Elementary Angels von KizuYukiha (Trilogie - Staffel 3) ================================================================================ Kapitel 2: Ankunft ------------------ Kapitel 2 ~ Ankunft ~ Raik Coldfire ~ Eine ganze Weile beobachtete ich Hailey, wie sie geistesabwesend aus dem Fenster starrte. Sie war meine beste Freundin, ich kümmerte mich um sie, obwohl ich mit meinen 24 Jahren sicherlich Anderes zu tun hatte. Ich hatte zwar nicht miterlebt, was damals geschehen war, doch ich wusste, dass Hailey psychisch zerbrochen war. Sie lachte nie, die war nie fröhlich und verschloss sich vor allen Anderen. Und ich wusste, es gab nur einen Grund, warum ich der einzige war, mit dem sie halbwegs normal redete. Es lag an meinem Aussehen... An meiner Herkunft. Während ich ihr Tee machte, guckte ich in den Spiegel, der in der Küche hing. Hailey klammerte sich an mich weil ich aussah wie mein älterer Bruder Clyde. Er war wie ein Fluch, der auf meinen Schultern lastete. Es waren die selben Augen, die selben Haare, als wäre er nach seinem Tod zurück gekommen in Form von mir. Doch ich war nicht Clyde, ich war Raik und hatte mein eigenes Leben, meinen eigenen Charakter. Manchmal hatte ich Angst ich würde mich selbst vergessen, wenn jeder mich wie Clyde sehen würde. Nicht nur Hailey belastete mich täglich damit, nein. Die Meisten sagten mir immer wieder wie ähnlich ich ihm sehen würde. Würde er in diesem Moment vor mir stehen, würde ich ihm wahrscheinlich die Visage polieren. Doch er konnte ja auch nichts dazu. Er kannte mich ja nicht und ich ihn ebenso wenig. Manchmal fragte ich mich, wie alles gekommen wäre, wenn er noch Leben würde. Aus den Erzählungen der Anderen und der Fotos von ihm, konnte ich ihn mir gut vorstellen. Wir würden uns sicher gut verstehen. Doch alles ist so gekommen wie es nunmal ist und es belastete mich. Vor einigen Jahren, als ich noch siebzehn war, startete ich erfolgreich in der Musikbranche durch. Ich verdiente viel Geld und viele Leute jubelten mir hinterher. Mir, Raik und nicht dem, den alle Anderen in mir sahen. Doch ich sah Hailey's Trauer und ihre Einsamkeit. Ich tauschte meinen Ruhm und mein Geld gegen ihre Anwesenheit. Wenn ich bei ihr war, wirkte sie zumindest ansatzweise glücklich. Durch unsere Art als Assistants alterten wir nicht. Ich wusste, ich würde für immer so aussehen. Meine Haare würden nie grau werden und ich würde auch keine Falten bekommen. Genauso wie Hailey, die zwar wesentlich älter war als ich, jedoch aussah, als wäre sie gerade ein Jahr älter als ich. Zwar beherrschten Trauer und Müdigkeit ihr Gesicht, doch sie sah immernoch hübsch aus. Oh ja, sehr hübsch. Wäre sie glücklich, dann wäre sie wohl eine wunderschöne Frau. Ich wusste, warum Clyde sie ausgesucht hatte als seine Frau. Und wenn sie mal nicht von Trauer geprägt war, dann war sie warmherzig, besorgt und fürsorglich. Wieder ertappte ich mich dabei, wie frustriert ich war, weil ich mich dagegen wehrte Gefühle für sie zu entwickeln und doch immer wieder scheiterte. Wie gerne würde ich sie aus ihrem Trauersumpf ziehen und sie als glückliche Frau kennen lernen. Doch ob dies jemals passieren würde? Wahrscheinlich könnte niemand ihr dabei helfen. Sie vergrub sich viel zu sehr in ihrer Trauer. Sie war so vertieft in ihre Gedanken, dass sie nicht merkte, wie ich ihr die Tasse Tee brachte, die sie brauchte um Kraft zu tanken. Ich musste ihr immer ihr Essen und Trinken aufzwängen. Sie war so schwach und mager... Dunkle Augenringe zeichneten ihre Augen. „Hail, du musst was trinken.“ „Ob er in der Ewigkeit an uns denkt?“, fragte sie abwesend und starrte in den Himmel. Ich verdrehte die Augen: „Ja, bestimmt. Dein Tee!“ „Oh, du hast mir Tee gemacht, danke.