Dear Loser von RedSky ================================================================================ Kapitel 1: everyday life ------------------------ Wie automatisch führte er die Zigarette zu seinen Lippen, nahm einen routinierten Zug, nur um den Qualm wenige Sekunden später wieder auszustoßen. Sein Blick schweifte gedankenverloren über die sich deutlich vom klaren Abendhimmel abzeichnenden Konturen der Hochhäuser. Immer mehr Lichter brannten hinter den Fensterscheiben auf und aus der Entfernung sahen diese sich vermehrenden Lichtpunkte aus wie helfende Wegweiser, die den Suchenden jetzt bei einbrechender Dunkelheit beistehen wollten. Jedes Mal wenn Taiji dieses Schauspiel beobachtete wurde er melancholisch. Er wünschte sich dann immer die Lichter würden ihm den Weg nach Japan weisen und er könnte ihnen folgen, ganz ohne Reisepass und Geld. Aber wie häufig er sich das auch wünschte, es passierte nie. Er blieb mit seinen Füßen stets auf dem Asphalt von Seoul's Straßen stehen. Als seien sie ihm hier schon festgewachsen. Er zwang sich seinen Blick von den Hochhäusern zu reissen und einer der öffentlichen Uhren zuzuwenden. Wo blieb der Kleine denn nur? War doch sonst immer so pünktlich... „Tut mir Leid!“, kam es plötzlich hechelnd von hinten. Als Taiji sich umwand sah er Kenzy auf sich zurennen. Ausser Atem erreichte Dieser schließlich auch den Älteren und lächelte entschuldigend. „Ich musste noch die Klos schrubben, darum so lange...“ Taiji nahm einen Zug. „ Soll'n die sich für sowas doch Putzfrauen anschaffen, warum sollst du das machen?“ Kenzy zuckte nur mit den Schultern, schob seine Hände tief in die Hosentaschen und ging neben Taiji her, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. Kenzy arbeitete gelegentlich in einem kleinem Supermarkt, obwohl er noch zur Schule ging, die er jedoch auch immer mehr vernachlässigte. Für ihn machte die Schule nicht mehr viel Sinn, die Fächer und der Unterrichtsstoff interessierten ihn zunehmend weniger. Seine Noten litten schon lange darunter, vor seinen Eltern konnte er das aber bisher noch gut verheimlichen. Er wollte mehr Zeit mit der Gruppe verbringen. Hier fühlte er sich am wohlsten, hier hatte er das Gefühl richtig rein zu passen. Seine Klassenkameraden auf der Schule waren fast alle strebsam nach möglichst guten Noten und angesehenen Jobs. Sie ackerten tagtäglich um sich den Lehrstoff regelrecht ins Hirn einzugravieren – das war nichts für Kenzy. Er wollte seinen Spaß im Leben haben und nicht zu so einem aktenkoffertragenden Ja-Sager mit Anzug und Krawatte mutieren. Wenig später saßen die beiden Jugendlichen an einem Tisch im „Dragonfire“, einer Kneipe die eigentlich nichts Besonderes war. Hier traf sich jung und alt, Geschäftsmänner genauso wie Schüler. Der Laden war immer gut gefüllt, die gesichtslose Musik wurde stets von dem Sprachgewirr der Gäste übertönt und die Preise der alkoholischen Getränke waren hier ein klein wenig niedriger als in den meißten anderen Lokalitäten in der näheren Umgebung. Wahrscheinlich war das der Hauptgrund warum es einen ab und an hierher verschlug. Nachdem Taiji und Kenzy drei eingeschüchterte Schulmädchen in Windeseile von einem Tisch vertrieben hatten setzten sie sich an Selbigen und bestellten sich Bier, zusammen mit einer Portion Reiscrackern. Den mißmutigen Blick des Wirts, der ihnen wenig später ihre Bestellungen brachte, ignorierten sie gekonnt. Sie waren hier nicht sonderlich gerne gesehen, zum Einen weil sie Japaner waren und zum Anderen weil sie dafür bekannt wahren Unruhe zu verbreiten. Doch den beiden war das egal, solange sie kein Hausverbot erteilt bekamen und sie bedient wurden. „Was läuft?“, fragte Taiji und stopfte sich sogleich die ersten Reiscracker in den Mund. Er und Kenzy hatten sich einige Tage schon nicht mehr gesehen. Kenzy nahm erst einmal einen großen Schluck Bier bevor er zu berichten begann. „Alles im grünen Bereich....ausser Schule....“ „Macht da wer Probleme? Ey, sag Bescheid wenn dir da jemand zu nahe kommt.“ Doch Kenzy schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht.....mich interessiert der ganze Scheiß da nur einfach nicht mehr.“ Taiji fummelte in seiner Tasche nach einer Zigarette. „Warum gehst du dann überhaupt noch dahin?“ Er machte nie ein Geheimnis daraus dass er von der Schule nichts hielt. Er hatte selbst die Mittelschule abgebrochen und bereute es bis zum heutigen Tag nicht. Für ihn war Schule nur gnadenlose Zeitverschwendung. Auf die Frage hin zuckte der Jüngere bloß die Schultern, den Blick ins Nichts gerichtet. Taiji, der mittlerweile einen Glimmstengel gefunden hatte und diesen auch schon entzündet hatte, merkte dass Kenzy im Augenblick wohl nicht über seine schulischen Sorgen sprechen mochte. Also wechselte er das Thema. „Ich hab gehört Mogwai hat im Moment wieder viele Alpträume?“ Kenzy blickte wieder auf und nickte knapp aber bestätigend. „Ja, er scheint wieder 'ne schlimmere Phase zu haben. Gestern hat er in der Pause schon die Hausaufgaben gemacht – nur um 'ne Beschäftigung zu haben und nicht einzuschlafen weil er die Nacht wieder durchgemacht hat. Seine Alten stressen wohl auch gerade ziemlich....“ Doch Taiji's Aufmerksamkeit hatte sich schon wieder was ganz anderem gewidmet. Dort drüben an der Bar sah er jemanden sitzen, den er hier überhaupt nicht sehen wollte: Es war Yoshiki, der Anführer von X. Auf dem Barhocker neben ihm saß hide, auch X zugehörig. „Was macht die feige Sau hier?“, knurrte Taiji aufgebracht und deutete mit dem Finger zu seinem Hassobjekt Nummer Eins als Kenzy ihn fragend ansah. „Sie sind zu zweit“, stellte der Jüngere fest als er Taiji's Finger folgte. „Oder glaubst du die anderen treiben sich hier irgendwo im Laden rum?“ „Pff, wo denn? Ausserdem hängen die doch immer alle auf einem Haufen“, murmelte der Leader der Sister's no Future und erhob sich von seiner Sitzgelegenheit um ohne Umwege auf Yoshiki und seinem Anhänger zuzusteuern. „Hey!“, rief er schon laut und aggressiv, noch bevor er sein Ziel erreicht hatte. Kenzy war bereits aufgesprungen und folgte dem Älteren. Blinde Folgsamkeit dem Anführer gegenüber war für jedes Bandenmitglied selbstverständlich. Man ließ schließlich niemanden aus den eigenen Reihen im Stich. Yoshiki, der sich bis eben noch offensichtlich mit hide über irgendetwas köstlich amüsiert hatte, erkannte den lauten Ausruf sofort. Augenblicklich verfinsterte sich seine Miene und er wand seinen Kopf zur Seite, von der er auch schon die zwei Jungs auf sich zukommen sah. Nun stand Taiji direkt vor ihm, musste jedoch zwangsläufig zu dem erhöht Sitzenden aufblicken. „Hab ich dir nicht gesagt du hast hier nichts mehr zu suchen?“, fauchte er ihn hasserfüllt an. „Das Großmaul wieder... Is' das hier dein Laden oder was?“, fauchte Yoshiki nun zurück und blitzte ihm düster in die Augen. „Ich hab dir gesagt du sollst dich verpissen!“, schrie Taiji nun ohne auf die Frage Yoshiki's einzugehen und packte Diesen statt dessen mit hartem Griff am Kragen. Dieser ließ sich davon jedoch überhaupt nicht einschüchtern sondern sah es als Aufforderung zum Kampf. Er sprang von seinem Hocker und stürzte sich sofort auf den Lockenkopf, doch ehe ein richtiger Kampf ausbrechen konnte griff auch schon das Personal des Lokals ein und riss die beiden Streithähne auseinander. „Jetzt reicht's mir, ihr habt Hausverbot!“, verkündete der Wirt, der vorhin noch Taiji und Kenzy bedient hatte und nun Taiji an Armen und Schulter festhielt. „Und für eure japanischen Freunde gilt das Gleiche! Ich will keinen von euch Drecksbälgern nochmal hier drinnen sehen!“ Mit diesen Worten beförderte der Wirt mit zwei Angestellten und einem Gast die vier Jungs recht unsanft vor die Tür des „Dragonfire“. Es war nicht ihr erster Rausschmiss und auch nicht ihr erster Hausverbot den sie irgendwo kassiert hatten. Doch im Moment stand diese Tatsache weit im Hintergrund denn der Kampf zwischen Yoshiki und Taiji war von den beiden Leadern noch nicht vergessen. Taiji, der zumindest schon eine blutige Lippe kassieren durfte, wischte mit dem Handrücken über die Wunde und leckte nachträglich mit der Zunge das rausquillende Blut ab, während er aus kampflustigen, dunklen Augen Yoshiki fixierte. Yoshiki, der bis jetzt noch keine sichtbare Verletzung erteilt bekommen hatte, sah sein Gegenüber nur abschätzend an. „War das schon alles? Typisch Großmaul: Große Klappe aber nichts dahinter.“ Kenzy und hide standen auf der jeweiligen Seite ihrer Anführer etwas abseits, jedoch bereit jederzeit einzuspringen wenn ihr Leader ihre Hilfe benötigte. Doch im Moment war es eine Sache alleine zwischen Yoshiki und Taiji und das wussten sie beide. „Halt's Maul, du Penner!“, keifte Taiji seinem Gegner an als Antwort auf dessen Trietzerei entgegen und stürzte sich sogleich auf ihn. Keine zwei Sekunden später landete seine Faust in Yoshiki's Gesicht – und fast zeitgleich spürte er dessen Faust in seiner Magengegend. Taiji keuchte und krümmte sich unwillkürlich etwas zusammen; zu spät realisierte er dass diese reflexartige Bewegung ein Fehler in dieser Situation war denn schon spürte er Yoshiki auf sich einprügeln. Der Lockenkopf riss sich zusammen, ignorierte den Schmerz in seiner Magengrube und bäumte sich brüllend auf um Gegenwehr zu leisten. Dann sah man nur noch ein wildkeuchendes, kämpfendes Knäuel. Und das alles mitten auf dem Gehweg, mehr oder weniger vor dem „Dragonfire“. Einige Passanten die vorbei kamen warfen nur einen kurzen, kopfschüttelnden Blick auf die beiden Ganganführer und gingen ohne zu halten weiter, andere blieben stehen und sahen den wilden Raufereien zu. Dass es sich bei den Jungs um Japaner handelte merkten sie schnell an den gekeuchten und geschrienen Schimpfwörtern und am leichten Akzent. Eingreifen tat niemand. Warum auch, es handelte sich ja nicht einmal um Landsleute! Warum sich die Finger an Fremden dreckig machen? Ausserdem war dies doch mal eine schöne abwechslungsreiche Unterhaltung im Vergleich zum tristen Altag im Büro oder am Herd. Und zuschauen war schließlich nicht strafbar... Schließlich war es Yoshiki der am Boden lag, mit Kopf und Schultern gegen die Hauswand der Kneipe lehnend. Keuchend, blutend. Seine Augen waren nur noch schmale Schlitze gen Boden gerichtet. Taiji ließ von seinem Gegner ab. Andere hätten gerade jetzt noch einige Male kräftig auf ihr Opfer eingetreten bis es sich nicht mehr regte – Taiji nicht. So verhasst ihm seine Gegner auch waren, aber lagen sie erst einmal am Boden und waren hilflos, ließ er stets von ihnen ab. Er verhielt sich in der Öffentlichkeit immer ungemütlich und wo Ärger war da war auch Taiji, aber ein Opfer das schon am Boden lag ließ er in Ruhe. Von Vielen wurde er dafür schon öfters ausgelacht und man machte sich darüber lustig, verstand dieses Verhalten nicht. Doch der Junge mit den goldbraunen Locken blieb dieser, seiner Regel, treu. Stumm und nicht nur mit blutender Lippe sondern mittlerweile auch mit blutender Nase blickte er auf Yoshiki hinab, bevor er ihm den Rücken zuwand und den Schauplatz ihres Kampfes mit großen, wippenden Schritten verlassen wollte. Doch auf diese Gelegenheit hatte der Andere nur gewartet und Yoshiki sprang mit den letzten gesammelten Kräften nochmal auf und stürzte sich von hinten auf Taiji! Keuchend riss er Diesen zu Boden und verkrallte seine Finger in dessen Schopf um Taiji's Gesicht immer und immer wieder auf den Boden zu schlagen. Überrascht von diesem nachträglichem Angriff schrie Taiji erst erschrocken auf, doch nach den ersten ungemütlichen Kontakten seines Gesichts zum Steinboden mobilisierte er nochmals all seine Kräfte und drehte seinen Körper mit einem Ruck zur Seite. Seinen nun bewegungsfreien Ellenbogen rammte er Yoshiki kraftvoll in die Brust. Und genau das war auch nötig damit dieser nun endgültig von ihm abließ und mit verzerrtem Gesicht auf der Seite lag. Taiji verpasste ihm noch einen warnenden, letzten Schlag ins Gesicht, bevor er sich aufrappelte. „Du lernst es nie du kleines Drecksstück, was?“, knurrte er während ihm ein kleines Rinnsal Blut aus der Nase über die Oberlippe lief. Ausser schmerzhaftes Stöhnen kam von dem Verlierer keine Antwort mehr. Taiji musterte noch einen Moment lang das zusammengekrümmte Bündel, dann verließ er endgültig mit Kenzy den Kampfplatz. „Warum hast du ihm Keine reingezogen?“, vernahm er noch die sich entfernende, jaulende Stimme Yoshiki's als hide ihm hoch half. Doch er drehte sich kein einziges Mal zu den beiden oder zu der gaffenden Menschenmenge um. Er hatte seinen Blick strikt nach vorne gerichtet. Dieses hinterhältige Verhalten von Yoshiki war typisch gewesen. Es war nicht das erste Mal dass er dessen Hinterhältigkeit spüren durfte. Yoshiki war allerdings nicht so dumm dass er diesen Trick jedes Mal anwendete, somit wusste man nie so wirklich wann er vortäuschte und wann er wirklich kampfunfähig war. Yoshiki nutzte jede Gelegenheit um eine Situation zu seinem Vorteil zu wenden, egal wie mies die Tricks waren. Manchmal bekam Taiji schon fast das Gefühl, er hätte ein zu gutes Herz. Viele Verhaltensweisen die Yoshiki an den Tag legte lehnte er selbst strikt ab. Warum er das tat wusste er teilweise selbst nicht, denn es gab schon öfter Situationen in denen Taiji sich im Nachhinein gewünscht hatte härter und erbarmungsloser, rücksichtsloser und egoistischer gewesen zu sein um manche Sachen zu erreichen. Doch bei ihm stand an erster Linie einfach seine Bande, seine Jungs. Die für ihn wie eine große Familie waren, eine richtige Familie. Weitaus mehr Familie als er bei sich zu Hause zu spüren bekam, bei seinem Streber-Bruder der studierte und seiner kleinen Schwester um die sich seine Eltern kümmerten als sei sie die Prinzessin des Hauses. Gute Noten musste man in den Augen seiner Eltern aus der Schule mit nach Hause bringen, in sauberen und ordentlichen Klamotten sollte man rumlaufen und einem vernünftigem Haarschnitt. Nach der Schule eine Ausbildung anfangen und diese auch möglichst problemlos zu Ende bringen um dann die nächsten dreißig, vierzig oder fünfzig Jahre in ein und dem selben Job hinvegetieren. Fassade, das war alles nur Fassade, dachte Taiji sich jedes Mal wenn er sich die Predigen seines alten Herrn zum wiederholtem Male anhören durfte. Das hieß, eigentlich hörte er mittlerweile schon gar nicht mehr hin, er nickte nur wie automatisch und quittierte das einseitige 'Gespräch' mit einem emotionslosem „Jaja“. Seine Eltern waren hilflos, hatten ihn insgeheim schon längst aufgegeben, das spürte er. Sie duldeten ihn nur noch, aber er war jetzt schon 17.... In seinen Augen war es nur noch eine Frage der Zeit wann sie ihn vor die Tür setzten. Und das nannte sich dann noch 'Familie'. „Geht's dir wirklich gut? Du hast Einiges abgekriegt...“, fragte Kenzy als sie schließlich vor einem unspektakulär aussehendem Gebäude stehen blieben. Es war das erste Mal dass einer von beiden seit dem Kampf wieder etwas sagte. Kenzy war die Sorge anzusehen. Taiji jedoch nickte nur knapp und für einen Moment sah es fast so aus als schenke er ihm ein kleines Lächeln. „Mach dir keinen Kopf, Kleiner. Ich werd' den Hintereingang nehmen und mir den Dreck schnell im Bad abwaschen.“ Mit 'Dreck' meinte er das Blut dass ihm im Gesicht klebte. Nun nickte auch Kenzy. „Okay, dann bis morgen“, verabschiedete er sich. Die beiden Jungs stießen ihre beiden Fäuste mit sachtem Druck gegeneinander – ein Bandensymbol für Freundschaft und Zusammenhalt. Dann drehte Kenzy sich um und verschwand schon bald im abendlichem Getümmel. Taiji sah ihm noch eine kurze Weile nach, bevor er einen Blick auf das Gebäude warf. Es war das „Cherries“, ein etwas herruntergekommenes, billiges Love-Hotel. Der Junge seufzte; er hasste diesen Laden. Er setzte sich dann aber doch in Bewegung, nahm wie vorher beschrieben den Hintereingang, schlich sich auf die Bediensteten-Toilette und wusch sich im Waschraum ausgiebigst das Gesicht. Nachdem er sich mehrere Ladungen kalten Wassers ins Gesicht geklatscht hatte, warf er einen Blick in den Spiegel. Schöne Scheiße, was ihn da ansah... Sein Gesicht hatte doch mehr eingesteckt als er erwartet hatte. Das war mindestens ein doppeltes Veilchen was ihm da von seinem rechten Auge entgegenleuchtete. Seine Nase war rot und verschrammt, fühlte sich jedoch nicht gebrochen an. Wenigstens das Nasenbluten schien aufgehört zu haben. Sein Blick verließ sein Spiegelbild, er drehte den Hahn zu und griff nach einer handvoll Papiertücher. Zwei Minuten später nahm er auch schon seinen Arbeitsplatz hinter der Kasse ein. Wie jedes Mal hoffte er schon zu Anfang dass seine Arbeitsschicht möglichst schnell vorbei gehen möge. Kaum war er sich nochmal durch die Haare gefahren und suchte heimlich in seiner Hosentasche nach einem Kaugummi, trat auch schon ein aktenkoffertragender Geschäftsmann mittleren Alters und im grauen Anzug in den Vorraum. Im Schlepptau ein süßes Ding mit blonder Perücke von der Taiji bezweifelte dass sie schon volljährig war. Der Mann sah sich flüchtig kurz um, bevor er auch schon auf Taiji's Schalter zustolperte. Mit knappen Worten, einem unsagbar dämlich verklemmtem Grinsen und feuchtgeschwitzter Stirn teilte er Taiji mit welches Zimmer er wollte und wie lange er es in Anspruch nehmen würde. Taiji warf einen kurzen Blick auf den kleinen Monitor neben sich der ihm mitteilte, dass das gewünschte Zimmer noch frei war, angelte einen Schlüssel vom Haken und schob ihn mit dem genuscheltem Standartsatz „Wir wünschen ihnen viel Freude in unserem Haus“ unter der Glaswandtrennung hindurch zum Kunden. Dieser nahm den Schlüssel freudigst in Empfang und begab sich eilig zum Fahrstuhl. Das Mädchen, welches sich an den Arm des Mannes geklammert hatte wie eine Klette, hatte ihren Blick kein einziges Mal zu Taiji erhoben. Dafür blitzten nun aber ihre Pobacken ansatzweise unter dem viel zu kurzem Röckchen hervor. Taiji sah ihr, mit dem Blick auf besagte Backen gerichtet, noch kurz hinterher. Glücklich schien sie nicht zu sein. Und wenn er nicht wüsste dass in dieser Gegend eine Menge junger Schülerinnen der Gelegenheitsprostitution nachgingen, hätte er fast meinen können Daddy hätte sein Töchterchen abgeschleppt. Kapitel 2: Back Street Delinquent --------------------------------- Seine Finger waren abwechselnd damit beschäftigt die Saiten der Gitarre zu zupfen und mit dem angekautem Bleistift auf einem Blatt Papier zu schreiben. Seine aufmerksamen Augen waren fast ausnahmslos auf die notierten Zeilen und Akkorde geheftet. Immer wieder änderte er vereinzelte Wörter oder schrieb die Griffreihenfolge um, spielte die Änderungen auf der Gitarre nach, notierte etwas Neues und spielte wieder. Schon den ganzen Vormittag saß Tusk in seinem kleinen Zimmer in der Zwei-Raum-Wohnung, mehrere Stockwerke über einer kleinen Kneipe in der unregelmäßig Live-Acts auftraten. Und von einem dieser Live-Acts hatte er auch seine Akkustik-Gitarre gekauft: Eine dreiköpfige Folk-Punk-Band die letzten Sommer dort ihren Auftritt hatten. Das Instrument hatte am Korpus zwar schon diverse Kratzer und Dellen und schien allgemein schon ziemlich abgenudelt zu sein, doch die Saiten gaben allerbesten Klang ab und nur dafür interessierte sich Tusk. Und wenn er sich für nur ein Monatsgehalt eine Gitarre leisten konnte, war das für ihn schon ein Schnäppchen. Zufrieden lächelte er als er nun endlich die Strophe fertig komponiert hatte. Und er hätte sich sofort auch an die nächsten Verse gemacht, wenn nicht plötzlich das schnarrende Geräusch der Türklingel durch die Wohnung gedrungen wäre. Tusk hob seinen Kopf, warf einen Blick auf die rot leuchtenden Zahlen seines Radio-Weckers. Sein Mitbewohner konnte es nicht sein, der verbrachte heute den ganzen Tag in der Uni. Und Taiji konnte es ebensowenig sein, der drückte grundsätzlich drei Mal kurz auf den Klingelknopf. Der angehende Musiker erhob sich somit, stellte seine Gitarre beiseite und schlurfte zur Wohnungstür, wo er den automatischen Türöffner betätigte. Gleichzeitig öffnete er die Wohnungstür und lauschte den Schritten, die die Treppenstufen bis in den dritten Stock hochstolperten. Als er dann wenig später Mogwai vor sich stehen sah staunte er nicht schlecht – mit ihm hatte Tusk nun gar nicht gerechnet. „Hey Kleiner, komm rein!“, begrüßte er den Jüngeren sogleich mit einem Lächeln. Der schmale Junge mit den zerzausten Haaren kam dieser Einladung wortlos nach, seinen Blick bekam er jedoch kaum vom Boden abgewand. Tusk realisierte nun dass irgendetwas nicht stimmte. Er sah sich Mogwai genauer an und plötzlich leuchtete ihm das Rot-Lila, in das sich die Haut um sein linkes Auge herum verfärbt hatte, durch die dunklen, langen Ponyfransen entgegen. Er schob seine Finger unter Mogwai's Kinn und hob dessen Kopf etwas an um ihm besser ins Gesicht blicken zu können. Das Veilchen stellte sich als echt heraus und war kein Schattenspiel. Tusk's Mimik änderte sich schlagartig von freundlich zu ernst. „Wer hat dir das angetan? Waren das Yoshiki's Leute?“ Mogwai schüttelte den Kopf. „Es gab zu Hause etwas Zoff....“, nuschelte er und sein Blick sank wieder zu Boden. Er wirkte erschöpft. Tusk schob den jüngeren Freund sanft in sein kleines Zimmer, Welches er trotz des Chaoses dennoch als gemütlicher für seinen Gast zu empfinden schien als den schmalen Flur. Auf eine Geste des Gastgebers hin setzte Mogwai sich auf die Bettkante, die zerwühlten Laken und Decken im Rücken. Er spürte wie die weiche Matratze unter seinem Gewicht nachgab..... Das Gefühl erinnerte ihn ans schlafen.... Schlafen, was für ihn in den meißten Fällen zur Hölle wurde weil sein Geist im schlafendem Zustand den Alpträumen schutzlos ausgeliefert war. Tusk erkannte wie sehr sich der Freund nach Schlaf sehnte, aber er kannte auch seine Probleme mit eben Selbigem. Er setzte sich neben ihn und strich ihm über den Rücken. Ohne jegliche Aufforderung begann Mogwai von sich aus zu erzählen. „...ich war heute früh schon zu spät dran für die Schule...ich wollte noch was essen, aber mein Vater wollte das nicht......er wollte mich so schnell wie möglich aus'm Haus haben.... Aber ich hatte Hunger!“ Es dauerte ein paar Momente bis er weiter sprach. „....ich wollte mir was aus dem Kühlschrank holen, aber mein Vater hat mir den Weg dorthin versperrt...... Er hat gesagt, Nichtsnutze hätten nichts zu essen verdient und ich solle mich endlich verpissen... Dann hat er auf mich eingeprügelt.“ Wieder folgten einige Sekunden des Schweigens, bis er noch hinzufügte: „Mama stand nur qualmend daneben...und hat zugesehen.......“ Tusk spürte Mitleid in sich aufkommen. Er wusste in was für kaputten Familienverhältnissen Mogwai lebte, er selbst kam nicht aus Besseren. Aber er hatte es geschafft sich daraus zu befreien – Mogwai hingegen saß fest und es schien wie ein ewiger Teufelskreis in dem er ausharrte. „Warte....“ Ohne ausführlichere Erklärung stand Tusk auf und trabte durch den langen, schmalen Flur in die Küche. Gezielt griff er dort nach seiner letzten Packung Ramen und bereitete das Gericht rasch zu. Diese Entscheidung bedeutete für ihn heute auf's Essen zu verzichten, abgesehen von den letzten paar Billig-Reiscrackern die er noch irgendwo rumzuliegen hatte. Man hatte ihm schon oftmals gesagt er sei zu großzügig und sollte mehr an sich denken, auch von den Anderen aus der Gruppe durfte er sich das schon anhören. Vielleicht hatten sie auch alle Recht, vielleicht besaß er tatsächlich ein zu großes Herz. Aber es war stets seine Entscheidung wieviel Hilfe er anderen anbot und bisher fühlte er sich gut dabei. Nur wenige Minuten später kam er mit einer dampfenden Schüssel zurück zu Mogwai und reichte ihm Selbige. „Danke...“ Die leichte Verwunderung war dem Kleinen anzusehen. Doch er war viel zu hungrig als dass er das Angebot hätte ausschlagen wollen und so futterte er gleich gierig drauf los. Bei dem Tempo mit dem er aß fragte Tusk sich ernsthaft wann der Jüngere zuletzt was in den Magen bekommen hatte. Ebenso wie er sich fragte wieviele blaue Flecken er noch von seinem Vater eingeheimst haben mochte, ausser dem Veilchen und den paar Kratzern im Gesicht. Unbewusst glitt sein Blick über den schmalen Körper Mogwai's, der jedoch von einem schwarzen Pullover und schwarzen Hosen bedeckt wurde und somit keinerlei Aufschluß über mögliche weitere Spuren gab. Er tat ihm Leid und er wusste dass Mogwai irgendwann aus dieser Familie raus musste wenn er sich von seinem Vater nicht eines Tages zu Brei verarbeiten lassen wollte. Doch ebenso wusste er auch dass Mogwai das letztenendes nur selbst entscheiden konnte. Solange er zurück nach Hause ging, würde dieser Alptraum für ihn immer weiter gehen. Tusk kannte das nur zu gut.... Schon den ganzen Tag über hatte Kenzy ein ungutes Gefühl. Es hing damit zusammen dass Mogwai heute nicht in der Schule auftauchte. Mogwai verspätete sich oft, das hing mit seinem Schlafproblem zusammen. Aber wenn er überhaupt nicht in der Schule aufkreuzte und auch nicht als krank gemeldet war...dann war immer irgendwas im Busch und meißt hatte es direkt oder indirekt mit seiner Familie zu tun. Während er so gedankenverloren auf dem Heimweg war und die Straße entlangschländerte, entfloh ihm unwillkürlich ein leiser Seufzer. Er wünschte sich wirklich manchmal, Mogwai hätte noch so ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern wie er es selbst hatte. Seine Eltern waren wirklich fürsorglich und liebevoll. Sie hätten nie zugelassen dass er mal zu wenig zu essen bekäme. Sie schlugen ihn nie und verboten ihm wenig. Gut, sie wussten nichts von seinen drastisch sinkenden Leistungen in der Schule und davon was er manchmal mit seinen Freunden trieb, aber jeder brauchte schließlich seine Geheimnisse. Wenn Kenzy so darüber nachdachte hatte eigentlich niemand seiner Freunde noch solch ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern... Zu spät sah er die drei Jugendlichen in ihrer dunklen Lederkluft auf sich zukommen. Sofort verlangsamten sich seine Schritte und heimlich suchten seine Augen nach einer Nebenstraße in die er noch kurzfristig hätte flüchten können, doch auf diesem Stück der Hauptstrasse zwischen ihm und den anderen gab es keinerlei Nebenstrassen, keinen Fluchtweg. Und die Drei kamen rasch näher. Kenzy erkannte in ihren Gesichtern die Entschlossenheit und in diesen Momenten wusste er, dass es für ihn mehr als unangenehm werden würde. „Kenzy...! Lange nicht gesehen...“ Und damit legte sich auch schon der Arm des Blonden um seine Schultern. Es war Toshi, Yoshiki's rechte Hand. Man konnte ihn schon fast als zweiten Anführer von X bezeichnen, so entschlossen waren seine Handlungen – oder seine Ausführungen von Yoshiki's Befehlen. Kenzy spürte schlagartig einen krampfartigen Schmerz in der Magengegend als Toshi ihm so nahe war und sich nun auch noch die beiden anderen, Pata und hide, so dicht zu ihm stellten. Sie hatten ihn erbarmungslos eingekesselt. „Hat dir unser Auftreten die Sprache verschlagen oder was?“, fragte Toshi nachdem Kenzy auf seine Begrüßung hin bis jetzt immer noch nichts gesagt hatte. Doch Kenzy ließ auch jetzt noch kein Wort verlauten, blickte Toshi nur in die glitzernden Augen. Seine Angst konnte er dabei nicht mehr verbergen. „Der Kleine macht sich doch schon in die Hosen bevor wir ihn mitgenommen haben“, grinste Pata und nahm einen kurzen Zug seiner Zigarette. „Das kann uns egal sein, solange er sonst keinen Ärger macht und brav mitkommt“, entgegnete Toshi und schenkte ihrem Opfer ebenfalls ein Grinsen. Damit setzte sich die kleine Gruppe in Bewegung und Kenzy wurde, ob es ihm passte oder nicht, einfach mitgeschoben. Den Weg bestimmten die Anderen und er musste sehen was als Nächstes passierte. Diese Gelegenheit ließ auch nicht lange auf sich warten denn es dauerte keine fünf Minuten und die Jungs bogen in eine schmale Seitenstraße ein die sich nach einer weiteren Biegung als Sackgasse entpuppte. An einer mit Graffitti beschmierten Backsteinwand lehnte Yoshiki, seelenruhig, die glimmende Zigarette zwischen den Zähnen geklemmt. Als er seine Kollegen kommen hörte wand er seinen Kopf in derren Richtung und nahm die Zigarette aus dem Mund, die daraufhin ohne weitere Beachtung auf dem Boden landete. Als Kenzy diese kleine Bewegung bemerkte atmete er innerlich auf. Brandwunden durch eine brennende Zigarette würden sie ihm also schonmal nicht zufügen. Aber verschont blieb er deswegen ganz bestimmt nicht. Schon gar nicht wenn Yoshiki mit solch einer Ruhe langsam und gemächlich auf ihn zuschritt wie in diesen Momenten. Jetzt stand er gefährlich dicht vor ihm und grinste ihn nur breit an. Die Hände lässig in den Hosentaschen steckend. „Du kuckst also gerne zu wenn dein Boss mir Eine reinhaut, hä?“ Sein Grinsen nahm immer diabolischere Züge an und sein Gesicht näherte sich dem von Kenzy bis auf wenige Zentimeter. Der Jüngere spürte den Atem des Anderen auf seiner Haut. Die Fratze des dürren Leaders vor sich, den eisernen Griff Toshi's um seine Arme und Pata's und hide's Anwesenheit links und rechts von sich – es gab aus dieser Situation kein Entkommen mehr, das wusste er. X hatten mit ihren Opfern nie Gnade und noch weniger Skrupel. Er wartete regelrecht auf den ersten Schlag. Und dieser sollte auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. „Du kleiner, dreckiger Bastard“, wisperte Yoshiki mit zu schmal verengten Augenschlitzen und spuckte ihm daraufhin ins Gesicht. Dann machte er ein, zwei Schritte zurück und gab Toshi mit einem kaum wahrnehmbarem Kopfnicken ein Zeichen. Dieser drückte den Jungen daraufhin sofort brutal zu Boden, hielt dessen Handgelenke erbarmungslos auf den Rücken über Kreuz und fixierte das wehrlose Bündel indem er seinen schweren Stiefel zwischen Kenzy's Schulterblättern presste. Nun konnten hide und Pata ohne Mühe beginnen auf ihr Opfer einzutreten und das taten sie auch – ohne jegliche Scheu. Als würden sie nie etwas anderes tun. Kenzy's Schmerzensschreie erfüllten den kleinen Hinterhof für den sich keiner zuständig fühlte und der Straßenlärm auf der Hauptstrasse sorgte für den Rest dass niemand etwas von dieser Tat mitbekam. Yoshiki stand da und beobachtete das Spiel mit großer Genugtuung und einem zufriedenem Ausdruck in den Augen. Bald wäre der Kleine wenigstens für's Erste erledigt, das dürfte ihm und auch den anderen Sister's no Future-Mitgliedern Warnung genug sein. Und seine Rachegelüste befriedigte dieser Anblick auch. Es war ein für die Jahreszeit ungewöhnlich warmer Tag, deutlich wärmer als gestern. Die Sonne schien grell vom wolkenlosen Himmel und der trockene Sand und Staub haftete an Yoshiki's schwarzen Stiefeln. Der Autofriedhof, der früher angeblich mal eine Autohandlung gewesen sein soll, war wie ausgestorben. Selbst über aufgescheuchte Obdachlose, die manchmal in den teils stark zerfallenen Autowracks hausten, stolperte man heute nicht. Yoshiki war das nur recht. Er mochte sich mit dem Pennervolk nicht unnötig auseinandersetzen, ausser man konnte einem schlafendem Penner die Wodkaflasche entwenden oder ihm ein paar Münzen aus den Taschen klauen. Wobei gerade Letzteres nicht wirklich seinem Stil entsprach. Er verachtete Penner, den wertlosen Dreck der Straßen. Die, die es zu absolut nichts gebracht hatten, nichts hatten und auch nie etwas haben würden. Verlierer. Und er hasste es sich an Verlierern die Hände schmutzig zu machen. Während er über den großen Platz und zwischen den abgestellten Autos herumwuselte und auf dem Weg zu einem Treffen mit seinen Jungs war, realisierte er nicht dass er schon eine ganze Weile heimlich verfolgt wurde. Sein Verhängnis war der Moment in dem er eine geklaute Armbanduhr aus seiner Jackentasche zog und sich das gute Stück nochmal besah. Diese Tat ließ ihn seine Aufmerksamkeit von seiner Umgebung abwenden und genau diese Unachtsamkeit nutzte sein Verfolger, schlich sich lautlos an ihn heran und packte blitzschnell seine Arme, bevor er ihn um die nächste Ecke mit dem Gesicht an eine alte Mauer presste. Die Uhr fiel dabei zu Boden. „Du elender Feigling! Vier gegen Einen, hä?“, knurrte er ihm ins Ohr. Yoshiki erkannte die Stimme sofort – genau wie den festen Griff um seine Arme. Taiji. „Seine Schuld wenn er alleine unterwegs ist“, keuchte er und versuchte sich verbissen aus den Klauen des Anderen zu befreien. Taiji jedoch wusste mittlerweile wie man den Boss von X festhalten musste damit dieser möglichst unbeweglich blieb. Je häufiger man aneinander geriet desto eher lernte man die Schwächen seines Gegners kennen... „Ihr habt Kenzy aufgelauert! Er ist euch nicht zufällig vor die Füße gelaufen und das weißt du auch, du Ratte!“ „Fick dich, du kleiner Moralapostel!“, fauchte Yoshiki und startete einen erneuten Befreiungsversuch, doch noch bevor Dieser auch nur ansatzweise gelingen konnte spürte er plötzlich eine schwarfe Klinge an seinem Mittelfinger und einen von Taiji's Fingern als Gegendruck. Abrupt hielt er inne. Wollte dieser Irre ihm etwa seinen Finger kürzen? Mit finsterer Miene blickte er auf Yoshiki's Finger, den er in seiner Gewalt hatte, und auf die glänzende, scharfe Klinge seines Messers die so gefährlich angesetzt war. Jetzt hatte er ihn, jetzt konnte er ihm zurück zahlen was er Kenzy angetan hatte. Konnte ihm weh tun, konnte ihm ein Zeichen setzen.....ein Zeichen Welches er nie wieder leugnen könnte weil es unübersehbar wäre. Ein Zeichen Welches die körperlichen Schmerzen überleben würde und ihn für den Rest seines Lebens verfolgen würde. Er könnte ihm ein Stück Finger abschneiden. Als Strafe. Die metallene Klinge blitzte ihm aufmunternd zu, als wolle sie ihm sagen 'Tu es, ja, tu es....' Kapitel 3: big eyes, cruel hands and magnetic tapes --------------------------------------------------- Yoshiki glaubte zu träumen als er spürte wie der Druck der Klinge gegen seinen Finger schwächer wurde und sich schließlich vollkommen von ihm löste. Seine Augen weiteten sich regelrecht vor Überraschung. Doch ließ er sich von dieser unerwarteten Wendung nicht zu sehr beeindrucken, symbolisierte dies doch dass dieser Schwächling nicht in der Lage war ihm ernsteren Schaden zuzufügen. Rasch wirbelte Yoshiki herum und wollte auf seinen Angreifer losgehen. Doch Taiji war darauf vorbereitet und verpasste ihm im selben Moment einen langen Schnitt quer über die linke Wange. Völlig perplex hielt Yoshiki mitten in seiner Bewegung inne. Er hatte die Klinge in der Nähe seines Gesichts nicht erwartet. „Verpiss dich, du Miststück.“ Taiji's Augen waren zu sehr schmalen, sehr dunklen Schlitzen geformt die seinen Gegner bedrohlich anfunkelten. Das Messer hielt er nach wie vor kampfbereit. Yoshiki fuhr sich mit den Fingerkuppen über die aufgeschnittene Haut, besah sich sein Blut. „Du Dreckskerl.....“, fauchte er nur und kniff seine Augen ähnlich gefährlich zusammen. Zögerlich, weil er es hasste der Unterlegene zu sein, setzte er einen Schritt rückwärts, dann noch einen und noch einen. „Das kriegst du zurück, du Hurensohn! Doppelt und dreifach!!“ Seine Stimme war hasserfüllt, er war in Rage. Dann wand er sich um und lief weg. Taiji blieb regungslos stehen, sah ihm nur stumm nach. Er konnte es einfach nicht. Er konnte mit Yoshiki nicht das Gleiche machen was damals dieser Fettsack mit ihm gemacht hatte als er neun Jahre alt war. Als dieser Kerl sich auf ihn gesetzt hatte um ihn am Weglaufen zu hindern. In seinem Kopf hallte sein eigener Schmerzensschrei wieder als er sich an den Moment erinnerte in welchem der Kerl ihm einen Teil seines rechten Mittelfingers abschnitt. Der Klang seines eigenen Kinderschmerzensschreis verwandelte sich plötzlich in Yoshiki's Schrei. Taiji schloss die Augen und schüttelte kurz seinen Kopf um diese Geräusche zum ersterben zu bringen. Er wollte es nicht hören. Langsam trottete er nun auch davon, ließ den verstaubten Autofriedhof hinter sich. Die gestohlene Armbanduhr, die Yoshiki während Taiji's Angriff fallen gelassen hatte, blieb unbeachtet im Sand zurück. Nur langsam und zögerlich setzte Mogwai einen Fuß nach dem Anderen in den leeren Waschsalon. Seine zweifelnden Blicke huschten unentwegt immer wieder durch den Raum. Was ihn an dieser Situation misstrauisch machte war noch nicht einmal das gedämmte, seltsam grünlich-bläuliche Licht das alles so fremdartig wirken ließ. Es war vielmehr die gnadenlose Stille die im Salon herrschte. Kein Mensch weit und breit, kein Geräusch. Zeitweilig lauschte er sogar ob seine eigenen Schritte überhaupt Laute von sich gaben. Aber seine Aufmerksamkeit flog jedes Mal weg von seinen Füßen und hin zu den Waschmaschinen die in Reih und Glied dastanden, allesamt mit gleich weit geöffneten Bullaugen und dem Eindruck, als warteten sie nur darauf in Betrieb genommen und somit benutzt zu werden. Und erst jetzt fiel Mogwai schlagartig auf was an diesem Anblick der Waschmaschinen wirklich seltsam war: Aus jeder Waschtrommel bahnten sich meterweise Magnetbänder, wie sie meißt für Videokassetten verwendet wurden. Es sah aus wie Bandsalat im Videorecorder, nur dass Magnetbänder normalerweise nichts in Waschtrommeln zu suchen hatten. Jedoch nahm Mogwai nun auch die großen Fernsehgeräte wahr die auf jeder Maschine standen und die alle ein und das selbe Standbild zeigten: Ein blasses Gesicht, eingerahmt von roten, langen Haaren. Weit aufgerissene, starre Augen mit durchstechendem Blick der fast schon irgendwie vorwurfsvoll wirken konnte. Mogwai stand mitten im Raum genauso starr da wie die Augen ihn ansahen. Waschmaschine an Waschmaschine an Waschmaschine, auf Ihnen Fernseher an Fernseher an Fernseher... Ein Bild Welches so selbstverständlich wirkte und doch passte es gleichzeitig nicht. Und ob das vermeintliche Standbild auf den Bildschirmen auch wirklich nur ein Standbild war, vermochte er mittlerweile auch nicht mehr zu beurteilen. Denn obwohl dieses Gesicht, diese Augen ihn ohne jegliche Gesichtsregung ansahen, sahen sie lebendiger aus als jede Videoaufzeichnung. Die Augen, die mehr zu wissen schienen als Mogwai selber, die mehr Informationen hatten.... Die Stille war unerträglich. Sie schien ihn förmlich anzuschreien. Hatte ihn schon eingesponnen wie eine Spinne ihre Beute. Ihn bewegungsunfähig gemacht. Ihn gefangen genommen. Ihn in Besitz genommen, in Anspruch. Plötzlich bewegte sich ein Auge des blassen Gesichts auf den Bildschirmen und starrte, mit noch etwas weiter aufgerissenen Lidern, direkt hinter Mogwai, unabhängig vom anderen Auge das seine bisherige Position regungslos beibehielt. Dieses nun doch zu bizarre Bild ließ dem Jungen mit den zerzausten Haaren endlich den verspäteten Schreckensschrei ausstoßen, bevor er sich auch schon im nächsten Moment von den Waschmaschinen und Fernsehern vor sich abwandte und panisch die Flucht aus dem Salon ergriff. Er wusste nicht wohin er rannte; er glaubte er liefe auf die Strasse. Doch war es so unwirklich dunkel dass er rasch Zweifel aufkommen spürte ob er wirklich raus auf die Straße gerannt war. Zudem fühlte sich der Boden unter seinen Schuhen irgendwie anders an... Er konnte es nicht beschreiben, aber es war ein anderes Gefühl als wenn er die ihm bekannten Straßen des Ortes entlang lief. Mit der Zeit wurden seine Schritte langsamer und irgendwann blieb er ganz stehen. Er konnte sich nicht einmal umkucken, es war einfach viel zu dunkel. Man sah die Hand vor Augen nicht mehr und in Mogwai's Kopf wuchs immer mehr die Frage: Wo war er? Er lauschte. Nichts. Kein Straßenverkehr, keine Menschen um ihn herum. Nicht einmal ein kläffender Köter. Zögerlich setzte Mogwai sich wieder in Bewegung, tappte jedoch sprichwörtlich im Dunkeln. Bis er plötzlich und unerwartet mit der Nase gegen eine Wand stieß. Er blinzelte, konnte jedoch nach wie vor nichts erkennen. Die Wand vor ihm, die sich nach erstem Abtasten nach Stein anfühlte, war genauso schwarz wie alles andere um ihn herum. Er wand sich von dem Hindernis ab und taumelte verwirrt zurück, machte dort jedoch bereits nach wenigen Metern ebenfalls Bekanntschaft mit einer weiteren Wand. War er aber aus dieser Richtung nicht eben gerade noch gekommen? Der Junge spürte schlagartig ein flaues Gefühl im Magen. Eine beklemmende Unruhe machte sich in ihm breit und er tastete wieder wie prüfend die unsichtbare Steinwand ab. Sie musste viel höher als er selbst sein und schien sich schier unendlich in die Länge zu ziehen. Da er nicht sehen konnte wie weit er sich drehte wand er sich sehr behutsam zur Seite um möglichst eine 90-Grad-Drehung einzuschlagen und schritt langsam weiter. Doch auch hier erwartete ihn schon nach Kurzem ebenfalls ein unüberwindbares Hindernis. Es machte den Anschein als hätten sich diese Steinwände lautlos um ihn aufgebaut und somit eingesperrt. Mogwai bekam Panik! Seine zittrigen Hände tasteten mit jedem Meter unaufhörlich die Wände ab und es dauerte lange bis er begriff dass er sich die ganze Zeit nur im Kreis drehte und die Wände lautlos immer näher an ihn heran rückten. Er war gefangen und er konnte nichts sehen und nichts hören, ausser seine stolpernden Schritte und seinen immer hektischer werdenden Atem. Gefangen. Rings um ihn herum die gnadenlos näher rückende Bedrohung aus kaltem Stein. Und bald schon waren die Wände ihm so dicht auf die Pelle gerückt dass er sich nicht einmal mehr umdrehen konnte. Er spürte sie an seinem Körper, er spürte wie sie ihn zu zerdrücken drohten. Mogwai presste sich mit dem Rücken an die hintere Wand, zog automatisch den flachen Bauch ein und hielt den Atem an. Wand seinen Kopf zur Seite. Bemühte sich verzweifelt sich so dünn und schmal wie nur irgend möglich zu machen. Seine Zehen wurden durch die Kraft der Mauern schon gewaltsam nach oben gedrückt und erst jetzt realisierte er am Rande, dass er gar keine Schuhe mehr trug. Seiner trockenen Kehle entfloh ein hilfloses und heiseres Wimmern und Dieses nahm panisch zu als er nun auch den Druck gegen seinen Kopf zu spüren bekam. Immer näher und näher, bis zur Unerträglichkeit. Das Letzte was er hörte war das laute Zerbersten seiner eigenen Schädelknochen.... . . . . . . . . . . . „NEIN!!