Dear Junk von RedSky (Kazzy's Vorgeschichte) ================================================================================ Kapitel 28: X ------------- Lucifer stand gerade in einem Getränkeshop und wollte sich zwei kleine Flaschen Limonade kaufen, als die Stimme des Nachrichtensprechers aus dem Radio ihre Aufmerksamkeit einfing: “...ist der Seouler Polizei durch erfolgreiche Ermittlungen wieder mal ein Schlag gegen die anhaltende Bandenkriminalität gelungen. Der Siebzehnjährige, der vermutlich der Kopf einer größeren Bande ist, die vergangenen Mittwoch eine Tankstelle überfallen hat, konnte in seiner Wohnung überwältigt und festgenommen werden. Nach den weiteren Mitgliedern wird derzeitig noch gefahndet, aber die Polizei geht davon aus, die nötigen Informationen für deren Festnahme in Kürze zu erhalten.“ Joe. Sie hatten Joe. Lucifer ließ die Flaschen in ihrer Hand langsam sinken. Vergaß für einen Moment, dass sie damit eigentlich gerade zur Kasse gehen wollte. Die Nachricht hatte sie nun doch aus dem Konzept gebracht. Die Bullen hatten tatsächlich Joe. Obwohl sie irgendwie schon damit gerechnet hatte, nachdem sie ihn nirgendwo erreichen konnte und sie den Zustand seines Hauses gesehen hatte, hatte sie innerlich immer noch darauf gehofft, dass ihr Boss ihnen entkommen und einfach untergetaucht war. Aber dieses letzte Stückchen Hoffnung war nun auch zerstört. Genauso wie Snakebite. Die Gruppe brach auseinander. Die notwendigen Rahmenbedingungen waren nicht mehr gegeben. Lucifer hob ansatzweise ihren Kopf, der bei dieser Erkenntnis unwillkürlich nach unten gesunken war, und steuerte nun doch die Kasse an, um ihre Limonade zu bezahlen. Später an diesem Tag machte Lucifer doch noch zwei ihrer Kollegen ausfindig: In einer belebten Straße hatten es sich J und Sugizo auf einer Mauer gemütlich gemacht, rauchten, tranken Bier und Sugizo kaute zwischenzeitlich immer wieder auf seinem rosa Kaugummi herum. Lucifer gesellte sich sogleich zu ihnen. „Hey....habt ihr schon das mit Joe gehört?“ Die beiden Jungs sahen sie unwissend an. „Ne, was'n?“, wollte J wissen und stieß den Qualm seiner Zigarette aus Mund und Nase. „Sie ha'm ihn.“ „Ne.“ Die Stimme des Blonden war leise und von deutlicher Fassungslosigkeit begleitet. Lucifer nickte nur knapp, um ihre Aussage zu unterstreichen. „Shit...!“ J verdrehte entnervt die Augen. Noch mehr Stress! „Woher weißt du das?“, wollte Sugizo wissen. „War in den Nachrichten.“ Für eine Weile schwiegen alle Drei. Keiner von ihnen wusste, wie es nun weiter gehen sollte. Wie es weiter gehen konnte. Dass die alten Wege Geschichte waren, war allen klar. Aber wie man die neuen Wege nun beschreiten sollte, das wusste niemand. Snakebite war einmal so eine starke Gemeinschaft gewesen, jeder konnte sich auf jeden verlassen, niemand konnte sie auseinanderbringen und sie fühlten sich alle so unverwundbar. Aber die ersten Wunden hatten sie dann schließlich doch einstecken müssen, sie waren unausweichlich gewesen: Angefangen bei Inoran's Abschiebung, über Kyo's Entführung durch die gefürchteten Iron Killers bis hin zu Joe's Verhaftung. Snakebite hatte nicht einfach nur Risse bekommen; Snakebite war zerstört worden. „Man ey, und letzte Woche noch erst die Nummer bei der Tanke!