Dead Society von Gepo (Die Hoffnung stirbt zuerst) ================================================================================ Kapitel 85: Wahrer Schmerz -------------------------- Guten Abend allerseits ^.- Wie versprochen gibt es als Dank für diese unwerfende Kommentarzahl (und glaubt mir - ich kann es nicht glauben) zwei Kapitel ^.^ Wie schon vermutet ist der Inhalt Kaibas Vergangenheit und ich möchte an dieser Stelle nicht mehr tun als euch viel Spaß beim Lesen zu wünschen und mich bei allen für ihre Kommentare zu bedanken ^.^ (Dank auch an die, die mir die Daumen gedrückt haben - ich bin endlich durch meine Prüfungen durch) _________________________________________________________________________________ „Es begann alles mit einer Geschäftsreise meines Vaters nach Europa. Er traf meine Mutter auf einem Meeting und nach den zwei Monaten, die er drüben verbracht hat, willigte sie ein mit ihm nach Japan zu kommen.“, begann Kaiba in einem ruhigen Ton mit sehr leiser Stimme, „Es dauerte keine vier Monate und sie heirateten. Nur anderthalb Jahre später wurde ich geboren. Vater war schon damals viel auf Reisen, doch Mama kümmerte sich hingebungsvoll um mich.“, Katsuya strich wie abwesend Strähnen hinter dessen Ohren, während er versuchte sich das vorzustellen, „Ich weiß noch, dass sie immer sehr zierlich war und sehr weiche Hände hatte. Und lange hellbraune Haare. Und natürlich blaue Augen. Meine Augen und ein paar Erinnerungen sind alles, was ich noch von ihr habe.“, der Blonde konnte spüren, wie sich die Gesichtsmuskeln des Liegenden langsam entkrampften, „Als Mokuba geboren wurde, war ich fünf Jahre alt. Ich weiß noch, dass ich mich sehr gefreut habe ein Geschwisterchen zu bekommen, aber ich habe Mamas Bauch immer doof gefunden. Ich konnte sie gar nicht mehr umarmen.“, er schnaufte leise, „Sie starb kurze Zeit nach der Geburt, ich habe sie also nicht wieder aus dem Krankenhaus kommen sehen. Krankenhäuser sind für mich Totenhäuser. Die Einstellung habe ich bis heute.“ Kaiba musste sie wirklich noch mehr hassen, als er selber es tat. Und er hatte nicht einmal solch einen Grund. Nur Angst. Viel Angst… „Mein Vater sagte mir, sie sei ein Engel geworden und hätte uns Mokuba gegeben, damit wir nicht traurig um sie sind. Und darum war er alles für mich. Wir bekamen zwar ein Kindermädchen, aber die hat ihn gerade mal gefüttert und manchmal Windeln gewechselt. Ansonsten zog sie Mamas Klamotten an, las ihre Bücher oder sah fern. Vater bekam davon natürlich nie etwas mit, er war schließlich auf Reisen. Ich war derjenige, der den ganzen Tag auf Mokuba aufpasste und mich um ihn kümmerte, wenn etwas war. Ich habe mich einmal sogar selbstständig in den Terminkalender meines Vaters geschrieben – Schreiben konnte ich, seit ich drei war – und habe ihm dann gesagt, dass er die Kinderfrau ermahnen muss regelmäßig mit uns zum Arzt zu gehen. Sie hat Ärger bekommen und mich ab dann andauernd geohrfeigt, aber sie hat es getan. Wobei übrigens festgestellt wurde, dass Mokuba dringend geimpft werden musste.“, Kaiba hatte ab seinem fünften Lebensjahr Verantwortung für andere übernommen… fünf Jahre Kindheit? Katsuya unterdrückte ein Seufzen. „Ich schrieb die Einkaufszettel, putzte das Haus und meistens erledigte ich sogar die Einkäufe mit Mokuba in einer Tragetasche an meiner Brust, während diese Schnepfe zu Hause saß und Vaters Alkoholsammlung durchprobierte. Aber Vater wusste ja von nichts und ich dachte, das müsste so sein – Mama war ein Engel, also war ich die neue Mama. Schließlich konnte ich das besser als diese Frau.