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Dear Junk

Kazzy's Vorgeschichte
von

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Who had screamed?

Normalerweise wurde die große Lagerhalle zur Aufbewahrung von Eisenwaren verwendet, doch außerhalb der gängigen Betriebszeiten fand dieser Ort noch einen anderen Nutzen. Er diente gerne als Austauschpunkt von Waren wie Waffen oder Drogen – oder Geiseln. Die Iron Killers hatten sich schon vor längerer Zeit eigenmächtig Zutritt zu diesem Gebäude verschafft, indem sie sich ganz einfach Zweitschlüssel angefertigt hatten. Einer von ihnen war absoluter Schlüsselexperte und es war für ihn kein Problem, Schlüssel zu fälschen.

Heute Abend jedoch war Tag der offenen Tür: Die Killers boten ihren Feinden, den Snakebites, freien Eintritt, um Kyo gegen das geforderte Lösegeld auszutauschen.

Und so betraten fünf Jugendliche bald schon die scheinbar menschenleere Halle, dicht beieinander gehend und mit stets wachsamen Augen auf jede Ecke des riesigen Raums. Der Nervöseste von ihnen war, wie schon seit Tagen, Joe. Seine Unruhen ließen seit Kyo's Entführung einfach nicht nach und Lucifer hatte schon den Verdacht, dass ihr Boss eine verheerende Überdosis irgendwelcher Pillen genommen hatte, die eigentlich eine gegenteilige Wirkung auf ihn ausüben sollten. Sie hatte dadurch inzwischen schon unwillkürlich die Aufgabe als seine rechte Hand übernommen, da sie merkte, dass er alleine in seiner Position momentan der Gruppe mehr Schaden zufügen könnte als sie zu schützen. Ausgesprochen hatte sie ihre Beobachtungen natürlich nicht. Mit wem hätte sie auch schon darüber sprechen sollen? Sugizo war seit Inoran's Abschiebung halb apathisch in seiner eigenen kleinen Welt vertieft und J hatte alle Mühen damit, Sugizo in eben dieser Welt nicht zu verlieren. Kazzy – über Kazzy brauchte sie gar nicht erst nachdenken. Und Joe selbst ihre Vermutungen und Beobachtungen ins Gesicht sagen – das traute sie sich schlichtweg einfach nicht. Wer wusste schon, ob er nicht womöglich völlig überreagieren würde auf diese Vorwürfe und sie letztendlich noch rausschmiss. Immerhin hatte sie bei ihm, aufgrund ihres Argwohns bezüglich Kazzy und ihrer Arbeit an der Musik, derzeitig nicht den größten Stein im Brett.

Kazzy selbst hatte im Moment weder für Joe's Nervosität noch für Lucifer's Misstrauen Augen. Er war aufgeregt, war er doch zum ersten Mal bei einer Lösegeldübergabe dabei. Nicht, dass er diese Situation heraufbeschwört oder Kyo die Entführung gewünscht hätte. Aber diese neue, unbekannte Situation, diese neuen Gefahren gaben ihm Adrenalinschübe, die er heimlich genoss. Seine wachen Augen huschten flink durch die Halle, beobachteten jede Ecke und jeden Winkel, den sein Blickfeld einfangen konnte. Er spürte, dass das hier etwas Großes war und er wollte live dabei sein.

Die Iron Killers waren bekannt dafür, andere nie lange auf sich warten zu lassen und so sollten Snakebite auch schon rasch Gesellschaft bekommen. Dass die Killers über viel Macht und Einfluss verfügten, kristallisierte sich in diesen Momenten ganz klar daher heraus, dass trotz der eigentlichen Größe der Bande nicht alle Mitglieder anwesend waren. Als Erster trat Rancor, der Führer, durch den Hintereingang, dicht gefolgt vom Jungspund Chai und Cipher, der den, an den Händen gefesselten, Kyo vor sich her schubste. Außer ihnen erschienen noch zwei weitere Typen auf der Bildfläche. Das genügte Rancor. Der Kopf der Killers war sich nie zu schade dafür, anderen, minderwertigen Banden sein Selbstbewusstsein und seine Stärke zu demonstrieren indem er gerne mal nur mit einer begrenzten Stückzahl seiner Anhänger auftauchte. Eine ungewöhnliche Kampfmoral, die Viele schon oft verwirrt und zunehmend verunsichert hatte. Rancor war sich dessen bewusst und setzte genau auf eben diese Karte.

