Last Desire 4.5 von Sky- (Another Desire) ================================================================================ Kapitel 10: Ein Tanz und wieder Wassermelonen --------------------------------------------- Gleich nachdem sie zurück zuhause waren, schickte Oliver den durchgefrorenen Andrew ins Bad. Dieser hatte eine heiße Dusche dringend nötig, um sich wieder aufzuwärmen und fühlte sich danach auch gleich viel besser. Trotzdem fragte er sich, wie es denn jetzt weitergehen sollte, wenn seine Befürchtungen sich bewahrheiteten und Oliver in Wahrheit noch diesen Elijah liebte. Aber wahrscheinlich würde er das noch herausfinden, wenn es zu diesem Gespräch kommen sollte. Nach der Dusche wollte er eigentlich ins Wohnzimmer gehen, doch da wartete Oliver schon auf ihn und passte ihn gleich ab. „Komm mal mit. Ich muss dir etwas zeigen.“ Damit führte er ihn durchs Haus und brachte ihn zu jenem Raum, der immer verschlossen war und wo auch an der Tür das „Betreten Verboten“-Schild hing. „Es gibt einen Grund dafür, dass ich nicht wollte, dass du diesen Raum siehst. Er ist sehr persönlich für mich und ich wollte nicht, dass du dadurch verunsichert wirst und dich zu irgendetwas verpflichtet oder genötigt fühlst. Aber ich denke, jetzt ist der Zeitpunkt dafür günstig, weil ich dir so am besten zeigen kann, wie der Sachverhalt wirklich aussieht.“ Damit schloss er die Tür auf und öffnete sie. Was Andrew dahinter sah, war ein etwas kleinerer Raum, der aber fast genauso wie sein Zimmer vollgestopft war mit irgendwelchen Dingen. Es gab Zeitungsartikel, irgendwelche Notizen, die er an die Wände geklebt hatte und Fotos. Fotos von Andrew, als er noch jung war und auch all die Arbeiten, die er geschrieben hatte. Sogar persönliche Gegenstände, die ihm damals gehört hatten, fand er hier wieder. Dieses ganze Zimmer war ein einziges Sammelsurium von Dingen, die ihn betrafen. Er war regelrecht erschlagen von dieser Entdeckung und konnte erst mal nicht genau einordnen, was das zu bedeuten hatte. Wieso gab es denn so viele Sachen von ihm und warum hatte Oliver sie gesammelt? „Ist… ist das etwa schon wieder so ein Hobby von dir?“ „Kein Hobby, sondern eine Leidenschaft, welcher ich schon seit Jahren nachgehe. Ehrlich gesagt hatte ich mich in dich verliebt, als ich dich damals das erste Mal gesehen habe. Und so habe ich immer wieder Dinge von dir gesammelt. Ich wollte wenigstens etwas von dir haben, wenn ich dir so im Leben niemals nahe sein konnte. Du hast damals L geliebt und ich wusste, dass ich gegen den Kerl niemals anstinken würde. Und damals dachte ich auch, dass du mit so einem Vollversager wie mir, der nur das tut, was ihn interessiert, nie etwas anfangen würdest. Ich dachte, ich würde dir nicht gut genug sein. Deshalb sagte ich ja auch, dass wir uns ähnlicher sind, als du denkst.“ Andrew ging langsam durch den Raum und sah sich alles an, was Oliver in den Jahren angehäuft hatte. Dabei fand er nicht nur Fotos und persönliche Gegenstände, sondern auch Zeitungsartikel von seinem Selbstmord und auch die Meldung, dass seine Leiche nie in die Leichenhalle gekommen sei. Und es gab auch Notizen, die sich Oliver gemacht hatte, als er Nachforschungen angestellt hatte. „Als du gestorben bist, ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Nach Elijah hatte ich auch noch meine erste große Liebe verloren, aber… als du nie in der Leichenhalle aufgetaucht bist und dann auch noch Dr. Brown verschwunden ist, da hatte ich irgendwie so ein Gefühl, dass da eine Verbindung herrschen könnte. Und so habe ich angefangen, nach dir zu suchen und herauszufinden, ob du wirklich tot bist, oder ob dein Verschwinden vielleicht eine bestimmte Bedeutung hat.