“ Mogwai saß schlagartig senkrecht im Bett, mit hektischem Atem und schweißnasser Stirn. Sein Herz raste, raste wie verrückt, sein Blick war starr auf die ihm gegenüberliegende, weiß gestrichene Wand gerichtet. „Hey...! Hey Mogwai, was ist los?“ Tusk saß auf der Bettkante, hielt den Jüngeren sanft an den Schultern fest und sah ihm in das leichenblasse Gesicht. Erst jetzt, als er die Stimme des Freundes hörte und seine Berührungen wahr nahm, realisierte er dass er geträumt haben musste. Seine verwirrten, glasigen Augen blinzelten mehrmals, huschten hektisch über die Bettdecke und fanden endlich Tusk's Gesicht. Die lieben, weichen und sorgenvollen Züge des Stirnbändigen holten ihn in die Realität zurück. Schlagartig fiel die starke Anspannung, die er während seines Alptraumes gehabt hatte, von ihm ab und er fühlte sich nur noch erschöpft. Tusk zog ihn fürsorglich in seine Arme und streichelte ihm beruhigend über den knochigen Rücken. „Hab keine Angst...es war nur ein Traum....“, flüsterte er sanft in Mogwai's Ohr. Der Jüngere schloss wieder seine Augen und lehnte sich vertrauensvoll gegen den warmen Körper. Spürte die gleichmäßigen Bewegungen der Hände über seinem Rücken......die irgendwann nicht mehr auf der Oberfläche seines Rückens platziert waren sondern in seinen Rücken eindrangen....! Seine Augen öffneten sich wieder. „Tusk?“ Seiner Stimme war die Unsicherheit anzuhören. Tusk antwortete nicht. Mogwai löste seinen Kopf von dessen Schulter und sah ihm wieder ins Gesicht. Was er sah war ein verändertes Gesicht. Eine grinsende Fratze. Und diese wurde immer abstrakter. „Tusk......nein....“ Er wimmerte. Spürte wieder die Hände des Freundes die sich immer tiefer in seinen Rücken, seinen Körper gruben, spürte wie sie ihn regelrecht durchbohrten, bis die Hände schließlich aus seiner Brust rausbrachen! Das Blut spritzte gegen Tusk's Brust. Mogwai stockte der Atem. Unentwegt starrte er in die riesigen, weit aufgerissenen Augen des vermeintlichen Freundes, in die riesigen Augen mit den winzigen Pupillen. Auch Tusk's Mund hatte an Größe beträchtlich zugenommen und verbarg keineswegs die irreal spitzen, gefährlich aussenden Zähne dahinter die das breite, geifernde Grinsen nur noch bedrohlicher aussehen ließen. Die Laute die aus diesem Mund drangen waren unbeschreiblich schauerhaft. Mogwai begann zu kreischen, kreischte noch mehr als er spürte wie die viel zu langen Arme des Anderen sich noch tiefer und tiefer in seinen durchlöcherten Oberkörper bohrten und ihn automatisch an den anderen Körper fesselten. Er spürte den Körper des Anderen stärker als seinen Eigenen der stetig an Gefühlen zu verlieren schien.....! Sein Gekreische und Tusk's Laute vermischten sich bedingungslos zu einem unerträglichen Strudel aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Er riss ihn mit sich........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein panisches Aufkeuchen drang durch den Klassenraum und zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Frau Choi, die bis zu diesem Moment mit einem Buch in der einen und einem Stück Kreide in der anderen Hand an der Tafel stand und versuchte ihren Schülern etwas zu erklären, wand sich schlagartig von der Tafel ab und blickte auf Mogwai, der verschwitzt und japsend an seinem Tisch saß. Sie musterte ihn missbilligend. „Manche scheinen es immer noch nicht begriffen zu haben dass in meinem Unterricht nicht geschlafen wird, wie's scheint.“ Die, zu einem straffen Dutt zusammen gesteckten Haare unterstrichen ihre harte Stränge nur noch. Mogwai blinzelte völlig orientierungslos wie er es schonmal tat als er dachte aus einem Alptraum erwacht zu sein und sich statt dessen nur in einem Nächsten wiedergefunden hatte. Er blickte hektisch um sich und sah in die Gesichter seiner Mitschüler. Was war das nun – wieder nur Traum oder doch endlich mal Realität? Woher sollte er wissen dass er nicht schon wieder in einen Alptraum gepurzelt war? Wer gab ihm die Garantie? „Sie haben ihrer Ansicht nach wohl immer noch nicht genügend Minuspunkte bei mir gesammelt“, fuhr ihn Frau Choi abermals an, machte ein-zwei Schritte auf ihn zu, behielt jedoch nach wie vor deutlichen Abstand zu ihrem ungeliebten Schüler. Doch das zickige Gekeife seiner Lehrerin interessierte Mogwai gerade überhaupt nicht. Selbst das so vertraute, einsetzende Gekicher seiner Mitschüler um ihn herum beeindruckte ihn nicht. Er sprang nur plötzlich auf und stürzte aus dem Klassenraum, hinaus aus dem ganzen Gebäude. „Die Japse spinnt doch.“ - Das war nur eine der abfälligen Bemerkungen die seine Mitschüler von sich gaben als er den Raum so überstürzt verließ, doch er bekam sie alle nicht mehr mit. Mittlerweile saß Mogwai draussen am Schultor und versuchte seine Atmung wieder einigermaßen zu normalisieren. Er fühlte sich grässlich und normalerweise wäre in solchen Momenten auch Kenzy bei ihm gewesen. Doch sein Freund war noch krankgeschrieben und lag zu Hause um sich von seinen Verletzungen von der Prügelei zu erholen. Mogwai hielt sich den Bauch. Ihm war übel. Ob es an der ganzen Aufregung lag oder daran dass er schon wieder seit über zwölf Stunden nichts mehr gegessen hatte wusste er nicht. „Die Sister's verdienen eine ordentliche Abreibung.“ Yoshiki starrte hartnäckig auf einen fiktiven Punkt auf dem Asphalt. Er hatte seine Leute zusammengetrommelt nachdem er die Auseinandersetzung mit Taiji hatte. Alle hatten sich sofort vor der, mit Graffiti versehenen, hohen Mauer, gleich neben dem Gemüse-Eckladen, zusammengefunden – alle ausser Kazzy der mal wieder unauffindbar war. Toshi blinzelte immer wieder heimlich zu dem langen, aber nicht tiefen Schnitt auf Yoshiki's Wange und mit jedem Mal bei dem er den Schnitt musterte wuchsen seine Rachegelüste. Er wollte es nicht zulassen dass jemand seinem Freund, ihrem Anführer, Verletzungen zufügte, auch wenn sie selbst haufenweise davon austeilten. Aber Yoshiki war ihr Führer, der Kopf ihrer Gruppe und ausserdem sein engster Freund. Wer Yoshiki etwas antat hatte es nicht anders verdient als alles in mehrfacher Ausführung zurück zu bekommen. „Wir müssen endlich ein Zeichen setzen, ein Zeichen dass auch solche Penner wie Taiji lesen können!“ Yoshiki's Stimme war fest und bestimmend und mittlerweile hatte sich sein Blick vom Asphalt gelöst und wanderte von einem zum anderen. „Ein Zeichen das sagt, dass man mit uns nicht umgehen kann wie es einem gerade gefällt...“ Seine schmalen Augen verengten sich zu gefährlich blitzenden Schlitzen. „Warum hast du ihn nicht fertig gemacht?“, wollte Den wissen. Yoshiki fixierte ihn sogleich. „Ey, spinnst du? Natürlich habe ich ihn sofort fertig gemacht!“, log er. Seine Version vom Zusammentreffen mit Taiji, die er den anderen Jungs erzählt hatte, entsprach nicht so ganz dem was er auch tatsächlich erlebt hatte. Nie hätte er es riskiert vor seinen eigenen Leuten das Gesicht zu verlieren indem er zugab dass er sich als Unterlegener zurückgezogen hatte. Dann wäre er sein Image losgeworden und keiner hätte ihn mehr für voll genommen. „Der Sack ist jaulend davon gelaufen wie ein räudiger Köter! Aber das reicht noch nicht....“ Seine Stimme wurde wieder leiser und gefährlicher. „Wir müssen es ihnen richtig heimzahlen. Allen. Damit sie ein für allemal checken wer hier das Sagen hat...! Nämlich wir!“ „Was hast du vor?“ hide schaute den Boss erwartungsvoll an mit der Annahme dass Dieser bereits einen Plan ausgeheckt hatte. Yoshiki's Mimik wandelte sich zu einem Grinsen. „Die Sister's sind im Moment um einen Mann ärmer. Kenzy ist noch zu geschwächt, der könnte derzeitig nichtmal 'nem Baby gefährlich werden. Das heißt...“, sein Grinsen wurde zunehmenst breiter, „...wir sind in der Überzahl.“ Den blinzelte. „Ja, aber auch nur mit Kazzy – und der ist ja mal wieder verschwunden.“ Kapitel 4: forthcoming changes ------------------------------ Würde man das Tempo, in welchem seine Mutter die ganze Zeit durch die Wohnung wuselte, etwas anheben, würde sie glatt als Cartoon-Figur durchgehen, waren hide's Gedanken während er mit seinem kleinem Bruder Hiroshi auf dem Arm dastand und seiner Mutter beim packen der letzten paar Sachen zusah. Immer wenn die Zeit knapp wurde, wurde seine Mutter hektisch. hide mochte keine Hektik. Er sah nicht ein weshalb man sich in manchen Situationen beeilen sollte – ausser bei Diebstählen oder wenn die Bullen mal wieder hinter einem her waren. Oder bei Kämpfen. Aber ausserhalb solcher Situationen fand hide Eile überbewertet und unwichtig. Der nächste Tag kam doch sowieso, warum also sich beeilen? Sein Bruder Hiroshi schien es ihm da wohl ähnlich zu gehen denn er saß ganz ruhig auf hide's Armen, besabberte sich zeitweilig seine kleinen Finger, sah seiner Mama beim hin und her huschen zu und zupfte zwischendurch immer wieder vergnügt quietschend an hide's blondierten Haaren. „Und denk bitte dran genug zu essen während ich nicht da bin“, ertönte es im typisch fürsorglichem Muttertonfall von Frau Matsumoto während sie wieder von der Küche ins Wohnzimmer huschte um die drei Lätzchen für Hiroshi in die Reisetasche zu stopfen. hide quittierte diese altbekannte Aufforderung seiner Mutter nur mit einem müden Augenaufschlag und einem angenervtem „Ja, Mama.“ Dass sie scheinbar immer noch dachte, er sei mit seinen achtzehn Jahren nicht in der Lage sich selbst zu versorgen, ging ihm mittlerweile ziemlich auf den Zeiger. Schließlich schien sie alles beisamen zu haben was sie für die Reise brauchte und nahm ihrem ältesten Sohn nun das, seine eigene Faust mampfende, Nesthäkchen ab. Jedoch blieb sie noch einen kurzen Moment vor hide stehen. „Und bitte mach keinen Ärger während ich bei deiner Tante in Sangju bin.“ Dieser Bitte schien sie jetzt, wo sie direkt vor ihm stand, sogar noch größeren Nachdruck zu verleihen als bei der Sache mit dem essen. „Unternimm mit Pata und Toshiki auch mal was Sinnvolles und macht nicht nur Blödsinn.“ Sie wusste dass ihr Sohn sich noch mit mehr als nur diesen zwei Jungs traf, doch waren dies die beiden Einzigen die sie bisher zu Gesicht bekommen hatte. „Er heißt Yoshiki“, erwiederte hide deutlich genervt und mit rollenden Augen. Sie sprach diesen Namen immer falsch aus, er wusste nicht warum sie ihn sich nicht merken konnte. „Ist ja auch egal, Junge.“ Sie tätschelte kurz aber liebevoll seine Schulter. „Pass einfach auf dich auf.“ Kurz bevor sie sich von ihm abwandte griff ihre Hand nach einer der blonden Strähnen, fuhr Diese mit den Fingern entlang bis zu den Spitzen. Sie sagte nichts, doch hide konnte ihre Gedanken an ihrem Blick erkennen. Sie mochte es nicht dass sich ihr Sohn die Haare blond gefärbt hatte, sie fand es zu auffällig und optisch nicht schön. Doch sie wusste auch dass sie nicht mehr genug Einfluss auf ihn hatte als dass sie solche rebellischen Taten von ihm unterbinden könnte. Und hide wusste es auch. Doch es war ihm egal. Er liebte seine Mutter aber er wollte ihrem Lebensstil nicht folgen, wollte eigene Wege ausprobieren. Endlich ließ Frau Matsumoto von ihrem Ältesten ab, griff mit der freien Hand nach der Reisetasche und machte sich gemeinsam mit Hiroshi auf den Weg nach Sangju. Die nächsten paar Tage hatte hide die gesamte Bude also für sich, konnte kommen und gehen wann er wollte ohne sich für irgendetwas rechtfertigen zu müssen. Das gefiel ihm. Ein dumpfes Poltern drang durch das schlecht beleuchtete Lager und ein zweites Poltern folgte gleich darauf. Schwere Kisten wurden gestapelt und zwischendurch fuhr sich Tommy mit dem Unterarm über die feuchtgeschwitzte Stirn. Seinen rot-grün gefärbten Haarschopf hatte er flüchtig zu einem Zopf gebunden damit ihm die langen Zottel bei der Arbeit nicht in die Quere kamen. Es erklang ein leises Keuchen, dann wieder ein Poltern. Und dann lehnte sich Tommy erst einmal mit dem Rücken gegen die soeben aufeinander gestapelten Kartons. Das hier war Ausbeutung. Knallharte Ausbeutung von der er wegkommen musste. Sein Stundenlohn war ein Witz im Vergleich zu seinen Arbeitszeiten und der Härte der Arbeit. Die Bedingungen waren beschissen, ebenso das Betriebsklima. Seinen Kollegen, einem Chinesen, einem Afrikaner, einem Thailänder, einem Europäer von dem er nicht rausbekam aus welchem Land genau er kam, einem Japaner und drei Koreanern erging es nicht anders. Alle schufteten für einen Hungerlohn und keiner von ihnen bekam irgendwann mal auch nur ein 'Danke' für seine Arbeit zu hören. Den Chef bekamen sie auch nur äusserst selten zu Gesicht, im Grunde immer nur dann wenn ihnen ihr Lohn ausgezahlt wurde. Ansonsten fungierte er regelrecht als 'Schattenmann'. Tommy hasste den Job. Nicht weil das Kisten schleppen keine sonderlich anspruchsvolle Tätigkeit war, sondern weil er das Gefühl hatte sich den Arsch für nichts und wieder nichts aufzureissen ohne dafür wirkliche Anerkennung zu erlangen. Der Chef ließ ihn und seine Kollegen arbeiten, tat selbst aber keinen Finger krumm. Ausnutzung. Wie sehr Tommy das gegen seine Person hasste. Er brauchte unbedingt einen neuen Job, soviel stand fest. Der dünne, schweigsame Afrikaner, dessen Name Tommy sich nie merken konnte, knallte eine Kiste neben ihn auf den Boden und nickte ihm zu. „Komm. Wir müssen noch acht Kisten schleppen“, sprach er in gebrochenem Koreanisch. Tommy verdrehte innerlich die Augen. Acht Kisten – nahm dieser Nachmittag denn gar kein Ende? Nach der Arbeit traf Tommy sich, wie verabredet, mit Taiji an ihrem Treffpunkt beim „blauen Teufel“. Der „blaue Teufel“ war ein Graffiti an einer Holztür von einer alten, kleinen und seit Ewigkeiten stillgelegten Fabrik. Die im typischem „Straßen-Stil“ gesprayte Fratze mit dem fies grinsendem, riesigen Mund und den Hörnern zwischen den Ohren bedeckte fast die gesamte Türfläche und wurde von den Jungs meißt dann als Treffpunkt genutzt wenn es um ernste Besprechungen ging. Was Tommy im Moment noch nicht wusste war, dass dieses Gespräch ernster werden würde als ursprünglich von Taiji geplant. Schon aus einiger Entfernung konnte er an der Körperhaltung des schnell aufbrausenden Freundes erkennen dass irgendwas passiert sein musste. Als er ihn schließlich ganz erreicht hatte hob er wie gewohnt ansatzweise die Hand zum Gruß. Taiji, den Kopf leicht gesenkt, blinzelte durch seine ihm ins Gesicht fallenden braunen Locken den Freund an. „Was gibt's?“, fragte Dieser sogleich. „Ärger“, war die mehr als knappe Antwort des Leaders und er hielt ihm einen Zettel vor die Nase, dessen obere Mitte ein schiefer Schlitz zierte. 'Jetzt seid ihr fällig. X' Das 'X' war die unmissverständliche Unterschrift des Verfassers, das war sonnenklar. Nicht so sonnenklar für Tommy war der Grund dieser Kampfansage. „Was ist passiert?“ Taiji nahm die Nachricht wieder an sich und grummelte vor sich hin. „Yoshiki ist ein schlechter Verlierer.“ „Na das ist ja nichts Neues“, fand Tommy und lehnte sich mit einer Schulter gegen das linke Ohr des „blauen Teufels“. „Wo hast den Zettel gefunden?“ „Als ich hierher kam hing der Zettel mit einem Messer am Teufel“, lautete die Erklärung. Man brauchte kein Bandenmitglied zu sein um zu erkennen dass Taiji gerade sichtlich nervös war und es in seinem Kopf auf Hochtouren ratterte. „Die planen 'nen Angriff mit der ganzen Gruppe, ich schwör's dir...“ Er stiefelte unruhig auf und ab. „Verdammt! Ausgerechnet jetzt, wo Kenzy ausfällt!“ Plötzlich blieb er stehen und schaute Tommy direkt an. „Dabei wollte ich mit dir über etwas ganz anderes reden. Das mit X wusste ich bis vor fünf Minuten selber noch nicht.“ Tommy fummelte sich mit einer routinierten Bewegung seine Zigarettenschachtel aus der Innentasche seiner Jacke und angelte sich einen Glimmstengel heraus, bevor er Taiji die Schachtel anbietend hinhielt. Dieser nahm knapp dankend an und zündete sich den kleinen Suchtbegleiter mit dem eigenem Feuerzeug an, was er im fließendem Übergang auch bei Tommy tat. Es war eine typische Handlung der Beiden, sie ergänzten sich gegenseitig ohne verbaler Absprache. Das taten sie oft, nicht nur beim Nikotinkonsum. Taiji trat von einem Bein auf's Andere. „Hör zu, wir müssen uns was wegen Mogwai überlegen.“ Tommy bließ den ersten Zug in den Wind. „Ich weiß, ich hab gehört dass er wieder von seinem Vater verprügelt wurde und was da gestern in der Schule abging.“ Die Strassengangs in und um Seoul hatten allesamt ein verdammt gut organisiertes Nachrichtensysthem und das brauchten sie auch wenn sie überleben wollten. So sprach sich jedes Vorkommnis innerhalb der Banden sehr schnell rum und meißt waren auch immer ein paar gute Informationen über die jeweiligen Gegner dabei. Von Mogwai's Ausfällen bekamen die Sister's daher immer was mit, selbst jetzt wo Mogwai's Erstbezugsperson, Kenzy, noch zu Hause seine Verletzungen auskurierte. Allerdings konnten die Sister's sich auch ausrechnen dass die Jungs von X ebenfalls diese Information erhielten..... Taiji sah ihm in die Augen. „Er muss da raus. Er hat sonst keine Chance.“ Seine Stimme war leise aber fest und bestimmend, wie so oft wenn es um ernste, interne Dinge ging. „Tusk meinte, Mogwai macht nicht mehr lange, wenn sich nichts ändert. Er kann ihn aber nicht bei sich aufnehmen, du weißt selbst wie winzig sein Zimmer ist.“ Er wendete den Blick nicht von Tommy's Augen ab. Und Dieser verstand die Geste. „Er soll bei mir wohnen, hm?“ Taiji nickte knapp. „Zumindest vorübergehend. Er kann auch alle paar Wochen zu jemandem anderen von uns, Hauptsache er kommt aus seinem Elternhaus raus. Die bringen ihn da sonst echt noch um.“ Nun war es Tommy der nickte. „Schon klar....“ Sein Blick driftete in die Ferne, seine Zigarette war schon halb abgebrannt. „...ideal wäre es, er hätte 'ne eigene Bude...“ „Nein!“, fiel ihm Taiji nun abruppt ins Wort. „Es ist nicht gut wenn er länger alleine ist. Erstens schon wegen seiner Alpträume und zweitens würde sein Vater garantiert versuchen ihn wieder zurück nach Hause zu holen und wenn Mogwai alleine ist wird ihm das wahrscheinlich auch gelingen.“ Taiji nahm den vorletzten Zug seines Zigarettenstummels. „Nein, das dürfen wir nicht riskieren...“ Sein Blick fiel auf den Sandweg, in Welchem er mit seiner Stiefelspitze schmale, geschlungene Bahnen zog. Den schnippste gerade seinen Zigarettenstummel lachend auf den Gehweg, während die restliche Fraktion von X sich noch über die drei, soeben vorbeigehenden jungen Koreanerinnen lustig machten. Die wiederum versuchten schnell Land zu gewinnen denn dass junge Schülerinnen in der Gegenwart von X nicht sicher waren hatte sich schon in der halben Stadt rumgesprochen. Umso unpassender schien das Bild als Ryö mit einem sichtlich unglücklichem Gesichtsausdruck als Letzter zu der lachenden und pöbelnden Gruppe an der besprayten Mauer, ihrem Stammtreffpunkt und von ihnen allen oftmals als „The Wall“ betitelt, eintraf. Er steuerte sofort zielstrebig auf Den zu und zog ihn, kaum dass er ihn erreicht hatte, ohne zu zögern etwas zur Seite. Seine Hand an Den's Ärmel zitterte, seine Augen waren glasig. Den bekam regelrecht einen Schreck als er in das ängstliche Gesicht des besten Freundes sah und sofort war für ihn klar dass irgendwas nicht stimmte. „Ryö, hey, was ist los?“ Nun begannen auch noch Ryö's Lippen zu beben. „Meine Familie will umziehen........nach Boseong.“ Der junge Japaner mit der blondbraunen Mähne war den Tränen nahe. Den's eh schon große Augen weiteten sich vor Entsetzen. „WAS? Das ist nicht dein Ernst?!“ Doch Ryö nickte, versuchte die aufkommenden Tränen hinunter zu schlucken. „Meine Mutter und meine Tante haben Verwandte dort und die Wohnung hier können meine Eltern nicht mehr bezahlen“, versuchte er mit brüchiger Stimme zu erklären. Den hielt ihn an den Schultern fest als er spürte wie Ryö zu taumeln begann. Der Schock war für seinen Freund mindestens genauso groß wie für ihn selbst. „Du musst mir helfen, Den! Ich will nicht nach Boseong!“ Nun flossen aus seinen flehenden Augen doch die ersten Tränen. „Ich will bei euch bleiben!“ Noch nie in seinem Leben hatte Ryö solch eine Angst vor etwas Bevorstehendem gehabt. Selbst in den härtesten Bandenkriegen hatte er sich stets stärker gefühlt als in diesem Moment. Jetzt fühlte er sich einfach nur klein und schwach. Dass ihm seine jüngeren Zwillingsbrüder ständig mit allem was sie taten und sagten auf die Nerven gingen, damit konnte er leben. Dass sein Vater ihm dauernd vorhielt er solle sich in der Schule gefälligst mehr anstrengen hatte Ryö bereits gekonnt zu überhören gelernt. Dass seine Mutter und seine Tante, die mit der Familie in einer Wohnung lebte, immernoch verzweifelt versuchten aus ihm einen gehorsamen und folgsamen Jungen zu machen, darüber amüsierte er sich mittlerweile schon regelrecht. Das waren alles Umstände mit denen er leben konnte, auch wenn er täglich in den Augen seines Vaters lesen durfte dass Dieser ihn heimlich schon als Verlierer sah. Doch mit dieser Familie, in der er sich schon lange nicht mehr geborgen fühlte, ans andere Ende von Süd-Korea zu ziehen, irgendwo zwischen Teeplantagen und Bergen, weit weg von seinen Freunden – seiner wahren Familie, wie er X nannte – das war etwas was er auf keinen Fall wollte! In X herrschte ein Zusammenhalt wie er ihn von seiner Familie nie kennen gelernt hatte und Den war für ihn wie ein Bruder – mehr als es die Zwillinge je sein würden. Den zog den Gleichaltrigen in seine Arme und drückte ihn beschützend an sich. Das wollte er nicht zulassen, dass seine Familie ihn mit nahm nach wohin auch immer. Ryö gehörte zu ihnen und ganz besonders zu ihm. Niemand würde das gegen seinen Willen ändern können. Seit dem Kindergarten waren er und Ryö unzertrennliche Freunde gewesen und das würde auch kein Geld der Welt je ändern können, egal was für Wohnverhältnisse Ryö's Familie sich leisten konnte oder nicht. „Du ziehst zu mir. Wir schaffen das“, flüsterte er ihm ermutigend ins Ohr. Ryö hob seinen Kopf, den er bis eben noch an Den's Schulter gelehnt hatte, und blickte ihn mit einem Hoffnungsschimmer in den glasigen Augen an. „Zu dir?“ Seine Stimme war derweilen tränenerstickt. Er konnte sich nicht ganz ausmalen wie sein Freund sich das vorstellte. Doch Dieser nickte bloß mit einem feinen Lächeln auf den sanft geschwungenen Lippen. „Wir kriegen das schon hin.“ Kapitel 5: First Blood ---------------------- „Du bist doch Sceanna, ne?“ Eigentlich war diese Frage überflüssig denn dass er den Gesuchten vor sich zu stehen hatte erkannte Hiroki schon von Weitem an den knallroten, kompliziert aufgestellten Haaren. Er blieb in einigen Metern Abstand zu ihm stehen, die Hände so lässig wie möglich in den Hosentaschen vergraben. Der Angesprochene drehte sich mit leicht verwunderter Mine um. „Ja, wieso?“ Er erkannte Hiroki, den jüngeren Bruder von Yoshiki, sofort. Der blonde Hiroki bewegte sich nochmals ein, zwei Schritte auf den anderen Jungen zu, blieb dann aber wieder stehen. Obwohl er drei Jahre jünger war als Sceanna war er kaum kleiner als Dieser doch trotzdem behielt er deutlichen Abstand. „Ihr sollt um drei Uhr bei der 'Tool Box' sein.“ Sceanna durchfuhr es wie ein leichter, elektrischer Schlag, ließ es sich äusserlich jedoch nicht anmerken. Die 'Tool Box' war ein ehemaliger Schwulen-Club der schon lange Zeit leer stand. Zu erreichen nur über einen großen Hinterhof in einer ziemlich heruntergekommenen Gegend. Das war eine klare und deutliche Kampfansage. „Yoshiki, dieser Feigling!“, knurrte Taiji und kickte verbissen die naheliegensten Steinchen mit seiner Stiefelspitze quer durch die Gegend. „Dass der seinen kleinen Bruder vorschickt anstatt selbst zu kommen!“ „Is' doch nix Neues“, nuschelte Morrie der etwas abseits stand und scheinbar gelangweilt an seiner Zigarette zog. „Es regt mich trotzdem auf!“ Der Leader von den Sister's war mal wieder auf Hundertachtzig. „Nennt sich Boss und ist nichtmal in der Lage eigenständig klare Ansagen zu machen...! Statt dessen schickt er seine Untertanen aus und rührt selbst keinen Finger..... Eingebildetes Drecksstück...!“ Taiji verrannte sich mal wieder so in seiner Wut dass er gar nicht mitbekam dass sich jemand zu ihnen gesellte: Kenzy kam auf sie zu. Das erste Mal seit der heftigen Prügelei mit X, dass er wieder auf seine komplette Truppe traf. Er humpelte noch etwas. Tommy war der Erste der ihn sah. „Kenzy!“ Seine Stimme verriet dass er überrascht war den Jungen zu sehen. Kaum hörte Mogwai den Namen seines besten Freundes, drehte er sich in Windeseile um und sah ihn nun auch. Ohne zu zögern lief er auf ihn zu und schloss ihn sehnsüchtig in die Arme. „Hey...pass auf, Moggie“, bat Kenzy leise lachend und strich Mogwai durch die dunklen, struwweligen Haare. Nun wand auch endlich mal Taiji seine Aufmerksamkeit von den Steinchen ab und Kenzy zu. „Hey....ich dachte du seist noch verletzt, Kleiner.“ Langsam schritt er auf ihn zu doch trotz seiner Worte sah man ihm an wie froh er war Kenzy einigermaßen obenauf zu sehen. Kenzy hob nun die Hand um auch Taiji und den Rest der Gruppe zu begrüßen, kam dann langsam, mit Mogwai an sich hängend, zu ihnen gehumpelt. „Bin ich auch noch, aber es geht mir schon besser. Ausserdem hab ich von der Herausforderung gehört und da kann ich euch ja unmöglich alleine lassen.“ Taiji schätzte Kenzy's Solidarität, machte sich aber gleichzeitig auch etwas Sorgen. Sein Blick musterte den Körper des Anderen. Die wenigsten Verletzungen waren noch sichtbar, aber er konnte sich denken dass es unter Kenzy's Klamotten und vor allem unter seiner Haut ganz anders aussah. „Fühlst du dich wirklich wieder fit? Ich will nicht dass du der Erste bist den X wieder zu Brei verprügeln.“ „Ich kann euch nicht im Stich lassen“, lautete die überzeugte Antwort. „Und meine Verletzungen sind fast so gut wie verheilt.“ Er lächelte tapfer, doch war in seinem Gesicht zu erkennen dass er seinen wirklichen Zustand nur runterspielte. „Er ist kein kleines Kind mehr. Wenn er sich den Kampf zutraut dann lass ihn kämpfen“, kam es schließlich wieder von etwas weiter hinten – nämlich von Morrie. Taiji musste einsehen dass ihr Bandenältester Recht hatte. Die Klinge spiegelte seine Augen wieder. Er fuhr mit der Daumenkuppe die schneidende Kante entlang und betrachtete sich im nächsten Moment den haardünnen, roten, geraden Strich auf seinem Finger, aus dem nur sehr langsam Blut austrat. Pata grinste zufrieden. Er liebte sein Messer in dieser Schärfe. Die Jungs von X hingen im alten Kellerraum ab der offiziell Pata's Onkel gehörte bei dem er auch wohnte. Es war auch das selbe Haus in dem hide wohnte und die beiden Freunde hielten sich oft in dieser Ecke des Kellers auf, zumahl Pata's Onkel diesen Raum fast gar nicht nutze. So hatte es sich mit der Zeit eingebürgert dass der Raum zu einem von X's Treffpunkten wurde. Alle waren gerade irgendwie mit sich beschäftigt und so sehr vertieft, dass sie gar nicht mitbekamen wer sich zu ihnen gesellte. „Hab gehört wir zeigen den Sister's gleich wo's lang geht?“ Die Daumen lässig im Gürtel eingehakt stand plötzlich Kazzy breitbeinig vor ihnen, auf seinen Lippen das typische Katzengrinsen das nur er drauf hatte. Alle sechs Jungs hoben fast zeitgleich den Kopf und warfen ihre Blicke in Kazzy's Richtung. Dieser Junge verschwand immer wo, wie und wann es ihm gerade passte – und genauso plötzlich und unerwartet tauchte er auch jedes Mal wieder auf. „Kazzy...“, brachte Toshi nur trocken heraus. „Hättest auch schon etwas früher auftauchen können.“ Doch von Toshi's barschen Ton ließ sich der blonde Junge mit der Löwenmähne nicht beeindrucken. Yoshiki rutschte von der großen Kiste herunter auf die er sich zuvor niedergelassen hatte und trat auf den Neuankömling zu. „Du hast richtig gehört“, bestätigte er Kazzy's Frage und ein kleines, zufriedenes Lächeln bildete sich in seinem Gesicht. „Jetzt wo wir vollzählig sind können die Sister's gar keine Chance mehr gegen uns haben...!“ Er musterte den Jungen vor sich kurz. „Dein Messer hast du dabei, hoffe ich?“ „Soll das 'n Witz sein? Das hab ich immer dabei! Ohne das Ding geh ich gar nicht erst aus'm Haus!“ Trotz der eigentlichen Ernsthaftigkeit des Themas behielt er sein offenes Lachen im Gesicht, was in diesem Zusammenhang fast schon ein wenig seltsam erscheinen mochte. Der Himmel hatte sich zugezogen als ahnte er dass etwas Negatives kurz bevor stand. Kein Lüftchen wehte als hielt die Stadt den Atem an. Nur zwei Krähen flogen hoch über den Innenhof auf das gegenüberliegende Dach zu, als seien sie die Boten für das folgende Geschehen. Vierzehn Jungs standen sich in zwei Reihen gegenüber. Die Sister's no Future und X. Keiner von ihnen sprach auch nur ein Wort. Doch die Spannungen zwischen den beiden verfeindeten Banden war so enorm dass einem die Luft wie aufgeladen vorkam. Und würde man auch nur eine falsche Bewegung machen riskierte man einen lebensbedrohlichen Stromschlag... Mit finsterer Mine musste Taiji, und auch der Rest seiner Bande, feststellen, dass X seit dem letzten Bandenkampf aufgerüstet hatten denn sowohl Yoshiki als auch Toshi standen da mit gezückten Macheten in den Händen. Diese Dinger waren beim letzten Kampf zwischen ihnen noch nicht zum Einsatz gekommen und leider waren die Macheten auch die größten Messerwaffen die gerade anwesend waren. Taiji's Finger umfassten den Schlangenholzgriff seines teuren, wenn auch geklauten, Messers sogleich noch etwas fester. „Ihr könnt gleich wieder nach Hause gehen, ihr habt eh keine Chance gegen uns!“, protzte Yoshiki schließlich lauthals los. „Um uns entgehen zu lassen euch am Boden liegen zu sehen?“, konterte Taiji ohne Scheu, doch seine schmalen Augenschlitze verengten sich noch mehr. X waren verdammt gut bewaffnet, das würde niemals ein leichter Kampf werden. Doch die Sister's machten keinen Rückzieher und hatten noch nie eine Kampfaufforderung ausgeschlagen und das würde auch in Zukunft nicht vorkommen. „Nimm den Mund nicht zu voll, du Affe....“, knurrte Yoshiki und ging nun mit festen Schritten auf den verhassten Rivalen zu. Toshi folgte ihm sofort und kurz darauf setzten sich auch die übrigen Jungs von X in Bewegung. Taiji ließ sich nicht einschüchtern, ging ebenfalls schnurstracks und ohne den Blick auch nur ein Mal abzuwenden oder zu blinzeln auf sein Gegenüber zu. Seine Bande tat es ihm gleich. Schließlich standen sich X und die Sister's Auge in Auge gegenüber. Taiji konnte den heissen Atem Yoshiki's im Gesicht spüren. „Ihr habt schon so gut wie verloren....“, knurrte Yoshiki mit finsterer Stimme und schon im nächsten Augenblick hob er mit einem Kampfesschrei seine Machete. Der Kampf hatte begonnen und jeder kämpfte voller Verbissenheit gegen seinen Gegner, nur dass X im Gegensatz zu den Sister's keine 'Kampfmoral' kannten; Yoshiki gegen Taiji, Toshi gegen Tommy, Pata gegen Tusk, Ryö gegen Sceanna, Den gegen Mogwai, hide gegen Morrie und Kazzy gegen Kenzy. Taiji spürte schnell dass es eine ungleiche Waffenverteilung war mit der hier gekämpft wurde – er musste Yoshiki's Machete öfter ausweichen als dass er Chancen hatte ihn anzugreifen. Er durfte sich keinen Patzer erlauben denn er wusste dass Yoshiki nicht davor zurück schrecken würde seinen Feind zu töten. Und da Yoshiki, im Gegensatz zu ihm, nie nach Regeln spielte, konnte er nichtmal auf einen fairen Kampf hoffen. Der Boss von X kannte keine Gnade und würde sich wahrscheinlich lieber die Zunge abschneiden anstatt als 'Zweiter' aus einem Kampf heraus zu gehen. Er war unberechenbar und kalt und plötzlich erschrak Taiji innerlich wie viel er über Yoshiki doch wusste. Als er mit der Klinge seines Messers die Machete des Anderen von seinem Körper wegzudrücken versuchte, sah er ihm so tief in die hasserfüllten Augen wie bisher nur sehr selten zuvor... Sie funkelten, glitzerten vor reiner Mordlust, spiegelten den unbarmherzigen Hass seines Trägers wieder....... Und obwohl Taiji spürte dass der Druck der lebensbedrohlichen Machete immer größer wurde und sich die große Klinge ihm immer mehr näherte, ließ er von den Augen seines Gegners nicht ab. Er sah in ihnen solch eine überwältigende Überzeugung, es war beinahe schon...Leidenschaft zum Kampf.....! „Loser...“, grollte es mit tiefster Stimme aus Yoshiki's Kehle und er war sich schon sicher seinen Gegner so gut wie bezwungen zu haben. Doch schon im nächsten Moment ballte Taiji seine Kräfte und schleuderte Yoshiki damit regelrecht zurück. Er konnte in dessen Gesicht nur allzu deutlich lesen dass Dieser damit nicht mehr gerechnet hatte. Am benachteiligsten in diesem Kampf war eindeutig Kenzy, weil seine Verletzungen noch nicht wieder vollständig verheilt waren und ihn dieser Kampf doppelte Mühe kostete als normalerweise. Sein einziger Vorteil war dass sein Gegner Kazzy keine Machete wie Yoshiki und Toshi besaß sondern 'lediglich' ein Butterfly einsetzte. Doch Kazzy war ebenso rücksichts- und hemmungslos wie der Rest seiner Truppe und Kenzy war sich ziemlich sicher dass Kazzy kein Problem damit hätte auch über Leichen zu gehen. „Schwächling“, fauchte Kazzy mit seinem kampflustigem Katzengrinsen im Gesicht und ließ den jüngeren Feind für keine Millisekunde aus den Augen. „Du bist doch gar nicht in der Lage zu kämpfen, du Krüppel!“ Kenzy hatte tatsächlich noch sein nicht voll funktionstüchtiges Bein als Handycap, doch davon ließ er sich nicht entmutigen, zumal er eh keine andere Wahl hatte als alles zu geben in diesem Kampf. Würde er weglaufen würde er nicht nur als Feigling gelten, nein, Kazzy würde ihm gnadenlos hinterherrennen bis er ihn eingeholt hätte und ihn dann niederstechen. Und im Laufen war Kenzy derweilen nun wirklich nicht der Beste. Ebenfalls körperlich benachteiligt war Mogwai. Gar nicht mal weil er, zusammen mit Kenzy, mit fünfzehn Jahren zu den beiden jüngsten Bandenmitgliedern zählte, sondern weil sein Körper dem ständigem Stress seiner Schlaflosigkeit und seiner Alpträume ausgesetzt war und sich davon nur selten erholen konnte. Von daher war er natürlich auch nicht so fit wie er sein könnte und das bekam er schon bald zu spüren denn sein Gegner Den war wesentlich ausgeschlafener als er – im wahrsten Sinne des Wortes – und nahm keine Rücksicht auf die körperliche Verfassung des Anderen. Den's große Augen konnten unheimlich gefährlich ausschauen und zudem hatte der Typ gerade im Kampf noch so einen stechenden, durchbohrenden Blick, der Mogwai für den Bruchteil einer Sekunde wieder an seinen Alptraum mit Tusk erinnern ließ. Dies machte sich bemerkbar denn für diesen Sekundenbruchteil war Mogwai nicht bei der Sache und schon hatte Den ihn mit seinem Messer am Arm erwischt. Mogwai keuchte auf. Den grinnste nur selbstgefällig. Morrie war der Älteste von allen und da er sich in seinem Leben schon sehr früh auf den Strassen zurecht finden musste, war er auch einer der Kampferfahrensten. Er achtete und respektierte Taiji's Regeln, allerdings auch nur wenn er mit den Sister's unterwegs war. Geriet er unabhängig von den Sister's in einen Kampf, händelte er das mit seinen eigenen Regeln die Taiji sicherlich nicht immer gut heißen würde. Doch das hier war ein Bandenkrieg zwischen X und den Sister's, also hatte er sich an die Regeln der Sister's zu halten. Auch wenn ihn hide's verbissener Gesichtsausdruck durchaus zu was Anderem reizte... Er kannte hide schon bevor er zu Taiji's Bande gekommen war, wenn auch nur flüchtig. hide war weiß Gott nicht solch ein Spinner wie viele Anderen, er hatte sogar eine ganze Menge im Kopf, das hatte Morrie schon früh bemerkt. Doch hide hatte ein Problem was Viele hatten, nur dass es bei hide besonders stark ausgeprägt war: Er konnte nie lange alleine sein. Alleine zu sein versetzte ihn unheimlich schnell in Unsicherheit. Doch eigentlich plagte hide auch innerhalb von X immer mal wieder die Unsicherheit, wenn auch in anderer Form. Er hinterfragte oftmals Aktionen oder Vorgehensweisen die Yoshiki plante, aber letzten Endes machte er sie dann doch immer mit. Vielleicht um nicht allein zu sein. hide's größte Bezugsperson war Pata, das wusste Morrie – und genau das nutzte er jetzt auch aus. „So schnell wie wir Pata erledigt haben, erledigen wir auch dich!“ Er machte diese Aussage ohne zu wissen wie Pata's aktueller Kampfstatus tatsächlich aussah. Kaum hatte Morrie diese Drohung jedoch ausgesprochen, wand hide panisch seinen Kopf in Pata's Richtung um nach dessen Wohl zu sehen. Doch Pata lag nicht, wie erwartet, verletzt am Boden sondern hielt Tusk im Moment noch sehr gut in Schach. Diese kleine Ablenkung nutzte Morrie aus und beförderte hide in blitzartiger Geschwindigkeit auf den Boden. Das ging so schnell dass hide später nicht einmal mehr hätte sagen können wie genau der Ältere das gemacht hatte, doch der blonde Junge in der schwarzen Lederkluft reagierte nun auch schnell und rollte sich zur Seite bevor Morrie's Messer ihn hätte treffen können. Kurz darauf stand er auch wieder sicher auf seinen zwei Füßen. Seine Augen, die er zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen hatte und die seinen Gegner sicher fixierten, wirkten trotz aller Umstände mehr wie die Augen eines kleinen Jungen statt wie die eines Vollblutkämpfers. „Bastard“, zischte er kaltschnäuzig, ärgerte sich insgeheim aber selbst über seinen naiven Fehler. Morrie ließ sich von Beleidigungen nie beeindrucken, erwiderte hierdrauf nichts und beobachtete hide in angespannter Kämpferpose. Jeder Kampf war gleichzeitig auch ein beidseitiges Training, man konnte aus seinen Fehlern lernen und die Art des Angriffes oder der Verteidigung des Gegners studieren. Das hieß, wenn hide gut war, hätte er aus diesem Angriff gelernt, was für Morrie jedoch bedeutete dass er seinen nächsten Angriff anders setzen müsste. Seine Finger schlangen sich fester um den schwarzen Kunststoffgriff seines Rambo First Blood-Messers, dessen höllisch scharfe Klinge auf einer Seite gemeine Widerhaken vorwies die, stach man mit der Klinge in Fleisch, sich schmerzlichst im Fleisch verankerten und die Wunde beim Herausziehen des Messers gnadenlos vergrößerten. Es war Morrie's einzige Waffe aber darauf schwor er, denn dieses Messer hatte ihm im Laufe der Jahre schon mehrfach das Leben gerettet. Plötzlich drang ein gellender Schrei über den verlassenen Hinterhof. hide's Augen weiteten sich, sein Körper sackte zusammen. Ein zweiter, diesmal erstickter Schrei und anschließendes, undefinierbares Gegurgel entrann seiner Kehle. Er saß auf dem Boden, beugte sich wie in Zeitlupe leicht nach vorn, die blasse Hand krampfhaft auf die klaffende Fleischwunde an seiner Brust gepresst. Morrie stand breitbeinig vor ihm, das Blut rann von seiner Klinge. Kapitel 6: Too weak? -------------------- „HIDE!