“ Sie bemerkte ihn erst jetzt und trank langsam und erneut abwesend davon. Wieso nahm ich diese Bürde nur auf mich. Als ich in den Fernseher guckte, sah ich die Werbung des neuen Musikvideos von Ayane, meiner Zwillingsschwester. Sie hielt sich nicht an den Gefühlen anderer Menschen auf und konzentrierte sich nur auf sich selbst. Würde ich das nur auch können... Genau wie ich startete sie ihre Karriere in der Musikbranche. Wir waren schon seit unsrer Kindheit mit guten Stimmen gesegnet und hatten ein ordentliches Musiktalent. Ayane schwamm in ihrem Geld. Ihr ging es gut... Und ich wusste bald nicht mehr wie ich überhaupt noch die Miete bezahlen sollte, für die Wohnung in der ich mit Hailey wohnte um sie besser unterstützen zu können. Plötzlich klingelte das Telefon. Nichtmal das bemerkte die hübsche Blondine in ihrer Trance. Genervt ging ich an den Hörer und erschrak als ich die Stimme unseres Vermieters hörte. Er klang wütend und keifte ins Telefon. „Herr Coldfire!!! Wenn ich diesen Monat wieder nicht die volle Miete bekomme, dann klage ich Sie aus dieser Wohnung heraus!!! Ich habe bereits beide Augen zugedrückt, aber das geht so nicht weiter! Die volle Miete!!!“ „Ja, ich bin ja auf Arbeitssuche! Bitte, haben Sie noch etwas Geduld! In einem Monat ist Weihnachten, da können Sie uns doch nicht auf die Straße setzen!“ „Doch, das kann ich! Ich komme in fünfzehn Tagen vorbei um das Geld abzuholen! Am 1.12.! Am besten markieren Sie sich das im Kalender! Bis bald, einen schönen Tag noch!“ „Ja, Tschüss...“ Einen schönen Tag noch... Tzz. Arschloch! Wütend und verzweifelt setzte ich mich wieder auf das Sofa und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Wie soll ich so schnell einen Job bekommen um die Miete zu zahlen!? An meine Familie wollte ich mich nicht wenden. Ma und Dad hatten sich in die Karibik verzogen um dort eine eigene Strandbar zu eröffnen und die geschehenen Dinge zu verarbeiten. Sie wollte ich nicht mit meinen Problemen belasten. Und meine Geschwister mussten auch zusehen wie sie zurecht kamen. Ayane wäre die Letzte, die ich um Geld bitten würde. „Wer war das? Was ist los?“, fragte Hailey ruhig und müde. In ihrem Zustand könnte ich ihr unmöglich davon erzählen. Ich müsste es irgendwie alleine schaffen. „Das war Ayane, die mich angerufen hat um mit ihren Verkaufszahlen anzugeben“, log ich während diese beschissene Werbung erneut im Fernseher lief. Am liebsten hätte ich irgendwas genommen und es in den Bildschirm geschleudert, doch dazu war das Gerät auch wieder zu teuer. „Du möchtest wieder etwas tun. Mit singen und tanzen dein Geld verdienen. Das kann ich verstehen, du musst dir keine Sorgen um mich machen. Raik, ich sehe doch deine Blicke, wenn du Ayane im TV siehst. Du würdest auch gerne wieder dort stehen. Du musst dich nicht um mich kümmern als wäre ich eine alte Frau, die alleine nicht mal mehr duschen gehen kann.“ Irgendwie freute ich mich diese Worte von ihr zu hören und für einen Moment motivierte es mich bei der Agentur anzurufen und wieder um Aufträge zu bitten. „Wenn du das so siehst, dann geh ich gleich Anrufen!“ „Ja, tu das!“, antwortete sie mit einem verständnisvollen Lächeln. Gedankenlos sprang ich in den Flur zum Telefon, ehe mir einfiel, dass ich die Nummer gar nicht mehr kannte und sie in irgendeinem Notizbuch aufgeschrieben hatte. Nur einen Moment war ich weg und schon sah ich, wie Hailey weinend auf dem Sofa saß. Wie konnte ich auch davon ausgehen, dass sie es gut finden würde, wenn ich ginge. Natürlich wollte sie nicht alleine sein. Wenn ich erstmal wieder im Musikgeschäft wäre, dann würde ich nur alle paar Monate mal nach Hause kommen. Das wäre für sie wohl als würde ihr Clyde sie jedes mal aufs Neue alleine lassen. Ich kannte ihre Gedanken inzwischen gut und es war sehr wahrscheinlich, dass sie das so betrachtete. Während ich sie weinend da sitzen sah, fiel mir etwas ein, das sie vor einigen Monaten einmal brachte. Es war schon spät morgens und ich wollte sie wecken. Und als sie mich verschlafen anblickte, lächelte sie und sagte: „Clyde, du bist zurück gekommen...