“ Dann… dann hatte Oliver also die ganze Zeit damit verbracht herauszufinden, ob ich nicht vielleicht doch durch ein Wunder am leben sein könnte? Und er war wirklich schon seit damals in mich verliebt, als er mich das erste Mal gesehen hatte und hatte die gleichen Ängste, er könnte nicht gut genug für mich sein? „Wieso hast du nie etwas gesagt? Ich dachte immer, es sei dir alles egal.“ „Ich hab damals nicht den Mut aufgebracht, dir meine Liebe zu gestehen, eben weil ich wusste, dass du L liebst und diese irgendwie merkwürdige Sexbeziehung mit Beyond hattest. Da hätte ich doch nie eine Chance gehabt, besonders weil ich wusste, dass ich zu jenen Menschen zählte, die du nicht leiden kannst. Also dachte ich mir, es wäre das Beste, einfach die Klappe zu halten und meine Gefühle für mich zu behalten, bevor ich doch nur enttäuscht werde. Und als ich dann Kontakt zu L und Beyond aufgenommen habe und von ihnen erfuhr, dass du noch lebst, da habe ich mich wirklich wahnsinnig gefreut. Und da ich inzwischen viel mutiger und selbstbewusster geworden bin, habe ich dann eben halt beschlossen, dir zu helfen und dir deine Lebensfreude zurückgeben, wie Elijah mir meine zurückgegeben hat. Und zugegeben, ein paar kleine Hintergedanken hatte ich auch gehabt.“ Oliver verließ mit Andrew den Raum und ging mit ihm ins Wohnzimmer, wo er einen Tee vorbereitet hatte. So etwas hatte der 25-jährige jetzt wirklich nötig, aber so ganz verdaut hatte er diese Nachricht noch nicht. Und außerdem interessierte ihn eines. „Was meinst du damit?“ „Ich weiß, dass das nicht gerade die fein englische Art war, aber ein wenig wollte ich dich schon beeindrucken. So ganz hatte ich dich noch nicht aufgegeben, aber ich wollte es nicht allzu auffällig machen, weil ich dich nicht bedrängen wollte. Wenn ich schon den Ruf habe, ein unzuverlässiger chaotischer Spinner zu sein, dann wollte ich wenigstens zeigen, dass ich mehr kann, als nur vor dem Computer zu sitzen.“ Dann war also alles Teil von Olivers Plan gewesen? Die Kocherei, die Party mit den Kindern und seine ganzen Geschichten, von denen er erzählt hatte? Das war einfach unfassbar und kaum zu glauben. „Jedenfalls hatte ich mir gedacht: wenn du mich näher kennen lernst und auch den Menschen hinter diesem sprunghaften Chaoten, könnte ich vielleicht eine klitzekleine Chance bei dir haben. Aber ich hätte es auch akzeptiert, wenn du mich nicht gewollt hättest. Ich will dich zu nichts zwingen, okay? Ich kann es gut verstehen, wenn du sagst, du könntest einen so anstrengenden Menschen wie mich nicht ertragen. Und es ist nun mal Tatsache, dass ich anstrengend bin. Alle meine Hobbys werden zu einer regelrechten Besessenheit, die knapp ein paar Monate andauern können und ich wechsle sie stets und ständig. Ich kann beim besten Willen keine Ordnung halten und ich bringe auch absolut selten die Konzentration für Dinge auf, die mich nicht interessieren. Alle meine Beziehungen sind deshalb in die Brüche gegangen. Das ist doof, aber ich kann mich leider nicht ändern. Ich bin nun mal so wie ich bin und ehrlich gesagt will ich mich auch nicht ändern. Ich bin glücklich so und auf diese Weise kann ich dir am besten helfen, endlich über deine ganzen Ängste und Zweifel hinwegzukommen.