nicht so wirklich, was sein Gastgeber damit meinte und so fragte er nach. Der erklärte „Na ne Wassermelone! Ich hab noch eine in Reserve. Vielleicht hast du ja auch die Schnauze voll und willst dich abreagieren. Und da ist eine Wassermelone wirklich hilfreich.“ Doch der 25-jährige schüttelte entschieden den Kopf und erklärte „Probleme werden doch nicht davon gelöst, wenn man Obst vom Dach wirft!“ „Das schon, aber es macht Spaß und ist alle Male besser, als die ganze Zeit nur Trübsal zu blasen. Das Leben ist einfach zu kurz, um immer nur ein langes Gesicht zu machen. Ob du es glaubst oder nicht, aber wenn du dich gar nicht erst von deinem Frust und Kummer beherrschen lässt, lebst du glücklicher und länger und vor allem schläft man besser. Und eine Wassermelone vom Dach zu schmeißen, hilft manchmal mehr, als zig Stunden beim Seelenklempner festzusitzen und ihn mit deinen Problemen zu belästigen. Also, mein Angebot mit der Melone steht.“ Der hat sie doch nicht mehr alle. So langsam geht er mir mit seinen komischen Melonen echt auf den Zeiger. „Himmel nein! Ich werde ganz sicher keine Melonen vom Dach werfen. Was soll das denn bringen und wie kommst du auf die bescheuerte Idee, dass es mir dadurch besser gehen wird? Und überhaupt ist es doch totale Verschwendung, einfach so Obst vom Dach zu schmeißen.“ „Ach jetzt mach dir mal nicht ins Höschen. Wenn du gleich bei so etwas an den Hunger in der dritten Welt denkst, musst du echt mal deine Denkweise überdenken. Es ist echt ungesund, dir für alles Leid der Welt die Schuld zu geben oder dich als großer Retter verantwortlich zu sehen. Dann ist es ja kein Wunder, dass du dich umbringen willst. Klingt arschig von mir, aber scheiß doch drauf, welches Leid sich in der Welt zuträgt. Du bist dir in erster Linie selber wichtig und du musst schauen, was dir gut tut. Denn wie willst du denn anderen Menschen helfen, wenn du dir nicht mal selbst helfen kannst? Genauso geht es auch mit der Liebe: lerne zuerst, dich selbst zu lieben, dann kannst du auch jemand anderen lieben. Und jetzt entschuldige mich, aber ich muss jetzt dringend diese Wassermelone vom Dach schmeißen, um mich besser zu fühlen.“ Und damit ging Oliver einfach und kopfschüttelnd folgte Andrew ihm, wobei er sich wirklich ernsthaft fragte, welche Schraube bei dem Kerl wohl locker saß. Entweder war er wirklich so bescheuert wie er tat, oder er hatte ein ernsthaftes psychisches Problem, das mal dringend in der geschlossenen Psychiatrie behandelt werden musste. Was hat sich L bloß dabei gedacht, als er beschlossen hat, mich bei diesem Verrückten einzuquartieren? Der hat sie nicht mehr alle! Wie zum Teufel kommt man auf die bescheuerte Idee, Obst vom Dach zu werfen? Das kann ja noch heiter werden. Nachdem sie auf dem Dach waren, ging Oliver zum Geländer hin und schaute hinunter. Da das Haus gut zwei Stockwerke hoch war und locker mehrere Familien hier wohnen konnten, waren es schon locker 15 Meter nach unten und als Andrew das Geländer ergriff, da musste er sich wieder an seinen tödlichen Sturz erinnern. Wenn er ehrlich war, konnte er sich gar nicht mehr an den Aufprall erinnern, oder was danach passiert war. Seine Erinnerungen fehlten komplett, sodass er nur noch wusste, wie es sich angefühlt hatte, als er hinuntergestürzt war und wie Beyond noch versucht hatte, ihn festzuhalten. Irgendwie wurde ihm ganz mulmig zumute und dann begann es auch noch zu regnen. Oliver stellte sich an den Rand des Geländers und hob die ca. drei Kilo schwere Wassermelone hoch über seinen Kopf. „Und ab damit!“ Damit warf er sie herunter und kurz darauf war das dumpfe Geräusch zu hören, wie sie unten auf dem Boden zerschellte. Oliver jubelte, als hätte er ein Tor gelandet und kam breit grinsend und gut gelaunt zurück. Er sah gleich viel zufriedener aus als vorher und lachte sogar. „Mensch, es gibt nichts Besseres als die gute alte Melonentherapie. Na komm Andy, gehen wir lieber rein, bevor wir noch nass werden.“ Tatsächlich wurde der Regen binnen kürzester Zeit immer heftiger und so eilten sie schnell zurück und verschlossen die Fenster. Es war kaum zu glauben, aber von Ärger oder Frust war bei Oliver rein gar nichts mehr zu sehen. Er ging mit bester Laune ins Wohnzimmer zurück und begann nun, wieder an seinem Laptop zu arbeiten. „Das könnte noch eine ganze Weile dauern bei mir. Wenn ich fertig bin, sag ich dir Bescheid, ja? Falls dir Langeweile aufkommen sollte, kannst du dich gerne im Haus umsehen. Ich hab da eine ganze Bücher-, DVD-, Videospiel- und Musiksammlung, an der du dich jederzeit bedienen kannst.“ „Und ich kann wirklich nicht helfen?“ „Ich sagte doch: heute hast du Schonfrist. Du hast kaum geschlafen, bist blass wie der Tod und nach dem Theater brauchst du erst mal Ruhe.“ Doch trotzdem war Andrew unruhig und hätte sich gerne nützlich gemacht. Zugegeben, er fühlte sich heute nicht besonders gut und so ging es ihm auch schon die letzten Tage, aber er wollte nicht herumjammern oder sich die ganze Zeit nur auf die faule Haut legen. Es fiel ihm schwer zu realisieren, dass er nicht mehr im Institut lebte und sein Leben nie wieder so sein würde wie zuvor. Das Schlimmste aber war, dass er einfach nicht schlau aus Oliver und seinem Verhalten wurde. Warum nur engagierte sich dieser so für ihn, wo er doch nur das machte, wonach ihm gerade lustig war und er es nicht mochte, sich für irgendwelche Sachen fest zu verpflichten? Immerhin hatte er ja diesen gewissen Ruf weg und wirklich durchschauen konnte man ihn auch nicht. Was also war ihm durch den Kopf gegangen, als er sich entgegen seinem Charakter dazu verpflichtet hatte, Andrew aufzunehmen und sich um ihn zu kümmern? Das sah ihm einfach nicht ähnlich, auch wenn er kein schlechter Kerl war. Nein, Oliver schien einer von der Sorte Mensch zu sein, die alles ganz locker sah und es wahrscheinlich nicht mal sonderlich ernst nehmen würde, wenn man ihm einen Schlag ins Gesicht verpasste. Er würde dann wahrscheinlich bloß sagen „So, damit wäre das ja wohl geklärt, oder?“ Wie sollte man denn einen solchen Menschen verstehen? Vor allem quälte Andrew die Frage, was Oliver über ihn dachte und was er mit ihm so alles vorhatte. Nicht, dass er ihm irgendetwas in der Art zutrauen würde, was Dr. Brown mit ihm gemacht hatte, aber er ahnte, dass Oliver irgendwelche Pläne mit ihm hatte. Und genau das bereitete ihm Sorgen. Außerdem wollte er auch nicht seinen Gastgeber verärgern mit seinem Verhalten und ihm schon zeigen, dass er dankbar war, hier wohnen zu dürfen. Was sollte er also tun? Während Andrew darüber nachdachte, ging er durch das weitläufige Haus und sah sich um. Überall standen vollgepackte Kartons herum und es war ihm ein Rätsel, was da alles drin war und wieso Oliver so ein Chaot sein musste. Aus reiner Neugier öffnete er einen Karton und sah sogleich, dass da Fotos und irgendwelche Andenken drin waren. Es waren aber ziemlich merkwürdige Dinge, nämlich Ketten aus Tierzähnen, irgendwelche Pulver und Federn und dann auch noch Tierknochen. Amulette waren auch dabei und ein Foto zeigte eine Gruppe Afrikaner, die um ein Feuer tanzte, während eine halbnackte Frau einen Hahn schlachtete. Und auf der Rückseite des Fotos war ein Hahnenfuß festgeklebt. Andrew runzelte verwundert die Stirn und fand noch Zeichnungen von irgendwelchen merkwürdigen Symbolen und Kreisen, die aussahen, als wären sie irgendetwas Okkultes. Und eine Stoffpuppe mit Nadeln bestätigte seinen Verdacht schließlich: das waren alles Sachen, die man für Voodoozauber brauchte. Hatte Oliver am Tag der Abreise nicht erzählt, dass er bei afrikanischen Ureinwohnern gelebt hatte und dort sogar Schamane und später auch Voodoo-Priester geworden war? Dann waren diese ganzen Kisten also voller Erinnerungsstücke, die er von seinen früheren Hobbys aufbewahrt hatte? Wie viele waren das denn bitteschön? Das ganze Haus war ja voll davon! Vor allem fragte sich Andrew, wie sich Oliver all das nur leisten konnte, wenn er nur ab und zu bei Vention vorbeischaute, um dort zu arbeiten. Auch in den anderen Kisten befanden sich Andenken seiner Afrikareise. Geschnitzte Masken, Ketten mit Tierzähnen und Edelsteinen, Schmuck und noch andere Sachen. Auch Fotos und Tierfiguren waren dabei. Schließlich verschloss Andrew die Kiste wieder und ging weiter. Er sah sich in den einzelnen Räumen um, die offenbar auch so etwas wie Hobbyräume waren. Es gab ein Zimmer extra für Filme und Diashows, dann gab es einen riesigen Raum mit Schallplatten, CDs, Filmen und Büchern und dann ein Raum, der ihn nicht schlecht staunen ließ, als er ein riesiges Arsenal an Waffen sah. Angefangen von Schwertern, Wurfsternen und Äxten bis hin zu Pistolen, Sturmgewehren, Messern und Elektroschockern. Das ganze Haus war eine Mischung aus Lagerräumen, Museen, Bibliotheken und Wohnräumen. Im Keller des Hauses hatte Oliver einen Pool und eine Sauna. Andrew war sprachlos und sah sich immer weiter um. Schließlich ging er in die „Bibliothek“ und sah sich die Bücherregale durch. Und wie sich herausstellte, gab es wirklich allerhand zu lesen. Nicht nur moderne, sondern auch klassische Werke. Mark Twain, Oscar Wilde, Emily Brontë, Shakespeare und sogar deutsche Literatur wie Theodor Fontane, Goethe, Schiller, Kleist und Thomas Mann. Er fand sogar französische und russische Werke und war sprachlos, dass jemand wie Oliver so etwas sammelte. Auch was die Musik betraf, so war fast alles vertreten. Schubert, Tschaikowski, Scarlatti, Chopin, Debussy, Beethoven, Mozart und Bach. Gleich neben Linkin Park, Green Day, Get Scared und Film und Game Soundtracks. Im Grunde hatte Oliver wirklich für jeden Geschmack etwas da. Und neben der klassischen Literatur waren Horrorromane von Stephen King oder Thriller von Grange und auch die Stieg Larsson Romane vertreten. Doch dann machte er eine merkwürdige Entdeckung, die ihn stutzig machte: es gab einen Raum, der verschlossen war und an der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift „Betreten Verboten!“ Es war der einzige Raum im ganzen Haus, welcher verschlossen war. Was sich wohl dahinter verbarg? Na, da musste er wohl Oliver fragen. Doch plötzlich, als er diese Stimme hörte, da fuhr er erschrocken zusammen. „Kein Weg! Ins Unbetretene, nicht zu Betretene; ein Weg ins Unerbetene!“ Es war Oliver, der da gerade herbei kam und sich offensichtlich darüber amüsierte, dass er Andrew erschreckt hatte. Dieser sah ihn ungläubig an, als dieser wortwörtlich aus „Faustus“ zitiert hatte. „Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken. Na? Hast du dich überall umgesehen?“ „Ja schon, zumindest bis auf diesen einen Raum hier.“ „Der ist auch sehr privat und da darf auch sonst niemand rein.“ „Ähm… okay. Aber sag mal, du hast doch gerade Faust zitiert, oder?“ Ein Nicken war die Antwort und sogleich legte Oliver noch einen drauf, indem er den Mephistopheles zitierte. „Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen. Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt, mein Pathos brächte dich zum Lachen, hättest du dir nicht das Lachen abgewöhnt.“ Andrew konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und ging dann direkt darauf ein. „Euer Grinsen gibt Verdacht; alle meine Widersacher drängen mich in dieser Nacht. Hier! Ein Freund ist Feind geworden, seine Maske kenne ich schon.“ „Ich sehe wohl, dass du den Teufel kennst.“ „Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los.“ „Den Teufel spürt das Völkchen nie und wenn er sie am Kragen hätte.“ „O sprich mir nicht von jener bunten Menge, bei deren Anblick uns der Geist entflieht!“ „Das Heidenvolk geht mich nichts an. Es haust in seiner eigenen Hölle.“ „Es ist gar hübsch, von einem großen Herrn so menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.“ Sie lachten beide darüber, dass sie so gut darin waren, mit literarischen Auszügen zu kontern und einen solchen Dialog zu führen. Selten hatte Andrew so mit jemandem sprechen können. Das letzte Mal war vor zehn Jahren, da Beyond damals auch eine gewisse Leidenschaft für Literatur hatte und auch gerne mal in Andrews Gegenwart zitierte. Und wie sich herausstellte, schien Oliver ebenfalls sehr bewandt zu sein. „Unglaublich, dass du tatsächlich so belesen bist. Und ich dachte, die Bücher wären alle bloß gesammelt. Hast du sie wirklich alle schon gelesen?“ „Manche schon, manche will ich noch lesen. Je nachdem, ob ich irgendwann mal Lust dazu habe. Problem ist, dass ich mich einfach nicht selbst dazu zwingen kann, etwas zu tun, wenn ich nicht wirklich Lust darauf habe. Ich bringe dann einfach nicht die Konzentration dafür auf und mein Hirn blockiert mich total. Irgendwie schaffe ich es dann einfach nicht, mich darauf einzulassen. Manchmal ist es schon sehr ärgerlich, aber irgendwann gewöhnt man sich daran und lernt damit zu leben.“ Andrew betrachtete ihn nachdenklich und fragte sich, was Oliver wohl fühlte und ob er wirklich immer so gut gelaunt und unbeschwert war, wie er immer tat, oder ob dies auch nur eine Maske war. „Sag mal, warum hast du mich eigentlich bei dir aufgenommen? Ich meine, mit mir hast du sowieso nur Arbeit.“ „Weil wir beide mehr gemeinsam haben, als du denkst und weil ich ein ganz bestimmtes Ziel verfolge. Aber das erkläre ich dir alles später, okay? Ich wollte eigentlich nur kommen und Bescheid sagen, dass der Laptop wieder läuft. Wir können also weitermachen.“ Wow, das ging ja aber schnell, dachte Andrew und folgte Oliver zurück ins Wohnzimmer. Aber andererseits war dieser ja ein Genie, was Computer betraf, also war das ja auch kein Wunder. Na hoffentlich ging dieses Mal alles gut. Andrew setzte sich wieder auf die Couch und wartete etwas nervös. Der Hacker machte es sich ebenfalls bequem und öffnete das Programm. „So, dann lass uns mal beten, dass das Schätzchen hier nicht schon wieder zickt. Sonst muss nämlich gleich die nächste Melone daran glauben“ Er hielt kurz inne und faltete die Hände, während er gespannt wartete. Und als es tatsächlich klappte, lächelte er zufrieden und rief „Yes! Es funzt endlich. Super, dann können wir endlich den ganzen Kram abhaken. So, dann wollen wir mal die Einstellungen abgleichen.“ Oliver begann zu tippen und las sich die Daten durch. Zwischendurch legte er die Stirn in Falten und begann zu grübeln. Schließlich bemerkte er „Das ist merkwürdig…“ Andrew wurde nervös, als er das hörte und ahnte nichts Gutes. „Was… was meinst du damit?“ „Da ist eine Einstellung nicht ganz richtig. Demnach ist es kein Wunder, wieso es dir so schlecht geht. Der feine Doktor hat etwas nicht richtig einprogrammiert, weshalb deine Energie so unten ist. Aber keine Bange, das hab ich gleich wieder behoben. Ich vermute mal, das hat er so eingerichtet, damit du nicht so viele Probleme machst und dich nicht allzu stark zur Wehr setzen kannst.“ „Und was genau machst du jetzt?“ „Dafür sorgen, dass dieses Problem behoben wird, dann müsste es dir demnächst auch wieder deutlich besser gehen als sonst. Es kann nur sein, dass du nachher ein wenig Kopfschmerzen haben wirst. Das kommt davon, weil sich dein Kopf erst mal an diese Neueinstellung gewöhnen muss.“ „Ich weiß. Im Institut hatte ich fast ständig Migräne deswegen gehabt.“ „Na, so schlimm wird es sicherlich nicht werden. Problem ist einfach, dass Dr. Brown die Einstellung zu schnell geändert hat und dass es deswegen immer so unangenehm für dich war. Ich stelle alles so ein, dass es sich nach und nach anpasst und dann wird es auch nicht ganz so wehtun.“ Andrew beobachtete Oliver, der nicht eine Sekunde seine Augen vom Bildschirm abwandte und hochkonzentriert war. Irgendwie ein sehr befremdlicher Anblick bei einem so sorglos und gelassen wirkenden Menschen wie ihn. Er war voll und ganz in seinem Element und so sah er wohl aus, wenn er sich auf eine Sache konzentrierte, die ihn vollkommen begeisterte und faszinierte. Andrew konnte einfach nicht den Blick von ihm abwenden. Oliver ist so anders als ich, dachte er sich. Allein schon wenn man in seine Augen sieht, erkennt man doch, wie viel Spaß er an der ganzen Sache hat. Er lässt sich rein gar nichts sagen und er lässt sich auch nicht entmutigen. Und dabei war er damals so todtraurig und depressiv gewesen, weil er niemals draußen mit den anderen Kindern spielen durfte und immerzu in Angst leben musste, der nächste Herzinfarkt könnte sein letzter werden. Wie nur hatte er es geschafft, sich so zu verändern und eine so positive Lebenseinstellung zu entwickeln? Ob ich auch mal irgendwann so sein werde und genauso unbeschwert lachen kann wie er? Natürlich wollte Andrew das und er wollte endlich glücklich werden, so wie Frederica und Beyond es sich für ihn gewünscht hatten. Aber leider konnte er es sich beim besten Willen einfach nicht vorstellen. Denn wenn er sein ganzes Leben betrachtete, konnte er einfach nichts Positives sehen. Kapitel 3: Aufräumaktion ------------------------ Die Nacht hatte Andrew problemlos durchgeschlafen und er fühlte sich auch gleich viel besser. Einzig das Chaos im Haus dämpfte seine gute Laune ein klein wenig und in der Küche traf er sogleich auf Oliver, der am Herd stand und das Frühstück vorbereitet hatte. Wie schon am Tag davor zeigte er seine Kochtalente und setzte sich sogleich mit einer Tasse Kaffee zu Andrew an den Tisch. „Du siehst deutlich besser aus als gestern, Andy. Hast du gut geschlafen?“ „Ja. Und die Kopfschmerzen sind auch wieder weg. Ich fühl mich auch viel besser.“ Oliver goss Kaffee ein und widmete seine Aufmerksamkeit schließlich der Morgenzeitung, die er eher halbherzig überflog und wohl nur Sachen durchlas, die auch sein Interesse weckten. Andrew selbst schwieg die meiste Zeit und überlegte sich, was er wohl sagen sollte. Und Oliver entging nicht, dass seinem Mitbewohner wohl irgendwas auf dem Herzen lag und er irgendwie ziemlich angespannt wirkte. „Sehe ich morgens so gruselig aus?“ „Wie bitte?“ „Du wirkst ziemlich nervös und das schon seit gestern. Wenn du irgendetwas hast, dann sag es ruhig.“ Doch Andrew schüttelte den Kopf und sagte sofort „Nein, schon gut. Es ist nichts, ich will dir nicht noch mehr zur Last fallen.“ Doch seine gesamte Körperhaltung sagte etwas anderes, das sah doch ein Blinder und auch dieses scheinbar fröhliche Lächeln durchschaute man auch sofort. Ach daher weht der Wind, dachte sich der Hacker und aß etwas von seinem Rührei. Der Gute hat also immer noch seine Probleme damit, Hilfe anzunehmen, ohne gleich zu denken, er wäre eine Belastung. Na, das wird sicher noch ein gutes Stück Arbeit mit ihm werden. Aber das krieg ich auch schon hin. Der wird sich noch wundern. „Du fällst mir nur dann zur Last, wenn du nichts sagst und ich mir meinen Teil zusammenrätseln muss, was dir gerade durch den Kopf geht. Wenn du mit mir redest, können wir eine Lösung für das Problem finden. Und deine Probleme lösen sich nicht dadurch, wenn du einfach schweigst und sagst, alles ist okay. Ich dachte, du wolltest dein Leben in den Griff bekommen und dich ändern.“ Da hatte er auch wieder Recht und Andrew sah wohl ein, dass er wohl darüber reden musste, was ihn so beschäftigte. Auch auf die Gefahr hin, dass er Oliver vielleicht damit nerven würde. „Ich bin dir ja echt dankbar, dass du mich aufgenommen hast. Aber irgendwie komme ich mir wie ein totaler Schmarotzer vor, weil ich hier einfach so wohnen darf und nichts mache. Und… na ja, irgendwie stört mich einfach das ganze Chaos hier im Haus. Ich weiß ja, dass es dein Haus ist und ich mich da nicht beschweren sollte…“ „Es ist nicht nur mein Haus“, unterbrach Oliver ihn und hob eine Hand, um zu signalisieren, dass Andrew still sein sollte. „Du bist hier nicht mein Gast, sondern mein Mitbewohner und wenn dich das Chaos hier stört, dann ist es doch okay, wenn du das sagst. Bevor du noch vor lauter Ärger ein Magengeschwür kriegst, können wir doch überlegen, was wir dann dagegen tun sollen. Und wenn du eine Aufgabe brauchst, um kein schlechtes Gewissen zu haben, dann können wir uns ja gemeinsam überlegen, was du tun könntest, um mich zu unterstützen. Ist doch alles kein Problem! Für alles gibt es eine Lösung, man muss sich einfach nur zu helfen wissen und auch darüber reden.“ Andrew überlegte kurz, was er denn machen könnte. Kochen fiel schon mal aus. Dafür hatte er überhaupt kein Talent und es war offensichtlich, dass Oliver viel besser darin war. Das Gleiche galt für den Computer. Also was gab es denn, was er machen könnte? Eine Idee kam ihm schließlich. „Ich könnte hier doch Ordnung machen, wenn du das nicht schaffst.“ „Echt?“ fragte der Hacker etwas skeptisch und hob die Augenbrauen. „Du weißt aber schon, was du dir damit antust, ja? Nur um es mal klarzustellen: ich versuch schon seit Jahren, irgendwie Ordnung zu halten, hab es aber nie hingekriegt. Dementsprechend wird da ziemlich viel Arbeit auf dich zukommen. Nun gut, die Kisten können wir nachher gemeinsam ins Lager rüberbringen, damit wir wieder genug Platz haben. Aber vielleicht wäre es besser, ich würde eine Putzkraft einstellen.“ Doch Andrew war fest entschlossen, sich nützlich zu machen und so wenigstens einen kleinen Teil beizutragen. So konnte er wenigstens ein klein wenig Dankbarkeit zeigen, dass Oliver ihn bei sich wohnen ließ und sich um die Wartungen des Gedankenschaltkreises kümmerte. „Es ist schon okay. Du sagtest doch selbst: wenn ich eine Aufgabe brauche, können wir uns was Passendes überlegen. Du kannst keine Ordnung halten, aber ich bin stets von der Ordnung Freund gewesen. Also werde ich mich um das Haus kümmern, wenn du mit deinen Hobbys und deinen Arbeiten beschäftigt bist, wenn das für dich okay ist.“ „Klar ist es das. Aber beim Einlagern der Kisten helfe ich mit. Ein paar von denen sind saumäßig schwer und ich glaub nicht, dass du das alleine packst. Ich frag aber sowieso noch Ridley, ob er mithilft, dann geht es schneller. Ridley ist ein alter Freund von mir. Er ist der Sohn des Konzernleiters bei Vention und wir beide sind quasi wie Brüder. Ich wette, ihr werdet euch super verstehen. Ich ruf ihn gleich mal an und frage ihn, ob er hilft.“ Andrew war noch ziemlich überrumpelt von dieser überraschenden Entwicklung. Oliver diskutierte nicht mal großartig mit ihm, oder versuchte irgendwie, ihm die Idee wieder auszuschlagen Nein, stattdessen erklärte er sich einverstanden und sagte sofort seine Hilfe zu. Damit hatte der 25-jährige nun nicht wirklich gerechnet. Oliver holte sein Handy hervor und wählte eine Nummer. Gut gelaunt rief er „Hey Ridley, du alter Sesselschwitzer, wie läuft es denn so? Du hör mal, ich bräuchte nachher mal deine Hilfe. Ich muss ein paar Kisten einlagern und brauch dabei jemanden mit starken Armen. Was? Klar doch! Ja, kein Problem. Ich richte den anderen schöne Grüße von dir aus. Okay, bis später!“ Damit legte er auf und wirkte zufrieden. „Auf Ridley kann man sich immer verlassen. Der Gute ist echt nicht mit Gold aufzuwiegen. Genauso ein Spaßvogel wie Elijah. Ich glaube, ihr beide werdet euch super verstehen.“ Oliver erklärte, dass Ridley Tanner der einzige Sohn von Walden Tanner, den Konzernleiter von Vention war und nicht nur ein hervorragender Geschäftsmann, sondern auch ein absolut korrekter Kerl war, mit dem man immer Spaß haben konnte. So erzählte er auch von einer Büroparty, als sie alle auf ihren Drehstühlen Hockey während der Mittagspause gespielt hatten. Andrew schüttelte bei diesen Geschichten ungläubig den Kopf. „Und ich dachte, bei Vention läuft immer alles so ernst zu.“ „Wir sind auch ernst bei der Arbeit, aber wir haben auch unseren Spaß dabei. Und nichts ist langweiliger als irgendwelche Anzugträger mit Krawatte, die zum Lachen in den Keller gehen und mit ihrer dicken Rolex in den teuersten Limousinen durch die Gegend fahren und sich irgendwelche Edelnutten auf die Hotelzimmer holen. So einer ist Ridley auch nicht. Auch wenn er verdammt viel Kohle hat, geht er lieber in einen Imbiss und feiert mit seinen besten Freunden. Ganz egal ob die nun steinreich sind oder nicht. Die meisten Freunde kennen wir noch aus dem Krankenhaus.“ „Ridley war im Krankenhaus?“ „Jep. Er war leukämiekrank und wäre beinahe gestorben. Hätte nicht viel gefehlt, aber er hat zum Glück noch die Kurve gekriegt. Und ich mit meinem schwachen Herzen damals war in einer ähnlichen Lage gewesen, das hat uns ziemlich zusammengeschweißt.“ Andrew verschwand schließlich nach dem Frühstück ins Bad, da er eine heiße Dusche dringend nötig hatte. Irgendwie fiel es ihm immer noch ziemlich schwer, sich auf all das hier einzulassen und vor allem, dass Oliver so entgegenkommend und hilfsbereit war. All das kannte er gar nicht und es war ihm auch irgendwie unangenehm, dass andere sich so sehr für ihn einsetzten und ihm halfen. Irgendwie wurde er immer noch von diesem einen Gedanken beherrscht, er hätte das alles nicht verdient. Dabei hatten Oliver und Beyond ihm doch schon oft genug gesagt, dass es nicht schlimm war, sich helfen zu lassen und dass er alleine nicht aus seiner beschissenen Lage herausgekommen wäre. Was bin ich nur für ein Idiot, dass ich mich nicht einfach freuen kann, dass ich bei Oliver lebe und er sich so gut um mich kümmert. Stattdessen jammere ich immer nur herum und bin nie zufrieden. Ich bin echt undankbar… Nachdem er fertig geduscht hatte, betrachtete er sich im Spiegel und ihm drehte sich der Magen um, als er die unzähligen blauen Flecke auf seinem Körper sah. Nicht nur auf seinem Rücken, sondern auch auf seiner Schulter, auf seiner Brust und noch an diversen anderen Stellen. Die noch nicht ganz verblassten Spuren, die ihn an das erinnerten, was Dr. Brown ihm angetan hatte. Er hatte allen Grund, diesen Mistkerl zu hassen, aber er konnte es nicht, zumindest nicht von ganzem Herzen. Stattdessen wollte ein Teil von ihm immer noch zurückkehren. Es klopfte an der Tür und Oliver meldete sich. „Ich hab dir ein paar frische Klamotten vor die Tür gelegt!“ Irgendwie kam ihm das alles so komisch vor, als wäre das hier bloß ein Traum und gar nicht real. Wie lange es wohl brauchte, bis er sich hieran gewöhnt hatte? Tja, das konnte er selbst noch nicht so wirklich sagen. Nach dem Mittagessen kam Olivers bester Freund Ridley Tanner vorbei. Er war ein ziemlich gut gelaunter Mensch und besaß eine ähnlich positive Ausstrahlung wie Oliver. Dafür, dass er der Sohn eines steinreichen Konzernleiters war, schien er gar nicht so steif und ernst zu sein, wie man es von jemandem seines Formats erwarten würde. Stattdessen riss er einen Witz nach dem anderen und grüßte Andrew herzlich, als würden sie sich beide schon ihr ganzes Leben lang kennen. „So, du bist also Ollis neuer Mitbewohner Andrew, richtig? Schön dich kennen zu lernen, ich bin Ridley. Ich hoffe, der Chaot vom Dienst hat dich noch nicht allzu sehr geärgert. Nicht wahr, du alter Ire?“ „Hey, so fies bin ich nun auch nicht, Dumpfbacke! Und schalt ruhig mal einen Gang runter, du machst dem Ärmsten ja noch Angst.“ Ridley, der im ganzen Gesicht Sommersprossen hatte, eine ziemlich teure Brille trug und dennoch etwas zerzaustes brünettes Haar hatte, musterte Andrew neugierig und lächelte schließlich. „Irgendwie erinnert er mich an dich, als ich dich damals im Krankenhaus kennen gelernt habe, Olli.“ „Ich weiß. Bevor ich dich und die anderen getroffen habe, war ich wirklich hoffnungslos. Aber wir sind nicht zum Quatschen hier. Ich wollte die Kisten mit meinen ganzen Erinnerungsstücken ins Lagerhaus bringen, damit ich hier wieder genug Platz habe.“ „Kein Problem. Was hast du denn dieses Mal alles erlebt?“ „Ach das Übliche. Eine Reise nach Afrika, Tauchen mit Haien, Korallenriffe aufgesucht und ich war auf dem Kilimandscharo. Eine Zeit lang war ich Voodoo-Priester und Schamane.“ „Du kommst ja auch immer auf Ideen. Und ich dachte schon, du bist verrückt, als du plötzlich unbedingt alles über Origami wissen wolltest und dein ganzes Büro mit Kranichen zugemüllt hast. Oder als du plötzlich nur noch an Autorennen und Motocross denken konntest und ein Rennen nach dem anderen gefahren bist, als hättest du zu viel Need for Speed gezockt.“ „Oder als ich sämtliche Sekten abgehakt und mich mit sämtlichen Religionen auseinandergesetzt habe.“ „Stimmt. Mal warst du Buddhist, dann Hindu, dann Muslime und dann plötzlich Jude. Echt Mann, ich kenne keinen Menschen, der so sprunghaft ist wie du, mein Freund. Aber zumindest hast du immer wieder genug zu erzählen, wenn du mal vorbeischaust. Und die Kinder freuen sich ja auch immer wieder, deine Geschichten zu hören.“ Gemeinsam begannen sie die unzähligen Kisten zuzukleben, zu beschriften und dann in einem Anhänger zu verstauen, den Ridley mitgebracht hatte. Während Oliver die Kisten beschriftete, zuklebte und in den Hausflur stellte, brachten die anderen beiden alles in den Anhänger. Dabei fragte Ridley nebenbei „Und wie lebt es sich so bis jetzt bei Oliver?“ „Ganz gut“, murmelte Andrew, klang dabei aber nicht gerade überzeugend. „Ich brauch aber wohl noch eine Weile, bis ich mich an diese neue Situation gewöhnt habe.“ „Kann ich verstehen. Oliver kann auch manchmal etwas anstrengend sein, wenn er seine Hobbys auslebt.“ „Kann schon sein, ich hab es bis jetzt noch nicht so richtig miterlebt. Jedenfalls hat er schon etwas seltsame Verhaltensweisen. Ich meine, er schmeißt Melonen vom Dach!“ „Na und? Mach ich auch jedes Mal, wenn der Stress zu viel wird. Ob du es glaubst oder nicht, aber solche Sachen helfen wirklich. Aber auch wenn Oliver ein schräger Vogel sein kann, er besitzt ein großes Herz und ihm verdanke ich mein Leben. Hätte er mir nicht sein Knochenmark gespendet, wäre ich damals garantiert gestorben.“ Andrew hielt inne, als er das hörte. Davon hatte Oliver doch gar nichts erwähnt gehabt. Zwar hatte er erzählt, dass er und Ridley sich im Krankenhaus kennen gelernt hatten, aber von einer Knochenmarkspende war gar nicht die Rede gewesen. Ridley bemerkte die Reaktion, schien aber nicht sonderlich verwundert zu sein und fragte „Er hat dir nichts erzählt, oder?“ „Nein, nicht wirklich?“ „Würde auch nicht zu ihm passen, wenn er es so herumposaunt. Er prahlt nicht gerne mit so etwas, sondern sagt ganz einfach, es wäre eine Selbstverständlichkeit für ihn, anderen Menschen zu helfen und auch ihr Leben zu retten, wenn er die Möglichkeit dazu hat. Immerhin hat er selbst nur durch eine Spende weiterleben können, denn früher oder später wäre er an seinem schwachen Herzen gestorben. Und wenn ich so überlege… Elijah hat damals auch seine Niere für Stacey gespendet, obwohl er selber krank war. Aber er hat nie den Mut verloren und uns unsere Lebensfreude wiedergegeben. Und dank ihm ist Oliver jetzt so, wie er jetzt ist.“ Elijah… Oliver hatte diesen Namen kurz erwähnt. Und auch wenn es nur ein einziges Mal war, so hatte Andrew deutlich gesehen, dass Olivers Augen leuchteten und er regelrecht strahlte, als er Elijahs Namen erwähnte. „Wer ist dieser Elijah?“ „Ein guter Freund von uns. Als wir damals im Krankenhaus waren, hat er jeden erdenklichen Blödsinn angestellt, um uns und die anderen aufzumuntern. Als ich von der Chemotherapie kam und kaum laufen konnte, hat er mich in einen Rollstuhl verfrachtet und hat sich sogleich ein paar andere Kinder geschnappt, mit denen er durch die Gänge um die Wette gerast ist. Dabei hat er Oliver fast über den Haufen gefahren, so haben wir ihn jedenfalls kennen gelernt. Und ein Mal hat Elijah für einen Jungen, der Krebs im Endstadium hatte und nur noch drei Monate zu leben hatte, eine Nutte bezahlt, damit er nicht als Jungfrau sterben musste. Nun gut, wir alle waren damals minderjährig, aber wir hatten genug Kontakte, um Sachen wie gefälschte Ausweise oder Alkohol zu besorgen.“ Andrew schüttelte den Kopf, als er das hörte und konnte nicht glauben, dass manche Leute so etwas wirklich taten und wie sie auf solche Ideen kamen. Noch nie hatte er gehört, dass eine Gruppe Jugendlicher Ausweise fälschte und einem kranken Jungen eine Nutte bezahlte. „Dann scheint Oliver seine komischen Ansichten auch von Elijah zu haben, oder?“ „Kann man wohl sagen. Weißt du, Oliver und ich mussten immerhin mit der Befürchtung leben, dass wir bald sterben könnten. Und da hat man eben zwei Möglichkeiten: entweder sein Schicksal zu bedauern und bis zum letzten Moment nur zu jammern, oder die restliche Zeit nutzen, um seine Träume zu leben und dann wenigstens glücklich zu sterben. Wir haben uns für die zweite Möglichkeit entschieden und unser Leitmotto „Just Do It“ einfach beibehalten. Wenn ich dir einen guten Rat geben darf, Andrew: mach einfach Olivers Aktionen mit, so bekloppt sie auch erscheinen. Er weiß schon, was er tut.“ „Was, ein Rat? Hat Rat je bei Menschen gegolten?“ rief Oliver zu ihnen herüber und kam nun selbst mit einem Karton herbei, nachdem er all fertig beschriftet hatte. „Was erzählt ihr zwei Hübschen denn über mich?“ „Na, dass du ein schräger Vogel bist und Andrew fragt sich, ob dein Verhalten von einem schlechten Einfluss herrührt.“ „Ach was. Oscar Wilde pflegte in seinem Werk „Das Bildnis des Dorian Gray“ zu sagen: Es gibt weder guten noch schlechten Einfluss, denn jeglicher Einfluss ist unmoralisch.“ Es war schon schräg, wie die beiden alten Freunde miteinander redeten. Sie gingen total locker miteinander um und schienen es dem anderen nicht einmal übel zu nehmen, wenn dieser ihn beleidigte. Als wären die beiden tatsächlich wie Brüder. Nachdem die letzten Kisten verladen waren, fuhren sie alles gemeinsam in eine Lagerhalle, die sich nicht weit vom Hafen entfernt befand und die Oliver extra gekauft hatte, damit er dort seine unzähligen Andenken einlagern konnte. Es waren bereits einige Kisten da und darauf stand fein säuberlich geschrieben, um welches Hobby es sich denn handelte und so wie es aussah, waren es ziemlich viele. „Und was genau machst du mit all den Sachen, wenn sie eingelagert sind?“ „Die bleiben hier und wenn ich wieder Lust auf ein altes Hobby habe, krame ich meine Kisten wieder aus. Und wenn ich jemand anderes für irgendetwas begeistern kann, was ich selbst schon erlebt habe, dann kann ich ihm meine Andenken leihen. Und so habe ich tolle Erinnerungsstücke.“ Sie waren knapp eine Stunde beschäftigt, die Kisten aus dem Anhänger zu holen und einzulagern, dann kehrten sie zurück nach Hause und Oliver gab eine Runde Bier aus. Gemeinsam machten sie es sich gemütlich und erzählten Andrew über gute alte Zeiten und was sie für Blödsinn verzapft hatten. Sie lachten viel zusammen und die Stimmung war ausgelassen und sogar Andrew begann sich allmählich wohl zu fühlen. Schließlich, nachdem sie eine Weile so locker und fröhlich geredet hatten, fragte Ridley „Und du bist tatsächlich derjenige, der die Pläne zum Gedankenschaltkreis fertig gestellt hat und sogar einen Prototypen eingesetzt bekam?“ Andrew bestätigte das und musste dann auch erzählen, wie es dazu kam, dass ihm der Chip eingesetzt wurde. Aber als er sich dann wieder an die Zeit bei Dr. Brown erinnerte, sank er unmerklich zusammen und das entging Ridley durchaus nicht. Er klopfte ihm auf den Rücken und erklärte „James war sowieso ein totales Arschloch, ich konnte ihn nie leiden, aber er hatte was im Kopf. Und als er sich mit unserem Geld abgesetzt hat, hat sich ja gezeigt, was er für ein krimineller Dreckskerl ist. Wie läuft eigentlich die Suche nach ihm? Hast du ihn schon aufspüren können, Olli?“ „Schön wär’s, nur leider war das Institut komplett geräumt und er hat sämtliche Spuren verwischt. Aber wenn ich wieder eine Spur habe, gebe ich sofort Bescheid.“ „Umso besser wär’s. Wenn ich daran denke, was er und sein Vater alles geleistet haben, nur um an die Pläne zu kommen… Mein Vater hatte schon erzählt gehabt, dass er seine eigene Forschungspartnerin getötet hat, ebenso wie ihren Mann. Und angeblich soll er auch ihr Kind getötet haben. Kerle wie er ziehen Ventions guten Namen in den Dreck.“ „Ein Grund mehr für mich, ihn zu finden und zur Verantwortung zu ziehen!“ Sie saßen den ganzen Abend zusammen, dann verabschiedete sich Ridley und wünschte Andrew noch alles Gute. So war es im Haus mit einem Male stiller geworden und dennoch waren sie beide guter Laune und tranken noch ein paar Bier zusammen. Es endete schließlich damit, dass Andrew viel zu spät merkte, dass er keinen Alkohol vertrug und so sank er auf der Couch zusammen und schlief irgendwann mitten in der Nacht ein. Er ließ sich durch rein gar nichts wecken und so ging Oliver zu ihm hin und strich ihm sanft durchs Haar. Irgendwie sieht er ganz schön niedlich aus, wenn er so schläft, dachte er sich und hob den Schlafenden vorsichtig hoch und trug ihn ins Zimmer. Aber wenigstens hatte er heute seinen Spaß und morgen werde ich ihm schon etwas mehr Dampf unterm Hintern machen. Der wird schon noch wieder richtig lachen können, dafür werde ich schon sorgen. Nachdem Oliver ihn ins Zimmer gebracht hatte, legte er Andrew aufs Bett und begann ihn umzuziehen. Dabei dachte er an damals. An die Zeit, als er sich heimlich in Andrew verliebt hatte. Er hatte ihn schon immer für seine Intelligenz bewundert und für seine Leidenschaft für das Meer und die Poesie. Ja, schon damals war er seine erste wahre große Liebe, doch er hatte sich so sehr von seinem Denken beherrschen lassen, dass ein solcher Loser und Chaot wie er niemals gut genug für solch ein Genie sein würde. Und außerdem hätte Andrew ihn sowieso niemals geliebt und nach diesem tragischen Selbstmord hatte er ja ohnehin alle Hoffnung aufgegeben und sich stattdessen auf Elijah eingelassen. Trotzdem war er mit ihm wirklich glücklich gewesen, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Aber nun hatte das Schicksal ihn und Andrew zusammengeführt und nun lag es an ihm, den Ärmsten aus seinem Elend zu holen und ihm seine Lebensfreude zurückzugeben. Genauso, wie Elijah damals ihn gerettet hatte… Nachdem Oliver ihn fertig umgezogen hatte, deckte er ihn zu und für einen Moment vergaß er seine guten Vorsätze und gab Andrew einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. „Schlaf gut, Andy. Egal was auch ist, ich werde immer für dich da sein. Das verspreche ich dir.“ Kapitel 4: In der Kletterhalle ------------------------------ Am nächsten Morgen wachte Andrew leicht verkatert auf und fragte sich, wie er es denn gestern überhaupt ins Bett geschafft hatte. Na was soll’s, dachte er sich und stand auf, wobei er sich erst mal streckte. Zumindest musste ich nicht auf dem Sofa schlafen. Er ging runter in die Küche, wo Oliver bereits mit dem Frühstück wartete und sich wie immer bester Laune erfreute. „Na? Alles frisch bei dir?“ „Ich glaub, ich hab einen leichten Kater. Du sag mal, wie bin ich denn ins Bett gekommen?“ „Hab dich hochgebracht, weil du so tief und fest geschlafen hast.“ Ach so, das erklärte ja alles. Andrew stärkte sich erst einmal, ging dann ins Bad und nahm eine von den Kopfschmerztabletten, die Oliver ihm besorgt hatte. Der gestrige Tag mit Ridley war ja schon recht lustig gewesen, auch wenn sie die meiste Zeit nur Kartons geschleppt hatten. Aber wenigstens war es nicht mehr allzu chaotisch im Haus und gegen den Rest würde er auch schon noch etwas unternehmen. Dann hatte er wenigstens eine sinnvolle Aufgabe für die nächste Zeit. Doch dazu sollte es nicht kommen, denn als seine Kopfschmerzen einigermaßen gewichen waren und es ihm erheblich besser ging, nachdem Oliver ihm ein Spezialmittel gegen Kater gemixt hatte, hatte dieser bereits andere Pläne mit ihm. „Bevor du hier noch den ganzen Tag im Haus sitzt und dich nicht zu beschäftigen weißt, habe ich etwas Tolles ausgedacht.“ „Und… was ist es?“ „Lass dich einfach überraschen. Da du kein geeignetes Schuhwerk hast, kann ich dir gerne ein zweites Paar von mir geben. Du wirst es schon sehen, wenn wir dort sind.“ Und nachdem Andrew die Küche aufgeräumt hatte, packten sie ein paar Sachen ein und machten sich auf den Weg. Oliver machte ein ganz schönes Geheimnis draus, wohin denn sie denn hinfuhren und hatte wie immer sichtlich Spaß. Andrew hingegen war ein wenig unruhig und nervös und fragte sich natürlich, was sein Gastgeber denn mit ihm vorhatte und was er im Schilde führte. Doch als sie schließlich nach knapp einer Viertelstunde Fahrt einen Parkplatz erreichten und eine Kletterhalle betraten, rutschte Andrew sekundenschnell das Herz in die Hose, er sagte aber nichts und versuchte wie immer, sich nichts anmerken zu lassen. Trotzdem wäre er am liebsten sofort wieder umgekehrt. Nicht, dass er Höhenangst hatte oder so, aber er wusste definitiv, dass er für so etwas garantiert nicht geschaffen war. Und ihm war überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken, da hochzuklettern. Warum zum Teufel hatte Oliver ihn hierher gebracht und was versprach er sich davon? „So, dann wollen wir mal sehen, wie gut du klettern kannst. Hast du schon irgendwelche Erfahrungen, oder ist es dein erstes Mal?“ Er musste lachen über diese ungewollte Zweideutigkeit und klopfte Andrew auf die Schulter, dieser zwang sich eher zum Lachen und hätte am liebsten gesagt, dass er wieder gehen wollte. Aber andererseits hatte Oliver schon so viel für ihn getan, da wäre es doch unhöflich, einfach so zu gehen. Und undankbar wollte er ja auch nicht erscheinen. Trotzdem sträubte sich alles in ihn, zu klettern. Es sah so verdammt hoch aus und in seinem Kopf ratterte er bereits sämtliche Szenarien durch, die sich im schlimmsten Fall zutragen könnten, wenn er abstürzte. Wieder Knochenbrüche und schmerzhafte Reha… Na hoffentlich passierte da auch nichts, denn er stellte es sich nicht gerade einfach vor, da hochzuklettern. Was, wenn er abrutschte und sich nicht mehr festhalten konnte? Was, wenn das Seil riss und er hinunterstürzte? Oliver besorgte die Ausrüstung und erklärte Andrew, was er zu machen habe. „Keine Bange, ich bleib am Seil und pass auf, dass nichts passiert. Ich klettere selbst schon seit Jahren.“ Sie gingen schließlich zu einer geeigneten Stelle hin und Andrew sah hinauf. Verdammt war das hoch. Sogleich verließ ihn jeglicher Mut und ihm drehte sich der Magen um. „Das schaffe ich nie…“ „Das weißt du erst, wenn du es versucht hast.“ Doch er schüttelte den Kopf und betonte „Ernsthaft. Ich kann das nicht. Ich komme niemals so hoch!“ „Musst du ja auch nicht. Du brauchst einfach nur versuchen, so hoch wie möglich zu kommen.“ „Hättest du mich nicht vorher warnen können, dass wir in eine Kletterhalle gehen?“ „Dann hättest du mit Sicherheit einen Weg gefunden, dich davor zu drücken.“ Doch immer noch machte Andrew keine Anstalten zu klettern. Das war doch absolut verrückt. Wieso nur kam Oliver auf die bescheuerte Idee, dass er jetzt klettern sollte, wo er doch nie so etwas gemacht hatte? Das war doch absoluter Blödsinn. Nie und nimmer schaffte er das! „Tut mir Leid, aber ich kann das nicht. Was ist, wenn ich abstürze?“ „Für den Fall bin ich ja da, um dein Seil zu sichern. Sollte etwas passieren, werde ich dich abbremsen und wenn das Seil reist, fange ich dich so auf und der Boden ist weich genug, dass du dich nicht so schwer verletzen kannst. Nur keine Bange, es kann dir nichts passieren. Versuch es wenigstens mal. Ich mach dir einen Vorschlag: du kletterst so hoch wie du kannst und wenn es nicht mehr geht, dann kommst du wieder runter.“ Andrew merkte, dass Oliver hartnäckig blieb und so gab er es auf, weiterhin Widerworte zu geben. „Lass dir ruhig Zeit dabei. Es drängt dich niemand, okay?“ Doch Andrew sagte nichts und war genervt. Warum ließ Oliver ihn nicht mit seinen bescheuerten Ideen einfach in Ruhe? Er hätte ihn wenigstens fragen können, ob er überhaupt klettern wollte! Aber stattdessen stellte dieser unberechenbare Knallkopf ihn vor vollendete Tatsachen und nötigte ihn regelrecht dazu und fragte ihn nicht mal nach seiner Meinung. Langsam begann er zu klettern und versuchte, irgendwie hochzukommen. Aber es war ihm ein Rätsel, wie er das schaffen und sich vor allem richtig festhalten sollte. Das schaffte er nie und nimmer. Trotzdem versuchte er es. Einfach nur deshalb, damit Oliver endlich aufhörte, ihn zu nerven. Schon nach kürzester Zeit merkte er, dass es ihm eindeutig an Kondition und Training fehlte. Seine Arme taten ihm weh und seine Beine ebenfalls, es war tierisch anstrengend, sich weiter nach oben zu kämpfen und Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Er kam nur quälend langsam voran und rutschte zwischendurch kurz ab, weshalb er wieder eine ganze Zeit lang an einer Stelle festhing und versuchen musste, irgendwie wieder Halt zu finden. Nach einer Weile hielt er inne und atmete schwer und er merkte so langsam, dass es echt an seinen Kräften zehrte und ihm langsam die Kraft ausging. Und seine Motivation war ohnehin schon mitsamt seiner Laune weg. „Oliver, ich glaub ich kann nicht mehr…“ „Ach was, das schaffst du schon. Na komm. Ein kleines Stückchen geht noch!