“ Umso enttäuschter und trauriger war sie, als dann „nur“ ich vor ihr stand. Doch ich wollte nicht auf sie wütend sein. Bei ihrem Anblick strich ich die Idee, bei der Agentur anzurufen, aus meinem Kopf. Ich könnte sie so nicht zurücklassen, doch sie wurde mir zu viel. Ich konnte langsam damit nicht mehr umgehen. Sie war anstrengend, doch ich liebte sie leider... Eine dumme Liebe, dumme Gedanken, denn sie würde mir niemals geben, was ich mir ersehnte. Niemals... Denn sie sah in mir nur Clyde, den sie so liebt und vermisst. Ich war ratlos und wusste nicht mehr weiter. Am besten wäre es, ich würde diese Gefühle schnell loswerden! „Hail, ich geh kurz zu Tam!“, rief ich ins Wohnzimmer und ließ sie mit einem schlechten Gefühl alleine. Ich musste etwas Abstand bekommen und an die frische Luft. Dabei würde mir Tam helfen. Maiko's Tochter und meine andere beste Freundin, die erst vor einigen Jahren aus Russland zurück kam um ihren Vater wiederzusehen. Ihre Mutter und Oma hatten sie als kleines Kind mitgenommen, doch ihr gefiel es dort nicht. Tam freute sich immer, wenn ich zu Besuch kam. In den letzten Tagen hatte ich nur wenig Kontakt mit ihr, denn ich wollte ihr nicht weiter weh tun. Ich wusste, dass sie mehr von mir wollte und ich wusste wie es sich anfühlte, wenn man derartige Gefühle nicht zurück bekam. Doch heute wollte ich sie mal wieder besuchen. Ich redete mir ein, dass ich Hailey vielleicht aus meinem Kopf bekäme, wenn ich Tam nicht so abblocken würde. Würde ich mich erstmal auf sie einlassen, würde sich vielleicht etwas an meinen Gefühlen ändern. Ich hoffte, es würde funktionieren. Mit einer freudigen Umarmung empfing sie mich und nahm mich mit in ihr Wohnzimmer. Sie hatte eine eigene Wohnung. Mit 25 war sie ja immerhin auch alt genug dazu. „Raik, schön dich wieder zu sehen. Du siehst schlecht aus“, sagte die charmante Schwarzhaarige mit den braunen Augen zu mir. „Danke... Aber ich bin nicht gekommen um mich bei dir auszuheulen.“ „Nicht? Mir macht das nichts aus. Ich helfe dir gerne. Du weißt, dass ich gerne für dich da bin. Und wie du bereits auch weißt... Mit allem was ich zu bieten habe.“ „Ich weiß, Tam. Es tut mir leid, dass ich dich bisher immer enttäuschen musste.“ Sie nahm meine Hände und lächelte: „Du kannst nicht ewig Babysitter für diese Frau spielen. Ich verstehe, dass es ihr schlecht geht, aber es ist nicht deine Aufgabe. Sie sollte in ein Heim für psychisch kranke Menschen.“ Ihre Worte verletzten mich etwas. „Sag das nicht. So schlimm steht es nun auch nicht um sie.“ Und doch wusste ich, dass Tam eigentlich recht hatte und ich Hailey nicht in Schutz nehmen sollte. Wieder lächelte Tam und ließ meine Hände los. „Magst du etwas trinken? Etwas Whiskey?“ „Meinetwegen.“ Ich setzte mich auf ihr Sofa und beobachtete sie, wie sie uns zwei Gläser einschenkte. Bei ihr würde es mir so viel besser gehen. Doch ich entschied mich schon so lange für den schwierigeren Weg. Skeptisch musterte sie mich, als sie sich zu mir setzte und wir mit unseren Gläsern anstießen. „Möchtest du hier schlafen? Warum kümmern sich nicht die Anderen einmal um sie?“ „Weil sie alle Anderen meidet.“ „Das ist ihr Problem. Du bist jung und so hübsch. Warum verschwendest du dich an sie?“ „Wahrscheinlich weil ich dumm bin und nichts aus meinem Leben mache...“ Erneut kippte ich ein Glas herunter und je mehr Stunden ins Land zogen, desto größer wurden die Mengen, die ich trank, bis ich schließlich komplett aus der Flasche trank und mich volllaufen ließ. „Willst du wirklich nicht hier schlafen?