Alaska von HellmotherEva ================================================================================ Kapitel 7: Ketten und das was man Freunde nennt ----------------------------------------------- BÄM, die Tür wurde aufgerissen. „Du blödes Mistvieh! Erst rührst du dein Futter nicht an und jetzt lässt du dir von so einem verlausten Köter nachstellen?!“ Kaskae zog den Schwanz ein. BÄM, die Tür wurde zugeschlagen. BÄM, die Tür zu Miss Morris Schlafzimmer öffnete sich, Sekunden später die von Janes Eltern. „Jane! Spinnst du, es ist drei Uhr morgens, was machst du solchen Lärm?!“ Janes Mutter sah strafend aus dem ersten Stock zu ihrer Tochter hinab, die, völlig verfroren, Kaskae am Halsband abwürgte und einen halben Schneemann mit ins Haus brachte. „Mum, du verstehst das nicht!“ Jane hatte während ihres Heimweges nicht nur Kaskae dermaßen hart am Halsband gepackt, dass dieser mehrmals die Luft abgeschnitten wurde, nein, sie selbst war kurz davor zu heulen. Seit dem sie hier waren machte ihr Hund nur noch Probleme, Kaskae war mit einem mal völlig undiszipliniert, frech und ungehorsam. Und sie verstand einfach nicht woran es lag. Kaskae war normalerweise so ein guter, braver, gehorsamer Hund und jetzt machte sie ihr nur noch Sorgen. Was war denn nur in diesen paar Wochen passiert? „Jane, was verstehen wir nicht? Und warum erwürgst du deinen Hund?“, fragte ihr Vater nun strafend. „Kaskae ist abgehauen, schon wieder!“ Jane heulte fast schon vor Verzweiflung, sie wusste sich einfach nicht mehr zu helfen. Sie wollte ihren Hund nicht an die Kette legen, aber sie war innerhalb von ein paar Wochen eine wahre Meisterin im Ausbrechen geworden. Was bleib ihr da denn noch übrig, wenn selbst ein Zaun sie nicht aufhalten konnte? „Was? Wie denn, ich hab doch das Tor abgeschlossen“, wand Miss Morris entsetzt ein „Ich kann mir das gar nicht erklären!“ „Ich weiß es doch auch nicht“, gab Jane zu „Aber sie war weg und dann bin ich sie suchen gegangen und dann lag die bei irgend so einem räudigen, scheiß Köter, in so einem Hinterzimmer von der Poststelle in der Stadt und sie ist jetzt bestimmt läufig und jetzt ist sie vielleicht trächtig und, und…“ Sie konnte nicht mehr. Sie heulte. Kaskae hingegen lief hochrot an, denn allein der Gedanke dass sie es mit Steele trieb, löste in ihr gewisse Krämpfe aus. Janes Mutter kam eilig die Treppen herunter gelaufen und nahm ihre Tochter fürsorglich in den Arm, Kaskae keines Blickes würdigend. „Ach Schatz, nun mal doch nicht gleich den Teufel an die Wand ich bin mir ganz sicher dass nichts passiert ist, lass mich mal schauen.“ Ihre Mutter ging in die Knie und drehte Kaskae einmal um ihre Achse, so dass sie sie von hinten sehen konnte. Kaskae spürte wie sie sie am Schwanz packte und diesen hochzog, wobei sich ihr das Nackenfell aufstellte. „Ach Schatz“, begann sie „Sie ist doch gar nicht läufig, es kann also gar nichts passiert sein, ja?“ Janes Mutter ließ den Schwanz der Hündin los und drückte ihre Tochter nochmals an sich. Kaskae wollte diese Gelegenheit nutzen um zu verschwinden, doch die Tür war zu. „Und was willst du jetzt machen?“ Miss Morris und Janes Vater kamen die Treppe herunter und stellten sich zu dem frierenden Mädchen. „Ich hab an eine Kette gedacht.