“ „Nein ernsthaft! Ich kann nicht mehr!“ Doch Oliver spornte ihn weiter an und so kletterte Andrew noch höher. Ohne es zu wollen wurde er dabei richtig sauer und am liebsten hätte er Oliver erwürgt. Warum nur hört er nicht endlich auf, mich ständig zu drängen, obwohl er doch selber gesagt hat, ich kann jederzeit wieder runterkommen, wenn ich es nicht mehr schaffe? Und wieso mach ich da überhaupt noch mit? Das ist doch totaler Schwachsinn! Oliver ist echt so ein verdammter Blödmann, der kann sich sein dämliches Grinsen sonst wohin stecken… Andrew war selbst erstaunt, dass er so sauer wurde, dabei hatte er sich noch nie dermaßen geärgert. Nun gut, er hatte mal die Beherrschung verloren und Beyond eine reingehauen, als dieser seine Beziehung zu L gebeichtet hatte. Aber das war ja auch eine recht heftige Sache gewesen, doch hier regte er sich streng genommen über eine absolute Kleinigkeit auf. Und genau das war ihm noch nie in seinem Leben passiert. Immer wieder hielt er zwischendurch an und versuchte Oliver zu verstehen zu geben, dass er nicht mehr schaffte, doch dieser hörte überhaupt nicht zu und drängte ihn nur weiter. Schließlich aber, als er noch höher geklettert war, verließ ihn endgültig die Kraft und an diesem Punkt ließ Oliver ihn auch wieder herunter. Andrew war völlig am Ende seiner Kräfte und atmete schwer. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß von der Stirn und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Verdammt, war das eine Tortur gewesen. Der Hacker klopfte ihm zufrieden lächelnd auf die Schulter. „Super gemacht. Dafür, dass du angeblich nicht klettern kannst, hast du es ja ganz schön weit nach oben geschafft.“ Doch da platzte Andrew endgültig der Kragen und er schlug Olivers Hand weg, dann stieß er ihn von sich. „Du kannst mich mal!“ rief er und legte seine Kletterausrüstung ab. „Ich hab dir oft genug gesagt, dass ich nicht mehr kann und du hörst einfach nicht zu. Du mit deinem bescheuerten Grinsen gehst mir auf die Nerven. Ich hab echt keine Lust mehr auf diesen Schwachsinn.“ Damit wollte Andrew gehen, doch Oliver stellte sich ihm in den Weg. Immer noch war er die Ruhe und die gute Laune in Person und das brachte Andrew nur noch mehr auf die Palme. „Jetzt sei doch nicht so. Guck doch, du hast es fast bis ganz nach oben geschafft und das ist eine grandiose Leistung für einen Anfänger.“ „Das interessiert mich aber nicht“, rief Andrew und stieß ihn wieder zurück. In dem Moment war es ihm auch vollkommen egal, dass andere in der Kletterhalle neugierig zu ihnen herüberschauten. „Ich finde es einfach zum Kotzen, dass keiner auf das hört, was ich will und du meinst, du könntest deine beknackten Spielchen mit mir spielen. Ich hab das mein ganzes Leben ertragen, seit ich in Wammys House war und mir ständig vorschreiben lassen, was ich zu tun und zu lassen habe. Und ich habe immer versucht, es allen recht zu machen. Aber was ich will, zählt hier ja wohl gar nicht, oder? Stattdessen gehst du mir mit deinen Klettertouren auf die Nerven.“ Damit ging Andrew und verließ die Kletterhalle. Er setzte sich draußen auf eine Bank und brach in Tränen aus. Irgendwie wurde ihm in diesem Moment alles zu viel. Aufgestaute Emotionen brachen hervor und er konnte sie nicht zurückhalten. Verdammt, er hatte da gerade komplett die Beherrschung verloren, obwohl er das doch nicht wollte. Aber Oliver war doch selber schuld. Warum machte er so eine Scheiße mit ihm und was versprach er sich davon? Zog er irgendwie ein abartiges Vergnügen daraus, seinen Mitbewohner durch die Gegend zu scheuchen und ihn die Wand raufzujagen, obwohl dieser es definitiv nicht wollte? Der hatte sie doch nicht mehr alle. Andrew spürte, wie erschöpft er eigentlich war und dass sich seine Arme und Beine wie Blei anfühlten. Nie hätte er gedacht, dass das Klettern so dermaßen anstrengend war und er bezweifelte, dass er die Energie dafür aufbrachte, zu Fuß nach Hause zu laufen. Nein, das schaffte er wirklich nicht. Er war völlig erschöpft. Leise seufzend lehnte er sich zurück und sah in den grauverhangenen Himmel. Irgendwie fühlte er sich in diesem Moment noch beschissener als im Institut, obwohl er doch jetzt in deutlich besseren Verhältnissen lebte als dort. Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, er hätte nicht auf Frederica gehört und wäre bei Dr. Brown geblieben. Dann würde es ihm jetzt nicht so dreckig gehen. Als ihm etwas Eiskaltes gegen die Wange gedrückt wurde, erschrak er und wurde aus seinen Gedanken gerissen. Es war Oliver, der zwei Dosen Cola dabei hatte und sich neben ihn setzte. Er reichte ihm eine und wortlos nahm Andrew sie an, während er sich die Tränen aus den Augen wischte. Immer noch wirkte der Hacker so locker und sorglos wie eh und je und schien sich augenscheinlich nicht sonderlich um Andrews miserable Verfassung zu kümmern. Dann aber bemerkte er „Da hat sich über die ganzen Jahre wohl ziemlich viel bei dir aufgestaut, oder?“ „Kann schon sein“, murmelte der 25-jährige tonlos und trank einen Schluck. So etwas hatte er nach der Klettertour wirklich gebraucht. „Irgendwie habe ich komplett die Beherrschung verloren.“ „Na irgendwann mal musste das doch raus. Du kannst doch nicht ewig alles schweigend hinnehmen und ertragen, obwohl es dir gegen den Strich geht. Das hilft niemandem wirklich. Aber weißt du, es kann auch sehr befreiend sein, sich einfach den ganzen Frust von der Seele zu schreien und seine ganze Wut rauszulassen. Dann fühlt man sich gleich besser und hat dann endlich gesagt, was Sache ist. Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich schon damit gerechnet, dass du total ausrasten würdest. Deshalb habe ich dich ja hierher gebracht.“ Als Andrew das hörte, hätte er beinahe seine Coladose fallen gelassen und fassungslos sah er Oliver an. Dieser Mistkerl hatte ihn extra auf die Palme gebracht? War der jetzt komplett übergeschnappt? „Du hast WAS getan?“ „Dich absichtlich komplett verausgabt, damit du erst mal über deine Grenzen hinausgehst und siehst, was du eigentlich schaffen kannst, wenn du an dich glaubst und damit du nicht mehr die nötige Energie hast, die Beherrschung zu bewahren. Ich hab gleich schon bei der Sache mit der Melone gemerkt, wie sehr du innerlich unter Anspannung standest. Früher oder später wäre es sowieso dazu gekommen, dass du komplett explodierst, oder aber in die andere Richtung gehst und dich wieder umbringst. Also habe ich dich erst mal dazu gebracht, dass du auf mich losgehst, damit du endlich mal ganz klar sagst, was dich so aufregt und wieso du so unglücklich bist.“ Andrew war sprachlos und konnte nicht fassen, was Oliver da mit ihm gemacht hatte. Dieser Kerl hatte also von Anfang an vorgehabt, ihn in solch eine Situation zu bringen, nur damit er seinen Emotionen freien Lauf ließ und sich seine Wut von der Seele redete? In diesem Moment brach Andrew wieder in Tränen aus und tröstend legte der Hacker einen Arm um ihn. „Erzähl schon, was dir so an die Nieren geht. Meinetwegen kannst du gerne wieder laut werden.“ „Es ist einfach so vieles, was beschissen bei mir läuft. Als ich zu euch ins Waisenhaus kam, da wollten Roger und Watari mich zum neuen Hoffnungsträger für L’s Nachfolge machen. Ich wollte beweisen, dass ich das Zeug dazu habe und dass ich es schaffen kann. Wie ein Verrückter habe ich gelernt und die Nächte durchgearbeitet, um die Konstruktionspläne fertig zu stellen, um L sogar zu übertreffen. Und dann heißt es plötzlich, ich wäre nicht mehr geeignet, weil ich psychisch labil bin und nicht die nötige innere Stärke besitze.“ „Das ist echt mies“, stimmte Oliver kopfnickend zu. „Zuerst machen sie dir Hoffnungen und setzen dich unter Druck und dann sägen sie dich einfach ab. Das ist echt ne miese Tour.“ „Ja und ich war so dumm, mich in den Falschen zu verlieben und die ganze Zeit Beyonds Gefühle auszunutzen, nur um mich selbst besser zu fühlen. Obwohl ich wusste, dass er mich liebte, hab ich ihn einfach als Ersatz für L missbraucht und als ich dann Gefühle für Beyond entwickelt habe, hab ich bereits den Karren in den Dreck gefahren und mir von Clear einreden lassen, dass ich alles vermasselt habe und ich allein dafür verantwortlich bin, dass Beyond so leiden musste. Und ich bin so bescheuert, dass ich mich jahrelang von James (also Dr. Brown) wie Dreck behandeln lasse, obwohl ich genau wusste, dass er ein Mistkerl war. Ich hasse das alles. Ich hasse mich selbst dafür, dass ich so dumm war und mir immer von allen ständig sagen ließ, was ich zu tun und zu lassen hatte. Selbst jetzt mache ich es nicht besser und bin inzwischen so weit, dass man mich nicht mehr alleine lassen kann, weil ich sonst nicht mehr zurechtkomme. Hätte ich damals genauso wie Beyond das Waisenhaus verlassen, anstatt mich so dermaßen unter Druck setzen zu lassen, dann wäre vielleicht vieles anders gekommen. Und hätte ich mich nicht in den Falschen verliebt, hätte ich Beyond nicht so wehgetan. Ich finde es einfach zum Kotzen, ständig vor den anderen den unbekümmerten Andy zu spielen, für den alles in Ordnung ist und mit dem man machen kann, was man will. Ich hab die Schnauze voll davon!“ Es war irgendwie komisch, das alles endlich mal so offen zu sagen, aber gleichzeitig fühlte es sich befreiend an, endlich mal ganz laut auszusprechen, warum es ihm so schlecht ging und wie er sich wirklich fühlte. Irgendwie hatte er das Gefühl, es wäre in Ordnung, wenn er sich Oliver so anvertraute, weil dieser ihn verstand. „Weißt du was das Schöne daran ist, Andy? Wenn wir zuhause sind, können wir diese ganze Scheiße abhaken und ein neues Kapitel schreiben. Das wird schon wieder.“ „Hör mir mit deinem bescheuerten Das wird schon wieder auf! Ich kann echt nicht verstehen, wie jemand wie du nur so eine lockere und sorglose Lebenseinstellung haben kann, wenn du doch selber weißt, wie hart und grausam das Leben ist. Man bekommt nichts geschenkt in diesem Leben und die Welt ist nun mal verdammt ungerecht. Du spielst dich hier als der absolute Therapeut auf, der für jedes Problem eine Lösung weiß, aber dabei hast du doch überhaupt keine Ahnung, wie ich mich fühle. Du musstest dich doch nie für irgendetwas großartig anstrengen. Stattdessen hast du ständig den Unterricht geschwänzt, Flieger aus deinen Testbögen gebastelt und durch die Luft fliegen lassen. Du machst nur das, was dir Spaß macht und sonst nichts. Ich hasse solche Menschen, die meinen, man könne so einfach durchs Leben kommen und sich ohne große Anstrengungen durchmogeln und dann noch die Frechheit besitzen, anderen zu sagen, was das Beste für sie wäre.“ „Du meinst also, ich hätte ein rundum glückliches Leben?“ „Ja, das denke ich!“ Hier aber wich das sorglose und freche Lächeln und mit einem Male wurde Oliver ernst, sehr ernst sogar. Und so hatte ihn bis jetzt kaum jemand erlebt. Er ergriff Andrew am Arm und sah ihn fest an. „Jetzt hör mal gut zu, Andy: es gibt genügend Menschen auf der Welt, denen es viel schlechter geht als dir und die versuchen trotzdem, das Beste aus ihrer Situation zu machen und auch sie können glücklich sein. Weißt du was? Ich glaube, ich muss dir mal vor Augen führen, was ich damit meine. Wir fahren erst mal nach Hause, dann machst du dich fertig und ich zeige dir mal andere Seiten vom Leben.“ Damit erhob sich Oliver, hielt Andrew immer noch am Arm fest und brachte ihn zum Auto. Irgendwie war er ganz verändert und so wirklich konnte sich der Rothaarige nicht erklären, woran das lag. Was war denn auf einmal mit Oliver los? Sie setzten sich ins Auto und fuhren nach Hause. Während der Fahrt sagte der Hacker nichts und gönnte sich stattdessen erst einmal eine Zigarette. „Wo… wohin fahren wir gleich hin?“ „Ein paar gute Freunde von mir besuchen. Ich denke, es wird dir mal ganz gut tun, wieder unter Leute zu kommen. Wir wollen heute Abend zum Bowlen und danach noch ein wenig feiern.“ Irgendwie war Andrew jetzt völlig verwirrt und verstand nicht mehr, was das denn jetzt sollte. Wollte Oliver ihm denn nicht gerade noch irgendetwas Bestimmtes gezeigt haben? Er erinnerte sich wieder an Ridley, der ihm geraten hatte, Olivers Ideen einfach mitzumachen, so bescheuert sie auch zu sein schienen. Also hatte er wohl kaum eine andere Wahl, als sich überraschen zu lassen. Nachdem sie zuhause angekommen waren, verabschiedete sich der Hacker kurz, da er noch ein paar Sachen besorgen wollte und in der Zeit wollte Andrew schnell unter die Dusche springen. Während das heiße Wasser auf ihn einprasselte, dachte er über das nach, was er zu Oliver gesagt hatte. Zugegeben… jetzt, da er sich wieder beruhigt hatte, sah er ein, dass er ziemlich ungerecht zu ihm war und vieles gesagt hatte, was nicht stimmte. Oliver hatte es doch viel schwerer gehabt in seiner Kindheit. Er hatte doch wegen seines schwachen Herzens nie draußen spielen dürfen mit den anderen Kindern und er hatte ständig mit der Angst leben müssen, dass er jederzeit sterben könnte. Und er hatte schon mit zwei Herzinfarkten im Krankenhaus gelegen. Oliver war doch genauso schwer depressiv gewesen, weil er dachte, sein Leben wäre beschissen und er würde eh nicht lange leben. Ich muss mich echt bei ihm entschuldigen, dachte sich Andrew und ärgerte sich zugleich, dass er so ungerecht zu Oliver war, obwohl dieser doch eigentlich nur helfen wollte, dass er sich endlich mal den Frust von der Seele reden konnte. Sicherlich ist er jetzt sauer auf mich, verdenken würde ich es ihm nicht nach dem, was ich ihm an den Kopf geworfen habe. Oh Mann, ich bin aber auch ein absoluter Idiot. Warum nur kann ich nicht ein Mal im Leben etwas richtig machen? Kapitel 5: Eine ausgelassene Party ---------------------------------- Nachdem Andrew sich umgezogen hatte, half er Oliver, ein paar Kartons in den Kofferraum des Wagens zu laden und gemeinsam fuhren sie los. Auf seine Frage, was da in den Kartons drin war, gab Oliver keine eindeutige Antwort. Er erklärte nur „Das sind ein paar Geschenke für meine Freunde. Ich muss dich aber warnen. Die sind absolut typische Teenies und haben nur Flausen im Kopf. Aber man kann echt Spaß mit ihnen haben.“ Teenager? Was waren das denn für Freunde von Oliver und wo hatte er sie denn kennen gelernt? Na, das würde er wahrscheinlich noch früh genug herausfinden. Er setzte sich auf den Beifahrersitz und als Oliver den Motor startete, ging die Fahrt los. Das Bowlingcenter, wo er sich mit seinen Freunden treffen wollte, erreichten sie nach knapp einer halben Stunde Fahrt und gleich schon am Eingang wartete eine Gruppe von knapp zwanzig Jugendlichen im Alter von 13 bis 18 Jahren und unterhielt sich angeregt. Zwei von ihnen saßen im Rollstuhl und sahen ein wenig mager und blass aus, schienen aber trotzdem bester Laune zu sein und es wurde laut und angeregt geredet. Als sie Oliver sahen, grüßten sie ihn lautstark und winkten ihm zu. Sogleich kam ein groß gewachsener Junge auf sie zu, der eine Strickmütze trug und der fast genauso viele Sommersprossen im Gesicht hatte wie Ridley. „Hey Olli, da bist du ja endlich. Wir warten schon alle auf dich. Wer ist denn dein Kumpel da?“ Sogleich legte Oliver eine Hand auf Andrews Schulter und erklärte „Das ist Andrew, mein Mitbewohner und ein alter Freund aus dem Waisenhaus. Ihr könnt ihn aber auch Andy nennen. Seid nett zu ihm, okay?“ „Schon klar! Hey Andy, hast du Lust, ne Runde zu bowlen? Du musst auf jeden Fall in unserem Team mitspielen. Marco ist ein absolutes As.“ „Hey“, rief ein bildhübsches Mädchen mit langen blonden Haaren und trat hervor, woraufhin sie den Jungen mit den Sommersprossen beleidigt ansah. „Das ist gemein, Tyler. Warum holt ihr euch immer die süßen Typen ins Team? Wenn Andy zu euch geht, dann holen wir uns Oliver.“ Ehe Andrew sich versah, war er auch schon in ein Team eingeteilt worden, obwohl die anderen ihn gar nicht kannten. Völlig überrumpelt folgte er der Gruppe, die sich bereits Plätze reserviert hatten und sich Getränke und Snacks bestellten. Als es darum ging, die Namen einzugeben, kam es schon zur ersten Blödelei, als sie sich teilweise völlig bescheuerte Spitznamen gaben und natürlich fielen dann auch immer wieder anzügliche Witze. Es war eine unbeschreiblich tolle Stimmung und alle hatten Spaß und es war so ansteckend, dass selbst Andrew nicht anders konnte, als zu lachen und ebenfalls Witze zu machen. Was das Bowlen selbst anging, so blieb kaum jemand wirklich ernst. Es gab viele unter ihnen, die nicht mal richtig bowlen konnten und deshalb eine niedrige Punktzahl hatten, aber es kam nicht einmal Frust auf. Die Verlierer nahmen es mit Humor und was zählte, war allein der Spaß. Andrew war überwältigt von dieser heiteren und ausgelassenen Partystimmung und obwohl die Jungs und Mädchen deutlich jünger waren als er, nahmen sie ihn in die Gruppe auf, als wäre er schon immer ein Teil davon gewesen und so verbrachten sie den ganzen Abend damit, zu bowlen, irgendwelche stumpfsinnigen aber dennoch witzigen Storys zu erzählen und anderen Quatsch nebenbei zu machen. Natürlich ließ es sich Oliver nicht nehmen, den Clown der Truppe zu spielen und beim Werfen der Kugel besonders lächerliche Posen einzunehmen, woraufhin die Gruppe in lautes Gelächter ausbrach. Als dann Bier ins Spiel kam, begannen sie fröhlich zu singen und einige tanzten ein wenig zur Musik. Schließlich setzte sich ein rothaariges Mädchen namens Ellie zu Andrew und sah ihn mit leuchtend blauen Augen an. „Du bist also ein guter Freund von Olli?“ „Ja, so in der Art. Wir sind im selben Waisenhaus aufgewachsen.“ „Ach so. Oh Mann, ich finde dich echt beneidenswert, dass du sein Mitbewohner bist. Ich wünschte, ich könnte auch bei ihm wohnen, oder mit ihm auf Reisen gehen. Er ist echt cool und bringt immer wieder Fotos von seinen Reisen mit und geht mit uns bowlen, zum Klettern oder in den Vergnügungspark. Erst letztens hat er uns alle zum Autorennen mitgenommen. Und Ridley hat uns auch schon mal eine Reise nach Hollywood spendiert.“ Also war Ridley auch ein guter Freund der Truppe. Andrew erinnerte sich noch, wie dieser gestern zu Oliver gesagt hatte, er solle die anderen grüßen und er hatte auch von Kindern gesprochen. Also waren damit die Teenies gemeint, mit denen Oliver sich im Bowlingcenter verabredet hatte. „Ich hoffe, du bleibst noch zur Party. Da wird es noch mal richtig lustig werden. Zumindest… wenn Tabitha und Zack nicht schon wieder herumknutschen so wie letztens.“ „Genau, nehmt euch ein Zimmer ihr beiden!!“ rief ein 15-jähriger mit dem Namen Richie und die anderen begannen beifallend zu jubeln. Andrew lachte, als Tabitha und Zack peinlich berührt da saßen und versuchten, die anderen zum Aufhören zu bewegen, aber es ließ sich nicht übersehen, dass die beiden hoffnungslos ineinander verschossen waren. Und kaum, dass die beiden nicht mehr im Mittelpunkt standen, setzten sie ihre Turtelei ungeniert fort. Teenager eben… Schließlich, als es langsam Abend wurde, beendeten sie die Bowlingaktion und machten sich auf den Weg zu einem Haus, welches Oliver angemietet hatte und wo die Party stattfinden sollte. Es war schon soweit alles vorbereitet und gemeinsam mit Andrew holte der Hacker die Kartons aus dem Kofferraum. Die anderen, die mit einem Bus hergekommen waren, da im Auto nicht genug Platz war, gingen schon mal ins Haus. „Warum hast du extra das Haus hier für die Party angemietet?“ „Na weil Harvey und Miranda im Rollstuhl sitzen und mein Haus nicht behindertengerecht eingerichtet ist. So einfach ist die Sache. So, dann komm mal mit. Die warten schon ganz ungeduldig.“ Die Kartons waren schon recht schwer und so erklärte sich der 18-jährige Nico bereit, ihnen beim Tragen zu helfen. Das Haus hatte eine Art großen Partyraum und die Beleuchtung stand auch schon. Musik wurde gespielt und ungeduldig warteten die anderen schon. Die Kartons stellte Oliver auf einen Tisch und öffnete den ersten. „So, damit wir auch ordentlich abfeiern können, brauchen wir was?“ „Na Stoff natürlich!“ riefen ein paar der Jungs und sogleich holte Oliver den Alkohol raus. Dabei handelte es sich nicht nur um Bier, sondern auch um härtere Sachen. Andrew glaubte nicht recht zu sehen, als der Hacker eine Wodkaflasche herausholte. Spinnt der jetzt total? Die meisten von ihnen sind ja noch nicht mal 18 Jahre alt, wieso zum Henker holt er ihnen Wodka? Andrew ergriff seine Hand und fragte „Geht’s noch, Alkohol an Minderjährige auszuschenken?“ „Nun mach dich mal locker, Andy. Die Kinder sind die Ausnahme! Zumindest ein paar von ihnen. Yo Jackie und Emma, ihr kriegt Bier und Sekt und teilt euch alles gut ein, ja? Für die Jungs hab ich auch noch was dabei.“ Und damit öffnete er den nächsten Karton und holte Erotikmagazine heraus, an denen sich auch der 13-jährige Leonard bediente. Bei dem Anblick fehlte Andrew jegliches Verständnis. Das war nicht mehr sorglos, das grenzte schon an Fahrlässigkeit und Unverantwortlichkeit. Doch was sollte er tun? Die Kinder hatten Spaß und die Party war bereits am Laufen. Sollte er jetzt wirklich den Spaßverderber spielen und Oliver aufhalten? Aber andererseits war das hier, was dieser Kerl da trieb, eindeutig illegal! Dafür konnte er Ärger mit der Polizei bekommen. Eine Hand legte sich schließlich um seine Schultern und er bemerkte, dass es Oliver war, der ihm eine Flasche Bier reichte und sogleich mit ihm anstieß. „Mach dich mal locker, Andy. Du machst ja ein Gesicht, als wäre gerade jemand gestorben.“ „Wie soll ich denn bitteschön locker werden, wenn du harten Alkohol an Minderjährige ausschenkst?“ „Keine Bange, ich weiß, was ich tue. In der Gruppe gibt es klare Regeln und es steht auch ganz klar fest, wer Wodka trinken darf und wer nicht.“ „Das sind Teenager, verdammt! Die halten keine Regeln ein und überhaupt: es sind gerade mal zwei von ihnen 18 Jahre alt und die anderen dürften nicht mal Bier trinken.“ „Jetzt entspann dich, trink erst mal was und dann feiere mit uns! Hör für einen Moment einfach mal auf, dich um das „wenn“ und „aber“ zu kümmern und vertrau mir einfach. Ich weiß, was ich da tue.“ Offensichtlich nicht, wenn du Wodka an Minderjährige gibst. Wie willst du denn bei einer 20-köpfigen Gruppe denn bitteschön die Übersicht bewahren und verhindern, dass es zum Vollrausch bei irgendjemandem kommt? Du bist nicht nur ein Blödmann, du bist einfach nur unverantwortlich! Andrew hielt sich ein wenig im Abseits, während die Party selbst langsam den absoluten Höhepunkt erreichte. Diejenigen, die im Rollstuhl saßen, wurden hochgehoben und mehrmals in die Luft geworfen, ein paar von den Teenies führten Tanzeinlagen auf und schließlich wurde sogar Karaoke gesungen. Auch Andrew wurde nicht verschont, als Ellie, Danny, Tabitha und Zack ihn geradezu aufforderten, auch eine Gesangseinlage zum Besten zu geben. Doch ihm war alles andere als wohl dabei und er versuchte zu protestieren und ihnen diese Idee schnell wieder auszureden. „A-aber ich kann doch nicht singen.“ „Keiner von uns kann das. Ist doch scheißegal. Hauptsache wir haben Spaß. Meinetwegen kannst du auch ein paar Passagen durch schweinische Begriffe ersetzen.“ Und so ließ sich Andrew eher widerwillig darauf ein und sang ein Mal „Tell Me I’m A Wreck“ von Every Avenue und als alles nach einer Zugabe schrie und er bereits sein zweites Bier getrunken hatte, sang er noch „Get Away With Murder“ und „Prom Night“ von Jeffree Star. Besonders beim zweiten Lied der Zugabe konnte er sich selbst vor Lachen kaum einkriegen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass er schon gut angeheitert war und allmählich seine anfänglichen Hemmungen abfielen. Er erntete tosenden Beifall und verbeugte sich tief wie ein Künstler, der mit seiner Show fertig war. Fröhlich grinsend gesellte er sich zu Oliver, der ihm die ganze Zeit zugeschaut und auch zu den Schuldigen gezählt hatte, die eine Zugabe gefordert hatten. „Du scheinst ja richtig Spaß zu haben, Andy.“ „Ja, ich kann es selbst nicht glauben. Es fühlt sich irgendwie ganz komisch an.“ „Kann auch vom Alkohol kommen. Aber die Nacht ist noch jung. Also mach mir jetzt bloß nicht schlapp.“ Schließlich gesellte sich Oliver zu den anderen und legte nun selbst eine Tanzeinlage ein. Er war ein verdammt guter Tänzer und gemeinsam mit Ellie begann er sogar diese lustige Choreographie aus dem Film „Pulp Fiction“ zu tanzen, wobei er die ganze Zeit so witzige Grimassen schnitt, dass alle in ein lautes Gelächter ausbrachen. Selbst Elli konnte nicht aufhören zu lachen, sodass sie sich kaum noch aufs Tanzen konzentrieren konnte. Andrew, der eher zu der zurückhaltenden Sorte gehörte, blieb meist ein wenig im Abseits, oder zumindest versuchte er es, denn dazu ließen es die anderen nicht kommen. Sie zogen ihn immer wieder in ihre Mitte, sodass er immer wieder zu spüren bekam, dass er ein Teil dieser Gruppe war. Als es immer später wurde und die meisten schon ein wenig erschöpft vom Tanzen waren, setzten sie sich auf die Sofas und Stühle, der Rest machte es sich einfach auf dem Boden bequem. Und dann holten ein paar von ihnen etwas hervor, was in der schlechten Beleuchtung wie Zigaretten aussah, sich aber als Joints herausstellte. Andrew, der schon ein wenig angeheitert war, reagierte nicht mehr ganz so heftig wie bei seiner Entdeckung vom Wodka, doch so ganz wohl war ihm nicht dabei. Als wäre der harte Alkohol nicht schon schlimm genug war, kamen jetzt auch noch Drogen ins Spiel? Das ging doch etwas zu weit, oder etwa nicht? Er zog an Olivers Ärmel, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. „Das sind doch wohl nicht wirklich Joints, oder?“ „Klaro! Tyler, Miranda, Harvey, Danny und Nico bringen bei Partys immer etwas von ihrem Stoff mit.“ „Aber das ist doch illegal!“ „Für uns nicht“, erklärte Danny und begann seinen Joint anzuzünden und nahm dann einen kurzen Zug, bevor er ihn weiterreichte. „Wir haben eine ärztliche Verordnung, also dürfen wir kiffen.“ „Eine ärztliche Verordnung? Das ist doch Blödsinn.“ „That’s fucking America!“ Und so wurden binnen kürzester Zeit Joints im Kreis herumgereicht und jeder nahm einen Zug. Auch Oliver verschmähte ihn nicht und reichte ihn schließlich an Andrew weiter. Doch dem war das nicht geheuer. „Entspann dich mal, Andy und sei kein Frosch. Klar ist so etwas nicht gesund, aber man kann auch mal Spaß haben.“ Also nahm Andrew einen tiefen Zug, bekam daraufhin sofort einen Hustkrampf, da er noch nie zuvor geraucht hatte und dementsprechend nicht daran gewöhnt war. Er nahm noch einen kurzen Zug hinterher und reichte dann den Joint an den nächsten weiter. „Und… was passiert jetzt?“ „Warten, bis es wirkt und dann mal sehen, wer den geilsten Trip von allen hat.“ Nachdem die Joints aufgeraucht waren, wurde die Stimmung ein klein wenig abgedreht, anders konnte man es nicht beschreiben. Einige feierten noch ausgelassener als zuvor schon, andere blieben sitzen und begannen über jeden Schwachsinn zu lachen und teilweise wirres Zeug zu reden. Und auch Oliver driftete zwischendurch ab und fragte Andrew „Weißt du was der Unterschied zwischen Stalaktiten und Stalagmiten sind? Ich verrate es dir: Stalaktiten sind weiblich, die Stalagmiten sind männlich… Woher ich das weiß? Stalaktiten hört sich irgendwie nach Titten an.“ Er prustete und konnte sich vor Lachen kaum einkriegen. Und obwohl das, was er eigentlich erzählte, absoluter Nonsens war, musste Andrew lachen und blieb auch nicht von den Wirkungen verschont. „Und weißt du was? Ich hab den ganz argen Verdacht, dass der König im Walt Disney Film „Cinderella“ ein schwules Verhältnis mit seinem Diener hat.“ „Stimmt, jetzt wo du es sagst… Die waren ja sogar schon im Bett…“ Es wurde viel Blödsinn erzählt, aber niemanden kümmerte es großartig. Sie alle hatten ihren Spaß und Andrew hatte alle seine Sorgen und Selbstzweifel längst vergessen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er wirklich Spaß, ohne gleich schon wieder in irgendwelche Ängste und Zweifel zu geraten. Schließlich aber rief Ellie „Hey Olli, hast du die Ware dabei?“ „Die Kartons liegen auf dem Tisch da.“ Elli ging zusammen mit den anderen zu dem letzten Karton hin und öffnete ihn. Und daraufhin nahmen fast alle Mädchen ihre Haare ab. Andrew dachte zuerst, es würde an dem Joint liegen und er hätte irgendwelche Halluzinationen, aber dann sah er ganz eindeutig, dass Ellie, Miranda und die anderen Mädchen außer Emma Perücken trugen und kahlköpfig waren. Und nun begannen sie einfach damit, aus den Kartons neue Perücken zu holen, sie aufzusetzen und untereinander auszutauschen. Irritiert sah er in die Runde und fragte „Wieso haben die keine Haare, Oliver?“ „Ellie und die anderen sind in der Chemotherapie und da kommt es oft vor, dass dabei die Haare ausfallen.“ So ganz war der Groschen bei Andrew allerdings nicht gefallen, was aber auch daran lag, weil er schon angetrunken war und zudem noch ein klein wenig zugedröhnt war. Oliver entschuldigte sich kurz bei der Gruppe und ging mit Andrew nach draußen ein wenig frische Luft zu schnappen. Und die kühle Brise half dem 25-jährigen, wieder zu Sinnen zu kommen und so fragte er „Wieso sind die denn in der Chemotherapie? Sind sie krank?“ „Alle in der Gruppe sind krank, die meisten sogar unheilbar. Ellie hatte einen Hirntumor und leider haben sich schon Metastasen in ihrem Körper gebildet, weshalb sie diese Therapie machen muss. Emma hat eine HIV-verseuchte Injektion bekommen und ist an AIDS erkrankt, die anderen sind entweder auf Knochenmark- oder Organspenden angewiesen, oder haben andere Krebserkrankungen. Einige von ihnen haben nur noch ein paar Monate zu leben. Die beiden Rollstuhlfahrer Harvey und Miranda, die du kennen gelernt hast, leben bereits im Hospiz.“ „Aber… sie wirken alle so glücklich und unbeschwert. Sie lachen zusammen und wirken gar nicht danach, als wären sie unheilbar krank.“ „Weil sie das Beste aus der Zeit machen wollen, die ihnen noch verbleibt. Und eben weil einige von ihnen nur noch ein paar Monate leben, besorge ich ihnen auch härteren Alkohol oder andere Sachen, für die sie noch zu jung sind. Und wenn Ridley es einrichten kann, spendiert er den Kindern auch mal die eine oder andere Reise im Privatjet seines Vaters. Weißt du Andy, diese Kinder haben schwere Schicksalsschläge erlitten und sie standen genauso wie ihre Familien vor der quälenden Angst vor dem bevorstehenden Tod. Ich kann auch leider nichts an der Tatsache ändern, dass sie sterben werden. Aber ich kann ihnen zumindest helfen, die restliche Zeit zu genießen, die sie noch haben, damit sie glücklich sterben können. Ich habe es mir zum Ziel gemacht, Menschen zu retten und das kann man über zwei Möglichkeiten: erstens vor dem Tod selbst und dann einmal vor dem inneren Tod. Ridley und ich haben auch eine Stiftung eingerichtet, in der auch die Kosten für die Chemotherapien für Kinder übernommen werden, wenn die Eltern nicht das Geld dafür aufbringen.“ „Und wie finanzierst du das alles überhaupt?“ „Meine Hobbys finanziere ich durch meine Patente und die Anteile, die ich am Konzern habe. Die Aktionen mit den Hospizkindern leiste ich mir durch meine Arbeit als „The Operator“. Weißt du, wenn ich irgendwelche Betrüger auffliegen lasse, die im großen Stil arbeiten, betrüge ich sie selber noch mal um eine gewisse Summe.“ Als Andrew das hörte, sah er ihn fassungslos an und schüttelte den Kopf. Was Oliver da machte, war kriminell! „Das ist doch illegal. Was, wenn L davon erfährt?“ „Er weiß es schon längst. Aber er drückt ein Auge zu, weil er weiß, dass das Geld für wohltätige Zwecke ist. So kann ich mir meine Hobbys leisten und gleichzeitig habe ich genug Geld auf der Kante, um den Kindern ihre letzten Wünsche zu erfüllen.“ Andrew musste sich erst einmal setzen und war absolut sprachlos. Er hätte ja vieles erwartet, aber so etwas nun wirklich nicht. All die Teenies, die da drin so ausgelassen feierten und mit denen er bis gerade noch so unbeschwert gelacht hatte, waren alle schwer krank und manche von ihnen würden bald sterben? Und Oliver engagierte sich neben seiner Arbeit auch noch für schwer kranke Teenager und lachte gemeinsam mit ihnen und alberte mit ihnen herum, obwohl sie so schwere Schicksalsschläge erlitten haben. Irgendwie hatte ich ihn immer für einen absoluten Vollspinner und Chaoten gehalten, aber in Wahrheit ist er echt unglaublich. Er kümmert sich um die Kinder, um ihnen ihre Lebensfreude zurückzugeben und er hilft jenen, die kein Geld für eine Therapie haben. „Wie bist du denn auf die Idee gekommen?“ „Elijah hat damals dasselbe getan und sowohl mir als auch Ridley geholfen. Und ich möchte dasselbe tun, eben weil ich jetzt nicht der wäre, der ich jetzt bin, wenn Elijah damals nicht gewesen wäre. Wahrscheinlich wäre ich entweder tot, oder ich wäre immer noch so unglücklich und depressiv wie damals.“ Irgendwie habe ich Oliver komplett falsch eingeschätzt. Alles, was er tut, macht er, um anderen zu helfen und dabei ist es ihm vollkommen egal, ob es legal ist oder nicht. Er macht einfach das, was ihm gut tut, weil er das Leben so leben will, wie er es für richtig hält, ohne sich dabei nach irgendjemandem richten zu müssen. Im Grunde ist er vollkommen frei und unabhängig. Wirklich beneidenswert. Andrew, der langsam merkte, dass er müde wurde, legte seinen Kopf auf Olivers Schulter ab. „Irgendwie beneidenswert. Bei dir wirkt immer alles so einfach, dabei muss es doch harte Arbeit sein, deine Hobbys, deine Arbeit und diese Kinder unter einem Hut zu bringen. Vor allem, weil ich ja jetzt auch noch dazu komme, oder?“ „Es wirkt so einfach, weil ich mich in der Hinsicht gut zu organisieren weiß und weil mir all das Spaß macht und ich es nicht direkt als Arbeit ansehe. Zwar kann ich im Haushalt keine Ordnung halten, aber was meine Tagesabläufe angeht, so bin ich ziemlich gut durchstrukturiert und kann schon alles unter einen Hut bringen. Ich wünsche mir für dich, dass du öfter so lachen kannst wie vorhin und auch deine Freude am Leben zurückgewinnst. Selbst wenn du todkrank bist, kannst du glücklich sein. Es sind einfach die kleinen positiven Dinge im Leben, die uns bereichern. Und selbst wenn es nur eine gut schmeckende Tasse Kaffee am Morgen ist. Wichtig ist nur, dass man niemals aufhören darf, nach dem Glück zu streben. Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen. Aber ein Werdender wird immer dankbar sein.“ „Und schon wieder zitierst du Faust.“ Oliver schmunzelte und legte einen Arm um ihn. Sie saßen da auf der Bank, während drinnen noch gefeiert wurde und irgendwie war die Atmosphäre mit einem Male ganz anders. Andrew wusste nicht, ob es von dem Marihuana oder vom Alkohol her kam, aber als er so seinen Kopf auf Olivers Schulter abgelegt hatte, fühlte er mit einem Male eine innere Ruhe. Als hätten sich das Gefühlschaos und alle Ängste und Zweifel in Luft aufgelöst. Oliver strahlte so eine Ruhe aus und Andrew konnte nicht verleugnen, dass er fasziniert von diesem Menschen mit den vielen verborgenen Talenten und Geheimnissen war. Langsam legte sich seine Hand auf Olivers und er spürte, wie warm sie eigentlich war. Es fühlte sich gut an, diese Hand zu halten und am liebsten wäre Andrew noch eine Weile so geblieben. Einfach nur deshalb, weil diese stille Nähe zu Oliver so angenehm war und ihm dieses seltsame Gefühl gab, welches er nicht genau beschreiben konnte. Es war so… so anders und fremd. Das müssen die Drogen sein, dachte er und rieb sich die Augen. Oliver stand schließlich auf und half ihm wieder hoch. „Na komm, gehen wir wieder zu den anderen zurück, bevor die uns noch das ganze Haus zerlegen. Die Party ist sowieso bald zu Ende und dann gehen wir beiden auch nach Hause.“ „Du bist echt ein toller Mensch, Oliver“, sagte Andrew und folgte ihm zurück ins Haus. „Tut mir leid, was ich dir heute Mittag an den Kopf geworfen habe. Ich war ungerecht zu dir, dabei ging es dir damals viel schlechter als mir.“ „Schon gut, ich bin dir auch nicht nachtragend. Als Elijah mich damals so auf die Palme gebracht hat, da habe ich ihm sogar eine reingehauen. Ich bin ja schon froh gewesen, dass du mir keine geklebt hast.“ Kapitel 6: Vorsichtige Annäherung --------------------------------- Als die Party vorbei war und die Kinder entweder nach Hause zu ihren Familien oder zurück ins Hospiz gebracht wurden, machten sich Oliver und Andrew auf den Weg nach Hause. Während sie im Auto saßen, war Andrew die meiste Zeit dabei, Süßes zu essen und fragte irgendwann „Ist es eigentlich normal, dass ich irgendwie jetzt plötzlich Heißhunger auf Süßes kriege?“ „Ja, das ist ein Nebeneffekt von den Drogen, ist also ganz harmlos. Es sei denn natürlich, du hast plötzlich Heißhunger auf saure Gurken.“ Der Rothaarige sah ihn verwirrt an und fragte „Und wieso? Ist das irgendwie gefährlich?“ „Nee, aber es bedeutet dann vielleicht, dass du schwanger sein könntest.“ So ein Spaßvogel, dachte Andrew und schüttelte den Kopf. „Kannst du auch ein Mal ernst sein?“ „Ich bin ernst, wenn es die Umstände erfordern. Aber ich muss dich schon loben! Die Kinder waren echt begeistert von dir und wollen dich beim nächsten Mal unbedingt wieder dabei haben. Ablehnen kannst du übrigens nicht, ich hab in deinem Namen schon fest zugesagt für das nächste Treffen.“ Wenn Andrew ehrlich war, dann würde er tatsächlich gerne wieder in der Gruppe dabei sein. Doch irgendwie konnte er den Gedanken einfach nicht loslassen, dass die Kinder allesamt krank waren einige von ihnen bald sterben würden. Das war echt hart, vor allem, wenn er an den 13-jährigen Leonard dachte. Wie sollte er damit am besten umgehen? Wie sollte er sich denn vor den anderen verhalten? Als könnte Oliver seine Gedanken lesen, fragte er „Du denkst an das, was ich dir erzählt habe, oder?“ „Natürlich. Ich meine, die sind noch so jung und schon todkrank. Das ist eben schlimm. Wie… wie soll ich ihnen da gegenübertreten?“ „Behandle sie einfach so wie heute, als du sie kennen gelernt hast. Als normale Teenager, die einfach nur Spaß am Leben haben wollen. Sie werden oft genug mit dem Tod konfrontiert und das Letzte, was sie wollen, ist Mitleid oder wie rohe Eier behandelt zu werden. Die Zeit, die Ridley und ich mit ihnen verbringen, gehören zu den wenigen schönen Momenten in ihrem Leben, wo sie die schmerzhaften Therapien und trostlosen Krankenhausaufenthalte vergessen können.“ Trotzdem stellte sich Andrew das nicht ganz so einfach vor, solch eine schreckliche Tatsache einfach so auszublenden und er fragte sich, wie Oliver die Kraft aufbringen konnte, für die Kinder da zu sein und so unbeschwert sein zu können, wenn manche von ihnen so oder so bald sterben würden. Vielleicht, weil er es einfach ausblendete und von diesem starken Wunsch angetrieben wurde, ihnen zu helfen. Er ist so ein guter Mensch, dachte Andrew und starrte mit einem melancholischen Blick aus dem Fenster in die dunkle Nacht. Ich habe echt großes Glück, bei ihm zu leben. Er kümmert sich um mich und die Kinder und er weiß immer Rat. Selbst als ich ihm so gemeine Sachen gesagt habe, hat er es mir nicht übel genommen und zeigt Verständnis. Ganz anders als James… Ich wünschte, ich könnte auch diese Stärke aufbringen und all diesen Kummer einfach von mir halten und sagen, dass es mir egal ist, was andere von mir denken. Im Grunde ist Oliver doch genau das, was ich mir selber immer gewünscht habe zu sein, nicht wahr? Ich wollte genauso frei sein und einfach nur das machen, was mir gerade Spaß macht und mich nicht um Watari, Roger und all die anderen Menschen scheren, die meinen, sie könnten mir sagen, wer ich zu sein habe und wer nicht. Wie gerne würde ich mir das Leben genauso einfach machen wie er und einfach sagen „Scheißegal was ihr wollt, ich mach mein eigenes Ding.“ Im Grunde war ich doch deswegen so sauer in der Kletterhalle und bin auf ihn losgegangen. Einfach deshalb, weil ich im tiefsten Grunde meines Herzens eifersüchtig auf ihn bin, weil er das erreicht hat, was ich mir selber gewünscht habe. Als sie endlich wieder zuhause waren, wollte Andrew aussteigen, doch da merkte er, wie ihn endgültig die Kraft verließ und sich alles um ihn herum drehte. Ihm war ganz schummrig und er musste sich wieder hinsetzen. Oliver stieg aus und ging ums Auto herum zu ihm hin. „Hey, geht es dir nicht gut?“ „Mir ist schwindelig…“ „Warte, ich helfe dir.“ Oliver half Andrew auf die Beine und nachdem er die Wagentür geschlossen hatte, nahm er den Rothaarigen kurzerhand einfach auf seinen Rücken und trug ihn ins Haus. „Bin ich dir nicht zu schwer?“ „Machst du Witze? Du könntest locker ein paar Kilo mehr vertragen, wenn du mich fragst.“ Unglaublich, wie leicht er mich tragen kann, obwohl ich nur ein paar Zentimeter kleiner bin als er. Mit Sicherheit liegt es daran, weil er so sportlich ist, ganz im Gegensatz zu mir. Während Oliver mit ihm auf den Rücken die Treppen hochging, hielt sich Andrew an ihn fest und fühlte sich irgendwie seltsam, als er ihm so nahe war. Sein Herz klopfte wie verrückt und es fühlte sich angenehm an, sich an ihm festzuhalten. Er vernahm den leichten Geruch der Zigarette, die Oliver vorhin geraucht hatte und den Duft seines Haares. Bin ich jetzt irgendwie verrückt geworden, oder sind das bloß der Alkohol und die Drogen, dass mein Verstand jetzt so herumspinnt? Doch trotzdem schlangen sich seine Arme fester um Oliver und dieser blieb erstaunt stehen. „Alles okay bei dir? Ist dir irgendwie schlecht?“ „Ich weiß nicht… irgendwie… ist mir so komisch zumute.“ „Vielleicht sind das noch Nachwirkungen von dem Joint. Schlaf dich erst einmal in Ruhe aus, dann sehen wir weiter.“ Schließlich erreichten sie Andrews Zimmer und Oliver setzte ihn vorsichtig auf dem Bett ab, dann wandte er sich zum Gehen. Doch er sollte noch nicht gehen. Andrew wollte nicht alleine bleiben und so hielt er ihn am Arm fest. Er musste in diesem Moment wirklich verzweifelt ausgesehen haben, als er Oliver in die Augen schaute und ihn anflehte „Bitte lass mich nicht allein…“ Der 26-jährige Hacker lächelte liebevoll und nahm ihn in den Arm. „Schon gut. Wenn es dir hilft, dann bleibe ich solange bei dir.“ Andrew konnte sich selbst nicht erklären, wieso er auf einmal so reagierte. Aber er brauchte jetzt einfach diese Nähe zu jemandem. Nein… nicht zu irgendjemandem, sondern zu Oliver. Als sie so gemeinsam im Bett da lagen und er diese sanfte und beruhigende Umarmung spürte, da kamen ihm die Tränen. „Warum muss ich immer nur solches Pech haben und mich ständig in die falschen Männer verlieben? Vielleicht liegt es einfach daran, dass es von Grund auf schon falsch ist, überhaupt einen anderen Mann zu lieben.“ „Sag so etwas nicht. Die Frauen sind meist auch nicht besser. Glaub mir, irgendwann findest du schon den Richtigen und du weißt, dass ich immer für dich da bin, um dir zu helfen.“ Doch diese Worte zu hören, machte alles nur noch schlimmer bei Andrew und er drückte sich fest an Oliver. „Ist es denn so falsch, sich zu wünschen, einfach nur geliebt zu werden? Ist das nicht irgendwie selbstsüchtig?“ „Klar ist es das. Jedes Lebewesen ist selbstsüchtig und niemand bildet eine Ausnahme. Wer behauptet, durch und durch selbstlos zu sein, der ist ein schamloser Lügner. Und ich bin ebenfalls selbstsüchtig. Aber selbstsüchtig zu sein heißt noch lange nicht, dass man ein schlechter Mensch ist. Denn ein gewisses Maß an Selbstsucht ist sogar gut, denn das bedeutet, dass wir uns an das Leben klammern und es wertschätzen. Wer nie an sich selbst denkt, der kann sich kein Leben aufbauen, geschweige denn überhaupt überleben. Jede Aktion, jeder Wunsch für uns selbst ist eine Form der Selbstsucht. Wenn wir arbeiten und Geld verdienen, tun wir es in erster Linie allein für uns selbst und wenn wir uns etwas kaufen oder kochen, dann ist es auch Selbstsucht. Ohne ein gewisses Maß an Selbstsucht würde keiner von uns überleben. Und dass du dich nach der Liebe von anderen Menschen sehnst, ist selbstsüchtig, aber deshalb nicht verkehrt. Es ist ganz natürlich, dass man sich danach sehnt, von irgendjemandem geliebt zu werden.