“ All seine ganzen Bemühungen und seine bescheuerten Aktionen… das alles hat er nur getan, weil er mir helfen wollte und auch wenn er so seine Hintergedanken gehabt hatte, weil er mich irgendwie beeindrucken wollte, war ihm mein Wohl die ganze Zeit wichtiger gewesen, als sein eigenes Glück. Oh Mann, Oliver wollte mir die ganze Zeit irgendwie imponieren, weil er dachte, er wäre vielleicht nicht gut genug für mich? Und dabei habe ich vorhin die ganze Zeit gedacht, ich wäre es nicht, weil ich niemals an Elijahs Format herangereicht hätte. In diesem Moment konnte Andrew nicht anders als über diese Ironie zu lachen. Es war einfach zu verrückt, um wahr zu sein. „Irgendwie schon eine schräge Geschichte. Ich hätte echt nicht gedacht, dass wir uns tatsächlich so ähnlich sind. Und… ich dachte echt, ich wäre bloß eines deiner diversen Hobbys.“ „Es gibt einen Unterschied zwischen Hobby und Leidenschaft. Meine Hobbys verliere ich irgendwann aus den Augen, aber niemals meine Leidenschaft. Und dazu gehören meine Arbeit bei Vention und als „The Operator“ und die Arbeit mit den kranken Kindern, aber besonders vor allem du.“ Und das sagte Oliver in seiner typischen Art, als wäre es so einfach für ihn, dies zu sagen. Andrew war vollkommen überwältigt und wusste nicht, was er sagen sollte. Oliver hatte seit zehn Jahren nicht aufgehört, an ihn zu denken und auch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass seine große Liebe vielleicht leben könnte. Er liebt mich offenbar wirklich, wenn er mich zehn Jahre lang nicht vergessen konnte, obwohl ich ihn niemals beachtet habe und er gedacht hat, er wäre nicht gut genug für mich. Und jetzt war ich derjenige, der gedacht hat, ich könnte Elijah nicht ebenbürtig sein und nicht der perfekte Partner für Oliver werden. Das war doch viel zu verrückt, um wahr zu sein. Und doch… es gab Andrew diese kleine Hoffnung zurück, dass es vielleicht doch eine Chance gab und er vielleicht tatsächlich eine Zukunft mit Oliver haben könnte. „Also um es noch mal ganz klar zu sagen, Andy: du darfst dich nicht mit Elijah oder sonst irgendjemandem vergleichen. Das ist totaler Schwachsinn. Menschen sind unterschiedlich und ihre Individualität ist ihr größtes Geschenk. Deshalb darf man sich auch nicht verstellen, um jemand anderes zu sein. Mag sein, dass ich Elijah sehr in Ehren halte, aber das hat andere Gründe. Eben weil ich ihm mein Leben zu verdanken habe und weil ich jetzt so stark und selbstbewusst genug bin, um über diesen ganzen Scheiß drüberzustehen, der mich früher immer total verunsichert und runtergezogen hat. Wenn ich nicht der wäre, der ich jetzt bin, wäre ich nicht in der Lage, dir zu helfen und einen Weg zu finden, dass du aus deinem Schneckenhäuschen herauskommst und dein Lachen wieder findest. Im Grunde wollte ich dir das geben, was Elijah damals mir gegeben hat, damit du endlich glücklich wirst.“ Und damit nahm Oliver ihn in den Arm. Er drückte ihn fest an sich und Andrew erwiderte seine Umarmung. „Dass ich dich zu mir geholt hatte, war kein rein geschäftliches Interesse gewesen oder weil ich neben Dr. Brown momentan der Einzige bin, der die Wartungen durchführen kann. Ich wollte dir nahe sein. Das ist die Wahrheit, Andy. Ich liebe dich und ich würde dich nie und nimmer mit Elijah oder sonst irgendjemandem auf dieser Welt vergleichen. Ich liebe dich so wie du bist und daran hat sich seit zehn Jahren nichts geändert.