“, gestand Jane kleinlaut. Sie hasste den Gedanken, aber es bleib ihr doch nichts anderes mehr übrig. „Ach Janny, das lässt sich doch sicherlich arrangieren“, tröstete Miss Morris sie. „Genau. Eine Kette kann man doch ganz billig kaufen, ich kenn da jemanden aus dem Ort, das müsste kein Problem sein.“ Kaskae glaubte ihren Ohren nicht. Die besprachen hier doch tatsächlich Pläne, wie sie sie an die Kette legen konnten. Mal ganz blöd gefragt… TICKTEN die noch richtig?! Da machte Kaskae sich einmal selbstständig und dann DAS. Nein. Das… Sobald Jane sich wieder gefangen hatte, würde sie ihre Meinung schon ändern. Die konnten sie doch nicht an eine Kette legen, das durften die ihr nicht antun, sie war doch immerhin Kaskae, der Hund der von jedem in diesem Haushalt geliebt wurde. Gegen elf Uhr morgens standen Janes im Geschäft des örtlichen Schmieds, Kaskaes Schicksal war besiegelt. „Aha, sie läuft also immer weg?“ Der Schmied, ein netter, älterer Mann musterte Kaskae eindringlich. „Ja, das ist ein richtiges Problem geworden. Unsere Tochter macht das richtig krank vor Sorge.“ „Vielleicht ist sie ja nur läufig, wäre das nicht eine Möglichkeit?“ „Nein, ich hab nachgesehen, sie ist gar nicht läufig.“ „Hmm…“ Der Mann begutachtete sie noch immer „Was machen wir denn mit dir?“ Etwas unsanft  streichelte er sie am Kopf, doch sie versuchte es sich nicht anmerken zu lassen. „Wie gesagt… Die Kette sollte vielleicht so… fünf bis sechs Meter lang sein, wir würden sie am Haus fest machen. Dafür bräuchten wir noch eine Art Haken.“ Kaskae gefiel nicht mal ansatzweise was da geredet wurde. Es machte sie unruhig. Sie stand auf und drehte sich im Kreis, setzte sich wieder und drückte sich gegen das Bein von Janes Mutter, doch die klopfte ihr nur halbherzig an die Schulter. Beruhigen war was anderes. „Okay… Also ein Haken und… Sagen wir sechs Meter Kette?“, fragte der Schmied und füllte einen Bestellzettel aus. „Ja, das wird schon reichen“ Janes Vater beugte sich zu Kaskae runter und klopfte ihr den Hals „Das wird wohl reichen, nicht?“ „Nein du Idiot, wird es nicht.“, murrte Kaskae halblaut und hätte ihrem Herrchen in diesem Moment zu gerne in die Nase gebissen aber wenn sie jetzt jemanden beißen würde, war ihr angeknackster Ruf ganz im Keller. Wie hatte Jane gesagt? Seit sie hier sei, mache sie nichts als Unfug. Das stimmt doch gar nicht! Früher war sie eben geforderter, früher hatten sie und Jane viel mehr zusammen getan weil die Schule näher war, aber jetzt? Jetzt war Jane kaum mehr anwesend. Und außer ihr verbrachte doch sowieso niemand Zeit mit Kaskae. „Ja, sie scheint einverstanden.“, meinte Janes Vater spaßend, richtete sich wieder auf und unterschrieb die Auftragsbestätigung. „Sehr schön. Okay, in zwei Tagen können Sie dann wieder kommen, die Kette müsste dann fertig sein.“ „Wunderbar. Vielen, vielen Dank, wir werden kommen.“ Janes Eltern verließen die Schmiede, Kaskae an der Leine kurz gehalten. „Schatz, können wir jetzt noch kurz einkaufen gehen?“ „Kann das nicht Miss Morris machen?“ „Die hat heute ihren freien Tag. Komm schon, ich will auch mal wieder was feines zum Abendessen kochen, ich hab schon so lange nicht mehr gekocht.“ „Ach Ellie…“, Janes Vater rieb sich genervt die Schläfe. „Bitte Schatz. Die haben gerade Hühnchen da, du weißt wie sehr Jane Hühnchen mag und ich hab auch schon seit einer ganzen Weile keines mehr gegessen.“, flehte sie. „Na meinetwegen. Aber davor bring ich noch schnell diesen Brief hier weg, unser Chef will wissen was wir schon alles herausgefunden haben.