“, fragte Tam, die schon etwas müde wirkte. „Mein Gott, es kotzt mich so an... Immer nur brav Tee machen und aufpassen, Psychiater spielen... Mein scheiß Leben, meine scheiß Schulden... Alles Scheiße!“, beschwerte ich mich und merkte wie mir meine Worte nicht mehr so folgen wollten, wie ich es eigentlich vorsah. Der Alkohol machte mich wütend und depressiv. Ungeplant stand ich auf und schmetterte die Flasche zu Boden. Sie zerschellte in tausend Scherben. Tam musterte mich erschrocken mit großen beängstigten Augen, als ich zu ihr herabsah. „Ich will Geld, ich will ne Frau... Verdammt, ich will endlich mal wieder Sex!“ Ich konnte mich kaum auf meinen Beinen halten. Tam stand auf und scheuerte mir eine: „Den Dreck machst du morgen weg! Geld hab ich selbst keins, aber ich kann dir eine gute Frau sein und dir guten Sex geben....“ Ich brauchte nicht zu antworten, da hatte sie mich schon auf ihr Sofa geschubst und zog mich aus. Zu schade, dass ich nicht mit klarem Verstand mitbekam, wie es sich anfühlte... Doch ich wusste zumindest, dass ich kaum genug bekommen konnte und ihre Berührungen genoss. Sie stöhnte laut, als wir uns rhythmisch zusammen bewegten. Schnell und energisch... „Gib mir mehr... Bleib für immer bei mir...“, keuchte sie erregt und griff mit ihren Händen in meine Haare. Ich antwortete nicht. Im Vollrausch hätte ich sowieso gelogen. Ich hätte ihr gesagt, dass ich bei ihr bleiben würde. Nachdem wir beide gekommen waren kuschelte sie sich an mich und seufzte zufrieden. „Ich liebe dich, Raik.“ „Ich dich auch... Irgendwie...“ Dann fielen mir die Augen zu. Ich hatte geahnt, dass ich am nächsten Morgen alles bereuen würde. Mein Schädel klopfte heftig und ich rieb mir die Schläfen, was absolut nichts brachte. Als ich nach oben schaute, stand Tam schon angezogen und fröhlich vor mir. „Die letzte Nacht war so schön... Du warst wie ein Raubtier, das ausgehungert nach Fleisch suchte.“ „Haha... Ja, ich fühlte mich auch ausgehungert. Oh Gott, dieser Scherbenhaufen... War ich das?“ „Ja und du hast gesagt, du räumst es heute weg, mein Schatz. Möchtest du etwas essen?“ „Ja, eine Kopfschmerztablette. Die Stärkste, die du zu bieten hast.“ Sie wanderte wieder in die Küche und ich beobachtete den Scherbenhaufen. Ich erinnerte mich wie ich die Flasche zu Boden schlug und förmlich um Sex flehte. Wie peinlich... Im Fernseher lief schon wieder die Werbung von Ayane. Sie hatte jedes mal die selbe Wirkung auf mich. Sie machte mich aggressiv. Müde ließ ich mich zurückfallen und seufzte laut. Wie Hailey die Nacht ohne mich wohl verkraftet hatte? Vielleicht sollte ich sie ganz verlassen und hier bleiben. Hier gab es guten Sex... Ich lachte leise und musste grinsen. Was für ein Arschloch ich war. Tam kam mit einer Tablette, etwas zu Essen und einem Kaffee zurück. Glücklich setzte sie sich neben mich. „Bald geht es dir besser. Ich könnte dich richtig verwöhnen.“ „Wieso?“ „Dummerchen. Ich liebe dich, ich verwöhne dich gerne. Wir könnten nochmal miteinander schlafen, wenn du aufgegessen hast.“ „Du verlangst Sachen von mir...“ „Tut mir leid, ich habe Blut geleckt, jetzt möchte ich mehr.“ „Das überlege ich mir noch.“ Auf was hatte ich mich nur eingelassen? Abwesend blickte ich zum Fernseher und traf eine Entscheidung. Nein, eher zwei Entscheidungen. Zum Ersten würde ich gleich nochmal über diese sexy Frau herfallen und zum Anderen würde ich heute in der Agentur anrufen um einen Job zu bekommen. Um weg zu kommen von Hailey und von Tam. Ich brauchte Abstand – von Beiden. ~ Juline Coldfire ~ Es schien, als hätte ich von meiner Reise durch das Weltentor mein Bewusstsein verloren. Ich hatte Sand im Mund, als ich wieder aufwachte. Hustend und spuckend versuchte ich ihn wieder weg zu bekommen und war so genervt, dass ich gar nicht mitbekam, wo ich überhaupt war. Dieser Tag brachte nur Pech mit sich! Er hat sie alle getötet... Wieder erschien dieses Bild vor meinen Augen. Wie Chamuel von oben herab glitt und meiner Mutter fein säuberlich das Messer durch die Brust schlug. Ihr leerer Blick... Das viele Blut. Dann Kite, der tot in dem Krater lag und Reeza, die wahrscheinlich in der Luft zu Staub zerfetzt wurde. Ich ging davon aus, dass er auch Aris und meinen Vater auf dem Gewissen hatte. Ich würde sie alle nie wieder sehen... „DU DUMMES ARSCHLOCH!!! WAS FÄLLT DIR ÜBERHAUPT EIN MEIN LEBEN ZU VERSAUEN!!!