Federmagier von Flordelis (Custos Vitae ~ Zwischenspiel) ================================================================================ Kapitel 4: So schnell trifft man sich wieder -------------------------------------------- Obwohl er es inzwischen gewohnt sein müsste, war Daragh immer noch davon überrascht, dass Zashi recht hatte, auch an diesem Tag wieder. Der Vorschlag, sich mit Marama an einem Brunnen auf einem belebten Platz zu treffen, war nicht sonderlich begeistert von Daragh aufgenommen worden, denn egal wie oft Zashi ihm versichert hatte, dass niemand auf sie achten würde, er glaubte dennoch, dass man sie neugierig mustern und auch belauschen würde, wenn sie sich derart in der Öffentlichkeit unterhielten. Aber Zashi war wirklich im Recht gewesen. Während sie beide noch auf dem Rand des Brunnens saßen und auf Marama warteten, achtete niemand auf sie, obwohl Daragh sich ein wenig fehl am Platz vorkam und er deswegen glaubte, erst recht herausstechen und die gesamte Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu müssen. All diese Menschen waren Künstler, Maler, Bildhauer, Autoren, genau wie er – und doch fühlte er sich ihnen nicht angehörig, als wäre er durch eine unüberwindbare Mauer aus Glas von ihnen getrennt und es gab nichts, was er tun konnte, um das Hindernis einzureißen. Allerdings war er sich auch nicht sicher, ob er das überhaupt wollte, immerhin gab es da immer noch den Unterschied, dass er ein Lazarus war und die anderen Künstler eben nicht. Aber allzu lange konnte er diesem Gedanken auch nicht nachhängen, da sein Blick schließlich von einer Person angezogen wurde, die sich durch die Menge direkt auf sie beide zubewegte. Es war eine jung aussehende Frau mit schwarzem Haar, das eigentlich recht kurz war – wenn man von dem Pferdeschwanz absah, der stets über ihre linke Schulter fiel. In ihren dunklen Augen war selbst von weitem noch immer ein trauriger Schimmer zu erkennen, so glaubt Daragh zumindest, aber er war sich auch sicher, dass er sich das nur einbildete, weil er genau das von ihr erwartete und sie so auch im Gedächtnis hatte. Die Kleidung, die sie trug, war wie üblich ein wenig zu groß und unterstrich nur wie zierlich sie war, weswegen Daragh sich wieder einmal ins Gedächtnis rufen musste, dass sie normalerweise äußerst erfolgreich mit einem Speer kämpfte und daher keine mitleidigen Gedanken brauchte, die sich nur darum drehten, wie sie die Schlachten gegen die Dämonen wohl bestehen konnte. Zashi stand sofort auf, als sie vor ihnen stehenblieb und begrüßte sie lächelnd. „Hallo, Marama. Wie schön, dass du es so schnell einrichten konntest – auch wenn ich das natürlich vorher schon gewusst habe.“ Sie warf ihm einen Blick zu, der deutlich machte, wie müde sie von ihm und all seinen Aussagen war und wandte sich dann an Daragh: „Warum habt ihr mich gerufen?“ Er störte sich, im Gegensatz zum deprimiert dreinblickenden Zashi, nicht daran, dass sie jede Höflichkeit vermissen ließ und antwortete stattdessen einfach: „Du warst doch in der Gegend, oder? Jedenfalls sah es so aus, als wärst du bei dem Angriff des Dämons ebenfalls anwesend und ich dachte, es wäre besser, wenn wir dich dann direkt in diese ganze Sache involvieren.“ Es war ihm nicht möglich, den Ausdruck auf ihrem Gesicht zu deuten, als sie Zashi einen Blick zuwarf, aber zumindest war sie keinesfalls erfreut über diese Sache, so viel konnte er sagen. „Eigentlich habe ich ja gar keine Zeit für so etwas“, sagte sie seufzend und stemmte dabei die Hände in die Hüften. „Aber fein, ich werde euch helfen. Was ist es denn für ein Dämon? Habt ihr ihn schon gesehen?