“ Er liebt mich wirklich… er liebt mich so wie ich bin, auch wenn ich eine verdammte Heulsuse bin, die überhaupt nichts auf die Reihe bekommt. Und er hat versucht, mich zu beeindrucken, weil er sich meine Liebe seit zehn Jahren ersehnt. Er verlangt gar nicht von mir, dass ich mich ändere oder so werde wie Elijah. Stattdessen wünscht er sich nur für mich, dass ich glücklich werde. Ist es das, wovon Frederica gesprochen hat? Ist dies etwa wirklich das Glück, nach welchem ich mich so sehr gesehnt und welches ich beinahe aufgegeben habe? „Tut mir leid wegen vorhin“, sagte er schließlich und war überwältigt von seinen Emotionen. Das alles wurde einfach zu viel für ihn und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. „Ich… ich bin dir wirklich dankbar für alles, was du für mich tust. Und zugegeben, dieses gestrige Erlebnis hat mich sehr nachdenklich gemacht. Es ist nun mal leider Tatsache, dass ich Beyond noch nicht einfach so vergessen kann. Das braucht eben seine Weile, bis ich dieses Kapitel abgeschlossen habe. Aber… ich glaube, dass ich mich trotzdem irgendwie in dich verliebt habe, Oliver. Anfangs habe ich dich wirklich für einen Verrückten gehalten, aber inzwischen weiß ich, dass du ein wunderbarer Mensch bist. Du kannst so viele Dinge und was du tust, das tust du mit voller Hingabe und du kümmerst dich um die Kinder, die ein schweres Schicksal erlitten haben und schwer krank sind. Du gibst ihnen ihr Lachen wieder zurück und du willst auch mir helfen. Jemanden wie dich kann man doch einfach nur bewundern. Ehrlich gesagt bin ich schon fast eifersüchtig darauf, dass du genau das erreicht hast, was ich mir selber immer gewünscht habe.“ „Das kannst du doch auch“, erklärte Oliver und lächelte, dann löste er sich von Andrew und strich ihm sanft über die Wange. „Ich werde dir dabei helfen, okay? Gemeinsam werden wir das schon schaffen und dann wirst auch du die Kraft und den Mut dazu finden. Alleine habe ich es auch nicht geschafft und ohne Elijahs Hilfe hätte ich es niemals geschafft, so selbstbewusst und stark zu werden. Und nun werde ich für dich da sein und dir helfen.“ Damit küsste er ihn und nach einigem unsicheren Zögern erwiderte Andrew den Kuss. Immer noch hatte er Angst, dass es nicht gut gehen und er nicht gut genug für jemanden wie Oliver sein könnte, aber er wollte bei ihm bleiben, so viel wusste er. Er wollte wieder Momente wie gestern erleben, wo er all diese Ängste hatte ablegen können und sich voll und ganz hatte fallen lassen. Tief in seinem Herzen sehnte er sich danach, bei Oliver zu bleiben und zu wissen, dass er ihm blind vertrauen konnte. „Danke, Oliver“, sagte Andrew und fühlte sich in diesem Moment unendlich erleichtert. „Das alles bedeutet mir wirklich sehr viel.“ Schließlich aber löste sich der Hacker von ihm und sah nach draußen. Es hatte inzwischen aufgehört zu regnen und so sagte er „So, da das geklärt ist, kommst du mal mit. Es gibt da noch etwas, was ich mit dir vorhabe.