“ Es kam nicht oft vor dass Pata den Namen des Freundes so laut und durchdringend schrie. Doch als er dessen Schmerzensschreie hörte und ihn kurz darauf am Boden kauern sah, da hatte sich sein Mund schon selbstständig gemacht. Er machte nicht den Fehler den kurz zuvor hide begangen hatte, nämlich seine Aufmerksamkeit für einen Moment von seinem Gegner abzuwenden. Nein, Pata behielt weiterhin die Kontrolle, sah kurz zu hide hinüber, konzentrierte sich aber gleichzeitig noch auf seinen Gegner Tusk. Als er realisierte dass hide ernsthaft verletzt sein musste, zögerte er keinen Augenblick. Er startete mehrere Täuschungsmanöver mit denen er Tusk sichtlich in die Irre führte, dann packte er ihn an den Haaren und verpasste ihm in Windeseile einen langen Schnitt quer über den Hals, der jedoch nicht lebensbedrohlich war – und selbst wenn er es gewesen wäre hätte Pata damit keine Skrupel gehabt. Doch im Moment ging es ihm nur darum, Tusk kampfunfähig zu machen. Schon im nächsten Moment rammte er ihm erst seinen Ellenbogen in die Rippen, dann mehrfach sein Knie in die Magengrube. Es war abzusehen dass Tusk daran zu Boden ging und Pata hatte somit ein Problem weniger. Rasch rannte er zu hide, packte ihn gekonnt unter den Armen und schleifte ihn ein paar Meter vom Kampffeld weg, in die Nähe der nächsten Hauswand. Er wollte den Verletzten aus dem Kampfgetümmel raus haben damit es ihn nicht noch schlimmer erwischte. „hide....was ist mit dir? Was hat er gemacht?“, keuchte Pata atemlos als er sich neben ihn kniete und die Wunde versuchte zu begutachten. hide schluchzte nur und ächzte unter Schmerzen. „Das Messer.......“, war das Einzige was er heraus bekam. Seine Wahrnehmung war getrübt, er realisierte fast nur noch Pata's Anwesenheit. Dass nur wenige Meter von ihnen entfernt noch immer der Kampf tobte, bekam er nur bedingt mit. Die Geräusche, das Klingen der Messer, das Geschrei, Gefluche und Gekeuche hörte er wie durch Watte. Seine Augen suchten Pata, doch immer wenn sie ihn gefunden hatten rutschte sein Blick wieder weg. Irgendwie drehte sich alles..... Morrie hatte, anders als man in der Situation vielleicht erwartet hätte, sich nicht mehr weiter um den verletzten hide gekümmert sondern widmete sich wieder dem übrigem Kampfgeschehen. Genauer gesagt kam er Taiji zu Hilfe da dieser mit Yoshiki nur schwer fertig zu werden schien. Es war ja auch ein ungleicher Kampf: Machete gegen Jagdmesser. Yoshiki war die Wut und der Mißmut im Gesicht anzusehen als Morrie hinzu kam. Er wollte nicht dass seine Bande verlor, er wollte nicht unterlegen sein – er hasste es unterlegen zu sein! Doch bei Zwei gegen Einen – besonders wenn einer der Gegner so ein sicherer und kaltblütiger Kämpfer war wie Morrie – sah es selbst für Yoshiki schlecht aus, obwohl er selbst es ja liebte auf Schwächere los zu gehen. „Ihr Bastarde...“, zischte er hasserfüllt und seine Zähne blitzten schon fast so gefährlich auf wie bei einem Raubtier. „Ich bring euch um!“ „Danach sieht das im Moment aber nicht aus.“ Morrie konnte sich den Kommentar einfach nicht verkneifen, sah er doch in Yoshiki's Augen die Verzweiflung. Nun brannte bei Yoshiki auch die letzte Sicherung durch! Ohne noch irgendein Kampfmuster oder eine bestimmte Taktik zu verfolgen schlug und wirbelte er mit seiner Machete laut schreiend um sich, zu blind vor Wut um noch zu erkennen ob er seine Gegner damit überhaupt traf. Dass er mit der Klinge einmal nur haarscharf an Toshi's Gesicht vorbei fuhr entging ihm auch. Er kochte, er brodelte, er wollte nur noch zerstören! Sein Hass, den er ursprünglich scheinbar nur auf die Sister's no Future konzentriert hatte, bezog sich nun auf die ganze Welt. Diese elendigen Penner sollten sterben, alle! Seine ehemaligen Mitschüler, Taiji's Leute, jeder verdammte Wichser in Süd-Korea der ihn auch nur schief ansah! Das war Yoshiki's Schwachstelle. Taiji wusste das und er wusste auch dass an diesem Punkt Fairness in einem Kampf unmöglich geworden war. Yoshiki würde alles und jeden kurz und klein schlagen, bis es Toshi und den anderen gelungen war ihn wieder zu beruhigen. Taiji und Morrie tauschten ein kurzes Zeichen aus, daraufhin verpasste Taiji Yoshiki in einem mehr oder minder günstigen Moment einen gekonnten Kinnhaken woraufhin von Morrie ein Schlag in die Magengegend und ein anschließend kräftiger Tritt gegen die Beine folgte. Yoshiki taumelte vor Schmerzen keuchend zu Boden. Und als sei das nicht schon genug, spürte er plötzlich zwei kräftige Beine dicht neben seinem, am Boden liegenden, Oberkörper und ein deutliches Gewicht auf seinem Brustkorb. Er riss die Augen auf und sah dicht über sich die finstere Mine Morrie's schweben, eingerahmt von seinen schwarzzotteligen Haaren aus denen hier und da ein paar vereinzelte, schneeweiße Strähnen blitzten. Yoshiki spürte das Ansetzen der Klinge an seiner Kehle. Morrie's düstere und stets mysteriösen Augen schienen ihm immer näher zu kommen. „Wie fühlt es sich an zu sterben?“, kam es zischend über seine Lippen. Yoshiki war plötzlich wie versteinert, hatte längst aufgehört wie wild rumzuzappeln. Hatte er sich den gesamten Kampf über doch nicht einmal ansatzweise in so tödlicher Gefahr befunden wie in diesem Augenblick. „Morrie, nicht!“ Taiji's Schrei legte den kompletten Bandenkampf für einige Momente völlig lahm. Alle Augen waren auf Taiji, Morrie und Yoshiki gerichtet. Selbst Toshi, der neben Yoshiki stand und bis eben noch gut mit Tommy zu tun hatte, blickte auf seinen Boss hinab. Er hatte die ganze Zeit mitbekommen wie die zwei Anderen gegen Yoshiki vorgegangen waren und ihn schließlich zu Fall brachten, doch hatte er mit seinem eigenem Gegner so verbissen zu kämpfen dass er seinem Führer nicht zu Hilfe kommen konnte. Yoshiki's und Morrie's Blicke hatten sich ineinander verankert. Keiner von ihnen zwinkerte auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Würde Morrie ihm die Kehle durchschneiden, würde er sich Taiji's Aufforderung entziehen? Oder würde er gehorsam von ihm lassen? Yoshiki glaubte, die Antwort zu kennen. Mit einem, nur für Yoshiki wahrnehmbarem, verächtlichem Schnauben nahm Morrie die Klinge von dessen Hals und erhob sich langsam vom schmächtigen Körper Yoshiki's. Doch seine Augen ruhten noch eine ganze Weile auf ihm. Anstatt erleichtert darüber zu sein, seine Kehle unversehrt behalten zu können, kochte es im Inneren von Yoshiki wieder bedrohlich. Er hasste es wie nichts Anderes wenn alle um ihn herum sehen konnten wie er in eine unterwürfige Position gezwungen wurde und er sich aus Dieser wieder erhob. Am allermeißten hasste er es wenn seine eigenen Leute dies sehen mussten weil er stets die Befürchtung hatte, dadurch an Überzeugung und Respekt zu verlieren und eines Tages als 'Schwächling' zu gelten und nicht mehr als Anführer anerkannt zu werden. Als er wieder halbwegs sicher auf beiden Beinen stand, schenkte er seine letzte Aufmerksamkeit Taiji indem er langsam auf ihn zu trat und nur wenige Zentimeter vor ihm stoppte. Seine verbitterten, verengten Augen blitzten den Jungen mit den blondbraunen Locken rachsüchtig an. „Das ist der Grund weshalb du nie gewinnen wirst; du bist zu weich.“ Seine Stimme hatte den typischen Yoshiki-Charakter, leise aber gefährlich und schneidend scharf. Dass er selbst aus diesem Kampf nicht gerade als strahlender Sieger hervortrat, ignorierte er gekonnt. „Verdammte Scheiße ich hab euch doch gesagt ihr sollt niemanden umbringen!“ Taiji ging vor seiner Truppe ständig auf und ab, das eindeutigste Zeichen für seine Unruhe. Morrie hingegen, der für diesen Vorwurf eigentlich der Hauptadressat war, saß am ruhigsten von allen auf einer großen Holzkiste und qualmte seine Zigarette vollkommen relaxed. „Wenn ich ihn hätte umbringen wollen, hätte ich anders zugestochen“, entgegnete er nur nuschelnd und behielt beim sprechen den Glimmstengel zwischen seine Lippen geklemmt. Taiji blieb abrupt stehen, drehte sich zu Morrie und legte seinen Kopf schief. „Und Yoshiki? Hättest du ihm die Kehle durchgeschnitten wenn ich nichts gesagt hätte?“ Morrie's Augen fixierten Taiji's; blinzelten nicht, hielten dem Blick Stand. Eine verbale Antwort gab er seinem Leader jedoch nicht. „Du musst aber auch bedenken wozu X bereit sind“, meldete sich plötzlich Tusk, um das unangenehme Schweigen, Welches seit Taiji's letzter Frage eingesetzt hatte, zu beenden. „X würden töten. Und es wird immer ein ungleicher Kampf bleiben wenn die Einen etwas machen was die Anderen immer ablehnen.“ Taiji ließ nun von Morrie ab und stiefelte den sandigen Weg zu Tusk, was nur wenige Meter waren. „Ich will keine hirnlosen Killer um mich haben“, entgegnete er mit leiser, aber eindringlicher Stimme und sah Tusk fest an. „Die hast du schon längst um dich. Überall auf der Strasse“, kam es nun wieder etwas entfernt von Morrie's Holzkiste. Taiji musste sich zusammenreissen um nicht gleich wieder ausfallend zu werden. Das wurde er schnell, eine Gemeinsamkeit mit Yoshiki über die er sich nicht bgewusst war. Würde er doch nie auf die Idee kommen mit Yoshiki auch nur irgendetwas gemeinsam zu haben! Er atmete einmal tief durch, wand sich dann wieder an seine gesamte Truppe. „Ich will euch aber nicht zu Killern trainieren! Töten nur aus Notwehr, wenn es nicht anders geht! Aber normalerweise geht es anders“, versuchte er seine Philosophie erneut zu erklären. „Was er meint ist, ihr sollt nicht so blind andere niedermätzeln wie es Yoshiki und seine Leute tun würden“, unterstützte Tommy seinen Freund nun. „Genau“, nuschelte Taiji nickend und sichtlich erschöpft davon, seinen Standpunkt immer wieder wiederholen zu müssen. War es für seine Jungs denn wirklich so unverständlich, dass er keine unnötigen Morde begehen wollte? Waren sie alle der Moral der Straße schon so verfallen dass sie sich nicht mehr um Regeln innerhalb der Gruppen scheren wollten? Genau das wollte Taiji mit den Sister's doch verhindern, dass seine Jungs völlig ziellos in der Weltgeschichte herum irrten, ohne das Gefühl von Vertrauen und Zusammenhalt noch zu kennen. Er hatte schon so viele Kids gesehen die genau so auf den Straßen Seouls endeten, nur noch voller Hass und Mißtrauen waren und niemanden mehr hatten. Er wollte seine Leute nicht diesem Schicksal aussetzen, er wollte ihnen mit dem Zusammenhalt der Sister's no Future ein 'zu Hause' geben; einen familiären Zusammenhalt den sie von ihren leiblichen Familien nicht bekamen. Es herrschte heute allgemeine Zurückhaltung in der Gruppe was das sprechen anbelangte, doch einer war diesmal mehr als schweigsam, er war abwesend: Sceanna. Schon die ganze Zeit glitten seine Blicke über den hellen Sandboden der von der Sonne beschienen wurde; dem Gespräch folgte er schon lange nicht mehr. Seine Gedanken waren bei hide. Ob Morrie Recht hatte und hide wirklich nicht an den Verletzungen gestorben war? Morrie war ein sehr guter Kämpfer, wenn nicht sogar der Beste von ihnen; er wusste wo er einen Gegner treffen musste um ihm diese oder jene Schäden zufügen zu können. Er konnte die Schwere der entstehenden Schäden immer sehr gut abschätzen. Sceanna seufzte innerlich. Er machte sich Sorgen um hide. Auch wenn er das vor der Gruppe nie laut ausgesprochen hätte. Wie würde er dann dastehen, wenn er zugab dass er sich um den Feind sorgte? Er wollte keinen Streit mit Taiji und den anderen haben und schon gar nicht wollte er ausgegrenzt oder ausgestoßen werden. Also hielt er den Mund. Doch gut fühlte er sich dabei nicht. Er mochte hide. Es war nicht so dass er mit den X'lern sympathisierte, eigentlich war hide der einzige von denen für den er sich interessierte. Ja, er interessierte sich für den Jungen mit der schrillen, blonden Frisur und den wilden Lederklamotten die, obwohl sie immer recht locker und lässig saßen, erahnen ließen wie schmächtig der Körper unter Ihnen in Wirklichkeit war. Er bewunderte die Ornamente die hide sich manchmal mit schwarzer Schminke ins Gesicht malte. Überhaupt fand er eigentlich alles an hide bewundernswert. Aber er wusste auch dass hide damals dran beteiligt war als Kenzy niedergeprügelt wurde. Trotzdem hatte er das Gefühl hide sei nicht so ein brutaler Schläger wie Toshi oder gar Yoshiki... Irgendetwas Faszinierendes hatte der Typ an sich, fand Sceanna. Er wäre zu gerne mit ihm befreundet. Wenn sie nicht in unterschiedlichen Banden wären. Kapitel 7: What's your dream? ----------------------------- Die Sonne schien vom fast wolkenlosen Himmel herab und man spürte deutlich dass sie immer mehr Kraft bekam. Trotzdem trug hide noch seine verschlissene Lederjacke die für ihn wie ein Panzer war. Er saß auf dem Dach des verlassenen Brauereigebäudes, von welchem die Polizei schon längst aufgegeben hatte diverse leichtsinnige und störrische Jugendliche runter zu jagen, und ließ die Beine baumeln. Bei ihm auf dem Dach stand Pata, unten auf dem Boden konnte er Den und Ryö erkennen. Sie redeten und lachten miteinander, saßen dicht beisammen. Den und Ryö hatten wirklich eine innige Freundschaft, fiel es hide auf. Man sah die beiden eigentlich selten allein. Ob es daran lag dass sich die Zwei schon seit ihrer Kindergartentage kannten? Oder ob da noch was anderes zwischen ihnen lag, was anderes als Freundschaft? hide's Augen fixierten die Zwei angestrengt. Doch sein Blick war nicht in der Lage die Gefühle der beiden zu scannen. Vielleicht war derren Verhältnis zueinander auch so wie bei ihm und Pata. Pata war für ihn wie ein großer Bruder, obwohl er ein gutes Jahr jünger war als hide. Doch bei Pata fand hide den Schutz und das Verständnis welches er bei seiner Familie nie gefunden hatte. Pata beschützte ihn und Pata gab ihm Kraft – und das obwohl hide kaum etwas von Pata's Leben wusste. Er wohnte bei seinem Onkel, Welcher einen kleinen Blumenladen besaß, nicht weit von ihren Wohnungen entfernt. Aber das war auch schon alles. hide wusste nichts über Pata's Vergangenheit und der stille Freund mit dem roten Iro sprach auch nie darüber. Es herrschte jedoch das Gerücht, dass Pata keiner rein japanischen Abstammung entsprang, doch dazu äussern tat er sich auch nie. Er wurde höchstens aggressiv wenn man ihm mit dem Thema zu lange auf den Geist ging. Der Blonde registrierte dass Pata sich langsam zu den Fenstern des ebenfalls leerstehenden Nebengebäudes bewegte, durch die man überhaupt erst auf dieses Dach gelangte. „Pata!“, maunzte hide mit seiner gespielt kindlichen Stimme. Der Angesprochene drehte sich um. „Bleib noch 'n bißchen.“ hide's Augen baten den Anderen darum. Es war der Blick dem man nur schwer widerstehen konnte. hide wirkte nicht wie ein Achtzehnjähriger. Er wirkte jünger. Ein Schmunzeln konnte Pata nicht verbergen, bekam hide ihn doch immer wieder mit diesem Blick herum. Also schlenderte er zurück zu seinem Freund und setzte sich dicht neben ihn auf das Dachsims. hide's Hand fasste sich an die Brust, strich über die Stelle an der er unter seinem Shirt den Verband trug der seine Stichwunde schützen sollte. Pata registrierte diese Geste und schaute ihn an. „Tut es noch weh?“ „Hm?“ hide wand seinen Kopf dem Freund zu. Es dauerte einen Moment bis er begriff was Pata meinte, denn die Bewegung seiner Hand war wie von alleine zu Stande gekommen. Er hatte nicht bewusst gehandelt. „Uhm, es geht“, antwortete er schließlich. Dann blickte er wieder hinunter. Doch sein Blick traf diesmal nicht Den und Ryö, nein, er wurde eher abwesend, starrte ins Leere. So schwer wie beim letzten Kampf wurde er noch nie verletzt, bei allen Kämpfen die er je mitgemacht hatte. Als Pata ihn aus dem Kampfgetümmel rausgezogen hatte, hatte er zeitweise das Gefühl gehabt er würde schweben... Es war alles für wenige Momente so weich und schwerelos und sein Körper fühlte sich an als würde er sich auflösen. Er sah bunte Farben, helle, bunte Farben in allen Nuancen die er sich nur vorstellen konnte. Bis ihn wieder der Schmerz brutal zurück in die kalte Realität riss. Irgendwann dazwischen musste der Kampf schon aufgehört haben denn als er wieder diesen harten Schmerz spürte nahm er kurz darauf die übrigen Jungs aus seiner Truppe um sich herum wahr und bruchstückchenhaft konnte er sich noch erinnern dass er irgendwie ins Krankenhaus gebracht wurde. Der Arzt hatte ihm später erklärt dass das Messer zwar haarscharf am Zwerchfell vorbeigeschrammt sei, sonst aber keinerlei lebenswichtiger Organe beschädigt worden seien und er nochmal Glück im Unglück hatte. Und trotzdem fragte er sich: Wollte Morrie ihn umbringen? Oder wusste er ganz genau was er da tat und er wollte ihm bloß Angst machen um ihn einzuschüchtern? Was wäre passiert wenn er an dieser Verletzung gestorben wäre? Hätten sich X und die Sister's dann noch weiter bekriegt? Oder vielleicht dann erst recht? „Du, Pata?“, meldete er sich schließlich leise, ohne ihn anzukucken. „Hmm?“ „Glaubst du, die Kämpfe bringen irgendetwas?“ Pata starrte ihn nur an, regelrecht verständnislos, und sagte eine Weile nichts. Ob aus Unverständnis oder ob er die Bandenkriege plötzlich genauso in Frage stellte, das konnte hide nicht einschätzen. „Wie kommst du auf die Frage?“, kam es schließlich doch noch von Pata. hide zuckte leicht mit den schmalen Schultern. Eine Antwort auf Pata's Frage hatte er ebensowenig wie Pata eine Antwort auf hide's Frage hatte. Wieder setzte für eine Weile Schweigen ein und so intensiv wie hide vom Dach hinab blickte konnte man meinen er zähle die Sandkörner unten auf dem Boden. „...was hältst du eigentlich davon selber Musik zu machen...?“, meldete sich hide's zarte Stimme schließlich wieder zu Wort. Er wusste dass Pata genauso verrückt nach Rockmusik war wie er selbst und als sie mal an einem Musikgeschäft vorbei kamen hatte er registriert wie Pata plötzlich stehen blieb und sein Blick schon fast sehnsüchtig durch die Schaufensterscheibe eine bestimmte Gitarre fixierte. Welche das war hatte hide nicht erkennen können und ob Pata überhaupt spielen konnte wusste er auch nicht. Pata's Blick wurde sichtlich verwirrter. Scheinbar hatte sein blonder Freund heute mal wieder einen seiner seltsamen philosophischen Tage. „Is' irgendwas passiert oder warum stellst du so komische Fragen?“ Die Frage danach ob etwas passiert ist war, wenn man bedachte dass der letzte Bandenkampf für hide auch tödlich hätte enden können,.....seltsam. „Tusk spielt Gitarre und er will mal Sänger werden und in einer Band spielen...“ hide's Erklärung klang mittlerweile regelrecht schüchtern. Schlagartig verfinsterte sich nun jedoch Pata's Mine. „Was hast du mit Tusk am Hut?“, knurrte er. Es gefiel ihm nicht dass hide so vom Feind sprach. Überhaupt nicht. Nun blickte der Ältere endlich mal wieder auf. „Gar nichts“, verteidigte er sich sogleich, „ich hab es nur mal gehört dass er diesen Traum hat eine Band zu gründen und-“ „Vergiss den Spinner!“, keifte Pata regelrecht. „Und vergiss irgendwelche dämlichen Träume!“ hide blickte seinen Freund fast schon ein wenig erschrocken an. „Wir sind bei X und hier gehören wir auch hin. Wir kämpfen für unser Revier, das ist unsere Aufgabe! Nicht, irgendwelchen Träumen hinterher zu jagen. Schlag dir das aus dem Kopf!“ Mit einer Abwehrhaltung die man bei Pata sonst selten aus heiterem Himmel raus beobachten konnte, stand Dieser auf und stiefelte quer über das Dach zu den Fenstern des Nebengebäudes um sich vom Acker zu machen. hide blickte ihm nur völlig hilflos hinterher. Was hatte er denn falsch gemacht? Warum wurde Pata so ausfallend bei dem Thema? Okay, er konnte sich denken dass seine Kollegen es nicht gern sahen wenn er nicht mit Gift und Galle über ihre Gegner herzog, aber er wollte Pata doch nur von seinen Träumen erzählen. Seinen Träumen von der Musik. Von seinem Leben mit der Musik. Wollte er das denn gar nicht hören? hide konnte sich das nicht vorstellen. Pata war selber so musikfanatisch....aber warum reagierte er eben so empfindlich? „Und deine Familie hat auch nichts dagegen?“, hakte Ryö nun schon bestimmt zum dritten Mal nach. „Kleiner, wenn ich's doch sage...“ Den zog den blasshäutigen Freund fester an sich, behielt den Arm um ihn gelegt um seine Aussage zu bekräftigen. „Ausserdem kann ich in meinem Zimmer so lange Besuch haben wie ich will.“ Er zwinkerte. „Ja, nur...ich wäre dann ja etwas mehr als nur 'Besuch'...“ Ryö blinzelte; ihm war die Unsicherheit an der Nasenspitze anzusehen. „Süßer, was ist los mit dir, warum glaubst du mir nicht?“ Den verstand seinen langjährigen Freund mittlerweile wirklich nicht mehr; warum sträubte er sich wenn er ihm anbot dass er bei ihm und seiner Familie wohnen konnte um dem ungewolltem Umzug nach Boseong zu entgehen? Wovor hatte er Angst? Ryö lehnte seinen blondbraunen Wuschelkopf vertrauensvoll an Den's Brust; eine Geste die er nur bei ihm tat. „Ich will nicht dass du Stress mit deinen Alten kriegst...“, kam schließlich irgendwann die genuschelte Antwort. Den war regelrecht gerührt von dieser Begründung und tätschelte den Rücken des Anderen. „Wenn ich sag es ist okay dann mein' ich das auch so. Und meine Alten könn' mir gar nix.“ Er fasste ihm sanft an die Schultern und schaute ihm ins Gesicht. „Hey, meine Mutter mag dich doch sogar.“ Er zwinkerte aufmunternd. An Ryö's Gesicht vorbei erkannte er Pata der mit großen Schritten das alte Brauereigelände verließ – ohne hide. Ausserdem konnte er an Pata's Bewegungen ausmachen dass mit Diesem im Moment nicht gut Kirschen essen war. Was war passiert? Hatten hide und er sich gestritten? Den hatte keinerlei Streit vom Dach über ihnen mitbekommen. Doch er verspürte auch nicht die Lust nachzufragen. Ryö war ihm im Moment wesentlich wichtiger. Nachdem Den und Ryö den Nachmittag mit Eis essen und brave Schüler ärgern verbracht hatten, brach der Abend über sie herein und Den nahm den Freund, wie versprochen, mit zu sich nach Hause. Allerdings sparte er sich die Mühe seiner Familie groß zu erklären dass Ryö erst einmal hier wohnen würde und schob ihn statt dessen durch die Wohnung bis in sein halbchaotisches Zimmer. Den hatte sein Zimmer selbst noch nicht mal vollständig betreten, da fragte er Ryö auch schon: „Hast du Hunger?“ Mit einem Kopfnicken und einem „Mmh“ bejate Ryö die Frage und sah gerade noch wie sein Kumpel auch schon wieder den Raum verlassen hatte um in der Küche nach was Essbarem zu fahnden. Den's Zimmer war mehr oder weniger ein typisches Zimmer für einen Sechzehnjährigen: Man konnte sich im Zimmer problemlos bewegen ohne über irgendwelchen Krempel am Boden zu stolpern, dafür schien es so als würde Den besagten Krempel regelmäßig an die Ränder seines Zimmers schieben, denn an den Wänden, besonders zwischen Bett und Schreibtisch, Schreibtisch und Kleiderschrank und Kleiderschrank und Zimmertür türmte sich ein Chaos aus allem nur Erdenklichem: Von Klamotten über (ehemalige) Schulbücher bis hin zu zerfledderten Zeitschriften, leeren Verpackungen und allerlei Kleinkram. So als würde der Bewohner dieses Zimmers alle paar Wochen einen großen Besen nehmen und wirklich alles, was sich auf dem Fußboden angesammelt hatte, zur Seite schieben bis er wieder genügend Platz hatte um sich uneingeschränkt zu bewegen. An den weißgestrichenen Wänden prangten, völlig schief, diverse Poster von fiktiven Monstern, Boxern und Musikern. Die Namen der jeweils abgebildeten Personen kannte Den meißt gar nicht – schon gar nicht die Namen der Bands da er sich mit Musik eigentlich nur am Rande beschäftigte -, doch alle Abbildungen symbolisierten etwas Gemeinsames: Gewalt. Ob es nun zwei Boxer waren die sich gegenseitig die Fresse polierten, grüne Monster die in der einen Klaue den Kopf, in der Anderen den enthaupteten Körper einer Jungfrau hielten oder irgendwelche Bands die mit besonders finsterer Mine oder geballten Fäusten und prallen Muskeln posierten – alle abgebildeten Personen demonstrierten ihre brutale Gewaltbereitschaft. Doch ein Poster – es musste recht neu sein, denn Ryö hatte es zuvor noch nie in Den's Zimmer gesehen – erregte besonders seine Aufmerksamkeit: Es war dreifarbig und zeigte einen langaahrigen Mann mit Zottelmähne, der seinen Mund weit aufgerissen hatte als würde er schreien – jedoch hatten zwei kräftige Hände der Person den Mund mit einem grellorangefarbenen Faden zugenäht; der Faden zog sich durch Ober- und Unterlippe, teilweise auch über Kreuz und vor dem aufgerissenem Mund sah das Fadengewirr aus wie ein Gitter. Das Ende des Fadens war durch die Wange gestochen worden und die beiden Hände zogen an ihm als wollten sie das Fadengebilde sicherheitshalber nochmal so stramm wie möglich ziehen. In einem ebenso penetrantem Orange wie der Faden, prangte der Schriftzug – Ryö ging davon aus dass es sich um einen Bandnamen handelte – überhalb des Bildes: 'Ekhymosis'. Er grübelte darüber was dieses Wort wohl bedeuten mochte, was das überhaupt für eine Sprache war – und wie um Himmels Willen man es eigentlich aussprach! Doch noch bevor Ryö mit Grübeln fertig war betrat auch Den schon wieder das Zimmer, in der Hand einen Teller mit schief aufeinander gestapelten Norimaki. Ryö stürzte sich regelrecht auf die kleinen Röllchen und kaum hatte er den ersten Bissen im Mund wusste er sofort dass Den's Mutter sie wieder selbst gemacht hatte. Im Laufe seines Lebens hatte er oft bei Den's Familie gegessen und die Norimaki von Den's Mutter schmeckten einfach unverkennbar gut! Er hatte sich schon so manches Mal gewünscht seine eigene Mutter würde auch so gut kochen können... „Uhm.....sag mal....is' das neu?“, fragte Ryö schließlich irgendwann mit vollem Mund und deutete mit dem Daumen auf das Ekhymosis-Poster. Den folgte dem Fingerzeig und nickte schließlich, schluckte seinen Bissen jedoch erst runter bevor er antwortete. „Das Ding hab ich aus irgend so 'ner ausländischen Musikzeitschrift, liegt da irgendwo...“ Mit 'da irgendwo' war der Gerümpelberg zwischen Bett und Schreibtisch gemeint. Ryö machte sich gar nicht erst die Mühe in dem Durcheinander Ausschau nach irgendeiner exotischen, ausländischen Musikzeitschrift zu halten. „Und was ist das, 'Ekhymosis'?“ Eifrig griff er nach der nächsten Norimakirolle. „Mmh....“, machte Den nun mit vollem Mund, „irgend so 'ne Band....klingen ganz cool!“ Er leckte sich die Fingerspitzen ab. „Ich war vor 'n paar Wochen in diesem Plattenladen, wo Pata auch immer abhängt. Der soll ja ganz guten Scheiß haben, der Schuppen. Uhm, na jedenfalls lag da in der Schrott-Abteilung so'n Tape rum von denen... Saubillig, sag ich dir!“ Plötzlich stand Den auf, kaum dass er fertig gesprochen hatte, ging rüber zu seinem vollbeladenen Schreibtisch, schob ein paar Sachen hin und her, als wüsste er ganz genau wo er suchen müsste, und hielt im nächsten Moment auch schon die Cassette in der Hand, von der er eben noch erzählt hatte. Damit ging er zurück zu Ryö und auf seinem Gesicht breitete sich ein deutliches Grinsen aus. „Die klingen richtig dreckig, sag ich dir!“ - 'Dreckig' war in diesem Falle natürlich ein Lob. Ryö reckte sich etwas um den Titel der Cassette erkennen zu können noch bevor Den sich wieder zu ihm auf den Boden gesetzt hatte. 'Desde arriba es diferente' konnte er entziffern. „Scheiße man, was ist das für 'ne behinderte Sprache?“, lachte er um seine Hilflosigkeit bezüglich der mangelnden Sprachkenntnisse zu vertuschen. „Keine Ahnung man, aber die klingen gut – saugut!“ Er nahm das Tape aus der Hülle und legte es in das Cassettenfach seines verstaubten Recorders, Welcher auf seinem provisorischem Nachttisch zwischen aufgeschlagenen Mangabänden, Socken und benutzten Essstäbchen stand. Sein Finger betätigte die Play-Taste und sogleich tönte kolumbianischer Hard-Rock durch das Zimmer. Den hatte keine Ahnung dass er mit diesem Tape im Besitz einer unglaublichen Rarität war. Wie sie alle dastanden, so gefügig, so bereit... Damit einverstanden zu sein für wildfremde Männer die Beine breit zu machen und dafür Geld zu nehmen... Sich von den widerlichsten Säcken nageln zu lassen, selbst wenn es verachtenswürdige Arschlöcher waren die nur das Loch zwischen den Beinen sahen und nie die ganze Frau. Kazzy hasste die Nutten schon fast dafür, was sie sich alles gefallen ließen und gleichzeitig verspürte er eine ungemeine Faszination und regelrechte Sympathie für diese Frauen. Ausserdem ließen sie auch ihn an sich ran, ganz so schlecht konnte er also nicht über sie denken. Doch wenn er mal wieder Eine beobachtete die in ihren Stöckelschuhen und ihrem viel zu kurzem Mini, unter dem schon der halbe Hintern hervorschaute, erst versuchte den potentiellen Kunden schöne Augen zu machen und sich dann doch sichtlich zierte wenn sie zu einem Interessenten ins Auto steigen sollte, dann bekam Kazzy einfach nur Wut. Wut auf die Schwäche dieser Frauen. Wenn sie den Sex mit diesem oder jenem Kerl nicht wollten, sollten sie sich lieber gleich von Anfang an fern von ihnen halten und sie nicht erst arschwackelnd anlocken. Kazzy hasste generell schwache Frauen. Nicht nur Nutten, auch schon früher auf dem Schulhof hatte er sich die Mädchen rausgepickt die einfach alles über sich ergehen ließen, mit denen er machen konnte was er wollte. Schwache Mädchen hatten in seinen Augen keine Gnade verdient – schwache Jungs übrigens auch nicht, aber Mädchen sah man die Schwäche wesentlich häufiger an. Bei den Nutten suchte er sich daher nur die heraus, denen er schon im Gesicht ansehen konnte dass sie Pfeffer im Arsch hatten. Wenn er jedoch einen Tag erwischte an dem fast nur die 'Schwächlinge' auf der Strasse herumstöckelten, ließ er sie seine Abneigung beim Sex deutlich spüren. Ihm war egal wie alt die Nutte war mit der er rumvögelte, er nahm Mädchen die genauso alt waren wie er genauso gerne wie Huren die schon zehn Jahre älter waren. Der Vorteil bei den Älteren war derren Erfahrung; sie kannten oft Stellungen die ihm noch völlig neu waren. Kazzy wollte gerade sein dunkles Versteck in der schmalen Nische zwischen zwei Häusern verlassen und die Nutte mit den langen, schwarzen Haaren und dem rot-schwarzem Rüschenkostüm ansteuern – er wusste dass sie sich Keiko nannte – als er plötzlich spürte wie sich eine große, kräftige Hand auf seine Schulter legte. „Hey, Kleiner...“, hauchte jemand hinter ihm. Eine rauhe, aber noch nicht so alte Männerstimme. Kazzy drehte sich um und sah nun einen gedrungenen, weißen Mann mit blondem Bürstenhaarschnitt vor sich stehen. Vielleicht ein Amerikaner, dachte er. Der Kerl ließ seine Pranke auf Kazzy's Schulter parken. „Ich könnte dir ein interessantes Angebot machen....“ Sein Atem roch nach scharfem Alkohol und sein Grinsen sah zwiespältig aus. Doch Kazzy war von Natur aus neugierig... Kapitel 8: nail file -------------------- Mit der einen Hand nahm er das Geld, während er mit der anderen Hand das kleine Plastiktütchen mit dem weißen Pulver gab. Ein flüssiger Austausch ohne Worte der so unauffällig wie nur möglich ablaufen musste. Sein Gegenüber sah ihm anschließend nicht einmal in die Augen sondern verließ kommentarlos den Ort des Geschehens. Hiroki war versucht dem Jungen nachzuschauen, doch er wusste dass er das nicht durfte um keinerlei Verdacht aufkommen zu lassen. So ließ er seine zur Faust geballte Hand mit dem Geld in seine Hosentasche gleiten und stromerte unauffällig – so unauffällig es für einen Japaner mit wasserstoffblonder Zottelmähne möglich war – durch die hinterhofartigen, schmalen Gassen weiter. Er verstand gar nicht warum sein Bruder Yoshiki es bisher noch nie versucht hatte Drogen zu verticken. Es war doch ganz einfach: Hatte man den Stoff, kamen die Junkies und kleineren Dealer zu einem wie die Fliegen zum Scheißhaufen. Man durfte sich nur nicht von den Bullen erwischen lassen. Aber es war ein schneller Weg um an Geld zu kommen dass man doch ab und an mal benötigte wenn man etwas haben wollte das nicht so leicht zu stehlen war. Plötzlich spürte Hiroki einen kräftigen Schubs gegen die Schulter und er kam ins stolpern. „Ey!“ Er konnte sein Gleichgewicht nicht mehr halten und ging zu Boden. „Pass gefälligst besser auf, du kleine Schwuchtel!“, bellte der junge und aggressiv wirkende Koreaner, der ihn angerempelt hatte und unbeirrt weiter stiefelte. Hiroki warf ihm einen verbissenen Blick zu, bevor er sich wieder erhob. „Wichser“, schnaufte er leise, für den Anderen jedoch nicht mehr hörbar. Sofort glitt seine Hand wieder in seine Hosentasche und er zählte mit den Fingern das Geld nach. Glück gehabt, alles noch da. Es wäre nicht das erste Mal gewesen dass man ihm beim Anrempeln Geld aus der Tasche stahl. „Komm da raus du Drecksratte! Ich krieg dich ja doch!“ Fäuste flogen trommelnd gegen die Badezimmertür. Tritte folgten. Und auf der anderen Seite der Tür, im kleinem, schmalem Badezimmer, stand Mogwai zitternd und fragte sich wie lange es noch dauern würde bis die Tür nachgab. Sein Vater hatte wieder getrunken. Das hieß, eigentlich hatten seine beiden Eltern wieder getrunken, nur dass sich der Alkoholpegel bei beiden völlig unterschiedlich bemerkbar machte: Während seine Mutter zunehmend ruhiger und schläfriger wurde je mehr sie intus hatte, desto lauter, aggressiver und brutaler wurde sein Vater. Dann war es auch egal ob Mogwai irgendetwas gemacht hatte oder nicht – seine bloße Anwesenheit war für seinen Vater schon Grund genug um auf ihm rumzuprügeln. Diesmal hatte es der Junge jedoch noch rechtzeitig ins Bad geschafft, nur wie es von hier aus weiter ging wusste er noch nicht. Dass er sich nicht mehr lange in diesem Raum aufhalten konnte war klar denn früher oder später würde sein Vater die Tür aufbrechen. Hastig öffnete er das Fenster und steckte seinen Kopf heraus um nach möglichen Fluchtwegen Ausschau zu halten. Sie wohnten im zweiten Stock, springen konnte er sich also aus dem Kopf schlagen denn wenn er da unten ankommen würde dann nur mit Knochenbrüchen und die konnte er sich ebensogut auch bei seinem Vater abholen. Links vom Fenster gab es eine Feuerleiter – die nur leider um die drei bis vier Meter von ihm entfernt war! Nach Hilfe schreien würde ebenfalls nichts bringen denn die Nachbarn hier hatten alle ihre eigenen Sorgen und kümmerten sich 'nen Scheiß um die anderen. Mogwai wand sich wieder vom Fenster ab, ließ seine Blicke quer durch das ganze Badezimmer jagen. Plötzlich griff er, ohne genauer darüber nachzudenken – es war fast wie ein Reflex – nach der Nagelfeile seiner Mutter, die in einem kleinen Gläschen zusammen mit noch ein paar anderen Utensilien aufgehoben wurde. Dann trat er auf die Tür zu, die unter dem Hämmern und Treten seines Vaters bebte, riss Diese auf und fuhr ihm mit der spitzen Nagelfeile kreuz und quer durch's Gesicht. Sein Vater schrie auf, zuerst vor Schreck, dann vor Schmerz und schon bald hielt er sich laut jaulend und fluchend die Hände vor das blutende Gesicht. Diese Chance nutzte Mogwai und er jagte in Windeseile durch die Wohnung bis zur Wohnungstür, riss Diese ebenso auf wie wenige Sekunden zuvor noch die Badezimmertür, schmiss sie hinter sich zu dass das ganze Treppenhaus dröhnte, raste die Treppen durch's Treppenhaus – immer drei Stufen auf einmal nehmend – hinunter, verschwand durch die Haustür ins Freie und hechtete ohne Pause die Strasse entlang ohne auch nur ein Mal zurück zu sehen. Eigentlich wollte er zu Kenzy's Wohnung, doch auf halbem Wege dorthin traf er auf Sceanna. „Mogwai, was ist los?“ Er hielt ihn sofort an den Armen stützend fest als er realisierte wie schwer der Freund ausser Atem war. „Was ist passiert?“ Er vermutete zuerst dass irgendwelche Banden hinter ihm her waren – vielleicht Leute von X. Mogwai hechelte wie ein junger Jagdhund und brauchte einige Momente bevor er auch nur ansatzweise sprechen konnte. Er musste mehrfach neu ansetzen bevor man ihn verstehen konnte. „...Vater......mein Vater.....! ….er wollte mich umbringen....!“ „Scheiße... Ist er dir gefolgt?“ Mogwai schüttelte erst den Kopf, dann zuckte er mit den Schultern. „Weiß ich nicht...! ...ich hab ihn verletzt....im Gesicht....“ In dem Moment stellte sich irgendwo in seinem Hinterkopf die Frage womit er ihn eigentlich verletzt hatte. Er hatte so unglaublich schnell gehandelt und über seine Tat überhaupt nicht nachgedacht. Wo er die Nagelfeile auf seiner Flucht verloren hatte, hätte er auch nicht mehr sagen können. Es ging einfach so verdammt schnell – es musste so verdammt schnell gehen. Es war das erste Mal dass er sich gegen die Wutausbrüche seines Vaters zur Wehr gesetzt hatte. Sceanna dachte nicht lange nach. „Komm, du kannst bei mir schlafen. Du musst nicht mehr zurück zu deinen Eltern.“ Er wusste dass es Mogwai's Todesurteil bedeutet hätte, wenn er jetzt noch zurück zu seinen Eltern gegangen wäre. Er wusste zwar noch nicht wie genau er das seinem eigenem Vater beibringen würde, dass er eigenmächtig entschieden hatte Mogwai bei ihnen aufzunehmen, aber das war ihm im Moment auch herzlichst egal. Mogwai jedoch schien noch etwas zu zögern. „Eigentlich wollte ich zu Kenzy....“, meinte er zaghaft. „Wenn seine Eltern rausfinden was deine Eltern mit dir machen, kriegen sie ganz schnell raus was wir alle so treiben und dann ist der Zoff zwischen Kenzy und seinen Eltern garantiert. Er kann froh sein dass er noch so ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern hat“, erwiderte Sceanna jedoch bestimmt. Das sah Mogwai ein. Daran hatte er nicht gedacht. Also ließ er sich bedingungslos zu Sceanna nach Hause führen. Sein Vater war arbeiten – er betrieb einen kleinen Kiosk – und Sceanna's Mutter war schon vor Jahren an Krebs gestorben. Somit hatten sie erst noch etwas Ruhe in der zwei-Zimmer-Wohnung. Sceanna machte für Mogwai in der Küche sofort ein paar Brote, wusste er doch dass Mogwai zu Hause eigentlich fast immer zu wenig zu Essen bekam und er sich ansonsten das Essen erklaute. Wenige Minuten später drückte er dem dunkelhaarigem Freund einen Teller mit vier Broten, belegt mit allem was der Kühlschrank so hergab, in die Hände und wies ihn an ja alles aufzuessen und bloß keinen Krümel übrig zu lassen. Er selbst müsse nochmal los, was erledigen. Und so blieb Mogwai allein zurück in der Wohnung, durch die er Brot mümmelnd schlenderte und sie sich genauer ansah denn so oft war er noch nicht bei Sceanna zu Hause gewesen. Irgendwann setzte er sich auf Sceanna's Bett und kaute am letztem Brot, während er seinen Blick durch das Fenster, hinaus in den blauen Himmel, warf. Er konnte nicht mehr zurück zu seiner Familie, das wurde ihm erst jetzt so richtig bewusst. Er konnte sich unmöglich nochmal alleine der Gegenwart seiner Eltern bzw. seines Vaters aussetzen, das wäre Selbstmord! Nur....er sah sich im Zimmer um, Welches nicht sehr groß war....wie lange er sich hier wohl aufhalten könnte....? Unterdessen war Sceanna auf dem Weg zu seinem Vater, der nicht weit von ihrer Wohnung entfernt den kleinen Kiosk hatte und dort auch jeden Tag von früh bis spät anzutreffen war da er es sich nicht leisten konnte Angestellte zu bezahlen. Dafür warf der Laden einfach zu wenig ab. Doch kam das auch nicht von ungefähr. Zum einen ging man nicht zu diesem Kiosk weil man wusste dass man dort genau das kaufen konnte was man haben wollte, sondern eher weil man einfach auf seinen Wegen an ihm vorbei kam; das Sortiment von Sceanna's Vater war nicht so vollständig wie es hätte sein müssen. Auch die Lieferanten nahmen ihn oftmals nicht für voll denn es passierte immer mal wieder dass z.B. die bekanntesten Tageszeitungen wie 'Chosun Ilbo' und 'The Korea Times' einfach nicht geliefert wurden. Obwohl es ihn persönlich bei 'Chosun Ilbo' nicht so sehr störte da er die Japanfeindlichkeit dieser Zeitung nicht leiden konnte, doch seinen Kunden solche alltäglichen Dinge wie die wichtigsten Zeitungen nicht bieten zu können war für einen Kiosk eigentlich schon der halbe Tod. Jedes Mal wenn ein Kunde an das Kioskfenster trat und eine dieser Zeitungen verlangte und er einen der lieferarmen Tage erwischt hatte, log Sceanna's Vater achselzuckend mit dem Wort „Ausverkauft“, der Kunde schüttelte verständnislos mit dem Kopf und ging. Es war schon fast zur Gewohnheit geworden. Für Sceanna's Vater stand eh schon fest dass die Lieferanten ihm sein Geschäft kaputt machen wollten weil er Japaner war. Der andere Grund für seine geringe Kundschaft war die miese Lage. Der Kiosk lag in einer Strasse die niemand gerne betrat wenn er nicht gerade hier durch musste. Die Hälfte der Häuser standen leer, der Putz bröckelte schon eimerweise von den Wänden und den Rissen im Mauerwerk konnte man täglich beim wachsen zusehen. Ausserdem gab es an einem Teil des Gehweges eine Dauerbaustelle die schon lange verlassen war. Für das aufgebuddelte Loch das mehrere Meter sowohl tief als auch breit war fühlte sich seit jeher niemand mehr verantwortlich. Zudem lungerten hier auch immer wieder Dealer, Billig-Nutten und Zuhälter rum. Der Besitzer des schlecht laufenden Kiosks war früher ein lebenslustiger junger Mann gewesen der voller Energie steckte. Selbst als er vor sechzehn Jahren mit seiner hochschwangeren Frau von Japan nach Süd-Korea kam und sie hier praktisch bei Null anfangen mussten, verließ ihn nicht der Mut. Aber nach einigen Jahren in diesem Land, einigen Jahren massivem Fremdenhass ausgesetzt zu sein, dass hatte seinen Lebensmut deutlich mürbe gemacht. Zu Anfang war er so naiv und dachte es sei das natürliche Misstrauen einem Fremden gegenüber, doch als er diesen Fremdenhass ihm, seiner Frau und seinem Sohn gegenüber auch noch Jahre später spürte, kam er zu dem Schluß dass es doch an ihrer Herkunft lag. Diese Erkenntnis hatte eine tiefe Wunde in seiner Seele hinterlassen die bis heute nicht geheilt war. Als dann auch noch seine Frau an Krebs erkrankte und zwei Jahre später starb, war es mit seinem Lebensmut endgültig dahin. Seitdem war er verbittert und in sich gekehrt. Man sah ihn nie mehr lachen und selbst ein kleines Lächeln war nur äusserst selten auf seinen Lippen vorzufinden. Sceanna mochte seinen Vater, zumal er auch sonst keinerlei Familie mehr hatte (ausser den Sister's). Als seine Mutter starb war er gerade mal elf und Geschwister hatte er nicht. Seine Eltern waren die einzigen aus der Familie die nach Süd-Korea gegangen waren. Er hatte zwar mal irgendwann irgendwas von einer Tante aufgeschnappt mit der sein Vater einige Male telefoniert hatte als seine Mutter noch lebte, doch schien der Kontakt auch irgendwann abgebrochen zu sein. Nun tappste Sceanna die letzten Meter quer über die Strasse auf den kleinen Kiosk zu. „Hey Dad...