“ Beide schüttelten einstimmig mit dem Kopf, aber Zashi begann sofort damit, ihn zu beschreiben: „Es sieht aus wie ein Wolf, ist aber etwa doppelt oder dreifach so groß. Nachtschwarzes Fell, giftgrüne Augen, rasiermesserscharfe Klauen und Zähne. Alles in allem kein Wesen, dem man im Dunkeln begegnen will, außer man hat zufällig ein oder zwei Sensen dabei.“ Marama ließ sich davon nicht beeindrucken, während Daragh nicht umhin kam, zu lächeln. Selbst wenn Zashi so etwas Ernstes erzählte, konnte er seine Scherze nicht lassen. „Das sieht nicht wie ein Wesen aus, das bei uns bekannt ist“, meinte sie. Es gab viele unterschiedliche Dämonen, die man in zwei Kategorien einteilte, ehe sie weiter aufgesplittert wurden. Da gab es die Äußeren Dämonen, die durch Portale aus anderen Welten kamen und nun in dieser Chaos verursachten, manchmal allerdings unfreiwillig, deswegen waren sie Daragh am Liebsten, immerhin konnte man ab und an sogar vernünftig mit ihnen reden. Diese Wesen waren allesamt erfasst, katalogisiert und konnten jederzeit von den Gildemitgliedern eingesehen werden, damit man wusste, wie man sich am besten mit ihnen auseinander setzte. Und dann gab es die Lazarus-Dämonen, die aus jenen bestanden, die einst menschlich gewesen waren und die alle derart individuell waren, dass es sich nicht lohnte, sie offiziell zu katalogisieren und die Daten allen anderen Mitgliedern zur Verfügung zu stellen. Lediglich wenn ein Lazarus einem solchen Dämon begegnete und er entkommen konnte, wurden die Daten erfasst, damit sie in Zukunft effektiver bekämpft werden konnten. Dass dieses Wesen nicht bekannt war, bedeutete entweder, dass es aus einer unbekannten Welt war oder dass es einst ein Lazarus gewesen war, allerdings erinnerte Daragh sich an niemanden, der sich vor kurzem verwandelt hatte. „Was es mit ihm auf sich hat, weiß ich auch nicht“, sagte Zashi. „Aber er wird auf jeden Fall auftauchen und ziemlich viel Chaos anrichten, wenn wir es nicht verhindern.“ „Habt ihr schon einen Plan?“, fragte Marama. Zashi sah Daragh schuldbewusst an, er zuckte allerdings nur schmunzelnd mit den Schultern. Sie schmiedeten selten im Vorfeld Pläne, nicht zuletzt weil Zashi der Überzeugung war, dass sie besser auf Überraschungen reagierten, wenn sie flexibel blieben – und das ging, in seinen Augen, nur wenn sie vorher keine Pläne schmiedeten. Marama verschränkte die Arme vor der Brust. „Verlangt ihr etwa, dass ich mir das alles allein ausdenken soll?“ „Natürlich nicht“, beruhigte Zashi sie sofort. „Wir brauchen einfach Unterstützung. Du weißt doch, wie anstrengend so etwas werden kann.“ Sie blickte ihn missgelaunt an, hob dann aber die Schultern. „Fein, von mir aus. Ich helfe euch. Aber dann schuldet ihr mir etwas.“ „Alles, was du willst.“ Daragh mochte es zwar nicht, dass Zashi ihr das so leichtfertig versprach, aber er sagte auch nichts dagegen. Immerhin brauchten sie die Hilfe von Marama, das wusste er sehr genau – und er traute sich außerdem nicht, ihr in irgendeiner Art und Weise zu widersprechen. „Dazu muss ich jetzt aber wissen, was genau passieren wird“, sagte sie. Zashi nickte und begann sofort damit, zu erzählen, wie es in seiner Vision abgelaufen war. Für Raelyn lief es weniger gut. Die Arbeit an dem Bild für ihre Nachbarin ging derart langsam voran, dass sie schließlich sogar den, ohnehin kaum besuchten, Laden schloss und sich auf den Weg zum Markt machte, damit sie sich etwas zu essen kaufen könnte. Während sie lief, entdeckte sie mehrere Dekorationsarbeiten für das bevorstehende Fest, was sie daran erinnerte, dass sie sich langsam Gedanken machen müsste, wie sie ihren Stand aufbauen könnte. Eigentlich hatte sie darauf verzichten wollen, aber es war eine kaum zu umgehende Verpflichtung für alle Ladenbesitzer der Stadt. Um sich Ärger zu ersparen, hatte sie sich damit