“, schrie ich laut und trat gegen eine Palme, wovon mir erneut der Fuß schmerzte. Zu oft hatte ich am Morgen gegen das Weltentor getreten. Moment mal! Eine Palme?! Erst jetzt beachtete ich meine Umgebung. Ich sah den Himmel, der mit grauen Wolken bedeckt war. Schade... Ich hätte ihn gerne zum ersten mal blau gesehen. Darunter lag das schier endlose Meer, das den Horizont kreuzte. Ich konnte es nicht fassen. Noch nie hatte ich so etwas real gesehen! So schnell meine Füße mich tragen konnten rannte ich zum Wasser und zog meine Schuhe aus um es zu spüren. Es fühlte sich anders an, als das Wasser mit dem ich mich immer badete. Es war kühl und der Wellengang schubste mich leicht im Rhythmus. Ich fand es so lustig, dass ich lachen musste und meine Hände hinein tauchte um sie schnell wieder nach oben zu reißen. Das spritzende Wasser meiner Hände tropfte auf mich herab und am liebsten hätte ich mich komplett hinein geworfen. Es war seltsam. Einerseits verspürte ich so viel Glück, doch gleichzeitig diese tiefe Trauer um die Familie, die mir so fehlte. Ich hätte das Meer heute Nacht kennen gelernt. Zusammen mit meinem Vater. Wir hätten zusammen gelacht und er wäre sicher mit mir schwimmen gegangen. Nun stand ich hier alleine, ohne ihn. Nur mit dem Wissen sie alle nie wieder zu sehen. Ich war nun auf der Erde, in der Welt, in der ich immer leben wollte. Die Welt, von der ich Tag und Nacht träumte. Was hatte sie jetzt noch für einen Wert? Ich hatte immerhin niemanden mehr, dem ich von meinem Glück erzählen konnte. Mit gesenktem Kopf setzte ich mich in den Sand, sodass die Wellen gerade noch meine Füße erreichten und fing an zu weinen. Der Himmel schien meine Gefühle zu teilen. Als der Regen in Strömen auf mich goss, fror ich und war vollends durchnässt. Da hätte ich auch gleich baden gehen können. Trotzdem blieb ich sitzen und suchte keinen Schutz vor dem Regen. Ich wusste sowieso nicht wohin. Dad sagte, ich sollte die Assistants, meine Familie suchen. Und Elohim... Doch wo würde meine Suche beginnen!? „Du solltest schnell ins Warme, bevor du dich noch zu Tode erfrierst“, sagte hinter mir eine Stimme, die wie meine Mutter klang. Mit Schwung drehte ich mich: „Mama!?!“ Doch ich war enttäuscht. Wie konnte ich auch glauben es wäre meine Mutter, wenn sie doch vor meinen Augen gestorben war. Stattdessen stand eine Frau vor mir, die ein Geist zu sein schien. Ich vermutete Sacred Feye. Sie ähnelte der Beschreibung, die meine Eltern mir gaben. Meine Mutter war tot und konnte somit den Geist des Monsters nicht mehr zurück halten. Nun stand diese Bestie vor mir und ich würde sie irgendwie bekämpfen, wenn es nötig wäre. „Was willst du!?“ „Oh, du fragst nicht wer ich bin? Deine Eltern haben dich anscheinend schon aufgeklärt.“ „Nochmal: Was willst du!? Eine falsche Bewegung und du bekommst meine Kräfte zu spüren, ob Geist oder nicht.“ „Ich sehe schon, du hast das Temperament deines Vaters. Feye hätte vor Angst gezittert, haha.“ „Lass meine Mutter aus dem Spiel!“ „Ich meine das nicht böse. Ich bin auf deiner Seite, mein Mädchen.“ „Nenn mir einen Grund, warum ich dir vertrauen sollte.“ Sie schritt langsam zu mir, während sie erklärend die Hand hob und selbstgefällig grinste. „Ja, du bist wirklich genau wie dein Vater. Den selben Satz hat er auch zu mir gesagt.