“ Er hob zum Gruß kurz die Hand. Sein Vater erwiderte den Gruß nicht, sah ihn nur müde an. Sceanna hatte sich an das Bild schon gewöhnt, dass sein Vater immer überarbeitet und erschöpft aussah; er konnte sich eigentlich kaum noch dran erinnern dass sein Vater auch mal eine lebendigere Seite an sich hatte. „Hör mal, Mogwai's Eltern werden immer schlimmer, sein Vater rastet immer mehr aus“, begann der rothaarige Junge. Sein Vater verzog keine Mine, schien unbeeindruckt. Er hörte seinem Sohn jedoch zu. „Sie schlagen ihn jeden Tag immer härter, die bringen ihn noch um wenn er da bleibt!“ Auch das erweckte bei dem schlanken Mann mit den Augenringen, die ihn viel älter aussehen ließen als er eigentlich war, kein erkennbares Interesse. Zu oft hatte er von seinem Kioskfenster aus mit angesehen wie Zuhälter die Freier ihrer Nutten zusammenschlugen und auf sie eintraten wenn sie nicht genug Geld dabei hatten oder wie Junkies und Dealer sich im wahrsten Sinne des Wortes um den Stoff prügelten. „Hast du was dagegen wenn er bei uns bleibt? Zumindest für's Erste?“ Sceanna setzte gekonnt seinen Bettelhundeblick ein den er schon als kleines Kind geübt hatte. Sein Vater sah ihm lange, mit unveränderter Mine, in die Augen. Jemand anderes wäre jetzt schon davon ausgegangen dass man bei Sceanna's Vater gegen eine Wand redete. Doch Sceanna wusste dass er bei seinem alten Herren nur etwas hartnäckiger sein brauchte. Und er sollte Recht behalten denn schließlich wand sein Vater den Kopf ab und machte mit der Hand eine lasche Wegwerfbewegung. „Aber wehe ich hab Ärger mit dem Bengel! Und hinterhertragen werde ich ihm auch nichts! Wenn er mir die Ohren vollheult dass er Heimweh nach seiner Mami bekommt, ist er weg!“ Sceanna strahlte über das ganze Gesicht. „Danke, Dad!“ Er hätte ihn jetzt am liebsten umarmt, doch der ihm mittlerweile zugewandte Rücken seines Vaters ließ darauf deuten dass Dieser im Moment nicht solch großes Interesse am Austausch von Zärtlichkeiten hatte. „Dad, gibst du mir zwei deiner besten Ramen?“ Als 'beste Ramen' bezeichnete Sceanna immer seine Lieblingssorte die nach einer Kombination aus Krabben und Curry schmeckte. Denn das war wahrscheinlich der einzige Grund weshalb der Kiosk überhaupt noch existieren konnte: Er hatte eine der größten Fertig-Ramen-Auswahl im ganzen Viertel. Denn sein Ramenlieferant war der zuverlässigste Lieferant von allen – wahrscheinlich weil er selbst Japaner war. Nun flog Sceanna's Vater doch noch ein kleines Schmunzeln über die Lippen denn er wusste wie sehr sein Sohn diese Dinger liebte. Die erste feste Nahrung die Sceanna damals zu Kinderzeiten zu sich genommen hatte waren Ramen. Er drückte ihm die zwei buntbeschrifteten Tüten in die Hand und der Rothaarige machte sich mit seiner Beute auf den Weg zurück zu Mogwai. Warum hatte seine Mutter eigentlich nicht noch einmal ordentlich für ihn eingekauft, bevor sie nach Sangju abdüste? Nun war nichts mehr zu trinken im Haus und ein träger hide schleppte sich notgedrungen zum nächsten Supermarkt, der glücklicherweise nicht weit entfernt war. An manchen Tagen konnte man hide wirklich als Faulheit in Person bezeichnen, besonders wenn er am liebsten den ganzen Tag zu Hause blieb und in seinem Zimmer Musik hörte, Musikzeitschriften durchblätterte und von seiner eigenen Gitarre träumte. Besonders in diesen Tagen, wo seine Mutter und sein kleiner Bruder nicht da waren, genoss er die Stille in der Wohnung die sonst kaum vorhanden war. Noch völlig in seinen Gedanken versunken und am überlegen ob er sich, sobald er wieder zu Hause war, nach der Led Zeppelin-Platte die Doors oder doch lieber Kiss anhören sollte, bog er um die nächste Ecke – und rannte gnadenlos in jemand anderen rein. „Fuck“, fluchte er zischend und wollte sich gerade vergewissern wer da noch so unachtsam wie er auf den Strassen unterwegs war. Doch als er den Kopf hob und seinem Gegenüber ins Gesicht sah, brachte er keinen einzigen Ton heraus. Vor ihm, und sichtlich genauso irritiert wie er selbst, stand Tusk. hide's Gedanken fuhren in den ersten Sekunden Karussell – und das viel zu schnell – bevor er eine Chance hatte sie wieder einigermaßen zu ordnen. Was tat Tusk hier? Warum war er alleine? War der Typ bewaffnet (er selbst war es im Moment nämlich nicht)? Würde Tusk angreifen? Warum sagte er nichts? Warum stand er genauso angewurzelt da wie er selbst? Kapitel 9: blank faces ---------------------- „Hey, Yosh!“, ertönte eine Stimme hinter dem Angesprochenem. Yoshiki brauchte sich nicht einmal umzudrehen, er wusste auch so wer das war da nur einer ihn so nannte. „Was gibt’s?“, erwiderte der Boss die Begrüßung, jedoch in einem fast gelangweiltem Ton. Kaugummikauend lehnte er an einer Mauer, die Hände in den Seitentaschen der ausgeblichenen Jeansjacke vergraben und wartete eigentlich auf Toshi. Jetzt erst trat Kazzy in sein Blickfeld. Er musterte das jüngere Mitglied; der Mimik nach zu urteilen schien es sich ja mal zur Abwechslung um gute Nachrichten zu handeln. „Was hälst du eigentlich von 'ner neuen Ausrüstung?“ Die einzige Antwort die Kazzy erntete war ein leicht verständnislos klingendes „Hä?“ Der blonde Wischmopp trat bis auf wenige Millimeter an den Boss heran, öffnete vorsichtig seine Jacke und holte mit der anderen Hand noch vorsichtiger eine Schusswaffe ans Tageslicht. Yoshiki's Langeweile war mit einem Schlag verflogen. Neugierig und sichtlich interessiert musterte er den schwarzglänzenden Revolver. „Wo hast du den her, verdammt?“ „Wo es den gibt, gibt’s noch mehr.....natürlich nicht umsonst...“, säuselte Kazzy selbstsicher. Doch diese Antwort gefiel Yoshiki ganz und gar nicht, weder vom Ton her noch von den Worten. Keiner von X konnte es sich erlauben, seine Autorität in Frage zu stellen. Deshalb packte seine Hand im nächsten Augenblick auch schon Kazzy's Kragen und er funkelte ihn eindringlich an. „Wo hast du den her?“, wiederholte er seine Frage, diesmal jedoch deutlich leiser, zischender und mit diesem gefährlichem Unterton dem man sich besser nicht widersetzen sollte, wenn man heile davon kommen wollte. Und schon war es aus mit Kazzy's Selbstsicherheit. „Hey, okay, is' ja gut!“, jappste er. „Ich hab sie von so 'nem Kerl.“ „Was für 'nem Kerl?“ „'nem Weißen. Er hat sie mir angeboten und er hat auch noch mehr davon.“ Seine Augen hatten nun überhaupt nichts Überlegenes mehr wie noch bis vor wenigen Sekunden, eher konnte man in Ihnen nun Unsicherheit rauslesen. Innerlich wünschte er sich manchmal, Yoshiki würde nicht jedes Mal gleich so grob zupacken um seine Position als Führer zu demonstrieren. Aber er wusste auch dass dieser Wunsch hoffnungslos war. Yoshiki würde sich nie ändern. Der Boss schien einen kurzen Moment lang zu überlegen. „Kannst du uns mit den Dingern versorgen?“ Satt aber müde legte Mogwai seine sauber abgeleckten Stäbchen auf die leere Schüssel vor sich. Er hatte diese Sorte Ramen zuvor noch nie probiert, aber Sceanna hatte Recht, sie schmeckten wirklich gut! Der rothaarige Gastgeber hielt seine Schüssel gerade an den Mund um auch die letzten Schlucke Flüssigkeit durch seinen Hals rinnen zu lassen, wollte er doch keinen Tropfen dieser Köstlichkeit vergeuden. Manche seiner Freunde nannten ihn schon scherzhaft 'Ramen-Junkie' – und so falsch lagen sie damit vielleicht auch gar nicht. „Danke...auch dass ich hier wohnen darf“, kam es schließlich leise von Mogwai der scheu lächelte. Sceanna setzte seine bis auf den letzten Rest geleerte Schüssel ab und leckte sich großspurig über die Lippen. „Kein Ding“, schmatzte er grinsend und nickte ihm knapp zu. Der Jüngere zögerte noch einen Moment, dann überwand er den kleinen Zwischenraum zu Sceanna, beugte sich vor und umarmte ihn vorsichtig. Sceanna erwiderte diese freundschaftliche Geste sofort und strich ihm mehrmals über den Rücken, an dem man so deutlich die einzelnen Wirbel und Knochen spüren konnte. „Hey...wir sind die Sister's, wir halten immer zusammen“, meinte er ermutigend weil er noch immer Mogwai's Vorsicht spürte. „Ja“, erwiderte Dieser leise aber glücklich klingend seufzend. Mogwai schloss seine Augen. Er spürte die Wärme von Sceanna's Körper, roch dessen Haare. Es kam so selten vor, dass er diese Geborgenheit bei jemandem spüren durfte. Es kam so selten vor, dass er in jemandes Armen lag. Eigentlich hatte er diese körperliche Nähe und Geborgenheit für gewöhnlich nur bei Kenzy. Weil er sich ihm am meißten anvertraute. Dabei konnte er in der ganzen Gruppe Schutz und Verständnis finden, das wusste er. Doch nicht jede Umarmung bedeutete gleich viel Geborgenheit. Irgendwie spielte da noch etwas anderes zusätzlich eine Rolle. Als Mogwai seinen Kopf von Sceanna's Schulter hob blickte er – in ein leeres Gesicht. Und das war wörtlich zu nehmen denn Sceanna's Gesicht schien wie ausradiert zu sein. Nur noch eine monoton einfarbige und ebene Fläche prangte da, wo vor wenigen Sekunden noch Augen, Mund und Nase vorzufinden waren. Der Schock lähmte Mogwai für die ersten Sekunden, er starrte einfach nur mit weit aufgerissenen Augen dahin, wo eigentlich Sceanna's Gesicht sein müsste. Als endlich wieder Bewegung in seinen Körper kam, riss er sich panisch schreiend aus der Umarmung und stürzte aus dem Zimmer. Sein Herz raste, ihm wurde übel. Er befand sich jetzt im Flur und das, was er soeben noch vermisste, sah er jetzt in einer Überzahl: Gesichter. Überall an den Wänden und sogar der Decke erschienen Gesichter, Puppengesichter. Überall, wo er auch hinsah, tauchten sie lautlos auf und starrten ihn mit einem kindlichem, unschuldigem Lächeln an. Keuchend und fiepsend vor Angst riss Mogwai seinen Kopf immer wieder in eine andere Richtung, wollte den Massen von Gesichtern entkommen, doch wohin er auch sah – er sah in Gesichter. Sie waren da. Sie konnte man scheinbar nicht ausradieren, so wie Sceanna's Gesicht. Mit einem erneutem panischem Aufschrei rannte er aus der Wohnung, durch das Treppenhaus und damit hinaus auf die Strassen. In die Menschenmassen. Die Menschenmassen, mit denen auch etwas nicht stimmte. Denn......sie hatten keine Gesichter. Wie eben schon bei Sceanna, schien auch hier jedes Gesicht gnadenlos ausgelöscht worden zu sein. Mogwai stand inmitten einer Menschentraube die sich um ihn zu bilden schien und immer größer wurde. Alle starrten ihn an, zumindest hätte man davon ausgehen können dass sie ihn anstarrten – wenn sie Augen gehabt hätten. So wanden sie ihm alle nur ihre leeren Gesichter zu, ihre Identitätslosigkeit. Mogwai war mittlerweile binnen weniger Augenblicke von ihnen eingekesselt worden. Hektisch wimmernd und keuchend drehte er sich immer wieder im Kreis, wie auch vorhin schon im Wohnungsflur, um einen Fluchtweg zu finden. Doch es gab keinen. Es gab gar nichts, nur diese namenlosen Körper aus sich monoton bewegendem Fleisch die um ihn herum standen. Ihn gefangen hatten. Gefangen genommen hatten ohne jegliche körperliche Gewalt. Niemand hatte ihn berührt, es war einfach nur diese Überwältigung und der Schock über das Unfassbare dass ihn nicht mehr los ließ. Das ihn festhielt. Das ihn zum Sklaven der Angst machte. Seiner eigenen Angst. Und er konnte sich dieser Angst nicht entziehen, sie war einfach überall. Um ihn, in ihm.....wie ein Strudel in den er gerissen wurde und der, kaum dass er Mogwai's Körper in Beschlag genommen hatte, sich nun auch noch in sein Inneres fraß......sich immer weiter fraß bis nichts mehr übrig war.......gnadenlos.......... Bis er seinen Kopf von Sceanna's Schulter hob, gepaart mit einem ersticktem Aufschrei. „Mogwai, beruhig dich! Du hast nur geträumt!“, versuchte der rothaarige Freund den völlig verwirrten Mogwai wieder zu beruhigen, der ihn so hilflos und ängstlich anstarrte. Er hielt ihn an den Schultern fest damit er ihm nicht abhauen konnte und schüttelte ihn immer wieder vorsichtig aber gleichzeitig bestimmend. „Hörst du? Es war ein Traum! Es war nur ein Traum! Du bist kurz eingenickt!“ Mogwai starrte nur keuchend. Sceanna hatte wieder ein Gesicht. Ein ganzes Gesicht. Sein Gesicht. Das Gesicht mit dem er Sceanna kannte. Langsam drang auch dessen eindringliche Stimme in sein Bewustsein, wurde zunehmend lauter und klarer, bis er seine akustische Wahrnehmung wieder vollends erlangt hatte. Schlagartig füllten sich seine noch so kindlichen Augen mit Tränen. „Is' okay, es ist alles okay, Kleiner“, flüsterte Sceanna und drückte den Freund behutsam an sich, schlang seine Arme beschützend um ihn. Beruhigend wiegte er ihn sanft vor und zurück, wie ein Baby das zu unruhig war. Immer wieder fuhr er mit einer Hand über Mogwai's Kopf um ihm mehr Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Der Angstgeplagte erinnerte sich an einen Alptraum den er vor Kurzem hatte und der verdammt ähnlich ablief; damals hatte er beim ersten Erwachen auch gedacht er sei sicher bei Tusk, doch dann ging der Traum noch weiter und er musste noch ein zweites Mal aufwachen. Doch trotz dieser Gefahr ließ Mogwai alles zu was Sceanna mit ihm machte. Er schmiegte sich erschöpft und zitternd an Sceanna's Körper; er hatte einfach nicht mehr die Kraft gegenan zu kämpfen. Sein Geist und Körper waren ausgepowert, überstrapaziert. Er ließ sich in der geglaubten Geborgenheit fallen, nahm sie an, ob sie nun real war oder nicht. Er hatte keine andere Wahl, er war zu keiner anderen Entscheidung mehr fähig. Seine Tränen fielen in Sceanna's rote Haare. Missmutig streunerte Pata durch die Straßen, immernoch angepisst von hide's Aussage über die eigenen Träume. Er hatte seit dem Gespräch auf dem Dach kein Wort mehr mit ihm gewechselt und dass sie sich seit dem im Treppenhaus ihres Hauses fast zwei Mal über den Weg gelaufen wären hatten beide nicht realisiert. Stur hatte Pata seinen Blick auf den Boden geheftet und kickte mit der Stiefelspitze schon seit fünf Minuten eine leere Limo-Dose vor sich her. Träume......er konnte nur bitter lächeln. hide war ja so naiv und blauäugig, wusste gar nicht wovon er da sprach. Als ob man einfach so nach Lust und Laune nach seinen Träumen greifen und sie ausleben könnte. So ein Quatsch! Einen Scheißdreck waren diese Träume wert! hide würde das irgendwann auch noch begreifen, spätestens wenn ihn sein erster Traum enttäuschen und er auf die Schnauze fliegen wird. Nur wenige Sekunden später erschrak Pata etwas über sich selbst. Was tat er da eigentlich? Er würde hide doch nie etwas Schlechtes wünschen, dafür hatte er ihn viel zu gerne... Aber trotzdem: Diese naive Tour vom Blonden konnte ihn ab und an schonmal in den Wahnsinn treiben. Irgendwann hob der Irokese seinen Kopf und stellte fest, dass er unwillkürlich in einem der Nuttenviertel gelandet war. Sein sich verlangsamtes Schritttempo brachte ihn schließlich endgültig zum Stillstand. Hier wollte er eigentlich gar nicht hin. Glaubte er. In Wirklichkeit hatte er gar kein Ziel gehabt als er losgetrabt war. Er war wie so oft losgestreunert, ohne Plan, ohne Ziel. Pata's Augen musterten kurz die Nutten die auf der gegenüberliegenden Strassenseite auf und ab stöckelten oder auch nur seelenruhig dastanden, rauchend. Ob er hier gerade Kazzy's Revier betreten hatte? Er wusste nur dass es einige Ecken gab an denen Kazzy die Nutten öfter vögelte als in anderen Gegenden. Aber eigentlich war Pata das schnurzpiepegal. Er war gerade im Begriff auf dem Absatz kehrt zu machen, als er in der Ferne einen hellblonden Haarschopf aufblitzen sah. Pata blinzelte. Gehörte dieser mutierte Wischmopp nicht Yoshiki's kleinem Bruder? Seine Füße entschieden sich doch wieder um und gingen weiter geradeaus, überquerten die Strasse und bogen in die nächste kleine Seitenstrasse ein, von der aus er den vermeintlichen Haarschopf hatte aufblitzen sehen. Pata hielt sich geschickt im Hintergrund, nutzte einen Hauseingang als Versteck. Tatsächlich, da stand Hiroki und vor ihm ein korpulenter Typ im grauem Anzug. Die beiden redeten über irgendetwas, doch sie standen zu weit weg als dass Pata etwas hätte verstehen können. Ging Hiroki jetzt etwa schon anschaffen? Doch dann konnte er erkennen wie der weißblonde Junge mit einer fließenden Bewegung dem Anzugmann irgendwas in die Hand gab. Es sah aus wie ein winziges Plastiktütchen oder sowas. Kondome? Der Typ gab ihm kurz darauf irgendwas zurück, etwas das aussah wie Geldscheine. Dann ging der Kerl fort. Pata wartete noch einen Moment in seinem Versteck. Er wollte wissen was Hiroki als Nächstes tat. Der Junge zählte das Geld kurz nach, ließ es dann in seiner Hosentasche verschwinden und mischte sich wieder unter's Volk. Pata kniff die Augen ein Stückchen zusammen. Das sah jetzt gerade aus wie eine laienhafte Drogenübergabe. Hatte Hiroki etwa zu dealen angefangen? Wusste der Typ eigentlich was er da tat? Mit größter Wahrscheinlichkeit nicht, sonst würde er anders vorgehen, nicht so offensichtlich, nicht so laienhaft und nicht hier. Pata verließ sein Versteck erst als der Kleine um die nächste Ecke gebogen war. Der Schritt den er nun drauf hatte war nicht zu vergleichen mit dem Schlendrian der davor noch Einzug gehalten hatte. Mit sicheren, großen und auch etwas zügigen Schritten bewegten sich seine schwarzen Stiefel nun zielsicher in eine ganz bestimmte Richtung. Kapitel 10: Here comes trouble! ------------------------------- Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. „Was machst du hier?“, platzte es dann schließlich doch aus hide raus. Und schon im nächsten Moment hätte er sich auf die Zunge beissen können für so eine dämliche Frage. Wie idiotisch diese unüberlegte Frage war sagte ihm im Nachhinein nicht nur sein Verstand sondern ließ sich auch hervorragend von Tusk's Gesicht ablesen, der ihn nur verständnislos anblinzelte. „Hä? Spinnst du? Willst mir etwa verbieten hier längs zu laufen? Ausserdem ist das hier nicht mal euer Revier, also pass auf was du sagst“, zischte Tusk nur zurück während er seine Augen zu schmalen Schlitzen verengte um seiner Aussage mehr Ausdruck zu verleihen. hide war sich ziemlich sicher: Wenn es nötig wäre würde Tusk angreifen, auch alleine. Und da wurde ihm das erste Mal so richtig bewusst wie hilflos er sich fühlte wenn er bei so einer Begegnung mit anderen, 'feindlichen' Bandenmitgliedern alleine dastand. Auch wenn Tusk im Moment ebenso alleine war wie er selbst, es war ein schrecklich einsames Gefühl. Er musterte den Zottelhaarigen eine ganze Weile um abwägen zu können wie groß die Gefahr eines möglichen Angriffes von ihm sei – und ob er überhaupt angreifen würde. Doch ob er bei einem Angriff von Tusk zurück schlagen würde, da war er sich jetzt gar nicht mehr so sicher. Nicht weil er eingeschüchtert war, sondern viel mehr weil er Tusk nicht schaden wollte.... Er wusste dass ihn das noch in Schwierigkeiten bringen würde, aber irgendwie war im der Typ mit den schiefen Zähnen sympathisch. Ausserdem hatte er Respekt vor ihm. Allein schon wegen seines musikalischem Interesses, aber auch generell... Der Typ strahlte einfach eine unglaubliche Selbstüberzeugung aus die jedoch nicht zu verwechseln war mit Hochmut (etwa wie bei Yoshiki, auch wenn man ihm das nie ins Gesicht sagen durfte wenn man Interesse am eigenem, unversehrtem Körper hatte). Tusk schien irgendwann jedoch das Interesse, von hide angestarrt zu werden, verloren zu haben denn er setzte sich schließlich wieder in Bewegung und ging wortlos an ihm vorbei, ohne ihn auch nur noch eines Blickes zu würdigen. Der Blonde mit der Zimmerpalmenfrisur blickte ihm mit großen, regelrecht naiven Augen hinterher, verrenkte geradezu seinen Hals nach ihm. Er war sich ziemlich sicher: Nicht jeder von den Sister's hätte so einen 'coolen Abgang' hingelegt wie Tusk. Der Typ hatte einfach seinen ganz eigenen Stil und das imponierte hide immer mehr. Er bewunderte ihn. Doch wie lange würde er das noch können bis er damit in Schwierigkeiten geriet? Mit Pata hatte er sich deswegen schon gestritten obwohl es nicht seine Absicht gewesen war. Und wie würden die anderen in so einer Situation auf ihn reagieren? Toshi oder gar Yoshiki...? hide schüttelte energisch seinen Kopf. Er wollte gar nicht weiter denken. Lieber setzte er sich wieder in Bewegung Richtung Supermarkt, hatte er doch eigentlich nur vorgehabt sich was zu trinken zu kaufen. Doch so leicht ließen sich seine Gedanken nicht abschütteln und so kreisten sie ihm auch noch im Kopf herum als hide im Supermarkt vor der Getränke-Abteilung stand und, ohne wirklich hinzukucken, fast im Zeitlupentempo nach einer Trinkpackung griff. Mittlerweile war er dabei sich die Reaktion von jedem einzelnem Mitglied von X auszumalen wenn Diese erfahren würden wie er zu Tusk stand. Den würde ihn kurz für verrückt erklären, sich aber nicht beeindrucken lassen und Tusk unter Umständen auch direkt vor seinen Augen Eine reinhauen. Den fackelte nie lange und für ihn galt es, feindliche Bandenmitglieder zu bekämpfen und nicht sich mit ihnen anzufreunden. Ryö hingegen würde vielleicht schon versuchen für ihn, hide, Verständnis zu zeigen. Aber ob er Tusk deswegen keine reinhauen würde.....? hide war sich da nicht ganz sicher. Kazzy konnte er überhaupt nicht einschätzen, er tendierte bei ihm aber auch eher, ähnlich wie bei Den, zu 'ner Prügelei. Von Toshi würde er als allererstes angebrüllt werden wenn Dieser von seiner Sympathie zu Tusk erfuhr. Erst angebrüllt werden und dann würde Toshi alles daran setzen Tusk auch für ihn wieder als 'ganz normales Feindbild' geltend zu machen, und wenn's mit Gewalt sein musste. Und als seine Gedanken bei Yoshiki angelangt waren stoppte er seine Fantasien sofort – denn bei dem Thema waren ihm die Gedanken, was Yoshiki mit ihm machen würde, schon zu hart. Die Realität würde noch blutiger aussehen. hide blinzelte. Was hielt er da in der Hand...? Hatte er in seinem Gedankenwahn völlig geistesabwesend daneben gegriffen und hielt nun eine Packung Ananassaft in der Hand! Dabei hasste er Ananassaft wie die Pest! Eiligst stellte er die Packung zurück ins Regal und griff daneben – nun in der richtigen Reihe – nach zwei Packungen Organgensaft. Doch bevor er damit zur Kasse ging, steuerte er noch spontan die Süßigkeitenabteilung an, griff, ohne lange zu überlegen, nach einer Packung bunter Lakritze und Weingummi und ließ die Tüte in einem günstigen Moment gekonnt in seiner Jacke verschwinden. Dann erst watschelte er zu den gut gefüllten Kassen und wartete an die Reihe zu kommen. „Gib her!“, fauchte Yoshiki und riss dem Mädchen die Geldscheine aus der Hand. Er warf einen kurzen Blick drauf. „Mehr hast du nicht dabei?“ Er hatte ein paar Won mehr erwartet. Das Mädchen mit den kurzen Haaren schüttelte den Kopf und blickte, untypisch für die meißten seiner Opfer, Yoshiki dabei fest in die Augen. „Nein.“ Yoshiki wollte dies jedoch nicht wahr haben und griff nun eigenmächtig in diverse Hosen- und Jackentaschen die das Mädchen zu bieten hatte. Doch ausser ein paar mickriger Münzen und einem alten Kaugummi fand er nichts weiteres bei ihr. Verdammt! Dabei hätte er darauf wetten können dass sie noch mehr Geld bei sich hatte! Aber nicht nur das wenige Geld schmeckte ihm an diesem Mädchen nicht – sondern auch die Tatsache, dass sie sich scheinbar nicht wirklich von ihm einschüchtern ließ. Seit er sie in die Seitengasse gezogen hatte, hatte sie ihm gegenüber kein einziges Mal den Blick gesenkt. Sie zeigte nicht die typische Unterwerfung der meißten Mädchen und Frauen die er sich griff um sie auszurauben. Sie hatte nicht einmal gewimmert als er ihr befohlen hatte ihm ihr ganzes Geld zu geben! Miststück! Warum hatte sie keine Angst vor ihm? Doch so sehr er sich innerlich auch aufregte, er musste früher oder später einsehen dass bei ihr einfach nicht mehr zu holen war. „Los, verpiss dich, du Schlampe!“, fuhr er sie schließlich an während er sich seine mickrige Beute in die Taschen stopfte. Ohne jeglichen Kommentar und ohne sich auch nur ein Mal umzudrehen, verließ das Mädchen die Gasse – lässig gehend! Sie rannte nicht mal! Yoshiki kochte. Er war nur haarscharf davor gewesen ihr hinterherzuhechten und sie für diesen Abgang nieder zu prügeln. Was fiel diesem Biest nur ein ihn zur Weißglut zu treiben? Wutentbrannt trat er mit dem Fuß gegen die Wand neben sich. Was ihm jedoch nur Schmerzen im Fußgelenk bescherte. Eins stand fest: Beim nächsten Überfall würde er doch wieder Touristen nehmen. Die hatten in solchen Situationen definitiv mehr Angst und für gewöhnlich auch wesentlich mehr Bargeld bei sich. Er hatte zwar gedacht, dieses Mädchen mit den rötlich schimmernden Haaren, derren gesamtes Erscheinungsbild nicht gerade dem südkoreanischem Mainstream zuzuordnen war, wäre womöglich ein Tourist gewesen, aber offensichtlich war dem wohl nicht so – oder sie hatte schlichtweg Erfahrung mit solchen Situationen. Es war purer Zufall als Yoshiki später an diesem Tag in Pata hinein rannte, als er gerade auf dem Weg zu Selbigem war – denn Pata hatte genau das Gleiche vorgehabt, wie sich kurz darauf heraus stellte. „Was gibt’s?“, erkundigte Yoshiki sich, erkannte aber sofort an Pata's Miene, dass es sich um was Ernstes handeln musste womit der Irokese zu ihm wollte. „Komm mit“, entgegnete er nur und da sie nur wenige Meter von Pata's Wohnung entfernt standen, zog er ihn am Arm einfach mit. Yoshiki hasste es physisch so vereinnahmt zu werden und riss seinen Arm schnell wieder aus Pata's Griff raus, sagte jedoch nichts. Er schielte ihn nur unauffällig von der Seite an. Pata war der einzige Mensch der es wagte ihn so anzufassen. Und er fragte sich manchmal was ihn dazu bewegte. Pata zückte seine Schlüssel, schloss die Haustür auf und ging dann schnurstracks durch das Treppenhaus hinunter in den Keller, zu einem ihrer geheimen Treffpunkte. Es gab auch noch einen unoffiziellen Weg, der führte auf der anderen Seite des Hauses durch ein Kellerfenster und wurde meißt genutzt wenn sich die ganze Gruppe schnell versammeln sollte. „Spuck's schon aus, was is'?“ Yoshiki verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich mit dem Rücken lässig gegen ein Metallgitter, das als Abgrenzung eines Teils des Kellers galt. „Es wird dir nicht gefallen“, begann Pata, musterte den Anführer von X noch einmal bevor er, nach einer kleinen Kunstpause, weiter sprach. „Dein kleiner Bruder vertickt Drogen.“ Wären Yoshiki's Augäpfel nicht mit Sehnerven verbunden gewesen, sie wären ihm in diesem Moment gnadenlos aus dem Kopf gekullert. „Hiroki??“ Seine Stimme überschlug sich fast. „Ich weiß nur von einem kleinen Bruder von dir“, erwiderte Pata die Fassungslosigkeit des Anderen. Schlagartig war alle Lässigkeit an Yoshiki verflogen, er stemmte sich mit dem Rücken vom Gitter ab, trat unruhig von einem Fuß auf den Anderen und fuhr sich mit der Hand durch's Gesicht. „Scheiße...is' das sicher?“ „Ich hab ihn dabei gesehen“, lautete die ernüchternde Antwort. Yoshiki konnte es nicht fassen. „Fuck!“ Er schlug mit der flachen Hand gegen das Gitter. „Dieser Vollidiot! Was denkt er was er da macht?“ „Alt genug um zu wissen dass das keine Bonbons sind müsste er doch schon sein“, war Pata's Kommentar, nach wie vor ruhig aber mürrisch. „Scheiße“, wiederholte Yoshiki, diesmal jedoch nur noch im Flüsterton, und lehnte seine Stirn gegen das Gitter. Er schloss die Augen. Hiroki war dreizehn und verdammt naiv. Es war was anderes wenn er als Bandenboss Waffen organisierte als wenn sein kleiner Bruder im Alleingang Drogen vertickte. Glaubte er. Hiroki war mit seinem Verhalten noch nie wirklich auffällig gewesen – sah man mal von seiner Frisur ab -, warum fing er jetzt urplötzlich damit an? Und warum ausgerechnet bei irgendwelchen Drogendealern? Warum konnte er nicht Ladendiebstähle begehen oder Leute abziehen? Das war bei Weitem übersichtlicher. Dass er sich um seinen kleinen Bruder gerade sorgte wie es seine Mutter damals um ihn selbst tat, als er sich seine erste Strafanzeige eingefangen hatte, war Yoshiki nicht bewusst. Er hob den Kopf, schaute Pata an. „Weißt du wo er hingegangen ist?“ Pata sah in diesem Moment etwas, was er nur äusserst selten bei Yoshiki sah: Sorge. Sorge um eine geliebte Person. Doch er zuckte nur kurz mit den Schultern. „Keine Ahnung.“ „Ich muss weg“, kam daraufhin vom Leader und er stürmte aus dem Keller heraus nach draussen, machte sich schnurstracks auf den Weg nach Hause. Er wartete geschlagene zwei Stunden in der Wohnung auf Hiroki. Ihre Mutter arbeitete heute lange und Yoshiki hoffte, seinen Bruder noch vor Ankunft der Mutter abzufangen. Endlich hörte er den Schlüssel der ins Schloss der Wohnungstür gesteckt und kurz darauf umgedreht wurde. Wenig später trat Hiroki in die Wohnung und aufgrund der Stille die hier herrschte war er zuerst in der Annahme, der einzige Anwesende zu sein. Er hatte Durst und noch bevor er seine Jeansjacke auszog betrat er die Küche – aber zum trinken kam er erst gar nicht denn kaum hatten seine Schuhsohlen den Küchenfußboden berührt, schnellte auch schon wie aus dem Nichts eine Hand herbei und packte ihn, im wahrsten Sinne des Wortes, am Kragen. „Wo kommst du her?“, bekam er ins Gesicht gefaucht und völlig überrascht und verstört blickte er in Yoshiki's Augen. „Wa-was? Ey, was soll das? Lass mich erst ma' los, ja?“ Doch statt der Aufforderung des Jüngeren Folge zu leisten, packte er ihn jetzt mit beiden Händen an der Jacke und schüttelte ihn kurz aber fest durch. „Was machst du für Scheiße, hä? Drogen verticken! Sag ma' hast'e sie noch alle?“ Yoshiki schrie ihn an, rüttelte alle paar Worte wieder an ihm. Hiroki starrte seinem großen Bruder nur erschrocken ins Gesicht. Diese Reaktion reichte dem Älteren jedoch nicht. „Sag was!“, forderte er ihn wütend auf, schüttelte ihn abermals. „Scheiße man, woher weißt du das mit den Drogen?“, brachte Hiroki schließlich doch noch über die Lippen. „Ich erfahr' alles was ich wissen muss“, lautete nur die geknurrte Antwort. „Also sag endlich – wo hast du den Scheiß her und wer bezahlt dich dafür?“ „D-das is' nur so'n kleiner Dealer, nix Großes!“, versuchte Hiroki sich nun zu verteidigen. So wie Yoshiki ihn gerade behandelte hatten sie sich zuletzt als Kinder gestritten, wenn er sich von seinem großen Bruder unerlaubt Mangas geliehen hatte oder damals, als er Yoshiki's erstes Porno-Heft in dessen Zimmer gefunden hatte und – völlig unwissend – damit zu ihrer Mutter gelaufen war um zu fragen warum die Frauen auf den Bildern alle nackt waren. Das alles war schon Jahre her, doch jetzt packte der Ältere ihn plötzlich wieder so hart an und langsam bekam Hiroki es mit der Angst. „Was weißt du schon wann eine Sache zu groß ist um die Finger davon zu lassen“, schnaubte Yoshiki aufgebracht – und ließ nun auch seine Finger von Hiroki. Damit war das Verhör aber noch nicht zu Ende. „Verdammte Scheiße, Hiro! Das is' was anderes als kleinen Kindern Bonbons zu klauen und sie dann anderen Kindern zu verkaufen.“ Er fuhr sich gestresst durch's Haar während er sich kurz halb abwandte und seinen Blick quer durch die kleine Küche gleiten ließ, ohne dass sein Blick auf was Spezielles fiel. Anschließend fingen seine Augen wieder seinen Bruder ein. „Was verkaufst du?“, wollte er nun genau wissen. Hiroki hatte mittlerweile den Kopf gesenkt, stand da wie ein begossener Pudel. Er spürte langsam, dass irgendwas an seinem kleinem 'Nebenverdienst' doch nicht so in Ordnung war wie er zuerst angenommen hatte. „Nur 'n bißchen Shabu....und heute sollte ich's mit 'n bißchen Koks probier'n“, nuschelte er in seinen nicht vorhandenen Bart. Yoshiki riss die Augen weit auf. „SHABU?“, wiederholte er fast kreischend, während seine Stimme sich überschlug. „Du nimmst den Scheiß doch nicht etwa selber, oder?“ Daraufhin hob Hiroki wieder seinen weißblonden Wuschelkopf. „Nein, tu ich' nich'.“ „Und wie kommst du überhaupt an Koks ran?“ Da Koks für Südkorea eher untypisch war, fiel ihm erst im Nachhinein auf wie ungewöhnlich es war, dass Hiroki damit in Kontakt kam. „Der Typ is' 'n Weißer, kommt, glaub ich, aus Amerika oder so... Der schmuggelt das Koks ins Land und will es hier verbreiten.“ Einerseits wollte Yoshiki immer so viele Informationen auf seine Fragen erhalten wie nur möglich war, andererseits erschrak es ihn aber auch, dass Hiroki bereits so tief eingeweiht war. „Du hörst mit dem Scheiß sofort auf!“ So wie Yoshiki ihn anfuhr hätte man auch denken können es handele sich um ein Vater-Sohn-Gespräch – worüber sich der Ältere jedoch gar nicht bewusst war. Hiroki hielt es nicht mehr aus, die harte Behandlung seines Bruders war in diesem Moment zu viel für den sensiblen Jungen und er stürzte fluchtartig aus der Wohnung. Yoshiki, der mit vielem aber nicht damit gerechnet hatte, stürmte nach der ersten Schrecksekunde hinterher. Doch Hiroki war flink und als Yoshiki gerade die Stufen des Treppenhauses runterhechtete, war Hiroki schon durch die Haustür entkommen. Nur wenige Sekunden darauf riss auch Yoshiki die Tür auf und stand sogleich auf der Strasse, blickte hektisch nach allen Seiten. Was plötzlich in sein Blickfeld fiel – nur wenige Meter von ihm selbst entfernt – war aber nicht sein kleiner Bruder sondern Taiji...! Als sei er zuvor gestürzt, war der Lockenkopf gerade dabei sich wieder aufzurappeln. Der hatte Yoshiki gerade noch gefehlt! „Ey! Was machst du Penner hier? Das is' unser Revier!“, schnauzte er sofort den vermeindlichen Feind an und stampfte auf ihn zu. Taiji, mittlerweile wieder auf beiden Beinen stehend, blinzelte ihn nur an. „Sach deinem kleinen Bruder lieber mal, er soll nicht wahllos Leute umrennen“, zischte er zurück, unbeeindruckt von Yoshiki's Lautstärke. „Ausserdem lass' ich mir von dir nicht vorschreiben wo ich längs gehen darf und wo nicht...!“ Schlagartig verstummte Yoshiki – aber nicht weil er sich von Taiji bedroht fühlte, sondern weil Dieser scheinbar wusste wo Hiroki stecken könnte. „Hiro.....wo ist er?“ Nun war es Taiji, dem es fast die Sprache verschlug. Er blinzelte irritiert. Noch nie hatte er erlebt dass Yoshiki das Interesse daran verlohr ihn fertig zu machen – und jetzt war ihm sein kleiner Bruder wichtiger als ihm Eins in die Fresse zu schlagen? Zeigte sich da etwa Besorgnis beim Leader von X? Bei dem Leader, der sonst immer für seine eiskalte Brutalität und Hinterhältigkeit bekannt war? Kapitel 11: strange days ------------------------ Mit festem Blick und harten Schritten ging Yoshiki auf Taiji zu. Glut flimmerte in seinen Augen. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken packte er Taiji's Handgelenke und presste sie neben dessen Kopf fest an die Mauer, zu der der Lockenkopf mit dem Rücken stand. Gefährlich nah schob sich nun sein Gesicht vor das des Jüngeren. Taiji konnte anhand der Mimik erkennen, wie zufrieden Yoshiki mit diesen Anblick war und wie sehr er es genoss. Und gerade als er seinen Mund auf machen und was sagen wollte, pressten sich zwei weiche Lippen auf seine Eigenen und eine hungrige und gierige Zunge schob sich rücksichtslos in seine Mundhöhle. Taiji erstarrte, war nicht fähig sich zu rühren, war zu perplex um zu reagieren. Sein Erzfeind küsste ihn – und das sogar ziemlich gut, wie er sich, nach den ersten Schrecksekunden, selbst eingestehen musste. Prüfend wand er seine Handgelenke im Griff des Anderen. Yoshiki war stark, verdammt stark und seine Hände hielten ihn bedingungslos festgetackert. Er war gefangen. Doch es war eine reizvolle Gefangenschaft und so langsam kam auch wieder Leben in den stürmischen Rebellen sodass seine Zunge nun begann, den heftigen Kuss zu erwidern...sich mit der Zunge des Anderen zu paaren.............. Mit einem kurzen aber lauten Aufschrei saß Taiji schlagartig kerzengerade im Bett. Er keuchte. Sein Puls raste. Er war nassgeschwitzt. Seine Augen huschten sekundenlang quer durch das Zimmer, bevor er begriff wo er war. „Sei mal nicht so laut!“, drang die Stimme seines großen Bruders durch die dünne Wand, gefolgt von aufforderndem Klopfen. Taiji wand langsam und mit zerknirschtem Gesicht seinen Kopf zu der Wand an der sein Bett stand und von der das Klopfen kam. Der Typ da drüben hatte mal wieder Nerven.... „Halt's Maul!“, brüllte er nur gereizt zurück und schlug mit der Faust ebenfalls gegen die hellhörige Wand, um seine Aussage zu unterstreichen. Dann schloss er für mehrere Momente die Augen. Was um Gottes Willen war das....? Was hatte er da geträumt....? Yoshiki würde ihn küssen? Er würde Yoshiki küssen? Was für Absurditäten hatte sein Hirn da wieder fabriziert? Leise stöhnend fuhr er sich mit der Hand durch das feuchtgeschwitzte Gesicht, als er plötzlich stutzte. Warum spannte sich der Stoff seiner Boxershorts so seltsam? Hastig schlug er die Bettdecke zur Seite und starrte auf seine Morgenlatte. Auch das noch! Als ob dieser verrückte Traum nicht schon reichen würde – nein, jetzt reagierte auch noch sein Körper darauf! Und ausgerechnet SO! Erneut aufstöhnend erhob er sich nun aus dem Bett, stellte sich unter die Dusche dessen Wasser er extra kalt eingestellt hatte, zog sich an und nahm sich sein Frühstück, wie immer, mit auf's Zimmer. Eher mürrisch schaufelte er den Reis und den gebratenen Fisch in sich hinein, waren seine Gedanken doch noch die ganze Zeit bei seinem seltsamen Traum... Wie kam sein Verstand nur auf die Idee, ihm früh am Morgen – okay, mittlerweile war es zehn Uhr durch – solch einen Schock zu verpassen? Der gestrige Zusammenstoß lief doch ganz anders ab... „Hiro.....wo ist er?“ Nun war es Taiji, dem es fast die Sprache verschlug. Er blinzelte irritiert. Noch nie hatte er erlebt dass Yoshiki das Interesse daran verlor ihn fertig zu machen – und jetzt war ihm sein kleiner Bruder wichtiger als ihm Eins in die Fresse zu schlagen? Zeigte sich da etwa Besorgnis beim Leader von X? Bei dem Leader, der sonst immer für seine eiskalte Brutalität und Hinterhältigkeit bekannt war? Taiji blinzelte ihn unschuldig an. „Keine Ahnung“, entgegnete er achselzuckend und seine Verwunderung war ihm noch anzuhören. „Ich frag doch nicht jeden Penner, der in mich reinläuft, wo er gerade hin will.“ Spätestens jetzt hätte Taiji mit dem ersten Faustschlag gerechnet – aber es kam nichts. Yoshiki stand nur da, ließ seine Blicke durch die Strasse gleiten, schien jeden, den seine Augen erfassten, in sekundenbruchteilen 'abzuscannen' um zu überprüfen ob es sich nicht doch um seinen kleinen Bruder handeln konnte. Mehrere Momente stand er so da und wurde vom Anführer der Sister's nur völlig verdaddert angestarrt. „Verdammt...