“ Vorhaben? Was hatte Oliver denn bitte mit ihm vor? Irgendwie wurde Andrew ein wenig mulmig zumute und er wusste zuerst nicht, was denn auf ihn zukommen würde. Schließlich aber ging Oliver in die Küche und holte ein paar Wassermelonen. „Weißt du, diese Idee mit den Wassermelonen ist auch auf Elijahs Mist gewachsen. Als wir alle immer so niedergeschlagen waren und mit so vielen Problemen zu kämpfen hatten, da hat er gesagt, dass wir sie einfach wegwerfen sollten. Und die Wassermelone ist sozusagen symbolisch dafür, dass wir all das abwerfen, was uns belastet und dann nie wieder zurückkommt, um uns schon wieder zu nerven. Denn die Wassermelone ist ja kaputt. Also ich denke, dass du es mal selber versuchen solltest.“ Aus dem Blickwinkel hatte Andrew es noch nie betrachtet. Er dachte, es wäre eine total bescheuerte und sinnlose Aktion, aber dass dahinter so ein tiefer Sinn steckte, hätte er jetzt nicht gedacht. Nun ja, im Grunde ist es ja mit der Ice Bucket Challenge ja genauso. Auf dem ersten Blick total dumm, aber auf dem zweiten Blick sehr tiefsinnig. Er half Oliver beim Tragen und ging mit ihm zusammen aufs Dach. Es war immer noch ziemlich kalt, aber sie würden ja sowieso nicht so lange draußen bleiben. Sie stellten sich ans Geländer und sogleich nahm Andrew eine Wassermelone in die Hand. Oliver legte eine Hand auf seine Schulter und nickte ihm zu. „Sag einfach laut, was dir alles so auf den Magen schlägt und dann wirfst du mit aller Kraft dieses Problem von dir, ja? Glaub mir, du wirst dich danach viel besser fühlen.“ „Und wenn es nicht klappt?“ „Dann können wir auf den Schrottplatz gehen und mit Baseballschlägern auf alte Autos einschlagen. Das wäre die härtere Version, aber versuchen wir es erst einmal damit.“ Irgendwie kam Andrew das alles immer noch ein klein wenig sinnlos vor und so ganz sicher war er sich noch nicht so wirklich, ob das auch tatsächlich etwas bringen könnte. Aber dann dachte er an all den Kummer der letzten Jahre. Die Enttäuschungen und den Ärger, den er einfach so geschluckt hatte, anstatt etwas zu sagen. Und so hob er die Melone hoch und rief „Ich hab es verdammt noch mal satt, den Nachfolger für L zu spielen und mir vorschreiben zu lassen, wer ich zu sein habe und wer nicht. Ich hab mein eigenes Leben!“ Und mit aller Kraft warf er die Wassermelone herunter und sah, wie sie auf dem Boden zerschellte. Als würden diese Probleme gleich mit in Stücke gehen. Und sogleich drückte Oliver ihm die nächste in die Hand und wieder holte er aus. „Ich hasse mich selbst dafür, dass ich so verdammt blöd war, mich ständig in die Falschen zu verlieben und Beyond als Ersatz zu benutzen!“ Wieder landete die nächste Melone unten und zerschellte dort. Es ging immer weiter und nach und nach zählte Andrew alle Probleme auf, die ihn so lange gequält hatten. Sein Gefühlschaos, sein Selbsthass und die Tatsache, dass sein bester Freund mit seiner ersten großen Liebe zusammen war. Und dann kam der Zeitpunkt, wo er ein ganz besonders schwer wiegendes Problem abwerfen wollte. Er musste sich sammeln, um innerlich diese Kraft aufzubringen, doch sogleich wurde er wieder von seinen Gefühlen ergriffen und von einer unsagbaren Wut gepackt. „James, du hast mir die letzten zehn Jahre zur Hölle gemacht und mir fast mein ganzes Leben ruiniert. Ich hasse dich und ich wünsche, dass du verreckst!!!