Federmagier von Flordelis (Custos Vitae ~ Zwischenspiel) ================================================================================ Kapitel 3: Kommt Zeit, kommt Rat -------------------------------- Als Daragh wieder ins Gasthaus kam, war Zashi von seiner Tourismus-Tour auch zurück, wirkte allerdings ganz und gar nicht zufrieden. Auf einem Stuhl am Tisch sitzend, starrte er mit finsterem Blick auf etwas, das auf der Platte lag. Daragh ging näher und erkannte, dass es sich dabei um ein Blatt Papier handelte, auf dem eine große Feier angekündigt wurde. In seinen Augen eine gute Sache, besonders als Ablenkung vom alltäglichen Trott, aber Zashi starrte die Ankündigung an, als wäre sie eine Einladung zu einem Maskenball des Todes. Daragh legte das Buch vorsichtig auf dem Tisch ab, was Zashi dazu bewegte, den Kopf zu heben und ihn direkt anzusehen. „Oh, du bist wieder hier.“ „Wie du siehst. Und was beschäftigt dich gerade, dass du so finster blickst?“ Statt einer Antwort deutete Zashi mit dem Zeigefinger auf die Ankündigung, aber als er bemerkte, dass es Daragh nichts sagte, holte er zu einer Erklärung aus: „Dieses Fest findet hier jedes Jahr zur selben Zeit statt. Das wusste ich nicht.“ „Und? Hast du was gegen Feste?“ Zashi presste die Lippen aufeinander, überlegte offenbar, ob er nicht vielleicht zu viel verraten würde, wenn er nun etwas sagte – und kam mit sich selbst überein, dass er nichts sagen wollte. „Schon gut. Es wird bestimmt spaßig.“ Daragh setzte sich auf den anderen Stuhl und blickte Zashi direkt an. „Okay, was ist los?“ „Gar nichts“, erwiderte Zashi unwirsch, obwohl er genau wusste, dass er damit erst recht darauf hinwies, dass er ein Problem hatte – und noch ehe er es sich anders überlegen konnte, so wie sonst auch, wenn Daragh ihn so ansah, hörten sie beide eine Stimme auf dem Gang vor der Tür. „Ja, ich weiß“, sagte ein Mann lachend. „Vielen Dank.“ Seine Schritte gingen am Raum vorbei und verhallten irgendwo weiter hinten im Gang. Die Stille breitete sich nicht nur dort aus, sondern auch in ihrem Zimmer, während sie beide auf die Tür starrten. Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen, ehe Daragh wieder etwas fragte: „Was macht er hier?“ Zashi antwortete nicht, weswegen er einfach weitersprach: „Sag mir nicht, er besucht dieses Fest jedes Jahr! Sag mir nicht, wir laufen ihm vielleicht über den Weg!“ „Gut, ich sage es dir nicht.“ Von plötzlicher Unruhe erfasst, sprang Daragh auf und lief eilig im Raum hin und her, dabei griff er sich immer wieder an die Brille, um sie zurechtzurücken. „Warum muss er gerade jetzt hier Urlaub machen, während dieses Monster...?“ Unwillkürlich verstarb seine Stimme und hinderte ihn so daran, den Satz zu beenden. In seinem Inneren verbanden sich die Bruchstücke dieser seltsamen Geschichte zu einem, noch immer unvollständigen, Bild – aber was er davon erkennen konnte, wollte ihm nicht gefallen. „Das ist eine Falle!“, stieß er im selben Moment wie Zashi aus, dem ein unendlich schweres Gewicht von der Brust zu fallen schien. Es kam selten vor, aber es gab mehr als genug Menschen, die von den Lazari wussten und einen Groll gegen sie hegten. Daragh konnte es verstehen. Nicht immer liefen Dämonenjagden glimpflich oder ungefährlich für Zivilisten ab. Nicht selten lockten die Monster sie in bewohnte Gebiete, in der Hoffnung, dass die Lazari sich nicht zu kämpfen getrauten, aus Furcht, einem Unschuldigen Leid zuzufügen oder ihn sogar zu töten, wie es auch schon mehrmals vorgekommen war. Während manche Menschen es schafften, über diesen Verlust hinwegzukommen, nährten andere ihren Zorn und