“, murmelte er irgendwann, bevor er sich wieder in Bewegung setzte und einfach in die nächste Strasse rein rannte – ohne Taiji auch nur noch eines Blickes zu würdigen. Dieser stand nun vollkommen perplex da, konnte nicht glauben was da gerade geschehen war – bzw. dass NICHTS geschehen war. Was um Himmels Willen war hier los? Es brauchte schon eine Menge um etwas für Yoshiki interessanter zu machen als eine Schlägerei. Und irgendwie musste der kleine Bruder da wohl mit drin hängen. Fassungslos den Kopf schüttelnd trabte Taiji langsam weiter, immer noch nicht so ganz realisierend, dass das seine erste Begegnung mit Yoshiki war bei der nicht mal ein blaues Auge verteilt wurde... Mittlerweile hatte Taiji sein Frühstück verdrückt, auch wenn ihn die Gedanken an Yoshiki immer noch nicht so ganz loslassen wollten. Er schnappte sich seine Schuhe und Jacke und verließ, ohne sich von seiner Mutter oder seinen Geschwistern zu verabschieden, das Haus. Die nächsten Stunden würde er mit kleineren Diebstählen in Schmuckgeschäften und Kaufhäusern verbringen, um die Beute in den darauffolgenden Stunden zu verkaufen. Am späten Nachmittag holte er Tommy von seiner Arbeit ab. Sie streunerten quer durch die Strassen, bis sie am frühen Abend schließlich im 'Enter the Dragon' landeten, einer stets gut besuchten Cocktailbar und Kneipe die immer gute Musik und hübsche Mädchen zu bieten hatte. Als die beiden Freunde den Laden betraten ahnte keiner von ihnen, dass genau in dieser Gasse, in der das 'Enter the Dragon' lag, Hiroki am Vortag mit Drogen gedealt hatte und von Pata dabei beochatet wurde. Jetzt saßen Taiji und Tommy gemeinsam an der Bar und schlürften ihren himmelblauen 'Twisted Sister'-Cocktail. Untermalt wurde die Szene mit experimenteller Musik, bestehend aus einem Gemisch von Rock- und Elektromusik in der im Hintergrund immer mal wieder seichte, verspielte Glockentöne erklangen. Es war typisch für diesen Laden dass er oft etwas seltsame Musik von noch völlig unbekannten Künstlern spielte – solange sie zu der allgemeinen Atmosphäre passte. Die Räumlichkeiten waren überwiegend in rotes Licht getaucht, sodass man sich leicht ans Nuttenmilleu erinnert fühlte; nur hinter der Bar herrschte noch etwas hellere Beleuchtung. Taiji nuckelte an seinem Strohhalm und bearbeitete ihn immer mal wieder mit den Schneidezähnen. Er hatte Tommy jetzt erst von seiner gestrigen Begegnung mit Yoshiki erzählt. „Was hälst du davon?“, nuschelte er und starrte unentwegt in die blaue Brühe vor sich in seinem Glas. „Von Yoshiki's Verhalten?“ Tommy machte eine kleine Pause, scheinbar um sich selbst erst mal im Klaren zu werden was er davon halten würde. „Ich würd' ma' sagen, du bist nicht der Einzige der seine Hauptaufmerksamkeit auf sich zieht.“ Taiji blinzelte ihn fragend an. Er verstand nicht recht was Tommy damit meinte. „Er hat einfach noch andere Sachen im Kopf als dir pausenlos seine Macht zu demonstrieren“, versuchte Tommy ihm seine Gedanken zu erklären. „Aber genau das versteh ich nicht! Er hat sonst nie eine Gelegenheit ausgelassen, mir Eine reinzuhauen! Und plötzlich macht er Einen auf besorgten großen Bruder und rennt Hiroki hinterher...? Da is' doch was faul.“ Tommy schmunzelte ihn an. „So wie du klingst könnte man meinen, du vermisst Yoshiki.“ „Schwachsinn!“, fuhr er seinen besten Freund sofort an. „Den Penner würd' ich nie vermissen! Selbst wenn sie den abknall'n wär's mir egal. Ich will nur wissen was er vor hat....“ Weil ihm keine andere Erklärung logisch erschien als die, dass Yoshiki ihn mit seinem fraglichem Verhalten von irgendwas ablenken wollte, biss Taiji sich auf diese Idee fest. Der Junge mit den zweifarbigen Haaren und dem langen, schwarzen Lackmantel stützte seinen Kopf schräg auf die Hand und musterte den, im Moment sichtlich etwas verpeilten, Leader der Sister's no Future. Taiji war bei weitem nicht so ein brutaler Schläger wie Yoshiki (ausser es gab einen Grund zur Schlägerei) und nicht mal ansatzweise solch ein Eisklotz der seine Gefühle perfekt verbergen konnte. Ganz im Gegenteil: Taiji sah man seinen Gemütszustand recht schnell an. Eine Eigenschaft, die gerade für einen Bandenboss gefährlich werden konnte. Aber Taiji war zu seinen Leuten fair, er behandelte alle gleich, war fürsorglich und würde, ohne zu zögern, für jeden von ihnen sein Leben geben. Deshalb hatte die Gruppe auch nie in Erwägung gezogen Taiji von seinem Posten zu entfernen und einen anderen als Leader einzusetzen. Nur sein großes Herz und seine Naivität könnten ihm eines Tages zum Verhängnis werden... „Sag mal, checkst du's nicht?“, fragte Tommy im ruhigen und sanften Ton. „Der hat Angst um seinen kleinen Bruder. Wahrscheinlich hat der irgendwas ausgefressen oder steckt in 'ner ganz üblen Sache mit drin und Yoshiki versucht lediglich, ihn da wieder raus zu boxen.“ Taiji wand nun seinen Kopf zur Seite, schaute Tommy an. Er sprach davon als sei es das Selbstverständlichste der Welt, auf seinen kleinen Bruder aufzupassen. Wenn er dabei an seinen eigenen großen Bruder dachte, der, soweit er sich zurück erinnern konnte, sich nie so fürsorglich um ihn gekümmert hatte, kam ihm Tommy's Erklärung beinahe schon absurd vor. Absurd weil es so fremd klang. Er kannte es nicht. Sein großer Bruder war immer einfach nur sein großer Bruder gewesen, aber nie sein Beschützer. Eigentlich verspürte er generell keine besondere Bindung zu seinem Bruder. Er war einfach nur da, schon immer dagewesen – aber was hatte er schon großartig gemacht? Ausser da zu sein? Taiji ging sein Leben im Schnelldurchlauf durch und nirgends gab es eine Szene in der sein Bruder besonders hervorstach. Er war mittlerweile sogar schon davon überzeugt, dass wenn der Typ eines Tages einfach verschwinden würde, es ihm gar nicht auffallen würde. Plötzlich spürte er eine Hand die sich sanft auf seine Schulter legte. „Ich weiß, dass du soetwas nicht kennst“, erklang Tommy's Stimme, für die Musik fast schon etwas zu leise. „Aber es gibt diese Verbundenheit in manchen Familien.“ Taiji's Blick, der während seiner Erinnerungsabrufe von Tommy weggedriftet und ins Leere gerichtet war, heftete sich nun wieder an ihn. 'Ihr seid meine Familie', hätte Taiji fast gesagt, zügelte seine Zunge aber noch rechtzeitig und blieb stumm. Doch Tommy kannte seinen Freund gut genug und er erkannte diesen Satz auch ohne Worte in Taiji's glasigen Augen. Plötzlich wurde die Tür zum 'Enter the Dragon' aufgerissen und jemand brüllte keuchend: „Scheiße, die Bullen kommen!“ Seit vor einigen Wochen ein paar Jugendliche hier in der Bar mit etwas Gras erwischt wurden, fanden in unregelmäßigen Abständen Drogenrazzien statt. Die Polizei schien sich zu erhoffen, diesen Laden bald dicht machen zu können, so eifrig wie sie den Schuppen jedes Mal unter die Lupe nahmen. „Fuck...!“, zischte Taiji, nahm noch kurz einen Schluck seines Cocktails und schnappte sich Tommy, um mit ihm zu den Klos zu flüchten. Der ganze Laden war in Aufruhr und jeder der was zu verbergen hatte versuchte dies, so gut er nur konnte. Aber auf die Idee, den beiden schrägen Vögeln zu den Toiletten zu folgen wo Diese sich durch die winzigen Fenster nach draussen zwängten, kam kaum einer. Gerade packte Taiji Tommy's Hand und half ihm durch die schmale Öffnung ins Freie. Kaum war auch Tommy draussen, rappelten sich beide auf und rannten quer über den Hinterhof, um dann über den meterhohen Zaun zu klettern. Als sie auch diesen hinter sich hatten liefen sie trotzdem, der Vorsicht halber, zwei-drei Strassen weiter um auch wirklich die Bullen in sicherer Entfernung zu wissen. Auch wenn sie keine Drogen dabei hatten, sie waren beide keine unbeschriebenen Blätter und mieden die Polizei wo sie nur konnten. „Wenn sie den Laden doch mal dicht machen, hab ich 'n Problem. Du kriegst hier in der Gegend nirgendwo 'n 'Twisted Sister' der so hochprozentig ist wie dort“, meinte Taiji irgendwann, als sei das seine größte Sorge. Doch noch bevor er weiter über Hochprozentiges philosophieren konnte, erweckte eine am Boden kauernde Gestalt seine Aufmerksamkeit, die er zuerst nur aus dem Augenwinkel wahr nahm als sie an einer Gasse vorbeigingen. Taiji wand seinen Kopf zur Seite und erkannte die kauernde Person sofort. Es war Hiroki der da mit dem Rücken an die Wand gelehnt saß, halb zwischen Mülltonnen und alten Kartons verborgen. Als Taiji das sah, blieb er sofort stehen und hielt Tommy am Arm fest, um ihn ebenfalls zum anhalten zu bewegen. Das Viertel, in dem sie sich gerade aufhielten, war trotz der noch recht frühen Abendzeit nur mäßig belebt. Wenn man sich genauer umsah wusste man auch sofort warum, denn hier dominierten alte, zerfallene und teils unbewohnte Wohnhäuser und vereinzelte, zumeist sehr zwielichtige Kneipen das Bild. Taiji blieb mehrere Momente still stehen und beobachtete Hiroki aus einiger Entfernung. Er schien unentschlossen zu sein ob er dem blonden Jungen mehr Beachtung schenken oder ihn doch links liegen lassen sollte. Schließlich entschied er sich aber für Ersteres und so trat er langsam über die schmale Strasse, auf das Häufchen Elend zu, jedoch trotz allem wachsam für den Fall, dass das hier widererwartend doch eine Falle oder Ablenkungsmanöver war. Schließlich war er bei dem Jüngeren angekommen, doch dieser saß nur da und schluchzte leise vor sich hin, seinen Blick irgendwo ins nirgendwo vor sich gerichtet. Er schien seine zwei neuen Besucher noch überhaupt nicht wahr genommen zu haben. Dafür flossen ihm Tränen über die blassen Wangen. In Taiji weckte dieses Bild schlagartig seinen Beschützerinstinkt und Dieser schien wohl auch vorübergehend die Information in seinem Hirn ausgeschaltet zu haben, dass es, trotz aller Umstände, immernoch der kleine Bruder seines verhassten Erzfeindes war. „Hey....was hast du?“ Tommy realisierte sofort die Weiche in Taiji's Stimme. Er musste beinahe ein wenig lächeln. Vielleicht hatte Taiji nie einen großen Bruder gehabt der sich um ihn sorgte und auf ihn aufpasste, dafür war er aber für viele andere wie ein großer Bruder. Hiroki zuckte zusammen, wirbelte seinen Kopf in die Richtung aus der die Stimme kam und erkannte jetzt erst, dass er nicht mehr alleine war. Er starrte mit panischen Augen in Taiji's Gesicht, Welches seltsamerweise gar nicht so aggressiv aussah wie er es in der ersten Schrecksekunde erwartet hatte. Rasch musterte er die beiden Typen und stellte fest, dass sie gar keine Messer gezückt hatten. Sie standen einfach nur da, neben ihm, und blickten ihn an. Fragten sogar was mit ihm los sei. Hiroki war nur noch verwirrt. Er verstand dieses Verhalten der Zwei nicht. Wieso gingen sie nicht auf ihn los und traten und bespuckten ihn? „Hast du etwa die Sprache verloren als du gestern in mich reingerannt bist?“, fragte Taiji und nun ging er sogar in die Hocke, um mit Hiroki auf einer Höhe zu sein. Ein gefährliches Fehlverhalten welches Taiji normalerweise nicht beging, denn in einer Situation, die nicht deutlich einzuschätzen war, die sichere aufrechte Position zu verlassen, war etwas was einem unter Umständen den Kopf kosten konnte. Kapitel 12: Along the Cheonggyecheon ------------------------------------ „Sag ich euch nicht!“, kam nach einigem Zögern die trotzige Antwort und Hiroki wand seinen Kopf wieder von Tommy und Taiji weg. Stur starrte er auf die ihm gegenüberliegende Hauswand. Nach aussen hin wirkte er nun angehend aggressiv, doch innerlich war er völlig hilflos, wusste nicht was er machen sollte. Es irritierte ihn zu sehr, dass die beiden Typen, die doch in der Bande waren gegen die sein großer Bruder kämpfte, so auffallend freundlich waren. Soetwas hatte er noch nie erlebt und er glaubte an eine Falle. Tommy konnte sich ein Grinsen nun nicht mehr verkneifen. Hiroki war im Moment genau so ein Trotzkopf wie Taiji oftmals sein konnte. Dass diese beiden sich nun gegenüber hockten, schien fast schon Ironie zu sein. „Du willst mir aber nicht erzählen, dass das hier dein neues zu Hause ist, hm?“, startete Taiji einen neuen Versuch und hob mit den Fingerspitzen ansatzweise einen der herumliegenden, alten Kartons an. Hiroki explodierte beinahe vor Irritation. Er riss seinen Kopf zur Seite und starrte Taiji an. „Was wollt ihr von mir? Warum seid ihr hier?“, schrie er ihn hilflos an. Trotz der schrillen und lauten Stimme, die ihm entgegen schlug, verzog Taiji keine Mine und behielt sogar den Blickkontakt bei. „Weil du alleine hier nicht lange überleben wirst. Und du bist noch zu jung um in der Gosse zu landen“, lautete die ehrliche, unverblümte Antwort des Lockenkopfs. Hiroki stutzte. Mit so einer Antwort hatte er nicht gerechnet. Sie verwirrte ihn, war er es doch gar nicht gewohnt so viel Fürsorge von einer Person zu erhalten, die ihm eigentlich halb fremd war. Hatte Yoshiki nicht immer gesagt, Taiji sei schwach? War es das was sein Bruder mit Schwäche gemeint hatte? Dass Taiji scheinbar auch an andere dachte und nicht nur an sich selbst? „Ich....ich hab was gemacht was mein Bruder nicht gut fand, okay?“, rückte der junge Blondschopf zögerlich mit der Wahrheit heraus, jedoch immernoch darauf bedacht, nicht zu viel von sich Preis zu geben. „Und das war so schlimm dass du dich nicht mehr nach Hause traust?“ Taiji ließ nicht locker, blieb jedoch geduldig, was seine ruhige Stimme verriet. Wieder zögerte Hiroki, starrte angestrengt auf den schmutzigen Boden. „Er wird mich verprügeln wenn er mich erwischt...“, murmelte er schließlich. „Wenn er das wollte, hätte er das schon längst gemacht“, war nun wieder Tommy's Stimme zu vernehmen. Der Kleine blickte fragend zu ihm hoch. Offenbar verstand er diese Andeutung nicht. Tommy erklärte es ihm. „Dein Bruder ist clever und verdammt gut organisiert. Wenn es ihm wirklich darum ginge dich zu verprügeln, hätte er schon längst seine Leute nach dir suchen lassen und sie hätten dich gefunden. Das haben sie aber nicht, also kannst du davon ausgehen dass dein Bruder dich noch alleine sucht. Und dass die anderen von dem was du gemacht hast, was auch immer es war, noch keinen Wind bekommen haben – weil dein Bruder es mit dir alleine regeln will.“ Hiroki's Blick war eine Mischung aus Ehrfurcht, Verwirrung und Naivität. „Warum wollt ihr unbedingt, dass ich zu meinem Bruder zurück gehe?“ Sollte das etwa eine Falle werden? Tommy musterte den schmächtigen Jungspund. „Sei froh dass es überhaupt noch Leute gibt, die sich für dich interessieren...“, entgegnete er nur nüchtern. Das saß. Der Satz gab Hiroki nun ernsthaft zu denken und er spürte ziemlich schnell wieviel Wahrheit darin lag. Er musste an seinen Vater denken, der die Familie verlassen hatte als er noch ganz klein war. Eigentlich konnte er sich kaum noch an diesen Mann erinnern. Aber er wusste noch, wieviel seine Mutter damals geweint hatte. Tagelang, wochenlang saß sie in der Küche oder im Gemeinschaftszimmer und verbarg ihr ständig tränennasses Gesicht hinter ihren schlanken Händen oder einem dünnem Schal. Nie wurde wirklich darüber gesprochen, warum sein und Yoshiki's Vater die Familie verlassen hatte. Manchmal hatte er schon geglaubt, er hätte sie gar nicht verlassen sondern sei tot. So kam es ihm zumindest als Kind vor, denn so viel wie über ihn geschwiegen wurde machte es auf ihn oftmals den Eindruck, als würde er gar nicht mehr existieren. Und als er seine Mutter die ersten paar Male gefragt hatte wo 'Papi' sei und wann er zurück käme, fing diese nur jedes Mal lauthals an zu schluchzen und rannte weinend aus dem Zimmer. So hatte Hiroki sich bald schon abgewöhnt nach dem Verbleib seines Vaters zu fragen. Aber da war einer gewesen, der sich fürsorglich um ihn gekümmert hatte, wenn seine Mutter es vor lauter Trauer mal wieder nicht konnte: Yoshiki. Sein großer Bruder war schon früher immer für ihn dagewesen, hatte ihm geholfen wenn er Hilfe brauchte, hatte ihn getröstet wenn er Trost brauchte. Nach und nach fielen ihm immer mehr Situationen aus seinem Leben ein, in denen Yoshiki zu ihm gehalten hatte. Yoshiki war immer für ihn dagewesen..... - ausser wenn sie sich gestritten hatten, aber so ein Streit zwischen ihnen hielt nie lange an. Warum sollte es dann plötzlich anders sein...? Hiroki blinzelte. Langsam begann er zu verstehen... Er erhob sich zögerlich, blinzelte die zwei älteren Jungs dann aber doch nochmal etwas unsicher an. „Ihr erzählt ihm aber nichts hiervon....also dass ihr mit mir gesprochen habt, oder...?“ Seine Stimme war etwas wackelig. Taiji lachte kurz auf. „Wir sind doch nicht lebensmüde!“ Damit setzte sich Yoshiki's kleiner Bruder in Bewegung, wischte sich hastig mit den Händen und Ärmeln über's Gesicht um die Spuren der letzten Tränen rasch zu beseitigen, und verließ dieses Elendsviertel. Sceanna, Mogwai und Kenzy streiften durch Seoul's bunte Strassen, quer durch die Einkaufsmeilen. Obwohl so viele Menschen um sie herum waren, sowohl Junge als auch Alte, fielen die drei Jugendlichen dennoch stark auf mit ihren bunt gefärbten, wild gestylten Haaren und ihrer unkonventionellen Kleidung. Sceanna genoss manchmal richtig die Blicke der Anzugträger die ihm völlig verständnislos hinterher starrten und die der Schüler, die ihm kichernd oder tuschelnd hinterher sahen und ihn heimlich beneideten weil sie ihre eigene Schuluniform längst satt hatten, jedoch nicht den Mut besaßen diesen Schritt zu gehen. Kenzy und Mogwai hingegen war es egal ob man ihnen nachstarrte oder nicht. Aus der Norm fielen sie sowieso und da war ihr Aussehen der geringste Grund für. Plötzlich stießen die drei Jungs auf eine kleine Menschentraube, die sich um ein paar anderer Leute und einem Ghettoblaster gesammelt hatten. Dieses Bild erweckte bei Sceanna schlagartig Aufmerksamkeit und Neugier und so drängte er sich mit den zwei Anderen durch die angesammelte Menge. Vor ihnen standen nun mehrere Jugendliche, die scheinbar ihr Bestes bei einer Art kleinem Rap-Battle gaben. Besonders ins Auge fiel ihnen ein junges Mädchen mit langen Haaren und einem ähnlichem Kleidungsstil wie Sceanna. Die Kleine gab sichtlich ihr Bestes und es schien fast so, als würde sie die anderen Jungs, die gegen sie rappten, locker in die Tasche stecken. Sie rappte auf koreanisch, doch ihr deutlicher japanischer Akzent war unüberhörbar. Sceanna beeindruckte dieses Mädchen ungemein. Sie kam rotzfrech rüber, nahm kein Blatt vor dem Mund und hatte eine unglaubliche Ausstrahlung. Zudem machte sie aus ihrer Herkunft kein Geheimnis, brachte in ihren Texten stellenweise ihre Heimat und ihr Migrantendasein ein. Ein paar Zuschauer wanden sich sofort ab als diese Textzeilen erklangen, aber das Mädel ließ sich davon keinen Deut beeindrucken. Sie machte weiter. Die Jungs, die bereits gegen sie verloren hatten und etwas abseits von den noch aktiven Rappern standen, hatten deutlich erkennbaren Respekt in den Augen mit denen sie das quirlige Mädel beobachteten. Respekt. Das war etwas was sich Sceanna so sehnlichst wünschte. Auf den Strassen mit Respekt behandelt zu werden... In ihrer Gruppe funktionierte das ja auch und auch ein paar andere Japaner, die er hier und da mal traf, behandelten ihn mit Respekt. Aber der Rest, sprich 99,9 % der übrigen Menschen hier in Seoul, nahmen ihn höchstens als Dreck oder Abschaum wahr. Sie gaben ihm täglich das Gefühl er sei weniger wert als sie, nur weil er japanische Wurzeln hatte und es wagte, damit koreanischen Boden zu betreten. Schließlich gingen Sceanna, Mogwai und Kenzy weiter, kauften sich alle jeweils einen Hotdog und setzten sich mümmelnd an den Cheonggyecheon, einem künstlich angelegtem, knapp sechs Kilometer langem Fluß der durch das Zentrum von Seoul floss. Mit vollen Mündern beobachteten sie das bunte Treiben um sich herum. „Wie fandet ihr die Kleine vorhin eigentlich?“, fragte Sceanna irgendwann schmatzend. Kenzy zuckte knapp mit den Schultern. „War nich' schlecht.“ Er blickte dem Rothaarigem ins Gesicht. „Hat sie dir gefallen?“ „Ich fand sie cool“, gestand Sceanna, registrierte dann aber Kenzy's Blick. „Ey, nich' so wie du jetzt denkst!“, stellte er gleich darauf protestierend klar. „Ich fand nur cool wie sie sich durchsetzen konnte...“ „Kannst ja auch mit HipHop anfangen“, kam es nun grinsend von Kenzy der daraufhin einen großen Bissen nahm. „Genau und dann tust du dich mit Tusk zusammen!“, fiel Mogwai nun noch mit ein und er und Kenzy kamen um ein freundschaftliches Lachen nicht herum. Auch Sceanna konnte sich ein, wenn auch etwas verlegenes, Schmunzeln nicht verkneifen. „Nein man, ausserdem will Tusk doch groß als 'Rockstar' rauskommen, was soll er da mit HipHop anfangen?“ Nun verfielen alle drei in kurzes Gelächter und bemühten sich dabei, den Inhalt ihrer Futterluken nicht zu verlieren. „Lacht nicht so dreckig!“, ertönte plötzlich eine barsche, laute Stimme hinter ihnen, als vier jugendliche Koreaner die Treppe hinunter stapften und sich vor ihnen aufbauten. Sofort verfinsterten sich die Minen der drei Freunde, als sie die Störenfriede erblickten. „Na? Da hat's euch wohl die Sprache verschlagen, ihr Sushi-Fresser!“ Der vermeintliche Anführer dieser kleinen Vierergruppe hatte sich breitbeinig und mit verschränkten Armen dicht vor Sceanna und den Anderen gestellt, die auf einer breiten Bank saßen. Sceanna fixierte mit vor Wut funkelnden Augen seinen Gegner, hielt seinen halb aufgegessenen Hotdog, ohne hinzukucken, Mogwai hin und erhob sich um dicht vor den vorlauten Typen zu treten. „Verpiss dich, du Drecksratte!“, zischte er gefährlich und kniff seine Augen zu engen Schlitzen zusammen, fast so wie Taiji es manchmal machte. Die vier Koreaner verfielen wie auf Knopfdruck schlagartig in schallendes Gelächter. „Wenn sich einer verpisst dann seid ihr das!“, kam die gegröhlte Antwort des Typen der vor Sceanna stand und obwohl er sogar fast ein bißchen kleiner war als der Rothaarige, schien er sich innerlich schon selbst als Sieger zu feiern. Er spuckte, und der Rotz verfing sich in Sceanna's langen Haaren. „Loser.“ Die Stimme des Jungen war finster und bedrohlich und ebenso bedrohlich war auch sein Blick, der sich durch Sceanna's Augen zu bohren versuchte. „Geht wieder dahin wo ihr hergekommen seit und verpisst euch von hier!“ Dieser unverschämte Übermut, diese Selbstgefälligkeit und dieser Hass seines Gegners war zu viel und Sceanna's Wut kochte über. Ohne mit der Wimper zu zucken schlug er ihm die Faust mitten ins Gesicht. Sein Gegner jaulte vor Schmerzen auf und taumelte zurück, wurde jedoch von einem seiner Kollegen sogleich festgehalten, während die zwei übrigen Jungs sich sofort auf Sceanna stürzten. Spätestens jetzt konnte sich auch Kenzy nicht mehr zurück halten, drückte Mogwai ebenfalls sein restliches Stück Brot mit Wurstinhalt in die Hand, woraufhin Dieser mittlerweile mit drei halb aufgegessenen Hotdogs dasaß, und stürmte auf das Prügelbündel zu. Man sollte meinen, Zwei gegen Vier sei ein ungleicher Kampf und zum scheitern verurteilt, doch die Wut und der Hass mit dem Sceanna gerade seine Gegner bekämpfte, verlieh ihm regelrecht die Kraft von zwei Personen! Mit Hilfe von Kenzy war die Prügelei im vollem Gange und so massiv wie die zwei Japaner vorgingen konnte man schon schnell erkennen, wer hier den Kürzeren gezogen hatte. Der vorlaute Anführer der Koreaner schien ein größeres Mundwerk zu haben als Muskelkraft, denn er war der Erste der am Boden lag und so schnell auch nicht mehr aufstehen sollte, nachdem Kenzy ihm noch zusätzlich den Arm verdreht hatte. Ein anderer bekam kurz darauf eine massive Abkühlung, denn Sceanna schmiss ihn ohne zu zögern und ohne jede Rücksicht in den Cheonggyechon, der zwar nicht tief war, aber der Kerl war trotzdem alles andere als begeistert von seinem nun vollständig durchnässtem Zustand. Auch den beiden Anderen wurde hart zugesetzt und Kenzy und Sceanna gingen mit Schlägen und Tritten alles andere als zurückhaltend um. Der ganze Kampf dauerte keine fünf Minuten und schließlich zogen sich die Koreaner, nachdem sie noch ihren Kumpel aus dem Wasser gefischt hatten, unter schmerzhaftem Stöhnen und noch ein oder zwei Beschimpfungen murmelnd zurück. Die zwei Japaner hatten von allen Beteiligten die geringsten Spuren des Kampfes davon getragen, zumindest körperlich. Kenzy hatte ein kleines Veilchen, zwei Schrammen im Gesicht und einen dicken, blaulilanen Fleck am Bein, wobei er Letzteren erst später entdecken sollte. Sceanna hatte lediglich eine blutig geschlagene Lippe. Ein paar Haare wurden ihm rausgerissen, die lagen nun im zertretenem Gras und bewegten sich ganz leicht im lauen Abendwind. „Lasst uns gehen. Mir stinkt die Ecke hier“, murmelte Sceanna und wand sich von dem Ort des Geschehens ab um den entgegengesetzten Weg am Fluß entlang zu gehen. Kenzy folgte ihm und sammelte Mogwai, der noch immer als Essenshalter auf der Bank fungierte und das Geschehen leicht bedröppelt mitverfolgt hatte, ein. Die folgenden Minuten verbrachten sie kauend und schweigend. Sie hatten den kleinen Kampf gegen diese Rotzlöffel gewonnen, und dennoch war Sceanna alles andere als zufrieden mit dieser Situation. Ihn störte der Grund dieser Auseinandersetzung. Es war wieder diese Fremdenfeindlichkeit, dieser Ausländerhass, diese Intoleranz. Das, was ihm schon sein Leben lang entgegenschlug, obwohl er in diesem Land geboren wurde. Er kannte seine Heimat nur von Bildern, aus Büchern und dem Fernsehen. Aber er hatte noch nie auch nur einen Fuß auf japanischen Boden gesetzt. Und dann wollte man von ihm verlangen, dahin zurück zu gehen wo er herkam. Nur gab es kein 'zurück', er kam von hier! Während Sceanna sich innerlich über die Kurzsichtigkeit seiner Mitmenschen schwarz ärgerte, fiel Mogwai's Aufmerksamkeit plötzlich auf ein Pärchen, dass in einiger Entfernung und auf der anderen Seite des Cheonggyechon entlang schländerte. Sein Schritttempo verlangsamte sich immer mehr. Es war sein Vater, den er da sah. Zusammen mit einer fremden Frau. Sie trug eine kunstvolle Hochsteckfrisur und ein rotes, kimonoähnliches, eng anliegendes Kleid. Er sah sie nur von hinten, doch war diese Frau viel zu schön für seinen Vater. Mogwai war sich sicher dass das eine Nutte sein musste. Welche Frau würde sich sonst freiwillig auf seinen saufenden und prügelnden Vater einlassen? „Moggi, alles okay?“, erklang mit einmal Kenzy's Stimme. Mogwai blickte auf. Er hatte gar nicht gemerkt dass er stehen geblieben war. Kenzy schaute auf die andere Seite des Ufers, versuchte die Stelle abzuschätzen die sein Freund bis eben noch im Visier gehabt hatte. Er brauchte nicht lange um Mogwai's Vater aus zu machen. Mittlerweile war auch Sceanna stehen geblieben und schaute seine beiden Freunde fragend an. Kenzy ging die wenigen Schritte zu Mogwai und legte ihm einen Arm um die Schultern. „Er ist weit weg, der hat uns bestimmt nicht gesehen“, versuchte er seinen Freund wieder aufzumuntern. Mogwai nickte nur zögerlich. Sein Blick war abwesend, er dachte wieder an den letzten Kampf mit seinem Vater, als er sich mit einer Nagelfeile verteidigt hatte und anschließend aus dem Haus geflüchtet war. Seit dem Tag hatte er gezielt versucht seinen Vater aus seinem Leben zu verbannen. Dass er ihm irgendwann mal wieder zufällig auf den Straßen begegnen sollte, daran hatte der naive Wuschelkopf damals nicht gedacht. Kenzy zog den Freund sanft mit sich und steuerte eine der Treppen an, die immer wieder in regelmäßigen Abständen entlang des Flusses auftauchten und von denen der Zugang von der Strasse hinunter zum Fluß möglich war. „Komm, wir suchen uns 'ne andere Location für heut' Abend.“ Damit verließen die Drei den Cheonggyechon und tauchten wieder ein in das hektische Straßenleben Seouls. Kapitel 13: torture chamber --------------------------- Hiroki hockte im Treppenhaus, den Rücken gegen die Wand, die Hände im Nacken miteinander verhakt. Starrte nun schon minutenlang auf den graugemusterten Fußboden. Was musste er bei seiner Flucht auch den Wohnungstürschlüssel vergessen haben...? Er war so fluchtartig getürmt, dass er gar keinen Gedanken mehr an den Schlüssel verschwendet hatte. Dafür saß er nun da, neben der Wohnungstür und wartete auf Yoshiki oder seine Mutter, die beide im Moment nicht zu Hause waren. Wobei es ihm lieber wäre wenn sich zuerst seine Mutter blicken ließe, denn vor Yoshiki's Reaktion hatte er immernoch Angst. Auch wenn er sich von Taiji und Tommy dazu überreden hatte lassen, zurück nach Hause zu gehen – die Aussprache mit seinem großen Bruder stand noch bevor und er konnte ihn diesmal ausnahmsweise überhaupt nicht einschätzen. Dass er hingegen von seiner Mutter nichts zu befürchten hatte war sicher. Wenn sie heute überhaupt nochmal nach Hause käme – es war bereits am späteren Abend und Hiroki hockte hier schon eine gute halbe Stunde – würde er sich spielend leicht mit der Behauptung, er sei bei einem Freund gewesen und hätte seine Schlüssel vergessen, rausreden können. Seine Mutter würde nicht nachfragen. Und Yoshiki würde ihn nicht verpetzt haben. Egal was auch immer zwischen ihnen vorfiel: Wenn es konkret ihn und seinen Bruder betraf, petzte Yoshiki nie etwas ihrer Mutter. Plötzlich vernahm er vertraute Geräusche, die ihm signalisierten dass Yoshiki zurück kam. Schnell erhob er sich aus seiner Hockposition und blickte die Treppe hinunter, die sein großer Bruder jeden Moment betreten müsste. Das leise, unregelmäßige Klirren der offenen Schnalle seiner Lederjacke und das dominante Trampeln seiner Stiefel, wenn er die Treppe hocheilte und nur jede zweite Stufe nahm, war schon eine altbekannte Soundkulisse. Schließlich kam auch noch das klirrende Geräusch des gezückten Schlüsselbundes hinzu. Als Yoshiki schließlich die letzte Treppe zu seiner Wohnung nahm, blieb er auf der dritten Stufe für wenige Momente wie versteinert stehen. „Hiroki...!“, brachte er völlig überrascht über die Lippen, bevor er auch die übrigen Stufen rasch hinter sich ließ und nun vor seinem kleinem Bruder stand. Das nächste was Hiroki spürte war eine saftige Ohrfeige. Eine halbe Sekunde später wurde er von Yoshiki's Armen fest an seine Brust gepresst. Der Kleine war über diese widersprüchliche Handlung so verwirrt, dass er in den ersten paar Momenten überhaupt nicht reagieren konnte. Er spürte nur die Wärme des Körpers seines Bruders. „Wo hast du gesteckt, verdammt?“, nuschelte Yoshiki mit gepresster Stimme in das Haar des Jüngeren. Erst als er die Stimme hörte, kam auch wieder Leben in Hiroki. Er erwiderte die Umarmung und schmiegte sich nun auch eigenständig an Yoshiki. „Es tut mir Leid....!“, schluchzte er und seine Finger verkrallten sich in die Lederjacke. Er registrierte wie die große Hand seines Bruders über sein zerzaustes Haar strich. Und da spürte er es wieder: Den Schutz, den Yoshiki ihm gab. Das brüderliche Vertrauen, die Verbundenheit und die Geborgenheit den er bei sonst niemandem spürte. Kazzy trat ungeduldig von einem Fuß auf den Anderen. Warf immer wieder einen Blick auf seine Armbanduhr. Hielt pausenlos Ausschau. Wo blieb der Typ nur? Hatte er es sich anders überlegt und ihn einfach versetzt? Beim letzten Mal war er doch auch so pünktlich gewesen. Warum heute nicht? Kazzy wurde von Minute zu Minute unruhiger. Das Geschäft das er mit dem Kerl abzog war schon heiß genug, da konnte er auf Ungewissheit echt verzichten. Mittlerweile hielten es Kazzy's Füße nicht mehr aus bloß rumzustehen und somit ging er schließlich vor dem Eingang des alten Fabrikgebäudes immer wieder auf und ab. Als auch das nichts brachte und der Typ, mit dem er sich verabredet hatte, immernoch nicht auftauchte, wurde Kazzy schließlich ziemlich flau im Magen. Ob er heute überhaupt noch kam? Vielleicht hatte er es sich doch anders überlegt und er wollte keine Japaner mit Schusswaffen beliefern. Oder vielleicht war Kazzy ihm zu jung? - Schwachsinn! Der Blonde schüttelte energisch den Kopf über seine abwegigen Gedanken. Er hatte ihm versichert, das Geld auftreiben zu können und nur das Geld zählte. Der Typ würde seine Wahre auch an Achtjährige verkaufen, wenn das Geld stimmte. Da war sich Kazzy ziemlich sicher. Solche Leute waren keine Moralapostel, es interessierte sie nicht wer warum mit Pistolen, Revolvern und Gewehren herum handtierte, solange die Kasse klingelte. Der Blonde sah sich um: Die Fabrik lag etwas abgelegen, aber nicht allzu versteckt. Man konnte von hier aus problemlos das Treiben auf den Strassen verfolgen. Ob der Kerl ihn vielleicht in der Fabrik treffen wollte und nicht davor? Hatte er möglicherweise irgendwas durcheinander gekriegt was den genauen Treffpunkt anbelangte? Er blickte sich nochmal kurz um, dann griff seine Hand unauffällig nach dem Griff der Tür, vor der er stand. Sie war offen. Abermals kurzes Zögern – dann schlüpfte Kazzy auch schon hinein in die unbekannte Dunkelheit. Zuerst sah er kaum etwas, doch nach wenigen Sekunden hatten sich seine Augen an die gegebenen Lichtverhältnisse gewöhnt und er erkannte, dass er sich in einer Art Vorraum befinden musste. Nur wenige Meter entfernt befand sich eine zweite Tür, die einen breiten Spalt weit offen war und einen schummrigen Lichtstrahl hineinwarf. Kazzy trat auch durch diese Tür und befand sich in einer Art Gang, der sich in eine gewisse Länge zog und von dem links und rechts diverse Türen abgingen. Irgendwie erinnerte ihn das alles mehr an einen Keller als an das Innenleben einer leerstehenden Fabrik... Neugierig und unwissend tapste er den erstaunlich gut beleuchteten Gang entlang, versuchte an irgendetwas auszumachen, was hier wohl früher produziert wurde. Doch die Wände waren alle weiß und schmutzig und die Türen aus Metall und nichts davon gab ihm auch nur irgendwelche Hinweise. Es war totenstill, aber irgendwas musste hier vor sich gehen, dachte sich Kazzy. Warum sonst war hier überall das Licht eingeschaltet? Die alten Lampen die links und rechts unter den Decken hingen funktionierten sogar alle einwandfrei, nirgendwo war eine Glühbirne kaputt. Ganz so, als ob diese merkwürdigen Räumlichkeiten noch regelmäßig in Benutzung standen. Es war seltsam.... Schließlich konnte er seine Neugier nicht mehr zügeln und er öffnete eine der diversen Metalltüren, an denen er vorbei kam, und steckte seinen Kopf in den dahinter liegenden Raum. Dunkelheit. Er konnte lediglich die Umrisse irgendwelcher Regale und undefinierbarem Gerümpel ausmachen. Das verstärkte seinen Eindruck, sich in einem Keller anstatt in einer Fabrik zu befinden, nur noch mehr. Er schloss die Tür wieder. Plötzlich schoss ihm ein kalt-prickelnder Schauer die Wirbelsäule entlang. Ob das hier vielleicht als Waffenlager von dem Typen, mit dem er verabredet war, genutzt wurde...? Dieser Gedanke veranlasste ihn, mehrere Augenblicke wie angewurzelt stehen zu bleiben. Dann warf er einen Blick zurück, in die Richtung aus der er gekommen war. Wieder kurzes Zögern. Nein, er wollte noch weiter, nur ein kleines Stückchen. Diese Möchte-gern-Fabrik barg einfach zu viele Geheimnisse und seine Neugierde war viel zu groß. So trugen ihn seine Füße leise weiter, schob sich sein Zottelschopf noch in ein paar weitere Räume die hinter Metalltüren verborgen lagen – bis er plötzlich glaubte, in der Ferne leises Wimmern zu vernehmen. Abermals blieb er für einen kurzen Moment wie angewurzelt stehen. Wo kam das her....? Es konnte nicht so weit entfernt sein wie er im allerersten Augenblick dachte. Allerdings konnte er nicht klar ausmachen, ob es sich bei den Lauten um einen Menschen oder ein Tier handelte. Schritt für Schritt ging er weiter, folgte dem klagvollem Wimmern. Schließlich stand er vor einer Tür von der er überzeugt war, dass sich dieses Geräusch dahinter befinden musste. Kazzy's Herz raste. Er spürte wie ihm der Schweiß aus den Poren trat. Dennoch legte er seine Hand auf die Klinke und drückte sie langsam hinunter. Mit höchster Anspannung drückte er die Tür einen winzigen Spalt weit auf. In diesem Raum brannte Licht. Wenn auch kein sehr Helles, aber es genügte um zu erkennen, dass sich hier mindestens zwei Personen aufhielten. Einer davon saß irgendwie zusammengesackt und nicht gerade bequem auf einem Stuhl, der Zweite stand vor oder hinter ihm, so ganz genau konnte Kazzy das aufgrund des Schattenfalls nicht ausmachen. Das Wimmern aber kam eindeutig von dem Kerl auf dem Stuhl. Plötzlich blieb Kazzy's Blick auf dem Boden, dicht neben dem Stuhl, hängen. Da lag was..... Er blinzelte angestrengt um es in diesem diffusem Licht besser erkennen zu können. Das sah aus wie.....Finger..... Sein Puls raste! Lagen da wirklich abgetrennte Finger auf dem Boden? „Wieso legst du ihn nicht gleich um?“ Moment! Die Stimme kam nicht von dem Kerl mit dem Stuhl oder dem Zweiten! Es musste noch eine dritte Person anwesend sein! Mit allergrößter Vorsicht vergrößerte Kazzy den Spalt, durch den er spähte, noch ein kleines Bisschen. Und tatsächlich! Da stand noch ein Kerl, ziemlich groß gewachsen, gut durchtrainiert, mit dynamischem Kurzhaarschnitt und den Armen vor der herausgestreckten Brust verschränkt. Er musste Japaner sein, denn er hatte seine Frage auf akzentfreiem Japanisch gestellt. Der Kerl der, wie Kazzy nun erkennen konnte, hinter dem Stuhl stand und deutlich kleiner war als sein Kollege, wand seinen Kopf langsam in dessen Richtung. „Du bist zu ungeduldig, Yuudai.“ Die Stimme war ruhig und gelassen. Es musste ein Profi sein, schoss es Kazzy durch den Kopf. Vielleicht einer von der Yakuza...? Plötzlich überschlugen sich seine Gedanken geradezu. Wo war er hier reingeraten? Gehörte der Typ mit den Waffen etwa auch zu denen? Obwohl er Weißer war? Von was wurde er hier gerade Zeuge? Warum musste er nur so scheiß neugierig sein und sich in Sachen einmischen die ihn gar nichts angingen? Doch zu weiteren Gedanken kam er auch schon gar nicht mehr, denn er beobachtete wie der kleinere Kerl sich kurz umdrehte und nach etwas Langem griff – als er es daraufhin diesem Yuudai reichte, erkannte Kazzy dass es ein Baseballschläger war. Er trat ein, zwei Schritte zurück und bedeutete mit einer Handbewegung, dass Yuudai näher treten soll. „Tob dich an ihm aus“, erklang die Anweisung, dessen Tonlage immernoch ungewöhnlich lässig war. Was daraufhin folgte, hatte Kazzy in der Form noch nie zuvor gesehen: Der große Kerl schlug mit solch einer Kraft und Brutalität immer und immer wieder auf das am Stuhl gefesselte Opfer ein, dass er sich überhaupt nicht ausmalen mochte wie der Typ, der da saß, aussehen mochte wenn das alles hier vorbei war. Ob er das überhaupt überleben würde? Die Schmerzensschreie des Typens drangen gellend durch den Raum und, dank der geöffneten Tür, auch durch den hell erleuchteten Gang. Kazzy bekam einen mächtigen Schauer nach dem Anderen und bei der Geräuschkombination aus den Schreien und dem, immer wieder auf den Kopf zielenden, zuschlagendem Baseballschläger gefror ihm das Blut in den Adern. Der zermatschte ihm doch den Schädel, ging es ihm nur immer wieder wie in einer Dauerschleife durch den Kopf. Der vermeintliche Folterraum war zu schlecht ausgeleuchtet als dass er von seiner Position aus die Verletzungen hätte erkennen können, aber die nicht aufhören wollenden Schreie genügten ihm schon vollkommen. Er hatte noch nie einen Menschen vor Schmerz so schreien hören. Es waren Schreie aus purer Todesangst. Wie er da so stand, leicht vorgebeugt, eine Hand am Türgriff, die Andere an der Wand und konzentriert durch den Türspalt kuckend, reichte seine Aufmerksamkeit nicht mehr für das, was um ihn herum passierte. So realisierte er auch viel zu spät, dass er schon lange nicht mehr alleine in diesem Gang war und dass sich ihm jemand zielstrebig näherte. Er war nicht mehr der Einzige, der beobachtete – er wurde selbst beobachtet. Das begriff er aber erst als er eine riesige Pranke sich auf seiner Schulter niederlegen spürte. Sein Herzschlag musste in der Sekunde für einen kurzen Moment ausgesetzt haben. Ihm wurde speiübel und beinahe schwarz vor Augen. Der Schreck saß ihm so tief in den Knochen, dass er nicht einmal einen Aufschrei über die Lippen brachte. Jetzt war alles aus, jetzt sollte seine Neugier bestraft werden. Mit leichenblassem Gesicht wand er seinen Kopf wie in Zeitlupe zur Seite um der Person, die ihn entdeckt hatte, wenigstens noch ins Gesicht kucken zu können. Es war seine Verabredung. Der bullig gebaute weiße Typ, von dem Kazzy der Annahme war er sei Amerikaner. Der Bürstenhaarschnitt machte sein fleischiges Gesicht in diesem Moment noch härter, noch bedrohlicher. Die wässrig-blauen Augen starrten unerbittlich auf den kleinen, blonden Japaner nieder. Wie er so vor ihm stand kam der Typ Kazzy vor wie eine undurchdringbare Wand. Diese, aus Fleisch gebaute, menschliche Wand im Rücken und den eiskalten Schläger, zusammen mit dem möglichem Yakuza-Kerl in einigen Metern Abstand vor sich..........Kazzy war eingekesselt. Kapitel 14: the surreptitious longing ------------------------------------- Die Riesenpranke auf seiner Schulter drehte Kazzy's Körper mühelos herum und somit von der Tür weg. Ohne auch nur ein Wort zu sagen schob der Kerl den Jungen bestimmend, aber nicht sonderlich grob, vor sich her. Vor lauter Angst bekam Kazzy noch immer keinen Ton heraus, was vielleicht auch gar nicht so schlecht war, immerhin hätten der Schläger und sein Boss, die gerade den armen Kerl in dem einem Raum folterten, ihn noch hören können. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und er glaubte, es würde ihm gleich aus dem Mund hüpfen. Ihm war so übel.... Innerlich hatte er sich schon drauf eingestellt dass er gleich in einen der Räume, die diesen langen Gang säumten, geschubst wurde und ebenfalls mit einem Baseballschläger bearbeitet wurde. Die Räume mussten gut schallisoliert sein oder mindestens dicke Wände haben, denn die Schreie des gefolterten Opfers, die er eben noch so laut vernommen hatte, klangen deutlich entfernter mit jedem Schritt den er tat. Hier würde ihn also mit ziemlicher Sicherheit niemand von draussen hören, wenn er schreien würde. Keiner könnte ihm zu Hilfe kommen. Abermals verfluchte er seine Neugierde. Schließlich hielt der Kerl, der ihn bei seinen heimlichen Beobachtungen erwischt hatte, vor der vorletzten Tür am Anfang des Ganges, schloß sie auf – scheinbar gab es hier also doch noch einige verschlossene Türen – und schob Kazzy, wie Dieser es auch schon erwartet hatte, in das Innere hinein. Fast zeitgleich erhellte sich der Raum, nachdem Riesenpranke den Lichtschalter neben der Tür betätigt hatte. Sofort huschten Kazzy's Augen durch den Raum und hielten Ausschau nach Baseballschlägern oder anderen möglichen Folterinstrumenten. Doch er fand nichts davon. Er sah nur haufenweise Kartons herum stehen, die meißten ordentlich übereinander gestapelt oder in einem Regal stehend. „Hast du das Geld?“ Die Stimme des Typen hinter ihm dröhnte ihm regelrecht ins Ohr, weil sie die ganze Zeit kein Wort miteinander geredet hatten und diese akustische Veränderung jetzt doch sehr plötzlich kam. Kazzy drehte sich hastig zu ihm um, sah ihm mit großen Augen in sein Gesicht und nickte. „Ja.“ „Gut.“ Der Kerl ging von Kazzy weg und bewegte sich auf eine der Kisten zu. „Du solltest nicht überall herum spionieren, das kann dich eines Tages noch dein Leben kosten, Bengel. Darum vergiss lieber wieder ganz schnell, was du da vorhin gesehen hast.“ Während er das sagte würdigte er seinem jungen Kunden keines Blickes. Statt dessen öffnete er den Karton und holte ein, in braunes Papier gewickeltes, Bündel hervor. Er entfernte das Papier und zum Vorschein kam eine 44er Magnum. Kazzy's Augen weiteten sich, sein Blick fuhr ausgiebigst über die Waffe, versuchte jede Kleinigkeit zu erhaschen und sich einzuprägen. Rein optisch betrachtet war das Ding im Top-Zustand und dass es das auch sonst war demonstrierte ihm der Typ schon im nächsten Moment. Er zielte mit der Waffe auf den Boden der gegenüberliegenden Ecke und feuerte zwei Mal. Der blonde Japaner zuckte zusammen bei dem lautem, energischem Geräusch. Das Teil sah nicht nur klasse aus, es funktionierte auch. Besser konnte es doch gar nicht laufen. Langsam traten die Eindrücke von vorhin in den Hintergrund und seine Aufmerksamkeit war nur noch bei den Waffen. Als er jedoch seine Hand gierig nach der Magnum ausstreckte, nahm der Typ sie wieder dichter an sich ran um sie erst einmal aus Kazzy's Reichweite zu holen. „Erst die Kohle, Junge.“ Eilig schoss seine Hand in die linke Hosentasche und brachte ein Bündel Geldscheine zum Vorschein. Er überreichte sie ihm in der Hoffnung, endlich die Waffe anfassen zu dürfen. Seine Finger waren schon ganz kribbelig und er konnte es gar nicht mehr erwarten. Doch der Waffendealer ließ sich Zeit, zählte erst einmal sorgfältig das Geld nach. Als er damit fertig war, nickte er kurz. „Drei 44er Magnum, eine 44er Colt Army, der Rest Webley Mk. VI.“ Er begann die einzelnen Waffen alle auszupacken und sie vor Kazzy's Augen aufzureihen. Dieser fühlte sich gerade wie an Weihnachten. Seine Augen fingen regelrecht an zu glitzern und endlich konnte er die Magnum selbst in Händen halten. Sie fühlte sich gut an. Wie er die sechs Schusswaffen unbemerkt transportieren sollte, darüber machte er sich in diesem Augenblick noch keine Gedanken. Aber er freute sich schon auf Yoshiki's Gesicht wenn Dieser seine Ausbeute sehen würde und vielleicht würde er dadurch auch endlich ein bißchen mehr Anerkennung von seinem launischem Boss erhalten. Man sah Tusk seine Nervosität an. Dennoch dachte er nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde daran, das hier nicht durchzuziehen. Seine Blicke schweiften über die Menschen vor ihm, dann griff er zum Mikro. „Okay...ich bin Tusk, das hinter mir ist Nabi und wir heizen euch jetzt mal ein bißchen ein!“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, nahm Tusk wieder die Finger vom Mikrofon und griff nach dem Hals seiner Gitarre, die er sich umgehängt hatte. Zwei Sekunden später war ein Probeanschlag der Saiten zu vernehmen, der Tusk's Unsicherheit widerspiegelte, dann aber setzte der helfende Taktschlag des Drummers, der als Nabi vorgestellt wurde, ein und kurz darauf waren Schlagzeug und Gitarre voll im Einsatz. Das Publikum im 'Bulletproof' hielt sich mit Begeisterung über den heutigen Live-Akt noch stark zurück. Die meißten waren sich noch nicht sicher was sie von dem Typ mit der Gitarre und den wirren Zottelhaaren und seinem stämmigen Drummer halten sollen; von Einigen kamen schon ganz zu Anfang entmutigende Buh-Rufe und weniger freundliche Pfiffe. hide hielt sich in der hinteren Hälfte des Publikums auf, tigerte immer mal wieder von der einen zur anderen Seite. Es waren zum Glück ziemlich viele Leute anwesend, der Laden war gerammelt voll, so dass man ihn in der Menge nicht leicht finden dürfte. Sogar auf seine Zimmerpalmenfrisur hatte er heute Abend verzichtet und ließ seine Haare statt dessen unspektakulär über die Schultern fließen, damit man ihn möglichst nicht erkannte. Besser gesagt, damit Tusk ihn möglichst nicht erkannte. Wegen ihm war hide nämlich heute Abend hierher gekommen, aber das musste der Typ ja nicht wissen. Nach einigem hin und her getigere machte hide schließlich an einem der Steh-Tische halt. Von hier hatte er zwar keine uneingeschränkte Sicht auf sein heimliches Idol, doch Dieser somit auch nicht auf ihn und das war ihm immernoch wichtiger. Als Tusk's Gesang einsetzte verspürte der Blonde überraschend Gänsehaut. Tusk's Stimme war verdammt dunkel, erst recht für sein Alter. Das kannte hide zwar nicht genau, aber er schätzte ihn nicht älter als sich selbst. Diese tiefe, dunkle Stimme faszinierte hide und er versank regelrecht in diesem Klang. Nicht jeder hätte die Singstimme Tusk's als 'schön' bezeichnet, doch für hide war sie es. Sie klang so geheimnisvoll und irgendwie auch stellenweise ein bißchen verrückt... Nur was das für eine Sprache war, auf die er sang, darüber rätselte er noch. Sollte das tatsächlich Englisch sein? Koreanisch war es nicht und ihre Muttersprache Japanisch sowieso nicht. Aber Englisch...? hide war selbst kein Ass in Englisch, aber das was Tusk da sang war kaum zu definieren, geschweige denn zu verstehen. Im Gegenzug dazu konnte er aber sehr überzeugend Gitarre spielen! hide hatte es selbst schon einige Male probiert, aber Tusk beherrschte sein Instrument wirklich. Das Publikum um ihn herum schien jedoch bei weitem vom heutigem Act nicht so angetan zu sein wie hide, denn die Buh-Rufe vermehrten sich rasant. Trotz dieser Situation schien Tusk nicht den Mut zu verlieren (oder nicht verlieren zu wollen) und nach dem ersten Song ging er sogleich in den Zweiten über, der auch viel harmonischer und melodiöser klang. Sein Gesang, immernoch kaum zu verstehen, war weicher, wenn auch nicht minder energiegeladener, doch dieser Sound schien dem Publikum nun eher zuzusagen. Die negativen Laute nahmen wieder ab und es kamen diesmal sogar ein paar anerkennende Pfiffe und Rufe. hide konnte die Erleichterung auf Tusk's Gesicht regelrecht ablesen. Und ein unkontrolliertes, kleines Lächeln schlich sich auf seine Lippen. In diesen Momenten fühlte er sich zu diesem eigensinnigem Wesen mit dem breitem Stirnband und den furchtbar schiefen Zähnen irgendwie hingezogen, fast so, als würden sie beide den gleichen Traum träumen. Er sah Tusk auf der Bühne stehen und sah sich selbst schon daneben. Er stellte sich vor wie es wäre, mit Tusk gemeinsam zu spielen. Auch wenn er, hide, dafür noch so einiges üben müsste. Aber gemeinsam Musik zu machen....gemeinsam Melodien zu entwickeln und mit den produzierten Klängen des Anderen verschmelzen zu lassen........ Sich gegenseitig für die Arbeit Anerkennung zu schenken, zusammen zu halten und den Weg gemeinsam beschreiten....... hide driftete völlig in seiner Traumwelt ab, mit der Musik von Tusk und Nabi als Soundtrack. So versunken bekam er auch nicht mit, dass er in diesem Getümmel doch nicht so ganz unauffällig war wie er dachte und schon längst von jemandem erspäht wurde. Pata stand in der hintersten Ecke und beäugte seinen Freund misstrauisch. Wenn er sich dessen Körperhaltung ansah, völlig ruhig und das Kinn in die Hand gestützt während der Ellenbogen auf der Tischplatte verweilte, konnte er dessen Gedanken schon regelrecht lesen. Pata sah ihm an wie sehr er für Tusk schwärmte. Und es gefiel ihm nicht. Immer noch nicht. Es würde ihm auch nie gefallen. Fehlte nur noch, dass hide eines Tages zum Feind überlaufen würde. Später an diesem Abend hockten Yoshiki und Kazzy über Kazzy's Beute in Pata's Keller. Zu dem Keller hatten alle von X stets Zutritt, auch bei Abwesenheit Patas. Das war durch einen geheimen Eingang in Form eines defekten Kellerfensters möglich. Yoshiki's Augen musterten die auf dem Fußboden ausgebreiteten Revolver mit genau so einer Zufriedenheit wie einige Stunden zuvor noch Kazzy bei seinem Knarrendealer, nur lag auf Yoshiki's Gesicht gerade ein wesentlich breiteres Grinsen. „Gut gemacht, Kleiner. Sehr gut.“ Kazzy schaute den Boss erwartungsvoll an, ob noch mehr Lob bei ihm abzuholen war. Doch da kam nichts mehr. Ein wenig Enttäuschung machte sich innerlich in ihm breit. Yoshiki hingegen kümmerte sich nicht um das Seelenwohl seines jüngeren Mitglieds, statt dessen streckten sich seine Finger nach der 44er Colt Army aus und berührten fast schon ehrfürchtig den rotbraunen Holzgriff. Kurz darauf nahm er die Waffe in die Hand, begutachtete sie von allen Seiten. Sie fühlte sich gut an, fand er. Es war nicht zu übersehen dass dieses Modell es Yoshiki gnadenlos angetan hatte. In dieses Objekt hatte sich der Boss schlagartig verliebt. „Müssen teuer gewesen sein....“, murmelte er und meinte damit die gesamte Beute. Kazzy zuckte nur wie beiläufig mit den Schultern, als sei der Preis eine Nichtigkeit gewesen. „Hatte noch die Kohle vom letzten Überfall. Und den Rest kriegt er von mir später.“ Damit gab er im Nachhinein zu, dass er noch Schulden bei dem Waffenmann hatte. Yoshiki hörte ihm nur mit einem Ohr zu. Er war viel zu sehr mit seinem neuen Spielzeug beschäftigt. Und mit Pläne schmieden, wie er es in Zukunft am effektivsten zum Einsatz bringen würde. „Damit haben wir sie.... Jetzt sind sie uns unterlegen...endgültig...!“ Es war leicht zu erraten, dass er von ihren Erzfeinden, den Sister's no Future, sprach. Sein Blick glitt über den glänzenden Lauf. Das Grinsen auf seinem Gesicht wurde immer teuflischer. „Die werden schneller Reiss aus nehmen als wir bis drei zählen können... Denn Taiji hasst Schusswaffen und wird seinen Leuten nie die Anweisung geben, sich Welche zu besorgen...!“ Kapitel 15: Alone in the dark ----------------------------- Seit Mogwai seinen Vater an dem einem Tag am Cheonggyecheon-Fluss mit dieser anderen Frau gesehen hatte, war er sichtlich nachdenklicher und ruhiger. Er fragte sich wie es seiner Mutter ging, ob sie von der möglichen Prostituierten wusste. Oder etwas ahnte. Mogwai konnte sich selbst nicht erklären warum er auf einmal Mitgefühl mit seiner Mutter hatte; immerhin hatte die es in den letzten Jahren nie für nötig befunden ihn vor den Prügelattacken seines Vaters zu beschützen. Eigentlich hatte sie es schon lange nicht mehr für nötig befunden sich überhaupt mal um ihren Sohn zu kümmern. Sie saß meißt nur da, mit leerem Blick und rauchte ihre Zigarette. Seine Mutter hatte schon vor langer Zeit resigniert und seit dem schien ihre Zeit stehen geblieben zu sein. Sie hatte keine Arbeit, doch um den Haushalt kümmerte sie sich auch nur spärlich. Genauso wie um ihre Familie. Im Nachhinein wunderte es Mogwai eigentlich überhaupt nicht, dass sein Vater sein Glück bei anderen Frauen suchte – und wenn er sie dafür bezahlte -, und dennoch versuchte er sich vorzustellen wie seine Mutter sich dabei fühlen mochte. Obwohl er so froh war seinem Elternhaus entkommen zu sein. Oder...? „Vermisst du deine Mutter?“, fragte er Sceanna, bei dem er nun wohnte. Der Rothaarige wand seinen Kopf mit leicht verwunderter Mine in Mogwai's Richtung. Er überlegte kurz. „Nein. Naja, manchmal vielleicht.“ Er war sich darüber selber gerade nicht so sicher. „Ich hab mich dran gewöhnt dass ich mit meinem Dad alleine wohne“, kam nach kurzem Zögern schließlich die vervollständigte Antwort. „Ich hab mich auch dran gewöhnt dass ich meiner Mutter scheißegal bin und dass mein Vater mich verprügelt, aber trotzdem bin ich damit nicht glücklich.“ Mogwai's ehrliche Augen trafen Sceanna's. Dieser starrte den Freund einige Momente nur stumm an. Er verstand was er damit sagen wollte. Es ging nicht darum, ob man eine Situation ertrug, sondern darum ob man mit ihr glücklich war. Schließlich wand Sceanna langsam sein Gesicht ab. „Ich erinnere mich noch wie sie früher war, als ich noch ein Kind war. Sie hat oft mit mir gespielt.“ Mogwai hörte den Erzählungen seines Freundes aufmerksam zu. „Sie war ein fröhlicher Mensch. Glaub ich. Jedenfalls hat sie viel gelacht.“ Dann zögerte er wieder einige Sekunden. „Von der Zeit als sie krank war weiß ich kaum noch was. Ich kann mich eigentlich nicht mehr richtig daran erinnern.“ Sceanna zog seine Augenbrauen ein Stück zusammen, ganz so als versuche er sich doch irgendwie an diese zwei Jahre der Krankheit zu erinnern, als versuche er diese Zeit in seinem Kopf wieder lebendig werden zu lassen. So saß er eine ganze Weile da. Mogwai beobachtete ihn. Keiner sprach ein Wort, über mehrere Minuten lang. Bis Sceanna aus seiner Starre wieder zu erwachen schien und sein Blick wieder den Jüngeren einfing. „Warum fragst du mich das?“ Mogwai blinzelte. „Als ich meinen Vater da gesehen hab...mit dieser Frau......“ Er sprach nicht weiter, senkte nur den Kopf. Sceanna rückte näher zu ihm heran, legte einen Arm um ihn. „Hey, er wird dich nicht mehr in die Finger kriegen! Wir sind für dich da und wir passen auf dich auf, okay?“ Mogwai umarmte ihn wortlos. Er wusste, dass seine Jungs für ihn da waren und das niemand von ihnen zulassen würde dass ihm etwas passierte. Er wusste, dass die Sister's seine Familie waren. Und doch...wünschte er sich noch eine andere Art von Familie. Eine Mutter und einen Vater die ihn liebten, die sich um ihn sorgten und kümmerten. Denen er wichtig war, denen er etwas wert war. Er wünschte sich Eltern die ihn umarmten anstatt ihn zu schlagen. Als hide nach Tusk's Auftritt das 'Bulletproof' verließ, kam er nicht weit. Kaum hatte er beide Füße durch den Eingang bewegt, wurde er hart am Kragen gepackt und zur Seite gezogen. Auf diesen Überfall nicht vorbereitet, keuchte hide erschrocken auf bis er im nächsten Moment in Pata's Augen starrte. Sein Herz hämmerte noch mehrere Momente wie wild gegen seinen Brustkorb und sein Hirn benötigte auch so einige Sekunden bevor es begriff, wer da nur wenige Millimeter vor ihm stand und ihn finster anfunkelte. „Pata...!“ Der Freund verzog keine Mine, starrte ihm nur mit unerbittlichem Blick in die ehrlichen und naiven Augen. „Was fällt dir eigentlich ein?!“, begann er dann schließlich doch noch. „Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich von dieser Hackfresse fern halten?“ Er schüttelte hide kurz aber hart am Kragen, den er immernoch fest im Griff hatte. „Hab ich's dir nicht gesagt??“ Die Wut über den Ungehorsam des Freundes wurde nun nicht nur in Pata's Augen sichtbar, sondern auch in seiner Stimme. „Verdammt Pata, lass mich los!“, kam es nun aber auch etwas lauter von hide, der seine ersten Schrecksekunden überwunden hatte und sich nun aus dem Griff des Anderen freizuwinden versuchte. „Du bist doch auch hier! Und wenn du mich da drinnen gesehen hast, warst du ja auch freiwillig in der Nähe der sogenannten 'Hackfresse'!“ Es gelang ihm nur schwer, sich aus Pata's Klaue zu befreien; der Irokese hatte einen verdammt harten Griff. „Ich bin hier weil ich dich gesehen habe wie du hier reingelaufen bist!“, entgegnete er im messerscharfem Ton. „Das hier ist nicht unser Revier sondern das der Sister's! Hast du eigentlich 'ne Ahnung was die mit dir gemacht hätten, wenn sie dich erwischt hätten? Wenn noch mehr von denen hier rumlungern und nicht nur dein Freund mit der Zottelmähne?“ Er schien sich zu bemühen, so abfällig wie nur irgendmöglich über Tusk zu reden. hide antwortete nicht sofort; er suchte nach Argumenten. „Es ist mein Ding wo ich mich aufhalte“, entgegnete er schließlich leise und mit einem leicht trotzigem Unterton. „Ist es nicht!“ Es kam nicht oft vor, dass Pata laut wurde oder gar schrie – doch jetzt gerade war einer dieser seltenen Momente gekommen wo er es tat. Der Blonde sah den Freund mit erschrockenen Augen an – er hatte sichtlich nicht mit so einer Lautstärke gerechnet. Ob Pata sich gerade bewusst war dass er die Aufmerksamkeit einiger Passanten dadurch auf sich zog? Plötzlich jedoch registrierte hide, wie sich Pata's zorniger Blick in regelrechte Verzweiflung wandelte. „Verdammt...! Ich will einfach nicht dass du die Seiten wechselst! Nur weil diese Witzfigur 'n bißchen Gitarre spielen kann und dir damit scheinbar den Kopf verdreht...“ Solche Emotionen ließen sich bei Pata eigentlich kaum beobachten und schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Er hatte sonst immer die berühmte harte Schale um seinen weichen Kern, aber diese Schale schien nun erhebliche Risse bekommen zu haben. hide jedoch glotzte den Anderen nun völlig verständnislos an. „Warum sollte ich die Seite wechseln...?“, kam es von ihm verblüfft und naiv. Er war eigentlich ein ganz helles Köpfchen, nur auf die offensichtlichsten Sachen musste man ihn manchmal mit der Nase stoßen. Sein Blick wurde weicher und er trat wieder näher an seinen Freund heran. „Glaubst du, ich würde X verlassen wollen? Das will ich doch gar nicht...!“ Was Pata glaubte bekam Dieser gar nicht ausgesprochen. Er blickte nur in die nussbraunen Augen seines langjährigen Freundes. hide ließ seinen Kopf frontal gegen Pata's Brust sinken. „Und mir verdreht auch keiner den Kopf...“, fügte er nuschelnd hinzu. Er schwieg eine Weile, bevor er den Kopf wieder hob und ihm nun abermals ins Gesicht sah. „Ich find' doch einfach nur gut wie er spielt... Wieso darf ich ihn mir nicht ankucken? Wieso darf ich nicht gut finden was er macht?“ „Weil das zu gefährlich ist“, entgegnete Pata nur mit rauer Stimme und legte seine Arme um den schmalen Körper des Blonden, ganz so als wolle er ihn damit vor den besagten Gefahren, die er nicht weiter ausführte, beschützen. So standen die Beiden eine ganze Weile da, schweigend. hide hatte seine Nase in Pata's Shirt verbuddelt und genoss den vertrauten Geruch des Anderen. Wie jemand der Zuflucht suchte, sah hide in diesem Moment aus. Er fühlte sich hin und her gerissen. Er verstand durchaus, dass Pata nicht so begeistert davon war dass er einen Auftritt von Tusk besuchte. Aber er verstand nicht warum Pata deshalb so dermaßen ausrastete. Er selbst hatte doch nie verkündet dass er sich Tusk anschließen wollen würde und mit ihm gemeinsam auf Tour gehen wollte. Obwohl er diesen Gedanken heimlich gar nicht mal so abstoßend fand. Aber das behielt er wirklich lieber für sich, ansonsten könnte er sich die Freundschaft zu Pata in die blondgebleichten Haare schmieren, das wusste er. Aber trotzdem fand er Pata's Reaktion übertrieben und er konnte sie nicht hundertpro nachvollziehen. In hide keimte mittlerweile der Verdacht, dass es in Pata's Leben irgendein Ereignis gab von Welchem er nie berichtet hatte, seine Meinungen und Ansichten zu diesem Thema aber großspurig lenkten. Was genau das sein mochte, davon hatte hide keine Ahnung und er konnte sich auch nichts Konkretes ausmalen. Aber dass da was war...das Gefühl hatte er schon. Morrie verließ gerade das Haus und zündete sich eine Zigarette an. Er hatte einen Kumpel besucht und war nun auf dem Heimweg. Es war wieder etwas kühler geworden was auch am letzten Regenschauer gelegen haben könnte, dachte sich Morrie als sein Blick auf die nassen Strassen fiel. Er zog seine dünne Jacke etwas fester um sich und ging mit großen Schritten die abgelegene, menschenleere Seitenstrasse entlang. Er mochte diese Gegend nicht. In erster Linie weil sie sich mitten im Revier von X befand. Und zweitens weil sie auf ihn stets eine zwiespältige Ausstrahlung hatte. Er hatte seinen Kumpel schon mehrfach versucht dazu zu bewegen, sich woanders 'ne Bude zu suchen. Doch ging es seinem Freund nicht anders als ihm selbst: Er hatte nicht viel Geld und wohnte nur hier weil die Miete billig war. Und genau aus dem selben Grund war diese Straße hier überhaupt bewohnt. Wenn auch oftmals von sehr fragwürdigen Gestalten. Morrie vermutete sogar, dass irgendeiner von X hier wohnte, doch hatte er keine handfesten Beweise dafür. Morrie's schwarze Stiefel hallten über den nassen Gehweg. Es war fast gespenstisch, wie abgeschieden man sich hier in diesen Gassen fühlte..... In vielen Fenstern brannte noch nicht einmal Licht, obwohl es schon auf halb zwölf Uhr Nachts zuging. Er hatte nichts gesehen und nichts gehört, doch plötzlich spürte er wie ihm etwas schmales, hartes in den Rücken gedrückt wurde. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und drückte ihn mit dem Gesicht gegen eine raue Hauswand. „So ganz alleine unterwegs?“, raunte ihm eine Stimme ins Ohr. Er erkannte sie sofort: Es war Toshi. Und das Gefühl im Rücken, das er in der ersten Sekunde nicht einordnen konnte, erkannte er nun auch: Es war der Lauf einer Pistole. Diese Kombination war hochgefährlich. Und das Einzige was ihm gerade durch den Kopf ging war: Scheiße. „Was willst du?“, knurrte er mißmutig, ohne seinen Kopf nach hinten zu wenden. Er hätte es gerne getan um dem Typen in die Augen blicken zu können, doch Toshi war unberechenbar und zu schnell zu reizen. Eine falsche Bewegung oder auch nur ein falscher Wimpernschlag und der Junge konnte explodieren und einem erhebliche Schäden zufügen. „Was ich will? Ach, da gibt es so Einiges...'nen schnellen Ferrari, heiße Bräute, Geld.... Aber ich glaube kaum dass du mir auch nur irgendetwas von meiner Wunschliste besorgen kannst!“ Er presste den Lauf der Waffe härter in Morrie's Rücken. „Und was soll das dann hier?“, wollte der Ältere wissen. Ein Grinsen voller Genugtuung formte Toshi's Lippen. „Du weißt, wo du dich grad aufhälst...?“ „In eurem Revier, verdammt“, erwiderte Morrie zähneknirschend. Jetzt wusste er wieder warum er es hasste alleine unterwegs zu sein, zumindest in solchen Gegenden. Man war den herumlungernden Spinnern oftmals hilflos ausgeliefert. „Richtig. Und eigentlich sollte ich dir allein dafür schon den Schädel wegpusten!“, fauchte Toshi und presste den Lauf mittlerweile regelrecht fanatisch in den Rücken des Feindes, sodass er schon den Widerstand der Knochen spüren konnte. „Was hindert dich daran? Angst?“ Nun war es also doch geschehen: Er konnte seine Klappe nicht halten. „Ich hab keine Angst!!“, brüllte Toshi daraufhin sofort agressiv los und riss Morrie an den langen Haaren, sodass Dieser zwangsläufig seinen Kopf schmerzhaft im Nacken wiederfand. „Aber DU wirst Welche haben!“, fauchte er ihm heißblütig ins Ohr. „Du wirst vor Angst sterben, du dreckiger Bastard...!“ Toshi's Stimme klang immer fanatischer und abermals riss er Morrie an den Haaren. Von Diesem erklang nur ein schmerzhaftes Keuchen, ansonsten erwiderte er vorerst nichts. Viel mehr wollte er wissen was als Nächstes geschah. Ob er gleich die abgefeuerte Kugel im Rücken spüren würde und auf dem scheißnassem Fußweg krepieren würde – oder ob Toshi doch zu feige war. Vielleicht war das hier aber auch erst das Vorspiel und die übrigen Typen von X hatten sich hier ganz in der Nähe versteckt und würden jeden Moment über ihn herfallen und ihn auseinander nehmen. Jede der Szenen stellte Morrie sich im Schnelldurchlauf vor und als er alle Möglichkeiten erschöpft hatte, stand er immernoch da, den Kopf viel zu tief im Nacken, den Lauf im Rücken, die Wand vor sich. Worauf wartete dieses kleine, blonde Arschloch noch?? „Du warst schon immer zu feige irgendwas alleine durchzuziehen. Ohne die Anderen bist du ein lächerlicher Niemand. Und ohne Yoshiki wärst du wahrscheinlich zu dumm zum atmen!“ Morrie hatte sein eigenes Mundwerk nicht mehr unter Kontrolle. Und er hatte keinerlei Respekt vor so einem erbärmlichen Rotzlöffel wie Toshi der sich immer aufspielte und in Wirklichkeit einfach nur ein Verlierer war. Selbst die Knarre änderte nichts daran. Womöglich war das Ding noch nicht einmal geladen. Der Beweis, dass zumindest Morrie's letzte Vermutung falsch war, erklang keine Sekunde später. Denn da peitschte ohne Vorwarnung ein lauter Schuss durch die Nacht. Morrie schloss die Augen. Würde er also doch in dieser Drecksgegend krepieren. Er wartete darauf dass ihm seine Beine versagten. ….doch auch noch Sekunden später stand er in exakt der selben Position wie zuvor. Er spürte nicht einmal irgendwelche Schmerzen – ausgenommen Denen an seinem Kopf, weil Toshi ihm die Haare immernoch nach hinten riss. Aber sein Rücken war frei von irgendwelchen negativen Empfindungen. Jetzt erst realisierte er, dass er selbst den Lauf nicht mehr spürte! Morrie riss die Augen auf. Er wurde gar nicht erschossen? Toshi, der die Pistole senkrecht über sich gehalten und in die Luft geschossen hatte, nahm den Arm wieder runter und drückte den Lauf jetzt an Morrie's ungeschützten Hals. „Die nächste Kugel bläst dir dein scheiß Hirn aus deinem dreckigen Schädel...!“ Toshi's Stimme war fast tonlos, bestand beinahe nur aus hasserfülltem Fauchen. Morrie spürte wie das energische Ziehen an seinen Haaren nach ließ und sich schließlich auch der Lauf von seinem Hals verabschiedete. Trotzdem starrte er noch einige Sekunden auf die Wand vor sich, ehe er seinen Kopf wieder zur Seite nahm und Toshi mindestens mit den Augen verfolgen wollte. Doch die paar Sekunden, in denen Morrie nicht sofort reagiert hatte, genügten dem Anderen um zu verschwinden. Leicht verwirrt trat Morrie von der Hauswand weg, drehte sich um, ließ seine Blicke die schmale Strasse entlang gleiten, in beide Richtungen. Doch sein Angreifer war verschwunden. Als hätte Toshi sich mit den umliegenden Schatten verschmolzen. So urplötzlich wie er aufgetaucht war, hatte er sich auch wieder aufgelöst. Lautlos. Morrie stand völlig verlassen mitten auf dem Gehweg, genauso verlassen wie er vor Toshi's Anwesenheit war. Das spärliche Licht, dass aus manchen Fenstern hinaus schien, beleuchtete die nasse Strasse nur sehr unregelmäßig. Morrie war allein. Kapitel 16: Dream caused by the flight of a bee around a pomegranate a second before awakening ---------------------------------------------------------------------------------------------- Erst nachdem er das fünfte Mal seinen Daumen auf die Klingel gepresst hatte, ertönte endlich mal das leise Summen des Türöffners und Morrie drückte die Haustür energisch auf um rasch ins Hausinnere zu gelangen. Schon als er im Treppenhaus war und die ersten Treppenstufen betrat vernahm er das wütende und sichtlich angepisste Gezeter einer Frau. Taiji's Mutter. Der gelbe Fetzen Licht, der aus der Wohnung von Taiji's Familie ins Treppenhaus geworfen wurde, lotste ihm den Weg sodass er sich das Betätigen der Treppenhausbeleuchtung sparen konnte. Nach wenigen, großen Schritten war Morrie im ersten Stock angelangt. Taiji stand schon in der Wohnungstür. Nur in Shorts und mit zerknittertem Gesicht. „Ey Alder, muss das sein?“, lautete die verschlafene Begrüßung des Wuschelkopfes. Hinter ihm immer noch das Gemäcker seiner Mutter. Japanische Schimpfwörter flogen. Es war nicht zu übersehen – und zu überhören – dass Morrie mit seiner Sturmklingelei die gesamte Familie aus dem Schlaf gerissen hatte. „Ich hab dir schon zich mal gesagt, besorg dir 'ne eigene Bude. Dann hast'e das Gekeife deiner Alten nicht mehr am Hals“, entgegnete Morrie nur unbeeindruckt, zog Taiji dann aber doch am Arm etwas näher zu sich ran. „Ich muss mit dir reden.“ Seine Stimme war nun nur noch ein scharfes Flüstern. „Scheiße, hat das nich' bis morgen Zeit...?“ Taiji gähnte und versuchte mit den Zehenspitzen die Wohnungstür noch irgendwie offen zu halten. Er hatte kein wirkliches Interesse daran die übrige Nacht nur mit seinen Boxershorts bekleidet im ungeheiztem Treppenhaus zu verbringen. „Du wirst gleich hellwach sein“, prophezeite ihm Morrie, weiterhin im Flüsterton. „Hör zu: X sind scheinbar irgendwie an Waffen gekommen.“ Als er auch nach mehreren Sekunden keine weitere Reaktion von Seiten Taiji's erhielt, ausser ein müdes Blinzeln, fügte er im schneidendem Ton hinzu: „Schusswaffen. Revolver.“ Das erzielte seine Wirkung. Und Morrie hatte Recht – Taiji war nun hellwach. „Scheiße.... Woher weißt du das? Ist das sicher oder nur 'n Gerücht?“ „Todsicher. Ich bin vorhin Toshi begegnet als ich von Yuki gekommen bin und nach Hause wollte. Du weißt, durch welche Gegend man da muss.“ Taiji nickte nur leicht abwesend. „Und das was Toshi mir da in den Rücken gepresst hat war alles andere als 'n Gerücht. Das war scheiß echt.“ Der Lockenkopf starrte den Älteren an. Trotz der ungünstigen Lichtverhältnisse konnte man sehen wie blass der Anführer der Sister's geworden war. „Hat er dir was getan?“ „Das Übliche. Gedroht hat er mir und 'n Warnschuss abgegeben wo ich im ersten Moment dachte jetzt ist's aus. Es würd' mich nicht wundern wenn die Anderen auch in der Nähe waren, aber ich hab nur Toshi gesehen.“ Die restliche Nacht verlief für Taiji nicht wirklich ruhig. Es gelang ihm nur schwer wieder einzuschlafen nachdem Morrie ihm diese Nachricht überbracht hatte. Auch am nächsten Morgen kreiste in seinem Kopf nur diese eine Sache: X haben Schußwaffen. Ihm war völlig schleierhaft wie sie es angestellt hatten daran zu kommen. In Süd-Korea war es verdammt schwer an diese Dinger ranzukommen. Darum gab es auch weitaus mehr Messerstechereien als Auseinandersetzungen mit Revolvern und Co. Und nun waren ausgerechnet X mit soetwas ausgestattet. Und so wie Taiji die Situation einschätzte, würden Yoshiki und seine Anhänger schnell übermütig werden. Taiji selbst verabscheute Schusswaffen jeglicher Art. Für ihn war es einfach nur feige mit soetwas auf jemanden zu schießen. Man konnte seinen Gegner dadurch auch aus größerer Entfernung tödlich verletzen, und möglicherweise sogar ohne Gefahr zu laufen dass der Gegner einen Gegenangriff startete, denn wenn Dieser keine Pistole oder Ähnliches besaß, waren seine Chancen gleich null. Man benötigte kein besonderes körperliches Können, man brauchte nur eine Hand die die Pistole hielt und den Abzug drückte. Jedes Kleinkind könnte schießen. Es war eine Methode die sich jeder zu Eigen machen konnte und in Taiji's Augen waren es meißt die, die am wenigsten konnten. Das war genauso feige wie auf jemanden einzutreten der schon längst am Boden lag. Taiji hasste diese Art von Feigheit. Er hatte seinen Jungs immer versucht einzutrichtern, solche Züge nicht anzunehmen. Er wollte nicht dass die Sister's genau so wurden wie die Kids von X. Auch wenn er von anderen für diese Einstellung ausgelacht wurde. Sogar aus den eigenen Reihen durfte er sich schon desöfteren Kritik zu diesem Thema anhören, hauptsächlich von Morrie. Vielleicht glaubte Morrie sich diese Kritik erlauben zu können weil er mit seinen neunzehn Jahren mit Abstand der Älteste von ihnen allen war und bevor er zu den Sister's stieß, schon bei einer Menge anderer Gangs mitgemischt hatte. Und in seinen Augen ging Taiji einfach zu sehr auf Kuschelkurs was die Moralvorstellungen anbelangte. Und der Leader musste zugeben: Fair zu kämpfen war weitaus anstrengender als ungerecht zu kämpfen. Aber er wusste schon warum er es tat. Der neue Stand, dass X mit Schusswaffen rumhandtierten, schwirrte Taiji auch den übrigen Tag im Kopf herum. Am späten Nachmittag traf er sich mit Tommy und spontan trommelten sie die ganze Gruppe zusammen um gemeinsam ins 'white crane' zu gehen, einer kleinen Kneipe die von aussen völlig herunter gekommen aussah, innen drin aber urgemütlich war. Sie lag am Rande einer belebten Straße und war das vorletzte Gebäude auf dieser Strassenseite. Man gelangte über eine kleine, verrostete und leicht wackelige Metalltreppe zum Eingang, über dem zwei Kraniche im vereinfachtem Stil gemalt waren. Im Inneren herrschte, wie bei so vielen Kneipen, gedämmtes Licht und eine angenehm lockere Atmosphäre. Die Musik, wild durcheinander gemischt, war in etwa genauso laut wie das Geschnatter der Gäste. Die Sister's hatten sich alle um einen der großen Tische gesetzt und bestellten Bier und Soju. Glücklicherweise nahm es in diesem Laden keiner der Angestellten so genau mit dem Alter der Gäste. Die Jungs hatten schon lange nicht mehr so eine gemütliche Runde zusammen in einer Kneipe verbracht. Jeder von ihnen konnte sich gehen lassen und vergaß für einige Momente die Sorgen die ihm gerade durch den Kopf gingen: Morrie verabschiedete vorübergehend sein schockierendes Erlebnis von letzter Nacht und Taiji hatte X erst mal aus seinem Kopf ausgesperrt. Statt dessen starrte er den jungen Mädchen lieber auf ihre Hintern oder lüpfte auch schonmal gerne derren Miniröcke, wenn sie zufällig dicht an ihm vorbeigingen. Gescheuert bekam er dabei erstaunlicherweise selten Eine, die Telefonnummern der jeweiligen Schnecken aber ebenso wenig. Tommy konnte sich ein verschmitztes Grinsen selten verkneifen, wenn er Zeuge solcher Szenen wurde. Er wusste wie scharf Taiji darauf war, möglichst viele Mädchen in die Kiste zu kriegen, als bester Freund wusste er aber auch dass der Lockenkopf bei Weitem nicht so ein Weiberheld war wie er es seinem Image immer andichten ließ. Er wusste sogar, dass Taiji schon ein paar vereinzelte Male, als er besonders großen Notstand hatte, auf Jungs ausgewichen war. Aber darüber hatte Tommy eisernes Stillschweigen zu bewahren. Dass durfte niemand ausser ihm wissen denn würde bekannt werden dass Taiji es auch mit Kerlen trieb, wäre der Respekt ihm gegenüber auf einen Schlag vernichtet. Harte Kerle trieben es nicht mit anderen Kerlen, nein. Sie trieben es mit willigen Mädchen und waren die Mädchen nicht willig, wurden sie willig gemacht. Manchmal auch auf nicht ganz legale Weise. Doch Tommy's Gegrinse erlosch ganz plötzlich als eine Gruppe Jugendlicher den 'white crane' betraten – es waren X. Mit großen und sicheren Schritten gingen sie geschlossen auf den Tisch zu, an dem die Sister's saßen. Kurz vor ihnen machten sie halt. Yoshiki stand nur wenige Zentimeter vom sitzendem Taiji entfernt, blickte abfällig und selbstsicher auf seinen Erzfeind herab. „Ihr traut euch ja ganz schön was zu“, gurrte er mit einem sadistischem Lächeln auf den Lippen. Taiji erhob sich, wollte keine untere Position vor Yoshiki einnehmen. Mit festem Blick fixierte er die Augen seines Gegenübers. „Das hier ist nicht euer Gebiet“, entgegnete er nur. Noch konnte er seine Stimme ruhig halten. „Aber ihr seit hier dicht an der Grenze“, versuchte Yoshiki erneut den Jüngeren einzuschüchtern. Taiji hingegen fühlte sich eher genervt als eingeschüchtert. Kapierte dieser Typ einfach nicht, dass er sich nicht durch ein dümmliches Grinsen und ein bißchen heisser Luft einschüchtern ließ? „Hör zu, ich kenn euer Geheimnis. Ihr habt ein neues Spielzeug gefunden – aber glaub ja nicht, dass das auch nur irgendwas ändern wird!“ In Wirklichkeit wusste Taiji sehr wohl, dass sich durch X' neugewonnenem Waffenstatus so Einiges ändern würde. Aber er wollte keine Schwäche zeigen, wollte sich nicht unterkriegen lassen. Doch bevor nun Yoshiki wieder etwas darauf erwidern konnte, wurde die Kneipe erneut von einer Gruppe gestürmt – diesmal von Polizeibeamten. „Keiner verlässt den Raum!“, wurde von Einem gebrüllt. „Hände hoch! Nehmt eure Hände hoch!“, befahl ein anderer Kollege. Die uniformierten Beamten hatten ihre Waffen gezückt und versuchten so schnell wie möglich Herr der Lage zu werden. Die ersten Mädchen begannen hysterisch zu kreischen und binnen weniger Augenblicke brach Panik in der Kneipe aus. Einige Drogendealer die anwesend waren versuchten hektisch ihren Stoff zu verstauen. Das Personal vom 'white crane' war völlig baff vom Überfall der Polizisten, jedoch auch mehr oder weniger die Einzigen, die den Aufforderungen nach kamen und mit erhobenen Händen an Ort und Stelle verweilten. Die Jungs von den Sister's und von X starrten nur mit aufgerissenen Augen auf das Szenario. Sie befanden sich relativ in der Mitte des Ladens, die Polizisten hatten sie noch nicht erreicht, doch die gezückten Pistolen waren auch in ihre Richtung gerichtet. Ähnlich wie im 'Enter the Dragon' fanden auch hier desöfteren Drogenrazzien statt – aber das hier war mehr als nur eine Drogenrazzia, das hier war was Größeres. Taiji erkannte das sofort und versuchte die Stufe der Gefahr abzuschätzen. Nach wenigen Sekunden entschied er sich zur Flucht. „Hinterausgang!“, schrie er seinen Leuten zu; da bereits reges Geschrei und Gedränge herrschte, fiel Taiji's kurze Anweisung zuerst nicht auf. Die Sister's sprangen von ihren Stühlen auf und quetschten sich, allesamt gebückt, durch die hektisch wuselnde Menschenmenge. Wie Taiji an ein paar vereinzelten Menschen vor sich erkennen konnte, war er nicht der Einzige der den Gedanken mit der Flucht durch den Hinterausgang hatte. Auch X blieben nicht untätig. Yoshiki konnte sich schon ausrechnen was ihnen blühte, wenn man bei ihnen die Schusswaffen entdecken würde und so traten auch er und seine Jungs den Rückzug an – ausnahmsweise mal in die selbe Richtung wie Taiji und Konsorten. Im Gegensatz zu denen wusste Yoshiki nämlich nichts von einem Hinterausgang, aber wenn es den doch gab, sah er nicht ein sich das Wissen Anderer nicht zu seinen Zwecken nutzen zu machen. Der Polizei entging dieser Fluchtversuch natürlich nicht und ungefähr die Hälfte der Beamten jagten den Flüchtlingen hinterher. Kaum nach draussen gelangt, blickte sich Taiji hektisch um. Wo gab es die besten Versteckmöglichkeiten? Welcher Weg war der beste, schnellste und sicherste? Seine sechs Jungs standen dicht hinter ihm. Er spürte wie sie sich auf ihn verließen. In solchen Situationen wurde ihm sein Status als Bandenführer wieder überdeutlich klar. „Da lang!