“ Janes Vater holte einen Umschlag unter seinem Mantel hervor. „Also ich muss sagen dass die Polarfüchse ein erstaunliches Sozialverhalten haben, es gibt noch so viel  über diese kleinen Wesen herauszufinden.“ Kaskae schaltete genau jetzt ab. Wen interessierten irgendwelche Füchse wenn ihr Leben gerade an ihr vorbeizog? Sie wollte nicht eingesperrt werden, nicht schon wieder. Janes Mutter band Kaskae vor der Poststelle an und sie  legte sich seufzend in den plattgetretenen Schnee und starrte auf ihre Pfoten. Sie hasste es manchmal ein Hund zu sein. Und jetzt mehr als sonst. Das war einfach nicht fair. Ihr war stinklangweilig, warum nahm man ihr das so übel? Sie wollte Abwechslung, sie wollte Kontakt zu anderen Hunden und stattdessen wurde sie jetzt an die Kette gelegt. An die Kette. „Mama, was soll das?“ Der jungen Hündin flossen die Tränen unaufhörlich über das Gesicht und ihre Mutter war völlig überfordert. Sie hatte bereits mit Kaskaes Geschwistern zu kämpfen, die alle weinend zu ihren Pfoten lagen und Trost bei ihrer Mutter suchten. „Süße, bitte, ich… ich hab zu tun, das… das ist einfach zu viel!“ Ihre Mutter wusste sich einfach nicht anders zu helfen. Sie hatte sie doch gewarnt, sie hatte doch gesagt dass es schlimm werden würde, sie hatte ihnen gesagt dass das Eis sich in ihre Pfoten bohren würde, warum waren sie dennoch so… entsetzt? Warum konnten sie nicht einfach für alle Ewigkeit so süß und klein blieben wie zu Anfang? Als sie das hier alles noch nicht ertragen mussten, wo sie einfach noch das Recht hatten bei ihrer Mutter zu sein. Doch Kaskae war es egal was ihre Mutter ihr sagte, sie BRAUCHTE sie jetzt. Ohne ein weiteres Wort schmiss Kaskae sich zu ihren Geschwistern, die alle versucht hatten sich irgendwie an ihre Mutter zu pressen. Obwohl Kaskae und ihre drei Geschwister gut ein halbes Jahr als wurden, teilten sie sich noch immer, zusammen mit ihrer Mutter, einen einzigen Zwinger. Sie schaffte es ihren Bruder etwas zur Seite zu stoßen und ihren Kopf in dem Fell ihrer Mutter zu platzieren. „Ich will das nicht mehr…“, wimmerte die junge Hündin, doch ihre Mutter reagierte gar nicht. Sie war doch selbst völlig erschöpft und der Anblick ihrer Jungen, so verzweifelt und fertig, machte es nicht besser. Sie liebte sie und sie hätte sie am liebsten aus dieser Scheiße rausgeholt, aber sie konnte nicht, wie auch? Sie hörte nur ihr Jaulen und wenn sie ehrlich sein sollte wollte sie nicht mehr auf stark tun. Sie wollte mitheulen, sie wollte sich einfach ihrer Traurigkeit hingeben, aber irgendwie wollte sie nicht kleinbeigeben. Sie musste es doch zumindest versuchen. Sie durfte nicht aufgeben. „Warum machen die das?“ Kaskae war als einzige wach geblieben und legte den Kopf wimmernd in die Pfoten ihrer Mutter. „Ich weiß es nicht, mein Schatz…“ Ihre Mutter leckte ihr liebevoll über die Stirn und begann langsam ihre Wunden Pfoten sauber zu lecken. Kaskaes Geschwister schliefen bereits. „Wann hört das auf? Ich will das nicht jeden Tag machen.“ Kaskae hatte noch immer Tränen in den Augen, die ihre Mutter erfolglos versuchte wegzulecken. „Mit der Zeit wird es erträglicher, glaub mir…“ Sie leckte ihr nochmals über die Stirn „Eines Morgens wirst du aufwachen und deine Pfoten nicht mehr spüren können. Wenn du das schaffst, dann bist du gerettet. Taube Pfoten sind das beste was du dir für ein solch hartes Training wünschen kannst. Denn ich werde nicht immer da sein.