“ „Er lebt!?“ „Ja, Aris auch. Sie sind gefangen in einem Kerker. Und die einzige Chance bist du. Ich werde dir helfen. Du hast keine Wahl.“ Eigentlich wollte ich sie angreifen, wenn sie auch nur einen Schritt näher käme, doch sie hatte recht. Ich musste mir anhören, was sie zu sagen hatte. Zur Not könnte ich sie immernoch angreifen. Ich wusste zwar nicht viel vom Kämpfen, doch Dad hatte mir einige Übungsstunden gegeben, damit ich meine Kräfte kontrollieren konnte. „Was hast du zu sagen? Wie willst du mir helfen?“ „Nun, ich kann nicht mehr lange bleiben, mein Geist ist geschwächt. Du solltest wissen, dass du hier am richtigen Ort bist für den Anfang deiner Suche. Und du solltest dich unauffällig verhalten. Habe keine Angst, auch wenn Chamuel bald mit Angriffen und seiner Suche nach dir beginnen sollte.“ „Ich habe keine Angst vor ihm. Mein Ziel ist es, Aris und Dad zu retten.“ „Versuchen wir es. Frage hier nach dem Namen Hiwatari, das wird dich zu deiner Familie führen.“ Ich merkte mir den Namen und sah zu wie Sacred Feye im Nichts verschwand. Hiwatari... Diesen Namen hatte meine Ma öfters in ihren Geschichten erwähnt. Ich raffte mich auf und putzte den Sand von meinen Knien, die rot angelaufen waren. Mein Körper tat weh. Doch nun gab es einen Hoffnungsschimmer. Dad und Aris lebten und ich würde für sie kämpfen. Ich erschrak als fast neben mir eine Frau stand, die ich gar nicht bemerkt hatte. Als ich ihre Aura erfühlte, bemerkte ich, dass sie ein völlig normaler Mensch war. Sie hatte braunrote Haare und blaue Augen, die mich besorgt anblickten. „Mädchen, was treibst du hier alleine im Regen? Ich bin Kate.“ „Juline...“, antwortete ich skeptisch und wusste nicht wie ich meinen Aufenthalt hier erklären sollte. Wie hätte ich ihr sagen sollen, dass ich aus dem Weltentor herab gefallen bin und mir den Schädel am Sand aufschlug!? Sie lächelte. Wahrscheinlich war sie Mutter, so ein Lächeln hatten nur Mütter. „Ich bin gerade auf dem Weg nach Hause. Der Regen hat mich überrascht. Wenn du magst, kannst du mitkommen bis es aufgehört hat zu regnen.“ „Wieso vertrauen Sie mir?“, fragte ich verwundert. „Naja, du siehst so niedlich und nett aus, dass ich mir kaum etwas Böses bei dir denke.“ „Danke, das ist sehr freundlich.“ Ihre freundliche Art und ihr Angebot mit zu ihr nach Hause zu kommen überraschten mich wirklich. Dad hatte immer erzählt, dass Menschen erbärmlich wären, egoistisch und niederträchtig. Sie würden nur an ihr eigenes Wohl denken und niemandem helfen. Aber die Ansichten meines Vaters waren auch nicht gerade überzeugend. Meine Mutter sprach besser von den Menschen. Schweigend lief ich neben der fremden Frau her und war froh, dass sie mich nicht mit weiteren Fragen in Schwierigkeiten brachte. Wenn sie wüsste wer ich wirklich bin... Es war nicht weit bis zu ihrem Haus. Schnell erkannte ich, dass sie recht wohlhabend war. Sie besaß ein großes Haus mit Meeresblick. Als wir in den warmen Hausflur kamen, gab sie mir erstmal ein Handtuch. „Schatz! Ich bin wieder zu Hause! Ich hab Besuch mitgebracht!“, rief sie und trocknete sich selbst ab. Einige Sekunden später kam ein blonder junger Mann mit gut gebautem Körper und blauen Augen zu uns. Strahlende blaue Augen... Ma erzählte mir einmal, dass sie einen Freund mit solchen Augen hatte. Nein, nicht nur einen. Zwei ihrer besten Freunde, hatten blaue Augen. Doch dieser hier hatte die blonden Haare, von denen sie mir auch erzählte. Seine Blicke waren schockiert, er ließ sogar seine Kaffeetasse fallen vor Entsetzen. Kate hielt inne und starrte ihren Mann verdutzt an: „Was ist, Schatz?“ Der Kerl kam hektisch zu mir gelaufen und legte seine Hände auf meine Wangen, ehe er mir in die Augen schaute. Verunsichert entriss ich mich und schnaufte kurz. „Was zur Hölle...