“, meinte Sugizo und sein Blick schien etwas abwesend zu sein, obwohl seine Stimme höchst erregt war. „Und dann das mit Kyo – und wir haben ihn heile da raus gekriegt! Und jetzt? - Jetzt ist alles weg....wie weggepustet.....“ J musterte seinen Freund, gab ihm stillschweigend Recht. Lucifer schloss sich mit ihrem Schweigen an. Dann aber erhob sie noch einmal das Wort. „Hey...wisst ihr eigentlich, wo Kazzy ist?“ J wand seinen leicht erstaunten Blick vom einen Rotschopf zum Anderen. Es war das erste Mal, dass Lucifer sich nach ihrem Jüngsten erkundigte. Jedoch konnte er ihr auf diese Frage keine hilfreiche Antwort geben und zuckte nur mit den Schultern. „Seit wir bei dir raus sind, hab ich ihn nicht mehr gesehen.“ Zack. Da war es wieder, dieser leichte Anflug von schlechtem Gewissen. Man konnte es Lucifer vom Gesicht ablesen. Joe hatte dem Kleinen immer eine Chance gegeben, hatte ihn immer in die Gruppe integriert. Und er hätte sicher gewollt, dass sie sich zusammenriss und das Gleiche getan hätte. Womöglich hatte sie ihn nun mit dem Rausschmiss ins reinste Verderben befördert. Immerhin wurde Kazzy offiziell auch noch polizeilich gesucht. Und ohne Hilfe von Freunden – oder Leuten, die sich damit auskannten – war so ein zerbrechliches Kerlchen wie Kazzy mit seinen vierzehn Jahren völlig verloren in diesem Betonjungel aus Mord und Totschlag. „Vielleicht sucht er sich 'ne andere Gang“, durchschnitt Sugizo's Stimme plötzlich das Schweigen inmitten des lauten Stadtgetümmels. Und diese Möglichkeit, die er mit solch einer naiven aber geradlienigen Banalität ausgesprochen hatte, zog erst mal wieder die Blicke der beiden Anderen auf sich. Denn obwohl diese Möglichkeit eigentlich gar nicht ungewöhnlich und in der aktuellen Situation vielleicht sogar mehr als angebracht war, klang sie in J's und Lucifer's Ohren zunächst noch surreal. Waren sie doch noch dabei die Tatsache zu verdauen, dass es die Gemeinschaft, in der sie sich bis vor Kurzem noch so geschützt und zu Hause gefühlt hatten, nicht mehr gab, hatte Sugizo ganz offenbar weniger Probleme mit dieser Erkenntnis. Und er sollte mit seiner Vermutung in Bezug auf Kazzy sogar gar nicht mal so falsch liegen. Es fielen nur ein paar mickrige Lichtstrahlen durch die überwiegend zugenagelten Fenster in das Innere der ehemaligen Mietwohnung. Es musste schon lange her sein, dass hier jemand drin gewohnt hatte. Der Fußboden war übersät mit Schutt und Staub und die Wände waren nackter Stein. So verlassen, wie das alles hier wirkte, war es schon fast verwunderlich, dass man sich, durch das zur Seite schieben einiger Bretter im Eingangsbereich, so einfach Zutritt verschaffen konnte. Kazzy's Füße streiften durch den grauen Dreck, während seine Augen sich langsam an das schummrige Licht gewöhnten. Es war sicher kein Luxushotel, aber zum Schlafen erst einmal ausreichend. Besser als jede Park- oder Bahnhofsbank allemal. Hier war er zumindest geschützt. Glaubte er. Denn er ahnte noch nichts von dem Augenpaar, das ihn scharf im Blick hatte und aufmerksam beobachtete. Er hatte keine Ahnung davon, dass er nicht der Erste war, der diese vermeintlich verlassene Bude für ein ideales Versteck hielt, auch wenn Andere hier etwas anderes zu verstecken pflegten als ihre eigene Person. Kazzy wollte gerade den zweiten Raum betreten, als er aus dem Augenwinkel die rasche Bewegung eines Schattens wahr nahm – dann spürte er auch schon eine Hand auf seinen Mund und zwei starke Arme, die ihn fest im Griff hatten und an einen fremden, großen Körper pressten. „Wenn du schreist, bist du tot!