“ Panik stieg in diesem Moment in Kaskae auf und sie blickte ihre Mutter verzweifelt an. „Die… du wirst doch nicht etwa sterben?“ Nicht heulen… bloß nicht heulen, nicht schon wieder! „Nein, nein mein Schatz“ Ihre Mutter rieb beschwichtigend den Kopf an ihrem „Ich hab die Männer reden hören“, erklärte sie „Sie sagten das wird mein letzter Wurf. Nach euch bin ich frei, die wollen mich verkaufen!“ Kaskae wusste nicht wann sie ihre Mutter jemals so glücklich gesehen hatte, aber diese Freude war ansteckend. „W-wirklich“ Sie grinste „Nimmst du uns mit?“ Sofort spürte ihre Mutter einen Stich im Herzen. Sie war auf diese Frage nicht vorbereitet gewesen. „T-tut mir leid, mein Schatz“, begann sie und rieb den Kopf tröstend an Kaskaes „Das kann ich leider nicht… Aber wenn ihr alt genug seid werdet ihr bestimmt auch verkauft. Und dann habt ihr auch die Chance auf ein schönes zu Hause, ja?“ Das klang verlockend. „Du meinst nicht alle Menschen sind so wie die?“, fragte sie hoffnungsvoll. „Genau“ Ihre Mutter seufzte „Weißt du… die meisten Menschen sind sogar ganz lieb. Ich hab es doch gesehen wie sie mit den Verkaufshunden umgehen. Sie waren so fürsorglich, so nett zu ihnen, so liebevoll. Sie haben gelacht und sie gestreichelt, einfach nur so…“ Sie seufzte verträumt „Du musst mir etwas versprechen, mein Schatz“ Kaskae sah ihrer Mutter daraufhin fragend entgegen „Höre nie auf zu hoffen. Wo Hoffnung ist, ist auch immer noch ein kleines Lichtchen was dir helfen wird. Ich hab immer schon gehofft so etwas zu hören, so etwas wie ‚verkauf‘ zu hören und jetzt wird es wahr. Und dein Tag wird auch kommen und dann wirst du zu einer lieben Familie kommen, das weiß ich.“ Ihre Mutter klang so enthusiastisch. So glücklich. So vollkommen zufrieden mit ihrem Leben. Und Kaskae glaubte ihr. Es machte ihr Mut. „Bist du dir sicher?“, hakte Kaskae nach. „Ja, ganz sicher. Weißt du, meine Kleine, du hast gute Chancen hier raus zu kommen. Du bist gesund und erfüllst alle Rassestandards, irgendwer wird dich schon wollen, wenn du erst mal bei den vorderen Zwingern bist. Und dann wird alles gut.“ „Alles?“ „Alles“, bestätigte ihre Mutter ihr und drückte ihren Kopf vorsichtig gegen Kaskaes „Und nun schlaf schön… Ich liebe dich.“ „Ich dich auch, Mama.“ „Na komm schon her“ Einer der Männer, der gerade den Zwinger geöffnet hatte, packte Kaskaes Mutter, einige Tage später, grob an ihrem Halsband „Du bist dran.“ Kaskae und ihre Geschwister wollten ihr hinterher, denn vor allem ihre Brüder hatten immer mehr den Drang ihre Mutter zu beschützen, doch sie kamen nicht dazu, da der Mann mit etwas nach ihnen schlug. Das war nicht ungewöhnlich, diesmal war es jedoch etwas schweres, kein Stock, sondern eine kurze Eisenkette. Kaskae, die genau an der Spitze der kleinen Hundegruppe stand, bekam das Ende der harten Kette direkt gegen den Kopf geschleudert. Jedoch so hart dass sie, mal abgesehen von einem pochenden Schmerz an ihrem Schädel, plötzlich Blut in ihrem Maul schmeckte. Ihr Zahn… Ihr verdammter Backenzahn… Er hatte ihr den Zahn ausgeschlagen. Als Kaskaes Geschwister das Blut ihrer Schwester rochen verstummten sie augenblicklich und sahen sorgenvoll zu ihr herab. „Schwesterchen?“ Ihr Bruder stupste sie verängstigt an, als sie sich immer noch nicht, noch starr vom Schock, rührte. „Schatz, geht’s dir gut?!