“ „Ich fühl mich so alleine“, schluchzte Andrew und vergrub sein Gesicht in Olivers Shirt. „Ich habe Angst davor, ganz alleine zu sein und dann nichts und niemanden mehr zu haben. Damals… in diesem einen Waisenhaus… da habe ich all meine Freunde verloren und die Menschen, die wie eine Familie für mich waren. Sie alle sind getötet worden und ich hatte niemanden mehr. Ich hab so entsetzliche Angst davor, dass es wieder passieren könnte.“ Tröstend strich Oliver ihm über den Kopf und spürte, wie Andrew am ganzen Körper zitterte. Dass sein alter Bekannter ein schweres Trauma erlitten hatte, davon hatte er ja schon gehört gehabt. Andrew hatte als einziger das Massaker im Norington Waisenhaus überlebt und seitdem mit seinen Depressionen und Selbstzweifeln zu kämpfen. Offenbar hat er nicht nur ein extrem geringes Selbstwertgefühl, sondern auch tief verborgene Verlustängste, dachte Oliver und schwieg, während er den aufgewühlten 25-jährigen tröstete. Irgendwie kann ich ihn schon verstehen. Immerhin wurde meine Familie auch vor meinen Augen umgebracht. Und hätte L den Eyeball-Killer damals nicht aufgespürt und von der Polizei festnehmen lassen, dann wäre ich auch umgebracht worden. Kein Wunder, dass ihn das so sehr verfolgt. Ich habe mir auch lange Zeit eingeredet, dass ich es nicht verdient habe zu leben. Vor allem nicht mit diesem schwachen Herzen. Aber Elijah hatte mir das Gegenteil bewiesen und jetzt muss ich für Andrew da sein und ihm klar machen, dass er so nicht weitermachen kann. Sonst wird er niemals glücklich werden. Ihre Blicke trafen sich schließlich und Oliver wischte Andrew eine Träne weg. „Hör mir gut zu, ja? Du darfst niemals, nicht einmal für eine Sekunde denken, dass du es nicht verdient hast, zu leben oder glücklich zu werden. Eben weil du so viel Glück gehabt und überlebt hast, darfst du dich nicht selber aufgeben. Dein Leben ist nicht weniger Wert als das von anderen und es ist ein Geschenk. Jeder Tag den du lebst, ist ein Geschenk und du hast wie jeder andere Mensch ein Recht darauf, glücklich zu werden. Lass dir niemals etwas anderes einreden.“ „Warum bist du nur so gut zu mir? Niemand hat mir jemals so etwas gesagt, warum ausgerechnet du?“ „Na weil du mir viel bedeutest, auch wenn du es nicht weißt. Und eben weil es dir niemand zuvor gesagt hat, will ich es dir sagen, weil ich will, dass du weißt, dass du ein ganz besonderer Mensch bist. Wenn schon nicht für andere, dann auf jeden Fall für mich.“ Obwohl man in der Dunkelheit nicht viel erkennen konnte, so war zumindest zu erahnen, dass Andrew rot im Gesicht wurde, als er das hörte. Hatte er da gerade richtig gehört und er war etwas Besonderes für Oliver? Sollte das etwa bedeuten, dass… nein, das ist doch völliger Quatsch. Oliver hatte doch bis jetzt nur Frauengeschichten gehabt, wenn er richtig hingehört hatte. Da hatte er doch kein Interesse an Männern. „Wie… wie meinst du das?“ „Na wie wohl?“ „Ja aber… du liebst doch Frauen, oder etwa nicht?“ „Das auch, ich bin bisexuell. Ich habe sowohl an Frauen als auch an Männern Interesse. Je nachdem, wo die Liebe gerade hinfällt.“ „Warst du überhaupt schon mal mit einem Mann zusammen?“ „Ja, aber das ist schon Jahre her. Und mit den Frauen waren es nur recht kurze Affären. Meine Beziehungen sind allesamt immer gescheitert. Aber das ist nun mal das Leben. Beziehungen beginnen, Beziehungen enden. Sie kamen nie mit meiner Lebenseinstellung zurecht, nannten mich einen hoffnungslosen Spinner und einen Chaoten.“ Zugegeben, dass du ein Chaot und in gewisser Hinsicht auch ein Spinner bist, das stimmt ja auch. Aber sich deswegen einfach so trennen, obwohl du doch so viele Qualitäten hast? Du kannst wunderbar kochen, du bist gebildet und du hast viel erlebt. Und du hast ein großes Herz… „Wenn sie dich deswegen verlassen haben, können sie dich doch nicht wirklich geliebt haben, oder?“ „Kann schon sein. Aber es gehört leider auch zur Liebe dazu, dass jemandem mal das Herz gebrochen wird. Man darf sich nur nicht unterkriegen lassen, das ist alles.“ Irgendwie komme ich mir gerade so vor, als wäre Oliver wesentlich älter als ich. Als hätte er schon doppelt so lange gelebt. Aber womöglich liegt es ja daran, weil er mehr Lebenserfahrung hat als ich, der ich zehn Jahre isoliert in einem Institut gelebt habe. Irgendwie habe ich das Gefühl, als würde er alles wissen und können. Warum nur habe ich ihn schon nicht damals viel früher wahrgenommen? Er wirkte damals wie ein absoluter Versager, der niemals etwas ernst genommen hat und der sich einen Dreck um alles schert. Dabei habe ich mir nie die Mühe gemacht, ihn näher kennen zu lernen und zu hinterfragen, was wirklich hinter diesem Verhalten steckt und was er selber durchgemacht hat. Und jetzt hält er mich im Arm und versucht alles, damit es mir besser geht, dabei habe ich ihm damals nie Beachtung geschenkt und nur Augen für meine Probleme gehabt. Wieder schaute er in Olivers Augen und irgendwie kamen sie ihm so wunderschön und vertraut vor. Er strahlte so eine unerschütterliche Ruhe aus… Andrew vergaß in diesem Moment völlig seine ganzen Gedanken, Ängste und Sorgen und ehe er sich versah, küsste er Oliver. Es war ein vorsichtiger und einfacher Kuss und doch fühlte es sich so angenehm an. Doch der gebürtige Ire erwiderte den Kuss nicht, er hielt sich zurück und sah Andrew fragend an. Doch dieser sagte nichts, sondern küsste ihn erneut und schlang seine Arme um ihn. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten und obwohl er selber nicht so ganz verstand, was da mit ihm los war, wollte er nicht aufhören. Und dann erwiderte Oliver endlich seinen Kuss, aber auch nur kurz, denn da drückte er Andrew sanft von sich, um ihm in die Augen zu sehen. „Verstehe mich nicht falsch, Andy. Ich will nicht, dass du jetzt etwas Unüberlegtes tust, was du später bereust. Ich weiß, dass du Beyond liebst und da möchte ich nicht, dass du dir selbst Kummer machst, indem du etwas tust, was du später vielleicht als Fehler ansehen könntest.“ „Ich dachte, du hättest Gefühle für mich.“ „Natürlich, aber ich will dich zu nichts drängen und dir das Gefühl geben, du müsstest das hier jetzt unbedingt tun. Und ich möchte auch nicht, dass du am nächsten Morgen etwas bereust, weil du wegen dem Alkohol und der Drogen dich zu irgendetwas hast hinreißen lassen, was du eigentlich nicht wolltest und wofür du dich schämen könntest. Wenn du es unbedingt tun willst, dann auch von ganzem Herzen und weil allein du es willst und nicht, weil du dich irgendwie gezwungen siehst.“ Er ist so rücksichtsvoll und denkt gar nicht daran, seine eigenen Wünsche durchzusetzen. Stattdessen will er sich für mich zurücknehmen, weil er nicht will, dass ich irgendetwas bereuen oder Angst haben könnte, ihn zu verletzen. Warum nur habe ich nicht schon viel früher gesehen, was für ein Mensch er ist? Warum haben wir uns nicht schon viel früher kennen gelernt? „Ich… ich will dir nahe sein, Oliver. Und nicht irgendjemand anderem.“ „Gut, dann musst du auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen.“ Ein einfaches Nicken kam zur Antwort und so war es Oliver, der ihn küsste. Er war vorsichtig und noch ein wenig zögerlich, wohl weil er Andrew noch die Chance geben wollte, alles sofort abzubrechen, wenn er es sich anders überlegen sollte. Doch dieser erwiderte sofort den Kuss und schlang seine Arme um ihn. Eine Weile lagen sie so da, bis eine Hand langsam unter Andrews Shirt wanderte und dieses schließlich hochschob. Zärtlich strich Oliver über diese blasse Haut, wo noch schwach die blauen Flecken seiner letzten grausamen Misshandlung von Dr. Brown zu sehen waren. Sanft küsste er diese Stellen und strich über Andrews Brust. Dieser machte keine Anstalten, ihn zurückzuweisen und ließ ihn einfach gewähren. Stattdessen bemerkte er, wie ihm etwas benommen wurde. Ob es an seinem etwas berauschten Zustand lag, konnte er nicht hundertprozentig ausschließen, denn irgendwie wurde ihm auf einmal so heiß zumute und in seinem Körper war plötzlich so ein leichtes Kribbeln. Oliver ging sehr behutsam vor und als er damit begann, Andrews Hals zu liebkosen, da begann dem 25-jährigen das Herz zu rasen und er spürte deutlich, wie er im Gesicht glühte. Es fühlte sich so anders an, als wenn Dr. Brown so etwas mit ihm gemacht hatte. Vielleicht, weil er immer so grob vorging und Spaß daran hatte, sein Opfer leiden zu sehen? Oder lag es einfach daran, weil Andrew sich immer dagegen gesträubt hatte, von ihm so berührt zu werden, weil es ihm unangenehm war? Ja, das musste es wohl sein. Er hatte sich dem Willen von Dr. Brown gefügt, weil er damals keine andere Wahl hatte und weil er sonst nirgendwo hingehen konnte, um vor ihm zu fliehen. Und im Laufe der Jahre war dann dadurch diese Abhängigkeit zustande gekommen. James hat sich nie um meine Gefühle gekümmert und mich immerzu zusammengeschlagen, erniedrigt und grausam bestraft, wenn ich ihm nicht gehorcht habe. Aber bei Oliver ist es ganz anders. Er will mich nicht verletzen und tut so viel für mich, damit es mir besser geht und ich wieder lachen kann. Ich habe wirklich Glück, dass ich jetzt hier bin und dass ich auf Frederica gehört habe, als sie mich bat, ein allerletztes Mal das Institut zu verlassen. Ob sie irgendetwas gewusst hat, dass ich hier bei Oliver landen würde? Sie hatte doch gesagt, dass ich mein Glück finden werde, wenn ich gehen würde. Tja… das werde ich wohl nicht so schnell erfahren. Aber sie hatte schon immer so ein gewisses Gespür gehabt. Sonst hätte sie ja nicht gewusst, dass ich auch Beyond wiedertreffen und mich mit ihm aussprechen würde. Wäre sie nicht so hartnäckig geblieben, wäre ich jetzt wahrscheinlich immer noch bei Dr. Brown und würde von ihm geschlagen oder vergewaltigt werden. Im Grunde ist Oliver doch das Beste, was mir jetzt passieren konnte. Oder etwa nicht? Als er spürte, wie da Olivers Zunge seine Brustwarzen umspielte, bekam Andrew eine Gänsehaut und ein intensives elektrisierendes Kribbeln durchfuhr seinen Körper. Er atmete schwerer und war überwältigt von der immer weiter wachsenden Erregung, die er kaum verbergen konnte. „Andy…“ Der 25-jährige hob den Kopf und sah Oliver an, der ihm zärtlich über die Wange streichelte. „Wenn du es nicht magst, musst du es mir sagen, ja? Du brauchst dich nicht meinetwegen zurücknehmen.“ „Okay…“ Damit machte der Hacker weiter und erforschte weiterhin Andrews Körper. Dieser hatte seinen Kopf ins Kissen gelegt und hatte das Gefühl, es würde sich alles um ihn herum drehen. Ihm war so heiß und schwindelig zumute und gleichzeitig fühlten sich Olivers Berührungen so überwältigend gut und intensiv an. Wann hatte er sich denn das letzte Mal so gefühlt? Vor zehn Jahren vielleicht, als er mit Beyond geschlafen hatte? Vielleicht, aber so wirklich sicher war er sich da nicht. Denn irgendwie verband er mit diesen Erlebnissen immer unangenehme Erinnerungen und ein schlechtes Gewissen. Immerhin hatte er mit Beyonds Gefühlen gespielt und ihn als Ersatz für L benutzt, auch wenn sie beide wussten, dass das eine absolut bescheuerte Idee gewesen war. Aber hier war es ganz anders, zumindest glaubte Andrew das. Denn er sah Oliver nicht als Ersatz für jemand anderen und es fühlte sich auch nicht unangenehm an, wenn er ihn so berührte. Es fühlte sich gut an… Langsam wanderte Olivers Hand seinen Körper hinunter, sanft küsste er seinen Bauchnabel, strich über seine Taille und dann begann er damit, Andrews Hose aufzuknöpfen. Und da durchfuhr den 25-jährigen ein leiser Schreck und er geriet kurz in Panik. Nicht etwa, weil er es nicht wollte, sondern weil die Erinnerung wieder so präsent war. Die Erinnerung daran, wie schmerzhaft es jedes Mal mit Dr. Brown war und wie er ihn angefleht hatte, damit aufzuhören und ihm nicht mehr wehzutun. Oliver bemerkte seine Reaktion und hielt inne. „Willst du es nicht?“ Andrew schüttelte den Kopf und wich seinem Blick aus. „Nein, es ist nur… ich habe bloß Angst. Die letzten zehn Jahre waren nicht gerade angenehm gewesen. Und… es hat immer sehr wehgetan.“ „Okay, dann pass ich besonders auf.“ Und diese Worte schienen zu genügen, dass Andrews anfängliche Angst wieder wich und er Oliver deshalb weitermachen ließ. Kapitel 7: Tiefe Gefühle ------------------------ Oliver streifte Andrews Hose ab und bevor der 25-jährige überhaupt reagieren konnte, ließ der gebürtige Ire sein bestes Stück in seinen Mund gleiten. Eine irrsinnige Welle der Lust und Erregung überkam ihn und er stöhnte laut auf, während sich seine Hände ins Bettlacken verkrallten. Er rang nach Luft und das Herz hämmerte wild in seiner Brust. Es war so überwältigend und intensiv, dass er es kaum in Worte fassen konnte und ihm wurde völlig benommen. Sein Körper zitterte und er presste eine Hand auf seinen Mund, um irgendwie eine Möglichkeit zu finden, seine Stimme zu unterdrücken. Doch da sagte Oliver bloß „Du brauchst deine Stimme nicht zurückzuhalten. Außer uns ist niemand hier und selbst wenn du laut schreien würdest, könnten dich die Nachbarn nicht hören.“ „Ich… ich mag es nur nicht, meine eigene Stimme zu hören.“ „Ach was, du hast eine schöne Stimme. Und man muss sich doch nicht dafür schämen.“ Du bist auch immer so unkompliziert in der Hinsicht, oder? Selbst wenn du es mit jemandem in der Öffentlichkeit machen würdest, das würde dich auch nicht großartig kümmern, nicht wahr? Deine Nerven hätte ich gerne. Trotzdem versuchte Andrew, seine Stimme irgendwie zurückzuhalten und biss sich auf die Unterlippe, als Oliver weitermachte und jetzt sogar etwas energischer vorging, da von Seiten seines Mitbewohners keinerlei Proteste oder Zurückweisungen kamen. Ihm wurde unbeschreiblich heiß zumute und ihm war, als würde sein Körper dahinschmelzen. So intensiv hatte es sich noch nie angefühlt und es bereitete ihm auch ein wenig Angst, weil er kaum noch klar denken konnte und dabei war, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren und im schlimmsten Fall völlig wehrlos zu sein. Und als sich dieses atemberaubende Gefühl so weit steigerte, dass es kaum auszuhalten war, da wurde ihm klar, dass er es nicht mehr lange schaffen würde und so versuchte er, Oliver wegzudrücken. „O-Oliver… hör auf, ich… ich kann nicht mehr…“ Doch der 26-jährige Hacker konnte sich jetzt nicht mehr zurückhalten. Er überhörte Andrews Worte und machte weiter. Für den ein Jahr jüngeren Engländer war es kaum noch ertragen und er stöhnte laut. Sein Körper glühte, als würde das Blut in seinen Adern kochen und mit unglaublicher Kraft pulsieren. Es wurde so stark, dass es schon fast schmerzhaft war und Andrew wusste, dass er gleich nicht mehr die nötige Kraft aufbringen würde, um es zurückzuhalten und so versuchte er mit dem letzten bisschen seiner verbliebenen Energie, Oliver wegzudrücken. „Ernsthaft Oliver, ich… ich kann gleich nicht mehr.“ „Schon gut, lass es einfach zu.“ Wieder wollte Andrew protestieren, doch die Stimme versagte ihm endgültig, als Oliver sanft über seine Oberschenkel streichelte und ihm endgültig jegliche Kontrolle über sich selbst und seinen Körper geraubt wurde. Seine Hände verkrallten sich in Olivers Shirt und sein Körper bäumte sich auf, als eine heiße und wunderbare Flut der Lust ihn fortriss und er schließlich seinen Orgasmus nicht mehr verhindern konnte. Und sogleich erfüllte ihn das brennende Gefühl der Scham, als er realisierte, dass es passiert war und er in Olivers Mund gekommen war. In diesem Moment wäre er am liebsten gestorben und beschämt wandte er sich ab und verbarg das Gesicht in den Händen. Verdammt noch mal, warum habe ich mich nicht zurückhalten können? Ich bin wirklich das Allerletzte. „Tut mir leid… bitte entschuldige.“ Doch da beugte sich Oliver zu ihm herüber und nahm ihn in den Arm. „Für so etwas brauchst du dich doch nicht entschuldigen. Daran ist doch nichts Schlimmes. Oder… hast du unangenehme Erfahrungen gemacht?“ Andrew nickte und musste an den Abend denken, nachdem Beyond ihn ins Institut begleitet hatte. Und welche grausame Strafe ihn zuteil wurde für seinen Ungehorsam. Die Vorwürfe, die Angst… die unsagbaren Schmerzen und die Schuldgefühle und der brennende Selbsthass… „Ich musste das fast jeden Tag tun und James hat mir immer Mund und Nase zugehalten, um mich zu zwingen, alles zu runterzuschlucken.“ „Verstehe“, murmelte Oliver und streichelte sanft Andrews Wange. „Das ist wirklich ziemlich heftig, was er dir da angetan hat. Aber mach dir keine Sorgen, ja? Im Grunde hab ich es ja selber verschuldet, weil ich mich gerade nicht bremsen konnte. Darum bist du hier der Letzte von uns beiden, der sich hier irgendetwas vorzuwerfen hat. Und wie gesagt, für mich ist da nichts sonderlich Schlimmes daran.“ Nachdem Andrew sich einigermaßen wieder beruhigt hatte, drehte Oliver ihn auf den Bauch und strich über seinen Rücken. Er sah die Spuren der Misshandlungen, die noch nicht ganz verblassten blauen Flecken und einige Narben. Teilweise stammten sie auch von Operationen, die nötig gewesen waren, um Andrews Körper wiederherzustellen nach dem tödlichen Sprung vom Dach des Waisenhauses. Zwar hatte sich Oliver nie etwas anmerken lassen, aber Tatsache war, dass er Dr. Brown dafür hasste, dass er Andrew so etwas Schreckliches angetan hatte. Und immer, wenn er diese ängstlichen, schüchternen und traurigen Augen sah, da konnte er nur ansatzweise ahnen, was dieser Mistkerl mit ihm gemacht hatte. Er hatte zumindest gesehen, auf was für abartigen und grenzwertigen Seiten sich der feine Doktor herumtrieb und Oliver war fest entschlossen, nicht zuzulassen, dass Andrew je wieder an diesen Typen geriet und dann wieder so dermaßen ins Unglück gestoßen wurde, dass er für immer sein Lachen verlor. Er liebte ihn und selbst wenn er es nicht täte, würde er ihn mit aller Macht beschützen. Denn Andrew hatte sonst kaum jemanden, der ihm helfen konnte. Während er Andrews Nacken küsste und den einen oder anderen Knutschleck hinterließ, wanderte seine Hand langsam nach unten und sogleich führte er seinen Finger ein. Etwas vorschnell nahm er noch einen zweiten hinzu, woraufhin Andrew zusammenzuckte und sein Gesicht ins Kopfkissen vergrub. Sofort hielt Oliver inne und fragte besorgt „Tut es weh?“ „Ein bisschen…“, murmelte Andrew, wobei er immer noch sein Gesicht im Kopfkissen verbarg und man ihn deshalb kaum verstand. Doch trotzdem wusste Oliver auch ohne Worte, dass es Andrew wehtat. Und so zog er vorsichtig seine Finger wieder heraus. „Tut mir leid, ich bin ein bisschen aus der Übung. Warte hier, ich bin gleich wieder zurück.“ Während er das Zimmer verließ, blieb Andrew im Bett liegen und fühlte sich immer noch ein klein wenig benommen. Trotzdem beschäftigte ihn dieser plötzliche Abgang sehr und er wusste das jetzt auch nicht wirklich einzuordnen. Was Oliver denn jetzt wohl vorhatte? Ob er jetzt irgendwie sauer ist, weil ich was gesagt habe? Hätte ich besser die Klappe halten sollen? Ihn plagte das schlechte Gewissen und sogleich beschlich ihn die Angst, dass er mit seinem Verhalten Oliver vielleicht verletzt haben könnte. Was war er doch für ein Idiot, er hätte doch besser still bleiben sollen. Es war doch jedes Mal das Gleiche mit ihm. Es gab immer nur Ärger und er konnte den Rest der Nacht alleine hier verbringen und Oliver würde nicht mehr mit ihm sprechen. Ja, sicherlich würde genau das zutreffen. Anders verdient hätte er es ja sowieso nicht. Doch dann hörte er wieder Schritte und in der Dunkelheit sah er, wie Oliver zurückkam. Er kam tatsächlich zurück? Dann war er also gar nicht verärgert? „So, ich glaube ich habe etwas gefunden, was dabei helfen könnte, dass es nicht so wehtut. Noch mal sorry wegen gerade eben. Ich hab nicht richtig aufgepasst und hätte eigentlich wissen müssen, dass es nicht so einfach geht wie bei einer Frau. Wie schon gesagt, ich bin etwas aus der Übung. Das letzte Mal mit einem Mann ist schon knapp zehn oder elf Jahre her. Ja doch, es waren zehn Jahre!“ „Du… du bist nicht sauer oder so?“ Nun war der 26-jährige Ire irritiert und neigte fragend den Kopf zur Seite. „Wie kommst du denn jetzt darauf? Eigentlich hättest du doch das Recht, mich anzumotzen, weil ich nicht genügend aufgepasst habe.“ Er machte eine kurze Pause und betrachtete Andrew nachdenklich, dann schien er wohl die Antwort gefunden zu haben, wieso dieser so eine seltsame Frage gestellt hatte. „Darf ich raten? Der Doktor ist ausgeflippt, wenn du was gesagt hast.“ Andrew nickte und betrachtete Olivers schattenhafte Silhouette in der Dunkelheit. „Wenn ich ihm gesagt habe, dass es wehtut, hat er mich entweder geschlagen oder mit dem Gürtel verdroschen und gesagt, ich soll mich nicht wie eine Heulsuse aufführen. Deshalb hatte ich Angst, du könntest jetzt irgendwie sauer sein.“ Der Hacker seufzte und legte eine Hand um ihn. „Jetzt hör mal zu, Andy: du brauchst deswegen keine Angst zu haben. Ich hab dir doch erklärt, dass du mir jederzeit sagen kannst, wenn es unangenehm für dich wird. Und daran ist nichts falsch, weil der Sex nicht bloß einen allein etwas angeht. Es bedeutet auch, sich auf den anderen einzulassen und auf ihn Acht zu geben. Wenn man sich so nahe kommt, muss man auch dem anderen vertrauen können. Und das Letzte, was ich will ist, dass du leidest. Also bin ich dir doch nicht böse deswegen, wenn du mir so etwas sagst. Und ich würde dich auch nie deswegen schlagen.“ Oliver setzte sich aufs Bett und holte etwas hervor, was Andrew in der Dunkelheit nicht richtig erkennen konnte. Er gab davon ein wenig auf seine Hand. „So, versuch dich etwas zu entspannen. Ich pass auch auf, ja?“ Andrew nickte und legte wieder den Kopf ins Kissen. Oliver startete einen neuen Versuch und tatsächlich spürte der 25-jährige keinen sonderlichen Schmerz wie gerade eben und schaffte es auch, seinen Körper ein wenig zu entspannen. Zwar tat es nicht mehr weh, was wohl an dem komischen Zeug lag, welches er sich auf seine Hand gegeben hatte, aber dennoch gab Oliver besonders Acht und ließ sich Zeit, um Andrew vorzubereiten. „Alles okay bei dir?“ „Ja… alles in Ordnung.“ „Ist es jetzt besser so?“ Ein Nicken kam zur Antwort und Andrew spürte selbst, wie immer mehr die Anspannung wich. Es fühlte sich definitiv ganz anders an als bei Dr. Brown. Oliver war viel vorsichtiger und sanfter und ging vor allem langsamer vor. Womöglich war das auch der Grund, warum die Anspannung und die Angst wichen und Andrew dabei nicht wieder von irgendwelchen schlimmen Erinnerungen an die Übergriffe von Dr. Brown erinnert wurde. Sein Herz pochte immer noch wie wild und sein Gesicht glühte förmlich. Es fühlte sich fast wie Fieber an und ihm wurde richtig benommen. Diese Berührungen in seinem Inneren fühlten sich irgendwie seltsam an, aber es war nicht unangenehm. Andrew atmete schwer und hatte die Augen geschlossen. In der Dunkelheit hätte er eh nicht viel gesehen. „Es… es ist genug…“, sagte er nach einer Weile und vergrub seine Hand ins Kissen. Oliver nickte und kurz darauf war das Öffnen eines Reißverschlusses zu hören. Wieder wurde Andrew von einer tief sitzenden Nervosität ergriffen und wollte zuerst die ganze Sache abbrechen und sagen, dass er das nicht wollte und er Angst davor habe, was gleich kommen würde. Tief in seinem Herzen ahnte er, dass wieder genauso schlimm werden würde wie all die Male zuvor, als Dr. Brown sich an ihm vergangen hatte. Und als er dann diesen wachsenden Druck spürte, der viel stärker als zuvor war, da verkrampfte sich wieder instinktiv alles bei ihm, weshalb es wieder wehtat, doch da beugte sich Oliver zu ihm vor und küsste seinen Nacken. „Ganz ruhig, Andy. Es kann dir nichts passieren. Dr. Brown ist nicht hier und er kann dir nichts tun.“ Und diese sanften Berührungen und die so beruhigende Stimme ließen ihn seine Angst wieder vergessen, woraufhin er sich wieder langsam entspannte. Dadurch wich auch allmählich wieder der Schmerz und er spürte diese brennende Hitze in seinem Innersten und wurde von einem überwältigenden Gefühl ergriffen, welches er nicht in Worte fassen konnte. Vorsichtig setzte sich Oliver in Bewegung und hielt Andrew an den Hüften fest. Auch er atmete schwer und Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. „Andy…“, brachte er mit Mühe hervor und beugte sich zu ihm herunter, dann schlang er seine Arme um ihn. Dieser Name in Zusammenhang mit dieser Situation weckten Erinnerungen an damals, als er und Beyond diese bescheuerte Sexbeziehung geführt hatten. Da hatte sein bester Freund auch immer wieder diesen Namen genannt und genauso dabei geklungen. Und er selbst hatte immer den Namen eines anderen gerufen, weil er jedes Mal die Tatsache ausgeblendet hatte, dass er mit Beyond und nicht mit seiner großen Liebe L schlief. Aber jetzt war es anders… es war nicht er, sondern Oliver. Und so ergriff er dessen Hand und verlor sich selbst in dieser berauschenden Hitze, die seinen Verstand gänzlich lähmte und ihn eine andere Welt eintauchen ließ. Es fühlte sich alles so intensiv an, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle halten konnte und sich, ehe er sich versah, Olivers Bewegungen angepasst hatte. All diese traurigen und unangenehmen Erinnerungen waren in weite Ferne gerückt und es gab nur noch das Hier und Jetzt mit Oliver und so etwas hatte er noch nie in seinem Leben erlebt. Es fühlte sich so unbeschreiblich gut an, dass ihm sogar die Tränen kamen. Als Andrew schließlich auf den Rücken gedreht wurde, sah er zum ersten Mal Olivers Gesicht, das plötzlich nicht mehr dieses gelassene und ruhige Lächeln hatte, welches der ganzen Welt zu sagen schien „Scheißegal, ich mach eh, was ich will.“ Es wirkte ganz anders, viel emotionaler und damit irgendwie nicht mehr wie Olivers Gesicht. Das Haarband, welches sein schwarzes Haar zu seinem Zopf zusammengehalten hatte, löste sich und so fiel sein Haar über die Schultern. Selbst mit offenen Haaren sah er gut aus und seine Wangen glühten regelrecht. Andrew schlang seine Arme um ihn und vergrub seine Hände in Olivers Rücken. „Oliver…“, brachte er mit Mühe hervor und drückte ihn fester an sich. Er spürte den heißen Atem in seinem Nacken und roch wieder diesen unverkennbaren Duft von Olivers Haar, welchen er jedoch nicht mit Worten zu beschreiben vermochte. „Andy, fühlt… fühlt es sich gut an?“ „Ja.“ Als Oliver eine besonders sensible Stelle berührte, da stöhnte der 25-jährige laut und ein irrsinniges Kribbeln durchfuhr seinen gesamten Körper. Und als eine Hand seinen Penis zu massieren begann, da bekam er fast keine Luft mehr. Seine Brust war wie zugeschnürt, alles im Raum drehte sich und er fürchtete, gleich noch das Bewusstsein zu verlieren. Er spürte deutlich, dass sein Körper nach mehr verlangte, doch dieses Verlangen und diese tiefe Sehnsucht waren zu viel für ihn. Er wusste einfach nicht, wie er mit diesem Gefühlen umgehen sollte und er war so überwältigt, dass ihm schon wieder Tränen kamen. Stürmisch küsste er Oliver und es war ein fast schon flehender Kuss. Diese Hitze und die Lust wurden immer stärker und erfüllten ihn bis in die letzte Faser seines Körpers. Es war kaum noch auszuhalten und doch wollte er nicht, dass es so schnell endete. Nur noch einen Augenblick, einen kleinen Augenblick noch… Oliver erwiderte den Kuss und begann mit seiner Zunge zu spielen. Seine Bewegungen wurden stärker und schneller und Andrews Körper bebte regelrecht. Er bekam eine Gänsehaut und ein intensives Kribbeln durchfuhr seinen Körper. Das Blut rauschte immer gewaltiger durch seine Adern, die Ohren pochten und dröhnten, genauso wie sein Kopf und ihm wurde wieder schwindelig. Es war so… so intensiv und so wunderbar. Zum ersten Mal hatte er wirklich das Gefühl, dass er von ganzem Herzen geliebt wurde und es auch deutlich wahrnahm. Und zum ersten Mal in diesem Moment wusste er, dass es richtig war, was hier gerade geschah. Aber… was bedeutete das dann in diesem Fall? Etwa, dass er tatsächlich Gefühle für Oliver entwickelt hatte, obwohl er ihn kaum kannte und er Beyond nach wie vor noch liebte? Oder war bereits dabei, diese unglückliche Liebe abzuhaken und neu anzufangen? Andrew war sich nicht sicher, ob er Oliver wirklich liebte, denn er konnte es noch nicht mit fester Gewissheit sagen und deshalb auch nicht mit seiner Liebe zu L und Beyond vergleichen. Doch trotzdem fühlte sich das hier so gut an und das würde es doch nicht, wenn er nicht irgendwie Gefühle für Oliver hätte, oder etwa nicht? Oder hatte er gar keine Gefühle für ihn und seine Reaktion war nur auf den Alkohol und das Marihuana zurückzuführen? Er konnte keine vernünftige Antwort darauf finden. Er wusste es einfach nicht. Gar nichts wusste er mehr in diesem Moment. Sein ganzer Verstand war komplett leer wie eine weiße Leinwand und er war somit nicht mehr fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber das war auch nicht schlimm, denn er brauchte das in diesem Moment nicht. Es reichte einzig und allein, dass er Oliver vertrauen konnte und er wusste, dass dieser ihm nicht wehtun würde. Und dieser Gedanke bedeutete ihm mehr als alles andere. Eine atemberaubende Welle der Lust ergriff ihn und seine Zehen vergruben sich ins Bettlaken. Er spürte deutlich, wie er sich langsam seinem Limit näherte und es nicht mehr lange dauern konnte. „Oliver“, brachte er mit größter Mühe hervor, da seine Stimme heftig zitterte und er kaum noch ein Wort hervorbrachte. „Ich… ich komme gleich…“ „Ich auch“, antwortete der 26-jährige unter schwerem Keuchen und auch seine Stimme klang so merkwürdig fremd und hoch. Auch er stieß gleich an seine Grenzen und so wurden seine Stöße noch stärker und schneller. „Halt noch etwas durch, ja?“ „I-ich versuch’s…“ Doch Andrew ahnte, dass es gleich nicht mehr möglich sein würde und er es schaffte. Trotzdem versuchte er noch ein kleines bisschen durchzuhalten. Nur ein kleines bisschen. Diese unfassbar heiße Flut der Lust und Leidenschaft wuchs immer weiter an und es würde nicht mehr lange dauern, bis die letzten Dämme gebrochen waren und ihn erneut erfassen würden. Sein Körper schien regelrecht zu zerfließen und seine Brust schnürte sich zusammen. Er bekam kaum noch Luft und stand kurz vor einer Ohnmacht. Die Kraft verließ ihn und ihm wurde kurz schwarz vor Augen, da spürte er eine heiße Flut, die sein Innerstes erfüllte und in dem Moment konnte er sich endgültig nicht mehr zurückhalten und so wurden die Dämme gebrochen, woraufhin ein tosender Strom ihn fortriss und dann langsam wieder abebbte, als er kam. Einen Moment lagen sie noch eng umschlungen im Bett und rangen nach Luft. Oliver wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und strich sanft über Andrews Wange, wobei sie sich tief in die Augen sahen. Es war ein so seltsamer Ausdruck in seinen Augen, welchen man kaum zu erkennen vermochte. Was er dachte oder fühlte, ließ sich schwer sagen. Es war so oder so immer schwierig bei ihm zu erkennen, weil er oft ein Rätsel für andere war. „Andy…“, sagte er nach einer Weile und betrachtete ihn immer noch mit diesem Blick. „Egal was auch ist. Wenn dich irgendetwas bekümmert oder wenn du Zweifel, Ängste oder Sorgen hast, dann sprich mit mir darüber. Egal was es auch ist. Gemeinsam finden wir eine Lösung für deine Probleme, wenn es welche geben sollte. Also versprich mir, dass du nicht wieder alles einfach so stillschweigend erträgst wie damals und deshalb wieder so traurig wirst und dir nicht mehr zu helfen weißt.“ „Versprochen.“ Und damit gab Oliver ihm einen Kuss, dann stand er auf. „Ich muss jetzt erst mal duschen gehen. Morgen muss ich früh raus und arbeiten gehen. Bei Vention muss noch eine Software fertig gestellt werden und da brauchen die meine Hilfe. Heißt also, dass du den ganzen Vormittag alleine bist.“ „Nicht schlimm. Da habe ich wenigstens genug Zeit, dein Chaos im Haus zu beseitigen. Und wie spät bist du wieder zurück?“ „Bin mir noch nicht sicher. Ich schick dir aber eine SMS, wenn ich so ungefähr weiß, wann ich zurückkomme. Falls etwas sein sollte, kannst du mich jederzeit anrufen. Ich lass dir auch noch eine Nummer von Ridley da, falls ich nicht an mein Handy rangehen sollte. So, schlaf erst mal ne Runde. Nachdem du dich heute schon mehrfach so verausgabt hast, hast du das jetzt auch wirklich nötig.“ Damit gab Oliver ihm noch einen Kuss und verließ das Zimmer. Und Andrew, der jetzt erst merkte, wie erschöpft und müde er eigentlich war, fiel in einen tiefen Schlaf. Kapitel 8: Zu Besuch bei Elijah ------------------------------- Als Andrew am nächsten Morgen aufstand, war Oliver schon längst weg, hatte in der Küche aber bereits das Frühstück für ihn vorbereitet und ihm einen Zettel mit Ridleys Telefonnummer für Notfälle hinterlassen. Er wünschte ihm noch einen schönen Tag und dass er sich melden würde, wenn er ungefähr wusste, wann er mit der Arbeit fertig war. Eine Zeit lang blieb der 25-jährige sitzen und dachte nach. Er erinnerte sich gut, was letzte Nacht passiert war und zu was er sich hatte hinreißen lassen. Er hatte mit Oliver geschlafen… Diese Erinnerung war ihm nicht unangenehm und er bereute es auch nicht wirklich, aber trotzdem fühlte es sich komisch an und er war verunsichert. Vor allem, weil er sich nicht erklären konnte, warum er das getan hatte. Immerhin liebte er doch Beyond, oder etwa nicht? Das war alles so kompliziert und er wusste einfach nicht, was er tun sollte und wie er Oliver gegenübertreten sollte. Was, wenn Oliver irgendetwas erwarten würde, wenn er zurückkam? So etwas wie „Olli, ich hab mich in dich verliebt“, oder etwas Ähnliches? Das konnte er doch nicht so einfach sagen. Nicht wenn er nicht mal sagen konnte, wie es um seine Gefühle bestellt war. Wieso nur hatte er das getan, wenn er doch nicht Oliver, sondern jemand anderen liebte? Ob er in ihn unterbewusst tatsächlich eine Art Ersatz für Beyond gesehen hatte? Nein, das konnte eigentlich kaum sein. Rein äußerlich hatten sie kaum Gemeinsamkeiten und vom Charakter her waren sie total unterschiedlich. Beyond war ein typischer Außenseiter, der die Menschen hasste und der mit einer Persönlichkeitsstörung zu kämpfen hatte. Und Oliver stand mitten im Leben, er half Menschen und hatte seinen Spaß am Leben. Also konnte es doch nicht sein, dass er einfach einen Ersatz gesucht hat. Oder… hatte Beyond vielleicht Recht gehabt, als dieser ihm sagte, er könnte keinen Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe machen? Hatte er sich diese Liebe zu Beyond vielleicht nur eingeredet, weil er irgendjemanden brauchte, an den er sich klammern konnte, um die harte Zeit im Institut durchzustehen, ohne dabei zusammenzubrechen? Zugegeben, der Gedanke war nicht ganz abwegig. Beyond war der einzige Mensch von damals, an den er hatte denken können, weil er auch der Einzige war, zu dem er auch einen wirklichen Bezug gehabt hatte. Dann… dann war es also vielleicht möglich, dass er nicht Beyond liebte, sondern Oliver? Oder war er schon wieder dabei, Freundschaft und Liebe zu verwechseln und sich erneut in irgendetwas hineinzusteigern? Wie sehr wünschte er sich doch, dass Frederica jetzt bei ihm wäre, sie wüsste sicherlich einen Rat für sein Dilemma und könnte ihm helfen. Wie konnte er denn herausfinden, ob es nicht bloß freundschaftliche Gefühle waren? Tja, da wusste er im Moment auch nicht weiter. So saß Andrew niedergeschlagen an seinem Platz und fühlte sich so hilflos. Er wollte Olivers Gefühle nicht verletzen, aber sicherlich hatte er das bereits. Denn schlimmstenfalls hatte er wieder den gleichen Fehler begangen wie damals, als er immerzu Beyonds Gefühle verletzt hatte. Es half alles nichts. Vom bloßen Herumsitzen würde sich auch nichts ändern. Also begann Andrew damit, seine anfänglichen Pläne umzusetzen und den Rest des Chaos zu beseitigen, welches Oliver fabriziert hatte. Dabei schaltete er die Stereoanlage an und begann einfach querbeet irgendwelche klassische Musik zu spielen, um wenigstens etwas Unterhaltung zu haben. Vielleicht half die Arbeit ja, ihn ein wenig von seinen Sorgen und Problemen abzulenken. War immerhin besser, als die ganze Zeit Trübsal zu blasen und sich selbst zu bemitleiden oder Vorwürfe zu machen. Unglaublich, dass er inzwischen zu solch einem Denken fähig war und von sich selbst aus so etwas wollte, denn normalerweise saß er dann die ganze Zeit da und hasste sich selbst dafür, dass er das getan hatte. Aber nun wollte er etwas dagegen unternehmen und sich auch auf andere Gedanken bringen. Ob… ob das auf Olivers Einfluss zurückzuführen war? Hatte dieser tatsächlich in der kurzen Zeit schon so viel erreicht, dass er es geschafft hatte, einen Schalter bei Andrew umzulegen, dass dieser inzwischen selbst den Willen gefunden hatte, etwas gegen seine Traurigkeit zu unternehmen? Schien wohl zu sein, denn auch wenn er jetzt im Moment vollkommen verunsichert war, was seine Gefühle betrafen, wollte er nicht schon wieder in dieses Muster zurückverfallen und sein eigenes Elend bedauern. Aber wenn er so zurückdachte an gestern und die Party… er hatte wirklich Spaß gehabt und er sehnte sich auch danach, wieder so ausgelassen lachen zu können. Es hatte sich so wunderbar angefühlt, glücklich zu sein und nicht immer nur Trübsal zu blasen und wahrscheinlich hatte er dadurch endlich die nötige Motivation gefunden, um etwas an seiner Einstellung zu ändern. Sowohl zu sich selbst, als auch zum Rest der Welt. Und die Tatsache, dass all diese ausgelassen feiernden Kinder schwer krank waren und trotzdem das Beste aus ihrer Situation machten, hatte ihn sehr bewegt und zum Nachdenken angeregt. Nach und nach räumte er alles weg, was nicht mehr zu gebrauchen war. Müll, Flaschen, einfach alles und während er das Chaos beseitigte, musste er schon wieder an die letzte Nacht mit Oliver denken. Wie er ihn im Arm gehalten und seinen Namen genannt hatte. Er hatte eindeutig „Oliver“ gesagt und das bedeutete doch, dass er tatsächlich ihn gewollt hatte und niemand anderes sonst. Allein schon wenn er daran zurückdachte, wie nahe er ihm gewesen war und wie dieser ihm seine Ängste genommen hatte… Allein da wurde Andrew ganz seltsam zumute und sein Herz begann schneller zu schlagen. So war es ihm noch nie ergangen und es war deshalb auch so neu für ihn. Als Andrew auf der Couch eine Sweatshirtjacke von Oliver fand, hob er sie auf und sog den unverkennbaren Duft ein, der Oliver gehörte. Und in diesem Moment musste er wieder an ihn denken. An den Anblick, als sich sein Haarband gelöst hatte und sein schwarzes Haar über die Schultern fiel und wie er ihm sanft über die Wange gestreichelt hatte. Unbewusst drückte er die Jacke fester an sich und ließ diese eine Nacht noch mal durch seinen Kopf gehen. Wie unbeschreiblich gut sich das angefühlt hatte, in seinen Armen zu liegen und seine Wärme und seinen Herzschlag zu spüren. Und er erinnerte sich auch daran, wie vorsichtig und liebevoll Oliver gewesen war und wie sehr er darauf bedacht war, ihm nicht wehzutun. Es war so unfassbar schön gewesen und so etwas hatte er nicht einmal damals gespürt, als er mit Beyond geschlafen hatte. Nein, es war viel schöner gewesen und er hatte auch nicht diese bohrenden Schuldgefühle, weil er wusste, dass er etwas Unrechtes getan hatte, was nicht hätte passieren dürfen. Wie gerne würde er jetzt Oliver in den Arm nehmen… Doch da kam ihm ein Gedanke. Eine tiefe Angst und ein Zweifel, der sich in seinen Kopf hineinschlich wie ein Parasit und sich dort einnistete. Was, wenn es schon wieder so passierte wie damals und er nicht in der Lage war, eine vernünftige Beziehung zu Oliver zu führen? Was, wenn er schon wieder irgendetwas falsch interpretierte und er letzten Endes nur freundschaftliche Gefühle für ihn hegte und gar nicht imstande war, einen anderen Menschen zu lieben? Immerhin hatte er es doch nie wirklich geschafft, warum also sollte es auf einmal jetzt funktionieren? Er hatte doch immer wieder nur andere Menschen enttäuscht und verletzt. Beyond, Roger, Watari, einfach alle. Wie sollte es da mit ihm und Oliver denn überhaupt gut gehen? Eigentlich doch gar nicht, wenn man es so recht bedachte. Denn immerhin hatten sie beiden doch die letzte Nacht zusammen verbracht, obwohl Andrew Beyond liebte und Oliver das auch wusste. Damit hatte er doch nur seine Gefühle verletzt und ihm genauso wehgetan wie Beyond. Schon wieder machte er die gleichen Fehler wie damals, anstatt endlich dazuzulernen. Warum nur war er immer so ein verdammter Idiot? Egal was er machte, er konnte anscheinend nur Fehler machen. Was sollte er denn jetzt tun? Wie sollte er sich denn Oliver gegenüber verhalten? Dieser hatte sich nur unter der Bedingung auf ihn eingelassen, wenn er auch nichts zu bereuen hatte und er es auch wirklich wollte. Aber gestern war ja auch noch Alkohol und Marihuana im Spiel und da konnte Andrew nicht mit Gewissheit sagen, ob das, wozu er sich hatte hinreißen lassen, wirklich zu hundert Prozent aus Liebe geschehen war. Er war vollkommen verunsichert und fühlte sich miserabel. Er wollte Olivers Gefühle doch gar nicht verletzen, stattdessen hatte er wahrscheinlich schon wieder eine Dummheit getan. Niedergeschlagen seufzte er und begann nun, die weiteren Zimmer von Müll und Unrat zu befreien. Schließlich erreichte er auch Olivers Zimmer und kaum, dass er es geöffnet hatte, wurde er regelrecht erschlagen. Alles, aber auch wirklich alles war mit Anime-Postern, und –figuren vollgestopft, die Regale waren voller Animes und Mangas und auch dort war wirklich alles vertreten. Angefangen von alten Klassikern wie Sailor Moon, Digimon und anderen eher seichten Serien bis hin zu schwerer Kost und sehr anspruchsvollen Animes. Und als er auch noch einige Ecchis und Hentais fand, da konnte er nur den Kopf schütteln. Selbst die Bettwäsche war nicht verschont geblieben und auf dem Bett fanden sich einige Touhou-Plüschis. Das hatte also Ridley damit gemeint, dass Oliver echt gruselig mit seinen Hobbys werden konnte. Zum allerersten Mal erkannte Andrew, wie krass diese Obsessionen wirklich waren, die Oliver auslebte. Dabei hatte dieser es noch gut verbergen können. Aber wieso verhielt er sich in seiner Gegenwart so anders, wenn er seinen Hobbys wie ein Besessener nachging und dann an nichts anderes mehr denken konnte? Immerhin hatte er sein eigenes Büro bei Vention mit selbst gebastelten Papierkranichen zugemüllt, als er seiner Obsession für Origami nachgegangen war. Andrew sah sich im Zimmer um und bemerkte, dass es auch hier ziemlich chaotisch war. Also räumte er die herumliegenden Mangas wieder ins Regal und sortierte sie nach Serie und Bandnummer ein. Als er als nächstes den Schreibtisch aufräumte und die Animes wegräumen wollte, da fand er ein Fotoalbum. Ob das auch von Olivers Reisen war? Neugierig blätterte er die Seiten durch, stellte aber schnell fest, dass es gar keine Bilder von Afrika waren, sondern offenbar Fotos, als Oliver im Krankenhaus war. Es zeigte ihn meist mit Ridley, der eine furchtbar hässliche Brille trug, die ihn wie einen Volltrottel erscheinen und seine Augen größer aussehen ließ, als sie schon waren. Aber die meisten Fotos waren mit einem blonden Jungen mit leuchtend grünen Augen, der fast immer eine rote Jacke trug und fröhlich in die Kamera grinste. Es gab ziemlich viele Fotos mit ihm und Oliver und die beiden wirkten sehr glücklich zusammen. Wer wohl dieser Junge mit der roten Jacke war? Vielleicht dieser Elijah? Nun, er machte einen sehr aufgeweckten Eindruck und schien auch jemand zu sein, der oft zu Späßen neigte und Freude am Leben hatte. Er wirkte genauso wie Oliver jetzt. Und dann, auf einem anderen Bild sah man die beiden Arm in Arm und sie sahen plötzlich nicht mehr wie enge Freunde aus, sondern wie ein… … wie ein glückliches Paar. Konnte es etwa sein, dass Olivers Beziehung vor zehn Jahren, von der er gesprochen hatte, etwa mit diesem Elijah war? Aber wieso hatte er nichts davon gesagt und warum war die Beziehung in die Brüche gegangen, wenn die beiden so glücklich miteinander waren? Immer mehr Fragen kamen auf und Andrew hatte das Gefühl, als würde wieder alles über ihn hereinbrechen und ihn zu Boden drücken. Die ganze Zeit sprach Oliver so positiv von Elijah und hatte ihm so viel zu verdanken. Nicht nur, dass er wegen ihm seine Lebensfreude zurückgewonnen hatte, er hatte sogar Elijahs Lebensphilosphie übernommen. Er führte sogar seine Arbeit weiter, indem er genauso wie sein bester Freund damals todkranken Kindern ihre Freude am Leben zurückgab. Warum machte er das dann, wenn sie sich getrennt hatten? Fragen über Fragen kamen auf und je mehr Andrew darüber nachdachte, desto unwohler fühlte er sich und kam sich so hilflos und überfordert vor. Immerzu lobte Oliver diesen Elijah in höchsten Tönen, da musste er doch noch Gefühle für ihn haben, selbst nachdem sie sich getrennt hatten. Das war doch alles totaler Mist! Was hatte er sich nur dabei gedacht, sich gestern so dermaßen zu vergessen und sich auf diese blödsinnige Idee einzulassen, wenn Oliver sowieso einen anderen Mann liebte und nebenbei auch noch Frauengeschichten hatte? Ich bin doch überhaupt keine Nummer für ihn. Neben diesem Elijah, der doch so viel für ihn und Ridley getan hat, bin ich doch ein Nichts, ein absolutes Häufchen Elend. Ich kann mir doch nicht mal selber helfen, wie sollte ich da jemals mit ihm mithalten können? Man sieht doch deutlich, wie glücklich Oliver auf den Fotos mit Elijah ist, da habe ich doch überhaupt keine Chance. Niedergeschlagen und den Tränen nahe, schloss Andrew das Fotoalbum und verließ das Zimmer. Draußen donnerte es leise, wahrscheinlich würde es schon wieder bald regnen. Also beeilte er sich und brachte die Müllsäcke in den Hinterhof, wobei er fast einen Herzinfarkt bekam, als er ein Monstrum von einer Maschine sah, welches da direkt vor ihm stand. Und es war nicht irgendeine Maschine, sondern ein Panzer! Andrews Augen weiteten sich, als er dieses Gefährt sah und vor allem das Wappen darauf. Hinter sich hörte er Schritte und Olivers Stimme. Offenbar war er früher als erwartet zurückgekommen. „Hey Andy, bin wieder da. Die Softwareprogrammierung war total easy, deshalb war ich auch schnell fertig. Oh, anscheinend hast du mein Baby schon gefunden.