Und so standen sie sich in gut zehn Metern Abstand gegenüber, die Killers und Snakebite. Den wehrlosen Kyo in Händen der Gegner.

Joe biss sich bei diesem Anblick heimlich auf die Zunge, denn er sah die Angst und Unsicherheit in Kyo's Gesicht und er verfluchte sich selbst dafür, dass er es soweit hatte kommen lassen. „Wir haben das Geld“, rief er Rancor zu und hob den kleinen, abgenutzten Rucksack in die Höhe, in Welchem sich das Lösegeld befand.

„Dann rück mal damit rüber“, befahl Rancor mit einem selbstsicheren Lächeln auf den Lippen.

Joe wollte den Rucksack gerade werfen, doch Rancor schüttelte augenblicklich den Kopf. „Mh-mh, mein Lieber, das lässt du schön bleiben. Du gibst ihn mir persönlich.“

Für eine halbe Sekunde zögerte Joe, bevor er sich langsam in Bewegung setzte und auf den verhassten Feind zutrat.

Lucifer spannte sofort alle Muskeln an, bereit, im Notfall einzuspringen. Wie genau das im Endeffekt ausgesehen hätte, wusste sie selbst nicht.

Kazzy's Atmung wurde vor Spannung und Aufregung immer flacher, setzte zeitweise fast aus.

J beobachtete abwechselnd Joe's Bewegungen und die Regungen der Killers, streifte mit den Augen auch immer wieder Kyo.

Sugizo schien am unbeteiligsten von allen zu sein, zumindest konnte man in seinem Gesicht gerade nicht sonderlich viele Emotionen erkennen.

Joe stand nun direkt vor Rancor, Angesicht zu Angesicht. Ohne seinen Blick auch nur eine Millisekunde von den Augen seines Gegners abzuwenden, hielt er ihm den Rucksack hin.

Rancor griff beherzt danach. Hatte noch immer diese Siegeszüge auf dem ganzen Gesicht. „Und jetzt genauso langsam wieder zurück, wie du gekommen bist“, befahl er ihm in einem ruhigen Ton.

Joe gehorchte. Obwohl er es hasste, zu gehorchen. Als er wieder an seinem Ausgangspunkt angelangt war, funkelte er Rancor ungeduldig an. „Und jetzt gib uns Kyo!“

Der Andere jedoch zeigte keinerlei Eile. „Alles zu seiner Zeit...“, erwiderte er, während er den Rucksack öffnete und erst mal gründlich das Geld nachzählte.

Die Nerven der Snakebites, inklusive Kyo's, lagen blank.

Auch Cipher war nur äußerlich ruhig. Innerlich ertrug er anhaltende Turbulenzen – und die Angst, es könnte im letzten Augenblick womöglich doch noch was schief gehen. Kyo war ihm einfach zu wichtig, er wollte nicht, dass ihm etwas passierte. Die ganze Zeit während der Übergabe, seit sie die Halle betreten hatten, stand er dicht hinter Kyo, hatte schon zwei Mal unauffällig seine gefesselten Hände zärtlich gedrückt. Nur um ihm zu zeigen, dass er bei ihm war. Egal was er offiziell für all die Anderen war oder welche Befehle er ausführen sollte.

Joe wurde vor Herzklopfen schon fast schlecht. Jede Sekunde kam ihm vor wie eine unendliche Ewigkeit. Das Geld, das er in den Rucksack getan hatte, entsprach genau der geforderten Summe. Das erbeutete Geld vom vorherigen Abend hatte nur ganz knapp gereicht – aber es hatte gereicht. Er betete, dass Rancor die Summe jetzt nur nicht nachträglich noch in die Höhe schrauben wollte.

Nach mehreren schier unendlichen Sekunden hob Rancor wieder den Kopf. Das Geld war gezählt. Nun hatte er was er wollte. Nun wäre eigentlich der andere Teil der Vereinbarung dran.

Lucifer dauerte das Ganze viel zu lange. Ihre Augenlider verengten sich minimal, sie achtete auf jede noch so kleine Bewegung des Gegners. Ihre schlanken Finger fuhren schon langsam und unauffällig zu ihren gut verstauten Wurfgeschossen.