“, zischte er plötzlich und jagte auch schon los, auf das nebenstehende Gebäude zu. Tommy, Morrie, Tusk, Mogwai, Kenzy und Sceanna folgten ihm. Zuerst hatte Taiji daran gedacht, die Treppe hinunter zum Kellereingang besagten Hauses als Versteck zu nutzen, doch schien ihm das zu unsicher und so lenkte er seine Jungs hinter dem Haus in eine schmale Gasse, die in der Mitte durch einen hohen Zaun aus Maschendrahtgeflecht abgetrennt war und somit als provisorische Sackgasse diente. Aber nicht für energiegeladene, junge und geschickte Bandenmitglieder. Die Jungs kletterten flink und geübt über das Hindernis rüber. X waren nur wenige Augenblicke nach den Sister's aus dem Hinterausgang geströmt und standen nun vor der gleichen Entscheidung wie kurz zuvor noch die Anderen: Wohin? Im Gegensatz zu Taiji entschied sich Yoshiki für die Kellertreppe des Nachbarhauses. Sie war am nächsten und ging relativ weit runter, weshalb man sie dort nicht auf Anhieb sehen würde. Also folgten X ihrem Leader und entkamen den Polizisten somit nur um Haaresbreite. Die waren im Inneren der Kneipe nämlich gar nicht so schnell voran gekommen, da panische Gäste die eh schon engen Gänge noch enger gestaltet hatten. Nun standen die vier Beamten mit schußbereiten Waffen vor dem Hinterausgang auf dem Hof und suchten mit ihren Augen angestrengt die umliegende Gegend ab. Aber da war keiner. Ausser ein Rabe der im Müll rumstocherte und nach etwas Essbarem suchte. Abermals teilten sich die Polizisten auf, diesmal rannten Zwei zurück Richtung Strasse, zu der man gelangte wenn man zwischen den Gebäuden des 'white crane's und des Nachbarhauses hindurchlief. Die anderen Beiden liefen in die entgegengesetzte Richtung, in die provisorische Sackgasse. Dabei rannte der Eine sehr dicht an der Kellertreppe vorbei auf der sich X versteckt hielten und sich krampfhaft gegen die Wand pressten um nicht entdeckt zu werden. Ryö quetschte sich regelrecht an Den, hatte Angst und kniff die Augen zu. Den hielt vertraut die Hand des Freundes fest. Allein dadurch spürte er schon den rasenden Puls von Ryö. Pata behielt die ganze Zeit hide im Auge, konnte seinen Blick kaum von ihm nehmen, wollte ihn unversehrt wissen. hide selbst registrierte das nur kurz. Er konzentrierte sich viel mehr auf sein Gehör. Als er dabei den einen Polizisten so dicht an ihnen vorbei rennen hörte, hielt er vor Aufregung seinen Atem an und sein Herz begann noch mehr zu rasen. Yoshiki fragte sich in diesen angespannten Momenten, ob das Auftauchen der Bullen möglicherweise was mit ihnen oder den Sister's zu tun haben könnte. Hatte irgendjemand da draussen Wind davon bekommen dass sie nun Revolver besaßen...? Von Yoshiki's plötzlichen Überlegungen ahnte Toshi keinen Deut. In seinem Kopf kreiste immer und immer wieder bloß ein einziger Gedanke: Er musste Yoshiki beschützen, selbst wenn er dabei drauf gehen würde. Kazzy atmete sehr flach, seine Muskeln waren angespannt, bereit für jede mögliche Flucht die noch folgen würde. Nur war er gerade bei Weitem nicht so angsterfüllt wie in dem Moment, als der weiße Kerl ihn damals in der verlassenen Fabrik beim Beobachten der Folter erwischt hatte.... In den Momenten, als X mit rasendem Puls an der Wand gepresst standen und hofften, nicht entdeckt zu werden, kletterten die Sister's in Windeseile über den Maschendrahtzaun. Dieser Vorgang verlief weitestgehend ohne Probleme. Ausser für Mogwai. Er hatte die letzte Nacht abermals sehr schlecht geschlafen und weigerte sich nach einem Alptraum nochmal einzuschlafen. Aufgrund dessen befanden sich seine Konditionen gerade auch nicht auf Hochtouren und er fiel schon bei der Flucht als Schlußlicht zurück. Jetzt, wo er als Letzter über den Zaun kletterte, fiel seine körperliche Erschöpfung noch drastischer auf denn er kam nicht so schnell voran wie die Anderen und als die schon fast alle auf der anderen Seite waren, hing er gerade mal an der oberen Hälfte des Zaunes. Zu langsam für die zwei Polizisten, die die Sackgasse nun auch erreicht hatten. Sie sahen Mogwai, erkannten ihn als einen der geflohenen Japaner. In dem Moment, als Mogwai's Hand den obersten Rand des Zaunes berührte, peitschten zwei Schüsse durch die Gasse. Sceanna und Kenzy blieben schlagartig wie angewurzelt stehen, starrten auf ihren Freund. Auch die übrigen Sister's hielten kurz inne. Als hide den Schuss hörte, setzte sein Herzschlag einen Takt lang aus. Wen mochten sie erwischt haben? Hatten sie ihn tödlich getroffen oder nur gestreift? ….was, wenn es Tusk war.....? Ihm wurde schlecht, nein – speihübel. Und für einen kurzen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, bevor er sich zusammenriss und sein Kreislauf sich wieder fing. Die Webley Mk. VI, die in seinem Hosenbund steckte, hatte er völlig vergessen. Mogwai's Hände verloren den Halt, sein ganzer Körper erschlaffte und er fiel. Fiel und schien endlos zu fallen. In eine Tiefe die kein Ende fand. Plötzlich wechselte die Kulisse, aus den dreckigen Farben der Sackgasse wurde ein strahlend schöner Sonnentag. Es war warm... Eine nackte Frau räkelte sich auf einer schwebenden Felsplatte. Das Sonnenlicht badete ihren reinen Körper. Vor ihr befand sich ein aufgeplatzter Granatapfel dem ein prächtiger, großer Fisch entsprang. Aus seinem weit geöffnetem Maul sprang ein mächtiger Tiger, der wiederum aus seinem aufgerissenem Maul, Welches die imposanten Fangzähne demonstrativ zur Schau stellte, einen weiteren Tiger zum Vorschein kommen ließ. Der zweite Tiger stürzte sich mit langen und gespreizten Krallen auf die vermeintlich schutzlose Frau. Eine stoßbereite Bajonett schwebte wie von Geisterhand vor dem zweiten Tiger und war kurz davor mit seiner spitzen Klinge einen Arm der Frau zu berühren. Ein zweiter, viel kleinerer und unversehrter Granatapfel schwebte neben ihr, um ihn herum eine Biene. Am Horizont stolzierte ein weißer Elefant auf seinen langen, dünnen Spinnenbeinen und trug auf dem Rücken einen Obelisk. Mogwai schlug mit dem Rücken auf dem harten Boden auf. Er blieb bewegungslos liegen. Seine Augen waren geschlossen. Als würde er friedlich schlafen...das, was er schon so lange nicht mehr konnte. Der Großteil der Sister's hatte sich schon hinter der nächsten schutzbietenden Mauer versteckt, nur Kenzy und Sceanna standen noch in der Schußlinie und konnten nicht fassen wovon sie da soeben Zeuge geworden waren. Einer der Polizisten rannte zu Mogwai und tastete am Hals nach dessen Puls. „Er ist tot“, kam nach wenigen Sekunden dann schließlich die Meldung. Dieses eine, kleine, niederschmetternde Wort hallte in Kenzy's Kopf immer wieder nach.... Sein Blick klebte regelrecht am Körper des leblosen Freundes. Er konnte sich überhaupt nicht mehr bewegen, der Schock saß zu tief. Und so brauchte er auch einige Momente bis er begriff, wer ihm da so energisch am Arm zog. „Ey, jetzt kommt endlich!“, fuhr Morrie ihn und Sceanna an und zog beide Jungs in Windeseile mit sich hinter die Mauer zu den Anderen. Kenzy hörte noch wie der Polizist, der Mogwai's Tod verkündet hatte, die aktuelle Situation in sein Funkgerät sprach. Es war wie im Film, nein, wie in einem schlechten Alptraum...... Aber war Mogwai nicht immer der gewesen, der die Alpträume hatte...? Kapitel 17: No mercy -------------------- Toshi spähte über den Rand der Mauer die ihnen Schutz gab. Schräg gegenüber in einiger Entfernung sah er die beiden Polizisten. Auf dem Boden lag ein dunkel bekleideter Junge. Einer der Polizisten sprach die ganze Zeit in sein Funkgerät. „Die rufen ihre Leute“, schlussfolgerte Toshi aus diesen Beobachtungen. „Und einer von den Sister's is' tot.“ hide durchfuhr bei den letzten Worten Toshi's ein eisiger Schauer. Wen von ihnen hatte es erwischt...? Den wand sich an Yoshiki. „Lass uns abhauen. Sonst ist gleich 'ne ganze Ladung Bullen hier, mit Leichenwagen und dem ganzen Programm. Und dann finden sie uns hier auch.“ Yoshiki sah ein, dass sie das Risiko unmöglich eingehen konnten und nickte knapp. Und obwohl er mit Toshi am weitesten von der Treppe entfernt stand, waren es doch die beiden die als Erstes leise und vorsichtig die Treppenstufen hinaufschlichen. Nach ihnen folgten die Anderen, wobei hide sich an letzter Stelle ganz hinten einfädelte. Er haderte gerade mit sich selbst, ob er hier wirklich verschwinden sollte oder nicht. Er musste wissen wen die Beamten getötet hatten. Er musste es wissen! Als er schließlich auch die Stufen hochging und sein Kopf bald schon über den Rand der Mauer ragte, blickte er in die Richtung der Polizisten. Tatsächlich, da lag Einer. Dunkle Kleidung....zuerst schoss ihm wieder Tusk durch den Kopf, doch stimmte die Größe nicht überein. Und dann registrierte er die rötlichbraunen Haare. Es musste Mogwai sein... hide hatte den Sinn und Zweck der angetretenen Flucht nun völlig vergessen und blieb mitten auf der Treppe stehen, für jederman gut sichtbar. Sein Blick war auf das Szenario da hinten gerichtet. Mogwai war einer der Jüngsten von den Sister's gewesen. Er wusste das genaue Alter nicht, aber Mogwai musste ein paar Jahre jünger als er selbst gewesen sein. So jung....und schon tot...... Dabei hatte er von Mogwai immer den Eindruck gehabt er sei sehr zurückhaltend gewesen. Er war nie der Erste gewesen, der sich in einen Kampf gestürzt hatte. Auch hatte er selten von sich aus angefangen jemand anderen zu provozieren. Nun lag er da tot in einer verdreckten Gasse herum. Und mit großer Wahrscheinlichkeit war Mogwai nicht einmal der zentrale Punkt für das plötzliche Auftauchen der Polizei in der Kneipe gewesen. „Verdammte Scheiße, komm!“ Pata zerrte hide energisch am Arm mit sich. Was fiel seinem Freund ein, die Flucht in unnötige Gefahr zu bringen? In letzter Zeit wirkte er schon oft genug etwas abwesend. Was auch immer dafür der Auslöser gewesen sein mochte. hide ließ sich widerstandslos von Pata mitzerren, jedoch kamen sie nicht weit denn die übrigen Jungs von X blieben selbst abrupt stehen, kaum dass sie am Gebäude vorbei die Strasse erreicht hatten. Vor ihnen standen die anderen beiden Polizisten, die sich von ihren Kollegen getrennt hatten um die Flüchtigen zu erwischen. „Hände hoch!“, brüllte der eine Beamte hektisch und hatte, genau wie sein Partner, die Waffe schon schussbereit auf die junge Truppe gerichtet. Man sah ihm an wie die Unruhe und Nervosität in ihm von Sekunde zu Sekunde wuchs und als die Jungs nicht sofort reagierten sondern einfach nur dastanden und ihn anstarrten, wiederholte er seine Aufforderung. „Hände über den Kopf ihr Penner! Los! Hände hoch wenn euch euer Leben lieb ist!!“ Er wurde fast hysterisch. Entweder hatte er schwache Nerven oder er war noch nicht so lange im Aussendienst tätig. Die sieben Jungs hielten den Atem an, keiner rührte sich, keiner kam der Aufforderung nach. Bis Toshi seinen Kopf ein kleines Stück in Yoshiki's Richtung drehte. Ein vertrauter Blick zwischen den beiden, ein kaum wahrnehmbares Blinzeln, ein geheimes Zeichen. Was dann folgte passierte in rasender Geschwindigkeit: Toshi und Yoshiki griffen beide nach ihren Waffen, die sie, wie die anderen Jungs auch, im Hosenbund oder Gürtel stecken hatten, und feuerten mit erstaunlicher Treffsicherheit auf die beiden Polizisten. Die Schüsse fielen fast zeitgleich. Drei von jedem der beiden Freunde. Die Polizisten hatten, trotz der geringen Entfernung zu der Gruppe, keine Chance noch rechtzeitig zu reagieren. Ihre Gegner waren zu schnell. So sackten die zwei uniformierten Männer kurz darauf in sich zusammen und kamen, tödlich getroffen, auf dem harten Boden auf. Einer der Polizisten hatte seine Augen noch geöffnet und es schien so, als würde er in die Richtung seines toten Kollegen blicken. Doch wohin auch immer diese Augen blicken mochten, die Informationen kamen nicht mehr bei seinem Gehirn an. „Scheiße...“, flüsterte Ryö fassungslos und starrte, wie die sechs Anderen auch, auf die zwei Toten. Obwohl jeder von ihnen eine Pistole bei sich trug, hatte doch kaum einer von ihnen damit gerechnet, diese neue Errungenschaft schon so schnell zum Einsatz kommen zu lassen. Yoshiki's Blick wanderte von dem Polizisten, den er erschossen hatte, zu der 44er Colt Army, die in seiner Hand lag. Er hatte soeben einen Menschen umgebracht. Aber was hatte er auch anderes erwartet, wenn er die Waffe einsetzte? Hatte er wirklich geglaubt, die Schüsse, die er abfeuerte, hätten keinerlei Folgen? Nein, natürlich nicht... Yoshiki's Blick wanderte vom Lauf hinüber zum Griff bis hin zum Abzug. Er hatte in seinem Leben schon so viele Leute verprügelt oder verprügeln lassen, aber noch nie einen getötet. Heute war Premiere. Und es fühlte sich seltsam an..... „Man, lasst uns endlich abhau'n!“, fauchte Den ungeduldig. Ihm ging das hier alles schon wieder viel zu langsam. Dass sich die Jungs die Leichen ansahen war ja schön und gut, aber wenn sie nicht in Windeseile von hier verschwanden war die Schießerei völlig umsonst und man würde sie doch noch fassen. Das schienen die Anderen nun wohl auch so langsam zu begreifen und die bunte Truppe setzte sich wieder in Bewegung, ließen die Leichen hinter sich und rannten die Strasse entlang bis zur nächsten Kreuzung, wo sie abbogen und versuchten, die in der Ferne aufheulenden Sirenen hinter sich zu lassen. Die Sister's waren zum 'blauen Teufel', der verlassenen kleinen Lagerhalle mit den Graffittis an den Aussenwänden, geflüchtet. Sie hatten Glück, nachdem Mogwai erschossen wurde folgte ihnen kein einziger Beamter mehr. Insofern konnte man dem Tod des Mitglieds auch wieder etwas Positives abgewinnen.....doch ob es das wert war...? Für Kenzy mit Sicherheit nicht denn der kriegte sich gar nicht mehr ein. Zuerst war er bei der Flucht wie versteinert, man musste ihn ständig gewaltsam hinter sich herziehen damit er einem überhaupt noch folgte. Jetzt, hier im Keller, schlug sein Verhalten ins Gegenteilige um und er schrie seine Trauer regelrecht heraus. Keiner von den Jungs quälte sich im Moment so stark wie Kenzy. Doch auch keiner von ihnen stand Mogwai so nahe wie Kenzy. Während die anderen fünf Jungs alle ziemlich schweigsam waren und verteilt in einem der Räume standen, lief der Jüngste von ihnen ständig hin und her, trat herumstehende Kisten und andere Gegenstände von sich und brabbelte wie im Wahn immer wieder das Gleiche vor sich hin. „Warum ist er tot? WARUM?? Warum ist das passiert?“ Seine Füße hielten nicht still, trieben ihn immer wieder in ovalförmigen Kreisen durch den Raum. Sein Verstand begriff nicht, was seine Augen gesehen hatten. Wollte es auch nicht begreifen. Es passte überhaupt nicht zusammen, es passte gar nichts von alledem zusammen! Warum hatte man Mogwai erschossen? X waren doch die, die Schusswaffen besaßen! X waren die, die bei Weitem gefährlicher bewaffnet waren als sie! Warum hatte man dann trotz allem Mogwai erwischt? „Das geht nicht...nein...“, schluchzte Kenzy, versuchte seine aufkommenden Tränen herunter zu schlucken. Doch seine Gefühle waren zu stark und die Tränen rannen wie kleine Sturzbäche über sein Gesicht. Sein Gang verlangsamte sich stetig und schließlich blieb er stehen. Den Kopf gesenkt, die Haare vor das nasse Gesicht fallend. Die Blicke der übrigen Sister's hafteten alle auf Kenzy. Jeder von ihnen wusste wie eng die beiden Freunde miteinander verbunden waren. Tommy löste sich aus seiner Ecke und schritt vorsichtig auf den völlig verzweifelten Jungen zu. Behutsam fasste er ihm an die Schultern, wollte ihn zu sich umdrehen und ihn in seine Arme schließen. Doch kaum spürte Kenzy die Hände des Anderen an sich, riss er sich schwungvoll herum und funkelte Tommy mit tränennassen und völlig verzweifelten Augen an. „SAG MIR, DASS ER NICHT TOT IST!! SAG'S MIR!!!“ Sein hysterisches Schreien drang durch die ganze Fabrik. „Er hat nichts getan! Warum haben sie ihn umgebracht...? Warum...??“ Kenzy's tränenerstickte Stimme erstarb schließlich gänzlich und völlig entkräftet warf er sich an Tommy's Brust, klammerte sich kraftlos an ihn und weinte hemmungslos drauf los. Die tiefe Verzweiflung des Blonden traf alle. Tommy, der trotz der Schreiattacke nicht von Kenzy wich, ließ ihn sich entladen, bis er ihn heulend an seiner Brust wiederfand und legte schließlich sanft seine Arme um den schmalen Körper. Ein leises aber beruhigendes „Shhhh...“ brachte er in die Nähe von Kenzy's Ohr. Behutsam, wie eine Mutter ihr Kind, wiegte Tommy das jüngste Mitglied sachte hin und her. Tommy wusste nicht warum, aber er hatte schon seit einiger Zeit die Befürchtung gehabt, dass mit Mogwai eines Tages mal irgendwas passiert. Obwohl er dabei nicht gleich an den Tod des Jungen gedacht hatte. Aber irgendwie hatte er so ein seltsames Gefühl schon eine ganze Weile gehabt. Armer Kenzy.... Und er hatte seinen Freund auch noch sterben gesehen. Morrie's Mimik war von allen Anwesenden am versteinertsten, fast gefühlskalt. Das mochte vielleicht daran liegen, dass Mogwai nicht der Erste war, den er sterben sah. In seiner Vergangenheit hatte er schon diverse Auseinandersetzungen zwischen Banden und der Polizei miterlebt und dabei waren schon so einige gestorben. Meißtens Bandenmitglieder, auch aus den eigenen Reihen. Bei den Sister's war Mogwai der erste Todesfall, doch auf kurz oder lang musste soetwas mal geschehen, war Morrie's Ansicht. Kaum eine Bande verlor im Laufe ihrer Existenz kein Mitglied. Sceanna war schlecht. Seit er Mogwai sterben gesehen hatte, kroch immer wieder diese Übelkeit seinen Hals hoch. Auf der Flucht war das Gefühl noch nicht so stark gewesen, doch jetzt, wo sie sich zurück gezogen und ihre Ruhe hatten, war ihm wieder übel wie nichts Gutes. Er hatte bei der Flucht aus dem 'white crane' und auch schon davor registriert, wie kraftlos Mogwai wirkte, wie unausgeschlafen er wieder war. Sceanna fragte sich, ob er noch leben würde, wenn sein Körper klarer drauf gewesen wäre. Hatten ihm letztendlich seine Alpträume das Leben gekostet? Tusk befand sich etwas abseits von den anderen. Er hockte auf einer alten Holzkiste, ganz dicht in die Ecke gequetscht. Es schien fast so, als wolle er der hier stattfindenden Szene entfliehen. Das war doch alles Wahnsinn... Dass sie ihre anhaltende Fehde mit X hatten war eine Sache. Dass jetzt aber einer von ihnen schon getötet wurde – ohne ersichtlichen Grund – das ging zu weit. Keiner von ihnen wusste, warum der Polizist auf Mogwai geschossen hatte. Somit wussten sie noch nicht einmal, ob sie den Tod in den eigenen Reihen selbst verschuldet hatten. Und wie würde es in Zukunft weiter gehen? Würde noch jemand von ihnen erschossen werden? Von der Polizei – oder vielleicht auch von X, die ja jetzt auch Revolver besaßen? Wofür das alles...? Wofür war Mogwai gestorben? Sein Tod war so sinnfrei.... Und Taiji....ja, Taiji stand mit dem Rücken zur Wand und starrte abwechselnd immer wieder zwischen Kenzy und dem Fußboden hin und her. Er war der Anführer...und er hatte nicht verhindert, dass einer von ihnen umgebracht wurde. In seiner Position hätte er das aber verhindern müssen. Er hätte dafür sorgen müssen, dass soetwas Schreckliches nicht passierte. Er hätte Acht geben müssen, dass Mogwai bei der Flucht nicht so weit nach hinten fiel. Sie hätten ihn besser in ihre Mitte nehmen müssen. Hätten hätten hätten.... Doch dafür war es nun zu spät. Sie konnten nichts mehr daran ändern, niemand von ihnen. Sie konnten nur für die Zukunft besser aufpassen und die alten Fehler nicht wiederholen. Nachdem X wie die Bekloppten durch die halbe Stadt im Zickzack gejagt waren um die Polizei, die ihnen möglicherweise noch auf den Fersen war, abzuhängen, waren die Jungs schließlich in Pata's Keller geflüchtet. Dort saßen oder standen sie nun, völlig ausgepowert und hechelnd, wie Jungfüchse die von den Reitern und ihren Hunden gnadenlos gejagt wurden. Eine ganze Weile sprach niemand von ihnen ein Wort. Sowohl um erst mal wieder zu Atem zu kommen, als auch das eben erlebte irgendwie zu verarbeiten. Wenigstens ansatzweise. Denn für die Wenigsten von ihnen war es mal eben einfach so wegzustecken, dass ihre Bande für den Tod zweier Polizisten verantwortlich war. Auch wenn Einige von ihnen es dennoch versuchten vorzutäuschen. Doch Andere verbargen ihre Sorgen wiederum weniger, konnten oder wollten es vielleicht auch nicht. So wie Ryö. „Ihr habt die Typen gekillt.“ Seine ungewöhnlich rau klingende Stimme war die Erste die erklang, seit sie den Keller betreten hatten. Toshi, der Einzige der im Moment stand, warf seinen Blick sofort auf den braunen Wuschelkopf. „Wir hatten keine andere Wahl! Sonst wären wir draufgegangen!“, wies er den Jüngeren mit scharfem Ton zurecht. Ryö hob seinen Kopf, blickte in Toshi's Richtung. „Wir hätten uns ergeben können.“ Seine Stimme war leise, aber fest. Dieser Satz zog nun auch die Blicke aller Anderen auf ihn. Teilweise waren auch einige ungläubige, entgeisterte Blicke dabei. „Ey, sach ma', hast'e den Arsch offen?“, fauchte Toshi ihn agressiv und spürbar geladen an. „Willst'e auch tot sein? Oder in den Knast?“ „Wenn 'se uns jetzt erwischen, komm' wir da erst recht hin! Ihr habt sie getötet!“ Ryö wurde nun auch lauter. „Was hast du denn geglaubt was man mit Pistolen macht?! Man tötet!“ Toshi war auf Hundertachtzig. Wie naiv konnte dieser Bengel eigentlich sein? Der war ja noch schlimmer als hide! Ryö starrte den blonden Kollegen nur noch an. Erst jetzt wurde ihm so richtig bewusst was es bedeutete, Schusswaffen zu gebrauchen. Natürlich, sie konnten töten.... Ein Messer, wie sie auch alle Eins besaßen, konnte ebenfalls töten. Aber mit einer Pistole war es einfacher und schneller. Und plötzlich keimte in ihm ein schrecklicher Verdacht. „Wolltet ihr töten?“ Seine Augen verformten sich für einen kurzen Moment zu schmalen Schlitzen, fixierten dabei ununterbrochen noch immer Toshi. „Hey, krieg dich wieder ein“, versuchte Den seinen Freund zu beruhigen bevor die Diskussion endgültig eskalierte und tätschelte ihm mehrfach die Schulter. „Manchmal geht es nicht anders!“, versuchte Toshi sich zu verteidigen. Seine Stimme wurde dabei langsam immer schriller. „Nur die Stärksten überleben!!“ „Is' ja gut, wir haben's verstanden“, murrte Pata, dem Toshi's Tonlage allmählich auf die Nerven ging. Doch anstatt ruhiger zu werden, stachelte diese Bemerkung Toshi nur noch mehr an und er wirbelte zu Pata herum. „Halt du dich da raus! Du gehörst eh nur halb dazu!“ Jedem im Keller war in diesen Momenten klar, dass Toshi nun zu weit gegangen war, dass er sich die letzte Bemerkung besser hätte verkneifen sollen. Jedem war klar, dass er damit die Tatsache ansprach, dass Pata keine rein japanischen Wurzeln hatte. Er war nur Halb-Japaner. Welches Blut aber sonst noch durch seine Adern floss wusste keiner von ihnen, denn Pata hasste dieses Thema und sprach nie darüber, sprach nie über seine Eltern die auch nie einer von ihnen je zu Gesicht bekommen hatte. Er lebte bei seinem Onkel und der war definitiv Japaner. Aber das war auch schon alles was Pata über seine Familie wissen ließ. Kaum war jedenfalls Toshi's abfällige Bemerkung in diesem Streit gefallen, erhob Pata sich langsam und trat auch genauso langsam, aber gefährlich, auf den Blondschopf zu. Seine Bewegungen wirkten fast träge, doch durfte man sich davon keinesfalls beirren lassen, denn hinter diesen wohl überlegten, gezielt langsam eingesetzten Bewegungen verbarg sich eine ungeheure Energie und Kampfbereitschaft. So schnellte seine Hand auch sofort hoch, kaum dass er direkt vor Toshi zum Stehen kam, und packte dessen Kiefer. „Ich sollte dir deinen verdammten Schädel zertrümmern...“, knurrte er im gefährlich tiefem Ton und seine Blicke schienen regelrecht in Toshi's Augenhöhlen reinkriechen zu wollen. Er wusste, dass Toshi ihn nicht mochte sondern lediglich duldete. Das beruhte auf Gegenseitigkeit, denn er sympathisierte selbst nicht sonderlich mit Yoshiki's rechter Hand. Aber bei manchen Sachen sollte dieses Blondchen einfach besser seine Schnauze halten. Die übrigen X-Mitglieder erkannten, dass es noch zu einer Gruppenprügelei kommen würde, würden sie jetzt nicht eingreifen und so sprang hide auf um Pata zurück zu halten und Yoshiki krallte sich Toshi. „Schluß jetzt!“, wies er seine Leute zurecht. „Wir haben gerade andere Probleme am Hals, wenn ihr euch kloppen wollt dann später – und draussen!“ Er ließ Toshi so schnell nicht los. Er spürte noch, wie Dieser seine Muskeln nach wie vor angespannt hielt und das bedeutete, er war noch kampfbereit. hide schob den Irokesen langsam und sanft mehrere Meter von Toshi weg, versuchte stets im Sichtfeld des Freundes zu bleiben damit dieser ihn und nicht Toshi ansah. Während sich bemüht wurde, die aufgeheizte Stimmung wieder zum abkühlen zu bringen, gab es nur Einen unter ihnen, der dem Ereignis mit den Polizisten gar nichts Negatives abgewinnen konnte: Kazzy. Er saß an eine Wand gekauert und spielte das Gesehene immer wieder vor seinem inneren Auge ab, sah immer wieder wie Yoshiki und Toshi die beiden einfach niederstreckten. Es war so einfach....und ging so schnell..... Das Leben mit Pistolen war viel einfacher und eröffnete einem ganz neue Dimensionen und Möglichkeiten.....! Kapitel 18: Pata's secret ------------------------- Er dribbelte flink an ihnen vorbei, täuschte vor, dribbelte nach links und warf den Ball zielsicher in den Korb. Treffer versenkt. Sie spielten zwei gegen drei und obwohl Sceanna's Mannschaft nur aus ihm und noch einem Jungen bestand, lagen sie weit in Führung. Allein der letzte Korb war Sceanna's achter Treffer. Er sprühte geradezu nur so vor Energie, doch während des gesamten Spiels zierte eine fast versteinerte Mine sein Gesicht. Über keinen einzigen Korb schien er sich zu freuen. Aber konnte man ihm das in dieser Situation auch verübeln...? Irgendwann verhakten sich die Finger einer Hand in den Maschendrahtzaun, der das Spielfeld umgab. Ein Zuschauer hatte sich dazu gesellt. Dieser warf seinen Blick flüchtig über die fünft Jungs, doch blieb er an Einem haften: An dem Rotschopf Sceanna. Er beobachtete jede einzelne Bewegung des Jugendlichen mit dem zu großem Schlabbershirt. Jede Gestik, jede Mimik. Er wusste warum er so gut spielte. Er kannte ihn. „Sceanna!“ Der Rotschopf drehte sich um, blinzelte in die Richtung aus der sein Name gerufen wurde und schob sich mit einer Hand sein Stirnband zurecht, das ihm mittlerweile auf halb acht hing und sein rechtes Auge mehr oder minder verdeckte. Hinter'm Zaun erkannte er Tusk. Er wand sich von seinen Spielkameraden ab und ging zum Rande des Spielfeldes, krabbelte flink durch ein Loch im Zaun. Schon stand er vor Tusk. „Was gibt’s?“ „Du spielst gut“, antwortete Dieser nur und es schien fast ein wenig ausweichend. Den Eindruck bekam auch der Jüngere und er legte seinen Kopf ein kleines Stückchen schräg. „Bist du nur gekommen und mir das zu sagen?“, murrte er. Tusk zögerte einen Augenblick, musterte ihn wieder. „Ich wollte wissen wie's dir geht.“ Sceanna wand seinen Blick ab. „Prima, siehst du doch“, antwortete er in einem nicht sehr überzeugendem Ton. Tusk hatte Verständnis für die Reaktion des Rotschopfs. Er wusste, dass er das Basketballspiel nur als reine Ablenkung nutzte. „Kenzy war schon seit drei Tagen nicht mehr draussen“, berichtete der Dunkelhaarige. „Er geht nicht mehr in die Penne und essen tut er auch kaum noch was.“ War es wirklich schon drei Tage her? Sceanna kam es manchmal vor wie drei Stunden. „Und das wundert dich?“ Er hob nun wieder den Kopf und blickte Tusk emotionslos an. „Er wird sich auch noch länger verkriechen und die Dreckspenne ist nun eh gestorben! Was soll er denn jetzt auch noch da, ohne Mogwai??“ Seine Stimme wandelte sich immer mehr zu einem abweisendem Keifen. Doch Tusk war nicht der Typ der sich von soetwas beeindrucken ließ. Statt dessen schlang er sanft seine Arme um die Schultern des Freundes. Sceanna schien noch eine Sekunde zu zögern, doch dann gab er seinen Widerstand auf und ließ sich gegen den Körper des Anderen sinken. Die Umarmung erwiderte er jedoch nicht. „Der Letzte, der soetwas verdient hätte, wäre Mogwai gewesen“, nuschelte er gegen Tusk's Brust. „Er hatte schon genug Scheiße am Hals.“ „Ich weiss, Kleiner“, antwortete Tusk und verstärkte die Umarmung, während sein Gesicht in Sceanna's wirres, rotes Haar einzutauchen begann. Sceanna stand ganz ruhig da. Er würde nicht weinen, nein. Auch wenn sein Herz innerlich stark blutete. Aber er zeigte seine Tränen keinem Anderen. Da war er stur. Es waren seine Tränen, die wollte er mit niemand Anderem teilen. Tusk wusste das. Seine Hand strich gleichmäßig über Sceanna's Rücken. Die aggressiven Klänge von „Attitude“ der Kinks dröhnte durch das kleine Jugendzimmer, dessen Wände mit diversen Postern verschiedenster Rockidole tapeziert war. Die Hüllen der letzten fünf gehörten Platten lagen noch auf dem Boden verstreut. Es waren alles Scheiben, die man am besten laut hörte – und das tat Pata auch schon seit drei Tagen: Sich von Vormittags bis in die Nacht hinein mit lauter Musik beschallen, wobei er am späten Abend meißt Rücksicht auf seinen Onkel nahm, der nach einem harten Arbeitstag um die Zeit zu schlafen pflegte. Der Aschenbecher auf dem Boden, dicht neben Pata's Fuß, wurde ebenfalls seit diesen besagten drei Tagen nicht mehr gelehrt und allmählich stapelten sich die ausgedrückten Kippen darin schon. Doch das störte ihn nicht. Er war mit den Gedanken ganz woanders. In erster Linie bei Toshi. Was fiel diesem Rotzbengel nur ein, ihn aufgrund der Herkunft seiner Eltern zu diskriminieren? Wieso machte der Typ sein vorlautes Maul überhaupt noch auf? Was fand Yoshiki nur an diesem Kerl? Wofür brauchte er ihn, ausser dafür dass er dem Boss immer Recht gab und ihm unüberlegt alles nachsabbelte? Diesen blonden Schreihals konnte doch kein Mensch ernst nehmen. Aber warum taten ihm seine Bemerkungen dann trotzdem weh...? Keiner hatte das Recht, seine Eltern zu verurteilen..... Pata, der mit dem Rücken gegen sein Bett gelehnt auf dem Fußboden saß, legte seinen Kopf nach hinten, wo Dieser auf der Matratze zum liegen kam. Die Anderen hatten doch alle keine Ahnung. Keiner von ihnen wusste wie es ist, den Großteil seines Lebens ohne Eltern aufzuwachsen. Mindestens einen Elternteil hatte noch jeder von ihnen, egal wie sie sich mit ihm verstanden. Sie hatten ihn noch, einen Vater oder eine Mutter. Pata schloss für einen Moment seine Augen, ließ die krachenden Gitarren und den brummenden Bass durch seinen Körper dröhnen. Dann blinzelte er wieder, hob seinen Kopf und stand auf. Sein Weg führte ihn zu einem Regal, auf dem ein kleines Holzkästchen seinen Platz gefunden hatte. Die Hände des schweigsamen Jungen griffen danach und öffneten den kleinen, metallenen Verschluss. Seine Finger glitten hinein und zum Vorschein kam ein Foto, das ein glückliches Pärchen zeigte. Rechts einen grinsenden Japaner, dem seine Verliebtheit überdeutlich anzusehen war. Sein Vater. Links neben ihm war eine junge Frau zu sehen, mit dunklem, gelocktem Haar und einem bezauberndem Lächeln. Sie war Europäerin. Und seine Mutter. Seine Eltern, derren einziges Kind er war, wollten doch nur ein besseres Leben für sich und ihren Nachwuchs. Sie hatten geplant, Pata's Onkel, der als Erster nach Süd-Korea ging, zu folgen. Doch am Hafen gab es plötzlich Probleme und alles ging ganz schnell: Seine Eltern gaben ihn einer fremden, rundlichen Frau mit, die während der Überfahrt auf ihn aufpassen sollte. Seine Mutter versicherte ihm mehrfach, sie würden so schnell wie möglich nachkommen und sich schon ganz bald wieder sehen. Und sein Vater rief ihm immer wieder zu, dass sie es schon schaffen würden. Seine Eltern waren inzwischen schon von mehreren uniformierten Männern umzingelt gewesen, die sie mit sich zerrten. Die dicke Frau, furchtbar nett und nicht zu aufdringlich, hatte sich dem Jungen angenommen und bis zur Ankunft in Süd-Korea auf ihn aufgepasst. Dann musste Pata jedoch alleine weiter. Die Adresse seines Onkels hatte er in seinem kleinen Koffer stecken. Er war gerade mal fünf Jahre alt. Mit abwesendem Blick und den Gedanken noch in der Vergangenheit hängend, legte er das wertvolle Farbfoto zurück in das Kästchen, dessen Deckel sich gleich darauf wieder schloss. Als er das Kästchen wieder zurück auf seinen alten Platz stellte, fiel sein Blick eine Etage tiefer im Regal, wo ein Foto von ihm und hide sein zu Hause gefunden hatte. hide trug dort seine blonden Haare ungestylt und hatte sich statt dessen einen großen, schwarzen Schlapphut auf den Kopf gesetzt und in seinem Gesicht prangte eine geklaute Sonnenbrille. Er posierte mit rausgestreckter Zunge und demonstrativ zur Schau gestellten Mittelfinger für die Kamera. Pata selbst stand nur lachend daneben; vermutlich hatte hide kurz zuvor wieder irgendeinen seiner Witze gerissen. Der Irokese lächelte verträumt als er sich dieses Bild ansah. Er hatte sich immer einen Bruder oder eine Schwester gewünscht. Doch obwohl seine Mutter mit ihm ziemlich schnell schwanger geworden war, hatte es danach kein zweites Mal funktionieren wollen – hatte ihm sein Onkel erzählt. - In hide hatte er den Bruder gefunden, den er leiblich nie hatte. Und genau aus dem Grund konnte er es nicht zulassen, dass hide eines Tages die Fronten wechselte und zum Feind überlief. Da war es ihm auch egal ob dieser Tusk Gitarre spielte und mit seiner Musik auftrat – er gehörte zu ihren Erzfeinden und da wollte Pata hide nicht sehen! Nie würde er es schaffen gegen seinen Freund zu kämpfen. Lieber würde er sich eigenhändig das Herz rausreissen. Yoshiki, Toshi und Kazzy hatten ihre Gesichter in Schals und Bandanas gehüllt, als sie spät am Abend den kleinen Supermarkt betraten. Um diese Uhrzeit war hier nicht mehr viel los: Im Supermarkt befand sich nur eine Handvoll Kunden, bestehend aus einer alten Dame, einem jungen Pärchen und einem einsamen Typen. Es hatte nur eine Kasse geöffnet und der Junge dahinter war kaum älter als Yoshiki oder Toshi; vielleicht war er Student. Die Strasse, in der der Laden lag, war eine nicht sonderlich belebte Seitenstrasse. Die drei jungen Täter zögerten nicht lange, zogen ihre Waffen und schossen gekonnt auf die Überwachungskameras. Sofort brach Panik aus. „Alle auf den Boden!“, brüllte Yoshiki unter seinem Schal, der ihm seine Identität bewahren sollte. Jeder kam dieser Aufforderung sofort nach. Als auch der junge Kassierer sich auf den Boden legen wollte, richtete Yoshiki seine 44er Colt Army auf ihn. „Du nicht!“, fauchte er und trat mehrere Schritte auf ihn zu. „Los, mach die Kasse auf und rück die Kohle raus!“ Seine Stimme war harsch und bestimmend. Den Revolver hielt er sicher in beiden Händen, den Zeigefinger am Abzug. Seine Augen, die zwischen dem Schal hindurchblitzten, hatten sein Opfer fest im Blick. In diesen Momenten wäre jeder davon ausgegangen, dass er den Jungen sofort abknallen würde, wenn Dieser seinem Befehl nicht nachkommen würde. Dass Yoshiki's Puls gerade raste wie nix Gutes und sein Herz viel zu schnell gegen seinen Brustkorb hämmerte, davon bekam niemand etwas mit. Der arme Kassierer öffnete mit zitternden Fingern die Kasse und begann die Geldscheine heraus zu fischen. Sein ängstlicher Blick wechselte dabei immer wieder zwischen seiner eigenen Tat und Yoshiki. Toshi und Kazzy hielten unterdessen die übrigen Geiseln in Schach. Wobei Toshi's Augen zwischendurch immer wieder Richtung Yoshiki und Kasse huschten um sich zu vergewissern, dass sein bester Freund keine Unterstützung benötigte und vom Kassenjungen nicht über's Ohr gehauen wurde. Sollte das nämlich der Fall sein, wäre das der letzte Fehler gewesen, den der Typ begangen hätte. Seinen Freund und Boss haute man nicht über's Ohr. Toshi war mit seinen Gedanken so sehr bei Yoshiki, dass er gar nicht realisierte dass sein Blick immer mehr Zeit bei Diesem und dem Jungen verbrachte als bei den vier Geiseln. Was alle Beteiligten genauso wenig realisierten wie Yoshiki's rasenden Herzschlag, war Kazzy's fanatisches Lächeln, ja fast Grinsen, das jedoch von dem schwarzen Bandana im Verborgenem gehalten wurde, das sein Gesicht bis unter die Augen verdeckte. Diese Augen hatten mittlerweile ein annähernd wahnsinniges Glitzern angenommen. Sein Adrenalinspiegel war ungewöhnlich hoch und ein seltsames Gefühl breitete sich unaufhaltsam in seinem jungen Körper aus. Es war viel stärker als in den Momenten, in denen er seine Geilheit mal wieder an den Nutten der Stadt abreagierte. Es füllte ihn viel schneller und viel intensiver aus und hätten Yoshiki und Toshi das Grinsen sehen können, hätten sie selbst in diesen Momenten an ihrem jüngsten Mitglied gezweifelt. „Okay! Und jetzt gib mir die Tüte!“, hallte plötzlich die Aufforderung Yoshiki's durch den Raum, nachdem der Kassierjunge das gesamte Geld – inklusive dem Kleingeld – in eine Plastiktüte getan hatte. Er befolgte auch jetzt noch kommentarlos dem Befehl Yoshiki's und streckte ihm zitternd seinen Arm entgegen um ihm die Tüte zu reichen. Der Leader griff danach und hielt im nächsten Moment ihre Beute sicher in der Hand. Geschafft. Jetzt nur noch so schnell wie möglich und unerkannt hier raus. - Plötzlich dröhnte ein Schuss durch den Supermarkt, dicht gefolgt von einem geschocktem Aufschrei. Yoshiki blinzelte. Was war geschehen? Was oder wen hatte er übersehen? Er blickte neben sich, wo ihm eben noch der Junge das Geld gegeben hatte und woher der Aufschrei erklang. Der Junge stand nicht mehr dort. Er lag blutend am Boden. Mit aufgerissenen Augen warf Yoshiki seinen Blick zu Toshi und Kazzy. Kazzy hielt seine Waffe noch immer in die Richtung der Kasse. Er stand ganz ruhig da. Aber seine Augen sahen seltsam aus. „Verdammt, was hast du Schwachkopft gemacht?“, schrie Yoshiki fassungslos. Er starrte auf den Jungen am Boden, der vor Schmerzen winselte, dann wieder zu Kazzy, der immernoch in der selben Pose verharrte. Auch Toshi blickte ungläubig auf den jüngeren Kollegen. Warum hatte Dieser geschossen? Es lief doch alles bestens – bis zu diesem Moment. Auch die Geiseln, die noch immer ängstlich auf dem Boden kauerten, ahnten mittlerweile, dass hier etwas gewaltig ausser Kontrolle geriet. Der Einzige, der sich gerade großartig fühlte, war Kazzy. Er konnte die Waffe gar nicht mehr runter nehmen, es fühlte sich einfach zu gut an. Mit so einem Revolver besaß man so unsagbar viel Macht... Es war so simpel seine Gegner kampfunfähig zu machen. So viel simpler und schneller als mit einem albernem Messer. Er würde in Zukunft nie wieder Messer benutzen, nur noch diese herrliche Wunderwaffe. Wenn eine der Nutten sich mal wieder quer stellte, hielt er ihr in Zukunft einfach den Lauf seiner 44er Magnum in den Nacken. Das würde sie sicher mehr beeindrucken als eine lächerliche Klinge. Oh Gott, die Welt stand ihm offen! Er konnte sich von nun an alles erlauben denn er besaß die Macht dafür. „Scheiße man, weg hier!“, befahl Yoshiki seinen beiden Leuten und stürmte voran aus dem Laden. Toshi packte kurzerhand Kazzy am Kragen und zerrte ihn mit sich, da Dieser noch immer wie in Trance dastand. Schließlich erwachte er jedoch wieder zum Leben und lief eigenständig die dunkle Straße entlang. Ob ihm der aktuelle Ernst der Lage gerade bewusst war, war fraglich aber zumindest hatte sein Hirn gecheckt, dass im Moment Flucht auf dem Plan stand. Yoshiki hatte die Tüte mit dem Geld unter seine Jacke gestopft und seine Füße trugen ihn so schnell sie konnten. Parallel dazu lauschten seine Ohren auch schon die ganze Zeit aufmerksam, ob nicht irgendwo doch schon eine Sirene aufheulte. Zudem rutschten seine Gedanken auch immer wieder zu dem verletzten Jungen. Ob er die Verletzungen überleben würde? Oder ob er vielleicht in diesen Momenten schon tot war? Hätte er nicht besser doch einen Krankenwagen rufen sollen – anonym? Es war nicht geplant, dass es so weit kam. Genauso wenig wie es vor ein paar Tagen geplant war, die zwei Bullen umzunieten. Bei denen hatten sie jedoch keine andere Wahl, redete er sich immer wieder ein um sein eigenes Gewissen zu beruhigen. Doch der Junge hatte alles getan, was er ihm gesagt hatte. - Was, zum Teufel nochmal, war in Kazzy's Kopf nur vorgegangen?? Verdammt, er hatte sich den Überfall einfacher vorgestellt. Jetzt waren sie nicht nur wegen Diebstahls auf der Flucht, sondern möglicherweise auch noch wegen Mordes. Kapitel 19: The Temptation of St. Anthony ----------------------------------------- Er stand jetzt schon fast zwei Stunden am geöffnetem Fenster, ohne sich auch nur ein Mal umgedreht zu haben. Die Ellenbogen auf dem Fensterbrett abgestützt, den Blick ziellos in die Wolken gerichtet. Und obwohl er nicht alleine war, sagte er kaum etwas. „Es ist nicht deine Schuld, Taiji.“ Tommy saß auf dem Bett seines besten Freundes und kannte dessen Rückenansicht mittlerweile auswendig. Ihm war klar, dass Taiji sich die größten Vorwürfe wegen Mogwai's Tod machte. Und doch gab er nicht auf ihn vom Gegenteil zu überzeugen. „Du hast ihn nicht ausgeliefert. Nicht DU hast den Abzug gedrückt!“ Tommy streckte seine Beine aus und legte Diese über Kreuz, da sie ihm in der alten Position drohten einzuschlafen. Doch der Rücken sprach immer noch nicht mit ihm. Als hätte er nix gehört stand Taiji nach wie vor stumm und bewegungslos da und gab niemandem seine Gedanken Preis. Tommy seufzte, senkte den Kopf. Manchmal war der Typ echt anstrengend. Trotzdem gab er nicht auf. „Er war vollkommen übermüdet, wie fast immer eigentlich! Wenn du jemandem die Schuld geben willst, dann gib sie seinen Eltern, aber nicht dir!