versuchten, Lazari zu töten. Manchmal nur bestimmte von ihnen, manchmal wahllos. Es gelang nicht oft, aber die wenigen Male, in denen es funktionierte, waren mehr als genug. Wesentlich seltener kam es auch vor, dass Lazari ihresgleichen verabscheuten, wohl auch deswegen, weil sie die Wahrheit um das Schicksal aller kannten. Und dann, ganz vereinzelt, gab es jene Lazari, die ihren Zorn, ihren Hass, ihre Wut, auf eine einzige bestimmte Person konzentrierten. Der einzige Lazarus, dem es gelungen war, die Gilde lebend zu verlassen – aber da er nicht mehr lebte und der Zorn dennoch nicht nachließ, war dieser auf ein neues Ziel konzentriert: Den Adoptivsohn dieses Mannes, den Lazarus-Anwärter, der inzwischen die 20 überschritten hatte, ohne sich zu verwandeln, was zu weiterem Gram bei manchem führte, denn warum sollte gerade er das Glück haben, nicht ihr Schicksal zu teilen? Was machte ihn so besonders? Das alles machte die Auswahl an möglichen Feinden, die hierfür verantwortlich waren, nicht gerade einfach und warf weitere Fragen auf: „Aber für wen ist diese Falle bestimmt? Für ihn? Für uns? Für alle Lazari und Anwärter, die gerade in der Gegend sind?“ „Das kann ich dir nicht sagen“, antwortete Zashi. „Die Vision ist zu ungenau. Ich weiß nur, dass Marama auch da sein wird, wenn der Dämon das Fest angreift.“ Daragh dachte nur ungern an Marama. Sie war schon länger eine Lazarus als er und hatte erst vor kurzem ihren Partner verloren, weswegen sie sich immer noch in Trauer befand. Sie war schon vorher nie sonderlich redefreudig gewesen, aber seit dem Tod dieses Mannes schwelte etwas in ihrem Inneren, das – den Gerüchten nach – selbst Cerise, ihrer Anführerin, Sorgen bereite. Jeder Lazarus war erstaunt darüber, dass sie sich noch nicht in einen Dämon verwandelt hatte und Daragh gehörte sogar zu jenen, die sich deswegen vor ihr fürchteten. Wer so verzweifelt war wie sie und dennoch ein Lazarus blieb, statt sich in ein Monster zu verwandeln, musste einen Pakt mit finsteren Mächten eingegangen sein. „Dann ist sie wohl in der Gegend“, bemerkte Daragh ohne jede Begeisterung. „Wir sollten uns mit ihr treffen, um zu besprechen, wie wir vorgehen sollen. Immerhin müssen wir daran denken, dass da noch... jede Menge Menschen sein werden.“ Zashi nickte schweigend, den Blick wieder auf die Ankündigung der Feier gerichtet. Daragh nahm das Blatt an sich und zerriss es hastig, um den sorgenvollen Ausdruck auf dem Gesicht des anderen zu zerstreuen. „Mach dir keinen Kopf mehr darum. Erzähl mir lieber, wie dir die Stadt gefällt.“ „Sie ist hübsch“, antwortete er. „Mir gefällt, dass es so viele Künstler hier gibt. Weißt du, Künstler sind interessante Menschen. Während ich nur den Lauf der reellen Zeit sehen kann, ist es ihnen möglich, Dinge zu sehen, die anderen, vor allem mir, verborgen bleiben. Und diese Dinge halten sie in ihren Bildern und Geschichten fest, damit jeder an diesen verborgenen Schönheiten teilhaben kann.“ Diese Erklärung half Daragh endlich, zu verstehen, warum gerade er – der immerhin auch ein Künstler war – mit Zashi zusammenarbeiten musste. Er schmunzelte ein wenig. „Verstehe...“ Statt noch etwas zu sagen, wandte der andere den Kopf zu dem Buch, das auf dem Tisch lag und er erkannte den Titel sofort. „Du hast ein neues Exemplar gefunden?“ „Nicht nur das!“, sage Daragh sofort und nahm es wieder an sich. „Ich habe sogar die Autorin des Buches getroffen!“ Zashi lächelte sanft, was seiner Freude sofort einen Dämpfer verpasste. „Du hast es gewusst?