“ Andrew brauchte eine Weile, dann drehte er sich zu dem Hacker um und sah ihn entgeistert an. „Als du von einem Fahrzeug gesprochen hast, dachte ich zuerst an ein Auto oder ein Motorrad, aber nicht an einen deutschen Nazipanzer aus dem zweiten Weltkrieg! Was willst du denn damit? Etwa in den Krieg ziehen?“ Doch wie immer zuckte der gebürtige Ire lässig mit den Schultern und lächelte. „Ich wollte schon immer mal an einem Panzer schrauben und da ich das Ding günstig gekauft habe, dachte ich mir, ich mach es flott und stifte es dem Museum.“ „Wo hast du denn bitteschön einen Nazipanzer gekauft?“ „Ebay!“ Der will mich jetzt wohl verschaukeln, oder? Andrew seufzte und schüttelte den Kopf, als er die Mülltüten wegbrachte. Das war ja mal wieder absolut typisch für so einen Spinner wie Oliver. Der machte auch wirklich die unmöglichsten Sachen! Unfassbar, da ersteigerte er mal eben einen alten knapp siebzig Jahre alten Kriegspanzer, ließ ihn nach Boston verfrachten, um ihn zusammenzuschrauben und wieder fahrtüchtig zu machen. Das passte eindeutig zu ihm. „Du bist echt wahnsinnig.“ „Ich mag vielleicht wahnsinnig sein, aber ich bin nicht verrückt.“ „Tolle Logik…“ Sie gingen wieder rein und nachdem Oliver seine Jacke abgelegt hatte, ging er in die Küche und kochte einen Kaffee. Draußen wurde es düster und wahrscheinlich würde es nicht mehr lange dauern, bis das Gewitter hereinbrechen würde. „Und wie hast du den Tag so ohne mich verbracht?“ „Ich hab dein Chaos beseitigt und auch mal dein Zimmer aufgeräumt. Als Ridley mir sagte, dass du echt unheimlich sein kannst, was deine Hobbys betrifft, dachte ich zunächst, er würde übertreiben. Jetzt weiß ich, dass er untertrieben hat.“ Der 26-jährige Hacker lachte, als er das hörte und setzte sich zusammen mit Andrew ins aufgeräumte Wohnzimmer, wo immer noch Musik lief. „So ist das nun mal. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein. Ich wollte dir damit aber nicht so auf die Nerven gehen weil ich weiß, wie anstrengend ich dann für meine Mitmenschen bin, wenn ich wieder ein neues Hobby habe. Deshalb wollte ich mich auch etwas mehr zurücknehmen.“ Andrew musste wieder an das Fotoalbum denken und wie glücklich Oliver mit Elijah ausgesehen hatte. Seine Brust schnürte sich zusammen und er senkte den Blick. Dem gebürtigen Iren entging dies durchaus nicht und so fragte er „Was bedrückt dich? Ist es wegen letzter Nacht?“ Doch Andrew antwortete noch nicht sofort darauf. Seine Hände umschlossen die heiße Tasse fester und er spürte diesen schmerzhaften Stich und die Verzweiflung, die Angst und die Hilflosigkeit, die von ihm Besitz ergriff. „Dieser Junge, mit dem du vor zehn Jahren zusammen warst… das war dieser Elijah, oder?“ So langsam begann Oliver durchzublicken, was da los war und sein Lächeln schwand, wenn auch er nicht niedergeschlagen oder ernst wirkte. Er dachte offenbar nach, wie er das Ganze näher erklären könnte. Dann aber nickte er und antwortete „Ja, Elijah und ich waren Freunde, aber irgendwann haben wir Gefühle füreinander entwickelt und wurden ein Paar.“ „Und… hast du immer noch Gefühle für ihn?“ Er antwortete nicht sofort darauf, sondern beugte sich vor und sah Andrew fest an. „Jetzt hör mal zu, Andy. Das mit Elijah ist zehn Jahre her und ich gebe zu, dass es noch Gefühle gibt, die für ihn existieren. Aber sie sind nicht mehr dieselben wie damals. Es ist damals viel passiert und ich kann nun mal nicht abstreiten, dass er einen besonderen Platz in meinem Leben einnimmt. Aber es ist nicht so, wie du es dir vielleicht vorstellst.“ Irgendwie verstand Andrew nun gar nichts mehr. Liebte Oliver diesen Elijah noch, oder etwa nicht? „Wieso seid ihr auseinandergegangen, wenn ihr euch doch so geliebt habt?“ Oliver dachte wieder nach und kratzte sich dabei am Hinterkopf. Schließlich stellte er seine Tasse auf dem Tisch ab und meinte „Ich glaube, ich muss es dir einfach zeigen.“ Damit stand er auf und schnappte sich die Wagenschlüssel. Andrew, der immer noch nichts verstand, folgte ihm und fragte „Was musst du mir zeigen?“ „Wir werden Elijah besuchen gehen. Ehrlich gesagt hatte ich sowieso vor, bei ihm mal vorbeizuschauen und nach dem Rechten sehen. Dann kann ich dich ihm auch bei der Gelegenheit mal vorstellen.“ Wie jetzt? Wollte Oliver jetzt tatsächlich einfach so zu seiner verflossenen Liebe fahren und ihm einen Besuch abstatten? „So ganz spontan? Was, wenn er nicht da ist? Geht das überhaupt so, dass wir einfach so bei ihm vorbeischauen?“ „Das geht schon in Ordnung. Nimm deine Jacke mit, es wird draußen ziemlich kalt. Ich nehme noch einen Regenschirm mit, falls es anfangen sollte zu schütten.“ Damit gingen sie zum Wagen und so fuhren sie los. Das alles war gerade ziemlich plötzlich für Andrew gekommen und immer noch wusste er nicht so wirklich, wie er das alles einordnen sollte und warum Oliver jetzt so plötzlich mit ihm zu diesem Elijah fahren wollte. Und wieso wollte er ihm unbedingt jemanden wie Andrew vorstellen? Das alles wurde immer rätselhafter. „Und wo genau wohnt Elijah?“ „Das wirst du schon noch sehen.“ Das war alles, was Oliver sagte und dann ging die Fahrt auch los. Sie führte nicht in Richtung der Metropole, sondern in die andere Richtung, nämlich in die etwas ruhiger gelegene Gegend von Boston und tausende Gedanken und Fragen schwirrten Andrew durch den Kopf. Fragen darüber, was Oliver sich davon versprach, wenn sie beide zusammen Elijah besuchten und wie dieser wohl reagieren würde. Ob Elijah noch Gefühle für Oliver hat? Oder war er vielleicht schon mit jemand anderes zusammen und Oliver leidet bis heute noch unter Liebeskummer? Wie Elijah wohl so ist? Ob er heute auch noch so ein Spaßvogel war, der genauso wie Oliver nur sein eigenes Ding machte und das Leben nicht so ernst nahm? Was hat es denn für einen Sinn, ihn zu besuchen und warum will Oliver mir das denn nicht einfach erklären? Irgendwie verstehe ich überhaupt nichts mehr. Warum muss er immer so ein Geheimnis daraus machen? Andrew sah aus dem Wagenfenster und sah langsam die Landschaft an ihnen vorbeiziehen. Wenn es so bewölkt war, wirkte Boston irgendwie so deprimierend. Nun ja, eigentlich wirkte dann alles in der Welt so deprimierend, wenn es so düster war. Wie lange die Fahrt wohl dauerte? Andrew war so tief in seinen Gedanken versunken, dass die Fahrt schneller vorbeiging, als er es selbst für möglich gehalten hätte und ehe er sich versah, hatte Oliver auch schon den Motor abgestellt und stieg aus. Verwundert sah sich Andrew um, konnte aber nicht so wirklich eine Wohnsiedlung ausfindig machen. Stattdessen sah er nur Wald, offenes Gelände und dann ging Oliver auch schon voran. Er folgte ihm, hatte aber keinen Plan, wo es denn nun hinging und wo dieser Elijah überhaupt wohnte. Der Weg führte sie durch ein kleines Waldstück und Oliver erklärte „Ich geh immer gerne hier entlang, aber wir sind gleich da.“ Andrew suchte alles nach einem Haus ab, fand aber rein gar nichts und fragte sich, welcher Mensch denn bitteschön so weit abgelegen wohnte. Dieser Elijah war doch nicht etwa so ein schräger Kauz, der einen auf Selbstversorger machte, oder? Sie bogen nach einer Weile nach rechts ab und erreichten nach einem kurzen Stück Fußweg das Ende des Waldstücks und sogleich rief Oliver auch schon „Da vorne ist es schon.“ Und natürlich wollte Andrew schon sehen, was sich hinter dem Waldstück verbarg, doch sogleich entwich ihm jegliche Farbe im Gesicht, als er sah, dass sie sich auf einem Friedhof befanden. Und Oliver blieb schließlich vor einem Grab stehen, auf dessen Marmorstein Folgendes geschrieben stand: „Elijah Wyatt *22.07.1988 †24.02.2003 And so died a noble heart. Good-Night, dear friend. And flights of angels sing thee to thy rest.” Das war also der Grund gewesen, wieso die Beziehung zwischen Oliver und Elijah in die Brüche gegangen war. Sie hatten sich nicht getrennt. Elijah war damals gestorben, als er 15 Jahre alt war. Kapitel 9: Andrews Flucht ------------------------- Geschockt und sprachlos sah Andrew auf den Grabstein und beobachtete, wie Oliver das Grablicht anzündete, welches ausgegangen war. Er sah mit einem Male nicht mehr so unbeschwert und fröhlich aus, sondern es war eine gewisse Melancholie in seinen Augen zu sehen. Eine Weile schwiegen sie, dann lächelte Oliver und sagte „Tja Elijah, jetzt lernst du endlich mal Andy kennen. Ich hoffe, du freust dich, ihn auch mal endlich kennen zu lernen, nachdem ich dich immer so oft damit genervt habe. Und wie versprochen komme ich dich an deinem Todestag mal wieder besuchen. Und grüß die anderen von mir, okay?“ Andrew hatte den Blick gesenkt und spürte deutlich den tief sitzenden Schmerz bei Oliver. Irgendetwas musste damals passiert sein, das hatte er im Gefühl. Nachdem er eine Weile gewartet hatte, fragte er vorsichtig „Was ist damals passiert?“ Oliver stand wieder auf und vergrub die Hände in seinen Jackentaschen, da der Wind deutlich kühler geworden war. „Elijah war damals auch im Krankenhaus gewesen. Seine Lunge war völlig kaputt und egal wie oft man auch versuchte, da etwas zu retten, er erlitt bei großen Anstrengungen und bei Stress oft einen Pneumothorax. Dabei sammelt sich im Raum neben der Lunge Luft an und presst dabei die Lunge zusammen, woraufhin sie schließlich kollabiert. Das kann zu heftigen Hustkrämpfen, starken Schmerzen und Atemnot führen und muss dann im Krankenhaus behandelt werden. In besonders schlimmen Fällen erlitt er sogar einen Spannungspneumothorax und so etwas ist extrem gefährlich. Denn da sammelt sich bei jedem Atemzug immer mehr Luft im Pleuraspalt an, man bekommt Herzrasen und es kann zum Lungenversagen und zum Schock führen. Elijah war also genauso oft mit dem Tod konfrontiert gewesen wie ich. Denn ich vertrug keine Anstrengungen, weil ich sonst Herzprobleme bekommen hätte. Und er hätte dann keine Luft mehr gekriegt. Doch er wollte sich davon nicht unterkriegen lassen und lebte einfach das Leben wie er es wollte, solange er noch die Chance dazu hatte. Denn irgendwie schien er wohl gespürt zu haben, dass er nicht lange leben würde, auch wenn die Ärzte sagten, er könne noch einige Jahre leben, wenn er jeglichen Stress vermied. Aber das hätte für ihn bedeutet, sich gänzlich aus dem Leben zurückzuziehen und alles zu verpassen, was er erleben wollte. Und genau das wollte er nicht. Wenn er schon irgendwann sterben musste, dann nicht, bevor er nicht genug vom Leben gesehen und erlebt hatte. Und weil er sah, dass er nicht der Einzige war, dem es so erging, beschloss er, gemeinsam mit den anderen Kindern etwas gegen dieses grausame Schicksal zu unternehmen und die Freude am Leben zurückzugewinnen. Ganz einfach indem er das tat, was er wollte, ohne sich um das große wenn und aber zu scheren. Er war mein allerbester Freund und irgendwann verliebten wir uns ineinander. Wir sind uns auch näher gekommen und unsere Freunde akzeptierten unsere Beziehung, auch wenn es für sie erst einmal etwas komisch war. Ich war glücklich mit ihm und hatte dabei völlig ausgeblendet, dass er sehr krank war und seine Anfälle lebensgefährlich werden konnten, wenn sie nicht sofort behandelt wurden. Es kam schließlich dann dazu, dass er an diesem einen Tag, nämlich dem 24. Februar 2003 einen Spannungspneumothorax erlitt. An diesem Tag war er allein Zuhause, da seine Eltern mit seinem Bruder Stephen einkaufen waren und dadurch, dass seine Lunge binnen kürzester Zeit kollabierte und er nicht mehr um Hilfe rufen konnte, erstickte er schließlich nach mehreren Minuten. Als man ihn fand, kam für ihn bereits jede Hilfe zu spät. Letztendlich hat seine kaputte Lunge ihm den Rest gegeben.“ Andrew war fassungslos, als er das hörte und sah wieder auf den Grabstein. Was für ein schrecklicher Tod. Langsam erstickt im eigenen Zimmer, ohne die Möglichkeit zu haben, um Hilfe zu rufen. Das musste für Oliver eine wirkliche Schocknachricht damals gewesen sein. Wie um alles in der Welt hatte er es überhaupt geschafft, mit dieser Tragödie fertig zu werden? „Bevor ich überhaupt die Chance bekam, Elijahs plötzlichen Tod zu verarbeiten, hieß es, ein geeignetes Spenderherz sei für mich gefunden worden und ich hätte dadurch die Chance gesund zu werden. Zu dem Zeitpunkt wusste ich bereits, dass Elijah sich als Organspender gemeldet hatte, weil er somit die Möglichkeit sah, anderen Menschen zu helfen, wenn er nicht mehr am Leben war. Und für mich war es nicht schwer herauszufinden, dass Elijah der Spender war und ich schließlich sein Herz bekam. Deshalb sagte ich vorhin, dass er einen ganz besonderen Platz in meinem Leben einnimmt, Andy. Elijahs Tod hat mir gleichzeitig das Leben gerettet, weil ich durch ihn die Chance bekam, ganz normal wie andere Menschen zu leben und mich nicht mehr von meinem kranken Herzen einschränken lassen musste. Ich konnte endlich das tun, was ich wollte und musste keine Angst mehr haben, dass mein Herz den Geist aufgeben könnte. Ich habe Elijah viel zu verdanken. Er hat mir meinen Lebensmut zurückgegeben und die Kraft, weiterzukämpfen und mich nicht unterkriegen zu lassen. Und indem er sich als Spender meldete, konnte ich noch mal von vorne anfangen. Ich trage sein Herz in mir und deshalb will ich auch, dass in dieser Welt ein Stück von ihm weiterlebt, weil er damals etwas Großartiges getan hat, was nicht so einfach enden darf. Obwohl er selbst todkrank war, hat er uns Kraft gegeben und uns gezeigt, wie schön das Leben eigentlich ist und dass man auch mit Einschränkungen und schwerer Krankheit Spaß haben kann. Und durch ihn konnten ich und einige andere Menschen weiterleben. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein und deshalb haben Ridley und ich uns seine Lebensphilosophie zu der unseren gemacht. Denn mit dieser können wir auch selber anderen Menschen helfen, die in einer ähnlichen Lage sind wie wir damals und die Trost und Zuwendung brauchen. Aber es ist nicht so, dass da irgendwelche Liebe noch im Spiel wäre. Es sind seit damals gut zehn Jahre vergangen und das mit Elijah war zwar schön gewesen, aber es war eher so etwas wie eine typische Beziehung unter Teenagern. Selbst wenn er damals nicht gestorben wäre, hätte niemand von uns wirklich sagen können, ob unsere Beziehung bloß eine pubertäre Phase war, oder ob es die große Liebe war. Ich liebe dich, Andy. Und du bist der einzige, für den ich diese Gefühle habe.“ Doch so wirklich überzeugt war Andrew nicht. Diese Geschichte machte ihm wirklich schwer zu schaffen und anstatt, dass er sich besser fühlte, wurde es nur noch schlimmer. Dieser Elijah war nicht nur ein toller Freund gewesen, er war auch noch Olivers Lebensretter. Ein echter Held. Nie und nimmer konnte er sich mit so einem wie Elijah vergleichen und überhaupt mit ihm mithalten. Ich werde doch niemals gut genug für Oliver sein. Er und Elijah waren auf einer Wellenlänge und ein eingespieltes Team. Aber wir beide haben die ganze Zeit schon so unsere Schwierigkeiten und ich komme mit seiner chaotischen und unberechenbaren Art einfach nicht zurecht. Wir sind nicht füreinander geschaffen, also sollten wir uns auch nicht irgendetwas vormachen und bei den Fakten bleiben. Mit uns kann es nie und nimmer werden, weil ich nun mal nie wie Elijah sein werde. Was will Oliver denn von so einem Versager wie mir? Ich hab doch gar nichts, ich bin nicht so toll wie sein verstorbener Freund, also sollte ich an dieser Stelle hier einfach einen Cut machen und verschwinden. Ansonsten wird das schon wieder mit Tränen und gebrochenen Herzen enden, genauso wie die Male davor auch schon. Ich hätte es echt besser wissen sollen, anstatt so dumm zu sein und mir falsche Hoffnungen zu machen, es könnte mit Oliver anders sein als mit Beyond. Andrew hielt den Blick gesenkt und zitterte am ganzen Körper. Er fühlte sich einfach nur elend und hatte das Gefühl, als stünde er genau wieder an denselben Punkt wie vor zehn Jahren, als er auf dem Dach von Wammys House gestanden hatte. Genauso verzweifelt und hoffnungslos. Oliver sah wie er litt und legte sanft einen Arm auf seine Schulter. „Andy, hör mir mal zu…“ Doch Andrew schlug seine Hand weg und ging einen Schritt zurück. „Was willst du denn noch? Ich hab schon kapiert, dass ich nicht so toll wie Elijah bin. Im Gegensatz zu ihm bin ich doch ein Nichts! Was hab ich denn schon, dass ich mich mit jemandem wie ihn messen kann? Ich bin nicht so stark und so toll, was willst du da also mit so einem wie mir denn schon anfangen? Das hat doch keinen Sinn. Bevor du mit mir noch irgendwelche Enttäuschungen erlebst und das mit mir bereust, sollten wir es einfach bleiben lassen. Das ist das Beste für uns alle.“ „Jetzt reagier doch nicht gleich über, Andy. Du steigerst dich da gerade in irgendwas rein!“ „Nein, tue ich nicht und ich reagier nicht über. Es ist doch nun mal Fakt, dass ich niemals an Elijah herankommen werde, egal was ich auch tue. Er hat dir mit seinem Tod das Leben gerettet und du hast ihm so viel zu verdanken. Das kann ich dir doch nie und nimmer bieten, das ist leider so! Stattdessen muss ich mich von dir aushalten lassen und das kann es doch auch nicht sein. Also hören wir doch auf, uns weiterhin etwas vorzumachen! Mit so einem wie mir kann es doch niemals gut werden. Wir sind verschiedene Menschen und du verdienst etwas Besseres als mich.“ Damit wandte sich Andrew um und rannte davon. Er ertrug es nicht länger, noch weiter in Olivers Nähe zu bleiben und gleichzeitig zu wissen, dass dieser noch so sehr unter Elijahs Tod litt und so viel an ihn bewunderte. In seinen Augen musste dieser Elijah doch ein Heiliger sein! Wie um alles in der Welt könnte ich da jemals mithalten? Niemals… ich bin nicht wie Elijah und werde niemals so toll wie er werden. Ich bin doch nur ein weinerlicher Versager, der es weder geschafft hat, L’s Nachfolger zu werden oder sonst etwas im Leben zu erreichen. Stattdessen habe ich es höchstens zum Prügelknaben und Sexsklaven von James gebracht und kriege inzwischen rein gar nichts mehr alleine auf die Reihe. So einen wie mich will doch niemand haben. Keiner würde so jemanden wie mich wollen. Blindlings rannte Andrew über den Friedhof und eilte dann eine Straße entlang. Er rannte, ohne zu wissen wohin und wollte am besten so weit weg wie möglich von Oliver, am besten raus aus Boston und raus aus Amerika. Was anderes als weglaufen konnte er ja sowieso nicht. Und überhaupt brauchte er sowieso erst mal Abstand, um irgendwie den Kopf freizubekommen. Mit einem lauten Donnern brach der Regen herein und es wurde in kürzester Zeit zu einer einzigen Sintflut. Andrew fand nach einer Weile Schutz an einer Bahnunterführung, war aber trotzdem komplett durchnässt, als er dort ankam. Das Wasser tropfte ihn von den Haaren und der Wind war schneidend kalt. Binnen kürzester Zeit war er komplett durchgefroren und fragte sich, ob es denn überhaupt noch schlimmer werden konnte. Niedergeschlagen kauerte er sich auf den Boden und wickelte sich fester in seine Jacke. Der Regen wurde immer stärker und irgendwo schlug ein Blitz ein. Super, jetzt sitz ich hier erst mal fest, bis der Regen aufhört. Und wenn ich richtig Pech an diesen eh schon so beschissenen Tag habe, wird das noch ein richtiger Sturm werden und dann noch den Rest des Tages über anhalten. Warum nur kann ich nicht ein einziges Mal Glück im Leben haben? Wieso nur ist es mir nicht ein Mal vergönnt, glücklich zu sein und jemanden lieben zu können, ohne dass irgendetwas dazwischenkommen kann? Wahrscheinlich stimmt es ja und ich bin einfach nicht dazu geschaffen, eine vernünftige Beziehung zu führen, weil ich mir immer die Falschen aussuche. Dabei war das mit Oliver gestern so schön gewesen. Als wieder die Erinnerung an letzte Nacht zurückkam und wie glücklich er da gewesen war, fühlte er sich nur noch schrecklicher und wünschte sich, er hätte niemals dieses verdammte Fotoalbum gefunden und Oliver nicht zu Elijah befragt. Er hatte es unbedingt wissen müssen, obwohl er doch gewusst hatte, dass die Wahrheit ihm nur wehtun würde. Und jetzt konnte er auch nicht mehr zurück. Nach der ganzen Sache konnte er unmöglich zu Oliver zurück. Er konnte ihm nie wieder unter die Augen treten. Aber wo sollte er denn hin? Zurück zu Beyond und ihn um Hilfe bitten? Zwar hatte dieser ihm seine Hilfe angeboten, aber sollte er ihn schon wieder mit seinen Problemen belästigen, wo dieser doch endlich mal selber nach zehn Jahren glücklich war? Vielleicht sollte ich endlich mal damit aufhören, mich stets und ständig auf andere zu verlassen und von nun an alleine klar kommen. „Irgendwie mache ich aber auch alles falsch. Ganz egal was es auch ist“, seufzte er niedergeschlagen und lehnte sich mit dem Rücken zur Wand. Ihm war immer noch furchtbar kalt, da seine Klamotten komplett durchnässt waren und der Wind stärker wehte. Als hätte er nicht schon Pech genug gehabt für die letzten zehn Jahre. Oliver… ob er wohl nach Hause gegangen war? Wie er sich wohl fühlt nachdem, was ich ihm gesagt habe? Vielleicht hat er ja endlich auch eingesehen, dass das mit uns beiden von vornherein zum scheitern verurteilt ist, weil wir beide nicht zusammenpassen und ich niemals an Elijahs Format herankomme. Ja, mit Sicherheit hat er es endlich kapiert und lässt mich in Ruhe. Es ist das Beste für uns beide, sonst endet es doch nur wie so viele Tragödien: nämlich mit einem gebrochenem Herzen. Aber warum… warum wünsche ich mir dann trotzdem so sehr, dass er herkommt und mich in den Arm nimmt so wie immer, wenn es mir schlecht ging und er mich aufmuntern wollte? Anstatt, dass ich ihn einfach so aus meinem Kopf streiche und ihn endlich abhake, kann ich nicht aufhören, an ihn zu denken und mir zu wünschen, er würde herkommen und mir noch mal sagen, dass er mich liebt und er für mich da sein wird. Aber wieso sollte das überhaupt so kommen? Es läuft doch sowieso nie so, wie ich es mir gewünscht habe und ich hatte mein ganzes Leben Pech gehabt, also warum sollte es jetzt auf einmal anders laufen? Manche Menschen sind eben nicht dazu geschaffen, glücklich zu werden und ich muss endlich mal akzeptieren, dass ich genau zu der Kategorie zähle, die eben ständig die Niete zieht. Träume sind nun mal etwas für naive Spinner, wie sonst sollte man auch die ganzen Enttäuschungen ertragen? So etwas wie wahres Glück gibt es einfach nicht in dieser Welt. Das war so und das wird auch für immer so bleiben. Wenn es dieses wahre Glück wirklich gäbe, dann wäre ich damals mit Beyond glücklich geworden und wäre nicht im Institut gelandet. Beyond wäre nicht zum Mörder geworden und Frederica würde nicht so ein tristes Dasein fristen und an lebenserhaltenden Maschinen angeschlossen werden, während sie unerträglichen Schmerzen ausgesetzt wird. Und wenn dann irgendjemand meint, es wäre Gottes Plan, dann muss Gott uns doch echt hassen, dass er uns das antut. Es gibt gar keinen Gott, genauso wenig, wie so etwas wie Glück oder Gerechtigkeit in dieser Welt existiert. Und eben weil es so ist, werde ich hier einfach warten, bis das Unwetter vorbei ist und dann alleine irgendwo hingehen, bis dann irgendwann der Gedankenschaltkreis versagt und ich wieder sterbe, oder ich auf andere Art und Weise vor die Hunde gehe… Doch trotzdem wünschte sich Andrew, dass das Gewitter nicht aufhörte und er noch hier sitzen bleiben konnte. Zwar fror er entsetzlich und das Wasser tropfte ihm von den Haaren und seine Klamotten waren durchnässt, aber etwas in ihm zögerte noch, einfach von hier zu verschwinden. Irgendwo war da eine Stimme, die ihn daran hindern wollte, einfach so zu verschwinden und Oliver nie wieder zu sehen. Verdammt, er wollte ihn wieder sehen und von ihm im Arm gehalten werden. Er wollte ihm wieder so nahe sein wie letzte Nacht und weitere so schöne Erinnerungen teilen. Verdammt, er vermisste Oliver und er wollte wieder zurück zu ihm. Aber wie sollte er das denn nach den Sachen, die er gesagt hatte und wenn er doch wusste, dass er mit Sicherheit nur eine Enttäuschung für ihn war. Warum nur muss das Schicksal so ein mieser Verräter sein und ihm einen Dolchstoß nach dem anderen verpassen? Oliver… ich will dich noch ein allerletztes Mal sehen und dich im Arm halten. Ich will bei dir bleiben, auch wenn du mich vielleicht unerträglich findest, weil ich so eine verdammte Heulsuse bin. „Andy!“ Der Donner war so laut, dass er diese Stimme zuerst nicht wirklich wahrnahm, aber als er sie ein zweites Mal seinen Spitznamen rufen hörte, sah er auf und konnte nicht glauben, dass es tatsächlich Oliver war, der da auf ihn zugeeilt kam. Er war mit dem Auto hergefahren und lief das restliche Stück mit dem Regenschirm. Wie hat er mich denn überhaupt so schnell finden können und woher wusste er überhaupt, dass ich hier bin? Zuerst war er völlig überrascht, aber dann fiel es ihm wieder ein: Der Gedankenschaltkreis! Oliver hatte ein Ortungssystem einprogrammiert, welches er über ein selbst entwickeltes Programm starten konnte, um ihn zu finden, sollte ein Defekt auftreten. „Mensch Andy, ich hatte schon echt Sorge gehabt, dass du blindlings durchs Gewitter rennst. Gerade eben ist nicht weit von hier ein Blitz eingeschlagen und ich hatte echt Angst gehabt, es könnte dich auch noch erwischen. Oh Mann, du bist ja komplett durchnässt. Na komm, fahren wir erst mal nach Hause. Du musst dich jetzt dringend wieder aufwärmen, bevor du noch krank wirst und dann reden wir in aller Ruhe über alles, okay?“ Andrew war so von seinem Gefühlschaos eingenommen, dass er nicht in der Lage war, weiterhin Widerstand zu leisten. Ein Teil von ihm wollte bei Oliver bleiben und mit ihm zurück nach Hause gehen, aber ein anderer Teil wollte weg von hier, vor allem weg von Oliver. Doch dieser andere Teil war nicht stark genug, um sich durchzusetzen. Denn er war einfach viel zu überwältigt von der Tatsache, dass Oliver nach ihm gesucht hatte und ihn nicht gehen lassen wollte. Warum nur war er gekommen, wenn er doch diesen Elijah so liebte? Unglücklich kauerte er immer noch auf dem Boden und fragte „Wieso hast du nach mir gesucht?“ „Na weil ich dich nicht so gehen lassen wollte mit der ganzen Geschichte. Jetzt hör mal Andy, du steigerst dich zu sehr in deine Ängste und Selbstzweifel rein und machst dir Sorgen um Dinge, die eigentlich nicht so sind wie du denkst. Und da kann ich dich doch nicht einfach so gehen lassen. Komm, gehen wir zurück nach Hause.“ Zurück nach Hause… irgendwie klang das so seltsam. Während seiner Zeit im Institut hatte er nie gesagt, dass er „zurück nach Hause“ ging, sondern immer, dass er ins Institut zurückgehe. Jetzt in dieser Situation klang es so angenehm, insbesondere weil diese Worte von Oliver kamen. Als wäre er dort wirklich zuhause und eigentlich stimmte das ja auch. Er fühlte sich wohl bei Oliver und auch wenn er ein furchtbarer Chaot war, hatte er die Zeit mit ihm genossen und er hatte sich auch wirklich glücklich gefühlt. Doch er wollte nicht schon wieder diese ganze Enttäuschung erleben, die er und Oliver erleben könnten, wenn es zwischen ihnen nicht funktionierte und wie sollten sie dann noch unter einem Dach wohnen? Wenn sie dieses Risiko eingingen und sich aufeinander einließen und die Beziehung ging in die Brüche, dann könnten sie doch unmöglich noch vernünftig unter einem Dach wohnen. Dann würde Andrew alles wieder verlieren. Oliver… sein neues Zuhause… Das alles wäre wieder weg und er hätte rein gar nichts mehr. Und genau davor hatte er solche Angst und deshalb wollte er lieber freiwillig gehen, bevor es dazu kam. Er war sich sicher, dass es für alle Beteiligten das Beste wäre. Doch… er wollte so gerne bei Oliver bleiben, ihn in den Arm nehmen und ihn wieder so spüren wie letzte Nacht. Was für eine beschissene Situation und er wusste nicht, wie er das so handhaben sollte. Schließlich, als Oliver ihm eine Hand reichte, um ihm hochzuhelfen, da übermannte Andrew dieser eine Teil, der das alles nicht aufgeben wollte. Er wollte sein Glück nicht so einfach wegwerfen. Also nahm er Olivers Hand und stand auf. Und sogleich nahm Oliver ihn in den Arm, ganz ungeachtet der Tatsache, dass Andrew vom Regen völlig durchnässt war. In diesem Moment übermannten den 25-jährigen die Gefühle und erwiderte die Umarmung. Er drückte sich so fest an ihn, aus Angst, dass etwas sie wieder auseinanderreißen könnte. Und mit zitternder und aufgewühlter Stimme brachte er unter Tränen hervor „Ich will nicht wieder alleine sein…“ „Das musst du auch nicht, Andy. Ich werde dich nicht im Stich lassen und ich werde für dich da sein, egal was passiert. Komm bitte zurück nach Hause und lass mich das alles ein für alle Mal klarstellen, ja? Du musst jetzt unbedingt ins Warme, bevor du noch krank wirst.“ Und damit folgte Andrew ihm zum Wagen. Kapitel 10: Ein Tanz und wieder Wassermelonen --------------------------------------------- Gleich nachdem sie zurück zuhause waren, schickte Oliver den durchgefrorenen Andrew ins Bad. Dieser hatte eine heiße Dusche dringend nötig, um sich wieder aufzuwärmen und fühlte sich danach auch gleich viel besser. Trotzdem fragte er sich, wie es denn jetzt weitergehen sollte, wenn seine Befürchtungen sich bewahrheiteten und Oliver in Wahrheit noch diesen Elijah liebte. Aber wahrscheinlich würde er das noch herausfinden, wenn es zu diesem Gespräch kommen sollte. Nach der Dusche wollte er eigentlich ins Wohnzimmer gehen, doch da wartete Oliver schon auf ihn und passte ihn gleich ab. „Komm mal mit. Ich muss dir etwas zeigen.“ Damit führte er ihn durchs Haus und brachte ihn zu jenem Raum, der immer verschlossen war und wo auch an der Tür das „Betreten Verboten“-Schild hing. „Es gibt einen Grund dafür, dass ich nicht wollte, dass du diesen Raum siehst. Er ist sehr persönlich für mich und ich wollte nicht, dass du dadurch verunsichert wirst und dich zu irgendetwas verpflichtet oder genötigt fühlst. Aber ich denke, jetzt ist der Zeitpunkt dafür günstig, weil ich dir so am besten zeigen kann, wie der Sachverhalt wirklich aussieht.“ Damit schloss er die Tür auf und öffnete sie. Was Andrew dahinter sah, war ein etwas kleinerer Raum, der aber fast genauso wie sein Zimmer vollgestopft war mit irgendwelchen Dingen. Es gab Zeitungsartikel, irgendwelche Notizen, die er an die Wände geklebt hatte und Fotos. Fotos von Andrew, als er noch jung war und auch all die Arbeiten, die er geschrieben hatte. Sogar persönliche Gegenstände, die ihm damals gehört hatten, fand er hier wieder. Dieses ganze Zimmer war ein einziges Sammelsurium von Dingen, die ihn betrafen. Er war regelrecht erschlagen von dieser Entdeckung und konnte erst mal nicht genau einordnen, was das zu bedeuten hatte. Wieso gab es denn so viele Sachen von ihm und warum hatte Oliver sie gesammelt? „Ist… ist das etwa schon wieder so ein Hobby von dir?“ „Kein Hobby, sondern eine Leidenschaft, welcher ich schon seit Jahren nachgehe. Ehrlich gesagt hatte ich mich in dich verliebt, als ich dich damals das erste Mal gesehen habe. Und so habe ich immer wieder Dinge von dir gesammelt. Ich wollte wenigstens etwas von dir haben, wenn ich dir so im Leben niemals nahe sein konnte. Du hast damals L geliebt und ich wusste, dass ich gegen den Kerl niemals anstinken würde. Und damals dachte ich auch, dass du mit so einem Vollversager wie mir, der nur das tut, was ihn interessiert, nie etwas anfangen würdest. Ich dachte, ich würde dir nicht gut genug sein. Deshalb sagte ich ja auch, dass wir uns ähnlicher sind, als du denkst.“ Andrew ging langsam durch den Raum und sah sich alles an, was Oliver in den Jahren angehäuft hatte. Dabei fand er nicht nur Fotos und persönliche Gegenstände, sondern auch Zeitungsartikel von seinem Selbstmord und auch die Meldung, dass seine Leiche nie in die Leichenhalle gekommen sei. Und es gab auch Notizen, die sich Oliver gemacht hatte, als er Nachforschungen angestellt hatte. „Als du gestorben bist, ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Nach Elijah hatte ich auch noch meine erste große Liebe verloren, aber… als du nie in der Leichenhalle aufgetaucht bist und dann auch noch Dr. Brown verschwunden ist, da hatte ich irgendwie so ein Gefühl, dass da eine Verbindung herrschen könnte. Und so habe ich angefangen, nach dir zu suchen und herauszufinden, ob du wirklich tot bist, oder ob dein Verschwinden vielleicht eine bestimmte Bedeutung hat.“ Dann… dann hatte Oliver also die ganze Zeit damit verbracht herauszufinden, ob ich nicht vielleicht doch durch ein Wunder am leben sein könnte? Und er war wirklich schon seit damals in mich verliebt, als er mich das erste Mal gesehen hatte und hatte die gleichen Ängste, er könnte nicht gut genug für mich sein? „Wieso hast du nie etwas gesagt? Ich dachte immer, es sei dir alles egal.“ „Ich hab damals nicht den Mut aufgebracht, dir meine Liebe zu gestehen, eben weil ich wusste, dass du L liebst und diese irgendwie merkwürdige Sexbeziehung mit Beyond hattest. Da hätte ich doch nie eine Chance gehabt, besonders weil ich wusste, dass ich zu jenen Menschen zählte, die du nicht leiden kannst. Also dachte ich mir, es wäre das Beste, einfach die Klappe zu halten und meine Gefühle für mich zu behalten, bevor ich doch nur enttäuscht werde. Und als ich dann Kontakt zu L und Beyond aufgenommen habe und von ihnen erfuhr, dass du noch lebst, da habe ich mich wirklich wahnsinnig gefreut. Und da ich inzwischen viel mutiger und selbstbewusster geworden bin, habe ich dann eben halt beschlossen, dir zu helfen und dir deine Lebensfreude zurückgeben, wie Elijah mir meine zurückgegeben hat. Und zugegeben, ein paar kleine Hintergedanken hatte ich auch gehabt.“ Oliver verließ mit Andrew den Raum und ging mit ihm ins Wohnzimmer, wo er einen Tee vorbereitet hatte. So etwas hatte der 25-jährige jetzt wirklich nötig, aber so ganz verdaut hatte er diese Nachricht noch nicht. Und außerdem interessierte ihn eines. „Was meinst du damit?“ „Ich weiß, dass das nicht gerade die fein englische Art war, aber ein wenig wollte ich dich schon beeindrucken. So ganz hatte ich dich noch nicht aufgegeben, aber ich wollte es nicht allzu auffällig machen, weil ich dich nicht bedrängen wollte. Wenn ich schon den Ruf habe, ein unzuverlässiger chaotischer Spinner zu sein, dann wollte ich wenigstens zeigen, dass ich mehr kann, als nur vor dem Computer zu sitzen.“ Dann war also alles Teil von Olivers Plan gewesen? Die Kocherei, die Party mit den Kindern und seine ganzen Geschichten, von denen er erzählt hatte? Das war einfach unfassbar und kaum zu glauben. „Jedenfalls hatte ich mir gedacht: wenn du mich näher kennen lernst und auch den Menschen hinter diesem sprunghaften Chaoten, könnte ich vielleicht eine klitzekleine Chance bei dir haben. Aber ich hätte es auch akzeptiert, wenn du mich nicht gewollt hättest. Ich will dich zu nichts zwingen, okay? Ich kann es gut verstehen, wenn du sagst, du könntest einen so anstrengenden Menschen wie mich nicht ertragen. Und es ist nun mal Tatsache, dass ich anstrengend bin. Alle meine Hobbys werden zu einer regelrechten Besessenheit, die knapp ein paar Monate andauern können und ich wechsle sie stets und ständig. Ich kann beim besten Willen keine Ordnung halten und ich bringe auch absolut selten die Konzentration für Dinge auf, die mich nicht interessieren. Alle meine Beziehungen sind deshalb in die Brüche gegangen. Das ist doof, aber ich kann mich leider nicht ändern. Ich bin nun mal so wie ich bin und ehrlich gesagt will ich mich auch nicht ändern. Ich bin glücklich so und auf diese Weise kann ich dir am besten helfen, endlich über deine ganzen Ängste und Zweifel hinwegzukommen.“ All seine ganzen Bemühungen und seine bescheuerten Aktionen… das alles hat er nur getan, weil er mir helfen wollte und auch wenn er so seine Hintergedanken gehabt hatte, weil er mich irgendwie beeindrucken wollte, war ihm mein Wohl die ganze Zeit wichtiger gewesen, als sein eigenes Glück. Oh Mann, Oliver wollte mir die ganze Zeit irgendwie imponieren, weil er dachte, er wäre vielleicht nicht gut genug für mich? Und dabei habe ich vorhin die ganze Zeit gedacht, ich wäre es nicht, weil ich niemals an Elijahs Format herangereicht hätte. In diesem Moment konnte Andrew nicht anders als über diese Ironie zu lachen. Es war einfach zu verrückt, um wahr zu sein. „Irgendwie schon eine schräge Geschichte. Ich hätte echt nicht gedacht, dass wir uns tatsächlich so ähnlich sind. Und… ich dachte echt, ich wäre bloß eines deiner diversen Hobbys.“ „Es gibt einen Unterschied zwischen Hobby und Leidenschaft. Meine Hobbys verliere ich irgendwann aus den Augen, aber niemals meine Leidenschaft. Und dazu gehören meine Arbeit bei Vention und als „The Operator“ und die Arbeit mit den kranken Kindern, aber besonders vor allem du.“ Und das sagte Oliver in seiner typischen Art, als wäre es so einfach für ihn, dies zu sagen. Andrew war vollkommen überwältigt und wusste nicht, was er sagen sollte. Oliver hatte seit zehn Jahren nicht aufgehört, an ihn zu denken und auch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass seine große Liebe vielleicht leben könnte. Er liebt mich offenbar wirklich, wenn er mich zehn Jahre lang nicht vergessen konnte, obwohl ich ihn niemals beachtet habe und er gedacht hat, er wäre nicht gut genug für mich. Und jetzt war ich derjenige, der gedacht hat, ich könnte Elijah nicht ebenbürtig sein und nicht der perfekte Partner für Oliver werden. Das war doch viel zu verrückt, um wahr zu sein. Und doch… es gab Andrew diese kleine Hoffnung zurück, dass es vielleicht doch eine Chance gab und er vielleicht tatsächlich eine Zukunft mit Oliver haben könnte. „Also um es noch mal ganz klar zu sagen, Andy: du darfst dich nicht mit Elijah oder sonst irgendjemandem vergleichen. Das ist totaler Schwachsinn. Menschen sind unterschiedlich und ihre Individualität ist ihr größtes Geschenk. Deshalb darf man sich auch nicht verstellen, um jemand anderes zu sein. Mag sein, dass ich Elijah sehr in Ehren halte, aber das hat andere Gründe. Eben weil ich ihm mein Leben zu verdanken habe und weil ich jetzt so stark und selbstbewusst genug bin, um über diesen ganzen Scheiß drüberzustehen, der mich früher immer total verunsichert und runtergezogen hat. Wenn ich nicht der wäre, der ich jetzt bin, wäre ich nicht in der Lage, dir zu helfen und einen Weg zu finden, dass du aus deinem Schneckenhäuschen herauskommst und dein Lachen wieder findest. Im Grunde wollte ich dir das geben, was Elijah damals mir gegeben hat, damit du endlich glücklich wirst.“ Und damit nahm Oliver ihn in den Arm. Er drückte ihn fest an sich und Andrew erwiderte seine Umarmung. „Dass ich dich zu mir geholt hatte, war kein rein geschäftliches Interesse gewesen oder weil ich neben Dr. Brown momentan der Einzige bin, der die Wartungen durchführen kann. Ich wollte dir nahe sein. Das ist die Wahrheit, Andy. Ich liebe dich und ich würde dich nie und nimmer mit Elijah oder sonst irgendjemandem auf dieser Welt vergleichen. Ich liebe dich so wie du bist und daran hat sich seit zehn Jahren nichts geändert.“ Er liebt mich wirklich… er liebt mich so wie ich bin, auch wenn ich eine verdammte Heulsuse bin, die überhaupt nichts auf die Reihe bekommt. Und er hat versucht, mich zu beeindrucken, weil er sich meine Liebe seit zehn Jahren ersehnt. Er verlangt gar nicht von mir, dass ich mich ändere oder so werde wie Elijah. Stattdessen wünscht er sich nur für mich, dass ich glücklich werde. Ist es das, wovon Frederica gesprochen hat? Ist dies etwa wirklich das Glück, nach welchem ich mich so sehr gesehnt und welches ich beinahe aufgegeben habe? „Tut mir leid wegen vorhin“, sagte er schließlich und war überwältigt von seinen Emotionen. Das alles wurde einfach zu viel für ihn und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. „Ich… ich bin dir wirklich dankbar für alles, was du für mich tust. Und zugegeben, dieses gestrige Erlebnis hat mich sehr nachdenklich gemacht. Es ist nun mal leider Tatsache, dass ich Beyond noch nicht einfach so vergessen kann. Das braucht eben seine Weile, bis ich dieses Kapitel abgeschlossen habe. Aber… ich glaube, dass ich mich trotzdem irgendwie in dich verliebt habe, Oliver. Anfangs habe ich dich wirklich für einen Verrückten gehalten, aber inzwischen weiß ich, dass du ein wunderbarer Mensch bist. Du kannst so viele Dinge und was du tust, das tust du mit voller Hingabe und du kümmerst dich um die Kinder, die ein schweres Schicksal erlitten haben und schwer krank sind. Du gibst ihnen ihr Lachen wieder zurück und du willst auch mir helfen. Jemanden wie dich kann man doch einfach nur bewundern. Ehrlich gesagt bin ich schon fast eifersüchtig darauf, dass du genau das erreicht hast, was ich mir selber immer gewünscht habe.“ „Das kannst du doch auch“, erklärte Oliver und lächelte, dann löste er sich von Andrew und strich ihm sanft über die Wange. „Ich werde dir dabei helfen, okay? Gemeinsam werden wir das schon schaffen und dann wirst auch du die Kraft und den Mut dazu finden. Alleine habe ich es auch nicht geschafft und ohne Elijahs Hilfe hätte ich es niemals geschafft, so selbstbewusst und stark zu werden. Und nun werde ich für dich da sein und dir helfen.“ Damit küsste er ihn und nach einigem unsicheren Zögern erwiderte Andrew den Kuss. Immer noch hatte er Angst, dass es nicht gut gehen und er nicht gut genug für jemanden wie Oliver sein könnte, aber er wollte bei ihm bleiben, so viel wusste er. Er wollte wieder Momente wie gestern erleben, wo er all diese Ängste hatte ablegen können und sich voll und ganz hatte fallen lassen. Tief in seinem Herzen sehnte er sich danach, bei Oliver zu bleiben und zu wissen, dass er ihm blind vertrauen konnte. „Danke, Oliver“, sagte Andrew und fühlte sich in diesem Moment unendlich erleichtert. „Das alles bedeutet mir wirklich sehr viel.“ Schließlich aber löste sich der Hacker von ihm und sah nach draußen. Es hatte inzwischen aufgehört zu regnen und so sagte er „So, da das geklärt ist, kommst du mal mit. Es gibt da noch etwas, was ich mit dir vorhabe.“ Vorhaben? Was hatte Oliver denn bitte mit ihm vor? Irgendwie wurde Andrew ein wenig mulmig zumute und er wusste zuerst nicht, was denn auf ihn zukommen würde. Schließlich aber ging Oliver in die Küche und holte ein paar Wassermelonen. „Weißt du, diese Idee mit den Wassermelonen ist auch auf Elijahs Mist gewachsen. Als wir alle immer so niedergeschlagen waren und mit so vielen Problemen zu kämpfen hatten, da hat er gesagt, dass wir sie einfach wegwerfen sollten. Und die Wassermelone ist sozusagen symbolisch dafür, dass wir all das abwerfen, was uns belastet und dann nie wieder zurückkommt, um uns schon wieder zu nerven. Denn die Wassermelone ist ja kaputt. Also ich denke, dass du es mal selber versuchen solltest.