Dead Society von Gepo (Die Hoffnung stirbt zuerst) ================================================================================ Kapitel 86: Disorders --------------------- Ohne viele Worte: Teil 2 ^.^ Viel Spaß beim Weiterlesen. _________________________________________________________________________________ „Hinter dieser Mauer in mir war so viel Wut. Hass auf die Welt. Hass auf alles Göttliche. Hass auf mich selbst. Mein Bruder war alles, was ich hatte, was mich erhielt und er war es, der meinen Hass spürte. Ich habe ihn zerstört und er hat mir immer wieder vergeben. Immer und immer wieder…“, ein Zittern ging durch den Körper, der die Arme um sich selbst legte und die Beine anzog, „Ich wollte nur, dass er mich nicht hasst, doch ich habe es immer wieder vermasselt. Ich wollte ein guter Bruder sein, doch ich konnte ihn nicht verstehen. Ich wollte für ihn da sein, doch ich habe ihn nur verletzt. Ich war so unglaublich krank und er hat es stillschweigend ertragen. Aber ich konnte noch sehen. Ich konnte sehen, wie er geweint hat. Ich wollte das alles nicht… ich habe ihn doch nur geliebt…“, die Arme ergriffen die Knie und der Kopf senkte sich, „Ich bin so ein Monster.“ „Das sind sie nicht. Nicht in meinen Augen.“, flüstere Katsuya, griff unter Kaibas Haupt, hielt es, während er das Kissen wegzog und rückte näher heran, sodass der gebeugte Kopf auf seinem Oberschenkel weilte, „Ich kann nicht für Mokuba sprechen, aber ich denke, er hat gewusst, dass sie ihn auch liebten. Er hätte nicht daran festgehalten, wenn er es nicht geglaubt hätte.“ „Aber er würde noch leben, wenn er es nicht geglaubt hätte.“, erwiderte der Ältere bitter und schniefte, worauf der Blonde ihm ein Taschentuch reichte, „Verdammt, ich kriege schon wieder einen Anfall…“ „Okay.“, Katsuya putzte sich selbst die Nase und streckte den Arm nach dem kleinen Mülleimer aus, der neben der Couch stand. Praktisch, dass so ziemlich alles in Reichweite war. „Was heißt denn hier okay?“, murrte Kaiba und stützte sich auf einen Ellbogen. „Okay heißt, dass ich das schon erwartet habe. Eigentlich sogar früher.“, er lächelte den Älteren an, „Sie haben sich gut gehalten. Vielen Dank, dass sie mir davon erzählt haben.“ „Pah…“, der Brünette schob die Unterlippe vor, „Jetzt habe ich keine Lust mehr.“ Das… sah aus wie das Kind Kaiba. Schon klar, durch die Erzählungen waren die kindlichen Anteile seiner Seele wohl in den Vordergrund gelangt. Dennoch… es war ungewohnt. Aber nicht unangenehm. Mal sehen, wie man sich mit dem kleinen Kaiba unterhalten konnte. „Keine Lust wozu?“ „Zu ’nem Anfall. Du wirst mir gefälligst zu Ende zuhören, wenn ich mir schon alles von der Seele laber’.“, mit einer Halbdrehung lag er wieder auf dem Rücken und ließ seinen Kopf schmerzhaft – und zwar für Katsuya – auf dessen Oberschenkel fallen. Nun, Klein-Kaiba sprach auf jeden Fall nicht so formal wie die stabile Version seiner Selbst. Erfrischend. Seinetwegen konnte Kaiba öfter völlig ohne Maske agieren. „Bin ich eben kein Monster.“, meinte er in einem arroganten Ton, „Mokuba verletzt habe ich trotzdem. Andauernd habe ich etwas Böses gesagt. Aber Moki war nicht böse. Ich habe ihm jedes Mal geholfen, wenn er Hilfe brauchte. Nur wenn etwas völlig schief lief, weil er seinen Sturkopf gegen mich durchgesetzt hat, da habe ich es nicht getan. Mein Erziehungsgrundsatz war Konsequenz.“, die Stimme war mittlerweile wieder etwas ruhiger, ernster, „Im Endeffekt ist er ein ganz ordentlicher Junge geworden, vernünftig, verantwortungsvoll, sorgend. Was ein Bengel war, wurde ein Mann. Währenddessen hatte Noah einen Wachstumsschub. Es kann sich kaum einer der Ärzte erklären, aber man vermutet, dass durch die Fraktur nur extremer Druck auf seinen Nerven war. Auf jeden Fall ließ die Lähmung mit der Zeit nach. Natürlich ist bis heute nicht alles wie früher, aber er kann für einige Minuten am Stück stehen und ein ganz gutes Stück gehen. Für ihn ist das ausreichend, um effektiv arbeiten zu können, meistens muss er ja eh nur sitzen. Ich begann ihn in die Führung des Unternehmens einzuführen, um mir selbst Arbeit zu ersparen und für ihn genügte es unter mir zu arbeiten. Tja, und dann kam Mokuba.