“ „Natürlich“, sagte der andere und fuhr sich verlegen durch das Haar. „Was wäre ich für ein Hellseher, wenn ich das nicht hätte vorhersehen können? Aber die Überraschung war doch sicherlich größer, als du sie ahnungslos getroffen hast.“ Das konnte er nicht verleugnen. Noch immer spürte er ein angenehmes, geradezu befreiendes Gefühl in seinem Inneren, das die Ketten zu sprengen versuchte, in die jeder Lazarus sein Herz legte, um es vor der Verzweiflung zu schützen. Es war nur ein Treffen gewesen und vielleicht hatte seine Bewunderung und seine Liebe zu einem ihrer Werke sein Denken vernebelt, aber er mochte es. Er liebte dieses Gefühl in seinem Inneren, das freigesetzt worden war, in dem Moment, in dem er in ihre blauen Augen geblickt hatte und bei der Erinnerung an sie immer wieder zurückkehrte. Wäre ihm das ebenfalls so ergangen, wenn er im Vorfeld davon gewusst hätte? „Nun“, sagte Zashi plötzlich, „ich bin froh, dass es so gut gelaufen ist. Jetzt müssen wir uns nur noch mit Marama treffen.“ Um das einzuleiten, zog er eine handflächengroße, aber dünne, Metallplatte hervor, die in zwei Hälften geteilt war. Er tippte die obere Hälfte ein, die sofort zu wirbeln begann, näherte die Platte seinen Lippen und flüsterte kaum hörbar etwas. Die sich drehende Hälfte bildete eine kleine, blaue Kugel, die auf ihrem hellsten Punkt zu wachsen aufhörte und dann eilig wegflog, als fürchtete sie, noch aufgehalten zu werden, ehe sie ihre Nachricht überbringen könnte. Im nächsten Moment war das Lazarus-Orb bereits aus dem Raum verschwunden und wie jedes Mal hoffte Daragh, dass es auch den richtigen Weg einschlug und nicht bei irgendwem sonst landete. Das war zwar noch nie geschehen, aber einmal war bekanntlich immer das erste Mal. „Wer hat eigentlich diese Mission eingeleitet?“, fragte er, nachdem Zashi die Platte wieder eingesteckt hatte. „Ich weiß es nicht so genau. Parthalan hat es nicht gesagt, nur, dass es hier in der Gegend eben einen Dämon geben soll, um den wir uns kümmern müssen.“ „Hat Parthalan jemals etwas gesagt, das wirklich nützlich ist?“ Daragh mochte den Assistenten von Cerise nicht sonderlich, schon allein, weil es hieß, dass er unsterblich war, was er reichlich unheimlich fand. „Wie auch immer... was machen wir jetzt bis zu unserem Treffen mit Marama?“ Zashi erhob sich strahlend von seinem Stuhl. „Ich werde rübergehen und Kierans Sohn kennenlernen! Wann trifft man denn schon mal seinen Erlöser?“ „Oh nein, das wirst du nicht!“, erwiderte Daragh sofort. Seit der andere diese – reichlich abgedrehte, wie er fand – Vision vom Ende des Lazari-Zeitalters gesehen hatte, war er zu einem unsterblichen Fan dieses Nolans geworden. Daragh war es möglich gewesen, ebenfalls einen Blick auf die Vision zu werfen, was ihn mit einigem an Respekt erfüllte, aber Zashis Fan-Dasein empfand er doch als ein wenig unangenehm. „Aber die Chance kommt so schnell nicht wieder!“ „Du kannst doch nicht einfach zu einem Fremden gehen und ihn ansprechen, du jagst ihm sicher Angst ein!“ „Ich bin total harmlos!“ Während die beiden den jeweils anderen von ihrem Standpunkt zu überzeugen versuchten, saß Nolan mehrere Zimmer weiter an seinem Fenster und blickte voller Vorfreude lächelnd hinaus, um die Stadt zu betrachten. Dabei bemerkte er die kleine blaue Kugel, die umherschwebte, ihn eine Weile durch das Fenster zu beobachten schien und dann eilig davonschwebte, als hätte sie gerade erkannt, dass er nicht die gesuchte Person war oder sie eigentlich gar nicht sehen dürfte. Mit geneigtem Kopf blickte er ihr hinterher, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war – und fragte sich dabei, seit wann es blaue Glühwürmchen gab. 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