Rancor wand seinen Kopf grinsend und wortlos zur Seite, in Kyo's Richtung. Sah selbstgefälliger denn je aus. „Tötet ihn.“

Kyo's und Cipher's Köpfe drehten sich zeitgleich und mit Schock und Unglauben in den Augen zu Rancor.

Die fünf übrigen Mitglieder von Snakebite waren allesamt im ersten Moment wie erstarrt, als sie diese zwei kleinen, unerwarteten Worte vernahmen. Irgendwas ging hier gerade mächtig nach hinten los. Sie hatten doch alle Forderungen erfüllt und das sogar noch im angegebenen Zeitrahmen. Was war verkehrt, warum gab der Typ da vorne gerade diesen ungeplanten Befehl?

Einer der beiden Kerle, die zu den Killers gehörten, jedoch etwas hinter dem Boss, Chai, Cipher und Kyo im Hintergrund standen, zückte seine schwarze, glänzende Waffe, entsicherte sie.

Kyo riss seinen Kopf in die andere Richtung, starrte diesen Typen, seinen baldigen Mörder, an. Nein, er wollte nicht sterben....! Cipher hatte doch gesagt, er hole ihn hier raus, er würde auf ihn aufpassen. Er hatte es versprochen! Es konnte nicht einfach anders kommen....es durfte nicht......!

Cipher brach augenblicklich in Schweiß aus. Was ging hier ab, warum diese Wende? Damit hatte selbst er nicht gerechnet, dass sein Boss sein Wort bei dieser Übergabe nicht halten würde. Dass er so weit gehen würde. Rancor ließ des öfteren Leute erschießen, manchmal wegen viel banaleren Dingen als dem hier. Das war Cipher alles bewusst. Doch er hätte nie gedacht, dass er Kyo soetwas antun würde. Dass Kyo ernsthaft etwas passierte, was er nicht abwenden konnte...

Der schwarze Lauf der Pistole blitze auf, richtete sich auf Kyo's Kopf.

Die Gedanken des blonden Gefangenen wirbelten viel zu schnell und ungeordnet durcheinander, bevor sie komplett aussetzten. Es fühlte sich alles nur noch weiß an. Das Einzige, was er sah, war die Mündung des Laufs.

Der Zeigefinger des Schützen berührte den Abzug.

„NEIN!!“ Ein gellender, kreischender Schrei aus tiefster Verzweiflung war das Letzte, was vor dem abgefeuerten Schuss zu hören war.

...Kyo spürte, wie er fiel. In diesen Sekunden sah er nichts, er spürte nur, dass er irgendwann den Boden erreicht hatte. ...er blieb liegen, noch immer war alles weiß. Doch es setzte kein Schmerz ein. Tat sterben gar nicht weh? Wer hatte geschrien? Zögerlich öffnete er seine Augen, sah die verschwommene, unscharfe Welt auf der Seite liegen. Und eine schwarze Lederjacke vor sich. Ein Ärmel, aus dem eine Hand herausragte. Kyo blinzelte, überlegte. Diese Hand kam ihm so bekannt vor... Langsam und vorsichtig, wenn auch etwas unbeholfen, erhob er seinen Oberkörper; die Hände waren ihm noch immer auf dem Rücken gefesselt. Doch sein Körper behielt auch so das Gleichgewicht und das ermöglichte Kyo, mehr Überblick über dieses Etwas vor sich auf dem Boden zu erlangen. Er sah rotbraunes Haar und noch bevor er das Gesicht erblickte, setzte sein Hirn mit einem Ruck wieder ein und gab ihm eine leise Vermutung, wen er hier gerade vor sich zu liegen hatte. Als seine Augen dann schließlich doch das Gesicht erreicht hatten, bestätigte sich diese einst leise Vermutung mit einem Paukenschlag. Cipher.... So still, so blass sah er aus, wie er da lag, bewegungslos. Keinerlei Anstalten machend, sich zu rühren. Warum nur nicht...? Und wer hatte geschrien? Ihm fehlte ein Puzzleteil. Ihm fehlte der Zusammenhang zwischen seiner Situation, in der er sich bis eben noch als todgeweihte Geisel befunden hatte, und dem Bild, welches sich ihm hier bot. Wo war die Verbindung?