“ Nachdem er sich fast heiser geschrieen hatte, blieb er keuchend da stehen und spürte, wie lahm sich seine Arme anfühlten. Aber sogleich konnte er nicht anders als zu lachen. Es war verrückt, absolut verrückt! Er schmiss Wassermelonen vom Dach und fühlte sich deshalb so viel besser. Denn irgendwie gab es ihm tatsächlich das Gefühl, als würde er seine ganzen Probleme von sich werfen und sich endlich von dieser schweren Last befreien. Unglaublich, dass das Hinunterwerfen von Wassermelonen tatsächlich helfen konnte. Manchmal waren es doch die ganz banalen Dinge im Leben, die am besten halfen. Als es wieder zu regnen begann, gingen sie wieder rein und binnen kürzester Zeit setzte das Gewitter fort. „Und? Fühlst du dich jetzt besser?“ „Verrückterweise schon. Aber…“ Andrew zögerte noch, es direkt auszusprechen, doch Oliver wollte es nun wissen und sagte in seiner typischen Art „Na sag schon, was dir durch den Kopf geht!“ „Nun ja, ich bin mir noch nicht so wirklich sicher, ob das mit uns beiden gut gehen kann. Bis jetzt habe ich es doch jedes Mal vergeigt. Ich bin mir einfach nicht sicher, ob ich überhaupt eine vernünftige Beziehung führen kann. Ich weiß, dass ich mich schon wieder in irgendetwas hineinsteigere, aber…“ Andrew sprach nicht weiter, denn Oliver ging einfach zur Stereoanlage und legte eine CD ein. Kurz darauf spielte der „Künstlerleben-Walzer“ von Johann Strauss II. und daraufhin ging der Hacker zu ihm hin, nahm seine Hand und legte dann seine andere Hand um ihn. Und ohne Vorwarnung begann er sich passend zur Musik zu bewegen, sodass Andrew kaum eine andere Wahl blieb, als mitzumachen. Völlig irritiert über diese erneute schräge Aktion fragte er „Was… was soll das denn schon wieder? Was machst du da?“ „Na, Walzer tanzen!“ „Das merke ich selber. Aber wieso fängst du jetzt auf einmal an, mit mir zu tanzen?“ Andrew hatte wirklich Mühe, sich irgendwie Olivers Schritten anzupassen und sich dabei auch am Rhythmus zu orientieren, doch Fakt war leider, dass er noch nie im Leben getanzt hatte und deshalb auch keine sonderlich gute Figur dabei machte. Ganz im Gegensatz zu Oliver, der offenbar den klassischen Walzer im Schlaf zu beherrschen schien. Der lächelte nur amüsiert und fragte „Hast du etwa noch nie wirklich getanzt?“ „Warum denn auch? Ich hatte so etwas noch nie gebraucht!“ „Das erklärt dein echt bescheidenes Rhythmusgefühl und deine schlaffe Haltung. Weißt du Andy, ich hab damals mit 17 Jahren einige Zeit lang getanzt. Walzer, Breakdance und Streetstyle, Tango, Charleston, Samba und noch viele andere Tänze. Aber auch wenn ich zuvor einen Tanz bereits konnte, hab ich mich bei jedem neuen gleich doof angestellt, weil es jedes Mal neu für mich war und ich mich an diesen neuen Rhythmus und an diese neuen Schritte gewöhnen musste. Aber was man nicht kann, das kann man lernen. Man kann zwar alles über das Tanzen lesen und die ganze Theorie beherrschen, aber viele schaffen es nicht, es auch so in die Praxis umzusetzen. Aber wenn man nicht sicher beim Tanzen ist, dann kann man sich auch von seinem Tanzpartner führen lassen. Wenn beide miteinander harmonieren, dann funktioniert es auch und man muss einander vertrauen können. Wenn du unsicher beim Tanzen bist, kannst du dich ruhig von mir führen lassen, das ist kein Problem. Im Grunde funktioniert die Liebe genauso wie beim Tanzen. Es gibt Tänze, wo es keinen Führenden und keinen Folgenden gibt und es funktioniert nur, wenn beide sich aufeinander verlassen können und zusammen eine Einheit bilden. Jeder fängt mal klein an und stolpert, gerät aus dem Rhythmus oder tritt dem Partner auf den Fuß. Aber je länger man übt, desto besser wird man auch.