“ Katsuya ließ seine Hand wieder zu dem brünetten Schopf sinken und kraulte den Erzählenden, der – wie doch eher unvermutet – wirklich keinen Anfall zu bekommen schien. Sein inneres Kind schien eine Menge Kontrolle zu besitzen. „Mokuba legte mir die Ergebnisse meiner letzten medizinischen Untersuchungen vor, die physiologischen und die psychologischen Gutachten verschiedener Fachleute, die sich anmaßten mich durch Beobachtungen durchschauen zu können. Daneben legte er Kontoauszüge, Listen meiner Immobilien, meiner Privatgüter, meiner Aktien, meiner verschiedenen Investments. Und er forderte, dass ich aufhöre zu arbeiten.“ Mokuba schien ein Mensch gewesen zu sein, der wusste, was er wollte… und wie er es bekam. Eine ausgefeilte Taktik, er sollte sie sich merken. „Ich hatte damals natürlich kaum Ahnung von Psychologie, ansonsten hätte ich es nie getan. Ich ließ mich überreden und vermachte Noah die Firma und einen Großteil meines Geldes. Ich kaufte nur dieses Haus, richtete es ein und ließ genug Geld übrig, um für ein paar Jahre zu leben. Schluss und Ende, auf in ein neues Leben, so dachte ich.“, Kaiba zog tief die Luft ein, drehte sich auf die Seite und drückte seinen Hinterkopf an Katsuyas Taille, „Ich hatte gar nicht bemerkt, was für ein Workoholiker ich war. Ich hatte fast rund um die Uhr gearbeitet, nur um nicht zu denken. Selbst wenn ich nicht arbeitete, war ich bei irgendwelchen Turnieren und Meisterschaften, um mich mit Yugi zu schlagen. Und natürlich krachte mit der Arbeitslosigkeit alles über mir zusammen. Um es kurz zu sagen, ich wurde ziemlich krank.“ Gut verständlich. Traumatisierungen über das ganze Leben und plötzlich Zeit, damit konfrontiert zu werden. Das gab ein emotionales Massaker. Katsuya seufzte. Also war ein Kaiba bei weitem nicht fehlerlos. „Mokuba schleppte mich von einem Psychiater zum nächsten. Nach Diagnose hatte ich PTBS, Borderline, eine narzisstische Persönlichkeit, affektive Störungen, Angststörungen, dissoziative Störungen – eigentlich hatte ich so ziemlich alles. Um es anders zu sagen, keiner wusste, was ich habe.“, der Liegende zog die Decke bis an sein Kinn, „Ich weiß nur, dass Mokuba unter mir litt. Er konnte einfach nicht aufhören sich um mich zu kümmern. Er hätte einfach gehen sollen. Es hat ihn zerstört und ich wusste das. Aber ich konnte auch nicht gehen. Ich konnte ihn nicht allein lassen. Ich konnte einfach nichts…“ Der Blonde atmete schwer. Kaiba sah so traurig aus. Die Augenlider halb gesenkt, die Augen voll Tränen, die Lippen zusammengedrückt, doch wie geschwollen. Warum nur? Warum hatte ihm niemand helfen können? Warum musste er sich heute nur solche Selbstvorwürfe machen? Wenn er nur damals schon gewusst hätte, was zu tun gewesen wäre, wenn Mokuba es nur gewusst hätte, wenn Kaiba es gewusst hätte… all dies hätte nie, nie sein müssen. Vielleicht hätte Mokuba nie sterben müssen… „Ich begann zu Studieren in der Hoffnung, dass sich mein Zustand bessern würde. Und darüber kam ich erst mit Psychologie in Verbindung. Ich hatte nie daran gedacht, dass ich etwas tun konnte, dass nicht alles von Ärzten und guten Pillen abhing. Und so begann ich zu lesen.“, mit seinem Einatmen legte sich ein Lächeln auf Kaibas Lippen, „Es war wie ein Wunder. Es wurde nicht schlagartig besser, aber nach und nach begann ich zu verstehen und damit umgehen zu können. Ich bekam mich selbst in den Griff.“, das Lächeln fegte von seinem Gesicht, seine Stimme verdunkelte sich, „Aber je besser es mir ging, desto schlechter ging es Mokuba.“ Wie bitte? Warum das denn? War das nur ein weiterer Selbstvorwurf oder hatte das wirklich Zusammenhang? „Er war gewöhnt, dass ich… nun ja, abnormal war. Er kam nicht damit zurecht, dass es mir besser ging. Er wurde depressiv und begann schließlich Drogen zu nehmen. Siebzehn war er damals, mitten in der Identitätskrise und verlor seine Grundlage. Hätte ich das gewusst, ich hätte lieber weiter eine Krankheit gehabt. Aber ich konnte nicht mehr zurück.“, eine stumme Träne rollte über seine Schläfe, „Ich wollte nicht. Mir ging es zum ersten Mal gut. Also versuchte ich Mokuba zu helfen. Ich dachte, mit meinem ganzen Wissen sollte ich das schaffen. Aber vielleicht war mein Verstand groß genug, mein Herz war es nicht. Ich konnte ihn noch immer nicht hören. Und so sah ich zu, wie er immer mehr in sich selbst versank.