“ Aus dem Blickwinkel hatte Andrew es noch nie betrachtet. Er dachte, es wäre eine total bescheuerte und sinnlose Aktion, aber dass dahinter so ein tiefer Sinn steckte, hätte er jetzt nicht gedacht. Nun ja, im Grunde ist es ja mit der Ice Bucket Challenge ja genauso. Auf dem ersten Blick total dumm, aber auf dem zweiten Blick sehr tiefsinnig. Er half Oliver beim Tragen und ging mit ihm zusammen aufs Dach. Es war immer noch ziemlich kalt, aber sie würden ja sowieso nicht so lange draußen bleiben. Sie stellten sich ans Geländer und sogleich nahm Andrew eine Wassermelone in die Hand. Oliver legte eine Hand auf seine Schulter und nickte ihm zu. „Sag einfach laut, was dir alles so auf den Magen schlägt und dann wirfst du mit aller Kraft dieses Problem von dir, ja? Glaub mir, du wirst dich danach viel besser fühlen.“ „Und wenn es nicht klappt?“ „Dann können wir auf den Schrottplatz gehen und mit Baseballschlägern auf alte Autos einschlagen. Das wäre die härtere Version, aber versuchen wir es erst einmal damit.“ Irgendwie kam Andrew das alles immer noch ein klein wenig sinnlos vor und so ganz sicher war er sich noch nicht so wirklich, ob das auch tatsächlich etwas bringen könnte. Aber dann dachte er an all den Kummer der letzten Jahre. Die Enttäuschungen und den Ärger, den er einfach so geschluckt hatte, anstatt etwas zu sagen. Und so hob er die Melone hoch und rief „Ich hab es verdammt noch mal satt, den Nachfolger für L zu spielen und mir vorschreiben zu lassen, wer ich zu sein habe und wer nicht. Ich hab mein eigenes Leben!“ Und mit aller Kraft warf er die Wassermelone herunter und sah, wie sie auf dem Boden zerschellte. Als würden diese Probleme gleich mit in Stücke gehen. Und sogleich drückte Oliver ihm die nächste in die Hand und wieder holte er aus. „Ich hasse mich selbst dafür, dass ich so verdammt blöd war, mich ständig in die Falschen zu verlieben und Beyond als Ersatz zu benutzen!“ Wieder landete die nächste Melone unten und zerschellte dort. Es ging immer weiter und nach und nach zählte Andrew alle Probleme auf, die ihn so lange gequält hatten. Sein Gefühlschaos, sein Selbsthass und die Tatsache, dass sein bester Freund mit seiner ersten großen Liebe zusammen war. Und dann kam der Zeitpunkt, wo er ein ganz besonders schwer wiegendes Problem abwerfen wollte. Er musste sich sammeln, um innerlich diese Kraft aufzubringen, doch sogleich wurde er wieder von seinen Gefühlen ergriffen und von einer unsagbaren Wut gepackt. „James, du hast mir die letzten zehn Jahre zur Hölle gemacht und mir fast mein ganzes Leben ruiniert. Ich hasse dich und ich wünsche, dass du verreckst!!!“ Nachdem er sich fast heiser geschrieen hatte, blieb er keuchend da stehen und spürte, wie lahm sich seine Arme anfühlten. Aber sogleich konnte er nicht anders als zu lachen. Es war verrückt, absolut verrückt! Er schmiss Wassermelonen vom Dach und fühlte sich deshalb so viel besser. Denn irgendwie gab es ihm tatsächlich das Gefühl, als würde er seine ganzen Probleme von sich werfen und sich endlich von dieser schweren Last befreien. Unglaublich, dass das Hinunterwerfen von Wassermelonen tatsächlich helfen konnte. Manchmal waren es doch die ganz banalen Dinge im Leben, die am besten halfen. Als es wieder zu regnen begann, gingen sie wieder rein und binnen kürzester Zeit setzte das Gewitter fort. „Und? Fühlst du dich jetzt besser?“ „Verrückterweise schon. Aber…“ Andrew zögerte noch, es direkt auszusprechen, doch Oliver wollte es nun wissen und sagte in seiner typischen Art „Na sag schon, was dir durch den Kopf geht!“ „Nun ja, ich bin mir noch nicht so wirklich sicher, ob das mit uns beiden gut gehen kann. Bis jetzt habe ich es doch jedes Mal vergeigt. Ich bin mir einfach nicht sicher, ob ich überhaupt eine vernünftige Beziehung führen kann. Ich weiß, dass ich mich schon wieder in irgendetwas hineinsteigere, aber…“ Andrew sprach nicht weiter, denn Oliver ging einfach zur Stereoanlage und legte eine CD ein. Kurz darauf spielte der „Künstlerleben-Walzer“ von Johann Strauss II. und daraufhin ging der Hacker zu ihm hin, nahm seine Hand und legte dann seine andere Hand um ihn. Und ohne Vorwarnung begann er sich passend zur Musik zu bewegen, sodass Andrew kaum eine andere Wahl blieb, als mitzumachen. Völlig irritiert über diese erneute schräge Aktion fragte er „Was… was soll das denn schon wieder? Was machst du da?“ „Na, Walzer tanzen!“ „Das merke ich selber. Aber wieso fängst du jetzt auf einmal an, mit mir zu tanzen?“ Andrew hatte wirklich Mühe, sich irgendwie Olivers Schritten anzupassen und sich dabei auch am Rhythmus zu orientieren, doch Fakt war leider, dass er noch nie im Leben getanzt hatte und deshalb auch keine sonderlich gute Figur dabei machte. Ganz im Gegensatz zu Oliver, der offenbar den klassischen Walzer im Schlaf zu beherrschen schien. Der lächelte nur amüsiert und fragte „Hast du etwa noch nie wirklich getanzt?“ „Warum denn auch? Ich hatte so etwas noch nie gebraucht!“ „Das erklärt dein echt bescheidenes Rhythmusgefühl und deine schlaffe Haltung. Weißt du Andy, ich hab damals mit 17 Jahren einige Zeit lang getanzt. Walzer, Breakdance und Streetstyle, Tango, Charleston, Samba und noch viele andere Tänze. Aber auch wenn ich zuvor einen Tanz bereits konnte, hab ich mich bei jedem neuen gleich doof angestellt, weil es jedes Mal neu für mich war und ich mich an diesen neuen Rhythmus und an diese neuen Schritte gewöhnen musste. Aber was man nicht kann, das kann man lernen. Man kann zwar alles über das Tanzen lesen und die ganze Theorie beherrschen, aber viele schaffen es nicht, es auch so in die Praxis umzusetzen. Aber wenn man nicht sicher beim Tanzen ist, dann kann man sich auch von seinem Tanzpartner führen lassen. Wenn beide miteinander harmonieren, dann funktioniert es auch und man muss einander vertrauen können. Wenn du unsicher beim Tanzen bist, kannst du dich ruhig von mir führen lassen, das ist kein Problem. Im Grunde funktioniert die Liebe genauso wie beim Tanzen. Es gibt Tänze, wo es keinen Führenden und keinen Folgenden gibt und es funktioniert nur, wenn beide sich aufeinander verlassen können und zusammen eine Einheit bilden. Jeder fängt mal klein an und stolpert, gerät aus dem Rhythmus oder tritt dem Partner auf den Fuß. Aber je länger man übt, desto besser wird man auch.“ Während er sprach, tanzte er einfach weiter und Andrew versuchte irgendwie, sich von ihm führen zu lassen und ihm nicht stets und ständig auf die Füße zu treten. Aber so einfach war das irgendwie nicht und da Oliver ihn partout nicht loslassen wollte, war er gezwungen, weiter mit ihm zu tanzen. Und so verbrachten sie fast den ganzen Abend damit, die Tanzschritte zu üben. Schließlich, als die Musik wechselte, zeigte Oliver ihm noch ein paar andere außer Walzer und ließ immer wieder einen leicht stichelnden Kommentar fallen wie „Oh Mann, du bist wirklich ein mieser Tänzer“, woraufhin sich Andrew angespornt sah, ihm das Gegenteil zu beweisen. Irgendwann aber, als er völlig am Ende war und ihm auch die Füße wehtaten, ließen sie es gut sein und erschöpft sank der 25-jährige auf die Couch. „Ernsthaft“, sagte er schließlich und legte seine Füße hoch. „Gibt es irgendetwas, was du nicht kannst?“ „Klar! Ordnung halten. Zugegeben, es gibt noch vieles, was ich nicht kann und was ich mir noch für meine Hobbyliste aufgeschrieben habe. Aber das Allerschlimmste, was man mir antun könnte, wäre Kunst. Und damit meine ich die Kunst auf der Leinwand. Ich habe nie kapiert, wieso man in irgendwelches Gepinsel so viel hineininterpretieren muss. Nun gut, ich habe selber mal ein wenig gemalt, aber in meinen Augen ist die Malerei einfach nur Farbe auf einem viereckigen Stück Stoff! Entweder man findet es schön, oder man findet es hässlich. Ich persönlich finde, dass die Mona Lisa potthässlich ist! Aber ich kapier einfach nicht, wie die ganzen Kritiker so viel in einem Haufen Farbgekleckse erkennen können und einen auf Tiefenpsychologe machen. Wenn man mehr in einem Bild sieht als das Motiv selbst, dann schon wenigstens, wenn man genug Gras geraucht hat.“ Andrew schmunzelte darüber und hätte nicht erwartet, dass Oliver so feindselig auf diese klassische Form der Kunst reagierte. Aber jeder Mensch hatte eben sein persönliches Hassthema. Erschöpft, aber dennoch glücklich legte er seinen Kopf auf Olivers Schulter und seufzte. „Du hast auch wirklich auf alles eine passende Antwort, oder?“ „Nicht direkt, aber ich habe durch meine Hobbys und Reisen sehr viel Erfahrung gesammelt und gehe vieles eben ganz anders an, als so manch anderer. In Wammys House bekommt man ja als Hochbegabter viel theoretisches Wissen reingedrückt und das ist es, was mir so fehlt. Ich hab mich noch nie wirklich für den ganzen Theoriekram interessiert und habe mich deshalb immer aufs Praktische konzentriert. Und das ist es, was mir den Vorteil im Leben bringt: ich besitze eine größere Erfahrung in der Praxis und kann dadurch oft die Leute schlagen, die sich auf ihre Theorie konzentrieren. Das alles kannst du auch lernen, du musst nur den Willen dazu haben.“ Sie saßen den ganzen Abend da und redeten miteinander, dann aber musste sich Oliver verabschieden, weil er morgen wieder arbeiten gehen musste. Also stand er auf und zuerst dachte Andrew, er würde ins Schlafzimmer gehen, doch ehe er sich versah, hatte der gebürtige Ire ihm einen Kuss gegeben. „Ein kleiner Gutenachtkuss.“ Und damit zog er sich in sein Zimmer zurück, um sich für morgen auszuruhen. Kapitel 11: Andrew wird krank ----------------------------- Am nächsten Morgen wachte Andrew mit einem deutlich spürbaren Muskelkater in den Armen und auch im Rest seines Körpers auf. Nie hätte er gedacht, dass er vom Tanzen und Melonenwerfen so einen Muskelkater bekommen könnte und als er aufstand, dröhnte ihm zudem noch erheblich der Kopf. Und sogleich überfiel ihn mit einem tiefen Atemzug ein schmerzhafter Hustkrampf, als er ein juckendes Kratzen in seiner Brust spürte. Er hustete mehrmals und bemerkte, dass er sich offenbar etwas erkältet haben musste. Naja, eigentlich auch kein Wunder, nachdem er gestern klatschnass im eiskalten Regen gewesen war. Da passierte so etwas eben. Um etwas gegen seinen Husten zu tun, ging er hinunter in die Küche, um sich einen heißen Tee zu machen. Oliver hatte wie immer das Frühstück vorbereitet und er hatte auch eine Nachricht geschrieben auf welcher stand Bin wahrscheinlich gegen 13 Uhr wieder da, wenn alles glatt läuft. Wärst du so nett und würdest einkaufen gehen fürs Mittagessen? Ich hab dir Geld und eine Liste da gelassen. Der Supermarkt ist nicht weit von hier, du kannst auch mit dem Bus dorthin fahren Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es schon knapp zehn Uhr war. Na, dann würde es ja auch nicht mehr lange dauern, bis Oliver wieder zurück war. Er hatte also noch genügend Zeit für die Hausarbeit. Andrew musste erneut husten, da das Jucken in der Brust beim Atmen nicht weggehen wollte und er daraufhin wieder von unangenehmen Schmerzen gepeinigt wurde. Verdammte Erkältung, dachte er sich und nachdem er seinen Tee ausgetrunken hatte, ging er ins Bad. Im Schränkchen fand er glücklicherweise etwas gegen Erkältung und nahm sogleich eine Tablette und betrachtete sich im Spiegel. Zu seinem Erstaunen sah er heute sogar noch schlimmer aus als die letzten Tage, obwohl er doch eigentlich ganz gut geschlafen hatte und er sich endlich mit Oliver ausgesprochen hatte. Ob das vielleicht an der Erkältung lag? Nun ja, es waren schon einige Jahre her, seit er das letzte Mal erkältet gewesen war. Konnte sein, dass es daher kam. Was hatte er damals noch mal für Symptome gehabt? Husten, Schnupfen, leichtes Fieber und er war ziemlich müde gewesen. Nun gut, er fühlte sich müde, aber er hatte auch keine Lust, den ganzen Tag nur im Bett zu liegen und zu faulenzen. Er hatte sich immerhin für die Hausarbeit verpflichtet, also musste er auch dieser Aufgabe nachgehen. Doch er merkte recht schnell, dass er heute gesundheitlich nicht so wirklich auf der Höhe war und am liebsten im Bett geblieben wäre. Ihm war ein wenig schwindelig und er fühlte sich etwas seltsam. Aber am schlimmsten war immer noch der Husten. Trotzdem ließ er sich davon nicht bremsen und begann mit der Hausarbeit. Wenn er sich beeilte, hatte er alles recht schnell geschafft. Da er fast das ganze Haus schon aufgeräumt hatte, brauchte er nur noch Küche, Bad und die beiden Flure zu machen. Heute wollte er definitiv etwas kürzer treten und den Rest dafür morgen nachholen. Hauptsache, das Wichtigste war getan und er hatte dann auch den Einkauf erledigt. Oliver hatte ihn ja immerhin darum gebeten, also war es auch wichtig, dass er den Einkauf unbedingt machte, bevor er von der Arbeit zurückkam. Doch schon, als er dabei war, das Badezimmer zu putzen, da merkte Andrew, dass er selbst das kaum schaffte. Er war am Ende seiner Kräfte, seine ganze Energie war weg und sein Gesicht glühte und sein Husten wurde wieder schlimmer. Da half nichts, er musste sich setzen und sich sammeln, bevor er mit der Arbeit weitermachte. Doch lange blieb er nicht dabei, sondern setzte seine Arbeit nach fünf Minuten gleich wieder fort und schaffte es mit kleineren Zwischenpausen dann endlich, Küche und Bad auf Vordermann zu bringen, war aber danach so dermaßen fertig, dass er das Gefühl hatte, gleich zusammenzubrechen. Nicht nur, dass ihm immer wieder so heiß wurde, seine Energie war auf einem absoluten Nullpunkt und der Muskelkater von gestern kam auch noch hinzu. Ob der Schaltkreis irgendwie Probleme macht? Oliver hatte doch mal erwähnt gehabt, dass ich deswegen immer so erschöpft war, weil eine Einstellung nicht ganz richtig war. Vielleicht hat sich ja eine Einstellung geändert oder so. Ob ich ihn mal anrufen und fragen sollte? So ein Quatsch. Wenn wirklich ein Problem sein sollte, hätte er schon längst eine Mitteilung auf seinem Gerät kriegen müssen und dann hätte er mich doch angerufen. Aber warum fühle ich mich dann so? Womöglich hat das Gerät ja einen Defekt und gibt ihm keine Meldung. Ich sollte ihn besser mal anrufen und nachfragen. Andrew holte sein Handy und wählte Olivers Nummer. Da dieser nicht ranging, versuchte er es stattdessen bei Ridley. Dieser klang ein klein wenig gestresst. „Hey Andrew, was gibt’s? Willst du Oliver sprechen?“ „Ja, aber er geht nicht an sein Handy?“ „Der hat es mal wieder im Büro vergessen. Der ist gerade in der Entwicklungsabteilung, da er gerade eine kleine Katastrophe verhindern muss. Soll ich ihm Bescheid sagen, dass er dich zurückrufen soll?“ Andrew überlegte. Wenn Oliver gerade wirklich so einen Stress hatte, dann konnte er ihn doch unmöglich stören. Also sagte er, dass es eh nichts Wichtiges sei und verabschiedete sich damit. Nachdem er sich einigermaßen wieder gesammelt hatte, beendete er die Hausarbeit und durch die ständigen Pausen brauchte er viel länger als sonst. Und als er endlich fertig war und einkaufen gehen wollte, da hörte er, wie die Haustür geöffnet wurde und Oliver zurück war. Merkwürdig, dabei war es doch noch gar nicht 13 Uhr. „Oliver, was machst du denn wieder so früh hier? Ich dachte, du hättest so viel zu tun!“ „Ridley hat mir gesagt, dass du angerufen hast, dann aber gemeint hast, dass es nichts Wichtiges sei. In dem Fall weiß ich doch, dass es etwas Wichtiges ist. Und da ich mein Handy nicht finden konnte, bin ich eben zurückgefahren. Also sag schon, was ist los und wo willst du hin?“ „Einkaufen. Ich bin mit der Hausarbeit fertig und da wollte ich den Einkauf erledigen, um den du mich gebeten hast.“ „Hast du dich mal im Spiegel angesehen? Es sieht doch ein Blinder, dass da etwas nicht mit dir in Ordnung ist.“ Oliver ging zu ihm hin und legte eine Hand auf seine Stirn. Seine Hand fühlte sich eiskalt an. „Da ist nichts“, sagte Andrew und ging einen Schritt zurück. „Deine Hand ist einfach kalt.“ „Meine Hände sind nicht kalt, deine Stirn glüht förmlich. Oh Mann, Andy! Was denkst du dir nur dabei, rauszugehen, wenn du krank bist? Wahrscheinlich hast du dir gestern doch was eingefangen. Hast du irgendwelche Beschwerden?“ Da Andrew wohl merkte, dass er sich nicht mehr herausreden konnte, erzählte er von seinem schmerzhaften Husten und so verfrachtete Oliver ihn kurzerhand in den Wagen und fuhr ihn zum Arzt. Die Diagnose war, dass Andrew eine akute Bronchitis und 40°C Fieber hatte und deshalb dringend Bettruhe brauchte. Er bekam noch einige Medikamente verschrieben und als sie wieder zurück waren, schickte der 26-jährige Hacker ihn ins Bett und ließ auch nicht mit sich reden. Sogleich rief Oliver auf der Arbeit an und sagte Ridley Bescheid, dass er erst mal von zuhause aus arbeiten würde, damit er sich um Andrew kümmern konnte, bevor der noch wieder auf irgendwelche bescheuerten Ideen kam. Damit hatte er diesen Teil erledigt und begann sogleich, ein paar Einkäufe zu tätigen, während Andrew im Bett lag und ein schlechtes Gewissen hatte, dass Oliver wegen ihm jetzt so viel Arbeit hatte. Eigentlich wollte er doch nur helfen, stattdessen war er jetzt krank und Oliver musste sich um ihn kümmern. Das hatte er so nicht gewollt. Nach knapp einer Stunde kehrte der Hacker zurück und arbeitete noch ein wenig in der Küche, dann kam er mit einer Tasse zu ihm, in der sich ein fürchterlich stinkendes dunkles Gebräu befand. Allein schon vom Geruch her verschlug es Andrew den Atem und er fragte „Was um Himmels Willen ist das?“ „Ein altes Rezept, welches ich aus Afrika habe. Glaub mir, es stinkt zwar bestialisch, aber es hilft besser, als dieser ganze chemische Kram.“ „Und… was ist da drin?“ „Frag besser nicht, sonst würdest du es sicherlich nicht trinken.“ Nur widerwillig würgte Andrew das Zeug mit zusammengehaltener Nase herunter und musste dann noch im Anschluss einen Schluck Wasser trinken. Das Zeug hatte so einen fürchterlichen Geschmack und nur mit Mühe konnte er einen Brechreiz unterdrücken. Großer Gott, wenn er es nicht besser wüsste, hätte er echt geglaubt, Oliver wollte ihn vergiften. Schließlich setzte sich der gebürtige Ire zu ihm und strich ihm sanft über die Stirn. „Warum machst du so einen Blödsinn, Andy? Du hättest doch wissen müssen, dass du krank bist. Ich reiß dir doch nicht den Kopf ab, wenn du sagst, du willst dich hinlegen, weil du dich nicht gut fühlst. Was wäre denn gewesen, wenn du beim Einkauf noch zusammengebrochen wärst?“ Daran hatte er überhaupt nicht gedacht. Aber er hatte Oliver doch nur helfen wollen, indem er eben tat, worum er gebeten wurde. Nun gut, er hatte selber gemerkt, dass er sich nicht gut fühlte, aber da hatte er zuerst gedacht, es würde am Schaltkreis liegen und er wollte auch nicht stören, als er hörte, dass Oliver beschäftigt war. Und dass dieser einfach so von der Arbeit verschwand und nach Hause kam, das hatte Andrew ja auch nicht wirklich beabsichtigt. „Tut mir Leid. Aber ich wollte dir nicht zur Last fa…“ Er brachte den Satz nicht zu Ende, da Oliver ihm eine sanfte Kopfnuss gab und ihn somit unterbrach. „Du bist echt unverbesserlich. Hör endlich auf damit zu denken, du wärst eine Last für mich. Das warst du nicht, bist du nicht und wirst es auch niemals sein. Du musst auch mal auf das hören, was du brauchst und das ist jetzt im Moment Bettruhe. Es zwingt dich doch niemand, hier alles auf Hochglanz zu bringen, wenn es dir so schlecht geht. Du musst endlich mal mit diesem Denken aufhören. Und jetzt ruhst du dich aus und das so lange, bis du wieder gesund bist. Und wehe, du wagst es auch nur daran zu denken, dich wieder zu übernehmen. Dann werde ich dir persönlich noch Zimmerarrest verhängen.“ Und da Andrew wusste, dass Oliver ernst machen würde, versprach er es ihm. Die nächsten Tage verbrachte der Ire damit, von seinem Laptop aus zu arbeiten und kümmerte sich nebenbei noch um Andrew, dessen Zustand sich teilweise immer weiter verschlechterte. Da er noch nie so schwer krank geworden war, wusste er auch nicht, wie er damit umgehen sollte und wurde immer wieder von schmerzhaften Hustkrämpfen geplagt. Er blieb die meiste Zeit im Bett und sah sich irgendwelche Sendungen im TV an, dann gab es aber auch wieder Momente, wo Oliver bei ihm saß und ihm von seinen früheren Hobbys und Reisen erzählte. Dass er sich so um ihn kümmerte, war Andrew neu, denn er hatte so etwas noch nie erlebt. Ganz im Gegensatz zu Oliver selbst, der damals sehr viel Zuwendung von seiner Familie und seinen Freunden erfahren hatte, wenn er krank war oder Herzprobleme hatte. Als sich am dritten Tag noch keine sichtbare Besserung eingestellt hatte, saßen sie wieder gemeinsam da und Andrew sagte schließlich „Irgendwie erzählst du mir so viel über das, was du erlebt hast. Aber… du erzählst mir nie etwas über deine Vergangenheit oder deine Familie.“ „Das hat auch gewisse Gründe“, erklärte der gebürtige Ire und faltete die Hände. „Meine Familie wurde getötet, als ich zwölf Jahre alt war. Du weißt ja, ich stamme aus Irland und mein richtiger Name ist Othan Ohlew, mir persönlich gefällt aber Oliver O’Brien besser, das klingt zum einen irischer und außerdem erinnert es mich immer an „Oliver Twist“. Damals gab es einen Serienmörder, der seinen Opfern lebend die Augen herausgerissen hat, bevor er sie tötete. Die Augen sammelte er und wurde deshalb der Eyeball-Killer genannt. Er nannte sich selbst immer „Sigma“ und er war genauso kaltblütig und grausam, wie er intelligent war. Man kann schon fast sagen, dass er dem BB-Killer ebenbürtig war, nur hatte Sigma mehr als 20 Menschen auf dem Gewissen und hat schon seine eigenen Eltern im zarten Alter von sechs Jahren umgebracht. Irgendwann ist meine Familie in sein Visier geraten. Er ist nachts bei uns ins Haus eingedrungen und hat mich, meinen kleinen Bruder Kian und meinen Vater verschleppt. Zuerst brachte er meinen Bruder um, dann meinen Dad. Bevor er mir die Augen herausnehmen konnte, kam die Polizei und hat ihn festgenommen. Ich erfuhr, dass L es geschafft hatte, ihn aufzuspüren und damit hatte ich ihm mein Leben zu verdanken. Da ich ziemlich talentiert war, was Computer betraf und ich auch was im Kopf hatte, kam ich schließlich zu euch ins Waisenhaus.“ Der Eyeball-Killer. Das war neben dem Kira-Fall und der BB-Mordserie einer von L’s berühmten Fällen, die internationales Aufsehen erregt hatten. Andrew hatte diese Mordserie mitverfolgt und sich auch oft genug gefragt, warum der Killer die Augen seiner Opfer stahl. Aber dann hatte sich herausgestellt, dass bei ihm eine Missbildung an den Augen vorlag. So waren seine Iris und seine Pupillen weiß, sodass seine Augen „leer“ aussahen. Und da das nun mal ein ziemlich furchteinflößender Anblick war, hatte der Killer in seiner Jugend ziemlich viel durchmachen müssen. Von den Eltern, den anderen Kindern und von der ganzen Welt wie ein Monster behandelt, entwickelte er immer mehr die Charakterzüge eines Monsters, bis er sich in eine Wahnidee reinsteigerte. Nämlich in die, dass die Augen das Gefäß der Seele seien und er keine Seele habe. Deshalb riss er seinen Opfern bei lebendigem Leibe die Augen aus, um eine eigene Seele zu besitzen. Eine ziemlich berühmte Mordserie, die auch schon Stoff für unzählige Autoren und Biografen geliefert hatte und anscheinend auch schon verfilmt wurde. Selten hatte Andrew von solchen Menschen gehört. Aber wenn er so an die Zeit im Norington Waisenhaus dachte. Welches Monster da gewütet und all seine Freunde umgebracht hatte… Allein der Gedanke an diese ausdruckslosen und leeren Augen jagte ihm Angst ein und er wollte es einfach nur vergessen. Doch wenn er so daran dachte, was Oliver passiert war… Er hatte seine eigene Familie sterben sehen und das noch auf solch grausame Art und Weise. „Das muss echt schlimm für dich gewesen sein.“ „Ja, das war es. Und bei der ganzen Aufregung habe ich auch einen Herzinfarkt gekriegt und lag lange Zeit im Krankenhaus. Das war auch unter anderem der Grund für meine Depression, gleich neben der Tatsache, dass ich mit meinem Herzen nicht älter als 17 Jahre geworden wäre. Ich dachte auch, ich hätte es nicht verdient, am Leben zu sein, wenn ich schon meine Familie nicht retten konnte. Natürlich wusste ich, dass das bescheuert war, so etwas zu denken. Ich war damals noch ein Kind und dieser Sigma war ein unheimlicher 30-jähriger Killer, der nicht nur in Irland und England, sondern auch in Amerika sein Unwesen getrieben hat. Gegen den hätte ich nie eine Chance gehabt und irgendwann habe ich auch gelernt, das zu akzeptieren. Deshalb verstehe ich dich auch wirklich gut, was du durchgemacht hast, als sich dieses Massaker im Norington Waisenhaus ereignet hat. Du hast deine Freunde und deine Familie verloren.“ Andrew runzelte verwundert die Stirn, als er das hörte und fragte „Wie meinst du das?“ „Deine Eltern waren die Leiter des Waisenhauses. Judith Asylum hatte dort gearbeitet und mit dir und deinem Vater dort gewohnt.“ Verwirrt sah Andrew ihn an und verstand das alles erst mal nicht. Er war gar nicht als Waise ins Norington Waisenhaus gekommen, sondern war dort aufgewachsen, weil seine Eltern dort gearbeitet hatten? Aber wieso hatte er sich nicht daran erinnern können, sondern stattdessen gedacht, seine Eltern wären bereits vorher gestorben? „Komisch, irgendwie kann ich mich nicht so wirklich daran erinnern…“ „Naja, du warst ja auch jung gewesen und außerdem war das Massaker dort schon traumatisch genug für dich gewesen, da kann man schon mal ein paar Sachen durcheinander bringen. Aber es ist Tatsache, dass deine Eltern dort gearbeitet haben und du deshalb dort im Waisenhaus gewohnt hast. Ich habe mich sehr mit deinem Leben beschäftigt, weil du meine große Leidenschaft warst, deshalb wollte ich auch wissen, was passiert ist, dass du in Wammys House gekommen bist.“ „Und hast du auch schon herausgefunden, wer das Massaker angerichtet hat?“ „Leider nein. Ich hab mich immer wieder damit beschäftigt, aber den Mörder habe ich bis heute nicht gefunden. Der Einzige, der seine Identität kennt, bist du.“ Andrew senkte den Blick und man sah ihm an, dass er Angst hatte. „Keine Bange, ich werde dich nicht ausfragen oder dich dazu zwingen, darüber zu sprechen. Wenn du eines Tages den Mut dazu aufbringen solltest, werde ich dir selbstverständlich zuhören. Aber das hat Zeit. Wichtig ist erst mal, dass du gesund wirst. Ich soll dir von den Kindern übrigens schöne Grüße ausrichten. Sie wünschen dir gute Besserung und hoffen, dass du für das nächste Treffen fit genug bist. Wir wollen eine alte still gelegte Fabrik mit Graffiti verschönern.“ „Klingt echt toll. Hoffentlich geht es mir bis dahin wieder besser.“ Die letzten Worte brachte Andrew nur noch mit Mühe hervor und erlitt wieder einen Hustkrampf, der sich anfühlte, als würde man ihm ein Messer in die Brust stoßen. Er versuchte schon, seine Atmung zu verlangsamen und nicht zu tief Luft zu holen, damit er nicht wieder dieses fürchterliche Rasseln spürte, wodurch er immer so husten musste. Oliver überprüfte seine Temperatur, konnte aber keine Verbesserung erkennen. Zwei weitere Tage vergingen und Oliver ließ sich immer wieder irgendetwas Neues einfallen, um dem kranken Andrew zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Immer wieder verabreichte er ihm neue Gemische, deren Zutaten er lieber nicht verraten wollte und die seiner Erfahrung nach wirklich helfen konnten. Und als Andrew fragte, woher er genau die Rezepte hatte, erklärte der Hacker, er habe sie von einer befreundeten Mambo gelernt. Und da Andrew nichts mit dem Begriff anfangen konnte, klärte Oliver ihn auf. „Mambos sind weibliche Hohenpriesterinnen im Voodoo-Kult. Houngan werden die männlichen genannt und ein Bokor ist einer, der sich auf schwarze Magie spezialisiert hat. Mambos und Houngans stehen an der Spitze ihrer Religion und beschäftigen sich mit Ritualen, Erhalten traditioneller Lieder und Tänze und der Kommunikation mit Geistern und vertreten ihre Interessen als auch die der Gottheiten, an denen sie glauben. Ich war ja selbst für zwei Monate ein Houngan, als ich von Südafrika aus nach Haiti gereist bin. Einige der Heilmittel, die sie mir gezeigt haben, werden schon seit Jahrhunderten weitergereicht. Nur darf man eben nicht fragen, was man da schluckt, sonst könnte es ein wenig… unangenehm werden.“ „Wieso? Sind da etwa Tiergedärme drin?“ Oliver sagte nichts dazu und Andrew wollte lieber nicht wissen, ob dieses Schweigen jetzt ein „ja“ oder „nein“ war. Doch überraschenderweise half es tatsächlich und schließlich ließ auch dieser schmerzende Husten nach. Oliver selbst erwies sich als guter Krankenpfleger und wich kaum von Andrews Seite. Meist, wenn dieser schlief, kümmerte sich Oliver um seine Arbeit, oder vertrieb sich die Zeit damit, indem er an seinem „Baby“ (nämlich dem Nazipanzer im Hinterhof) herumbastelte, oder seiner Anime-Sammelleidenschaft nachging. Zwar war es schon ärgerlich, dass die Krankheit ausgerechnet dann ausbrechen musste, als sie sich endlich näher gekommen waren und einander ihre Gefühle gestanden hatten. Aber andererseits hatte es auch sein Gutes, zumindest hatte Andrew das erste Mal erlebt, wie es sich anfühlte, wenn sich jemand um einen kümmerte. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, dass sich jemand anderes überhaupt mal so um ihn gekümmert hatte, als er das letzte Mal krank war. Deshalb war das ja auch eine völlig neue Erfahrung für ihn. Und immer noch fiel es ihm auch schwer zu realisieren, dass da jetzt mehr zwischen ihm und Oliver war, als zu Beginn seines Einzugs. Kapitel 12: Ein spontaner Besuch -------------------------------- Selbst nachdem sich Andrew vollständig wieder erholt hatte und auch sein Fieber wieder abgeklungen war, durfte er erst mal keine anstrengenden Aufgaben übernehmen und nachdem auch die wöchentliche Wartung am Gedankenschaltkreis erledigt war, ging Oliver meist wieder halbtags zur Arbeit, da sich offenbar ein sehr wichtiges Projekt in der Endphase befand und er noch einiges programmieren musste, damit auch alles lief. Aber irgendwie waren sie sich seitdem nicht ein einziges Mal näher gekommen und auch Andrew war sich nicht so wirklich sicher, woran das lag. Es verunsicherte ihn auch so ein bisschen, denn irgendwie hatte er ja schon erwartet, dass sich irgendetwas ändern würde, nachdem Oliver ihn schon dazu motiviert hatte, es einfach mit einer neuen Beziehung zu versuchen. Und normalerweise hieß es doch, dass man als Verliebter Schmetterlinge im Bauch hatte und an nichts anderes mehr denken konnte, als an seinen Liebsten. Natürlich wusste er, dass es nicht bei jedem gleich war und außerdem hatte er tief in seinem Herzen immer noch Gefühle für Beyond, aber es war auch Tatsache, dass er oft an Oliver dachte. Trotzdem wusste er manchmal nicht mit absolut fester Überzeugung, dass es auch wirklich Liebe war. Seinen eigenen Gefühlen vertraute er für gewöhnlich nicht, denn die hatten ihn schon oft genug in die Irre geführt. Und er wollte auch Oliver keine falschen Hoffnungen machen oder ihn irgendwie verletzen. Ach Mensch, was sollte er denn bloß tun? Bei wem konnte er Rat suchen? Ridley schied aus, der war Olivers bester Freund und der hatte wegen diesem Projekt bei Vention ohnehin viel zu tun. Frederica war genauso wie Dr. Brown spurlos verschwunden (ihn hätte er sowieso als allerletzten Menschen auf der Welt gefragt) und Beyond wäre der Letzte, den er fragen wollte. Also wer blieb denn da bitteschön? Er kannte doch sonst niemanden. Doch da fiel ihm jemand ein, den er vielleicht fragen konnte. Beyonds Adoptivschwester Rumiko hatte ihm ihre Telefonnummer gegeben, falls er einen Rat brauchte und sich nicht an Beyond oder L wenden wollte. Ob das auch wirklich in Ordnung war, sie mit seinen Problemen zu belasten? Nun ja, Beyond hatte jedenfalls gesagt, dass sie die absolute Experten für solche Beziehungen war, weil alle ihre männlichen Freunde schwul waren und sie war immerhin die berühmte Mama Ruby, die ja jeder in der Schwulenszene von Boston kannte. Und wer sie noch nie persönlich getroffen hatte, der hatte doch zumindest von ihr gehört. Also wählte er ihre Nummer und es dauerte nicht lange, da meldete sie sich auch schon. Dabei hörte sie sich aber an, als hätte sie gerade geheult. „Ähm, guten Tag Rumiko. Ich bin’s, Andrew. Entschuldigung, aber rufe ich gerade ungelegen an?“ „Nein, überhaupt nicht. Alles in Ordnung, es sind nur die verdammten Schwangerschaftshormone, die lösen ständig bei mir Gefühlsschwankungen aus. Aber sag schon, wie geht es dir denn? Beyond hat auch schon überlegt, bei dir mal nachzufragen, aber er wollte dich nicht bedrängen und er weiß ja, dass du erst mal Abstand brauchst.“ „Mir geht es soweit gut hier. Oliver kümmert sich gut um mich und ich hab mich gerade von einer Bronchitis erholt. Aber… irgendwie hab ich gerade ein kleines Problem und ich weiß nicht wirklich weiter. Und da du dich mit solchen Sachen am besten auskennst, dachte ich, ich kann dich fragen.“ Er brauchte nicht näher darauf einzugehen, Mama Ruby ahnte schon, was da los war und man konnte deutlich heraushören, dass sie grinste. „Na wer glaubt’s denn? Du und Oliver habt was miteinander? Nun ja, ich finde ihn ein kleines bisschen unverschämt, aber…“ „Er ist ein bisschen frech und unkonventionell, das stimmt. Aber er hat ein wirklich großes Herz. Egal was ist, er baut mich immer wieder auf und weiß Rat.“ „Und seid ihr euch auch schon irgendwie näher gekommen?“ „Letzte Woche. Wir kamen von einer Feier und ich war ein wenig angetrunken und ich glaub, ich war auch ein kleines bisschen high. Aber da ist es eben passiert und danach ist es ein wenig drunter und drüber gelaufen.“ Andrew erzählte ihr, was nach der Feier passiert war und wie er von Olivers Beziehung mit Elijah vor zehn Jahren herausgefunden hatte und welche Geschichte sich dahinter verbarg. Rumiko hörte ihm aufmerksam zu und war selber sehr bewegt von der Geschichte, aber dann kam Andrew auf sein Dilemma zu sprechen. „Während ich krank war, ist Oliver kaum von meiner Seite gewichen. Aber seitdem es mir besser geht, da läuft es eigentlich wieder genauso wie vorher auch schon. Ich weiß echt nicht, ob es an mir liegt und ich irgendwie zu viel erwarte… Wie siehst du das?“ Eine Weile musste die schwangere Musiklehrerin überlegen. Über Telefon war das ja nicht so einfach zu klären, aber sie wohnte direkt nebenan von L und Beyond und den beiden wollte er erst einmal aus dem Weg gehen. Schließlich aber schien sie eine passende Antwort gefunden zu haben. „Weißt du Andrew, vielleicht machst du dir einfach zu viel Sorgen und machst aus einer Mücke gleich einen Elefanten. Dass Oliver dir nicht näher gekommen ist, kann doch verschiedene Gründe haben. Vielleicht will er dich nicht bedrängen und dir den ersten Schritt überlassen, weil er weiß, wie unsicher du in vielen Sachen bist. Oder womöglich will er sich zurückhalten, weil er denkt, dass du gerade erst wieder gesund bist und vielleicht noch etwas Schonung brauchst. Vielleicht beschäftigt ihn ja auch gerade etwas und er ist deshalb etwas abgelenkt. Nur weil zwischen euch wieder eine gewisse Normalität eingekehrt ist, heißt das noch lange nicht, dass es auch so zwischen euch weitergeht. Jede Beziehung ist anders. Manche turteln den ganzen Tag miteinander herum wie frisch verliebte Teenager, manche brauchen erst mal eine Weile, bis sie sich an diese neue Situation gewöhnt haben. Meistens sind das Freunde, die sich plötzlich ineinander verliebt haben und erst mal versuchen müssen, von dieser Freundschaftsschiene herunterzukommen. Bei dir ist es so, dass du einfach zu viel von dir selbst verlangst. Du erwartest gleich die großen Gefühle und dass sofort alles perfekt läuft. Aber das muss es nicht immer. Ich weiß ja, dass das alles noch so neu für dich ist und dass du nicht viel positive Erfahrung hast, was Beziehungen betrifft. Eben deshalb erwartest du einfach zu viel und hast zu große Erwartungen an dich selbst. Wenn du einen Tipp willst: schalt einen Gang zurück und sprich offen und ehrlich mit Oliver. Wenn er dich so sehr liebt, wie du mir erzählt hast, dann wird er Verständnis haben und dann klärt sich auch alles. Und keine Sorge, dieses Gespräch bleibt unter uns beiden, versprochen! Ich sag Beyond nur Bescheid, dass es dir ganz gut bei Oliver geht, okay? Sonst kommt der gar nicht mehr zur Ruhe. Über deine Beziehung sage ich aber erst mal nichts, das überlasse ich dir!“ Er bedankte sich bei Rumiko und fühlte sich sogleich viel besser. Vielleicht hatte sie ja Recht und er erwartete einfach viel zu viel auf einmal und war deshalb wieder so verunsichert. Ich sollte wirklich mal einen Gang zurückfahren und aufhören, alles immer so überstürzen zu wollen, nur um dann wieder so dermaßen verunsichert zu werden, weil es dann nicht so läuft. Oliver geht es doch auch immer so ruhig an, ich sollte mir das auch mal angewöhnen. Und womöglich stimmt das ja auch und er wartet irgendwie darauf, dass ich den ersten Schritt mache, weil er mich nicht bedrängen will und Rücksicht auf mich nimmt. Vielleicht sollte ich ihm einfach mal zeigen, dass ich es ernst meine. Aber wie denn? Andrew kam schließlich eine Idee: er konnte Oliver doch besuchen gehen. Ja, das sollte er machen. Damit würde Oliver nicht rechnen und wer weiß, vielleicht freute der sich ja. Also setzte sich Andrew an den Computer, suchte die Adresse heraus und suchte gleich nach einer Möglichkeit, wie er am besten dorthin kam. Zu Fuß brauchte er mindestens zwei Stunden und bis dahin war Oliver längst wieder zurück. Also suchte er sich öffentliche Verkehrsverbindungen raus und wurde auch fündig. Super, dann war das ja schon mal geklärt. Andrew schrieb sich alles auf, dann schnappte er sich seine Jacke und seinen Schal und machte sich auf den Weg. Auch wenn er schon seit zehn Jahren in Boston lebte, kannte er sich dort überhaupt nicht aus. Nun gut, es lag ja auch daran, weil er das Institut entweder nicht verlassen konnte oder durfte. Und erst seit ein paar Wochen hatte er etwas anderes zu Gesicht bekommen, als das Innere des Gebäudes. Deshalb dauerte es auch eine ganze Weile, bis er sich hier noch zurechtfinden würde. Glücklicherweise wusste er sich zu helfen und er hatte sich alles aufgeschrieben. Nach knapp einer halben Stunde Fahrt stieg er aus und fuhr noch mal zehn Minuten mit einer anderen Linie, bis er endlich den Firmensitz von Vention erreichte. Es war ein gigantischer Bau und man sah auch deutlich, dass dieser noch nicht lange hier stand. Tatsächlich hatte Vention vorher seinen Hauptsitz in New York gehabt, war dann aber Boston verlegt worden. Vention besaß auch im Ausland diverse Zweigstellen, auch in England, wo Ridley mit seiner Familie zuvor gelebt und dort auch Oliver und Elijah kennen gelernt hatte. Dann war die Konzernleitung vor zehn Jahren an Ridleys Vater übergegangen, nachdem der Großvater in den Ruhestand gegangen war und da Oliver mit den Tanners gut befreundet war, hatten diese ihm direkt eine Stelle angeboten und daraufhin war er ihnen nach Amerika gefolgt. So zumindest war die Geschichte, die Oliver ihm erklärt hatte. Gleich am Eingang wurde Andrew abgefangen und ins Kreuzverhör genommen. Zwar versuchte er zu erklären, dass er Oliver besuchen wollte, aber so ganz schien man ihm nicht glauben zu wollen und erst Ridley konnte Licht in die Angelegenheit bringen und alles klären. Sofort brachte dieser ihn ins Innere des Gebäudes und erklärte den ganzen Trubel. „Sorry Andrew, aber bei Vention gelten sehr strenge Sicherheitsvorkehrungen, weil wir immerhin an neuartiger Technologie forschen. Und da ist das Risiko der Spionage sehr hoch und wir wollen natürlich auch verhindern, dass unsere Sachen geklaut und verhökert werden. Ich lass dir einen Besucherausweis ausstellen, dann kommst du problemlos durch. Und wenn dich jemand aufhalten sollte, dann sag denen einfach, sie sollen mich fragen.“ „Danke, Ridley. Nun ja, das Ganze war auch recht spontan…“ „Du wolltest Olli besuchen, oder? Nun, der wird sich wahrscheinlich noch mit Dr. Cynthia Rickfield besprechen. Hoffentlich geht das gut mit denen…“ „Wieso? Verstehen sich die beiden etwa nicht?“ „Wie man’s nimmt. Das mit den beiden ist echt kompliziert. Oliver geht ja recht locker mit den Kollegen um und nimmt Sticheleien oder harmlose Flirts gelassen hin. Aber Dr. Rickfield kann ein wenig schwierig sein.“ Sie gingen durch ein ganzes Labyrinth von Treppen und Gängen und wollten gerade durch eine Tür gehen, da kam ein Anzugträger mit Brille herbeigeeilt und rief „Mr. Tanner, Sie werden dringend im Konferenzraum C erwartet. Es geht um die Vertragsabwicklung mit Russland.“ Ridley seufzte und schüttelte den Kopf. „Dieser verdammte Petrow hat doch schon sämtliche Papiere vorliegen und wir haben bereits alles mehrmals duchgekaut. Was will er jetzt wieder?“ „Es geht um ein paar „Ungereimtheiten“. Aber er wollte die Details mit Ihnen persönlich klären.“ „Okay, ich komm sofort.“ Und damit wandte er sich Andrew zu. „Entschuldige, aber ich muss eben abzischen. Du gehst einfach den Gang durch zu Labor 4.10. Dort wirst du Oliver schon finden.“ Damit verabschiedete sich Ridley von ihm und ging mit dem Anzugträger davon. Andrew folgte seiner Wegbeschreibung und hatte dann tatsächlich das genannte Labor erreicht. Er hörte auch bereits Stimmen hinter der Tür und eine davon gehörte eindeutig Oliver. Ohne großartig zu überlegen öffnete er deshalb die Tür und was er da sah, ließ ihn gleich die Sprache verschlagen. Fassungslos sah er, wie Oliver auf einem Tisch lag und eine Frau sich über ihn gebeugt hatte, die ihre Bluse ausgezogen hatte und nur noch einen schwarzen Spitzen-BH trug. „Jetzt hab dich doch nicht so, Oliver. Wir beide sind füreinander bestimmt und das Kind ist von dir.“ „Jetzt geh endlich von mir runter, Cynthia und hör auf mit dem Quatsch.“ Mit Mühe gelang es ihm, die Frau von sich zu stoßen und sich wieder aufzurappeln. Erst jetzt sah er Andrew in der Tür stehen und die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Andy, was machst du hier?“ Doch dieser antwortete nicht, denn er war noch völlig geschockt von der Situation und sah, wie die Frau hastig wieder ihre Bluse anzog. „Oliver“, rief sie und sah Andrew mit einem eiskalten und herabwürdigenden Blick an. „Wer ist dieser Mann und was hat er hier zu suchen?“ „Das ist mein Freund Andy.“ Damit ging Oliver zu ihm hin und legte einen Arm um seine Schultern. Dieser sagte immer noch nichts und verstand nicht, was hier vor sich ging und was Oliver überhaupt mit dieser Frau zu schaffen hatte. Aber man sah ihm deutlich an, dass er genervt war. Sein Haar war offen und ein wenig zerzaust. Die Frau sah die beiden an und fragte dann „Was meinst du damit?“ „Dass wir beide ein Paar sind. Also hör endlich mit deinen bescheuerten Aktionen auf und lass mich in Ruhe. Das mit dir war bloß ein One-Night-Stand und bevor du mir noch ein Kind andrehen willst, will ich erst einen Vaterschaftstest machen lassen, okay?“ Doch sie hörte nicht richtig hin, denn so ganz hatte sie wohl noch nicht realisiert, was Oliver ihr da gerade gesagt hatte. Dann aber entgleisten ihr die Gesichtszüge und sie schrie förmlich „Du bist mit einem Mann zusammen? Willst du mich auf den Arm nehmen?“ „Du wusstest doch, dass ich bi bin, also tu hier nicht so überrascht, Cynthia. Und ich sag es noch mal klar und in aller Deutlichkeit: ich will nichts von dir und das mit uns war eine einmalige Sache, das habe ich dir schon oft genug gesagt und so langsam habe ich die Faxen dicke. Ich hab Walden und Ridley nichts gesagt, weil ich dachte, du würdest irgendwann aufhören und Berufliches und Privates voneinander trennen können, aber wenn du weiter so machst, dann knallt es noch richtig zwischen uns und dann bin ich mal gespannt, was die wohl machen werden. Auf deine Belästigungen habe ich keine Lust und ich lass mir hier von dir auch kein Kind unterschieben. Nicht, bevor ein Vaterschaftstest gemacht wurde und ich den Beweis klar und deutlich vor mir liegen habe. Ich liebe Andy und daran wird sich auch nichts ändern. Krieg das endlich in deinen Kopf rein.