Da Kyo gerade so gut wie nichts um sich herum wirklich wahr nahm, registrierte er auch nicht die weiterlaufenden Geschehnisse um sich herum. Seit dem Schuss waren nur wenige Sekunden vergangen – Kyo's Zeitempfinden war jedoch wie ausgelöscht. Und so war er natürlich umso überraschter, als er plötzlich zwei starke Arme spürte, die ihn packten und, schneller als er kucken konnte, von hier wegzerrten. Halt, wer war das? Was geschah hier? Die Geräusche um sich herum, die er jetzt erst wieder langsam zunehmend wahr nahm, waren bis eben genauso temporär ausgeschaltet wie sein Raum-Zeit-Empfinden. Und auch während er so gewaltsam mitgerissen wurde, blieb sein Blick hartnäckig an Cipher haften, der einfach nicht aufstehen wollte. „...Cipher....!“ Warum kam er nicht mit? Warum blieb er nicht bei ihm? Und wer hatte geschrien?

Dass es Joe war, der sich den blonden Gefesselten geschnappt hatte und gerade mit ihm flüchtete, sollte er erst viel später begreifen.

Kaum war der Schuss gefallen, war das Chaos ausgebrochen. Die ursprünglich für Kyo's Hinrichtung geplante Kugel hatte Cipher getroffen, nachdem Dieser Kyo im letzten Moment zur Seite gestoßen und sich schützend vor ihn gestellt hatte. Der Schütze hatte auf diesen Wechsel nicht schnell genug reagiert und traf somit seinen eigenen Kollegen. Sowohl Rancor als auch die drei anderen Iron Killers starrten zuerst fassungslos und geschockt auf das Bild, das sich ihnen bot. Unerwartetes Verhalten in den eigenen Reihen... Ein Verräter...?

Diese Schrecksekunde nutzten Snakebite aus und machten sie sich zum Vorteil: Trotz der Distanz rannte Joe direkt auf ihre Feinde zu und entriss ihnen Kyo, der zwar unverletzt schien, sich aufgrund seiner Benommenheit jedoch als nicht so kooperativ erwies wie gewünscht.

Lucifer hatte zeitgleich ihre erste Ladung Wurfmesser abgefeuert, um Joe provisorische Deckung zu geben – immerhin war die Aufteilung der Waffen (Pistolen gegen Messer) ziemlich chancenungleich. Kazzy, J und Sugizo hatten sich daraufhin bemüht, die Killers weitestgehend zu entwaffnen, was ihnen jedoch nur bei Zweien von ihnen gelang. Und beide Waffen wurden bei dieser Auseinandersetzung auch noch zu weit weggeschleudert, als dass man sie sich hätte zu Nutze machen können. Dass dieser Kampf jedoch völlig ungleich geführt wurde und sie langfristig keine Chance hatten, sahen die Snakebites schnell ein und so folgten sie ihrem Leader durch die Lagerhalle, vorbei an halbwegs Schutz bietenden Regalen und Kisten, verfolgt von Kugelhagel. Noch zu Anfang dieser Flucht kamen Lucifer's letzte Wurfmesser zum Einsatz, mit denen sie auf das Gesicht einer ihrer Verfolger zielte. Sie warf im Laufen, war treffsicher genug um diese Aktion zu wagen. Die Zeit sich umzudrehen und zu kucken, wie genau sie letzten Endes getroffen hatte, hatte sie jedoch nicht. Aber das laute Aufschreien und Heulen ihres Verfolgers verriet ihr, dass sie ihr Ziel keinesfalls verfehlt haben konnte. Sie hoffte, mindestens ein Auge erwischt zu haben.
 

Er hatte einfach nur dagelegen. Mit dem Gesicht zur Seite, der Brust auf dem Boden. Die schönen rotbraunen, langen Haare flossen wirr und ungeordnet über seinen Kopf, seine Schultern. Die weichen Lippen waren geschlossen, ebenso die Augen mit dem sonst so zielstrebigen Blick. Er hatte einfach nur dagelegen, einfach so.... Es war wahr, was er gesagt hatte. Er hatte dafür gesorgt, dass ihm nichts passiert. Er hatte sein Versprechen gehalten: Er hatte ihn beschützt.
 