“, hörte er in sein Ohr zischen. Kazzy atmete heftig durch die Nase, wagte aber keinerlei andere Laute von sich zu geben. Wer war sein Angreifer und wo kam Dieser so plötzlich her? Einer von den Iron Killers? Aber er hatte diese Stimme zuvor noch nie gehört... „Wie heißt du?“ Diese Frage unterbrach wieder Kazzy's kurzen Gedankenausflug und er spürte, wie sich die Hand langsam von seinem Mund löste. Er sollte Antworten, sagte ihm sein Verstand. Sein Angreifer verfügte zweifelsohne über einiges mehr an Körperkraft als er selbst und ihn unnötig in Rage zu versetzen könnte demnach schmerzhafte Folgen mit sich bringen. „Kazzy“, kam daher nach anfänglichem Zögern die gekeuchte Antwort. „Was machst du hier?“, fragte die Stimme weiter. Kazzy wurde mit dem Rücken gegen den Vorderkörper des Fremden gepresst und konnte ihn deshalb nicht sehen. „Ich such nur 'n Platz zum schlafen.“ Seine Stimme zitterte. „Erzähl keinen Scheiß...!“ „Doch, es ist aber wahr!“, versuchte sich der blonde Junge sogleich zu verteidigen. Was ging hier nur ab, dass dieser Ort scheinbar zu wichtig war um 'nen verirrten Jungen hier schlafen zu lassen? „Ich bin zu Hause rausgeflogen und such 'ne Bude.“ Er versuchte es auf die Tour. „Zu Hause rausgeflogen, hm...?“ Nun lockerte der Fremde endlich seinen Klammergriff, drehte den Jüngeren zu sich um, hielt ihn sogleich aber wieder sicher an den Schultern fest. Sein Blick verriet, dass er ihm nicht glaubte. „...abgehauen“, berichtigte er sich selbst und schaute dem Anderen sowohl mit Ehrfurcht als auch mit Neugier ins Gesicht. Er war hager, hatte feine Gesichtszüge und einen kalten Blick. Seine ungleichmäßig geschnittenen Haare waren gelbstichig blondiert und er trug zerschlissene Jeans- und Lederkleidung. So wie er selbst gemustert wurde, musterte der Fremde nun auch den Jüngeren. „Wie alt?“ „Fünfzehn.“ Wieder eine glatte Lüge. Aber Kazzy hatte durch die Erfahrungen mit Lucifer begriffen, dass es oftmals nicht gut war, 'zu jung' zu sein. „Und wie heißt du?“ Der Typ stellte eine ganze Menge Fragen. Würde er ihn einfach umbringen wollen, würde er ihn nicht vorher ausfragen. „Kazzy.“ Nun schwieg das hagere Gegenüber erst mal eine Weile. Er schien zu überlegen, während er seinen Fang weiterhin musterte. Für Kazzy war das nun eingetretene Schweigen und die damit verbundene Ungewissheit reine Folter. Zumal er den Typen noch immer nicht einschätzen konnte. So wie er aussah würde er drauf tippen, dass er auch irgendeiner Bande angehörte. Ein braver Student, der halbtags im elterlichen Betrieb aushalf, war er ganz bestimmt nicht! Nein, Bande schien schon die richtige Denkrichtung zu sein, war Kazzy der Meinung. Vielleicht war er sogar der Anführer einer Solchen. Mit diesem bohrenden, gefühlskalten Blick und der allgemeinen dominanten Präsenz hätte er zumindest gute Karten für solch eine Position. - War jetzt nur die Frage, ob das für ihn, Kazzy, so gut wäre, wenn der Typ das war, wofür er ihn hielt. „Sach ma', willst'e bei uns mitmachen?“ Die Frage durchbrach völlig unverhofft die eiserne Stille, in der Atmung und Herzschlag die einzigen Geräusche waren. Kazzy blinzelte. „Bei wem?“ „X.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)