abgefunden, den ganzen Tag dort zu verbringen, genau wie ihr Vater früher. Immerhin musste sie sich nicht mit dem Aufbau herumschlagen, das nahm ihr glücklicherweise bereits jemand ab. Sie grüßte jede Person lächelnd, hielt aber nicht an, um sich mit irgendeinem von ihnen zu unterhalten. Jeder war beschäftigt, sie hätte damit nur gestört. Unter all den Leuten, die sie kannte, begegneten ihr dabei allerdings auch einige Fremde. Es waren zwei junge Männer und eine Frau. Jeder von ihnen hatte braunes Haar, aber einer von ihnen war durch seine blonden Strähnen besonders außergewöhnlich, wie sie fand. Außerdem schien er mehr unter der Frau mit den Zöpfen zu leiden als jener mit dem roten Stirnband, der ein sanftes, entschuldigendes Lächeln aufgesetzt hatte. Im krassen Gegensatz zu ihm, fauchte der andere Mann tatsächlich zurück, wann immer die Frau ihn ein wenig zu scharf anfuhr. Allerdings glaubte sie nicht, dass sie wirklich aggressiv zueinander waren. Sie wirkten vielmehr wie Geschwister und deswegen griff wohl keiner der anderen Passanten ein. Obwohl Raelyn überzeugt war, dass sie keine Bewohner der Stadt waren, arbeiteten sie ebenfalls an der Dekoration und waren damit beschäftigt, Seile für die späteren Lampions aufzuhängen. Ihr Vater hatte einmal gesagt, dass man zu Zeiten des Festes oft Außenstehende dafür anheuerte, um zu helfen, aber es war das erste Mal, dass sie davon wirklich Zeugin wurde. Sie arbeiteten eifrig vor sich her, nur unterbrochen von den kurzen Schlagabtäuschen zwischen ihnen, noch ein Grund, warum es wohl niemanden kümmerte. „Landis, du hängst es so total schief auf!“, beklagte die Frau sich lautstark, als Raelyn gerade vorbeilief. „Kannst du denn gar nichts richtig machen?!“ Der Mann mit den Strähnen, scheinbar Landis, knurrte. „Es ist gerade! Du hast nur einen Knick in der Optik, das ist alles!“ Sie ließ fast das Seil fallen, das sie hielt. „Wie war das?!“ „Bitte“, ergriff der andere das Wort, „streitet euch doch nicht. Wir sollten eher zusammenarbeiten.“ Das wirkte, um sie wieder weiterarbeiten zu lassen, allerdings nicht für lange. Schon nach wenigen Schritten hörte Raelyn sie wieder streiten, kümmerte sich aber nicht mehr darum. Es gibt schon seltsame Leute... Solange sie keinen Ärger verursachten, glaubte sie nicht, dass es schlechte Leute waren, aber sie wusste, dass sie sich dennoch von ihnen fernhalten wollte, solange sie in der Stadt waren. Doch die Gedanken an diese Personen traten in den Hintergrund, als sie den Brunnenplatz erreichte. Ihr Blick schweifte über die Hausfrauen, die mit gefüllten Einkaufstaschen dastanden und miteinander tratschten, als wäre das Gewicht unerheblich; spielende Kinder, die ihre Kreativität auslebten, indem sie sich für Helden ausgaben; Künstler, die zusammen ihre neuesten Werke besprachen oder über die kommenden nachdachten – und mittendrin drei Personen, die ganz klar herausstachen, von denen sie aber nur einen einzigen kannte. Die drei unterhielten sich mit sehr ernsten Gesichtern, weswegen sie überlegte, einfach so zu tun, als hätte sie ihn nicht gesehen, aber dann dachte sie auch wieder daran, was für ein gutes Gefühl ihr das Gespräch mit ihm eingebracht hatte und dass sie ihn zumindest kurz grüßen könnte. Außerdem schien er von dem aktuellen Gespräch ohnehin gelangweilt, weswegen sie keinerlei Problem darin sah, zumindest ihn davon zu lösen. Schon nach wenigen Schritten in seine Richtung, wandte er sich ihr zu, blickte erst erschrocken und lächelte dann, nachdem er den anderen ein Zeichen gegeben hatte, worauf sie sofort schwiegen und sich ihr ebenfalls zuwanden. Das machte es ihr zwar unangenehm, aber sie konnte nun schlecht einfach umdrehen und wieder wegrennen. Also blieb sie vor ihnen stehen. „Hallo, Daragh. Schön, dich zu sehen.