Es war in der letzten Zeit normal geworden, dass sich jeder bei Joe traf. Seit dem er der Einzige der Gruppe war, der über eine Wohnsituation verfügte die weder abgebrannt noch von ungeliebten Familienmitgliedern belagert war, war es Gang und Gebe geworden, dass sich Snakebite regelmäßig bei ihm einfanden. Und nach solch einer Aktion wie heute Abend wollte sowieso keiner so schnell wieder alleine sein. Joe war nur glücklich darüber, dass sie Kyo heil und unversehrt wieder hatten. Dass es trotz der ungeplanten Zwischenfälle zu keinerlei Verlusten kam – zumindest nicht auf ihrer Seite. Ob sich die Killers gegenseitig abballerten, das interessierte ihn nicht. Und so kam er auch nicht auf die Idee, dass es in seiner Anwesenheit sehr wohl jemanden geben mochte, dem es anders erging, während er im Küchenbereich eine große Kanne Kaffee ansetzte.

Lucifer hatte sich, kaum dass sie alle die Wohnung betreten hatten, in die offene Duschecke verzogen, um sich hinter der halbhohen Kachelwand, die diesen Bereich vom Wohnbereich abtrennte, den Angstschweiß vom Körper zu waschen. Sie hatte, seit Kyo's Befreiung, nicht viel gesprochen. Jetzt, unter dem heißen Wasser, lösten sich ihre Anspannungen der letzten Stunden wieder etwas. Sie konnte einen Teil der Last von sich abspülen, konnte wieder durchatmen. Ihre Aktion, Joe mit den Wurfmessern Deckung zu geben, war mehr als riskant gewesen. Eigentlich war es totaler Wahnsinn gewesen, denn ihr Gegner hätte mit seiner Waffe wesentlich schneller sein können als sie mit ihren Messern. Doch aus irgendeinem Grund war er es nicht gewesen. Der Lauf war schon auf sie gerichtet und er hatte sie schon im Visier gehabt, da hatte sie erst zum Wurf angesetzt. Seine Kugel hätte schneller sein müssen, war es aber nicht. Dafür trafen ihre Messer sein Fleisch. Machten ihn kurzzeitig kampfunfähig. Wäre es andersrum gelaufen, hätte sie ohne Weiteres bei dieser Aktion drauf gehen können. Lucifer schloss die Augen. Das warme Wasser perlte über ihren hellhäutigen Körper. Sie hoffte inständigst, Joe hatte diesen selbstlosen Einsatz von ihr richtig aufgefasst und ihm sei nun klar, dass ihr Snakebite nicht egal war und sie weiterhin dazu gehören wollte.

Kazzy, der sich seit ihrem Eintreffen in der Wohnung meist in Kyo's unmittelbarer Nähe aufgehalten hatte, schielte immer häufiger zur Duschecke und zu Lucifer, die sich in Selbiger befand. Einen Vorhang oder Ähnliches gab es nicht, der einzige Sichtschutz war die halboffene Kachelwand, die dem Mädchen bis zum mittleren Rückenbereich ging. Und auf eben Diesen warf Kazzy immer wieder leicht verträumte, ja regelrecht sehnsüchtige Blicke. Begutachtete die nasse Haut, über die immer wieder neue Wasserperlen rieselten, die feuerroten Locken, die ihr im Nacken klebten. Würde sie sich doch nur ein Mal kurz umdrehen, könnte er vielleicht sogar einen Blick auf ihre Brüste werfen. Aber den Gefallen wollte sie ihm allen Anschein nach nicht machen. Vielleicht war sie sich dessen sogar bewusst, dass genau auf den Moment hier im Raum Einige warten könnten. Obwohl Kazzy derzeitig wohl der Einzige der hier Anwesenden war, der in dieser Situation noch sexuelle Fantasien sponn: Joe, nach wie vor in der Küche mit dem Kaffee beschäftigt, hatte noch nachhaltig blank liegende Nerven. Sugizo saß neben Kyo auf dem Fußboden, allerdings fragte man sich bei seinem Anblick schnell, ob er mit seinem Kopf wirklich anwesend war oder doch gedanklich mehr bei Inoran. J hatte, kaum dass sie alle gemeinsam die Wohnung betreten hatten, Kyo als erstes ein Glas Wasser geholt – Welches er noch drei Mal in Folge nachfüllen durfte, da Kyo's ausgetrockneter Körper die klare Flüssigkeit aufnahm wie der ausgedorrte Boden eines trockenen Landes. J war im Moment offenbar von allen Beteiligten noch am klarsten bei Verstand, wirkte jedoch auch schon ansatzweise überfordert, schien er doch nicht ganz zu wissen, um wen er sich vermehrt kümmern sollte: Um den frisch befreiten Kyo, einen deutlich abwesenden Sugizo oder ihren überarbeiteten Boss. Seine Blicke huschten jedenfalls ziemlich regelmäßig zwischen allen Dreien hin und her.

