Children of the Sea von Votani (OS-Sammlung | Marco/Ace) ================================================================================ Kapitel 16: ...don't do it alone. [2] ------------------------------------- Die Dämmerung bricht immer als erstes über dieses Dorf hinein, bevor die Dunkelheit sich über den Rest der Insel ausbreitet. Ace vermutet, dass es an der Isoliertheit des Ortes liegt. Das Tal ist von hochgelegenen Gebirgen umgeben, welche ihnen das Sonnenlicht rauben. Auch die alten Bäume mit ihren breiten und dichten Kronen tauchen alles in eine verfrühte Finsternis. Unter einem dieser Bäume findet sich Ace nun wieder. Seine Position bietet eine uneingeschränkte Sicht auf die kleine Hütte, die sie seit ihrer Ankunft bezogen haben. Oder eher die Marco bezogen hat, da Ace sich für die meiste Zeit in einem künstlichen Koma befunden hat, damit sein Körper sich von den Strapazen erholen kann. Vielleicht ist es für Marco zu einem Zuhause geworden, aber nicht für Ace. Er hasst dieses Haus und dieses Dorf und diese Insel, nur Marco hasst er nicht. Die Tatsache ist ihm wieder schnell genug klargeworden, nach dem er davon gestürmt ist und Marco hat sitzen lassen. Es ist kindisch von ihm gewesen. Dieser Gedanke lässt den Zorn erneut in ihm aufkeimen, nur ist er diesmal mit Scham verknüpft. Wie kann Marco es nur mit ihm aushalten? Er hätte sich viel eher mit einem der anderen Jungs hier verschanzen sollen. Die wären bessere Gesellschaft gewesen. Frustriert fährt sich Ace mit einer Hand durch die schwarzen Haare. Da ihm völlig klar ist, dass er nicht ewig hier im Halbdunkeln vor dem Haus stehen kann, zwingt sich Ace einen Schritt vor den anderen zu setzen. Zwar leben sie ziemlich abgeschottet von den restlichen Behausungen des Dorfes, doch Gerüchte und Neuigkeiten verbreiten sich hier genauso schnell wie früher auf der Moby Dick. Bei jedem Streit mit Marco dauert es nie lange, bis Ace von jemandem danach gefragt oder damit aufgezogen wird. Sämtliche Dorfbewohner stehen stets auf Marcos Seite. Jeder hier hat ihn ins Herz geschlossen, was kein Wunder ist. Es ist verflucht einfach Marco zu mögen. Ace kann davon ein Liedchen singen… Außerdem gibt es sonst keinen richtigen Arzt im Dorf und hat es schon seit einer langen Zeit nicht mehr. Für die Menschen hier ist er eine wirkliche Bereicherung - und Ace kommt der Gedanke, dass sie deshalb länger als nötig hier bleiben. Darüber kann er nicht einmal wütend sein, obwohl sein Zorn alles ist, was Ace noch hat und seinen einzigen Antrieb darstellt. Die Tür ist unverschlossen, da sich alle Bewohner hier kennen und eine enge Gemeinde bilden. Nur das Quietschen der Türscharnieren begleitet sein Eintreten in die kleine Hütte, die nur einen Raum und eine angrenzende Toilette hat. Eine Trennwand aus einem dünnen, weißen Stoff schirmt ihre Tatami-Matten ab, die sich in der Ecke befinden. Aces Blick bleibt an Marco hängen, der am Tisch sitzt und über ein Buch gebeugt ist. Die lokale Bücherei gibt nicht viel her und Ace ist sich sicher, dass Marco schon bald mit sämtlichen Lektüren durch sein wird. Der Topf, der im Kamin über dem Feuer hängt, brodelt und ein Geruch, der Ace das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt, durchzieht die Luft. Ace wandert zu dem Topf hinüber, um einen Blick hinein zu werfen. Im Eintopf kann er Fleisch ausmachen, was selten genug ist. Meist gibt es nur Fisch, da viele Fische den Wasserfall herunterkommen, nach dem sie vom Fluss anschwemmt worden sind. Marco sieht von seinem Buch auf und eine Müdigkeit ist auf seinem Gesicht eingraviert. Eine, an der er schuldig ist. »Der Eintopf ist gleich fertig.« »Ich hab‘ keinen Appetit«, platzt es aus Ace heraus und das schmerzvolle Zusammenziehen seines Magens straft ihn Lügen. Nur erscheint es ihm unmöglich sich zu Marco an den Tisch zu setzen und zu essen, als wäre nichts geschehen. Fast so, als wäre Ace glücklich hier oder könnte die Distanz zwischen ihnen länger ertragen. Ein freudloses Lachen dringt aus Aces Kehle, als Marco ihn stumm beobachtet und ihm alle Zeit der Welt lässt, seine Gedanken zu ordnen und seine Gefühle zu verarbeiten. Dabei ist das unmöglich, denn alles in ihm ist seit seines Erwachens durcheinander gewürfelt. Seine Familie existiert nicht mehr und sein Vater ist für ihn gestorben. Was für ein Recht hat er noch hier zu sein und Eintopf zu essen? »Ace—«, beginnt Marco. »Nein«, entweicht es Ace und er presst die Augenlider aufeinander, um Marcos geduldigen, resignierten Blick nicht sehen zu müssen. »Ich hasse das. Das alles hier. Vor allem hasse ich aber, dass es nicht mehr so wie früher sein kann.