“ Kindliche Logik war eine grausame Logik, wenn es zu solchen Situationen kam. Katsuya erkannte es nur wieder. Es war immer und immer wieder dasselbe… „Vater hatte schließlich einen Autounfall, als ich gerade sieben geworden war. Mokuba konnte schon ordentlich laufen, doch im Endeffekt war er noch ein Baby. Eigentlich sollten wir zu Verwandten kommen, doch uns wollte keiner. Es stellte sich heraus, dass mein Vater einige Familienmitglieder um Geld betrogen hatte und da er selbst in Schulden stand, blieb auch nichts, was man dafür bekommen hätte uns zu nehmen. Also kamen wir ins Waisenhaus. Erster Abschnitt meines Lebens rum.“ Katsuya lief eine Träne über die Wange. Kaibas Ton war kalt. So unglaublich kalt. „Den Teil danach habe ich dir größtenteils schon erzählt. Mokuba war und blieb mein Ein und Alles. Ich hatte ihn damals ungern bei der Frau gelassen, aber ich wusste, es war nötig. Die Erzieherin im Waisenhaus war für mich ungewöhnlich nett und ich vertraute ihr schnell, sodass ich ihn bei ihr lassen konnte. Na ja, nachdem Mokuba in der Lage war ohne Tobsuchtsanfall ohne mich zu bleiben. Ich lernte wie ein Besessener, weil ich wusste, dass man nur mit hoher Bildung einen guten Job bekam, nicht nur weil mir langweilig war. Ich hätte mich auch stundenlang mit meinem Bruder beschäftigen können - das tat ich auch, so ist es nicht. Schule, Lernen, Bruder, Schlafen. Vier Jahre dasselbe Programm. Ich war in der Zeit schon sehr kalt geworden, denn ich hatte begonnen Erwachsene zu hassen. Weil ich ein Genie war, wollte mich jeder haben. Aber sobald ich mich weigerte ohne meinen Bruder zu gehen, haben mich alle stehen gelassen. Also ersann ich einen Plan.“, Kaiba atmete tief durch, „Ich kannte Gozaburo Kaiba aus dem Fernsehen. Er war Schachweltmeister, erfolgreicher Unternehmer in der Rüstungsindustrie und nach außen hin ein Wohltäter. Um sein Image zu polieren, besuchte er solche Orte wie Krankenhäuser, Armenküchen und natürlich auch Waisenhäuser. Als er unseres besuchte, war mein Plan gefasst. Ich blockierte den Flur, als er bei uns vorbeikam und forderte ihn zu einer Partie Schach heraus mit der Bedingung uns zu adoptieren, wenn er verlor.“ Wie verzweifelt musste ein zehnjähriges Kind sein solch einen Plan zu fassen? War es nur für seinen Bruder gewesen? „Der Alte bemerkte es nicht, aber ich habe einmal während des Spiels geschummelt. Mokuba war bis jetzt der einzige, der je davon wusste. Ein kleines, helles Kerlchen, er sah, was Gozaburo übersah. Zumindest verlor er auf diese Weise und dem Versprechen zufolge wurden wir adoptiert. Was ich nicht wusste, war, dass sein leiblicher Sohn Noah vor kurzem einen Unfall gehabt hatte – ebenfalls ein Autounfall. Gozaburo eröffnete mir die Möglichkeit seine Stelle zu übernehmen und das Unternehmen zu erben, wenn ich mich als klug genug herausstellte. Vielleicht kannst du verstehen, dass ich Feuer und Flamme war.“ „Ich kann.“, flüsterte Katsuya lächelnd, „Ihre große Chance.“ „Ich stimmte zu. Und bei allen Göttern – neben dem, was ich Mokuba später antat, war das der größte Fehler meines Lebens.“, zischte der Größere bitter. „Was sie Mokuba antaten?“ „Dazu komme ich später…“, er atmete tief durch – seine Stimme klang weniger kalt, doch fester, „Zu dieser Zeit wurde Mokuba ziemlich verhätschelt. Jedes Spielzeug, was er sich wünschte, bekam er, er durfte zu einer normalen Schule gehen und hatte ein nettes Kindermädchen.“, er seufzte, „Aber wirklich glücklich war er nicht, denke ich. Ich war fast nie da und bis dahin die einzige Bezugsperson in seinem Leben gewesen. Ich verlernte zu sehen, was mein Bruder brauchte, wenn ich ihn als Belohnung einmal besuchen durfte.“ „Als Belohnung?