“ Und damit verließ Oliver das Labor und nahm Andrew gleich mit. Er war auf 180 und bis dahin hatte der 25-jährige ihn noch nie so erlebt. Normalerweise blieb Oliver ruhig und gefasst und sah alles ganz locker, aber offenbar musste schon einiges mit dieser Frau vorgefallen sein, dass er so stinksauer war. Sie gingen runter ins Erdgeschoss und dann zum Außengelände, dann setzten sie sich erst mal auf eine Bank. „Sorry Andy, das war gerade ein echt ungünstiger Zeitpunkt gewesen, um reinzuschneien.“ „Hat man gesehen“, murmelte er und sah zu Boden. Oliver fischte sich eine Packung Zigaretten aus seiner Jackentasche, holte einen Glimmstängel heraus und zündete ihn an, bevor er einen tiefen Zug nahm. „Sie scheint wohl ziemlich auf dich zu stehen, oder? Du hattest was mit ihr?“ „Es war ein One-Night-Stand. Wir waren vor knapp zwei Monaten auf einer Feier, hatten ziemlich was getrunken und dann ist es eben passiert. Für mich war es eine einmalige Sache, weil sie für mich nur eine Kollegin ist. Aber sie ist leider eine von der Sorte, die nicht locker lässt. Und sie lässt wirklich nichts unversucht und das nervt eben. Aber ich wollte sie auch nicht direkt anschwärzen, weil sie im schlimmsten Fall ihren Job verlieren würde. Ich dachte, wir könnten Berufliches und Privates trennen, aber anscheinend hat das nicht funktioniert und jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als den Vorfall zu melden. Denn sonst gibt sie nie Ruhe. Und dann kommt sie auch noch damit an, sie wäre schwanger von mir. Nun gut, wir beide waren angetrunken, aber ich hab immer aufgepasst, eben weil ich genau so etwas vermeiden will. Wahrscheinlich aber täuscht sie das nur vor, damit sie mich überreden kann, oder aber sie hat es von einem anderen Kerl und will es mir unterschieben. Und wenn es wirklich von mir sein sollte, dann muss was schief gelaufen sein.“ Andrew schwieg und musste daran denken, dass diese Frau tatsächlich ein Kind von Oliver haben könnte. Was würde dann passieren und wie würde es mit ihnen weitergehen? Irgendwie hatte er sich diesen Besuch etwas anders vorgestellt und schließlich fragte er „Was wirst du tun, wenn das Kind tatsächlich von dir ist?“ „Dann werde ich die Verantwortung übernehmen und auch den Kindesunterhalt zahlen. Ich werde natürlich auch für das Kind da sein und ihm ein Vater sein. Aber das würde nichts daran ändern, dass ich nichts von ihr will und auch niemals mit ihr anfangen möchte. Aber noch steht nicht fest, ob sie tatsächlich schwanger ist und ob das Kind von mir ist. Tut mir echt leid, dass du das miterleben musstest. Aber sag schon, wieso hast du nicht angerufen, dass du herkommen wolltest?“ „Ich wollte dich überraschen.“ „Echt süß von dir, wenn es nicht so dermaßen in die Hose gegangen wäre, aber damit hätte ja keiner von uns gerechnet. Aber bedrückt dich irgendetwas, oder ist es wegen Cynthia, dass du so ein Gesicht ziehst?“ Andrew sah immer noch zu Boden und dachte nach. Es war irgendwie komisch, es selbst mitzuerleben, dass Oliver auch was mit Frauen hatte, wo doch sie beide jetzt ein Paar waren. Er wusste selbst, dass er kein Interesse an Frauen hatte und bis jetzt hatte es immer nur entweder das eine oder das andere gegeben, so zumindest war seine Sicht der Dinge. Entweder hetero, oder gleichgeschlechtlich. Aber dass Oliver zwischen den Stühlen stand, war irgendwie… komisch. „Eines musst du mir erklären“, sagte er nach einigem Zögern und sah in Olivers dunkle Augen. „Wie kommt man dazu, Männer und Frauen zu lieben?“ „Nun, genauso gut könnte ich dich fragen, wieso du Männer und nicht Frauen liebst. Man entscheidet das nicht so einfach, es ist eben so. Ich suche es mir ja nicht gerade aus so nach dem Motto: heute nehme ich mal Frauen ran und morgen Männer. Und ich hatte auch nie ein Problem mit meiner Bisexualität und sowohl Ridley, als auch meine Kollegen und meine Freunde gehen ganz locker damit um. Ist das ein Problem für dich?“ Unsicher zuckte Andrew mit den Schultern und war sich nicht sicher, wie er es am besten erklären konnte. „Es war nur so komisch, dass ich von dieser Frau erfahre, wenn wir beide doch jetzt zusammen sind. Naja… und… ich hatte außerdem irgendwie das Gefühl, als wären wir beide wieder genau da, wo wir anfangs waren, seit ich wieder gesund bin. Ich gebe zu, dass ich überhaupt keine Erfahrungen mit richtigen Beziehungen habe und ich auch von mir zu viel erwarte, aber…“ Bevor er weitersprechen konnte, legte Oliver ihm einen Finger auf die Lippen, um ihn zu unterbrechen, dann küsste er ihn. Es geschah wieder so überraschend und plötzlich, dass Andrew überhaupt nicht damit rechnen konnte und so brauchte er einen Moment, um zu reagieren und diesen Kuss zu erwidern. Dann aber realisierte er, dass sie sich immer noch auf dem Gelände befanden und sie gesehen werden konnten. „Was wenn uns jemand sieht?“ „Na und? Dann sehen sie eben zwei Verliebte, die sich küssen. Ist doch nichts dabei. Es ist genauso, als würde irgendein Verheirateter hier seine Frau in Empfang nehmen und sie küssen. Und wen der Anblick stört, der hat eben Pech gehabt. Aber was mein eher zurückhaltendes Verhalten angeht, dafür gibt es eine einfache Erklärung: erstens bist du gerade erst wieder gesund und wenn du dich überanstrengst, kippst du mir noch um oder wirst wieder krank. Und außerdem wusste ich nicht so wirklich, wie ich mich dir gegenüber verhalten sollte und ob du vielleicht überfordert sein könntest, wenn ich zu direkt rangehe. Ich will dich ja nicht zu irgendetwas drängen, was du nicht willst, also wollte ich es langsam angehen, damit es dir vielleicht einfacher fällt. Und außerdem hab ich noch einige andere Dinge, die mich beschäftigen. Erst einmal muss das Projekt unbedingt fertig gestellt werden und irgendwie geht es hier gerade ein wenig chaotisch zu. Dann ist da noch die Sache mit Cynthia, die ich noch melden muss und ich hab die Nachricht bekommen, dass sich Harveys Zustand drastisch verschlechtert hat. Harvey ist der Junge im Rollstuhl, den du auf der Party kennen gelernt hast. Er lebt im Hospiz und hat nur noch knapp einen Monat zu leben, wie die Ärzte gesagt haben. Die anderen besuchen ihn so oft sie können und ich wollte auch noch mal bei ihm vorbeischauen. Aber wenn sein Zustand sich noch weiter verschlechtert, wird er die nächsten zwei Wochen nicht mehr schaffen. Und das geht eben auch ein wenig an die Nieren.“ Nun sah Andrew ihn aus einem völlig neuen Blickwinkel. Er hatte bis vor kurzem noch gedacht, dass Oliver alles egal wäre und er alles locker wegsteckte, egal was es sei, aber auch er konnte mal an Grenzen stoßen, wodurch er nicht mehr so unerschütterlich und perfekt wirkte wie sonst. Schließlich aber erhob sich Andrew und nahm Olivers Arm. „Ich glaube, du brauchst jetzt ganz dringend eine Wassermelone.“ Und als er das hörte, konnte der gebürtige Ire nicht anders, als darüber zu schmunzeln. „Da hast du wohl Recht. Okay, dann lass uns nachher gemeinsam eine vom Dach werfen.“ Kapitel 13: Telefonterror ------------------------- Nachdem sie wieder zuhause waren, bereitete Oliver das Mittagessen vor und Andrew ging ihm dabei zur Hand so gut es ging. Die Stimmung zwischen ihnen war deutlich lockerer als noch bei Vention und den Ärger mit Dr. Rickfield hatten sie längst wieder vergessen. Oliver hatte seine Pflicht getan und den Belästigungsvorfall gemeldet, um den Rest würde sich Ridley oder sein Vater Walden kümmern. Sie verloren auch kein Wort mehr darüber und während sie gemeinsam das Essen kochten, lief im Hintergrund Richard Wagners „Tannhäuser Overtüre“. Schließlich aber, als Andrew noch dabei war, das Gemüse zu schälen und zu schneiden, da kam ihm etwas in den Sinn. „Darf ich dir eine Frage stellen, Oliver?“ „Jederzeit. Was möchtest du denn gerne wissen?“ Doch Andrew zögerte noch mit seiner Frage, denn er wusste, dass diese ein wenig komisch und vielleicht auch etwas unangemessen war. Aber sie beschäftigte ihn dennoch. „Ist es für dich denn nicht manchmal komisch, mal mit Männern und dann mit Frauen zu schlafen?“ „Nun ja, ich hab es nie verglichen, weil ich außer dir und Elijah sonst keine männlichen Beziehungen hatte. Der Rest war alles Frauen. Und ich mache da auch keine Vergleiche. Es gibt sowohl bei Männern als auch bei Frauen gewisse Vorzüge, Nachteile, Unterschiede und auch Gemeinsamkeiten. Deshalb habe ich mir auch nie Gedanken darum gemacht, mit wem es sich am besten anfühlt. Ich sag mal so: wenn die Gefühle nicht stimmen, kann der Sex immer absolut beschissen sein. Gefühle machen meiner Einschätzung nach 80% dabei aus.“ „Du redest echt ganz schön offen darüber.“ „Ich hab ja auch nichts zu verbergen und ich wüsste auch keinen Grund, warum ich mich schämen sollte. Natürlich gucken einen die Leute manchmal schräg von der Seite an, aber das würden sie auch tun, wenn man nicht schwul oder bi wäre, sondern weil sie irgendetwas anderes finden würden, um einen doof von der Seite anzusehen und über einen zu lästern. Deswegen sollte man sich gar nicht erst die Mühe machen, es anderen Leuten recht machen zu wollen. Ganz einfach aus dem Grund, weil die Leute selbst dann immer noch einen Grund finden würden, um irgendwie einen Makel zu finden. Aber diese Makel machen ja erst unsere Persönlichkeit aus, deshalb können wir auf sie stolz sein. Oder zumindest auf ein paar von ihnen.“ Andrew konnte einfach nicht anders, als Oliver zu bewundern. Er war immer so selbstbewusst und verschwendete wirklich nie einen Gedanken daran, was andere über ihn dachten. Mit einem Male war die Atmosphäre zwischen ihnen viel vertrauter als in den letzten beiden Tagen und Andrew konnte irgendwie kaum den Blick von Oliver abwenden. Er ist wirklich ein bewundernswerter Mensch. Nicht nur deshalb, weil er so selbstbewusst war und für seine 26 Jahre schon so eine enorme Lebenserfahrung hatte, sondern weil er auch so offen über alles sprach und das sagte, was er dachte. Er war ganz anders als Beyond, wenn man die beiden so nebeneinander stellte. Beyond war deutlich ruhiger und distanzierter, außerdem sehr menschenfeindlich und er öffnete sich nur jenen, denen er vertraute. Oliver sprach offen über alles, war auch sonst ein sehr aufgeschlossener Mensch und suchte auch gerne die Gesellschaft zu anderen Leuten. Die beiden sind wirklich wie Tag und Nacht, dachte Andrew und schmunzelte. Unglaublich, dass man für zwei Menschen Gefühle haben kann, die so völlig verschieden sind. Tja, wo die Liebe eben hinfällt, nicht wahr? „Andy, kannst du eben kurz hier aufpassen?“ Erst jetzt merkte Andrew, dass Oliver mit ihm gesprochen hatte und sagte hastig „Äh ja, okay. Ist irgendetwas?“ „Mein Handy gibt gerade keine Ruhe und vibriert am laufenden Band wie ein Hosentaschenvibrator. Ich schau kurz nach, wer da versucht, anzurufen.“ Und während Andrew kurz alleine am Herd stand, verschwand Oliver aus der Küche und begann auf dem Flur zu telefonieren. Zuerst konnte er nicht viel verstehen, da genügend andere Geräusche seine Stimme übertönten, aber dann hörte Andrew, wie Oliver lauter wurde und nun richtig sauer klang. „Verdammt noch mal, hör auf ich anzurufen! Ich habe es dir bereits oft genug gesagt und ich sag es dir noch mal: lass mich in Ruhe, zwischen uns läuft nichts und wird auch nie laufen. Ich bin mit Andy zusammen und ich werde ihn auch garantiert nicht für irgendjemanden verlassen. Nein, nein vergiss es. Mein Entschluss steht fest und daran kannst du auch nichts ändern. Wenn du mich noch mal so anrufst, dann wird das Konsequenzen haben.“ Kurz darauf kam er in die Küche zurück, atmete laut aus und fuhr sich durchs Haar. „Die gibt aber auch wirklich keine Ruhe.“ „Ist es diese Dr. Rickfield?“ „Ja leider. Cynthia ruft mich die ganze Zeit an und versucht, mich zu bequatschen. Die hat echt den Schuss nicht gehört. Ich sag dir: wenn das so weitergeht, dann schlag ich ganz andere Töne an.“ „Und was hast du vor?“ „Als Hacker habe ich genug Möglichkeiten. Und außerdem habe ich ja noch Ridley und Walden. Eines steht fest: ich lass mir garantiert nicht von ihr die Stimmung verhageln und mich irgendwie bequatschen. Die soll endlich kapieren, dass ich nichts von ihr will und dass ich mit dir zusammen bin. Dann gibt sie auch hoffentlich Ruhe.“ Unfassbar, dass diese Frau so hartnäckig ist. Sie muss Oliver wirklich sehr lieben, wenn sie ihn so bedrängt. Na hoffentlich klärte sich das alles auch bald. Doch wie sich schnell herausstellen sollte, hörte der Telefonterror nicht auf. Sowohl Olivers Handy als auch das Telefon klingelten fast ununterbrochen und für Andrew grenzte das schon fast an Nachstellung. Und auch Oliver hatte genug und setzte sich sogleich daran, etwas dagegen zu unternehmen. Er setzte sich einfach an seinen Laptop und begann sogleich damit, die ersten Maßnahmen zu ergreifen. „Was genau hast du denn jetzt vor?“ fragte Andrew und setzte sich zu ihm hin. „Ich werde eine Rückverfolgung sämtlicher Anrufe machen und alles aufzeichnen, damit ich nachvollziehen kann, wer mich hier anruft. Selbst wenn sie mit unterdrückter Nummer anruft, krieg ich das ganz locker raus. Die lässt sich nicht von Worten abschrecken, also werde ich ganz einfach tätig werden. Problem bei so etwas ist, dass die Polizei meist nicht so einfach tätig wird, wenn nichts Ernsthaftes passiert oder wenn es kaum Beweise gibt. Also werde ich als erstes Beweise sammeln und dann Maßnahmen ergreifen. Die sehen so aus: ich werde einen neuen Telefonanschluss mit neuer Nummer einrichten. Das Gleiche gilt auch für mein Handy. Zusätzlich werde ich auf dem Grundstück vorsichtshalber Überwachungskameras einschalten. Ich weiß nicht, wie weit Cynthia noch gehen wird. Vielleicht belässt sie es bei Telefonterror, aber wenn sie noch weiter geht und versucht, hier irgendwie einzubrechen, dann haben wir sie sofort auf Kamera. Man weiß leider nie, wie weit so ein Stalker geht, aber wenn die nicht locker lassen, schrecken die auch so schnell nicht vor solchen Sachen zurück. Und bevor wir noch überrascht werden, haben wir wenigstens gut vorgesorgt. Für dich habe ich gleich auch noch was.“ „Für mich?“ fragte Andrew überrascht und sah, wie Oliver eine Armbanduhr hervorholte und sie Andrew umlegte. Sie sah sehr modisch aus, wenn auch nicht allzu protzig und teuer. „Auf der Unterseite der Uhr befindet sich ein Sender. Wenn du zwei Mal hintereinander das Glas herunterdrückst, wird der Sender aktiv und schickt ein Signal an mein Handy. Damit kann ich dich sofort orten und weiß dann auch, dass es Probleme gibt. Versteh mich aber nicht falsch, ich mach das jetzt nicht, um dich zu überwachen. Es ist nur für den Notfall gedacht, falls Cynthia auf den Gedanken kommen sollte, dir irgendwie zu nahe zu kommen, oder falls du Probleme mit dem GSK haben solltest und mich nicht mehr anrufen kannst. Wichtig ist nur, dass du daran denkst, die Uhr zu tragen.“ Andrew betrachtete die Uhr, nahm sie noch mal ab und wollte sich die andere Seite der Uhr ansehen. Doch da fiel ihm auf, dass sie eine Widmung hatte. „Liebe wechselt nicht mit Stunde oder Woche. Weit reicht ihre Kraft bis zum letzten Tag.“ Oliver Andrew musste schmunzeln, als er das las. „Shakespeare, Sonett 116, nicht wahr? Du weißt aber schon, dass es ein Sonett über Liebeskummer ist, oder?“ „Klar weiß ich das, aber ich dachte, es passt besser zu der Uhr. Und so hast du immer diesen kleinen Liebesbeweis bei dir.“ Damit gab Oliver ihm einen Kuss und lächelte zufrieden, als er sah, wie Andrew rot im Gesicht wurde. „Das… das ist wirklich süß von dir.“ Sofort legte er die Uhr wieder an und betrachtete sie. Nun gut, die Uhr war eigentlich bloß dazu da, damit er im Notfall Hilfe anfordern konnte, aber trotzdem kam sie ihm auch wie ein persönliches Geschenk von Oliver vor als Zeichen dafür, dass er ihn liebte. Etwas vorsichtig und zögernd nahm er seine Hand und lehnte sich an seine Schulter. „Ich kann mich nur wiederholen: du bist echt ein toller Mensch, Oliver.“ Sie sahen sich in die Augen und beinahe wäre es vielleicht zu mehr gekommen als nur zu einem Kuss, doch da begann das Telefon schon wieder zu klingeln und riss sie beide aus ihren Gedanken. Andrew ging hin und nahm den Hörer ab, dann sagte er zögerlich „Ja, hallo?“ „Verschwinde aus seinem Leben, oder ich mach dich fertig!“ Das war alles, was der Anrufer sagte und wieder auflegte. Andrew stand wie vom Donner gerührt da und konnte erst mal nicht glauben, was er da gehört hatte. Vor allem aber fragte er sich, woher der Anrufer denn wusste, dass er am Apparat war und nicht Oliver? Das musste doch diese Cynthia Rickfield sein, oder etwa nicht? Also steckte sie tatsächlich hinter den Anrufen und sie wollte ihn fertig machen, wenn er mit Oliver zusammen blieb? An der Stimme hatte er sie jedenfalls nicht erkennen können, die war nämlich elektronisch verzerrt. „Hey Andy, alles okay bei dir?“ „Du hattest Recht, es ist diese Dr. Rickfield. Sie will, dass ich aus deinem Leben verschwinde, oder sie wird mich fertig machen.“ Olivers Miene verdüsterte sich ein klein wenig, dann stand er auf und ging in die Küche zum Kühlschrank und holte zwei Bier. „Ich kapier echt nicht, wie man so hartnäckig bleiben und nicht einfach mal ein nein akzeptieren kann. In der Hinsicht sind die Frauen manchmal echt anstrengend. Zuerst rennen sie dir hinterher, dann servieren sie dich urplötzlich ab wie eine heiße Kartoffel und du musst damit leben. Und kaum, dass du sie abservierst, dann rennen sie dir hinterher und hören in jedem „nein“ ein „ja“. Ich werde aus denen echt nicht schlau.“ Schließlich kam er wieder zurück und reichte Andrew auch ein Bier, welches er dankend annahm. „Hattest du schon mal so ein Problem wie mit deiner Kollegin?“ „Zum Glück nicht, aber ich wusste vorher schon, dass Cynthia etwas komisch drauf ist. Aber sie sah gut aus, wir hatten genug getrunken, wir hatten gute Laune auf der Feier und da begeht man eben so eine Dummheit. Hätte ich gewusst, dass ich so einen Ärger mit ihr haben werde, dann hätte ich mich nie dazu hinreißen lassen, aber wie heißt es so schön: Erfahrungen sind diese wunderbaren Dinge, die man erst dann hat, wenn man sie schon viel früher hätte gebrauchen können. Ein guter Tipp von mir, Andy: wenn du alleine unterwegs bist, dann halte die Augen auf. Ich weiß nämlich leider nicht, was Cynthia noch so alles anstellen wird und wie weit sie auch gehen wird. Ich will nicht, dass dir noch etwas passiert, wo du doch überhaupt nichts damit zu tun hast.“ „Eigentlich ja doch, oder? Immerhin bin ich mit dir zusammen.“ „Ja, aber das hat nichts mit Cynthia zu tun. Unser One-Night-Stand war vor zwei Monaten und du bist erst vor knapp zwei Wochen hier eingezogen. Deshalb ist dieses Cynthia-Problem eigentlich mein Problem und ich finde es ein Unding, dass sie auf dich eintorpedieren will, obwohl du doch am allerwenigsten dafür kannst. Vielleicht hätte ich nicht direkt sagen sollen, dass ich mit dir zusammen bin, weil ich dich ja damit unbewusst in die Schusslinie gezogen habe. Aber ich wollte auch vor dir ganz klar zu dir stehen und klar machen, dass du der Einzige bist, mit dem ich zusammen sein will. Ach Mensch, dieser ganze Liebeskram ist echt ganz schön anstrengend. Kein Wunder, dass es bei Romeo und Julia oder Othello und Desdemona so in die Hose gegangen ist.“ „Vergiss nicht Hamlet und Ophelia.“ „Ach ja, die gibt’s ja auch noch. Naja, manchmal läuft es eben nicht immer so glatt. Aber sehen wir es doch mal positiv: wir rücken durch Cynthias bescheuerte Aktionen nur noch näher zusammen. Im Grunde geht ihr ganzer Plan voll nach hinten los.“ Er kicherte amüsiert darüber und legte einen Arm um Andrews Schultern. Diesem war schon recht schnell aufgefallen, dass dies wohl eine Angewohnheit von Oliver war. Aber bis jetzt hatte er sie nicht so oft bei anderen beobachten können wie bei ihm. Vielleicht war das ja deshalb so, weil Oliver gerne die Nähe zu ihm suchte. Offenbar kann er recht anhänglich sein, auch wenn er immer so tut, als wäre er nicht so. „Auf jeden Fall werde ich was gegen Cynthia unternehmen und nicht zulassen, dass sie dir zu nahe kommt und dir noch etwas antut.“ Sie unterhielten sich viel und schauten sich noch gemeinsam einen französischen Film in Originalsprache an, Oliver hatte währenddessen das Telefon ausgestöpselt, ebenso wie auch sein Handy ausgeschaltet und einfach ein Ersatzhandy genommen, welches er für Notfälle parat hatte. Er gab Ridley Bescheid und speicherte auch sogleich seine Nummer in Andrews Handy ein. Schließlich, als es langsam spät wurde und wohl nichts Interessantes mehr passieren würde, erhob sich Andrew und streckte sich. „Wo willst du hin?“ fragte Oliver und schaltete den Fernseher aus. „Ein Mal heiß duschen und dann in mein Zimmer.“ „Ach so…“ Doch anstatt, dass er sich wie üblich verabschiedete und dann das Wohnzimmer verließ, blieb er stehen und wollte wohl etwas sagen, doch er zögerte noch ein wenig. Man sah ihm an, dass er ein wenig verlegen war und schließlich begann er sich hinterm Ohr zu kratzen, während er etwas beschämt zur Seite sah. „Wenn…“, brachte er etwas zögernd hervor und schaffte es kaum, weiterzusprechen. „Wenn du willst, kannst du ja gleich zu mir kommen.“ Oh Gott, jetzt hatte er es gesagt. Andrew spürte, wie sein Herz schneller schlug und er hätte sich am liebsten dafür die Zunge durchgebissen, dass es ihm so ungeschickt herausgerutscht war. Hätte er doch am besten die Klappe gehalten… In seinem Kopf herrschte ein totales Chaos und er blieb immer noch wie angewurzelt stehen und hätte am liebsten so etwas gesagt wie „Vergiss es“ oder irgendetwas wie „Also was ich damit sagen wollte…“. Doch da war Oliver bereits aufgestanden, kam auf ihn zu und dann geschah es wieder so überraschend und plötzlich: er küsste ihn. Dieses Mal war es leidenschaftlicher und länger als sonst und als der 26-jährige Hacker Andrews Gesicht sah, lächelte er und sagte „Okay, ich komm gleich zu dir.“ Mit hochrotem Kopf und hämmernder Brust ging Andrew die Treppe rauf und verschwand sogleich ins Badezimmer. Hilfe, was hab ich denn da gemacht? Ich hab Oliver doch tatsächlich vorgeschlagen, dass wir… Nicht zu fassen, dass ich das tatsächlich gesagt habe. Was hat mich bloß dazu geritten, so etwas zu sagen? Ich muss doch vollkommen verrückt sein. Aber andererseits… ich wollte es doch, muss ich mich deswegen jetzt etwa schämen? Oliver und ich sind doch nicht mehr bloß Mitbewohner wie ganz zu Anfang, oder etwa nicht? Wir sind zusammen, das hat er vor dieser Dr. Rickfield selber ganz klar und deutlich gesagt. Also ist so etwas doch ganz natürlich. Trotzdem komme ich mir irgendwie total bescheuert vor. Vielleicht, weil es für mich immer noch so ungewohnt ist, weil ich streng genommen noch nie eine richtige Beziehung hatte? Nun, das mit Beyond vor zehn Jahren war ja eigentlich keine Beziehung gewesen. Wir waren Freunde, die hin und wieder miteinander geschlafen hatten, aber ein Liebespaar waren wir nie. Und das mit James war noch nicht einmal im Ansatz eine Beziehung. Im Grunde ist Oliver der Erste, mit dem ich wirklich richtig zusammen bin. Womöglich benehme ich mich ja deshalb so unbeholfen und bescheuert. Er verschwand unter die Dusche und heißes Wasser prasselte auf ihn herab und half ihm, seine Gedanken zu sortieren und sich wieder etwas zu beruhigen. Warum regte er sich denn überhaupt so auf und machte sich so viele Gedanken um nichts? Hatte Oliver denn nicht oft genug gesagt gehabt, man solle sich nicht die ganze Zeit davon beeinflussen lassen, was andere dachten? Es war doch völlig in Ordnung, wenn er auch mal seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse äußerte, ohne ständig davon auszugehen, er würde damit anderen zur Last fallen. Das hatte Oliver ihm oft genug erklärt und auch wenn es ihm schon irgendwie peinlich war, dass er das vorhin gesagt hatte, hatte er kein schlechtes Gewissen deswegen oder bereute es. Das war doch auch schon mal ein Fortschritt für ihn, vor allem weil er endlich mal den Mut aufgebracht hatte, überhaupt so etwas zu sagen. Das zeigte doch, dass er langsam wirklich damit begann, mutiger zu werden. Wenn auch nur ein kleines bisschen. Als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spürte, setzte sein Herz vor Schreck fast einen Schlag aus und als er sich umdrehte, sah er, dass es Oliver war, der sich einfach mal kurzerhand zu ihm in die Dusche geschlichen hatte. „Sorry, ich wollte nicht, dass du gleich noch vor Schreck einen Herzinfarkt kriegst. Ich dachte einfach, ich komm mal zu dir rein und du warst so in Gedanken versunken, dass du rein gar nichts gemerkt hast.“ Das war ja mal wieder absolut typisch für Oliver. Seine Aktionen kamen immer so überraschend und unerwartet, dass man gar nicht damit rechnen konnte. Aber das war nun mal er. Er war eben sehr impulsiv und konnte mit seinen Aktionen seine Mitmenschen völlig überrumpeln. Oliver löste sein Haarband, sodass sein schwarzes Haar ihm über die Schultern fiel. „Es stört dich doch nicht, oder?“ „N-nein, überhaupt nicht. Ich bin nur etwas überrascht.“ „Tja, bei mir muss man immer erwarten, dass ich etwas Unerwartetes tue. Das ist meine Spezialität.“ Als Andrew ihn so betrachtete, fiel ihm so vieles auf, was er beim ersten Mal gar nicht gesehen hatte. Nun gut, als sie nach der Party zusammen im Bett gewesen waren, da war es auch stockfinster gewesen und man hatte kaum etwas gesehen. Aber erst jetzt fiel Andrew auf, dass Oliver eine Tätowierung an seiner linken Schulter hatte, welche sich bis zu seiner Brust weiterzog. Es war eines dieser Tribal Tattoos und auch auf seinem rechten Fußrücken hatte er sich ein Seepferdchentattoo stechen lassen. All dies hatte er unter seiner Kleidung verborgen. „Ich kann mich gar nicht daran erinnern, diese Tattoos bei dir gesehen zu haben.“ „War ja auch dunkel gewesen und ich lauf ja bei der Kälte auch nicht oben ohne rum. Ich hab aber noch ein hübsches Andenken.“ Er zeigte damit auf eine große Narbe an seiner linken Seite. Es sah aus, als hätte ihn etwas gebissen. „Als ich eine Woche in Australien zum Tauchen am Great Barrier Reef war, da hat mich ein Hai erwischt, der mich offenbar irrtümlicherweise für Beute gehalten hat. Und hier am rechten Oberschenkel bin ich auch schon von einer Qualle gestochen worden. Weiß jetzt aber nicht mehr, ob es eine Würfelqualle war oder nicht. Aber ich sag es mal so: wer keine Narben hat, der hat noch nie wirklich gelebt. Zugegeben, die Brandnarbe sieht nicht gerade prickelnd aus, aber ich überlege sowieso, ob ich mir noch das Bein tätowieren soll.“ „Tut das nicht weh?“ „Klar, aber erstens sieht so etwas cool aus und Tattoos bedeuten oft mehr als bloß Körperschmuck. Für mich sind sie ein Zeichen dafür, dass ich frei bin und alleine entscheide, wer ich bin, wer ich sein werde und was ich tue.“ Andrew betrachtete Olivers Tattoo auf seiner linken Schulter und fuhr mit seiner Hand langsam über seine Haut. Irgendwie ging eine seltsame Faszination von diesem Körper aus und in diesem Moment wirkte Oliver gar nicht mehr so wie ein Computerexperte, der als Softwareprogrammierer bei Vention arbeitete, sondern wie jemand, der die Welt gesehen und erlebt hatte. Man sah ihm an, dass er sportlich war und auch, dass er schon operiert worden war. Auf seiner Brust war eine verblasste Narbe zu sehen, die von seiner Herztransplantation von vor 10 Jahren stammte. Wieder musste Andrew daran denken, dass Oliver das Herz seines besten Freundes in sich trug und dadurch eine zweite Chance bekommen hatte. Aber gleichzeitig war diese zweite Chance mit der schrecklichen Tragödie verbunden, dass er dafür den Menschen verloren hatte, den er so sehr bewundert und dem er so viel zu verdanken hatte. Er konnte nur deshalb gesund werden, weil sein bester Freund gestorben war. Oliver ergriff seine Hand und sah hielt sie fest. Einen Moment lang sahen sie sich nur an und sagten kein Wort. Und doch wussten sie beide, was gleich geschehen würde, denn sie wollten es beide. Kapitel 14: Wunsch des Herzens ------------------------------ Immer noch prasselte heißes Wasser herab und wusch so langsam den Seifenschaum von Andrews Körper herunter. Dieser stützte sich an der Wand ab und schaffte es kaum, seine Erregung zu verbergen, als Olivers Hände über seinen nassen Körper glitten und ihn an seinen empfindlichsten Stellen berührten. Es fühlte sich so anders an als das letzte Mal. Womöglich… womöglich weil er hier gerade mit Seifenschaum eingerieben wurde? Wie war es eigentlich dazu gekommen, dass das hier geschah? So ganz konnte Andrew es sich auch nicht erklären und irgendwie kam er sich hier wie in einem Porno vor. Viel Unterschied gab es hier doch nicht, oder? Sein Atem wurde schwerer und zwischendurch fürchtete er, gleich die Kraft in den Beinen zu verlieren, alles um ihn verschwand in einem dichten Nebelschleier und alles, was er wahrnahm, waren diese leidenschaftlichen Berührungen und das Wasser, welches den Seifenschaum von seinem Körper spülte. Zärtlich küsste Oliver seinen Nacken und seinen Hals und ging sehr behutsam vor, um ihm die Chance zu lassen, jederzeit einen Rückzieher machen zu können, falls er es nicht wollte. Der Rothaarige atmete lauter, sein Gesicht glühte und er biss sich auf die Unterlippe, um seine Stimme zu unterdrücken und er spürte ein elektrisierendes Kribbeln in seinem Körper. Sein Herz hämmerte regelrecht in seiner Brust und eine langsam wachsende Welle der Lust und Erregung durchströmte ihn. „Wo-wollen wir nicht lieber erst zuende duschen und… und woanders…“ „Wieso? Ist doch nichts dabei. Dann sind wir eben einfach mal ganz spontan und machen uns unter der Dusche eine schöne Zeit. Es spricht doch nichts dagegen und so können wir uns die Dusche danach auch sparen.“ Dem fällt wohl immer ein passendes Argument ein. Und das Dumme ist, dass mir kein schlagfertiges Gegenargument einfällt. Zugegeben, ich fühl mich hier nicht gerade unwohl dabei, aber trotzdem kommt mir das hier irgendwie ziemlich… versaut vor. Wenn mich Oliver wenigstens vorgewarnt hätte, hätte ich sicherlich nicht nein gesagt, aber warum nur kommt er immer so plötzlich mit seinen Einfällen und lässt mir dann keine andere Wahl, als mitzumachen? „Warum musst du mich auch immer mit deinen Ideen so überfallen?“ „Ich kann nichts dafür. Ich bin eben ein sehr impulsiver Mensch.“ Andrew keuchte und ihm wurde unbeschreiblich heiß zumute. Das prasselnde Geräusch des Wassers klang wie ein hallendes Echo in seinen Ohren und er fürchtete, gleich den Verstand zu verlieren. Es fühlte sich so unbeschreiblich an, dass er keine passenden Worte dafür finden konnte und zugleich fürchtete er sich ein wenig vor diesen Empfindungen, welche ihm ein gewisses Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertsein gaben. Es machte ihm allein deshalb Angst, weil es ihn schon wieder an diese Zeit im Institut erinnerte… und an die unzähligen Male mit Dr. Brown, die er am liebsten vergessen würde. Er wusste, dass er nichts dafür konnte und Oliver genauso wenig. In Momenten wie diesen, wo er sich selbst und vor allem seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle hatte, hatte er einfach nur Angst und konnte deshalb nur schwer locker lassen. Natürlich wusste sein Kopf, dass er Oliver vertrauen konnte, aber sein Herz war noch so voller Zweifel und Ängste, dass er sich einfach nicht entspannen konnte. Und überhaupt war es in solchen Momenten sowieso schwierig genug, auf seinen Kopf zu hören, wenn dieser gerade streikte. Dabei ging Oliver doch so vorsichtig und behutsam vor, weil er genau wusste, wie ängstlich Andrew in der Hinsicht war. „Alles in Ordnung bei dir?“ fragte er und schlang einen Arm um ihn, während er sich zu ihm herüberbeugte und eine besonders empfindliche Stelle an seinem Hals küsste. „J-ja… ich bin nur etwas nervös.“ „Du hast Angst, nicht wahr?“ Er hat es also schon gemerkt. Anscheinend kennt er mich wohl ganz gut, oder er merkt es an meiner Reaktion. Oh Mann, was bin ich doch für ein Idiot, dass ich mich nicht einfach entspannen kann und die ganze Zeit immer nur an das denken muss, was mir passiert ist. Das ist doch nicht fair Oliver gegenüber! „Tut mir leid“, murmelte Andrew und senkte den Kopf. „Ich tu dir Unrecht, obwohl du doch schon so vorsichtig und rücksichtsvoll bist.“ „Du kannst doch nichts dafür“, tröstete Oliver ihn und küsste seine Schulter. „Seine schlimmen Erinnerungen kann man nicht so einfach hinter sich lassen. Das braucht eben seine Zeit. Und du weißt ja: wenn du es nicht willst oder wenn es dir zu unangenehm wird, musst du es mir nur sagen. Ich werde mich ganz nach dir richten, okay?“ Andrew schloss die Augen und atmete tief durch. Hör auf, dich schon wieder so verrückt zu machen. Entspann dich einfach und vertrau auf das, was Oliver tut. Lass dich einfach fallen und denk nicht an das, was dir mit James passiert ist. Das ist vorbei und die Vergangenheit wird sich nicht wiederholen. Nie und nimmer würde er so etwas tun. Also hör endlich auf damit, dich so verkrampft anzustellen! Immer noch versuchte Andrew krampfhaft, sich irgendwie wieder zu beruhigen, doch es wollte ihm einfach nicht gelingen. Das schlechte Gewissen überkam ihn, woraufhin es nur noch schlimmer wurde, da begann Oliver plötzlich eine Melodie zu summen. Erst ganz leise, dann immer deutlicher und dann begann er Worte zu bilden. Es waren Worte in einer Sprache, die so fremd klang und Andrew doch so vertraut war. Er kannte dieses Lied, er hatte es schon so oft gehört und hätte es unter tausenden von Liedern sofort wiedererkannt. Das war… Fredericas Lied. Ja, ohne jeden Zweifel war es ihr Lied, welches sie ihm schon so oft vorgesungen hatte, um ihm über diese schwere Zeit hinwegzuhelfen und ihn zu trösten, wenn er von James vergewaltigt worden war. Seltsam, woher kannte Oliver dieses Lied genauso wie Rumiko? Und genauso wie bei Frederica fühlte er sich gleich viel besser, als er diese Melodie hörte und hatte auch das Gefühl, als würde dieses Lied seine Seele beruhigen und ihm seine Angst wieder nehmen. „Wo… woher kennst du dieses Lied, Oliver?“ Der Hacker verstummte und schloss Andrew in seine Arme. „Das war kurz bevor ich geboren wurde. Da habe ich dieses Lied in meinen Träumen gehört. Damals, als dieses Lied erklang, haben es viele Menschen auf dieser Welt gehört, als sie geträumt haben. Aber die meisten erinnern sich nicht mehr daran und diejenigen, die sich daran erinnern, beherrschen dieses Lied, mit dem sie die Herzen der Menschen beruhigen können. Es wird auch die Hymne der unvergänglichen Eva genannt. Keiner weiß, wieso es so viele Menschen auf der Welt in ihren Träumen gehört haben und den Text kennen, wenn sie noch nie zuvor die Sprache gehört haben. Ebenso weiß auch niemand, wer damals dieses Lied gesungen hat. Es ist ein unerklärliches Phänomen und ich habe dieses Lied bis heute nicht vergessen. Und oft genug singe ich es den Kindern vor, wenn sie Trost brauchen.“ Vor 26 Jahren hatte Oliver dieses Lied gehört, noch bevor er zur Welt gekommen war? Konnte so etwas überhaupt möglich sein? Und es gab noch mehr Menschen auf der Welt, die Fredericas Lied kannten? Jedenfalls kannte Oliver sowohl den Text als auch die Melodie und er beherrschte es perfekt. Andrew merkte, dass das Lied seine Wirkung nicht verfehlte und seine Angst wich und er sich langsam wieder entspannte. Also wagte Oliver einen neuen Versuch und wanderte mit seiner Hand vorsichtig hinunter und beobachtete dabei genauestens Andrews Reaktionen. Aber da dieser sichtlich entspannter war als zuvor, machte er weiter und umschloss Andrews Weichteile. Wie sehr er ihn doch liebte. Er könnte es nicht in Worte fassen und es wahrscheinlich nicht oft genug beweisen. Zwar hatte er es wahrscheinlich nie so direkt gezeigt, aber er liebte ihn wirklich sehr und war unendlich glücklich darüber, diesen Moment mit ihm teilen zu können. Zehn Jahre lang hatte er ihn geliebt und nie die Hoffnung aufgegeben, dass er vielleicht leben könnte… dass es durch den Gedankenschaltkreis tatsächlich möglich war, Menschen zu retten und ein Wunder geschehen könnte. Wie sehr hatte er es sich gewünscht, Andrew so nahe sein zu können wie jetzt… Zwar war er sich nicht sicher gewesen, ob es wirklich so kommen würde, dass sie zusammenkommen würden, doch seine Geduld hatte sich endlich ausgezahlt. Und eines war sicher. Egal was es auch brauchen würde, er würde Andrew seine Ängste nehmen und ihn beschützen. Weder Cynthia, noch Dr. Brown oder sonst irgendjemand würde ihm zu nahe kommen und ihn bedrohen oder ihm wehtun. Er würde ihm die Liebe und Zuwendung geben, nach der er sich so sehr sehnte und ihm den Schutz und die Geborgenheit geben, die er nie erfahren hatte. Und niemals würde er ihm so wehtun, dass er so ins Elend gestürzt wurde und seinen Lebenswillen verlor. Das war sein stilles Versprechen an ihn. In seinen Augen war Andrew wie eine kleine Rosenknospe. Fragil, in sich gekehrt, schwach und auf die Zuwendung anderer angewiesen, damit sie auch wirklich erblühen konnte. Ich werde dich erblühen lassen, ganz egal was dafür nötig ist… Und wenn du dann erkennst, wie schön du dann sein kannst, wirst du nie wieder eine Knospe sein wollen. Dann wirst du auch die Kraft haben, von alleine weiterzublühen. Andrew begann zu keuchen, als die Erregung ihren maximalen Punkt erreicht hatte und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Das Blut pulsierte in seinen Adern und in seinen Ohren begann es zu pochen. Es mochte an der Luft im Badezimmer liegen, dass es so heiß und stickig war, aber er merkte, dass er ein wenig benommen war und er gleichzeitig von diesem tiefen Wunsch ergriffen wurde, Oliver nahe zu sein und wieder dieses gleiche unbeschreibliche Gefühl zu spüren, als sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Er legte eine Hand auf Olivers, die seine Brust umschlungen hatte und hielt sie fest. „Es… es reicht…“ Sofort hielt der Hacker inne und runzelte verwundert die Stirn. „Magst du es nicht?“ „N-nein, das ist es nicht. Aber… ich…“ Er wagte es nicht, weiterzusprechen. Es war ihm einfach zu peinlich. Doch Oliver schien die Botschaft verstanden zu haben und sagte „Okay, dann versuch dich etwas zu entspannen.“ Andrew nickte und vergrub seine Hände in die Fugen der Fliesen, da spürte er ein sanftes Eindringen. In dem Moment konnte er seine Stimme nicht zurückhalten, als Oliver eine besonders sensible Stelle berührte und sogleich den zweiten Finger hinzunahm. Es war so unbeschreiblich und Andrew hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Er spürte, dass er es wollte und sein Körper nach mehr verlangte. Doch Oliver ließ sich noch etwas Zeit, um ihn vorzubereiten. Denn er wollte auch wirklich sichergehen, dass er Andrew nicht wehtun würde. „Andy, ich kann dir nicht oft genug sagen, wie sehr ich dich liebe. Für dich würde ich wirklich alles tun.“ „Ich liebe dich auch, Oliver.“ Habe ich jemals einen Menschen so sehr geliebt wie jetzt ihn? Hatte ich jemals solche Gefühle für irgendeinen anderen Menschen? Für L vielleicht, als ich in ihn verliebt war, obwohl ich ihn noch nie gesehen hatte? Womöglich ja, aber das hier kommt mir so viel stärker vor. Nie hat es sich so unbeschreiblich gut und leidenschaftlich angefühlt, dass ich mich nicht mehr unter Kontrolle habe. „Andy, ich fang jetzt an, okay?“ Ein stummes Nicken war die einzige Antwort und Andrew spürte, wie Oliver seine Finger herauszog und kurz darauf ein viel stärkerer Druck ausgeübt wurde, als er vorsichtig in Andrew eindrang. Es war so unbeschreiblich heiß, als würde ein Feuer brennen und Andrew schaffte es kaum noch, überhaupt zu atmen. Sein Körper zitterte und bebte und er hätte beinahe die Kraft in den Beinen verloren. Er rang nach Luft und ihm wurde schwindelig. Oliver ging langsam und behutsam vor und fragte schließlich „Alles okay bei dir?“ „J-ja“, brachte Andrew mit Mühe hervor und versuchte sich irgendwo festzuhalten, doch an den glatten Fliesen war das kaum möglich. Doch da schlang Oliver einen Arm um ihn und gab ihm den nötigen Halt. Nachdem er tief genug eingedrungen war, begann sich der Hacker vorsichtig in Bewegung zu setzen. Es war so unfassbar intensiv und heiß, dass Andrew kaum noch klar denken konnte. Alles nahm er wie benebelt wahr und verlor sich gänzlich in diesem Gefühl. Und sogleich wurde er von diesem sehnlichen Wunsch ergriffen, dass er immer an Olivers Seite bleiben könnte. Ja, er wollte an seiner Seite bleiben und ihm vor allem nahe sein. Er wollte ihn spüren und auch ihn spüren lassen, dass er ihn liebte. Es war so überwältigend für Andrew, dass ihm fast die Tränen kamen. Nie wieder… nie wieder wollte er so alleine sein und das Gefühl haben, es gäbe für ihn keinen Ort auf dieser Welt. Und niemals wieder wollte er sich von diesem Gedanken beherrschen lassen, er wäre es nicht wert, geliebt zu werden. Oliver liebte ihn aufrichtig und Andrew liebte ihn auch. Daran war nichts falsch und dieses Gefühl gab ihm die Kraft, daran zu glauben, dass er vielleicht doch liebenswert war und es auch verdient hatte, glücklich zu werden. Ehe er sich versah, hatte sein Körper gänzlich seinen eigenen Willen entwickelt und sich den Bewegungen von Oliver angepasst. Sie atmeten schwer und heißes Wasser und Seifenschaum rann ihre nackten Körper hinunter. Oliver beugte sich zu ihm herüber und fuhr mit seiner Zunge über Andrews Ohr, während er mit seiner anderen Hand Andrews Penis umschloss. Der 25-jährige stöhnte laut auf und rang nach Luft. Das war alles zu viel für ihn. Diese Hitze in seinem Körper wurde zu einem Inferno und als Olivers Bewegungen schneller wurden, konnte er sich auch selbst nicht mehr bremsen, geschweige denn seine Stimme zurückhalten. Es kümmerte ihn auch nicht sonderlich, wie laut er dabei wurde. Wer sollte ihn denn schon hören, außer Oliver? Sie waren alleine im Haus, deshalb gab es auch keinen Grund, sich zurückzuhalten. Es zählte einzig und allein, was er wollte… und er wollte Oliver und nichts anderes sonst. Als er einen Druck gegen eine besonders sensible Stelle spürte, da schrie er schon fast lustvoll und ein elektrisierendes Kribbeln durchfuhr seinen gesamten Körper. Eine atemberaubende Lust durchflutete ihn und löschte den letzten Rest seiner Gedanken aus. Sein Verstand mit einem Male leer, es gab rein gar nichts mehr, außer dem hier und jetzt mit Oliver. Diese Hitze… es war so unbeschreiblich heiß und es war fast kaum zu ertragen. Sein Gesicht glühte regelrecht und sein Kopf dröhnte, seine Ohren hämmerten. Die Luft kam ihm so stickig vor und zwischendurch hatte er fast das Gefühl, gleich noch ohnmächtig zu werden. Doch er wollte es nicht. Er durfte jetzt nicht schlapp machen und umfallen. Er wollte diesen Moment weiter auskosten und dieses wunderbare Gefühl deutlich spüren, dass er Oliver vertrauen und sich ihm voll und ganz hingeben konnte, ohne Angst zu haben. Als Olivers Stöße stärker und schneller wurden, spürte Andrew, dass er bald an seine Grenzen kommen würde. Diese brennende Leidenschaft erfüllte ihn bis in die letzte Faser seines Körpers und er krallte seine Hand fest in Olivers, die ihn immer noch festhielt. „O-Oliver…“, brachte er unter schwerem Keuchen hervor und schaffte es nicht, seine Stimme halbwegs zu kontrollieren, sodass sie sich umso fremder bei ihm anhörte, als er diesen Namen aussprach. „Ich liebe dich…“ „Ich liebe dich auch, Andy. Ganz egal, was auch passiert. Ich habe dich immer geliebt und werde es auch immer.“ Dem 25-jährigen überkam eine Gänsehaut und er rang nach Luft, trotzdem war ihm so, als würde er jeden Moment ertrinken in dieser schier unendlichen und intensiven Lust. Die Hitze in seinem Inneren wurde immer stärker und ihm war so, als würde das Blut in seinen Adern kochen und sein Körper jeden Augenblick dahinschmelzen. Das Herz schien ihm jeden Moment zu explodieren und das Dröhnen in seinem Kopf wurde noch stärker. Auch Oliver erging es nicht anders und als er dann plötzlich eine heiße Flut in seinem Inneren spürte, da brachen auch bei ihm sämtliche Dämme und er hatte nicht mehr die Kraft, seinen Orgasmus zurückzuhalten. In diesem Moment verließ ihn der Rest seiner Kraft, ihm wurde kurzzeitig schwarz vor Augen und er sank in die Knie. Sofort hielt Oliver ihn fest und drehte das Wasser ab. Vorsichtig lehnte er Andrew mit dem Rücken gegen die Wand und strich seine nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Hey Andy, alles in Ordnung bei dir? Sag doch was!