« »Das kann es wohl nicht«, erwidert Marco und klappt das Buch zu. Mit langsamer Geste zieht er die Brille von der Nase und legt sie auf dem Buch ab, bevor er sich zurücklehnt. »Das bedeutet aber nicht, dass es nicht anders werden kann. Anders gut.« Ace schnauft. »Ja, klar…« Diese Unterhaltung ist reine Folter und Worte sind wie die Scherben eines zerbrochenen Spiegels, die sich immer tiefer in sein Fleisch graben. Ace starrt auf die Hand hinab, doch der Schnitt von vorhin ist nur noch eine rosafarbene Linie. »Du fässt mich nicht mal mehr an, Marco«, schlüpft es über seine Lippen. Peinliche Stille folgt auf seinem unerwarteten Geständnis und Ace beißt die Zähne aufeinander, bis sein Kiefer schmerzt. Das Feuer im Kamin vertreibt die Kälte ein wenig, die von ihm Besitz ergriffen hat, seit er seine Teufelskräfte durch seine Nahtoderfahrung verloren hat. Sein Herz hat wohl für ein paar Sekunden zu lang gestoppt, nimmt er an. »Ich wusste nicht, ob du willst, dass ich dich anfasse«, gesteht Marco, denn ihm macht es nicht aus über seine Gefühle zu sprechen. Im Gegensatz zu Ace weiß er immer ganz genau, was er fühlt. »Immer wenn du mich ansiehst, sehe ich nur Zorn, nie Sehnsucht.« »Wenn... ich dich hassen würde, wäre ich schon lange nicht mehr hier«, erwidert Ace und seine Stimme nimmt einen kratzigen Unterton an. Er ist fast ein bisschen stolz auf sich, dass er eine sachliche Unterhaltung führen kann. Bisher haben sie nie über das gesprochen, was sie verbindet, über ihre Beziehung. »Ich war mir nicht sicher, ob... ob du mich noch willst.« Seine Mundwinkel heben sich, als seine Hand in einer inzwischen viel zu gewohnten Gäste gegen seinen Brustkorb presst. Stuhlbeine schaben über den Holzboden und Ace zuckt bei dem plötzlichen Geräusch zusammen. Er hebt den Blick, doch Marco ist bereits auf den Beinen und umrundet den Tisch. Langsame Schritte bringen ihn näher und er streckt die Hand nach ihm aus. Aces Hand wird von seinem Oberkörper weggezogen, während beide von Marco sicher daran machen, die Knöpfe von seinem violettfarbigen Hemd einen nach dem anderen zu öffnen. Ace schluckt und der Kloß in seinem Hals drückt ihm die Luftröhre zusammen, bis er das Gefühl hat, ersticken zu müssen. Die Müdigkeit ist aus Marcos Blick gewichen und nun hält er seinen mit einer Intensivität, die Ace in ihre Kajüte auf der Moby Dick zurückversetzt. »Das wird niemals passieren, das kann ich dir versichern«, sagt Marco, als er den letzten Knopf öffnet. Er schiebt Ace das Hemd von den Schultern, bis es neben dem Feuer auf den Boden fällt. Wahrscheinlich sollten sie vorsichtig damit sein, doch auch jetzt, da das Feuer ihm etwas anhaben kann, hat er keine Angst davor. Stattdessen kann er Marcos Blick regelrecht auf seiner Haut fühlen und ihm ist so heiß, dass sich Schweiß auf seiner Stirn bildet. Raue Fingerkuppen berühren die Narbe, welche die gesamte Mitte seiner Brust einnimmt, ebenso wie die Mitte seines Rückens, nur die vernarbten Ecken seiner Tätowierung übriglassend. Sein Stolz ist zusammen mit der Tätowierung aus ihm heraus gebrannt worden. »Du siehst alles, was wir verloren haben, in dieser Narbe«, fährt Marco fort. »Ich sehe alles, was wir noch haben, in ihr. Alles, was uns geblieben ist. Ich weiß, dass du denkst, dass es nicht viel ist und die beste Zeit vorüber ist, aber, Ace... Marinefort war nicht das Ende. Für Paps schon, aber nicht für uns.« Aces Augenwinkel brennen und er presst seine Hand gegen die Augen, während Marcos Hand in seinen Nacken wandert. Lippen berühren seine Stirn, dann seine Wange, bevor sie zu seinem Mund wandern. »Es ist okay zu trauern und loszulassen, Ace.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)