“ Ihre Mutter kam noch ein letztes Mal an den Zaun gelaufen, der sie nun für immer von ihren Jungen trennen würde. „J-ja, alles okay.“ Reflexartig schluckte Kaskae das Blut herunter, ihre Mutter sollte es nicht sehen… Es reichte wenn sie es roch. Erst Sekunden später wurde ihr klar dass sie soeben auch ihren Zahn verschluckt hatte. Ihr verdammter Backenzahn war weg. Doch noch war sie zu sehr unter Schock um zu jaulen. Und vor allem wollte sie ihrer Mutter das nicht antun. Ihre Mutter sollte ihre Junge halbwegs glücklich in Erinnerung behalten. Sobald sie um die Ecke gelaufen war, hatte Kaskae noch viel Zeit zum Heulen. „Tschüss Mami!“, rief ihr Bruder ihr nach und seine Geschwister stimmten ein. „Macht’s gut meine Kleinen, viel Glück!“, rief sie ihnen, wie wild mit dem Schwanz wedelnd und über das ganze Gesicht grinsend, nach. Und dann war sie aus dem Sichtfeld der Geschwister verschwunden. „Na kommt…“ Kaskaes Schwester seufzte langezogen „Sie ist weg…“ Sie und ihre Geschwister wollten sich gerade vom Gitter entfernen, da durchbrach etwas die unangenehme Stille zwischen ihnen so plötzlich, dass sie alle zusammenzuckten. Ein Schuss. Kaskae hörte ihre Brüder aufjaulen, sie selbst bekam für einen Moment vor Schreck keine Luft mehr und ihre Schwester zuckte einfach nur zusammen. Doch die Blicke der vier Hunde war stur nach vorne gerichtet. „Mama?!“ Kaskaes Schwester war die erste die es wagte etwas zu sagen. Sie alle waren von dieser Befürchtung gepackt. Sie alle wurden innerhalb eines Augenblicks auf den anderen von blanker Angst erfüllt. Doch sie waren still. Denn ganz tief in sich drin hatten sie die Hoffnung dass es nicht so war. Sie hatten diese winzige, kleine Hoffnung dass sie jeden Moment das Bellen ihrer Mutter hören würden, als Bestätigung dass es ihr gut ging. Und so verharrten sie dann am Gitter. Minutenlang saßen sie voller Anspannung da, starrten nach draußen, hofften auf ein Lebenszeichen. Nichts. Sie wollten sich nicht eingestehen dass sie Blut rochen. Sie wollten sich nicht eingestehen dass es Hundeblut war, was beißend in ihre Nasen kroch. Und noch weniger wollten sie sich eingestehen dass es das Blut ihrer Mutter war. Sie wollten nicht dass  sie tot war. Das durfte grade eben nicht passiert sein, sie war nicht tot. Es war ganz unmöglich, das ging doch nicht, immerhin hatte sie solche Hoffnungen gehabt, sie hätte doch verkauft werden sollen. Nein. Nein. Sie durfte nicht weg sein. Nicht so. Seit dem Tag hatten weder Kaskae noch ihre Geschwister ihre Mutter je wiedergesehen. Sie war tot, heute, im Nachhinein, war sich Kaskae dem sicher. Ach verdammt nochmal, sie WOLLTE nicht daran denken. Sie wollte nicht an ihre Mutter denken, die sie mit diesen Hoffnungen erfüllt hatte… Sie wollte nicht an die Tage denken, an denen ihre Geschwister in die Verkaufszwinger kamen und sie bis zu ihrem ersten Lebensjahr in dieser scheußlichen Umgebung ausharren musste. Sie fragte sich manchmal was aus ihnen geworden war. Ob sie es gut hatten, ob sie noch zusammen waren. Und noch weniger wollte Kaskae mit irgendwas zu tun haben, was mit ihrem ehemaligen zu Hause in Verbindung stand. Aus diesem ganz einfachen Grund hatte sie einen Hass auf Ketten, Schlingen, Stöcke, Peitschen, Seile schreiende, wütende Männer und wahrscheinlich ein Schlittentrauma. So unrecht hatte Steele dann wohl gar nicht gehabt… Sie war gestört. Sie gab es nur