“ „Feye?! Feye, bist du das?!“ „Oh mein Gott“, sagte seine Frau genervt und warf ihm vorwurfsvolle Blicke entgegen. Er ignorierte sie und starrte mich weiter an: „Bitte! Du siehst aus wie Feye!!! Bist du Feye!? Ich bin es, Jayden! Erinnerst du dich?“ „Jayden...“ „Schatz! Lass es gut sein! Und rede nie wieder von dieser Frau! Du hast es mir am Altar geschworen!!!“, sagte seine Frau nun wütender und knurrte leise. „Ich... Ich bin nicht Feye. Jayden... Du warst der beste Freund von Mama, oder?“ „Mama? Feye ist deine... Mutter?“ Kate schnaufte inzwischen laut und warf das Handtuch auf den Boden, ehe sie in ein anderes Zimmer ging und die Tür hinter sich zu schlug. Wir beide fuhren kurz zusammen, doch unsere Blicke trafen sich weiterhin. „Ja, Feye war meine Mutter.“ „War?! Ist sie tot!?“, fragte er und wurde blass. „Sie wurde heute ermordet“, erklärte ich mit gesenktem Kopf und musste meine Tränen zurückhalten. „Von Luzifer!? Dieses Schwein!!!“ „Mein Vater hat ihr nichts getan! Sie wurde von jemand Anderem ermordet!“ „Moment mal... Luzifer? Dein Vater? Okay... Oooookay, ganz ruhig... Es war ja naheliegend. Aber ich muss es... Erst verarbeiten...“ Er schnaufte kurz durch und lehnte sich mit dem Arm gegen die Wand. Seine Stirn legte er gegen seinen Arm. Ich ließ ihm diesen Moment. Wenn Ma seine beste Freundin war, dann trauerte er nun. Mit glasigen Augen nahm er mich in die Arme: „Erzähl mir was passiert ist.“ „Deine Frau hat mich zwar hierher eingeladen, aber ich glaube, sie ist nicht begeistert davon.“ „Sie hat ein Problem mit Feye, oder eher mit dem, was ich lange Zeit nach ihrer Abreise noch für sie empfand.“ „Oh...“ „Mach dir keine Sorgen. Komm herein, wärm dich auf. Magst du etwas essen oder trinken?“ „Trinken wäre gut.“ „Gibt es bei euch in der Hölle Kaffee?“ „Nein, da gibt es einiges nicht. Deswegen würde ich ihn gerne mal probieren.“ „Dieser Miese...“, knurrte Jayden, als ich ihm erzählte, was Chamuel mit meiner Familie angestellt hatte. „Und Luzifer konnte dich gerade noch so durch das Tor schieben?“ „Werfen... Ja, er hat mich gerettet.“ „Kaum zu glauben... Der alte Teufel...“ Ich genoss den Kaffee. Es war eines der kleinen Wunder, die ich noch entdecken wollte, solange ich hier war. Meine erste Aufgabe hatte ich erfüllt. Ich hatte Jayden gefunden. Mit ihm würde ich auch die Anderen finden. Wodurch ich auch auf das Thema kam. „Wo finde ich die anderen Assistants?“, fragte ich ihn neugierig. „Oh, die wohnen weiter weg. Sie leben in Orlando und ich bin vor einigen Jahren nach Florida gezogen wegen meinem Beruf.“ „Orlando... Florida... Habe ich schon gelesen. Wie komme ich dort hin?“ „Mit dem Flugzeug, aber darum kümmern wir uns morgen. Ich muss schauen wie ich das regeln kann, ich bin durch meinen Beruf nicht sehr flexibel.“ „Was arbeitest du denn?“ „Ich spiele Basketball.“ „Das ist doch kein Beruf“, antwortete ich verwirrt, weshalb er lachen musste. „Es gibt viele Berufe. Vielleicht lernst du noch welche kennen.“ „Schatz! Ihr habt jetzt genug geredet, bitte sie endlich zu gehen“, forderte Kate ihn wütend auf. Ich konnte nicht verstehen warum sie so abgeneigt war. „Nein, Kate. Du weißt was ich bin... Und sie ist Feye's Tochter. Sie ist praktisch so etwas wie unsere Königin und ich kann sie nicht rauswerfen.“ „Tzz!“ „Bitte, ich bleibe nicht lange und werde auch nichts schmutzig machen!“, beteuerte ich, doch sie beachtete mich nur mit Abneigung. Ich hatte mich wohl doch von ihrem ersten Eindruck getäuscht. Menschen waren doch egoistisch... „Schatz, ich kümmere mich morgen gleich darum, dass Juline nach Orlando kommt. Ich werde dir wohl kaum mit ihr fremdgehen!“ „Das hoffe ich...