Sah man mal von Sugizo's halblethargischem Zustand ab, so war Kazzy derjenige, der von dem soeben erlebten Ereignis wohl am wenigsten angetan war. Klar, Entführung eines Mitglieds, Befreiung des Selbigen, ungeplante Schüsse, Flucht Hals über Kopf, das alles war aufregend und durchaus nervenaufreibend – doch diese ganzen Erfahrungen verwickelten ihn mehr und mehr in eine Welt, mit der er sich stärker identifizieren konnte als mit der Welt, in der er sein ganzes Leben lang zuvor gelebt hatte. Diese komplexen Verläufe aus Kämpfen, Räubereien um sich selbst irgendwie zu erhalten, Erpressungen um an Dinge zu kommen an die man sonst nicht kam, der Zusammenhalt innerhalb einer Bande, das alles waren Verläufe, in die sich der blonde Junge besser einfügen und mit umgehen konnte als das andere Leben, das was er zuvor bei seinen Eltern erlebt hatte. Die vorhersehbare, übersichtliche, geordnete Welt, in der es klare Linien gab die nur geradeaus führten. Das Geradeaus, welches er nie gehen wollte, welches sich einfach nicht richtig anfühlen wollte. Die verworrenen, ungenauen und sich oft kurzfristig ändernden Wege in einer Bande jedoch waren-

Plötzlich drang ein greller, gedehnter Aufschrei durch die Räume! Dauerte Sekunden an, bevor er kläglich in ersticktem Wimmern erstarb, nur um mit dem nächsten Atemzug neugeboren zu werden und sich noch schriller und langgezogener zu gebären.

Lucifer, die diese Laute trotz des wild prasselnden Wassers überdeutlich vernahm, wand ihren Kopf blitzartig in die entsprechende Richtung, aus der der Krach erklang.

Auch Joe, sich in der anderen Ecke der Wohnung befindend, richtete seine volle Aufmerksamkeit schlagartig auf diese Laute.

J, Sugizo und auch Kazzy starrten die Person, von der das Schreien ausging, mit geschockten Augen nur völlig perplex und verwirrt an.

Kyo saß da, in sich zusammen gesunken und schrie sich den mentalen Schmerz aus der Seele. Das noch halbvolle Wasserglas in seiner Hand zitterte, als er die Finger immer fester um das durchsichtige Behältnis schlang und den Druck auf eben Dieses erhöhte, bis Selbiges der Kraft nicht mehr Stand halten konnte und zerbrach.

Wie Kyo's Herz.

Das nun befreite Wasser floss unaufhaltsam über seine Hand, vermischte sich mit dem Blut, welches aus den Wunden, verursacht von den Scherben, austrat und seinen Handrücken und Finger entlang rann, bis es schließlich abtropfte, um in kamikazeartigen Aktionen auf dem Boden aufzukommen.

„Scheiße, Kyo, was machst du?“, erschrak J lauthals und stürmte sofort los um ein Handtuch aus einem der Schränke zu holen. Er wurde schnell fündig und eilte zum Verletzten zurück, legte den dicken, weichen Stoff auf den Boden, der bereits rot bespränkelt war und widmete sich den Scherben in Kyo's Hand. Mit einigermaßen ruhigen Fingern, trotz der Aufregung, und geschicktem Können angelte er die einzelnen Scherben aus dem Fleisch, bevor er wieder das Handtuch nahm und es um die Hand des Freundes wickelte, um die Blutung zum Stoppen zu kriegen.

„Kyo, was ist los mit dir?“ Auch Joe hatte sich inzwischen längst zu der Gruppe am Boden gesellt und musterte den Blonden besorgt. „Es ist okay, du bist wieder in Sicherheit. Die Killers können dir nichts mehr tun. Es ist vorbei.“ Er war in der Annahme, Kyo befände sich geistig immernoch mitten in der Entführung und hätte schlichtweg Probleme, sich im aktuellem Hier und Jetzt wieder zu finden. Das wäre noch nicht einmal ungewöhnlich für Entführungsopfer, die einem erheblichen Stress ausgesetzt waren. Und Kyo zählte, ohne Frage, zu den sensibleren Mitgliedern von Snakebite.