nicht zu. Ja, sie wusste dass sie eine krankhafte Angst gegenüber Schlitten hatte, aber sie hätte es nicht laut gesagt. Sie wollte normal sein und einfach alles was damals geschehen war vergessen. Sie wollte ein ganz normaler, glücklicher Hund sein, bei einer ganz normalen Familie. Nur war sie grade überhaupt nicht glücklich, im Gegenteil, sie war richtig mies drauf. Doch wie es so oft kam im Leben, riss eine kleine, quirlige Stimme sie aus ihren Gedanken. „Hey Kaskae“ Dixie kam, mit Sylvie im Schlepptau, angelaufen „Wir und Jenna wollten uns mal wieder zusammen treffen, wenn du also nicht zu läufig bist und ein halbes Schlittengespann hinter dir her führst, wollen wir uns vielleicht demnächst treffen? Wann hast du Zeit?“ Sylvie, welche genervt die Augen verdrehte, stieß Dixie mit kurzem zähnefletschen, zur Seite und meinte: „Tut mir leid, aber du kennst Dixie inzwischen wohl… Aber was ist denn los, du siehst nicht grade blendend aus, ist was passiert?“ „Kann man so sagen…“ Sie seufzte gequält und hob den Kopf „Ich glaub das war’s erst mal mit meinen Ausflügen. Ich komm an die Kette.“ Dixie und Sylvie sahen einander einen Moment fassungslos an, dann stürmten sie auf Kaskae zu und setzten sich neben sie, so dass sie sich wie unter Belagerung vorkam. Eine links, eine rechts. „Warum?!“, platzte es aus Sylvie heraus. „Ja, das ist passiert?!“ „Ach, ich wurde erwischt wie ich nachts abgehauen bin und Jane meinte es reicht jetzt und deshalb komm ich jetzt an die Kette. Jane meint ich sei, seit ich hier bin, völlig ungezogen geworden.“ Auch wenn Kaskae versuchte nicht so erbärmlich mitleidig zu klingen, so tat sie es doch, ob sie wollte oder nicht. „Oh je, das klingt ja furchtbar! Und wann wirst du sie wieder los?“, wollte Sylvie wissen. „Keine Ahnung… Ich hoffe bald. Ich hab einfach keine Lust für den Rest meines Lebens an einer Eisenkette zu hängen. Ich brauche meinen Freiraum, verdammt.“ Trotzig legte sie den Kopf auf die Pfoten und starrte gerade aus. „Also eine Möglichkeit wäre das Halsband kaputt zu machen. Ich meine sie müssen es dir doch mal abnehmen, oder?“ Dixie deutete auf ihres, welches einen Herzanhänger hatte. Ja, Dixies Herrchen taten eindeutig zu viel für diesen Hund. „Ich trage das da nur wenn ich raus gehe, zu Hause nicht.“ Kaskae zog eine Augenbraue hoch. „Dixie, du kannst doch immer raus, wann nimmst du das also schon mal ab?“ „Na… nachts.“, erklärte sie schnell. „Ach Leute“ Kaskae seufzte „Ich will meine Kettenstrafe verkürzen, nicht verlängern. Ich bin mir sicher, wenn ich auch nur noch einmal abhaue, ich weiß nicht was die mit mir tun werden.“ „Ich versteh deine Besitzer einfach nicht. Selbst ich, als Rassehund, hab mehr Freiheiten, ich meien man behandelt dich wie ein rohes Ei.“, meinte Sylvie genervt. „Hey“, gespielt entsetzt sah Kaskae zu ihr „ICH bin auch reinrassig, auch wenn ich kein Europa-Import bin.“ „Tja“ Sylvie schmunzelte „Ich glaube wenn der Züchter bei dem ich geboren wurde wüsste dass ich in einem kleinen Kaff abgeblieben bin, würde er mich zurückholen.“ „Wow, bist du dem so wichtig?“ Für einen Moment beneidete Kaskae ihre Freundin für einen so tollen Züchter. Für einen Moment eben. „Ach was redest du da“, mischte Dixie sich wieder ein „Aber dann hätte er sie nicht an so ein kleines Örtchen verschwendet, sondern hätte sie auf Shows ausgestellt.“ „Was?