“ Benommen hob der Rothaarige den Kopf, bemerkte aber, dass ihm ein wenig schwindelig war. „Ja, alles bestens.“ „Du bist ziemlich blass um die Lippen. Offenbar bist du doch nicht so fit wie gedacht und dein Kreislauf hat schlapp gemacht. Warte kurz hier, ich bin gleich wieder da.“ Erschöpft blieb Andrew sitzen und versuchte sich wieder zu sammeln. Oh Mann, da war er einfach so zusammengeklappt, obwohl er doch gedacht hatte, er wäre wieder gesund. Aber anscheinend brauchte sein Körper noch eine Weile, bis dieser sich vollständig erholt hatte. Naja, was will ich auch anderes erwarten, nachdem ich tagelang hohes Fieber hatte? Da ist so etwas doch ganz natürlich. Aber ich wollte es eben nicht anders und das war es mir auf jeden Fall wert gewesen. Trotzdem war es ärgerlich, dass er schlapp gemacht hatte. Oliver kam schließlich mit einem Handtuch und einem Glas Wasser zurück. „Ich hab’s mir schon gedacht gehabt, dass es vielleicht noch ein wenig zu früh wäre, aber… ich gebe zu, dass ich selber nicht nein sagen konnte.“ Andrew trank das Glas leer und kam mit Olivers Hilfe ein wenig wankend wieder auf die Beine. Sofort wurde ihm wieder schwarz vor Augen und so musste er sich erneut setzen. Oliver half ihm so gut es ging und nachdem sich Andrew wieder angezogen hatte, nahm der Hacker ihn kurzerhand auf den Arm und trug ihn ins Zimmer wie ein Bräutigam seine frisch angetraute Braut. Andrew wusste gar nicht, wie ihm geschah, als er plötzlich einfach so hochgehoben wurde und rief „Hey! Warte, Oliver, ich kann selber laufen!“ „Lass mal lieber. Ich will kein Risiko eingehen.“ „Ich bin doch nicht schwer krank. Und überhaupt: bin ich dir nicht zu schwer?“ „Ich sagte doch, du könntest meinetwegen ruhig ein paar Kilo mehr auf den Rippen vertragen. Vergiss nicht, ich bin wesentlich sportlicher, da ist so etwas für mich kein Problem.“ Es half nichts, in irgendeiner Art und Weise zu protestieren. Und dass Oliver irgendwie Spaß daran hatte, Andrew wortwörtlich auf Händen zu tragen, konnte man ihm mehr als deutlich ansehen. Vorsichtig legte er ihn aufs Bett und setzte sich zu ihm. Er hatte sich nicht die Zeit genommen, sein Haar zu trocknen, oder sein Shirt wieder anzuziehen. Mit einem etwas besorgten Blick strich er sanft über Andrews Wange und betrachtete sein Gesicht. „Du bist ganz schön blass. Ich werde am besten gleich mal was in der Küche zusammenmischen, um deinen Kreislauf wieder auf Vordermann zu bringen. Leg am besten erst mal die Füße hoch, dann geht es dir gleich wieder besser.“ Andrew wich seinem Blick aus und war ein wenig beschämt. „Tut mir leid, dass ich dir so einen Schreck eingejagt habe.“ „Ach was, jetzt mach dir mal keinen Kopf drum. Ist ja nur eine kleine Kreislaufschwäche, davon geht die Welt nicht unter. Ist mir auch schon mal passiert, dass ich mich nach einer Woche Fieber kerngesund gefühlt habe und dann aus den Latschen gekippt bin. Der peinlichste Vorfall war, als ich gerade mit einer Frau im Bett war, die ich in der Bar kennen gelernt hatte und dann mitten beim Sex Nasenbluten gekriegt habe. Das hat gar nicht mehr aufgehört und sie konnte natürlich nicht aufhören zu lachen. Du siehst also, es gibt weitaus Schlimmeres.“ Andrew schmunzelte, als er diese Geschichte hörte und schüttelte den Kopf. Okay, das war wirklich peinlich, beim Sex Nasenbluten zu bekommen. Also befolgte er Olivers Anweisungen und ruhte sich erst einmal aus. Doch als Oliver gerade gehen wollte, da sah Andrew noch ein Tattoo auf seinem linken Schulterblatt: ein Traumfänger mit Federn und einem grünen Blatt. „Wieso hast du eigentlich dieses Traumfängertattoo?“ Oliver drehte sich zu ihm um und sah kurz über seine Schulter, dann erklärte er „Das hat verschiedene Gründe. Ich habe dir ja erzählt, dass ich vor meiner Geburt dieses Lied gehört habe. Manchmal träume ich auch heute noch von einem weißen Engel, der immer dieses Lied singt. Schon seit damals war ich fasziniert von ihm und dachte, er ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Aber… dieser Engel war immer so traurig und immerzu war er auf der Suche nach etwas oder jemandem. Ich habe nie herausfinden können, warum der Engel so traurig war und nach wem er sucht, aber ich hatte immer diesen Wunsch, ihm zu helfen. Vermutlich war der Engel, den ich in meinen Träumen gesehen habe, die unvergängliche Eva. Der Traumfänger steht aber auch für meinen anderen Traum, nämlich meinen wohl größten Traum von allen: dich an meiner Seite zu haben. Deshalb habe ich in dem Traumfänger auch deinen Namen stechen lassen.“ „Echt?“ Oliver kam zu ihm zurück und zeigte ihm sein Tattoo. Und tatsächlich fand Andrew seinen Namen wieder, nämlich auf dem grünen Blatt. „Das Blatt habe ich deshalb genommen, weil ich deine Augenfarbe immer so schön fand. Das Tribal Tattoo hab ich mir hauptsächlich deshalb stechen lassen, weil es cool aussah, aber auch das Seepferdchentattoo hat eine besondere Bedeutung wie mein Traumfänger. Seepferdchen sind nach dem chinesischen Glauben Drachenkinder und ein Symbol des Glücks. Sie sollen die Toten sicher ins Jenseits geleitet und die Menschen vor Krankheiten geschützt haben. Außerdem gehört es zu den wenigen Lebewesen auf dieser Welt, wo die Männchen die Eier austragen und nicht die Weibchen. Seepferdchen sind im Grunde allesamt alleinerziehende Väter. Sie symbolisieren also nicht nur Anmut und Friedfertigkeit, sondern auch Vaterliebe. Ich sah mich selbst und meine Familie immer als Seepferdchen, weil ich meine Mutter nie kennen gelernt habe. Sie hat mich und meinen Bruder einfach weggegeben, weil sie uns nicht haben wollte. Deshalb hat Dad uns alleine großgezogen und er war ein wirklich wunderbarer Vater gewesen. Als der Eyeball-Killer ihn und Kian getötet hatte, hat man nach meiner Mutter gesucht, aber sie war da auch schon tot. Sie war eine Trinkerin gewesen und ist dann stockbesoffen vor ein Auto gelaufen und ist dann überfahren worden. Deshalb hatte ich dann gar keine Familie mehr. Das Seepferdchen ist sozusagen ein Andenken an meinen Vater und meinen Bruder.“ Andrew betrachtete Olivers Traumfängertattoo eine Weile und dachte nach. Dass Tattoos solch tiefsinnige Bedeutungen haben konnten, hätte er nicht gedacht. Für ihn war das bloß immer Körperschmuck gewesen, aber mehr auch nicht. Aber für Oliver hatten die beiden Tattoos eine ganz besondere Geschichte. Und mit einem Mal kam ihm eine völlig verrückte Idee. Was, wenn er sich auch irgendwann mal so etwas stechen lassen würde? Irgendein Tattoo, das ihn an Oliver erinnerte. Aber welches Motiv eignete sich denn am besten? Tja, da musste er sich wohl noch etwas Passendes überlegen müssen. Kapitel 15: Ein großes Geschenk ------------------------------- Am nächsten Morgen wachte Andrew noch vor Oliver auf, da dieser bis spät in die Nacht wohl noch am Telefon herumgewerkelt hatte, um den Klingelterror zu beenden. Aber das war ja auch nicht wirklich schlimm, so hatte Andrew auch mal die Gelegenheit, das Frühstück vorzubereiten, nachdem Oliver es schon so oft gemacht hatte. Damit konnte er ihm auch mal eine Freude machen. Nachdem er gestern in der Dusche umgekippt war, fühlte er sich inzwischen wie neugeboren und hatte richtig gute Laune. Er fühlte sich sogar so gut, dass er dabei „Titanium“ sang und gar nicht mehr sein Grinsen aus dem Gesicht bekam. Irgendwie staunte er selbst darüber, dass er so gut drauf war und fragte sich auch, warum er denn eigentlich so eine gute Laune hatte, aber er dachte einfach: das muss wohl die Liebe sein. Als er gerade dabei war, Kaffee zu kochen und Rührei zuzubereiten, kam Oliver in die Küche geschlurft, nuschelte ein „Guten Morgen“ und gähnte laut. Er sah wirklich müde aus und hätte wahrscheinlich noch eine Stunde Schlaf gut gebrauchen können. Da sein Haar oft nach dem Aufwachen vollkommen zerzaust war, hatte er es wie immer zu einem Zopf zusammengebunden. Er setzte sich sogleich an den Tisch und goss sich eine Tasse Kaffee ein. Als er Andrew so sah, lächelte er und bemerkte „Du scheinst ja richtig gute Laune zu haben, oder?“ „Kann schon sein. Ist es so offensichtlich?“ „Na hör mal. Dir strahlt ja regelrecht die Sonne aus’m Arsch und du singst sogar dabei noch. So habe ich dich ja noch nie erlebt. Egal was du nimmst, du solltest mal öfter was davon nehmen.“ Verlegen wich Andrew seinem Blick aus und sagte nichts. Schließlich setzte er sich zu ihm und nahm auch selber einen Schluck Kaffee. „Dafür braucht man sich nicht zu schämen, wenn man nach gutem Sex auch gute Laune hat. Dann weiß ich ja, dass ich auch alles richtig gemacht habe.“ Hier wurde Andrew hochrot im Gesicht und wäre in diesem Moment am liebsten im Boden versunken. Warum musste Oliver immer alles so unverblümt sagen? Zum Glück waren sie alleine, sonst wäre das ja noch schlimmer! Dann aber wechselte Oliver das Thema. „Morgen treffen wir uns übrigens mit den Kids, wir wollen eine alte Fabrikhalle mit Graffiti verschönern. Und nachher wollte ich noch zum Anime Store und mir noch ein paar Sachen holen.“ „Hast du nicht schon genug Animes?“ „Man kann nie genug haben. Ich wollte mir noch unbedingt die One Piece Filme, den Anime „No.6“ und die Mangareihe „Naru Taru“ holen. Du kannst ja gerne mitkommen, wenn du willst.“ Naja, das war jetzt nicht gerade Andrews Interessengebiet und so lehnte er ab. „Ich werde hier erst mal wieder Ordnung schaffen und danach ein wenig spazieren gehen. Außerdem muss ich noch ein paar Sachen haben.“ „Okay. Einen Moment, ich muss dir noch was geben, bevor ich es vergesse.“ Damit stand Oliver auf und verließ kurz die Küche. Er kam wenig später mit einem Umschlag zurück und überreichte ihn Andrew. Dieser verstand nicht so wirklich, was das sein sollte und so fragte er „Was ist das?“ „Ich hab mich mit dem Vorstand bequatscht. Immerhin hast du die Pläne für den GSK fertig gestellt und da Dr. Kasakowa seit zwanzig Jahren tot ist, hast du die Patentrechte. Und da sie absolut begeistert von den Ergebnissen des Prototyps sind, wollen sie dich damit beauftragen, einen weiteren Schaltkreis zu konstruieren. In dem Umschlag sind zwei Schecks, die Vention dir ausstellt. Der erste ist eine Entschädigung für die Dinge, die Dr. Brown dir angetan hat und zudem noch eine Art Schadensersatz, weil er den GSK als seine Arbeit verkauft hat. Auf dem anderen Scheck ist der Vorschuss, den sie dir zahlen, wenn du den Schaltkreis bauen solltest.“ Andrew öffnete den Umschlag und holte die beiden Schecks heraus. Ihm verschlug es fast die Sprache, als er die Summen sahen, die da aufgeschrieben waren und er wäre beinahe umgekippt. Das war so viel Geld… Wie um alles in der Welt konnte das möglich sein? Vor knapp zwei Wochen hatte er noch rein gar nichts gehabt, nicht mal Papiere oder sonst irgendwelche persönlichen Sachen und jetzt hielt er zwei Schecks mit Millionenbeträgen in Händen. „Da-das ist… aber… ich habe noch gar nicht den Gedankenschaltkreis gebaut, Oliver. Ich hab nur die Pläne fertig gestellt, das war es auch schon.“ „Das weiß ich. Aber es ist niemanden sonst auf der Welt gelungen, Dr. Kasakowas Pläne zu entschlüsseln und die fehlenden Komponenten zu finden, die es braucht, um einen elektronischen Gedankenschaltkreis und damit eine künstliche Seele zu bauen. Damit hast du selbst L übertroffen und bewiesen, zu was du fähig bist. Deshalb bin ich auch der festen Überzeugung, dass du es schaffen kannst, einen Schaltkreis zu bauen, der sogar den bei weitem übertrifft, den du jetzt trägst. Du kannst alles schaffen, wenn du nur an dich glaubst. Und ich glaube daran, dass du es schaffen kannst.“ „Und… wie viel Zeit hätte ich dafür?“ „Vention gibt dir einen Zeitrahmen von zwei Jahren. Das heißt, du hast erst mal keinen Zeitdruck und mit dem, was du hast, kannst du in der Zeit sogar zwei oder mehr Schaltkreise bauen. Du hast die vollständigen Pläne, du trägst selbst einen solchen und außerdem habe ich sämtliche Forschungsergebnisse von Dr. Brown zusammengesammelt. Ich würde dir auch dabei helfen, den GSK zu bauen, daran soll es nicht scheitern. Aber mir war es wichtig, dass du auch für deine Arbeit honoriert wirst, die du damals geleistet hast und dass du vor allem dafür entschädigt wirst, dass du zehn Jahre lang als Versuchskaninchen missbraucht wurdest. Streng genommen könntest du Vention verklagen, weil sie deine Pläne als ihre ausgegeben und gegen deinen Willen deinen Körper zu Versuchszwecken benutzt haben. Nicht zu vergessen die zehn Jahre Freiheitsberaubung und die Geschichten, die Dr. Brown dir angetan hat. Da dies einen großen Skandal für Vention bedeuten würde, kommen sie dir entgegen und bieten dir eine Entschädigungssumme von zehn Millionen Dollar an, wenn du mit deiner Geschichte nicht vor Gericht gehst und damit auch nicht zur Presse rennst. Gleichzeitig bieten sie dir den Auftrag an, einen zweiten Gedankenschaltkreis zu bauen und würden dir fünf Millionen im Voraus zahlen und weitere zwölf Millionen, wenn es dir gelingen sollte, einen funktionsfähigen Gedankenschaltkreis zu bauen.“ Andrew musste sich setzen, denn so ganz hatte er die Tatsache noch nicht verdaut, dass er jetzt einen so gewaltigen Geldsegen bekam. Wenn man es so bedachte… Vor nicht gerade mal zwei Wochen hatte er kein Geld, keine persönlichen Sachen, eigentlich gar nichts gehabt und hatte sich notgedrungen von Oliver aushalten lassen. Und jetzt bot Vention ihm zehn Millionen Dollar Entschädigung an und noch mal fünf Millionen im Voraus, wenn er es schaffte, innerhalb von zwei Jahren einen funktionsfähigen Gedankenschaltkreis zu bauen. Und dann würde er noch mal zwölf Millionen kriegen. Wie konnte das nur so kommen? Oliver erklärte es ihm. „Vention will an den GSK, das ist nun mal Fakt. Aber Problem ist, dass du den Prototypen hast und wenn sie ihn dir rausnehmen, stirbst du. Also bleibt denen nichts anderes übrig, als jemanden zu finden, der in der Lage ist, einen zweiten zu bauen und da Dr. Brown verschwunden ist und kaum sonst jemand in der Lage ist, die Pläne zu verstehen, wollen sie dich mit ins Boot holen und dir diesen Job anbieten. Die wissen, dass du echt was im Kopf hast und wenn der Gedankenschaltkreis tatsächlich Menschen ein zweites Leben ermöglicht oder sie aus dem Koma holen kann, dann wäre das ein enormer Durchbruch in der medizinischen Forschung. Das wäre mit Sicherheit würdig für den Nobelpreis und damit gleichzeitig eine enorme Werbekampagne für Vention. Also wollen sie in dich investieren. Aber keine Sorge! Wenn du sagst, du würdest es nicht hinkriegen, kannst du den Auftrag ablehnen. Wenn du dir das zutraust und sagst, du willst es versuchen, werde ich dich natürlich unterstützen und dir dabei helfen, den Schaltkreis zu bauen. Und du brauchst auch kein schlechtes Gewissen wegen der Entschädigung zu haben. Das Geld steht dir zu und außerdem wird sich Vention das Geld von Dr. Brown wiederholen. Ich muss ihm ohnehin noch die zehn Millionen wieder abnehmen, die er unterschlagen hat. Also wird es einzig und allein Dr. Brown schaden, wenn du die Kohle annimmst.“ Andrew war vollkommen sprachlos und wusste gar nicht, wie ihm geschah. Passierte das hier gerade wirklich, oder träumte er noch irgendwie? „Das… das ist…“ „Nicht mal Ansatzweise eine angemessene Entschädigung für die zehn Jahre, die für dich die Hölle gewesen waren. Geld kann nichts wieder gut machen, was du erlitten hast. Die zehn Jahre kann dir niemand mehr zurückgeben und du leidest immer noch darunter. Sieh das Geld also als eine gute Investition an, dass wenigstens deine Zukunft besser wird.“ „Aber gleich so viel?“ „Missbrauchsopfer kriegen im Durchschnitt 3,4 Millionen zugesprochen. Selbst wenn du den Auftrag ablehnen oder es nicht schaffen solltest, den GSK zu bauen, darfst du die fünf Millionen behalten und kriegst die zwölf Millionen trotzdem ausgezahlt. Andy, mit dem Geld kannst du dir ein neues Leben aufbauen und brauchst dir keine finanziellen Sorgen mehr machen. Hat mich ein bisschen Zeit und Nerven gekostet, aber Ridley war auch der Meinung, dass dir eine Entschädigung zusteht und er hat auch recht schnell eingelenkt. Und du brauchst wie gesagt kein schlechtes Gewissen haben. Vention ist ein steinreicher Konzern, da tut denen eine solche Summe nicht sonderlich weh.“ Doch Andrew war immer noch völlig überwältigt und wurde von seinen Gefühlen übermannt. Oliver ging zu ihm hin und nahm ihn in den Arm. Das war alles ein bisschen viel für ihn auf einmal und vor allem hätte er nie im Leben damit gerechnet. Es war schon wieder eine von diesen völlig überraschenden Aktionen von Oliver, die man nicht vorhersehen konnte und die einen regelrecht umhauen konnten. „Seit… seit wann hattest du…“ „Gleich schon an dem Tag, als du bei mir eingezogen bist. Wenn du dich noch recht erinnerst, kam ich doch zwei Stunden zu spät und durfte mir von L und Beyond eine Standpauke anhören. Da war ich bei Vention gewesen und habe die Bedingungen und die Summe ausgehandelt. Es hatte allerdings noch etwas gedauert, bis auch alles abgewickelt war. Die Einverständniserklärung, dass du auf rechtliche Schritte verzichtest und über den Skandal schweigen wirst, kannst du ja noch später unterschreiben. Ich wäre ja gerne viel früher mit den Schecks gekommen, aber da dieses Großprojekt gerade in der Endphase steckte und wir alle unter Zeitdruck standen, hat es sich leider etwas verzögert.“ Doch es dauerte noch ein wenig, bis Andrew wirklich alles so verarbeitet und vor allem realisiert hatte, dass er 27 Millionen bekam und zudem noch die Chance erhielt, für Vention zu arbeiten, wenn er einwilligte, einen zweiten Gedankenschaltkreis zu bauen. Wirklich unfassbar, was Oliver für ihn getan hatte. Er legte sich so sehr ins Zeug für ihn und konnte Vention tatsächlich dazu bringen, ihm so viel Geld zu geben und dann auch noch einen Job anzubieten. Vollkommen überwältigt kamen ihm die Tränen und er umarmte Oliver. „Ich weiß wirklich nicht, wie ich dir dafür danken soll, Oliver. Du nimmst meinetwegen so viel auf dich…“ „Schon gut. Selbst wenn Vention sich komplett quergestellt hätte, ich hätte trotzdem so entschieden, weil ich Anteile am Konzern besitze. Ich bin quasi Mitinhaber, nachdem ich den Konzern vor der Pleite gerettet und ihn wieder auf Kurs gebracht habe. Ich hab es nur nicht eigenmächtig getan, weil ich keinen Stress mit Ridley und Walden haben wollte. Immerhin sind die beiden gute Freunde von mir. Es lag mir aber vor allem sehr an Herzen, dass sie dir diesen Job anbieten, damit du dir auch selber beweisen kannst, dass du mehr kannst, als du dir selbst zutraust. Du hast was auf dem Kasten, Andy. Dir ist etwas Unglaubliches gelungen und lass dir von niemandem sagen, dass du wertlos, nutzlos oder nicht liebenswert bist. Das stimmt alles nicht und wer dir das sagt, der ist einfach nur ein Arschloch und verdient einen Schlag ins Gesicht. Sorry, dass ich das so hart sage, aber es stimmt. Du bist so ein wunderbarer Mensch und in dir steckt so viel. Deshalb darfst du das auch nicht einfach so verschwenden. Niemand verlangt von dir, jemand anderes zu sein so wie damals in Wammys House. Überlege es dir einfach, okay? Nutze dieses Angebot als Chance, um vor allem dir selbst zu beweisen, dass du nicht unfähig oder nutzlos bist. Denk einfach an das Erlebnis in der Kletterhalle: selbst wenn du es nicht ganz nach oben schaffst, so zählt allein die Strecke, die du geschafft hast und dass du über deine Grenzen hinausgegangen bist. Du hast nichts zu verlieren und ich werde dich in jeder Hinsicht unterstützen, wenn du ein Problem hast oder irgendwo Hilfe brauchst. Es wäre mir nur wichtig, dass du es wenigstens versuchst. Glaub mir, das wird vor allem dein Selbstvertrauen enorm stärken. Egal ob du es schaffst oder nicht.“ Oliver ist wirklich unglaublich. Er legt sich so sehr ins Zeug für mich und tut dann noch so, als wäre es das Mindeste, was er für mich tun kann. „Oliver… ich… ich danke dir. Ich glaube, ich werde dir niemals genug danken können, für das, was du für mich tust.“ „Natürlich kannst du das. Nämlich, indem du öfter so glücklich sein kannst wie vorhin oder wie auf der Party. Und eines darfst du niemals vergessen: du bist das größte Glück in meinem Leben. Dich so glücklich zu sehen, habe ich mir immer gewünscht und das schon seit dem Tag, als ich mich in dich verliebt habe. Aber immerzu habe ich nur dieses so traurige und hoffnungslose Lächeln gesehen, als hättest du schon längst den Glauben an diese Welt verloren. Es hat mir immer so wehgetan, dich so zu sehen und du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich es mich dann macht, wenn dein Lächeln wirklich eines ist und es auch von Herzen kommt.“ Ich habe wirklich großes Glück, hier bei Oliver zu sein. All die Jahre habe ich mich gefragt, warum ich wieder ins Leben zurückgeholt wurde und warum ich das überhaupt alles ertragen habe. Doch jetzt, da ich mit Oliver zusammen bin, bin ich echt froh, dass ich wieder lebe und dass ich auf Frederica gehört und das Institut verlassen habe. Es hätte mir wirklich nichts Besseres passieren können, als zu Oliver zu kommen. So einen herzensguten Menschen habe ich in meinem Leben wirklich nicht verdient. Mit einem liebevollen Kuss löste sich Oliver von ihm und wischte Andrew die Tränen aus dem Gesicht. „So, ich geh jetzt erst mal ins Bad und bin danach auch gleich weg. Wenn ich wieder zurück bin, koche ich heute was richtig Gutes zur Feier des Tages.“ Damit verabschiedete sich der Hacker von ihm und verließ die Küche. Andrew blieb noch eine Weile sitzen und musste das erst mal verdauen. Das war einfach zu viel für ihn und er konnte nicht glauben, dass das alles hier wirklich passierte. Vor zwei Wochen hatte er nichts gehabt und wollte einfach nur sterben, jetzt lebte er in einem so großen Haus zusammen mit Oliver, der ihn wirklich auf Händen trug und so viel für ihn tat, um ihm seine Lebensfreude zurückzugeben und jetzt hatte er auch noch so viel Geld. Und nicht nur das: er hatte auch noch ein Jobangebot von Vention bekommen, dass er einen Gedankenschaltkreis konstruierte. Sein ganzes Leben war dabei, sich von Grund auf zu verändern und war eigentlich kein Vergleich mehr zu diesem trostlosen Dasein, welches er bis vor kurzem noch gefristet hatte. Vorher hatte er eigentlich nur dahinvegetiert und die gelegentlichen Gespräche mit Frederica waren die einzigen kleinen Lichtblicke gewesen. Aber jetzt hatte er das Gefühl, dass er wirklich lebte und er hatte auch selbst bereits gemerkt, dass er langsam dabei war, sich Olivers Philosophie zu Herzen zu nehmen und einfach das zu tun, was er gerne tun wollte. Nun gut, er war noch ein wenig zögerlich und so ganz traute er sich noch nicht, aber er versuchte es wenigstens und er sprach auch offen über seine Sorgen und Probleme. Vor einer Weile wäre das noch nicht mal im Ansatz vorstellbar gewesen, weil er dazu geneigt hatte, immer alles still zu ertragen und einfach zu lächeln. Nun gut, er war immer noch schüchtern und unsicher und es fiel ihm auch schwer zu glauben, dieses Glück stünde ihm auch wirklich zu, aber er war inzwischen offener als vor zwei Wochen. Nachdem er die Küche aufgeräumt hatte, ging auch er ins Bad und machte sich fertig. Da es draußen ziemlich kalt war, zog er einen Schal und auch Handschuhe an. Da Oliver sowieso in die Innenstadt wollte, fuhren sie gemeinsam mit dem Auto dorthin, dann trennten sich ihre Wege. Andrew musste noch dringend einige Sachen einkaufen, die er noch brauchte und außerdem wollte er etwas ganz Bestimmtes tun. Gestern Abend hatte er ja noch regelrecht gegrübelt, aber inzwischen hatte er sich entschieden und war sich sicher, dass es eine gute Idee war. Und mit Sicherheit würde Oliver nicht damit rechnen, dass er so etwas tun würde. „Hast du deine Uhr an?“ Andrew hob sein Handgelenk, um es ihm zu zeigen. „Zwei Mal das Glas herunterdrücken, dann wird der Sender aktiv. Ich hab’s nicht vergessen.“ Irgendwie kommt er mir manchmal wie ein guter Freund, dann wie ein durchgeknallter Spinner und dann wie eine Art fürsorglicher Vater vor. Oliver war eben ein Mann mit vielen verschiedenen Gesichtern. Deshalb schaffte er es auch immer wieder, seine Mitmenschen so zu überraschen. Aber ich kann auch überraschen, der wird sich noch wundern! Nachdem Andrew ausgestiegen war, machte er sich auf den Weg und suchte sogleich die Adresse, die er sich gestern Abend herausgesucht hatte. Weit konnte es ja nicht sein. Tatsächlich fand er nach einer Weile das Studio und wurde sogleich von einem jungen Mann mit brünettem Haar und zierlichem Körperbau begrüßt, der irgendwie nicht so wirklich in diesen Laden passte, sondern eher den Anschein erweckte, er hätte sich versehentlich hineinverirrt. „Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?“ „Vielleicht. Meinen Sie, Sie würden das hier hinbekommen?“ Andrew holte aus seiner Tasche eine Zeichnung hervor und zeigte sie dem Mann. Dieser betrachtete die Zeichnung eine Weile und nickte schließlich. „Klar, das ist kein Problem. Dann kommen Sie mal mit.“ Andrew folgte ihm und wurde zu einer Liege geführt. Sogleich begann er seinen Oberkörper zu entkleiden und legte sich hin. „Ist es Ihr erstes?“ „Ehrlich gesagt ja. Die Idee ist mir eher spontan gekommen.“ „Sie haben es sich aber auch gut überlegt, oder? So ein Tattoo bleibt ewig, oder es braucht mehrmalige Laserbehandlungen, um es wegzukriegen.“ „Ja, ich habe es mir gut überlegt.“ „Dann ist ja gut.“ Damit begann der Tätowierer mit seiner Arbeit. Die Nadel stach in die blasse Haut und Andrew biss sich auf die Unterlippe. Er hatte mit Schmerzen gerechnet, trotzdem fühlte es sich unangenehm an und er hätte gerne auf die Schmerzen verzichtet, aber er war trotzdem bereit, sie zu ertragen. Denn er wusste, wofür er das machte und deshalb konnte er damit gut leben. Schließlich, nach knapp ein oder zwei Stunden, war die Arbeit endlich fertig und der Tätowierer legte die Nadel beiseite. „So, das wär’s dann.“ Andrew stand auf und ging zum Spiegel hin, um sich selbst ein Bild davon zu machen. Und tatsächlich sah es genauso aus wie auf seiner Zeichnung. Andrew lächelte zufrieden und zog seine Sachen wieder an. „Wirklich gut geworden. Es sieht sehr schön aus.“ Damit bezahlte er den Tätowierer, legte noch ein kleines Trinkgeld oben drauf und verabschiedete sich dann. Insgeheim war er schon stolz auf sich selbst, dass er diesen Schritt gewagt und einfach mal das gemacht hatte, was er wollte, ohne immer nur an das „wenn“ und „aber“ zu denken. Dieses Tattoo war sein Liebesbeweis für Oliver und auch ein Beweis an sich selbst, dass er mutiger sein konnte, als er selber von sich erwarten würde. Glücklich und zufrieden bog er um eine weitere Straßenecke und war gerade dabei, an einem Cafe vorbeizugehen, da hörte er plötzlich eine weibliche Stimme, die ihn rief „Hey! Sind Sie nicht dieser Andy?“ Sofort drehte er sich um und erkannte, dass es Dr. Rickfield war. Und sie kam direkt auf ihn zu. Kapitel 16: Andrew setzt sich zur Wehr -------------------------------------- Andrew blieb wie angewurzelt stehen, als er Dr. Rickfield auf sich zukommen sah und wusste nicht, was er tun sollte. Sollte er ihr aus dem Weg gehen oder mit ihr reden? Er war sich nicht ganz sicher und ehe er sich versah, stand sie auch schon direkt vor ihm. „Was… was wollen Sie von mir?“ fragte er unsicher und blieb immer noch wie angewurzelt stehen. Sie wirkte etwas übernächtigt und man sah ihr an, dass es ihr nicht wirklich gut ging. Als wäre sie ziemlich aufgewühlt. „Ich muss etwas wissen. Was läuft da genau zwischen Ihnen und Oliver?“ „Das hat er Ihnen doch gesagt, oder? Wir sind… wir sind zusammen.“ Sie verschränkte die Arme und sah ihn mit einem eiskalten Blick an. Schließlich ergriff sie seinen Arm und zerrte ihn in eine kleinere Gasse und stieß ihn gegen die Wand. „Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Wo will Oliver Sie denn bitteschön kennen gelernt haben? Auf seinen Reisen vielleicht? Hat er Sie vielleicht von der Straße aufgegabelt oder sind Sie einer seiner Schützlinge, für die er seine kostbare Zeit verschwendet? Sie haben doch nicht die geringste Ahnung davon, was er für ein Mensch ist. Er ist ein genialer Programmierer und Hacker. Sein Verstand bewegt sich auf einer Ebene, die Sie niemals erfassen können und Sie haben doch nicht die geringste Ahnung, wozu er imstande ist. Aber ich sehe schon, welche Masche Sie bei ihm durchziehen. Sie spielen sich hier als Hilfsbedürftigen auf, weil Sie wissen, dass Oliver ein Helfersyndrom hat. Sie nutzen doch nur seine Gutmütigkeit aus, um auf seine Kosten zu leben, nicht wahr? Schämen Sie sich denn nicht? Sie nehmen meinem ungeborenen Kind den Vater weg! Oliver und ich sind füreinander bestimmt und Sie haben nicht das Recht, sich in unsere Beziehung einzumischen!“ Cynthia Rickfield wurde immer aggressiver und Andrew merkte, dass mit ihr sicherlich nicht zu spaßen war. Aber… noch schlimmer als die Tatsache, dass sie Oliver bedrängte war die Tatsache, dass sie meinte, er würde Oliver ausnutzen. Sie hatte doch keine Ahnung! Sie hatte nicht die geringste Ahnung, also sollte sie doch einfach die Klappe halten. „Verschwinden Sie aus Olivers Leben. So ein dreckiger Stricherjunge wie Sie einer sind, hat so einen wunderbaren Menschen wie ihn nicht verdient. Ich lasse nicht zu, dass Sie ihn ausnutzen und ihm das Herz brechen.“ Schnell betätigte Andrew den Sender an seiner Armbanduhr, atmete tief durch und nahm seinen ganzen Mut zusammen. Er hatte es satt, sich immer nur von anderen heruntermachen zu lassen. Das hatte er schon lange genug mit James erleben müssen, jetzt war es endgültig genug. Wenn er irgendwann mal mutiger und selbstbewusster werden wollte, musste er endlich Widerworte geben, anstatt immer nur alles still zu ertragen. „Ich bin kein Stricherjunge, klar? Sie haben nicht das Recht, so über mich und Oliver zu reden. Er hat mich schon damals im Waisenhaus geliebt und er liebt mich so wie ich bin. Genauso wie ich ihn liebe und was Sie hier betreiben, ist doch nur kranker Terror und blanke Belästigung. Wenn Sie ihn wirklich lieben würden, dann würden Sie ihn nicht so bedrängen und abwertend über seine Arbeit sprechen. Sie behaupten, er verschwende seine Zeit mit den Kindern, für die er sich so aufopfert, aber dabei haben Sie doch nicht die geringste Ahnung, wie er damals leiden musste, als er schwer krank war. Er ist so ein wunderbarer und herzensguter Mensch! Anfangs habe ich ja selber gedacht, ich würde so jemanden wie ihn nicht verdienen, aber er hat mir das Gegenteil bewiesen. Er war immer geduldig mit mir, auch wenn ich ihn angeschrieen und ihm gesagt habe, er wäre ein Spinner und Vollidiot. Sie sehen nur den genialen Computerfreak und haben doch keine Ahnung, wie viele Seiten er noch hat. Sie kennen ihn nicht mal richtig und wollen ihn doch regelrecht dazu zwingen, Sie zu lieben. Und das ist falsch! Akzeptieren Sie doch endlich, dass er nichts von Ihnen will und hören Sie auf, ihn zu belästigen. Wenn das Kind wirklich von ihm sein sollte, wird er die Verantwortung übernehmen und sicherlich auch ein guter Vater werden. Da will ich ihm auch nicht im Wege stehen. Aber Oliver ist mit mir zusammen und wir sind glücklich.“ „Oliver ist keine dreckige Schwuchtel!“ schrie sie und stieß ihn von sich. Andrew geriet ins Stolpern und fiel zu Boden. Bevor er aufstehen konnte, rammte die Wissenschaftlerin ihm ihren Absatz in die Schulter und trat ihm gegen den Brustkorb. Bilder tauchten vor Andrews geistigem Auge wieder auf. Erinnerungen an grausame Schläge, wie er um Gnade gebettelt und vor Schmerzen geschrieen hatte. Wie er sich selbst dafür die Schuld gegeben hatte… Bilder, die er vergessen wollte. Nein, er wollte das nicht. Nie wieder wollte er so etwas erleben und sich wie Dreck behandeln lassen. Wenn es jetzt niemanden gab, der ihn beschützen konnte, dann musste er selbst stark sein und sich endlich zur Wehr setzen. Und sei es einfach nur deshalb, damit er nicht schon wieder das Opfer war, das sich niemals wehrte und das man nach Lust und Laune herumschubsen, zusammenschlagen und vergewaltigen konnte. Er hatte es satt und wollte das nicht noch eine Sekunde länger ertragen. Jetzt war Schluss. „Sie haben sie doch nicht mehr alle!“ rief er und stand wieder auf. „Was ist denn Ihr Problem, dass Oliver und ich uns lieben?“ „Weil das pervers und krank ist. Frauen und Männer zu lieben ist doch abartig! So etwas würde Oliver doch niemals tun, mit Sicherheit hast du ihn verführt und ihm den Kopf verdreht, nicht wahr? Hast ihn mit deiner Mitleidsmasche um den Verstand gebracht und ihn verdorben!“ Nun war er es, der Dr. Rickfield wegstieß und am liebsten hätte er ihr eine reingehauen, doch er beherrschte sich. So etwas wollte er gewiss nicht tun, auch wenn es diese Hexe vielleicht verdient hatte. „Hören Sie sich eigentlich selbst reden? Man entscheidet doch nicht einfach so nach Lust und Laune, wen man liebt. Und Oliver kann doch nichts dafür, dass er so ist. Es ist doch nichts Falsches daran, wenn man Männer und Frauen liebt. Es zählt doch, dass man glücklich damit ist und selbst damit leben kann. Also hören Sie gefälligst auf, so herablassend über Oliver zu sprechen und wagen Sie es nicht noch einmal zu sagen, dass er pervers, krank oder abartig ist!“ Andrew wurde immer lauter und richtig sauer. Er redete sich immer mehr in Rage und hatte all seine Ängste und Unsicherheiten vergessen und war selbst erstaunt, dass er so selbstbewusst und mutig vor ihr stand und nicht nur sich selbst, sondern auch Oliver und ihre gemeinsame Liebe zueinander verteidigte. Aber er wollte jetzt auch nicht aufhören, im Gegenteil! Diese Dr. Rickfield sollte sich endlich von Oliver fernhalten und ihn in Ruhe lassen. „Ihre Art der Liebe ist doch krank, weil Sie Oliver mit allen Mitteln zwingen wollen. Langsam habe ich echt das Gefühl, dass bei Ihnen was nicht richtig im Kopf ist und Sie dringend Hilfe brauchen.“ Das war zu viel für Dr. Rickfield und sie gab ihm eine Ohrfeige. Dieser erbärmliche Kerl, dieses Häufchen Elend wollte ihr tatsächlich sagen, ihre Liebe sei falsch? Was dachte sich der Kerl denn, wer er denn sei? Sie war eine renommierte Wissenschaftlerin und Olivers Kollegin. Sie und er arbeiteten seit Jahren zusammen und sie kannte Oliver besser als jeder andere Mensch. Dieser Andy hatte doch gar keine Ahnung, was für ein genialer Kopf Oliver war und es war in ihren Augen einfach nur eine Schande, dass er sich mit so einem Herumtreiber abgab, den er ihrer Meinung nach wahrscheinlich irgendwo in einem Schwulenbordell aufgegabelt hatte. „Was willst du ihm denn schon großartig bieten, hm? Einer wie du ist einem solchen Genie wie Oliver nicht würdig, also sei gefälligst still, wenn du doch sowieso keine Ahnung hast.“ „Ich habe sehr wohl Ahnung und Sie kennen Oliver nicht wirklich. Soll ich Ihnen was verraten? Ich war damals schon besser gewesen als er. Er hatte immer die schlechtesten Noten von allen gehabt, weil er nur das getan hat, was ihn gerade interessierte, fast nie die Prüfungen mitgeschrieben und ständig den Unterricht geschwänzt hat. Und Sie haben auch keine Ahnung, wer ich bin. Sie urteilen einfach so über mich, obwohl Sie rein gar nichts über mich wissen. Es stimmt schon, dass ich Oliver nichts bieten kann, aber das muss ich auch gar nicht. Er hat es nicht nötig, dass man ihm irgendetwas bietet, weil er sowieso schon seit Jahren das tut, was er will und sich immer zu helfen weiß. Und außerdem bin ich derjenige gewesen, der Dr. Kasakowas Pläne zum Gedankenschaltkreis entschlüsselt und vervollständigt hat!“ Als Dr. Rickfield das hörte, entgleisten ihr die Gesichtszüge. Hatte sie da gerade etwa richtig gehört und dieser Kerl da, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war und sich von Oliver aushalten ließ, hatte geschafft, was sonst niemandem gelungen war, nicht einmal Oliver selbst? Er hat dieses Wunder bewirkt? Nein, das kann und darf nicht sein! Dieser Kerl lügt doch, wenn er nur den Mund aufmacht! Nie und nimmer ist er zu so etwas fähig! Aus ihrer Handtasche holte Dr. Rickfield eine Pistole, entsicherte sie und richtete sie direkt auf Andrew. Dieser erkannte die brenzlige Lage und wurde sofort ruhig. Nun war die Situation endgültig am eskalieren. Wenn nicht schnellstens etwas geschah, dann würde er hier einfach erschossen werden. Aber er wollte nicht sterben. Er wollte leben und bei Oliver bleiben! „Du lügst. Nie und nimmer hast du die Pläne vervollständigt! Und ich sag es dir noch ein allerletztes Mal, du verdammte Schwuchtel: halte dich von Oliver fern und verschwinde aus seinem Leben. Er gehört mir und mein Kind braucht seinen Vater!“ „Cynthia!“ Bevor Dr. Rickfield abdrücken konnte, wandte sie sich zur Seite und sowohl sie als auch Andrew sahen, wie Oliver herbeigeeilt kam. Er wirkte völlig abgehetzt und rannte auf sie zu. Als sie ihn sah, ließ Dr. Rickfield die Waffe ein wenig sinken und ihre Augen begannen zu leuchten. „Oliver, du bist endlich da! Hör mal, dieser dreckige Bastard behauptet allen Ernstes, ich wäre krank im Kopf und würde dich nicht kennen. Er wollte, dass ich aus deinem Leben verschwinde. Aber… dabei nutzt er dich die ganze Zeit nur aus und…“ „Ich weiß, Cynthia. Jetzt beruhige dich erst einmal!“ Oliver kam näher und stellte sich vor Andrew, dann ergriff er ihre Hand und richtete den Lauf der Pistole auf seine Brust. „Hör auf mit diesem Schwachsinn, ja? Du benimmst dich hier wie eine Verrückte und willst meinen Freund erschießen. Verdammt noch mal hör endlich auf, dich in mein Leben drängen zu wollen. Ich lasse nicht zu, dass du ihm etwas tust. Vorher müsstest du mich erschießen.“ „Nein Oliver!“ rief Andrew als er sah, was dieser da überhaupt machte und konnte es nicht fassen. Oliver richtete die Pistole gerade wirklich auf seine Brust und setzte damit sein Leben aufs Spiel. Und nicht nur das: er provozierte sie auch noch. „Versteh endlich, dass ich nichts von dir will. Ich liebe dich nicht, ich liebe Andrew und er hat die Wahrheit gesagt! Er hat die Pläne fertig gestellt und er trägt selber einen Gedankenschaltkreis. Ich kümmere mich um ihn und werde nicht zulassen, dass ihm irgendjemand auch nur ein Haar krümmt. Weder du, noch sonst irgendjemand auf der Welt!“ Fassungslos sah sie ihn an und begriff nicht, wie er so etwas tun konnte. Warum nur zog er diesen erbärmlichen Kerl ihr vor, wo sie doch viel mehr Qualitäten hatte? „Warum? Wieso nur liebst du diesen Penner und nicht mich?“ „Weil ich ihn schon seit zehn Jahren liebe und daran wird sich auch nichts ändern. Also lass es sein und akzeptier endlich, dass das mit uns nie etwas wird.“ Hier weiteten sich Dr. Rickfields Augen und Tränen flossen ihre Wangen hinunter und verschmierten ihr Make-up. Dann aber, in einem neuen Anflug von Wut und Zorn verhärteten sich ihre Gesichtszüge. Wutentbrannt starrte sie ihn an und ihr Griff um die Pistole verstärkte sich. „Wenn ich dich schon nicht haben kann, dann auch kein anderer sonst. Glaub mir Oliver, ich tue das hier, weil ich dich liebe! Wir sind füreinander bestimmt und ich teile dich mit niemandem. Du gehörst mir!“ Damit drückte sie ab oder zumindest wollte sie es. Die Pistole regte sich überhaupt nicht und bevor sie überhaupt begriff was hier geschah, hatte Oliver sie blitzschnell mit einigen Schlägen und Griffen überwältigt und sie zu Boden gerungen. Sofort kam auch schon die Polizei und nahm Cynthia Rickfield fest. Als sie abgeführt wurde, eilte Andrew zu Oliver hin und nahm ihn in den Arm. „Verdammt noch mal Oliver, was hast du dir dabei gedacht? Du hättest sterben können, wenn die Pistole nicht geklemmt hätte. Warum machst du so eine Dummheit?“ „Ich wollte dich beschützen, Andy. Das habe ich dir doch versprochen. Und das mit der Pistole war kein Glück und sie hat auch nicht geklemmt. Als ich sie auf mich gerichtet habe, da hab ich sie heimlich wieder gesichert, damit Cynthia nicht schießen konnte.“ Andrew löste sich von ihm und sah ihn erstaunt an. Oliver hatte heimlich die Pistole gesichert? Aber wie hatte er das denn geschafft? Der Hacker grinste und hatte die Antwort schnell parat. „Du weißt doch, dass ich mich sehr intensiv mit meinen Hobbys beschäftige. Und ich bin unter anderem Mitglied bei der N.R.A. und hab eine ganze Waffensammlung bei mir zuhause. Eine Pistole zu sichern ist für mich mehr als einfach.“ Wieder nahm Oliver ihn in den Arm und drückte ihn fest an sich. „Trotzdem hatte ich wirklich Angst um dich, Andy. Wieso bist du nicht abgehauen, obwohl du doch wusstest, dass Cynthia unberechenbar ist?“ „Na weil… weil sie mich die ganze Zeit niedergemacht und deine Arbeit mit den Kindern schlecht gemacht hat. Und ich konnte einfach nicht ertragen, dass sie sagte, dass es krank und abartig sei, dass du Männer und Frauen liebst. Ich wollte das alles nicht mehr hören und wenigstens ein Mal in meinem Leben etwas sagen.“ Und ich habe es tatsächlich geschafft, dachte Andrew und konnte es immer noch nicht fassen. Er hatte Dr. Rickfield die Stirn geboten und seine Liebe zu Oliver verteidigt! Es war völlig verrückt, als wäre er in diesem Moment ein ganz anderer Mensch gewesen. Aber… er bereute es auch nicht. Denn endlich hatte er den Mut aufgebracht, sich zur Wehr zu setzen und zu zeigen, dass er sich nicht mehr herumschubsen ließ. Er hatte damit endlich mal ein Zeichen gesetzt. Oliver hielt ihn fest im Arm und man sah ihm an, dass er heilfroh war, dass Andrew nichts Schlimmeres zugestoßen war. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn er ihn und Cynthia nicht schnell genug gefunden hätte. Dann hätte er Andrew schon wieder verloren. Das, was der Kerl gemacht hatte, war absolut verrückt und gefährlich gewesen, aber zu hören, dass dieser seine Angst überwunden und sich endlich zur Wehr gesetzt hatte, beeindruckte selbst ihn. Er hätte beim besten Willen nicht damit gerechnet, dass Andrew jetzt schon so etwas schaffte. „Du bist wirklich unglaublich, Andy. Du schaffst es echt, mich immer wieder aufs Neue zu überraschen.“ „Hey, das ist immer noch mein Text.“ Oliver lachte und ging mit ihm zum Auto. „Na wenigstens haben wir jetzt endlich Ruhe vor dieser durchgeknallten Schreckschraube. Die Polizei wird noch echt Spaß mit ihr haben. Naja, Hauptsache sie ruft mich nicht mehr ständig an und sie kann dir auch nichts mehr antun. Aber sag schon, geht es dir auch gut? Bist du irgendwo verletzt?“ „Nein, schon gut. Sie hat zwar ganz schön zugetreten und mir eine Ohrfeige gegeben, aber das war es mir trotzdem wert gewesen.“ „Da bin ich aber froh. Na komm, lass uns gehen, bevor wir hier noch festfrieren.“ Obwohl Andrew ja eigentlich noch ein paar andere Dinge geplant hatte und noch ein paar Sachen einkaufen gehen wollte, verschob er dies erst einmal und fuhr mit Oliver zurück nach Hause, nachdem sie ihre Aussage bei der Polizei gemacht hatten. Wie versprochen ging der Hacker in die Küche und zeigte, was er alles bei Gordon Ramsay gelernt hatte und zeigte Andrew dabei ein paar einfache Tipps und Tricks. Die Stimmung war ausgelassen und sie hatten richtig gute Laune. Schließlich aber, als sie am Abend gemeinsam im Wohnzimmer saßen und wieder diese traute Zweisamkeit zwischen ihnen herrschte, da hatte sich Andrew an Oliver gelehnt und hörte zusammen mit ihm ein paar Songs von Nickelback, die sich der Hacker von Ridley besorgt hatte. Eine Weile saßen sie einfach schweigend zusammen und wie so oft hatte Oliver seinen Arm um Andrew gelegt. Dann aber unterbrach der 25-jährige das Schweigen und sagte „Ich habe mich übrigens entschieden: ich werde den Job annehmen und den Schaltkreis bauen.“ „Echt? Wow, das finde ich echt klasse, dass du dir das zutraust. Wie kommt’s, dass du dich dafür entschieden hast?“ „Na ich hab mir einfach zu Herzen genommen, was du gesagt hast. Wenn ich selbstbewusster und mutiger werden will, muss ich auch mal etwas wagen und mir selbst beweisen, dass ich es schaffen kann. Irgendwie hat mir diese Konfrontation heute echt Mut gemacht und ehrlich gesagt finde ich die Idee gar nicht mal so schlecht, dass wir tatsächlich zusammenarbeiten könnten.