“ „Uärgs“, gab ich leise von mir, wovon er wieder lachen musste. Ich schlafe doch nicht mit dem Mann, mit dem meine Mutter mal was am Laufen hatte. Iiih. Mein erstes mal stellte ich mir nicht mit einem derart älteren Mann vor. Niemals! Auch wenn er aussah wie 25. Langsam musste ich gähnen. „Du kannst heute Nacht bei meiner Tochter im Zimmer schlafen. Es wird ihr zwar nicht gefallen, aber es ist ja nur für eine Nacht“, erklärte er. „Oh, du hast eine Tochter?“ „Ja, hehe. Sie ist siebzehn und etwas rebellisch. Ihr werdet euch schon verstehen.“ „Ich bin ja auch nur zum Schlafen hier.“ In dem Zimmer sah ich eine junge Blondine mit einem Buch auf ihrem Bett liegen. Sie starrte uns überrascht an. Sie sah sehr hübsch aus. Das Highlight ihrer blonden Haare war die eine schwarze Strähne, die sie über ihren Pony laufen hatte. Und ihre Augen waren die von Jayden. Kate hatte zwar auch blaue Augen, doch es war ein anderes Blau. Ihr Zimmer war groß, es standen zwei Betten darin. Sie hatte wohl oft Besuch von Freunden. Oder es war einfach nur da um Platz auszufüllen. Die gesamte Inneneinrichtung zeugte von Reichtum. Jayden verdiente sicherlich viel Geld mit seinem Sport. „Was gibt’s?“, fragte sie genervt. „Melody, das hier ist Juline, sie wird diese Nacht hier bleiben. Keine Sorge, morgen lasse ich mir etwas einfallen. Juline ist mit uns verwandt. Sie ist die Tochter meiner Nichte, also sei nett zu ihr.“ „Ist sie die Tochter von dieser Feye?“ „Ja, von genau dieser Feye, und trotzdem bist du nett zu ihr!“ „Ja, ist gut...“, antwortete sie mürrisch. Jayden schob mich noch in ihr Zimmer und schloss hinter mir die Tür. Kurz darauf konnte ich hören wie im Wohnzimmer ein Streit zwischen dem Ehepaar entfachte. „Das hast du ja super hingekriegt. Sie streiten sich nie, es sei denn es geht um deine dumme Mutter.“ „Ey, mach mich nicht so dumm an, was kann meine Ma dafür!? Sie ist heute gestorben und ihr habt nichts Besseres zu tun, als mich dafür dumm anzulabern!“ „Mein Beileid“, entgegnete sie trocken und musterte mich weiterhin abfällig, während ich mich auf das andere Bett setzte. Ich fühlte mich unwohl. Tiefe Trauer und Dunkelheit herrschten in mir. Ich war plötzlich so fern von meinem Leben, von meinen Liebsten. Diese Leute waren mir so fremd. Sie konnten mich nicht einmal leiden. Jayden akzeptierte mich, doch ich erkannte wie mein Anblick ihn schmerzte. Die ganze Welt war mir fremd. Wie sollte ich so ein Auge zu bekommen? Und nun lag ich bei dieser Zicke im Zimmer, die mich wegen meiner toten Mutter verurteilte. Sie schaffte es nicht ihre Blicke abzuwenden, was mich aggressiv werden ließ. „Boah, hab ich nen Pickel am Kopf oder so!?“ „Gott, du bist so gereizt.“ „Was hab ich dir getan, dass du mich so anguckst!?“ Sie schnaufte und richtete sich auf, ehe sie mich mit wütenden Blicken anguckte: „Deine Mutter war es, die meinem Dad das Herz gebrochen hat! Dein Vater war es, der meinen Dad schlimme Dinge tun ließ! Luzifer, das Schwein hat alle gequält! Er wollte sie töten! Und sowas ist dein Vater! Wahrscheinlich bist du nicht besser. Sie vertrauen dir, doch wer sagt, dass du nicht mit den selben Absichten wie dein Vater hierher gekommen bist!?“ „Willst du damit sagen, ich hätte sonst nichts zu tun wie nach dem Tod meiner Mutter auf die Erde zu kommen um euch das Licht auszupusten!?“ „So sieht es aus! Ihr habt doch sowieso keine Gefühle! Ihr aus der Dunkelheit!“ Am liebsten hätte ich ihr eine reingehauen, doch das würde ihren Glauben nur bestärken. Ich sagte dazu nichts mehr und drehte mich mit dem Rücken zu ihr, als ich mich hingelegt hatte. Die brennenden Tränen in meinen müden Augen, die Bilder in meinem Kopf und der Lärm des streitenden Paares hielten mich noch lange vom Schlafen ab. ~ Kapitel 2 ~ Ankunft ~ Ende ~ Fortsetzung folgt ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)