“, fragte der Blonde nach. „Gozaburo war streng. Meistens lehrte er mich selbst. Nicht nur Sprachen, Naturwissenschaften und Wirtschaft – auch Unterwerfung. Ich trug ein Halsband, an dem er mich durch die Gegend schleifen konnte, wenn ich ihm zu langsam war und er benutzte erst Gerten, später Schlagstöcke für mich.“, Kaibas Stimme war wieder eisig geworden, was Katsuya ihm wahrlich nicht verübeln konnte, „Ich lernte von morgens bis nachts, meistens unter seiner persönlichen Aufsicht. Die Schlagwaffen waren dafür da mich zu bestrafen, wenn ich es nicht schnell genug tat. Und wenn ich gut lernte, bekam ich Essen, durfte meinen Bruder sehen oder für ein paar Minuten nach draußen. Und wenn ich mich auflehnte…“, er schluckte hörbar, „Dann kam ich in den Keller. Im Keller war ein Verlies. Es… war aus Stein. Und die Tür war aus Stahl. Es…“, eine zitternde Hand schaute unter der Decke hervor und Katsuya griff nach ihr und übte einen sanften Druck auf sie aus, „Man konnte darin stehen. Aber mehr auch nicht.“, Kaiba drückte nicht zurück, doch er zog sie auch nicht weg, „Der Luftstrom reichte, um dort zwölf Stunden zu stehen, bevor… bevor es zu stickig wurde und… ich bewusstlos.“ „Wie lange hat er sie dort gelassen?“, fragte der Jüngere ruhig nach und zeichnete mit seinem Daumen Kreise auf den Handrücken. „Zwischen acht und mehr als zwölf Stunden.“, hauchte der Liegende. „Hatte er noch andere Strafen?“ „Das eine Mal mit den Halluzinogenen. Ein anderes Mal war ich in seinem Labor. Er hat mich wach gehalten… mit Elektroschocks.“, die Hand krallte sich schmerzhaft um Katsuyas Fingerspitzen, „Aber beides nur einmal. Und als ich in die Öffentlichkeit ging, bekam ich auch genug zu essen. Wirklich gehungert habe ich sowieso nie…“ „Dafür hat er sie geschlagen, oder?“, zumindest hatte er das aus seinen Worten und seinem Verhalten letztens schließen können. „Manchmal.“, der Blonde ließ seine Finger von der gelockerten Hand über den Arm zurück ins Kaibas Haarschopf gleiten, „Meist hat er gekniffen. Es tat mehr weh und hinterließ weniger Schaden an den Knochen.“ „Warum hat er ihnen all das angetan?“, flüsterte er. „Ich… ich denke, ich war ihm nicht schlau genug…“, murmelte der Brünette. „Sie denken, sie seien Schuld, dass der Mistkerl ihnen das angetan hat?“ „Was sonst?“, er drehte sich auf seinen Rücken und sah kurz zu Katsuya auf, „Mit Mokuba und Noah ist er gut umgegangen.“ „Aber sie waren der Erbe. Anscheinend hat er in sie ganz andere Erwartungen gesetzt.“ „Vorher war Noah der Erbe.“, argumentierte der Ältere dagegen. „Warum war er es nicht mehr?“, vielleicht war er mit Noah doch so umgegangen und er hatte es nur nie gesagt und Noah hatte sich als nutzlos bewiesen… vielleicht. „Er hatte durch den Unfall eine Fraktur im unteren Lendenwirbelbereich erlitten. Diagnose Querschnittslähmung.“, Kaibas Oberkörper sackte schlaff in sich zusammen, „Sonst wäre ich wohl auch nie adoptiert worden.“ „Vielleicht hat ihr Adoptivvater ja auch seine ganze Frustration darüber an ihnen ausgelassen.“, Katsuya strich zärtlich die Strähnen aus dessen Gesicht, „Ich denke zumindest nicht, dass es ihre Schuld ist.“ „Und wie willst du das beurteilen?“, schnappte der Ältere zurück. Der Blonde hielt in seiner Bewegung inne, atmete einmal durch und zog seine Hand zurück. „Tut… tut mir Leid… ich weiß im Prinzip, dass nicht ich es Schuld bin… aber ich kann es einfach nicht glauben. Wenn du immer nur gesagt kriegst, wie dumm du bist, dann glaubst du es einfach… sonst könntest du nicht überleben.“ „Schon gut.“, flüsterte er sanft und strich mit einem Finger über Kaibas Wange, „Ich weiß schon… es ist schwer sich von seinen Vorstellungen zu lösen…“ Der Liegende drückte seinen Kopf gegen die wohltuende Hand. „Wie ging es mit ihnen weiter?