“ Kaskae sah verwirrt zwischen ihren Freundinnen umher. Ja, sie gab es wirklich zu, dieses Thema hatte ihre Aufmerksamkeit gewonnen. Sie konnte sich nicht mal im Entferntesten vorstellen auf was Sylvie da bitte hätte ausgestellt werden sollen. Sie wusste von Janes Eltern her, dass Dinge in Museen ausgestellt wurden, aber Hunde? „Also das ist sehr beliebt bei Menschen mit Rassehunden“, begann Sylvie zu erklären „Dabei versammeln Menschen ihre Rassehunde und vergleichen sie und der Hund der am besten ist, von Körperbau und so weiter, gewinnt dann. Das gibt für den Züchter Werbung, Geld und Ehre.“ „Okay…“ Kaskae schein den tieferen, nicht vorhandenen, Sinn dahinter nicht ganz zu verstehen „Und ansonsten?“ „Ja nichts“, antwortete Dixie „Das war’s.“ „Wow“ Kaskae zog eine Augenbraue hoch „Scheint ja ganz toll zu sein.“ Dixie wollte gerade etwas sagen, da erhaschte ein Wehklagen das Gehör der drei Hündinnen. Auf der andere Straßenseite sahen sie die Quelle des Gejaules: Star, begleitet von Kaltag und Nikki, schien sich über irgendwas furchtbar aufzuregen. „Oh nein, was hat den schon wieder gebissen?“, murrte Dixie halblaut und verdrehte genervt die Augen. „Ach, ich find den Kleinen ganz süß.“, musste Kaskae zugeben. Doch, wirklich, Star war witzig. „WAS?!“ Sylvie sah entsetzt drein. „Kaskae, das kannst du doch nicht ernst meinen! Du klingst fast schon so wie Jenna als sie-“ Doch Dixie kam nicht dazu zu Ende zu reden, da in diesem Moment Star vor sie trat und sich räusperte. Kaltag und Nikki standen in einem kleinen Abstand hinter ihm, wahrscheinlich um ihm, in dem was er da tat, seelische Unterstützung zu geben. „Ähm… Hey.“ Die drei Hündinnen, neben denen der zottige Husky relativ glanzlos wirkte, sahen auf. Keine von ihnen war läufig, was wollte der also von ihnen? „Hi Star“, begrüßte Kaskae ihn schließlich als erste und sah ihm erwartungsvoll entgegen, als weder er, noch Dixie oder Sylvie irgendwas sagten. „Äh, hi!“, gab er schließlich etwas nervös von sich. „Was gibt’s?“ „Äh, also…“ Star sah sich etwas hilflos nach seinen Freunden um, doch die gaben ihm nur zu verstehen, dass er weiter machen sollte „Ich hab ja gehört dass du anscheinend in den letzten Tagen nicht so viel zu fressen bekommen hast-“ „Nicht viel? Nun ja…“ Kaskae kicherte auf „Nichts trifft es eher, aber woher weißt du so was, haben die Wände hier irgendwie Ohren?“ Mit einem Mal schien auch das letzte Bisschen Selbstvertrauen aus Star gewichen zu sein und er sah verunsichert zu Kaskae hinab. Er kam sich plötzlich noch schäbiger neben diesen Hündinnen vor. Kaskae bemerkte seine wachsende Verunsicherung im ersten Moment jedoch gar nicht. Erst durch Sylvies Räuspern wurde sie wirklich darauf aufmerksam. „Oh, sag mal, du weißt schon dass das ein Witz war, oder? Nennt sich Sarkasmus, ich red oft so.“, erklärte sie schnell und grinste ihn wieder auf diese aufmunternde Art und Weise an. „Oh, äh, ja, natürlich!“, meinte Star schnell und sah sich im nächsten Moment panisch um. „Ich hab’s doch.“ Nikki trat zu ihm und überreichte ihm schnell etwas, was ihm links aus dem Maul hing. Star überreichte das ihm übergebene Stück Fleisch ohne Umwege Kaskae, welche zuerst verwirrt zwischen Star und dem Fleisch und dann zwischen Dixie und Sylvie umher sah, welche jedoch auch keine Antwort hierfür zu haben schienen. „Also, äh…“ Star wedelte nervös mit dem Schwanz „Das ist für dich, ich dachte mir dass du ziemlichen Hunger haben musst… Eigentlich hätte ich noch mehr davon, aber ein gewisser jemand musste es ja gestern Abend, als alle weg waren, auffressen…“ „Ich sage doch, ich war es nicht!