“ Während er sprach, tanzte er einfach weiter und Andrew versuchte irgendwie, sich von ihm führen zu lassen und ihm nicht stets und ständig auf die Füße zu treten. Aber so einfach war das irgendwie nicht und da Oliver ihn partout nicht loslassen wollte, war er gezwungen, weiter mit ihm zu tanzen. Und so verbrachten sie fast den ganzen Abend damit, die Tanzschritte zu üben. Schließlich, als die Musik wechselte, zeigte Oliver ihm noch ein paar andere außer Walzer und ließ immer wieder einen leicht stichelnden Kommentar fallen wie „Oh Mann, du bist wirklich ein mieser Tänzer“, woraufhin sich Andrew angespornt sah, ihm das Gegenteil zu beweisen. Irgendwann aber, als er völlig am Ende war und ihm auch die Füße wehtaten, ließen sie es gut sein und erschöpft sank der 25-jährige auf die Couch. „Ernsthaft“, sagte er schließlich und legte seine Füße hoch. „Gibt es irgendetwas, was du nicht kannst?“ „Klar! Ordnung halten. Zugegeben, es gibt noch vieles, was ich nicht kann und was ich mir noch für meine Hobbyliste aufgeschrieben habe. Aber das Allerschlimmste, was man mir antun könnte, wäre Kunst. Und damit meine ich die Kunst auf der Leinwand. Ich habe nie kapiert, wieso man in irgendwelches Gepinsel so viel hineininterpretieren muss. Nun gut, ich habe selber mal ein wenig gemalt, aber in meinen Augen ist die Malerei einfach nur Farbe auf einem viereckigen Stück Stoff! Entweder man findet es schön, oder man findet es hässlich. Ich persönlich finde, dass die Mona Lisa potthässlich ist! Aber ich kapier einfach nicht, wie die ganzen Kritiker so viel in einem Haufen Farbgekleckse erkennen können und einen auf Tiefenpsychologe machen. Wenn man mehr in einem Bild sieht als das Motiv selbst, dann schon wenigstens, wenn man genug Gras geraucht hat.“ Andrew schmunzelte darüber und hätte nicht erwartet, dass Oliver so feindselig auf diese klassische Form der Kunst reagierte. Aber jeder Mensch hatte eben sein persönliches Hassthema. Erschöpft, aber dennoch glücklich legte er seinen Kopf auf Olivers Schulter und seufzte. „Du hast auch wirklich auf alles eine passende Antwort, oder?“ „Nicht direkt, aber ich habe durch meine Hobbys und Reisen sehr viel Erfahrung gesammelt und gehe vieles eben ganz anders an, als so manch anderer. In Wammys House bekommt man ja als Hochbegabter viel theoretisches Wissen reingedrückt und das ist es, was mir so fehlt. Ich hab mich noch nie wirklich für den ganzen Theoriekram interessiert und habe mich deshalb immer aufs Praktische konzentriert. Und das ist es, was mir den Vorteil im Leben bringt: ich besitze eine größere Erfahrung in der Praxis und kann dadurch oft die Leute schlagen, die sich auf ihre Theorie konzentrieren. Das alles kannst du auch lernen, du musst nur den Willen dazu haben.“ Sie saßen den ganzen Abend da und redeten miteinander, dann aber musste sich Oliver verabschieden, weil er morgen wieder arbeiten gehen musste. Also stand er auf und zuerst dachte Andrew, er würde ins Schlafzimmer gehen, doch ehe er sich versah, hatte der gebürtige Ire ihm einen Kuss gegeben. „Ein kleiner Gutenachtkuss.“ Und damit zog er sich in sein Zimmer zurück, um sich für morgen auszuruhen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)