Dass sich jedoch gar nicht eine verspätet eingesetzte Todesangst hinter Kyo's Tat verbarg sondern etwas ganz Anderes, das ahnte in diesem Raum niemand. Denn keiner von ihnen hatte die Bilder vor Augen, die Kyo gerade sah. Die sich aus seinen Erinnerungen heraus kristallisierten.
 

“Ich nehm' mir schon was ich will...“ Mit diesen, ebenfalls leisen, und beinahe schon gehauchten Worten überwand der Braunhaarige die letzte Distanz zwischen ihm und Kyo und drängte sich dessen Lippen auf. Kaum hatte er Diese mit seinen Eigenen berührt, ließ er im fließenden Übergang seine Zunge in die fremde Mundhöhle eindringen.
 

“Komm mit, Kleiner. Wir machen 'nen kleinen Spaziergang“, hauchte Cipher ihm wieder ins Ohr und drängte ihn mit sich. Sie überquerten dadurch nicht die Straße, sondern gingen Selbige hinunter.
 

“Und....wie ist das so...? Mit Typen...?“, stammelte der Blonde etwas hilflos um den heißen Brei herum. Er wollte dieses seltsame Schweigen, das eingetreten war, wieder aufheben.

„Ich kann's dir ja zeigen“, lautete die dunkel und doch so warm klingende Antwort, während Cipher's Finger langsam und provokativ von Kyo's Wange hinab zum Kinn und ganz langsam über den Hals fuhr.
 

“Keine Angst....! Es wird gleich nicht mehr weh tun...“, keuchte Cipher und hielt das nackte Becken Kyo's fest, damit ihm der Wildfang auch ja nicht entwischen konnte.
 

Sein Kopf kippte wieder nach vorne und sein Blick fiel auf Cipher's Arme, die locker um seinen Bauch geschlungen waren. Sekundenlang starrte er auf diese Arme. Auf diese friedlichen, starken Arme die völlig ruhig dalagen und beinahe schon so aussahen, als wollten sie ihn beschützen. „Was machs' du hier?“, fragte er plötzlich lallend und ohne über seine Worte nachzudenken.

„Auf dich aufpassen“, kam die unerwartete Antwort. Ohne ein Zögern, ohne einen ironischen Unterton.
 

“Du verwirrst mich....“, gestand Kyo leise, ohne sich im Klaren darüber zu sein, dass er seinem eigentlichen Feind gerade seine ungeschützteste Seite präsentierte.

Cipher lächelte daraufhin nur ein wenig bitter. „Ich will dich nur beschützen, Kyo...“, flüsterte er tonlos.
 

“NEIN........!!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2010-12-13T21:45:12+00:00 13.12.2010 22:45
ach du scheiße, jetzt sind mir tatsächlich meine veggi-schnitzel verbrannt... mach die story in zukunft nicht so spannend ;P (oder versehe sie zumindest mit nem warnhinweis)

ja, was soll man zu den letzten beiden kapiteln sagen? was die action angeht sind sie wie schwarz und weiß... wobei ich finde, dass die geschichte um inoran den leser eine weile entspannt bevor es dann zu den "schweißausbrüchen" kommt (-;
kyos "fall" war sehr gut beschrieben... konnte mir das ganze wie in einem film vorstellen... very good (:
das ende ist super... nicht zu kitschig... (cipher war ja eh nicht so der romantiker mit "den" anmachsprüchen würde ers wohl aber auch bei den meisten mädels verkacken ;P)
du bist gut in action ey!
hohooo! - gut nacht
Von:  Luinaldawen
2010-12-13T18:56:00+00:00 13.12.2010 19:56
o_________________________o
Cipher? ;_;
Du hast ihn allen Ernstes... erschossen? (und selbst wenn er noch lebt, seine Kumpels werden das schnell zu ändern wissen, nach dem was er getan hat. @_@)
Armer Kyo...
Aber das Kapitel ging mir wirklich durch und durch. Ich hab ja mit Problemen gerechnet, aber das... *wein*


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