“, verteidigte Nikki sich augenblicklich, bekam jedoch von Kaltag wortlos eine übergezogen. Ihr bester Kumpel versuchte gerade sich bei einer hübschen Hündin einzuschleimen, er hatte da einfach nur die Schnauze zu halten. Kaskae war in diesem Moment übrigens froh über ihren Pelz, denn sie spürte wie sie knallrot anlief. Dass Nikki wegen ihr jetzt beschuldigt wurde tat ihr irgendwie leid. „Äh, Star, das ist wirklich süß, aber das wäre echt nicht nötig gewesen, brauchst du das Fleisch nicht selber?“ Star kicherte verlegen und wäre am liebsten vor Freude geplatzt. Eine hübsche Hündin hatte ihn als ‚süß‘ bezeichnet, das war so was wie die Erfüllung des nächsten Punktes seiner ‚Dinge dich vor meinem Tod tun/hören/sehen möchte‘-Liste. „Ach, schon gut, behalt es, du brauchst es dringender als ich und-“ „Star! Kaltag, Nikki! Kommt her Jungs!“, rief eine Stimme durch die Straße und beendete Stars und Kaskaes kleines Gespräch unverhofft. „Oh, tut mir leid, ich muss dann…“ „Schon okay, man sieht sich.“, verabschiedete Kaskae sich von ihm und fiel nun über das Stück Fleisch zwischen ihren Pfoten her. Star trabte eilig hinter seinen Freunden her und man konnte sehen dass er sich merklich entspannte als er aus der Situation raus war. Es war ihm unangenehm gewesen, klar, aber das lag vor allem an Sylvie und Dixie. Die beiden hatten zwar nur wortlos neben Kaskae gesessen, aber sie hatten irgendwie so einen Druck auf ihn aufgebaut. „Sie hat mich süß genannt“, quiekte Star freudig „Und wie war das?“ Kaltag zog eine Augenbraue hoch. „Das fragst du auch noch? Star, das mit dem ‚süß‘ hat nichts zu bedeuten, du musst noch so viel lernen um einer Hündin von dem Kaliber gerecht werden zu können. Ich wäre um einiges besser geeignet, das ist ja mal klar.“ „Hey, reiß mal das Maul nicht so auf“, mischte Nikki sich ein „Sie mag zwar heiß sein, aber findest du nicht auch dass generell Hunde wie sie eine Nummer zu groß für uns sind?“ „Uns? Ihr meint wohl euch. Ich würde mich locker an sie ran wagen.“ „Na dann tu’s doch.“, verlangte Star. „Hätte ich ja, aber ich wollte dir ja zumindest mal ‘ne Chance geben.“, erklärte Kaltag großspurig, ehe er als erster den Kopf an dem Bein seines Herrchens rieb und sich das Geschirr umbinden ließ. Es ging heute zum Fischen. „Oh Gott, warum hast du ihm auch noch gesagt dass das süß von ihm war?“, wollte Dixie entsetzt wissen. „War’s doch“, meinte Kaskae kichernd „Ich fand’s niedlich dass er mir sein Fleisch gibt.“ „Bist du blöd? Du machst dem doch nur Hoffnungen.“, mischte Sylvie sich dazu. „Hey, was ist denn so schlimm? Ich war nur nett, Star ist doch ein netter Kerl.“, versuchte Kaskae sich zu rechtfertigen. „Der Typ ist ein flohversuchter Idiot und du hast ihm grade Hoffnungen auf eine Beziehung gemacht. Zudem…“ Dixie kam näher und räusperte sich „… ist dir schon bewusst dass  der dir doch nur mal hinten aufspringen will.“ „Dixie! Du bist so bekloppt, Star ist doch nicht so!“, widersprach Kaskae entsetzt, während Sylvie sich einfach nur stillschweigend ins Fäustchen lachte. Sie mochte die beiden, aber sich über Star lustig machen? Das war doch total süß gewesen, sie blieb dabei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)