“ „Stimmt, da liegt wohl der besondere Reiz drin. Aber echt: ich bin wirklich stolz auf dich. In den letzten zwei Wochen bist du viel offener und vor allem mutiger geworden. Denk doch mal nach. Bevor du hierher gekommen bist, warst du völlig am Boden und hast ausgesehen, als wolltest du dir gleich drei Mal hintereinander die Kugel geben. Und du konntest nicht mal mit mir an einem Tisch sitzen, ohne gleich zu fürchten, du würdest mich nerven oder eine Last für mich sein. Und jetzt? Du hast Cynthia die Meinung gegeigt und dich endlich mal zur Wehr gesetzt. Du sagst jetzt auch mal, was dich alles so ankotzt und du schaffst es, den Mut aufzubringen und zu sagen, was du eigentlich willst. Echt Mann, mit so großen Fortschritten hätte ich wirklich nicht bei dir gerechnet. Du erstaunst mich wirklich und du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich mich das macht, dich so zu sehen. Es scheint so, als würde aus dieser kleinen fragilen Knospe langsam aber sicher eine Blume werden.“ Bei diesem Stichwort setzte sich Andrew auf und begann sein Hemd auszuziehen. Oliver sagte nichts, sondern schaute ihn fragend an, aber dann sah er es: auf seiner Brust links war ein frisch gestochenes Tattoo, welches eine Rose zeigte. Und über dieser Rose war der Name „Oliver“ in altenglischer Schrift zu sehen. Dem gebürtigen Iren blieb der Mund offen stehen, als er das sah und noch nie hatte man ihn so dermaßen überrascht und sprachlos erlebt. Er starrte Andrews Tattoo an und konnte nicht wirklich glauben, was er da sah. Dann aber brachte er doch ein paar Worte zustande. „Ist… ist das… ist das etwa echt?“ „Na klar! Es ist zwar noch etwas gerötet, aber…“ „Du… du hast dir allen Ernstes ein Tattoo stechen lassen???“ Andrew konnte einfach nicht anders, als amüsiert zu grinsen. Normalerweise war er es immer, der so reagierte, wenn Oliver mit seinen bescheuerten Aktionen kam. Nur dieses Mal war es genau umgekehrt und genau das war das Lustige. Schließlich aber erklärte er „Als du mir das mit deinen Tätowierungen erzählt hast und welche Bedeutungen sie für dich haben, da wollte ich auch so etwas machen lassen. Und… ich habe mir heute dieses Tattoo stechen lassen, weil ich dich liebe und es soll mich immer daran erinnern, was du für mich getan hast. Deshalb will ich deinen Namen quasi über meinem Herzen tragen und dich bei mir haben.“ Doch Oliver brauchte erst mal einen Moment, um das zu verdauen. „Als ich dir das mit meinen Tattoos erzählt habe, hatte ich aber nicht gleich damit beabsichtigt, dass du dir gleich selbst ein Tattoo stechen lässt. Hör mal, so etwas geht nicht so einfach wieder weg, klar? Nicht, dass du das hinterher noch bereust, weil das so spontan war.“ „Das war nicht spontan und ich habe es mir ganz genau überlegt! Ich liebe dich und ich weiß mit fester Gewissheit, dass du das größte Glück bist, was mir je passieren konnte. Einen solchen Menschen wie dich habe ich nicht verdient und ich wüsste keinen besseren Weg, um dir zu zeigen, wie viel du mir bedeutest.“ In diesem Moment war der lockere und immer gelassene Oliver verschwunden. Er war so überwältigt, dass dem sonst so ruhigen Hacker, den für gewöhnlich nichts großartig erschüttern konnte, wirklich die Tränen kamen. Dieser Liebesbeweis rührte ihn zutiefst und er war vollkommen von seinen Gefühlen überwältigt. „Andy, das ist wirklich das größte Geschenk, das du mir jemals machen konntest.“ „Und du bist mein größtes Geschenk.“ Und damit schlossen sie sich in die Arme und küssten sich. Egal was auch kommen würde, Andrew wollte bei Oliver bleiben und um sein Glück kämpfen. Jetzt, da er endlich erkannt hatte, was wahres Glück bedeutete, wollte er es nicht mehr so leichtfertig wieder hergeben. Endlich hatte er verstanden, dass wahres Glück bedeutete, aufrichtig geliebt zu werden und dass andere an einen glaubten. Er wollte mutiger und stärker werden, damit er die Kraft hatte, um sich dieses Glück zu bewahren. Oliver glaubte an ihn und er war bereit, ihm auf seinem Weg zu folgen und ihm zu helfen, wo es nur ging. Deshalb wollte er auch hart an sich arbeiten und Oliver beweisen, dass er es durchziehen wollte. „Oliver… können wir am Wochenende noch mal in die Kletterhalle gehen? Ich… ich will es noch ein Mal versuchen.“ „Klar, das können wir machen. Aber morgen treffen wir uns erst mal mit den Kids. Die werden sich freuen, dich wiederzusehen.“ Kapitel 17: Reisepläne ---------------------- Am nächsten Tag machten sie sich schon recht früh auf den Weg. Da es draußen kalt war und in der stillgelegten Fabrik ohnehin alles kaputt war, mussten sie sich warm anziehen und packten allerhand Sachen in den Kofferraum. Kisten mit Spraydosen, Verpflegung und noch genügend andere Sachen. Andrew freute sich auch wirklich, die anderen wiederzusehen, nachdem sie ihn schon das letzte Mal so herzlich aufgenommen hatten. Die Fahrt ging zum Industriegebiet, wo schon seit Jahren eine alte Fabrik leer stand, wo keiner so wirklich wusste, was hier mal produziert worden war. Das Gelände war abgesperrt, aber Oliver hatte einen Schlüssel und als sie die „Betreten Verboten“-Schilder sahen, fragte Andrew „Ist das hier nicht irgendwie illegal?“ „Mach dir mal keinen Kopf drum. Ich hab ne Genehmigung eingeholt. Die Fabrik ist sowieso leer und der Besitzer hat mit sich reden lassen, als ich ihm die Sache erklärt habe.“ „Ganz legal zu sprayen… das ist so Oberhammer!!!“ rief Ellie begeistert und hakte sich bei Nico ein, während sie mit den anderen Teenies in die leere Fabrikhalle gingen. Es war deutlich zu sehen, dass es zwischen den beiden ordentlich gefunkt hatte, ähnlich wie bei Zack und Tabitha und alle waren gut gelaunt wie immer. Die Halle war riesig und es gab genug Platz für alle. Nachdem alle eingetroffen waren, versammelten sie sich in der Mitte und bildeten einen Kreis. Sämtliche Kisten wurden hingestellt und Oliver legte die Spielregeln fest. „Okay, jeder sucht sich eine freie Fläche und ich will keinen Streit mit den Dosen haben, ja? Ihr passt auch an der Treppe auf. So wie mir gesagt wurde, ist die ziemlich wackelig und rostig. Kann also sein, dass sie nicht halten wird. Beim Sprayen ziehen alle auch Schutzmasken auf. Handschuhe habe ich auch mitgebracht. Im Anschluss mache ich noch Fotos von euren Werken als Erinnerung von unserem Ausflug. Ich wünsch euch viel Spaß und wenn ihr Fragen habt, dann kommt ruhig zu mir.“ Ein paar der Teenies grinsten wohl wissend, als sie Oliver und Andrew so zusammenstehen sahen und schließlich sagte Isabelle im Scherz „Ihr zwei wollt doch bloß irgendwo schön romantisch herumturteln, nicht wahr?“ „Genau, nehmt euch ein Zimmer!“ Andrew wurde hochrot im Gesicht, als er das hörte und einige begannen bei seiner Reaktion zu kichern. Auch Oliver lachte und stieß ihn scherzhaft in die Seite. „Ich sagte doch, die haben nur Flausen im Kopf. Lass dich von denen nicht ärgern, ja?“ „Ach komm schon Olli, ist doch nur Spaß.“ Sie teilten sich schließlich auf und jeder schnappte sich eine Kiste mit Spraydosen und suchte sich einen eigenen Platz. Es gab aber auch einige, die sich zu Gruppen zusammenschlossen, um gemeinsam an einem Motiv zu arbeiten. Andrew und Oliver suchten sich ebenfalls eine freie Fläche. Doch so ganz wollte der Rothaarige noch nicht anfangen, denn er wollte vorher noch etwas wissen. „Woher wissen die anderen denn von uns?“ „Nun, es könnte eventuell sein, dass mir da etwas rausgerutscht ist. Ich war eben so überglücklich, dass ich es eben nicht so ganz für mich behalten konnte.“ Andrew sah ihn an und wusste erst mal nicht, was er sagen sollte. Oliver hatte einfach so über ihre Beziehung geredet und dann auch noch mit den Teenagern? Was hatte der denn noch alles ausgeplaudert? Als der Hacker das entgeisterte Gesicht sah, lachte er und begann schon mal Handschuhe anzuziehen. „Jetzt guck doch nicht gleich so entsetzt. Ich erzähl denen doch nicht, was wir im Bett so treiben. Aber ich war einfach so überglücklich, dass ich jetzt mit dir zusammen bin, dass ich es doch wohl schlecht für mich behalten konnte.“ „Wer weiß denn noch davon?“ „Nur die Kinder und Ridley. Der hat es mitbekommen, als die Sache mit Cynthia passiert ist. Entspann dich aber mal. Ridley und die Kinder haben doch nichts dagegen und sie freuen sich auch für uns beide. Und außerdem haben wir doch keinen Grund, unsere Beziehung geheim zu halten, oder nicht?“ Nun, da hatte er eigentlich Recht, denn es gab wirklich keinen Grund, wieso sie ein Geheimnis daraus machen mussten. Trotzdem war es für Andrew irgendwie komisch, dass Ridley und die Kinder davon wussten. „Das alles ist noch recht neu für mich“, erklärte er schließlich und begann ebenfalls Handschuhe anzuziehen. „Bis jetzt hatte ich ja noch nie eine richtige Beziehung und es ist nur ein bisschen komisch, dass jetzt auch noch deine Freunde Bescheid wissen. Ich weiß eben nicht so wirklich, wie ich mich ihnen gegenüber verhalten soll.“ „Na ganz normal so wie sonst auch immer“, erklärte Oliver und begann mit seiner Arbeit, nachdem er auch den Mundschutz angelegt hatte. „Es ist doch nichts Besonderes dabei, wenn du mit mir zusammen bist. Im Grunde ist unsere Beziehung doch genauso normal wie die von Tabitha und Zack oder allen anderen Menschen auf der Welt. Und es gibt auch keinen Grund, sich dafür zu schämen, oder?“ „Nicht wirklich.“ „Na siehst du? Also mach dich nicht gleich wieder so verrückt und scheiß drauf, was andere über unsere Beziehung denken. Bei Cynthia hat es ja auch gut funktioniert. Es ist auch nicht tragisch, wenn sie sagen, sie könnten unsere Art der Liebe nicht akzeptieren. Solange sie es tolerieren und nicht ausfallend werden, ist es doch okay. Zur Meinungsfreiheit gehört es eben auch dazu, dass es Menschen gibt, die gegen Homosexualität oder Bisexualität sind. Steh einfach drüber und wenn jemand ausfallend wird, dann gib es ihm ordentlich zurück oder ich werde mich schon darum kümmern.“ Sie begannen schließlich mit ihrer Arbeit und waren fast den ganzen Tag beschäftigt. Zwischendurch machten sie Pause und Oliver bestellte telefonisch was beim Pizzaservice für die gesamte Truppe. Sie saßen zusammen, unterhielten sich gut gelaunt und wärmten sich an einem Heizstrahler, der wenigstens etwas Wärme spendete. Schließlich setzte sich Ellie zu Andrew und rieb sich die Hände. Mit den kurzen brünetten Haaren konnte man sie nur schwer wieder erkennen, da sie beim letzten Mal noch lange blonde Haare hatte, doch das lag aber auch daran, dass Ellie durch die diversen Chemotherapien keine Haare mehr hatte und deshalb Perücken trug. Doch sie trug sie mit Stolz und sagte einfach, dass sie dadurch den Vorteil habe, dass sie jeden Tag eine neue Frisur und eine neue Haarfarbe tragen konnte. Sie war im Alter von 14 Jahren an einem Hirntumor erkrankt und befand sich seit drei Jahren in Behandlung, da der Tumor sehr spät entdeckt wurde und bereits Metastasen gestreut hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals wieder gesund wurde, lag eigentlich bei gerade mal 10% und es war sogar sehr wahrscheinlich, dass weitere Tumorerkrankungen durch die Metastasen folgen würden und sie deshalb niemals wieder gesund werden würde. Deshalb brauchte sie diese Zeit mit Oliver und den anderen auch, weil diese ihr einen Grund gab, weiterzukämpfen und nicht den Mut zu verlieren. Ellie war trotz ihrer 17 Jahre schon sehr reif und setzte sich schon gerne zu Andrew, weil sie ihn offenbar sehr sympathisch fand. „Sag mal Andy, wie lange geht das denn eigentlich schon zwischen dir und Olli?“ „Noch nicht lange. Gerade erst ein paar Tage.“ „Und wer von euch ist der Obere?“ Entgeistert starrte er die Teenagerin an und wurde hochrot im Gesicht. Diese grinste und schien aus seiner Reaktion bereits die Antwort schließen zu können. Sie konnte sich nicht beherrschen und musste lachen über Andrews Gesichtsausdruck und sogleich schaltete sich Oliver ein, als er das bemerkte. „Hey Ellie, jetzt ärgere ihn doch nicht gleich so. Der Arme wird ja ganz rot im Gesicht.“ „Sorry Olli, aber ich konnte einfach nicht widerstehen. Und er sieht doch so niedlich aus, wenn er verlegen ist.“ „Stimmt, da hast du wohl Recht.“ Ihr habt euch doch alle gegen mich verschworen, dachte Andrew und schwieg. Aber er ließ sich davon auch nicht unterkriegen und nachdem die Pause vorüber war, setzten sie ihre Arbeit fort und trafen sich, nachdem sie alle fertig waren, noch mal in der Mitte der Halle und machten Fotos von ihren Werken. Alle waren wirklich stolz auf ihre Arbeit und Andrew musste zugeben, dass das eine echt gute Idee gewesen war, hier in der alten Fabrik Graffitis zu sprayen. Eine etwas andere Form der Kunsttherapie und da Oliver ja sowieso mit der Leinwandmalerei auf Kriegsfuß stand, passte so etwas viel besser zu ihm. Im Anschluss setzten sie sich um die Heizstrahler und begannen zu besprechen, was sie bei den nächsten Treffen noch alles machen wollten. Diverse Vorschläge wurden eingebracht. Darunter ganz normale Sachen wie Party, Kino oder Städtereisen bis hin zu etwas ungewöhnlichen Sachen, wo Andrew nicht schlecht staunte. Schließlich wurde auch er gefragt, worauf er denn Lust hätte und es dauerte noch etwas, bis ihm etwas Gutes einfiel. Oliver schrieb sich alles auf eine Liste und dann kam es zur Abstimmung. Da die Wahlen sehr knapp ausfielen, mussten sie teilweise wiederholt werden, sodass sich die Abstimmung etwas hinzog. Dann aber hatten sie eine Entscheidung gefällt und alle waren zufrieden. „Okay“, sagte Oliver und steckte die Liste ein. „Damit steht fest, was wir nächste Woche machen werden. Übrigens habe ich noch eine Neuigkeit für euch: Im August findet eine Wohltätigkeitsveranstaltung für Krebs- und Tumorkranke statt und da habe ich mir gedacht, wir könnten zu dem Anlass ein Theaterstück aufführen.“ „Gerne, aber bloß nicht schon wieder irgendwas mit Romeo und Julia. Darauf hat doch keiner Lust.“ „Stimmt, das ist schon ausgelutscht genug. Nein, ich habe eine Komödie rausgesucht und zwar „Verlorene Liebesmüh“. Wenn ihr Lust habt, verteile ich schon mal die Texte und ihr lest sie euch mal durch. Wir besprechen uns dann beim nächsten Treffen, wer von euch mitmachen will und wie wir die Rollen verteilen. Das Geld, was bei der Veranstaltung gesammelt wird, kommt der Stiftung zugute.“ Das schien allein schon Grund genug für die anderen zu sein, den Vorschlag anzunehmen und sie alle waren einverstanden, ein Theaterstück auf der Wohltätigkeitsveranstaltung aufzuführen. Lediglich um das Stück selbst musste noch diskutiert werden und wie sie es gestalten sollten. Auch Andrew bekam einen Hefter mit dem Text und dachte nach, ob er nicht vielleicht auch mitmachen sollte. Immerhin war er doch früher so begeistert vom Theater gewesen. „Wir treffen uns nächste Woche Samstag, okay? So, wer abgeholt werden soll, der kann schon mal anrufen. Wer keine Mitfahrgelegenheit hat, der meldet sich bei mir.“ Es war bereits dunkel draußen, als sich die Versammlung auflöste und Oliver und Andrew brachten zusammen mit Tyler, Nico und Ellie die Kisten in den Kofferraum des Wagens, dann verabschiedeten sie sich voneinander. Da Tabitha, Danny und Leonard keine Mitfahrgelegenheit hatten, fuhr Oliver sie nach Hause, bevor er mit Andrew selbst nach Hause zurückkehrte. Obwohl sie Heizstrahler dabei gehabt hatten, waren sie dennoch durchgefroren und drehten die Heizung auf. „Menschenskinder, ist mir kalt!“ rief Oliver und machte erst mal einen Tee, damit sie sich wieder aufwärmen konnten. „Hat’s dir wenigstens Spaß gemacht?“ „Klar“, antwortete Andrew und setzte sich im Wohnzimmer auf die Couch und rieb sich seine eiskalten Hände. „War ja mal eine etwas andere Form der Kunsttherapie, oder?“ „So kann man es auch sehen. Aber es ist nun mal Fakt, dass Teenies gerne Graffitis hinterlassen. Entweder, um einfach nur Chaos anzurichten, oder weil sie sich auf irgendeine Art und Weise verewigen wollen. Und wenn man es zusammen macht, dann schweißt das eben zusammen.“ Da ihnen irgendwie nicht wärmer wurde, rückten sie näher zusammen und sahen zusammen die Nachrichten im TV an. Es gab aber nichts Weltbewegendes oder Interessantes zu sehen, nur den üblichen alltäglichen Mist aus aller Welt und irgendwelchen belanglosen Klatsch und Tratsch. Jeder ging so seinen eigenen Gedanken nach und sagte nichts. Dann aber brach Oliver nach einer Weile wieder das Schweigen. „Weißt du Andy, ich habe da mal so eine Idee. Du bist zehn Jahre lang nicht vor die Tür gekommen und davor hast du auch nur das Waisenhaus gesehen. Es wird höchste Zeit, dass du endlich mal was richtig erlebst.“ „Als ob ich mit dir schon nicht genug erleben würde.“ „Jetzt übertreib nicht gleich. Weißt du, als ich damals krank war, da haben Elijah, Ridley, ich und die anderen unsere Sorgen am besten vergessen können, indem wir einfach das gemacht haben, was wir tun wollten. Also „Just Do It“. Die letzten Tage haben wir eigentlich immer das gemacht, was ich wollte und ich hab dich ja eher mitgezogen. Aber jetzt wird es langsam mal Zeit, dass wir das machen, was du willst.“ Was er wollte? Jetzt auf einmal? „Wie… wie kommst du denn jetzt auf die Idee?“ „Na du hast doch in der Kletterhalle erzählt, dass es dich total aufregt, dass keiner dich fragt, was du willst, sondern dass du dich immer nach anderen richten musst. Die Zeiten sind vorbei und jetzt kannst du auch mal das Recht und die Freiheit einfordern, dass du das machst, was du schon immer mal tun wolltest.“ Doch so ganz hatte Andrew immer noch nicht geschnallt, was Oliver denn jetzt eigentlich genau von ihm wollte. Ich soll das tun, was ich will? Ja aber… was genau will ich denn überhaupt? Ich bin doch glücklich mit Oliver und das reicht doch schon. Da der gebürtige Ire merkte, dass bei seinem Freund immer noch nicht so wirklich der Groschen gefallen war, erklärte er es ihm. „Na hör mal, du musst doch irgendwann mal gedacht haben: „Mensch, so etwas würde ich auch mal gerne erleben“ oder „Da will ich auch mal hin“. Also erzähl mir nicht, dass du noch nie so etwas gedacht hast.“ „Und was genau soll das bringen? Worauf willst du überhaupt hinaus?“ „Dass es an der Zeit ist, dass du dir diese drei Worte zu Herzen nimmst und endlich das tust, was du willst. Wir machen jetzt einfach mal eine Liste und du sagst mir, was du gerne erleben würdest, was du gerne sehen oder wohin du mal gerne verreisen möchtest. Egal was es auch ist und wie bescheuert es deiner Ansicht nach ist. Sag es einfach und wir machen eine persönliche Liste für dich mit Dingen, die du in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten erleben wirst, damit du wenigstens ein bisschen von den verlorenen zehn Jahren nachholen kannst. Und wenn du bloß ins Museum willst, sprich dir einfach mal deine Wünsche von der Seele. Damit das besser geht, hol ich uns erst mal ein Bier.“ Damit ging Oliver in die Küche und kam kurz darauf mit zwei Flaschen Bier zurück. Doch so ganz wollte Andrew nichts einfallen, was er denn gerne machen würde. Er hatte sich ja auch nie sonderlich Gedanken darum gemacht, weil er ja sowieso seine eigenen Wünsche und Belange zurückgestellt hatte, um niemandem zur Last zu fallen. Und jetzt auf einmal verlangte Oliver von ihm plötzlich, dass er sich seine Wünsche von der Seele redete. Das war eben nicht ganz so einfach und Andrew musste wirklich nachdenken. Dann aber begann er zögerlich damit „Ich wollte schon mal ganz gerne wissen wie es ist, zu fliegen. Jetzt nicht in einem Flugzeug, sondern richtig…“ „Dann schreib ich Paragliding, Fallschirmspringen und Wingsuit auf.“ Andrew sah ihn überrascht und auch etwas irritiert an. „Was… was willst du damit?“ „Das sind die Aktivitäten, die wir gemeinsam machen werden, damit du zu deinem Traum vom Fliegen kommst. Zugegeben, die Sachen hab ich noch nicht gemacht, aber die stehen auch auf meiner Liste, also können wir das doch zusammen machen. Aber das ist doch schon mal ein toller Anfang. Was würdest du noch gerne erleben?“ „Nun ja“, murmelte Andrew und nahm einen Schluck Bier, ungeachtet der Tatsache, dass er nicht viel Alkohol vertrug im Gegensatz zu Oliver, der ordentlich was wegstecken konnte. Er pflegte dann immer im Scherz zu sagen, dass es eben seine irischen Gene seien, dass er so viel vertragen konnte. „Ich wollte mal gerne den Grand Canyon sehen oder Las Vegas. Außerdem wollte ich mal ganz gerne in ein Planetarium und zur Sternenwarte.“ Zu allem sagte Oliver bloß „Machen wir“ und schrieb es auf die Liste. Nach anfänglichem Zögern wagte Andrew noch weitere Wünsche und zählte noch mehr Dinge auf. Die da wären, dass er gerne den venezianischen Karneval miterleben, Rom und den Vatikan besichtigen und auch mal gerne nach Australien wollte, um den Ayers Rock und das Great Barrier Reef zu sehen. Außerdem wollte er gerne die deutschen Städte besichtigen, wo seine Lieblingsdichter gelebt hatten und er wollte die japanische Kirschblüte miterleben. Die Liste wurde immer länger und er äußerte auch Wünsche, die er schon als Kind gehabt hatte. Und auch, dass er gerne mal auf dem Meer segeln wollte, ließ er nicht aus. Als er so diesen Gedanken nachging, fiel es ihm immer leichter und so hatten sie eine sehr beachtliche Liste zusammengestellt. Gemeinsam sahen sie sich das Ergebnis an und Andrew war sprachlos, als er sah, wie viel er da eigentlich aufgezählt hatte. „Ach herrje, das ist echt viel…“ „Ist doch super. Und ich hatte schon befürchtet, ich müsste dich komplett abfüllen, damit dir eine Idee kommt. Aber ehrlich gesagt finde ich, dass das echt tolle Ideen sind. Das zeigt doch, dass du was erleben willst und dir dein Leben doch nicht so egal ist, wie du sagst. Und weißt du was? Wir werden diese Liste schön der Reihe nach abarbeiten und dir deine Träume erfüllen.“ Nun verschlug es dem 25-jährigen endgültig die Sprache, als er das hörte und mit offenem Mund starrte er Oliver an, als wäre dieser vollkommen übergeschnappt. „Wie bitte? Ja aber… aber ich muss doch noch den GSK für Vention bauen. Das ist doch erst mal wichtiger.“ „Du hast zwei Jahre Zeit, Andy. Mit deinem Genie brauchst du nicht mal die Hälfte, um fünf davon fertigzustellen. Und ich bin ja auch noch da, um dir zu helfen. Aber ich habe dir auch gesagt, dass es jetzt erst mal wichtig ist, dass es dir besser geht. Und glaub mir, das wird dir richtig gut tun. Es gibt nichts Besseres, was gegen Depressionen helfen kann, als etwas Tolles zu erleben, wovon man lange was hat. Du musst endlich mal aus deinem Schneckenhaus raus und den Anfang hast du schon gemacht. Du hast jetzt schon mal den Mut aufgebracht, deine Wünsche zu äußern und auch klar zu sagen, was dir gegen den Strich geht. Was glaubst du wohl, wie ich mit meinen Depressionen und der Trauer über Elijahs Tod fertig geworden bin? Anstatt irgendwelche bescheuerten Psychopharmaka zu schlucken, hab ich mich auf das konzentriert, was ich will und habe das getan, was mir Spaß macht, damit ich mich wieder besser fühle. Und genau das solltest du jetzt auch tun. Bevor du dich an die Arbeit machst, erfüllst du dir erst mal deine Träume und Wünsche und wenn du willst, begleite ich dich dabei.“ „Ja aber was ist mit deiner Arbeit und den Kindern?“ Doch auch da schien Oliver sich gut organisiert zu haben und erklärte „Das Großprojekt ist fertig und wenn die Arbeit für mich haben, ich kann locker von meinem Laptop aus arbeiten und zwar von überall auf der Welt und das wissen die auch. Und was die Kids betrifft, die sind bei Ridley und Stacey in besten Händen.“ „Stacey?“ „Auch eine alte Freundin von uns. Sie war damals nierenkrank und Elijah hatte ihr vor seinem Tod eine Niere gespendet, damit sie wieder gesund wird. Zwar hat sie inzwischen selbst eine Familie, aber sie springt gerne ein, wenn Ridley und ich verhindert sind. Und die Kids sind ja zum Glück recht einfach zu händeln, auch wenn sie ziemlich viel Quatsch im Kopf haben.“ Andrew sah wohl ein, dass es keinen Sinn hatte, gegen Oliver argumentieren zu wollen. Er wusste eben, wie er die anderen überzeugen konnte. Zufrieden, dass er Andrew mit seinen Argumenten zum Schweigen gebracht hatte, grinste der Hacker und trank sein Bier aus. „Also dann steht die Sache: ich bereite alles vor und dann machen wir gemeinsam eine Reise und machen all das, was auf dieser Liste steht. Wir machen uns eine richtig schöne Zeit und wer weiß… wenn wir zurückkommen, wirst du vielleicht ein ganz neuer Mensch sein.“ Immer noch war Andrew total überrumpelt und sprachlos. Aber dann konnte er nicht anders als zu lachen und umarmte Oliver. „Du bist echt unglaublich. Du schaffst es doch immer wieder, mich zu überraschen.“ „Das ist eben meine Spezialität.“ Epilog: Zum Schluss ------------------- fünf Monate später Andrew hatte sich in letzter Sekunde in Deckung begeben und versuchte, wieder zu Atem zu kommen und sein wie wild schlagendes Herz zu beruhigen. Doch so einfach war das leider nicht. Er hatte ja mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass der Kampf sich dermaßen in die Länge zog und es so aufs Ganze gehen würde. Überall sah er sich um, doch es war nicht auszuschließen, dass irgendwo jemand gleich aus dem Hinterhalt angreifen würde. Die Gefahr war einfach zu groß und er wusste, dass es noch echt hart werden würde, wenn sich nicht endlich etwas tat. Über Funk meldete sich schließlich Cole. „Andy, wie sieht es bei dir aus?“ „Beschissen. Ich musste in Deckung gehen und sie haben hier überall Scharfschützen postiert. Wenn ich nicht Verstärkung bekomme, dann bin ich so gut wie tot, okay?“ „Schon klar. Ich werde sehen, was ich tun kann. Versuch solange durchzuhalten und deine Munition einzuteilen. Wir holen dich da schon raus.“ Das Adrenalin strömte durch seinen Körper und er sammelte seine ganze Konzentration, um die Scharfschützen ausfindig zu machen. Geduckt schlich er um eine Ecke und konnte nur mit knapper Not einer Kugel ausweichen. Sofort schoss er zurück und schaffte es, seinen Gegner mit einem Kopfschuss auszuschalten. Doch sogleich wurde aus anderer Richtung gefeuert und beinahe hätte ihn die Kugel ins Bein getroffen, hätte er es nicht geistesgegenwärtig weggezogen und sich zu Boden geworfen. Etwas ungünstig fiel er hin und sah schon sein Ende kommen, da kam die ersehnte Verstärkung, um ihn aus seiner Lage zu retten. „Los Andy, steh auf! Wir müssen hier weg.“ „Wie viele sind von uns noch übrig?“ „Nur noch wir. Unsere Leute fallen wie die Fliegen und wenn wir nicht aufpassen, sind wir gleich ebenfalls dran. Die kreisen uns ein und kommen nicht aus der Deckung hervor.“ War ja klar, dass sie diese Strategie nehmen. Das ist ja auch viel zu einfach für sie, dachte Andrew und biss sich auf die Unterlippe. Verdammt, wenn uns nicht schnell etwas einfällt, dann war’s das und kapitulieren kommt ohnehin nicht infrage. Nie und nimmer würde er einfach so aufgeben und seinem erbittertsten Feind in diesem Spiel die Waffen vor die Füße legen. Er würde es dieses Mal schaffen und wenn es das letzte Mal war, dass er das tat. „Also was sollen wir tun? Hast du einen Plan?“ „Wir müssen die Scharfschützen ausschalten und aufpassen, dass wir zusammenbleiben und uns bestmöglich absichern. Wenn wir nicht aufpassen, dann haben die leichtes Spiel mit uns und dann sind wir schneller weg vom Fenster, als wir gucken können.“ „Okay. Ich werde mich darum kümmern. Ich bin von uns dreien ohnehin der beste Schütze. Ihr gebt mir Rückendeckung.“ Andrew nickte und prüfte seine Munition. So allmählich ging diese zur Neige und es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die letzte Kugel verschossen war und dann war er so gut wie geliefert. Auf Nachschub konnten sie auch nicht hoffen, es waren kaum noch welche von ihnen übrig und es würde ohnehin nicht mehr lange dauern, bis dieser Kampf endgültig entschieden war. Dass es so hart werden würde, hätte selbst Andrew nicht gedacht, aber was hatte er denn auch anderes erwartet? Ihr Gegner war ein Profi und gegen ihn hatten sie kaum eine Chance. Ihre Niederlage war nur noch eine Frage der Zeit, wenn sie nicht endlich etwas gegen die Scharfschützen unternahmen. Doch zum Glück besaß Marco das nötige Geschick dafür und einer nach dem anderen wurde durch Herz- und Brustschüsse aus dem Weg geräumt. Doch dann folgten mehrere Schüsse von weiter rechts und trafen Marco und seinen Kollegen, lediglich Andrew schaffte es noch, sich in allerletzter Sekunde in Sicherheit zu bringen. Verdammter Mist, sie hatten einen Schützen übersehen und jetzt war nur noch er übrig. Der Letzte seiner Truppe. Andrew keuchte und hätte am liebsten seinen Helm abgenommen. Es war so verdammt heiß in den Klamotten und er bekam mit diesem Ding kaum Luft. Er schaltete das Funkgerät ein, um Kontakt zu Cole aufzunehmen. „Wie ist die Lage?“ „Keiner in deiner Einheit außer dir ist noch übrig. Von den anderen ist auch nur noch einer da. Es wird also auf einen Zweitkampf hinauslaufen. Viel Glück, Mann!“ Ein Zweitkampf also, das musste ja so kommen. Als wäre es vorherbestimmt gewesen. Ob er auch eine Chance haben würde, es mit seinem letzten und zugleich auch gefährlichsten Gegner aufzunehmen? Die Wahrscheinlichkeit lag bei allerhöchstens 24,18%, also nicht mal einem Drittel! Seine einzige Chance auf einen Sieg bestand darin, ihn zuerst zu finden, bevor er selbst gefunden wurde. Ansonsten würde er einfach aus dem Hinterhalt erschossen werden. Andrew ließ sich in einer Ecke nieder und prüfte seine Munition. Gerade mal vier Kugeln waren übrig geblieben. Und seine gefallenen Kameraden hatten leider auch ihre Munition verbraucht, um die Scharfschützen auszuschalten. Also was sollte er denn noch tun? Aus einer Tasche holte er eine kleine PET-Flasche und trank einen Schluck Wasser. Trotzdem schwitzte er fürchterlich in seiner Kleidung und wenn dieser verdammte Helm nicht wäre, würde er auch nicht so schlecht Luft bekommen. Jetzt galt es gut zu überlegen, was er jetzt tun sollte. Sollte er Cole bitten, die Position des Gegners zu orten, damit er so ungefähr wusste, wo dieser sich aufhielt? Das könnte er vielleicht tun, aber auch Coles Möglichkeiten waren begrenzt. „Cole, kannst du ihn ungefähr orten?“ „Er befindet sich knapp zehn Meter weiter östlich von dir und scheint ebenfalls Deckung genommen haben. Vermutlich ist er auch gerade dabei, deine Position zu orten.“ Natürlich war er das. Immerhin waren sie die beiden letzten auf dem Schlachtfeld und dieses war viel zu groß und bot viel zu viele Versteckmöglichkeiten. Also gut, er musste sich jetzt eine Strategie überlegen, wie er sich seinem letzten Gegner am besten nähern konnte. Frontal oder aus dem Hinterhalt? Wenn der Feind in ständigen Funkkontakt blieb, würde er seine Position orten und auf die Weise sehen können, was Andrew vorhatte. Eigentlich blieb ja nur die Strategie, einen Direktangriff zu starten, um ihn aus der Reserve zu locken. Also erhob sich der 25-jährige aus seiner Deckung und hielt das Gewehr schussbereit. Alles oder nichts, Sieg oder Niederlage. Der Sieg hing allein von ihm ab und wenn er versagte, war es endgültig aus. Er musste diese Schlacht gewinnen, koste es was es wolle und Versagen war ausgeschlossen. Wenn er es nicht schaffte, würde das noch schlimme Konsequenzen haben. So schnell wird er mich nicht abknallen, der wird mich nicht kriegen! Ich werde definitiv gewinnen! Andrew sammelte sich und lud seine Waffe durch. Egal was auch von Nöten war, er würde nicht aufgeben und seine letzte Energie in diesen Angriff stecken. Tief atmete er ein letztes Mal durch, dann sprang er aus seiner Deckung hervor und lief zu der Stelle, wo Cole seinen Gegner geortet hatte. Alles oder nichts… Es würde sich jetzt entscheiden. Andrew sah, wie ein Schatten zwischen den Mauern weghuschte und sofort schoss er, verfehlte aber. Gleichzeitig wurde aber zurückgeschossen und wieder schaffte es Andrew mit Not und Mühe, sich wieder in Sicherheit zu bringen. „Hey!“ rief diese vertraute Stimme von nicht weit hier. „Lebst du noch?“ fragte die Stimme provokant und lachte. Andrew lächelte bitter und antwortete laut „Klar doch, du auch?“ „Natürlich. Aber ehrlich gesagt war es doch vorauszusehen, dass es auf uns beide hinauslaufen wird, oder nicht? Und eines sag ich dir: ich werde nicht versagen!“ „Ich ebenso wenig.“ „Etwas anderes habe ich von meinem Feind nicht erwartet.“ Der macht sich doch über mich lustig, dachte Andrew und ärgerte sich. Der wird wirklich alles geben, um mich abzuschießen und wenn er dann sein Ziel erreicht hat, steht mir noch Schlimmes bevor. Allein schon der Gedanke an die Konsequenzen, wenn er versagte, war schlimm genug. „Um es mal klarzustellen: ich werde es definitiv nicht tun, klar? Ich lass mich nicht von dir abknallen!“ „Das wird sich schon noch herausstellen. Bist sowieso ein absolut mieser Schütze, Andy.“ Dieser Blödmann will mich doch nur mal wieder provozieren, damit ich unvorsichtig werde, aber das kann er vergessen. So leicht lasse ich mich bestimmt nicht aus der Reserve locken. Ich mag zwar vielleicht nicht so ein guter Schütze sein wie du, aber das heißt noch lange nicht, dass ich so miserabel bin, dass ich dir nicht die Stirn bieten könnte. Andrew lugte hinter seiner Deckung hervor und konnte ihn schon fast sehen. Zumindest sah er einen sich bewegenden Schatten und das sprach eindeutig dafür, dass es Oliver sein musste. Immerhin war er der Letzte, der noch übrig war. Und ihn würde Andrew auch noch kriegen. „Wenn ich wirklich so ein mieser Schütze bin, wie kommt es dann, dass ich drei deiner Jungs abgeschossen habe?“ „Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn. Aber ich sag dir eins, Andy: ich hab dich schon längst im Visier und dann gehört dein Arsch mir.“ Als Andrew das hörte, durchfuhr ihn ein eisiger Schreck. Dieser Mistkerl hatte ihn schon längst im Visier? Das konnte doch nicht sein. Das war doch bloß ein mieser Bluff von ihm. Er will mich verunsichern, damit ich meine Deckung vernachlässige und dann hat er mich wirklich am Arsch. Aber das kann er sich schön abschminken. Ihn durchschaue ich doch alle Male. Vorsichtig lugte Andrew hervor und sah den Schatten knapp fünfzehn Meter entfernt geduckt hinter einer Mauer kauern. Er legte das Gewehr an und begann zu zielen. Was er jetzt brauchte, war eine ruhige Hand und dann konnte er ihn mit einem gezielten Kopfschuss treffen. „Tut mir Leid, mein Lieber. Aber ich werde definitiv nicht verlieren, das hab ich dir doch gesagt.“ „Und ich hab auch gesagt, dass ich nicht verlieren werde.“ Andrew wurde blass und jegliche Farbe entwich seinem Gesicht, als er diese vertraute Stimme so dicht bei ihm klang. Und dann wurde auch schon der Gewehrlauf gegen seinen Rücken gedrückt. Aber… das konnte doch nicht sein. Das war nicht möglich! Sie beide waren die letzten Kämpfer auf dem Schlachtfeld und er hatte doch da hinten seinen Schatten gesehen. Wie also konnte er denn jetzt plötzlich hinter ihm stehen und mit einem Gewehr auf seinen Rücken zielen? Er hatte doch gehört, dass die Stimme von ihm war und sie kam eindeutig von da drüben. Das musste ein hinterhältiger Trick sein. Nie und nimmer hätte er sich so dermaßen geirrt. „Tja Andy, sieht so aus, als hättest du verloren.“ „Du… du mieser Feigling.“ „Feige würde ich das nicht nennen. Ich habe lediglich mehr Möglichkeiten in Betracht gezogen, wie ich dich besiegen kann. Und nun Sayonara, Andy.“ Und mit diesen Worten wurde ein Schuss abgefeuert und die Kugel traf Andrew direkt zwischen die Schulterblätter. Das war’s, es war vorbei. Er hatte es nicht geschafft und war letztendlich gescheitert. So ein verdammter Mist. Und dabei war er so nah dran gewesen, doch es hatte letzten Endes nichts gebracht. Aber wie um alles in der Welt hatte er sich nur dermaßen täuschen lassen? Andrew spürte, wie der Schuss ihn in den Rücken traf und er fiel zu Boden. Er sah noch, wie sich der Schatten da hinten erhob, den er fälschlicherweise für Oliver gehalten hatte und sah, dass es Tyler war. Als Andrew das sah, da wurde ihm klar, was das bedeutete und er trat Oliver die Beine weg, woraufhin dieser hinfiel. „Ich glaub es ja wohl nicht, Oliver. Du hast geschummelt!“ rief der 25-jährige und stand wieder auf. Kurz darauf kamen auch die anderen Kinder herbei und sahen, was für ein hinterhältiges Spiel getrieben worden war. Oliver selbst grinste nur und sagte „Ich habe Tyler ja nicht aufgefordert, dich abzuschießen, er sollte dich einfach nur ablenken. Ich hab gewonnen, also nehme ich dich morgen mit zum Bungee Jumping.“ „Um Verrecken werde ich da nicht mitgehen. Und überhaupt: du hast geschummelt, also geht der Sieg automatisch an mich und wir gehen ins Kunstmuseum.“ Und als Strafe für diese absolut hinterhältige Aktion drehte Andrew Oliver auf den Bauch und schoss direkt auf sein Gesäß. „Was stellst du dich denn so an, Andy? Kennst du denn nicht diesen Spruch, dass im Krieg und in der Liebe alles erlaubt ist?“ „Das schon, aber wir sind hier nicht im Krieg, wir spielen Paintball! Du hast die Regeln festgelegt, also halte dich auch selber daran.“ „Genau“, stimmten die anderen zu und bestimmten ganz klar Andrews Team zu den Siegern. Endlich konnten sie sich aus ihren Klamotten befreien und die Helme abnehmen. Auch Andrew nahm seinen ab und atmete die frische Luft ein. Gott sei Dank konnte er dieses Ding endlich abnehmen. Wie lange waren sie jetzt eigentlich schon dran gewesen? Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Auf jeden Fall schon eine ganze Zeit, denn es war dieses Mal deutlich schwieriger gewesen als das letzte Mal und sie hatten ja wirklich alles gegeben. Aber zumindest hatten sie alle Spaß gehabt und allein das zählte. Als die Kinder abgeholt worden waren, blieben Andrew und Oliver noch eine Zeit lang alleine und mit reumütiger Miene kam der Hacker zu ihm hin. „Bist du immer noch sauer auf…“ Bevor er weitersprechen konnte, hatte Andrew ihm die letzte Paintballkugel in die Brust geschossen und zwar genau an der Stelle, wo das Herz saß. Das beantwortete die Frage. „Wenn wir schon mit Einsätzen spielen, dann ja wohl auch wenigstens fair, oder?“ „Hey, das mit den Einsätzen war doch sowieso nicht ernst gemeint. Ich weiß doch, dass du totalen Schiss vor Bungee Jumping hast, da würde ich dich nicht dazu zwingen. Genauso wenig wie du mich in ein Kunstmuseum schleifen würdest.“ Andrew seufzte und schüttelte den Kopf. Er schaffte es selbst beim besten Willen nicht, lange nachtragend zu sein. Besonders nicht bei Oliver. Trotzdem sagte er „Das ändert aber dennoch nichts an der Tatsache, dass du geschummelt hast. Das hat noch ein Nachspiel, klar?“ „Jetzt sei doch nicht so nachtragend, Andy. Wie gesagt: es ist nur ein Spiel und wir hatten unseren Spaß. Allein das zählt!“ „Hast ja Recht. Und es tut mal gut, die Kinder nach knapp fünf Monaten wiederzusehen. Ehrlich, ich hab schon fast wieder ihre Gesichter vergessen. War zwar schön im Ausland, aber ehrlich gesagt hab ich mich auch wieder gefreut, nach Boston zurückzukehren.“ Nachdem sie die Halle verlassen hatten, gingen sie zum Wagen hin und machten sich auf den Weg zurück nach Hause. Fünf Monate waren ins Land gezogen. Ganze fünf Monate, seit sie Boston verlassen und die Welt bereist hatten. Und sie hatten viel zusammen gesehen und erlebt. Die Zeit hatte insbesondere Andrew verändert. „Sag mal Andy, was hast du denn als Nächstes vor, nachdem wir wieder zurück sind? Willst du dich gleich an die Arbeit machen?“ „Ich bin mit dem ersten Schaltkreis doch schon längst fertig und den anderen habe ich in spätestens einem Monat fertig. Vention war ja schon so großzügig, mir so viel Zeit zu lassen. Genau genommen habe ich ja noch insgesamt 17 Monate Zeit und bis dahin schaffe ich es mit Sicherheit, den GSK zu perfektionieren. Dann kann ich das Modell, was ich von James eingesetzt bekam, auswechseln lassen. Das Ding ist doch sowieso viel zu langsam und hat einige Macken. Mit dem Prototyp, den ich entwickelt habe, würde ich viel besser klar kommen und der Vorteil ist auch, dass ich keine Kopfschmerzen hätte, wenn Einstellungen geändert werden. Außerdem ist die Übertragungsreichweite deutlich stärker, sodass du sogar von Vention aus die Wartungen durchführen könntest.“ „Na eigentlich könntest du das doch selber machen, oder nicht?“ „Stimmt schon, aber… ich hab es ehrlich gesagt viel lieber, wenn du dich um die Wartung kümmerst. Wir haben doch alle Aufgaben gut verteilt. Du kümmerst dich ums Technische und um die Küche und ich mich um den Rest. Aber bevor ich die zweite Version des GSK fertig stelle und teste, möchte ich vorher noch etwas Wichtiges erledigen. Ich möchte einen alten Freund wieder besuchen, das habe ich ihm ja versprochen, wenn ich wieder bereit dazu bin.“ Oliver sah ihn kurz an und schwieg einen Moment. „Du redest von Beyond, nicht wahr?“ Andrew nickte und erklärte „Ja, seine Schwester ist doch schon bald soweit und ich hab ja auch kaum von mir hören lassen. Ich hab mal höchstens ein paar Postkarten geschrieben und ich bin ja sowieso gespannt, wie er wohl reagieren wird, wenn er von uns beiden erfährt.“ „Du darfst erst mal gespannt sein, wie er reagieren wird, wenn er dich wieder sieht. Ich wette, der wird dich erst mal für einen Klon halten oder so. Der wird sicher doof gucken.“ Sie lachten beide, als sie daran dachten und Andrew schaute zufrieden lächelnd aus dem Wagenfenster. Es war inzwischen strahlender Sommer in Boston und der Himmel war komplett wolkenlos. Ganz anders als vor fünf Monaten, als wir Boston verlassen haben, um auf Reisen zu gehen. Da war alles noch so grau, kalt und düster aber jetzt wirkt alles ganz anders als vorher. Ich bin ja mal echt gespannt, was sich hier so alles verändert hat und wie es Beyond, L und Rumiko inzwischen geht. „Und wenn Beyond dann auch noch erfährt, wieso wir nach Boston zurückgekehrt sind, da wird der sicher umfallen.“ „Boah, da würde ich echt zu gerne dabei sein, nur um sein dummes Gesicht zu sehen.“ „Darauf freue ich mich auch schon. Ich kann es aber ehrlich gesagt auch kaum erwarten, bis wir es endlich durchziehen. Weißt du, auch wenn es auf unseren Reisen manchmal echt hart war und du mich ganz schön an meine Grenzen getrieben hast, bin ich echt froh, dass du mich so oft gedrängt hast, es doch zu versuchen. Wenn ich überlege, was wir alles erlebt haben… Australien, der Grand Canyon, Japan, China, Deutschland und Thailand…“ „Vergiss nicht Las Vegas.“ Hier veränderten sich Andrews Gesichtszüge und er sah schon fast entsetzt aus. Er starrte Oliver an und sagte nach einer Weile „Wir hatten uns doch darauf geeinigt, nie wieder über dieses Kapitel zu sprechen. Oder hast du etwa das mit der Bar vergessen?“ Hier verzog sich auch Olivers Miene, als er sich wieder erinnerte. „Au verdammt, du hast Recht. Da war ja noch was. Aber ehrlich gesagt erinnern wir uns doch sowieso kaum an etwas, weil wir beide so hackevoll waren. Und du kennst ja den Spruch: was in Las Vegas passiert, bleibt in Las Vegas.“ „Wollen wir’s hoffen. Sonst kann ich mich nie wieder in der Öffentlichkeit blicken lassen. Und du ebenso wenig, Olli.“ „Wir hatten aber auch keine Schuld, klar? Was können wir dafür, wenn uns irgend so ein Spinner was ins Glas mischt und wir dann am nächsten Morgen mit einem Filmriss auf dem Billardtisch aufwachen und du einen Frauenfummel anhast?“ Sofort gab Andrew ihm einen strafenden Schlag auf den Oberarm. „Hör bloß auf. Als wäre ich nicht der Einzige, der sich in Las Vegas blamiert hätte, nur weil uns jemand K.O.-Tropfen in die Drinks gemischt hat. Und ich dachte, so ein Scheiß wie in „Hangover“ würde niemals wirklich passieren. Und zumindest hatte ich im Gegensatz zu dir überhaupt Klamotten an! Zum Glück bist du so ein guter Hacker und konntest wenigstens dieses peinliche Kapitel aus dem Internet löschen. Nicht auszudenken, wenn die anderen das gesehen hätten.“ Dem konnte Oliver nur zustimmen. „Trotzdem hab ich noch ein Erinnerungsfoto, als du hackendicht in einer Marylin Monroe Verkleidung auf dem Billardtisch gelegen hattest.“ „DU HAST WAS??? Oliver, das Foto wird sofort gelöscht, oder ich schwöre bei Gott, du wirst die nächsten vier Wochen enthaltsamer sein als ein Klosterbruder.“ Und diese Drohung reichte, dass der Hacker klein bei gab und den wütenden Andrew beschwichtigte. „Schon gut, ich lösch die Bilder sofort, wenn wir zurück sind. Trotzdem muss ich zugeben, dass dir der Fummel echt gut stand.“ Und für diesen Kommentar funkelte Andrew ihn giftig an und knurrte „Du kannst mich mal“, dann verschränkte er die Arme und verzog missmutig das Gesicht. „Heute kannst du definitiv alleine im Bett schlafen, mein Lieber.“ „Alte Spaßbremse…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)