“, fragte Katsuya einige Momente später. Er wollte die ganze Geschichte. Er wollte alles. Er würde Kaiba nie wirklich helfen können, wenn er nicht wusste, mit was er zu rechnen hatte. Er musste es wissen. „Ich wurde auf die Weltwirtschaft losgelassen.“, fuhr der Brünette fort, „Zu meinem Geburtstag bekam ich eine Millionen mit der Aufgabe es in einem Jahr zu verzehnfachen. Ich kaufte einundfünfzig Prozent der Aktien eines guten Unternehmens damit und drohte dann es zu schließen, wenn ich keine Zahlung von zehn Millionen erhielt. Die Firma war perfekt. Menschenfreundlich, sozial, ein seniler, freundlicher Dummkopf als Chef. Er musste einwilligen. Ich ruinierte ihn und erhielt die zehn Millionen – eine Woche und ich hatte bestanden. Und Gozaburo beging den größten Fehler seines Lebens: Er schenkte mir das Geld.“, ein Lächeln legte sich auf Kaibas Lippen – doch es wirkte so kalt, wie sein Blick es war, den er auf die Wand richtete, „Ein halbes Jahr und ich hatte genug Aktien, um zusammen mit dem Vorstand die Kaiba Corp zu übernehmen. Gozaburo stürzte sich aus dem dreiundachtzigsten Stock. Ich kaufte seine Aktien auf, ich ließ seine Rüstungsindustrie sprengen und… als ich Mokuba wieder sah… da tat ich das einzige, was mir richtig erschien mit der Firma…“, er atmete tief ein. „Was hat ihr Herz ihnen gesagt?“, gab der Blonde ihm einen sanften verbalen Anstoß. „Spielzeug. Ich wollte Spielzeug herstellen. Und überall Freizeitparks bauen, damit Kinder nicht traurig sein müssen.“, flüsterte der Drache kleinlaut und zog den Kopf etwas ein. Katsuya blinzelte, lächelte, ließ seine Hand weiter durch die Haare des Liegenden fahren. Das war so unglaublich… unglaublich. Das war so… Kaiba. Einfach Kaiba. Unnatürlich, bizarr und… niedlich? Konnte man das sagen? Eine Art Messer fuhr durch sein Herz und hinterließ einen dumpfen Schmerz. Spielzeug. Kaiba wollte Spielzeug. Die Bernsteinaugen bohrten ihren Blick in den Hinterkopf. Kaiba hatte nie Spielzeug gehabt, seit er fünf Jahre gewesen war. Ein Kind, das fast nie gespielt hatte, wollte… Spielzeug… Die blausilbernen Seelenspiegel drehten sich zu ihm. „Du weinst?“, fragte der Ältere und Katsuya musste ein Schluchzen unterdrücken. Da war so viel Schmerz. So unglaublich viel Schmerz in diesen Augen. In dieser Seele, die unablässig nach Liebe schrie und dafür nichts als physische und psychische Schläge erhalten hatte. Und Mord war der Ausweg gewesen. Kaltblütiger, geplanter Mord für… Spielzeug. „Mokuba hat auch geweint, als ich es ihm sagte.“, Kaibas Unterlippe bebte, die Augen schimmerten im zarten Tageslicht, dass durch die Fenster fiel, „Er hat es gewusst, von Anfang an. Er hat gewusst, dass ich es für ihn getan habe. Dass ich es für ihn ertragen habe. Er hat gewusst, was mir angetan wurde, während er glücklich war. Er hat nie um Vergebung gebeten, aber die Schuld hat ihn aufgefressen. Und ich konnte ihm nicht helfen.“, er schüttelte den Kopf, wobei sich sein Blick in der Ferne zu verlieren schien, „Ich hatte verlernt zu hören. Zu verstehen. Zu fühlen. Ich war taub geworden.“ Katsuya strich ihm die vereinzelte Träne von der Wange, die sich von seinen geschwungenen Wimpern gelöst hatte. Was war schon Schmerz? Wirklich schmerzhaft war nur das Nichts. Das Nichts, das einen auffraß, weil man den Schmerz der Welt nicht spüren konnte. Es war der Schmerz, den diese Welt brauchte, um nicht ins Nichts zu sinken. Das Nichts, welches Kaiba zerfressen hatte. Das Nichts, welches ihn zerfressen hatte. Das Nichts, das wahrer Schmerz war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)