“ „Und vor allem so unerwartet“, stimmte er zu. Er warf einen kurzen Blick zu seinem schwarzhaarigen Begleiter, der nur vergnügt lächelte und ihr dann sofort die Hand reichte. „Ich bin Zashi. Es freut mich, dich kennenzulernen.“ „Ich bin Raelyn“, erwiderte sie, obwohl er sie anblickte, als wüsste er das bereits. „Und das ist Marama“, beendete er die Vorstellung und deutete zu der Frau, die allerdings einen derart distanzierten Eindruck machte, dass Raelyn automatisch zurückwich und sich dann lieber wieder Daragh zuwandte. Allerdings hatte sie weiterhin das Gefühl, dass Marama sie musterte. „Wohin gehst du?“, fragte er. „Ein wenig einkaufen, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Aber was tut ihr hier?“ Daragh brauchte einen Moment, in dem er hilflos zu den anderen blickte, aber dann antwortete er doch noch: „Wir sind Kollegen und besprechen grad ein paar Dinge.“ „Ist ein Psychologen-Kongress in der Stadt?“ „Ähm, ja, sicher.“ Sehr überzeugend klang er dabei nicht, aber sie schob es auf seine Verlegenheit. Vielleicht fiel es ihm einfach schwer, mit diesen beiden Personen in seiner Gegenwart zu sprechen. Zumindest bei der Frau konnte sie es nachvollziehen, diese Marama war ihr reichlich unheimlich. „Dann werdet ihr wohl noch ein wenig hierbleiben, oder?“, fragte Raelyn. „Ihr werdet euch das Fest ansehen?“ „Das haben wir auf jeden Fall vor“, bestätigte Zashi. „Du und Daragh, ihr solltet euch noch einmal treffen, wenn du mehr Zeit hast.“ Sie fragte sich, woher er wusste, dass sie gerade nicht viel Zeit hatte, hakte aber nicht weiter nach, sondern nickte sofort. „Gute Idee.“ Allerdings hätte sie sich im selben Moment gern eine Ohrfeige verpasst. Warum nur stimmte sie zu, sich noch einmal mit Daragh treffen zu wollen? Sie kannte ihn immerhin kaum. Aber Daragh widersprach auch nicht, er schenkte Zashi lieber einen finsteren Blick. Es war Marama, die das Gespräch leise seufzend wieder beendete. „Ich will ja kein Spielverderber sein, aber wir haben hier noch einiges zu tun. Wenn du uns also bitte entschuldigen würdest.“ Ihre Stimme war derart kalt, dass es Raelyn fröstelte. Sie nickte hastig. „In Ordnung, ich habe ohnehin noch etwas vor.“ Doch vorher blickte sie noch einmal zu Daragh. „Das war jetzt nur ein kurzes Treffen, aber es hat mich gefreut. Wir sehen uns bestimmt auf dem Fest.“ Er nickte ihr zu und verabschiedete sich ebenfalls. Schweigend warteten sie alle darauf, dass sie wieder davonging, was Raelyn auch rasch tat. Selten zuvor hatte sie sich so unerwünscht gefühlt wie bei diesen drei Personen. Waren etwa alle Psychologen so? Und wurde Daragh nur im Zusammensein mit ihnen ebenfalls so? Sie hoffte es, denn ihr erster Eindruck von ihm war wesentlich positiver gewesen. Aber vorerst verdrängte sie auch diesen Gedanken wieder und kümmerte sich lieber um das vor ihr liegende: Die Beschaffung von etwas Nahrhaftem, um dann die Arbeiten an dem Bild fortzusetzen. Allerdings konnte sie dabei nicht verhindern, dass sie weiterhin an den finsteren Blick Maramas und ihre kalte Stimme denken musste – und vor allem wurde sie das Gefühl nicht los, dass diese Frau sie die ganze Zeit gemustert hatte und dass sie irgendetwas plante. Sie lachte amüsiert, als ihr dieser Gedanke bewusst wurde. Oh, was für ein Unsinn. Ich bin wohl wirklich viel zu fantasievoll. Was sollte sie schon mit mir planen? Aber selbst damit ließ sich diese Überlegung nur in einen finsteren Winkel ihres Unterbewusstseins verfrachten und nicht gänzlich verdrängen und der Blick dieser Frau schien sie selbst dann noch zu verfolgen, als sie den Platz bereits lange hinter sich gelassen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)