“, die Decke hob sich einige Zentimeter und senkte sich wieder, „Ich habe ihn zweimal in eine Entzugsklinik gebracht. Einmal ist er ausgebrochen, beim zweiten Mal hat es nur drei Monate gedauert, dann war er wieder dran. Ich war völlig überfordert. All meine Fehler fielen nun auf mich zurück.“ Selbstvorwürfe, solche Selbstvorwürfe… was hätte er denn wirklich ändern können? Er hatte sein Bestes gegeben, da war Katsuya sicher. Wie lange wollte er an seiner Vergangenheit hängen? Fehler, die er mit zehn Jahren begangen hatte. Würde er sich jemals selbst verzeihen können? „Nach meinem Abschluss hatte ich an seiner Schule angefangen. Wir stritten über seine Noten, sein Sozialverhalten in der Schule, schließlich seine Sucht. Er schrie mich an, dass er mich hasste und verließ das Haus.“, Kaibas Schulter zuckten, „Den Rest des Abends kennst du…“ „Es tut mir Leid…“, flüsterte der Blonde, doch er spürte kaum Schmerz in seiner Brust. Es war ein Unfall gewesen. Wann würde es Kaiba auch so sehen können? „Dann ging es abwärts…“, hauchte der Ältere tränenerstickt und nahm wortlos das gereichte Taschentuch, „Ich habe mein Selbst im Alkohol ertränkt. Aus der Küche wurde ein Trümmerhaufen. Meine Stelle wurde mir gekündigt. Die Nachbarn zeigten mich wegen Ruhestörung an, weil ich meinen Schmerz aus mir herausschrie, wenn ich kaum mehr nüchtern war. Irgendwann wachte ich in einer geschlossenen Psychiatrie wieder auf. Anscheinend hatte man mich aus dem Hafenbecken gefischt.“ Katsuya schluckte. Er war Mokubas Tod nicht schuld gewesen. Aber… er hätte ihn verhindern können. Er hätte das hier verhindern können. Oder? Seine Lider fielen hinab. Hätte er es bloß verhindert… nein, er sollte nicht mehr zurückblicken. Er hatte daraus gelernt. Und er lebte, um die Konsequenzen zu tragen. Susano, Sturm – niemals zurückblicken. Nur lernen sanft Tränen zu trocknen statt Verwüstungen zu hinterlassen. „Der Oberarzt war echt gut. Er diagnostizierte mich mit DESNOS mit peritraumatischer Dissoziation. Bis heute die durchaus gängigste Diagnose für mich…“, ein humorloses Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er sich wieder auf den Rücken drehte. „Was genau heißt das?“, fragte der Blonde nach. „Das ist eine schwere posttraumatische Belastungsstörung. Borderline, Depressionen, Dissoziations- und Angststörungen in einem, wenn man so will. Typen mit DESNOS sind meistens die, die später ihre Kinder vergewaltigen oder Amok laufen.“, seine Stimme schien purer Sarkasmus zu sein, „Und weißt du, was das Schönste ist? Es ist nahezu unheilbar.“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so schlimm um sie stehen soll.“, erwiderte Katsuya nur abgeklärt. Kaiba war vielleicht krank, aber so krank war er nicht. Das hatte Bakuras Erklärung ihm schon bewiesen. „Na gut.“, der Brünette seufzte tief, „Es sind eher Einzelfälle, wenn Menschen mit DESNOS so etwas tun. Aber ein Großteil der notorischen Vergewaltiger hat DESNOS, das ist schon bewiesen. Und unheilbar ist es auch.“, er fuhr sich durch die Haare, „Aber man kann die Symptome stark einschränken mit einer guten Therapie.“ „Also wurden sie therapiert?“, fragte der Jüngere nach. „Ja, wurde ich. Wäre ich es nicht, würde ich entweder im Gefängnis oder in der Psychiatrie hängen.“, er sah zu ihm auf, „Bis auf meine Anfälle und mein völlig unsoziales Verhalten bin ich eigentlich ganz gut genesen. Ich habe manchmal noch Probleme mit Dissoziationsstörungen, aber sonst… nichts. Nur das Selbstwertgefühl, aber… das wird noch. Irgendwie…“ „Nehmen sie irgendwelche Medikamente?“, wichtige Frage, schließlich hatte er ihn noch nie welche einnehmen sehen. „Ich könnte, aber… eigentlich bräuchte ich nur welche für schwere Anfälle. Und die haben schwere Nebenwirkungen.“, der Liegende seufzte, „Da gebe ich mein Geld lieber für Stricher aus, die haben denselben Effekt und sind gesundheitsfördernd.“ „Halt mal. Sex beugt ihren Anfällen vor?“, fragte der Blonde noch einmal nach. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Und er hatte die ganze Zeit gedacht, dass das mit Yami… oh, er war so ein Idiot. Er war so ein verdammter Idiot. Deswegen hatte Kaiba so reagiert. Deshalb die Anfälle, die in letzter Zeit immer schwerer wurden. Deshalb… er war so dumm. So gottverdammt dumm. „So sieht es aus…“, murmelte der Ältere, während sein Blick wieder zur Wand glitt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)