“ „Ich hab aber die Verantwortung für euch.“ Es konnte also doch noch sprechen. Tommy legte den Kopf schief. „Du bist aber auch nur ein Mensch und kannst nicht jeden beschützen. Auch wenn du das gerne tätest.“ „Das ist aber meine Aufgabe als Leader.“ Taiji's Stimme blieb die ganze Zeit über recht emotionslos. Das war sie immer wenn er nicht wollte dass andere wussten was gerade in ihm vorging. Tommy hielt es nicht mehr aus und sprang vom Bett auf. „Verdammt, Taiji! Was hättest du denn tun sollen?“ Er trat zu dem Freund ans Fenster. „Keiner von uns hätte eine Chance gehabt, die Cops davon abzuhalten zu schießen.“ Taiji schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Er hätte nicht so weit zurückfallen dürfen“, stöhnte er leise und erschöpft. Sich den Kopf zu zerbrechen kostete auch Kraft. „Er war einer unserer Jüngsten! Verfuckte Scheisse, wir hätten ihn mehr in unsere Mitte nehmen müssen!“ Nun wand er seinen Lockenkopf endlich mal zur Seite und schaute seinen Besucher an. Seine Augen waren müde und erschöpft. Ihnen fehlte das kämpferische Glitzern. Tommy konnte sich ausmalen, was in seinem Freund vorging, auch wenn Dieser es so gut er konnte zu verbergen versuchte. Seine Hand fand sich auf dessen Schulter wieder. „Was muss ich nur tun um dir zu zeigen, dass du keine Schuld hast?“ Nun war auch Tommy's Stimme nicht mehr die Festeste. Es tat ihm innerlich so weh seinen besten Freund leiden zu sehen. Taiji erwiderte den Blick nur traurig. „Ich hab noch nie Einen von uns sterben sehen.“ Seine Worte waren nur noch ein heiseres Krächzen. Irgendetwas schnürte ihm die Kehle zu. „Ich doch auch nicht“, versuchte Tommy ihn zu trösten, doch spiegelten seine Worte nur allzugut seine aktuelle Hilflosigkeit wieder. Im nächsten Augenblick lag ihm sein Freund in den Armen. Er schloß diese sanft um ihn und drückte ihn zärtlich an sich. Taiji versuchte noch immer krampfhaft sich seine Tränen zu verkneifen, aber schließlich flossen sie doch. Als ihm ein leises Schluchzen entwich, presste er sein Gesicht gegen Tommy's Schulter um weitere verräterische Laute zu unterdrücken. Tommy drückte ihn noch ein Stückchen fester an sich. Er wusste wie sehr Taiji es hasste, seine Gefühle Preis zu geben obwohl Taiji auch wusste, dass er sich vor Tommy für nichts zu schämen brauchte. Immerhin gab es Geheimnisse zwischen ihnen die sonst keiner kannte. Aber so war er nunmal. Stur und bloß nicht zu viel Gefühlstrara. Nur manchmal war Letzteres einfach unausweichlich... „....kam es in der vergangenen Nacht zu einer Schießerei, bei der ein Angestellter des Supermarkts schwer verletzt wurde. Nach einem mehrstündigem und komplizierten Eingriff konnte die Patrone einer 44er Magnum unter dem Schulterblatt des Opfers entfernt werden. Nach Angaben der Ärzte schwebt der Patient nicht mehr in Lebensgefahr.“ Yoshiki's Blick verharrte starr auf dem Fernsehbildschirm. Seine Lider zuckten kein einziges Mal und seine Arme blieben die ganze Zeit über eng vor dem Brustkorb verschränkt. Für gewöhnlich interessierten ihn die Nachrichten überhaupt nicht, doch heute machte er eine Ausnahme. Eine Ausnahme, um selbst auf den neuesten Stand zu kommen der für sein weiteres Leben durchaus wichtig sein konnte. Neben ihm auf dem Sofa lümmelte sich sein jüngerer Bruder Hiroki. Er bemerkte die Steifheit des Älteren sofort und warf ihm nur fragende Blicke zu. Irgendwie war er heute anders drauf als sonst. Das war nicht nur einfach schlechte Laune, da war mehr. Besonders in seinen Augen, auch wenn Yoshiki versuchte gerade Diese so ausdruckslos wie möglich erscheinen zu lassen. Doch vor seinem Bruder konnte er sein Unbehagen nicht verbergen und schließlich wagte Dieser es auch ihn darauf anzusprechen. „Du weißt was über den Überfall, stimmt's?“ Seine Stimme war nicht zu laut, immerhin machte ihre Mutter nebenan in der Küche das Abendessen. Yoshiki riss seinen Kopf sofort zur Seite, starrte ihn mit einem stechendem Blick an. Woher wusste Hiroki Bescheid? Woher wusste er, dass er was mit dem angeschossenen Verkäufer zu tun hatte? Wie eindeutig seine Körpersprache gerade war, darüber war er sich nicht bewusst. „Sei leise, du Ratte!“, zischte er nur bedrohlich. Hiroki war diese Behandlung jedoch gewöhnt und wusste dass die Worte des Anderen ihm gegenüber nie so hart gemeint waren wie sie für andere Ohren klangen. Ja er machte sich heimlich sogar Sorgen um den Älteren. „Hast du auf ihn geschossen?“ Nun wurden Yoshiki's Augen beinahe tellergroß, bevor sie sich wieder zu schmalen Schlitzen verformten und den kleinen Bruder genauestens ins Visier nahmen. „Misch dich nicht in andere Angelegenheiten ein, das kann böse enden“, fauchte er nur bevor er sich vom Sofa erhob, seine Jacke angelte und zur Wohnungstür stiefelte. „Ich bin nochmal weg, Mama!“, murrte er durch die Wohnung, diesmal deutlich lauter um den Fernseher zu übertönen. Seine und Hiroki's Mutter steckte daraufhin den Kopf aus der Küche. „Jetzt noch? Aber das Essen ist in fünf Minuten fertig, Junge!“ Das jedoch hatte Yoshiki schon nicht mehr gehört und die Tür fiel ins Schloß. Der Leader von X hatte Kazzy unerwartet schnell ausfindig gemacht und man begab sich in Pata's Keller, auch wenn Pata selbst, wie schon die Tage zuvor, nicht anwesend war. Aber zum Glück stand der Keller jedem aus der Bande zu jeder Zeit offen. Und kaum befanden sich die zwei Jungs in der sicheren Räumlichkeit, brach Yoshiki sein Schweigen. „Du kannst verdammt froh sein, dass der Junge noch lebt“, schnaubte er und ließ Kazzy nicht aus den Augen. „Was machst 'n für'n Wind, man?“ Der Jüngere schien ganz offensichtlich noch nicht begriffen zu haben, wie ernst Yoshiki die Sache war. Und diese Tatsache brachte ihn zur Weißglut. Seine Faust packte Kazzy am Kragen. „Hör zu! Ich hab keinen Bock für dich in den Knast zu gehen! Und ich werde es auch nicht tun, das schwör ich dir!“ Der übermütige Blondschopf spürte welche Kraft hinter der Faust seines Führers steckte, und doch brachte ihn diese Kraft nicht zur Vernunft. Seine Faszination für Waffen war schon längst geweckt und das Feuer seiner Leidenschaft dazu loderte immer gefährlicher. „Hast du dir noch gar nicht überlegt, was wir mit den Dingern für Möglichkeiten haben? Wir können alles machen was wir wollen! Keiner kann uns stoppen!“ Der Eifer für zukünftige Taten war ihm deutlich anzuhören. „Ja, wir können aber auch ganz schnell im Dreck landen wenn wir nicht aufpassen was wir machen!“, entgegnete Yoshiki daraufhin nur. „Wir haben die Macht! Was soll uns da noch passieren?!“ Es schien geradezu, als hätte Kazzy Yoshiki's Worte überhört. Um seinen folgenden Worten mehr Ausdruck zu verleihen, wechselte seine Faust ihren Ort, von Kazzy's Kragen ging es nun eine Etage höher und er packte ihn am zotteligen Haarschopf, riss ihn herum. Das Aufquieken des Jüngeren ignorierte er. „Du bist nicht Superman!“, knurrte er gefährlich und düster in dessen Ohr. „Wenn du X gefährdest, nur weil du nicht still halten kannst, fliegst du raus! Ich lasse nicht zu, dass so ein kleines Arschloch wie du alles kaputt macht!“ Kazzy wurde von ihm gestoßen, stolperte ein paar Schritte lang, bis er wieder sicher zum stehen kam. Er fasste sich an die Kopfhaut, die im Moment ziemlich schmerzte, blinzelte zu seinem Boss. Nun war er doch ruhig, denn mit Rausschmiss hatte er ihm noch nie gedroht. Trotzdem empfand er seine Behandlung als ungerecht. War er denn hier der Einzige der erkannte, was die Gruppe erreichen konnte wenn sie es nur wollte? Er nuschelte etwas Unverständliches in seinen nicht vorhandenen Bart rein, blitzte den Älteren nochmal aus den Augenwinkeln an und verließ ohne weitere Diskussion den Kellerraum. Er musste hier raus, seine Laune bewegte sich gerade gen Tiefpunkt. Keine halbe Stunde später durchstromerte Kazzy sein Revier auf dem Strassenstrich. Das war immer noch die beste Location wenn er Stress hatte und abschalten wollte. Zielsicher steuerte er das 'Hot Legs' an, betrat es und pflanzte sich an der Bar auf einen Hocker, als täte er nie etwas Anderes. Mit dem Inhaber war er auf du und du. Er bestellte sich einen Schnaps, der nie die Tresenfläche erreichen sollte da Kazzy ihn sofort und ohne Umwege in sich hinein schüttete. Eine seiner Stamm-Mietzen, Jinju, war auch sofort present und mit der verzog er sich daraufhin auf's Zimmer. Die nun folgenden zwanzig Minuten bestanden überwiegend aus Frust-Sex. Der Junge musste sich abreagieren und das konnte er am besten beim Sex. Jinju eignete sich in der jetzigen Situation auch gut dafür denn sie war sehr belastbar und machte fast alles mit. Eine dieser Mädchen die man nur ausreichend bezahlen musste und schon besaßen sie keine Persönlichkeit mehr, keine Vorlieben und Abneigungen. Sie waren für Sex da, alles andere zählte einfach nicht mehr. Kazzy genoss die Zeit mit Jinju; er mochte ihren Körper und ihre Techniken. Er mochte sogar ihr Zimmer, obwohl er normalerweise nur die wenigsten der Nuttenzimmer in den Puffs und Clubs leiden konnte. Hier war es etwas anderes, die Bumszimmer im 'Hot Legs' waren mit Deko nicht überladen und trotzdem geschmackvoll eingerichtet. Als sei jedes Zimmer wirklich auf jedes einzelne Mädchen abgestimmt. Irgendwann ließ sich der junge Gast in die roten Laken des Bettes fallen und angelte eine Zigarette aus der Schachtel in seiner Hosentasche. Er bot seiner Verführerin ebenfalls Eine an, die lehnte jedoch ab. Aber sie gab ihm prompt Feuer. Rauchkringel pustend blieb sein Blick an der Decke haften. So müsste das Leben immer sein: Nutten und Waffen – was brauchte man mehr? Wieder schummelte sich das so geliebte Wort Macht in seinen Kopf. Ja, er konnte so viel erreichen, jetzt wo er sie hatte, die Macht. Warum wollte Yoshiki das nur nicht sehen? Warum wollte der Kerl nicht sehen was er sah? Es könnte ihnen allen so gut gehen, wenn ihr Boss nicht solche unbegründete Panik kriegen würde. Ein paar große Überfälle und jeder von ihnen würde im Geld schwimmen können. Dazu mindestens fünf Weiber für jeden – das war das Paradies! Das Paradies auf Erden und es war zum greifen nah! Nachdem er aufgeraucht hatte bezahlte er Jinju und verließ den Laden. Bald schon war er wieder draussen auf den Strassen. Ein Großteil seines Stress war mit diesem Fick erst mal abgebaut. Wunderbar. Mal sehen ob er heute noch ein weiteres Mal zum Schuss kommen würde. In Gedanken ging er gerade die Liste der übrigen Nutten hier im Viertel durch, die er sonst noch so bevorzugte und während er von Hinterhof zu Hinterhof und Gasse zu Gasse stromerte war er viel zu abwesend als dass er noch rechtzeitig hätte bemerken können, dass ihm noch jemand auf den Fersen war. Das realisierte er erst als ihm in einer Gasse drei Männer den Weg versperrten. Kazzy blieb stehen, hob seinen Kopf, blinzelte durch seine blondierten Fransen – und ihm blieb fast das Herz stehen. Zwei der drei Gestalten erkannte er: Es waren dieser Yakuza-Typ aus der verlassenen Fabrikhalle und sein großgewachsener Schläger, dieser Yuudai, der der den einen Typen mit 'nem Baseballschläger bearbeitet hatte! Den dritten Mann kannte er nicht, aber rein vom Aussehen her könnte der auch gut von der Yakuza sein. Er war nicht viel größer als Yuudai's Begleiter, aber sehr ähnlich gekleidet, mit einem schicken, teuren Anzug, Krawatte und geleckter Frisur. Scheiße – warum kuckten die ihn so gezielt an? Was wollten sie von ihm? Seine Füße begannen langsam rückwärts zu gehen. Die drei Männer traten im gleichen Tempo auf ihn zu, sodass der Abstand zwischen ihnen konstant blieb. Auch dauerte es eine Weile bis mal einer von ihnen zu sprechen begann. Sie spielten mit Kazzy's Angst und das taten sie gekonnt. Sie kosteten den Überraschungsmoment in vollen Zügen aus. Aber schließlich öffnete doch noch Einer von ihnen den Mund. Es war der Neue, den Kazzy zuvor noch nie gesehen hatte. „Du hättest im Supermarkt nicht auf meinen Neffen schießen sollen.“ Kazzy schluckte hart, ging noch immer rückwärts, ohne zu sehen wohin er sich bewegte. Die Stimme von dem Kerl war bedrohlich und schneidend... Sie beeindruckte den Jungen mehr als es ihm selber lieb war. Aber wovon redete er? Neffe? Supermarkt? „Wa...was wollt ihr?“ Seine Stimme zitterte unwillkürlich. „Du hast mich sehr wohl verstanden“, entgegnete der Neue nur und die Gelassenheit seiner Tonlage schien schon fast unpassend für die aktuelle Situation. Doch schon einen Moment später zog er etwas aus der Scheide an seinem Gürtel, was beinahe noch unwirklicher rüberkam. Kazzy traute seinen Augen kaum. Da hatte der Typ ein Katana in der Hand, hier, mitten in einer verkommenen Gasse in der streunernde Katzen die Mülltonnen durchwühlten und man die Billig-Nutten vom 'Paradise Apple' schräg gegenüber beobachten konnte. Der Anblick des Langschwerts fegte alle übrigen Gedanken mit einem Wisch aus seinem Kopf. „Er hat verdammtes Glück gehabt, dass du so ein schlechter Schütze bist. Sonst hätte er dir im Jenseits womöglich noch Gesellschaft leisten müssen“, ertönte nun wieder die Stimme des Schwertträgers. Was redete der da? Jenseits? Wollte der Irre ihn tatsächlich umbringen? Hier, in der Öffentlichkeit? Er wusste doch gar nicht dass der Junge an der Kasse der Neffe von dem Kerl hier war! Woher hätte er das auch wissen sollen?! Verdammt, er würde sich doch nie freiwillig mit der Yakuza anlegen! „Hört auf! Ich wusste davon nichts!“, begann er verzweifelt und seine Schritte, immernoch rückwärts gehend, begannen langsam schneller zu werden. Doch er wagte es nicht diesen Leuten den Rücken zuzuwenden. „Hätte ich gewusst dass es ihr Neffe ist, hätte ich nie geschossen! I-ich mach's wieder gut, ich schwör's!“ „Zu spät, mein Kleiner.“ Das waren die letzten Worte die Kazzy noch bei klarem Verstand wahr nahm. Was dann folgte war ein ungeheurer Schlag auf seinen rechten Arm und kurz darauf verlor er das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Seine Sicht verschwamm und er nahm überwiegend nur noch Farben wahr. Auch seine akustische Wahrnehmung war irgendwie mit einem Mal stark beeinträchtigt. Was war geschehen? Wo waren sie hin, seine drei Angreifer? Wieso lag er hier auf dem Boden? Er wollte wieder aufstehen, konnte hier nicht liegen bleiben. Das war nicht gut, zu gefährlich. Kazzy wollte sich mit seinen Händen vom Boden abstützen, doch es war nur noch Eine vorhanden. Seine rechte Hand spürte er nicht. Da war nichts womit er sich auf der Seite hätte abstützen können. Er wand seinen Kopf zur Seite. Alles verschwommen. So viele Farben....braun, grau, noch mehr grau, rot, rot, rot.......so viel rot......... Da war noch etwas. Er sah etwas. Angestrengt kniff er seine Augen zusammen, blinzelte bis sich wieder Formen bildeten. Da lag etwas....in einiger Entfernung zu ihm....war das seine Hand? Ja, er erkannte sie. Das waren seine Finger. Bewegungslos. Seine Hand lag da, hörte kurz nach Beginn des Unterarmes plötzlich abrupt auf. Und dann wieder ganz viel rot. Der Schlag eben gerade...... Doch noch bevor er eins und eins zusammen zählen konnte, folgte ein zweiter, entscheidender Hieb mit dem Schwert und Dieser traf zielsicher Kazzy's Hals. Das Rot um ihn herum wurde zu Blau, zu einem grenzenlosen Himmelblau. Ein gerader, flächiger, ebener Grund. Leer. Mit Ausnahme von der Stelle vor ihm. Denn direkt vor ihm erhob sich urplötzlich ein ungeheuer großes Pferd mit mächtigem Körper, Diesen gestemmt auf zwei anatomisch ungleichen Hinterbeinen. Die kräftigen Vorderbeine waren hoch in die Luft gehoben, die Hufeisen prangten verkehrt herum an der Unterseite der Hufe des Tieres. Die Nüstern gebläht, die Zähne gefletscht, die Augen weit aufgerissen und die wehende Mähne wie eine Flagge im Wind. Es schien als wolle ihn das Tier im nächsten Augenblick mit nur einer Bewegung zerstampfen. Es wirkte bedrohlich. Hinter ihm baute sich eine Ansammlung von vier Elefanten auf. Alle Elefanten stolzierten auf meterhohen, viel zu dünnen Spinnenbeinen. Der erste Dickhäuter trug einen Kelch auf seinem Rücken, auf welchem wiederum eine nackte Frau in aufreizender Pose trohnte. Ganz so als versuche sie jemanden zu verführen... Der zweite Elefant balancierte einen Obelisken auf seinem, mit einer goldenen Decke versehrten, Rücken. Nummer Drei und Vier trugen einen vergoldeten Palast auf ihrer beider Rücken, doch in der ungleichen Position wie diese beiden Tiere sich bewegten musste es auf kurz oder lang eine Kollision geben. Da, hinten am Horizont, erkannte Kazzy noch einen fünften Elefanten! Er war bedeutend weiter weg und trug einen riesigen, bis in die Wolken reichenden Turm. Über den Wolken konnte er eine Stadt erkennen und noch ein paar weitere Gebäude. Die Stadt wirkte friedlich, harmonisch. Doch dann fiel sein Blick wieder auf das monströse Pferd, das sich hoch über ihn erhob und nichts von seiner Bedrohlichkeit verlor. Weit und breit niemand der ihm hier raus half. Und die paar Menschen da hinten, gen Horizont, waren zu weit weg und mit sich selbst beschäftigt. Es gab für Kazzy kein Entrinnen mehr. Das warme Blut tränkte den leblosen Asphalt. Kapitel 20: bloody surprise --------------------------- Tusk ließ seine Gitarrentasche mitsamt dem Inhalt schwungvoll auf das Bett segeln und ging gleich weiter durch zur Küche um sich einen Kaffee zu machen. Das konnte ja gar nicht besser laufen! Der heutige Probetag bei dieser neuen Band lief allererste Sahne und die beiden Typen Seiichi und Ken wollten ihn aufnehmen! Er sollte in erster Linie den Gesangspart übernehmen, konnte aber auch nebenbei noch Gitarre spielen. Das war perfekt, was wollte er mehr? Der Zottelkopf konnte sein Glück immernoch nicht recht fassen als er sich aus dem Schrank einen Becher angelte und aus einem anderen Schrank das Kaffeepulver. Das Angebot von dieser Band war das Beste seit Langem! Und den beiden Jungs schien es auch genauso ernst mit der Band zu sein wie ihm selber. Kein „Wir probiern's mal“ und dann doch nichts, keine „Hobby-Band“ - nein, eine ernstzunehmende Rockband. Das sollte es werden und es herrschten gerade die besten Voraussetzungen um genau das auch durchzusetzen! Seine übereifrigen Hände löffelten gerade viel zu viel Kaffeepulver in den Becher. Mit den Gedanken war er auch gerade überhaupt nicht beim Kaffee sondern schon auf der Bühne. Seiichi und Ken gefielen ihm, sie spielten ihre Instrumente gut. Zudem waren sie ursympathisch und schienen gute Kumpels zu sein. Ein fester Drummer fehlte ihnen im Moment zwar noch, doch Tusk war sich sicher dass sie das auch noch in den Griff kriegen würden. Zur Not müsste für den Anfang ein Aushilfsdrummer herhalten oder vielleicht konnte er auch Nabi, der Typ mit dem er zuletzt zusammen gearbeitet hatte, zum Mitmachen überreden. Übermütig riss er den Wasserkocher vom Sockel und führte ihn, mit einem ausschweifendem Schwenker, zur Spüle um ihn mit Wasser zu füllen. Das Faszinierende war auch, wie wahnsinnig schnell er mit der Spielweise der zwei Typen harmonierte. Als hätten sie die ganze Zeit nur auf ihn gewartet! Er positionierte den nun gefüllten Wasserkocher wieder zurück auf den Sockel und schaltete ihn an. Sollte er sie endlich gefunden haben? Die Leute, zu denen er passte...? Nicht, dass er nicht zu den Sister's passte, aber er träumte nunmal in allererster Linie von einem Leben als Musiker und nicht von einer Kariere als ewiges Strassenbandenmitglied und daraus hatte er auch nie ein Geheimnis gemacht. Er mochte die Jungs da draussen alle wirklich sehr, er war gerne mit ihnen zusammen und stand stehts hinter ihnen. Aber immerwährende Kriege mit verfeindeten Banden zu führen, ständig vor der Polizei auf der Flucht zu sein und mit Diebstählen seine Langeweile zu vertreiben, das füllte ihn und seine Seele nicht aus. Er wollte das machen wonach er sich sehnte, sich regelrecht verzehrte und das war halt die Musik. Da interessierte es ihn auch nicht ob das irgendeiner der Anderen verstand oder nicht. – Wie lange brauchte das Wasser denn um mal endlich zu kochen? Ungeduldig hefteten sich Tusk's tiefdunkle Augen auf den Wasserkocher, gerade so als hätte er Superman's Röntgenblick und könnte nachschauen welchen Status das Wasser im Moment hatte. Wer weiß, je nachdem wie gut das mit der Band laufen würde, würde es vielleicht nicht nur bei Auftritten in kleinen Clubs und auf Festivals bleiben; möglicherweise wären sogar Plattenaufnahmen drin! Richtige, offizielle Veröffentlichungen, die im Plattenladen standen und für jedermann frei käuflich waren! Tusk's Herz schlug sofort schneller bei dem Gedanken und heimlich malte er sich schon alle möglichen Plattencover aus. - KLICK. Na endlich. Er hob den ausgeschalteten Kocher an und goss das dampfende Wasser in seinen wartenden Becher. Schlagartig färbte sich die einst klare Flüssigkeit ebenso dunkel wie Tusk's Iris, kaum dass sie das Kaffeepulver auf dem Becherboden berührt hatte. Er hoffte, dass Taiji für seine Entscheidung Verständnis zeigte. Er war nicht scharf drauf seine Freunde im Stich zu lassen, aber er war bereit, seine Zeit nun vermehrt seiner neuen Zukunft zu widmen. Anders würde er seine Träume nicht realisiert bekommen. Nur vom träumen alleine würden sie nicht lebendig werden. Nein, er musste daran arbeiten, musste etwas tun um die Zukunft erleben zu können die er sich vorstellte. - Der erste Schluck Kaffee landete mit einem angewidertem Spuckgeräusch ziemlich rasant auf dem Küchenfußboden. Verdammt, war das Zeugs stark! Nachdem Pata die Wohnung nach mehreren Tagen des Verkriechens endlich mal wieder verließ, führte ihn sein erster Weg direkt in den Keller. Er musste endlich mal wieder auf andere Gedanken kommen und dafür war Gras, seiner Meinung nach, das beste Mittel. Da er wusste, dass sein Onkel Joints rauchen nicht für gut heißen würde, verzog er sich für solche Aktionen immer in den Keller. Sein Onkel betrat Diesen so gut wie nie und auch die anderen Bewohner des Hauses verirrten sich nicht sehr oft in die unterirdischen Gänge ihrer Behausung. So lief Pata am wenigsten Gefahr, erwischt zu werden. Als er nun also den vertrauten, ruhigen und abgeschiedenen Raum betrat, fiel ihm sofort ein großer Karton auf der inmitten des Kellerraumes stand. Als hätte ihn dort jemand zur Abholung hingestellt, denn er sah doch sehr repräsentativ aus und etwas zu verstecken ergab ein anderes Bild als Dieses. Pata blieb am Eingang stehen, starrte auf die Kiste und lauschte ob sich hier noch jemand anderer befand. Auch seine Augen huschten bald umher um den Verdacht möglicherweise bestätigt zu sehen. Doch es war mucksmäuschenstill – wie immer. Und ausser dem üblichen Krempel befand sich hier auch nichts oder niemand anderes im Raum – wie immer. Sah man von diesem Karton da auf dem Boden mal ab. Langsamen Schrittes näherte sich der Irokese dem leblosen Eindringling, ging dicht vor es in die Hocke. Hatte einer von den anderen Jungs das hier vielleicht vergessen als sie das letzte Mal hier waren? Aber warum stand das Ding dann mitten im Raum, so demonstrativ, anstatt einfach irgendwo am Rand? Irgendwie hatte er noch etwas Hemmungen den Deckel anzuheben, aber nach kurzem Zögern griff er schließlich doch nach ihm. Langsam öffnete er den Karton und hoffte innerlich noch, dass sich darin 'ne Gummischlange befand und sich alles als alberner Scherz von hide entpuppen würde. Doch was er im nächsten Augenblick sah übertraf jeden von hide's Scherzen: In dem Pappbehältnis befand sich eine Hand. Eine menschliche Hand die ein paar Zentimeter nach dem Handgelenk sauber vom Rest des Körpers abgetrennt wurde. Pata blinzelte mehrmals hintereinander, wand den Blick ab, nur um im nächsten Moment wieder in den Karton zu kucken. Eine Hand. Der Rothaarige schluckte. Hatte einen trockenen Mund. Und ein seltsames Gefühl im Hals was er schleunigst zu ignorieren versuchte. Nochmal sah er sich sein Fundstück an, diesmal etwas genauer. Der Boden des Pappkartons war schon vom Blut stellenweise aufgeweicht; der rote Saft hatte sich reichlich in die Holzfasern gesaugt. Der Schnitt des Armknochens war noch gut zu erkennen. Das musste tatsächlich eine echte, menschliche Hand sein, keine Attrappe. Er schüttelte den Kopf. Nicht so genau hinsehen! Und doch...irgendwas zwang ihn, diesen Gedanken zu ignorieren und das Körperteil weiter zu studieren – wenn auch nicht unbedingt an der Schnittstelle. Er kannte diese Hand, da wurde er sich von Sekunde zu Sekunde sicherer. Er hatte sie schonmal gesehen....öfters. Schließlich erkannte er eine winzige Narbe, mitten auf dem Handrücken, und mit etwas Fantasie konnte man die Narbe als ein kleines 'X' identifizieren. - Und plötzlich lief es Pata eiskalt den Rücken hinunter. Kazzy hatte so eine Narbe auf dem Handrücken. Ihm wurde wieder schlecht. Das hier war Kazzy's Hand. Sofort sprang der sonst so ruhige und gelassene Junge auf und wich mehrere Schritte von dem Karton samt Inhalt zurück, bis er die Tür des Kellerraums erreicht hatte. Er musste den anderen Bescheid sagen, er musste Yoshiki Bescheid sagen! Seine Füße wollten schon Richtung Treppenhaus, als er sich doch noch besann und nochmal den Kellerraum betrat. Er legte hastig den Deckel auf den Karton, schob Selbigen in die hinterste Ecke, sah sich kurz und hektisch um und erblickte schließlich eine alte Bananenkiste. Das musste gehen. Er stellte Diese verkehrt herum über den Karton wie eine Art provisorischen Tisch, griff nach einem lila Tuch, das hide irgendwann mal hier vergessen haben musste, und legte es hastig über die Kiste. Dann hechtete er aus dem Keller, die Treppen hoch bis er wenig später keuchend seine Wohnung erreichte. Er riss die Tür auf, schnappte sich das Telefon, wählte Yoshiki's Nummer aus dem Kopf und betete, dass er zu Hause war. Nun standen sie zu viert um die Hand in der Kiste, Pata, Yoshiki, Toshi und hide. Und in den ersten Momenten brachte keiner von ihnen ein Wort raus. Pata war schließlich der Erste der seinen Blick erhob und Yoshiki mit einer Mischung aus Sorge, Verwirrung und Ekel fragend ansah. „Glaubst du, er ist noch am leben?“, brachte er endlich die Frage mit heiserer Stimme hervor. Yoshiki blinzelte kurz zu Pata, bevor seine Augen im nächsten Moment wieder auf die Hand gerichtet waren. Und er ließ sich mit der Antwort Zeit. Denn er brauchte selbst erst mal etwas um das zu verdauen was sich hier zu seinen Füßen im Halbdunkel der Kellerräumlichkeiten präsentierte. Er hatte Kazzy doch erst gestern noch gesehen und da war er quietschfidel gewesen – wie immer eigentlich. Er hatte ihm noch mit dem Rausschmiss aus der Gruppe gedroht, wenn er sich nicht mehr zusammen nahm. Und nun lag hier seine abgetrennte Hand. Und er glaubte im tiefsten Inneren nicht daran, dass Kazzy noch lebte. Doch bevor er es schaffte seine Vermutung als Antwort auf Pata's Frage zu äussern, bückte hide sich und angelte ein sauber zusammen gefaltetes Papier aus dem Karton. Das Papier hatte ziemlich dicht am Rand gelegen und das abgetrennte Körperteil zog seine Aufmerksamkeit einfach zu drastisch auf sich, als dass man sich zuerst den Brief gekrallt und durchgelesen hätte. „Hey...hier ist was.“ Der Blonde faltete das Stück Papier auseinander. Daraufhin präsentierte sich ihm eine ausserordentlich saubere, mit schwarzer Tinte geschriebene, Schrift. „Ich glaube, das ist 'ne Nachricht oder so...“, murmelte er, während seine Augen über den Text flogen. „Was steht da?“, wollte Toshi wissen und riss nun als Letzter seinen Blick von dem schauerlichem Anblick. hide's Mine verfinsterte sich ein ganzes Stück, während er las. Doch auf Toshi's Frage hin las er laut vor. „Dieses ist die rechte Hand eures Freundes. Und er hat bei Weitem noch mehr verloren als nur seine Hand.“ Yoshiki schloß die Augen und stöhnte innerlich auf. Er hatte es geahnt. Kazzy war tot. In Pata's Kehle machte sich wieder dieses unangenehme Gefühl von vorhin breit und er versuchte krampfhaft, nicht mehr auf oder in den Karton zu kucken. Toshi's Blick ruhte als Einziger unentwegt auf hide. „Macht nicht den gleichen Fehler wie dieser Junge und lehnt euch nicht zu weit aus dem Fenster, sonst dauert es nicht mehr lange bis der Nächste von euch an der Reihe ist. Wer meinem Neffen oder auch nur irgendjemanden aus meiner Familie Schaden zufügt, wird dafür bezahlen. Merkt euch das gut. Behaltet die Hand als Warnung.“ Unterschrieben war mit einem japanischem Namen. hide sah vom Brief auf und warf seinen Blick in die kleine Runde. Am längsten blieb sein Blick an Yoshiki hängen denn Dieser machte einen Gesichtsausdruck als wüsste er mehr als sie. Yoshiki seufzte, öffnete jetzt erst wieder seine Augen. „Das war die Yakuza.“ Die Stimme des Leaders klang so, als hätte er mit dem Ergebnis schon gerechnet bevor hide den Brief zu Ende vorgelesen hatte. „Sie haben Kazzy getötet. Er hat ziemliche Scheiße gebaut.“ Toshi blinzelte irritiert. „Wie meinst du das? Was hat er getan?“ Gab es etwa ein Vorkommnis von dem er nicht Bescheid wusste? Ein dezent genervtes Stöhnen, bevor Yoshiki sich auf die Bananenkiste niederließ. Sein Gesicht vergrub er erst mal eine Runde in seinen Händen, bevor er es wieder frei gab. „Der Überfall. Im Supermarkt.“ Was fragte Toshi eigentlich so blöde? Er war doch selbst live dabei gewesen. Pata, der noch immer von allen am wenigsten im Bilde war, blickte immer wieder abwechselnd zwischen Toshi und Yoshiki hin und her. „Klärt ihr mich auf? Was für'n Überfall? Was für'n Supermarkt?“ Als ein weiteres, melodramatisches Seufzen von Seiten Yoshiki's ertönte, übernahm Toshi die Erklärung. „Wir haben da so'n Supermarkt überfallen und Kazzy hat auf den Kassierer geschossen obwohl alles glatt lief.“ Na das klang ja super. Typisch Kazzy. Der Kleine bekam den Hals wohl mal wieder nicht voll. Bekam..... „Wann war das?“ „Vorgestern“, antwortete Toshi und blickte wieder zu ihrem Anführer, der sich mittlerweile mit einer Hand den Kopf hielt. „Und der Kassierer war der Neffe von einem von der Yakuza? Von dem, der den Brief geschrieben hat?“, hakte hide mit naivem Ton nochmal nach. „Na muss ja wohl! Sonst hättest du da jetzt nicht die Sauerei vor den Füßen liegen!“, murrte Toshi und hockte sich dicht neben Yoshiki. Was fragte der Kerl noch so dämlich nach? Manchmal kam ihm hide wirklich noch vor wie ein zurück gebliebenes Kind. Auch wenn er ein guter Kämpfer war, aber den Mund könnte er ruhig etwas häufiger geschlossen lassen. Um seinen Freund und Mentor zu beruhigen strich er Yoshiki nun sanft über den Oberarm. „Und...du bist sicher, dass das die Yakuza war?“ hide warf nochmal einen prüfenden Blick auf den Brief in seiner Hand. Toshi rollte mit den Augen. Yoshiki nickte nur knapp. „War sie“, krächzte er. Verdammt, warum musste ihm jetzt seine Stimme versagen?! „Ich weiß wie die arbeiten.“ Er machte eine kurze Pause. Er brauchte einige Momente um seine Stimme wieder unter Kontrolle zu kriegen. „Die sind 1 A organisiert, die haben überall ihre Quellen! Wenn irgendwo was passiert und irgendwer, der was mit denen zu tun hat, und wenn's Verwandte sind, ist darin verwickelt – die Yakuza wissen das als Erste. Noch vor den Bullen.“ Diese Informationen waren ernüchternd und sie nahmen den drei anderen Jungs jegliche Hoffnung, dass Kazzy vielleicht doch noch am leben war. hide musterte seinen Boss, legte den Kopf schief. „Woher weißt du das eigentlich alles so genau?“, fragte er schließlich nach kurzem Zögern. Yoshiki's Blick erstarrte, auch wenn das nicht sonderlich auffiel da er gerade eh vor sich auf den Boden gekuckt hatte. Verflucht...! Er hatte zu viel geredet. hide's Frage war völlig berechtigt – aber Yoshiki dachte nicht im Traum daran seinen Jungs zu verraten, dass er der Yakuza in der Vergangenheit mal was schuldig gewesen war. Nie durften sie davon erfahren! Nicht einmal Toshi, bei dem wäre er dann sofort unten durch. Er würde das Ansehen, was er bei Toshi hatte, trotz aller Freundschaft auf einen Schlag verlieren wenn er wissen würde, was damals zwischen ihm und der Yakuza lief. Er brauchte einen Fluchtweg um von diesem unangenehmen Thema abzulenken! - Aber woher einen Fluchtweg nehmen, wenn direkt vor ihnen der Arm eines toten, ehemaligen Mitglieds lag...? „Ich kannte mal wen, der bei der Yakuza noch 'ne Rechnung offen hatte“, log er, wobei diese Lüge auch nur halb erfunden war. Er hatte nie sojemanden gekannt...er war es selbst gewesen, der diese Rechnung offen gehabt hatte. Nun schien aber selbst Toshi stutzig zu werden und er blickte ihn an. „Davon hast du mir nie was erzählt“, meinte er verdutzt. Yoshiki's Augen spiegelten Zorn und Ungeduld wieder als er den Blick seines engsten Vertrauten erwiderte. „Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, Toshi.“ Er stand auf um seine dominante Position in der Runde durch eine erhobene Körperhaltung zu verdeutlichen. „Soll ich dir noch jedes Mal Bescheid sagen wenn ich auf Klo gehe, oder was?“, fauchte er abweisend. Darauf erwiderte nun keiner mehr was. Heute war es um ein Haar passiert, heute hätte er sich fast verraten. Yoshiki atmete tief durch, während er Kazzy's Hand den Rücken zuwand. Er musste besser aufpassen, verdammt! Er wollte dem Thema 'Yakuza' nicht noch einmal so nahe kommen. Obwohl sie, durch Kazzy's vermeintlichen Tod, mit diesem Thema schon viel zu eng in Kontakt standen. Das bedeutete für ihn von nun an also doppelte Vorsicht. Kapitel 21: Not suitably for children ------------------------------------- Ryö ging in dem kleinen Chaotenzimmer seines Freundes Den immer wieder auf und ab. Ob die Unordnung seit Ryö's Einzug zugenommen hatte oder nicht ließ sich schwer sagen. Seine Füße jedenfalls hatten sich rasch daran gewöhnt dass irgendwelche Tapes, Kleidungsstücke oder Zeitschriften auf dem Boden rumlagen und mittlerweile umgingen sie diese Hindernisse spielend leicht. Ryö's Hände waren zu Fäusten geballt und tief in den Hosentaschen vergraben. Den saß derweil ruhig auf seinem Bett, mit angezogenen Beinen. Ab und an verfolgten seine großen, dunklen Augen den Anderen. Als musikalische Begleitung dieser Szenerie lief „World's forgotten boy“ von Billy Idol. „Die könn' doch nicht immer so weiter machen! Die bringen sich noch alle gegenseitig um!“ Ryö war auf Hundertachtzig. Die Nachricht von Kazzy's Tod hatte sich schnell verbreitet. „Ey, das mit den beiden Bullen war schon nicht gut – aber jetzt? Wie weit ist es gekommen?“ Er hielt mitten in seinem Hin- und Hergestampfe inne und blickte Den an, bevor er sich wieder in Bewegung setzte und die wenigen Meter von der einen Wand bis zur Gegenüberliegenden und wieder zurück im gleichen Tempo wie zuvor bewältigte. „Von den Sister's ist auch schon einer tot, und jetzt Kazzy!“ Der Junge mit dem hellbraunen Haarschopf kriegte sich gar nicht mehr ein, so sehr brachte ihn das Thema in Wallung. Den hingegen war das absolute Gegenteil seines Kumpels: Obwohl ihn die aktuellen Geschehnisse ebenso bewegten, rührte er sich gerade nicht großartig vom Fleck, kommentierte die lauten Worte des Anderen kaum und behielt überwiegend einen fast abwesenden Blick. Und dennoch verstand er so gut wie kein Anderer, was in Ryö gerade vor sich ging. Er hätte jedes seiner Worte ohne zu zögern unterschrieben. Irgendwann blieb Ryö wieder stehen, diesmal jedoch nicht Den zugewand, und verbarg sein Gesicht hinter den Handflächen. Es war einfach zu viel. Es wuchs ihnen alles über den Kopf. Er spürte regelrecht, wie ihnen die Kontrolle über alles vollkommen entglitt. Er wollte das nicht mehr. Er wollte nicht der nächste mit einer Kugel im Kopf sein. Ein leises, verzweifeltes Stöhnen schmuggelte sich durch die Handflächen, bevor Selbige wieder sein Gesicht freigaben und ihm ein paar störende Haarsträhnen aus Diesem wischten. Erst dann wand er sich wieder Den zu. „Wir haben's so lange ohne Tote durchgezogen und jetzt sterben sie wie die Fliegen. Wegen diesen scheiß Pistolen.“ Seine Augen waren müde und seine feinen Gesichtszüge angespannt. Er schüttelte leicht den Kopf. „Ich will nicht der Nächste sein, der stirbt...“ Den letzten Satz sprach er mit ungewohnt brüchiger und leiser Stimme aus. Jetzt kam Bewegung in Den. Er ließ die Beine locker über den Bettrand baumeln und hielt seine Arme auf. „Komm her, Kleiner“, forderte er den fast Gleichaltrigen auf und kaum setzte Dieser sich auf seinen Schoß, schloss er die Arme fest um den hilflosen Körper. „Du bist auch nicht der Nächste der stirbt“, versicherte er ihm mit sanfter Bestimmtheit und drückte ihn beschützend fester an sich, während sich seine Nase an Ryö's Halsbeuge verirrte. Er würde nie zulassen, dass Ryö ein ähnliches Schicksal erlitt wie Kazzy. Oder von ihm aus auch diesem Mogwai. Ryö spürte den warmen Atem des schwarzhaarigen Freundes an seinem empfindlichen Hals und er schloß für einige Momente die Augen um bei dieser Geborgenheit zu entspannen. Es fühlte sich so gut an, so ruhig... Eine Ruhe, die er in der gemeinsamen Gruppe von X leider nie spürte. Da herrschte eigentlich immer eine gewisse Aggression, die gerade in den letzten Wochen vehement zugenommen hatte. Es war nicht so, dass er die Anderen nicht mehr mochte, nein! Er schätzte nach wie vor den Zusammenhalt der Jungs und würde sie nie verraten. Und doch....fragte er sich mittlerweile, ob er auch für die weitere Zukunft noch bereit war, dem Weg zu folgen, den X inzwischen eingeschlagen hatten. Lange Zeit sagte keiner von ihnen ein Wort. Saßen einfach nur eng umschlungen da und nahmen die gegenseitige Nähe des jeweils Anderen war. Bis Ryö's Stimme irgendwann erklang. „Den?“ „Hm?“, brummte der Angesprochene nur in den Kragenausschnitt seines Freundes. „...woll'n wir wirklich bei X bleiben?“ Seine Frage klang so schüchtern. Den hob abrupt den Kopf und schaute Ryö überrascht an. „Willst du weg?“ Er konnte auch nach mehreren Sekunden noch gar nicht glauben was seine Ohren vernommen hatten. Ryö dachte ernsthaft daran X zu verlassen? Der Wuschelkopf wich Den's Blicken zum Teil aus. Er hatte sich schon gedacht, dass diese Äusserung für Aufsehen sorgen würde – und er war jetzt lediglich mit Den alleine. Was passiert wäre, hätte er die Frage in Anwesenheit der ganzen Gruppe gestellt, wollte er sich lieber gar nicht ausmalen! „...ach Scheiße, man! Es läuft einfach alles falsch im Moment!“ Er verbarg sein Gesicht rasch wieder an Den's Schulter, wollte diesen Blicken aus dem Weg gehen. „Das war 'ne scheiß Idee mit den Pistolen von Kazzy“, fügte er noch murrend hinzu. Den ließ seinen Freund, nötigte ihn zu keinerlei Aussagen die Dieser nicht machen wollte. Er würde schon reden wenn er was zu sagen hatte. Aber dennoch gaben ihm diese Worte reichlich zu denken. Hatte sein Freund tatsächlich solch eine Angst, dass er von X weg wollte...? Sah er sich wirklich schon als nächsten Toten irgendwo liegen? Obwohl er ihm versprochen hatte, ihm würde nichts passieren? Gedankenverloren strich er ihm immer wieder über den Rücken. Er konnte Ryö verstehen, er selbst wollte schließlich auch nicht gleich übermorgen den Löffel abgeben und er hatte nunmal Recht: Im Moment lief wirklich alles irgendwie scheiße. Kazzy's Tod hatte so vieles verändert, auch in der Gruppe. Und wenn sie nicht aufpassten, konnte das Ganze wirklich unangenehm enden. Aber dafür gleich aus X austreten.....? Worüber die Einen noch nachdachten, das realisierte zur selben Zeit schon ein Anderer. Tusk befand sich in Taiji's Zimmer und saß seinem Boss im Schneidersitz auf einem großen Kissen auf dem Boden gegenüber. Eigentlich war das ein äusserst untypischer Ort für solche intimen Gespräche was irgendwie mit der Bande zusammen hing. Doch aus Gründen, die für Taiji mittlerweile selbst nicht mehr nachzuvollziehen waren, kam er an diesem Tag nicht von seiner elterlichen Wohnung los und hatte gerade mal sein Frühstück verschlungen, als Tusk auch schon an der Haustür geklingelt hatte. Nun hockte er schweigend vor dem Zottelkopf, die Hände gefaltet, das Kinn auf die beiden, von der Faust weggestreckten, Daumen geparkt. Seine Augen studierten das Muster des Teppichs. „Versteh mich nicht falsch, Taiji... Es is' nix gegen dich oder jemand anderem von den Sister's. Aber so eine Chance ist vielleicht einmalig! Ich kann endlich das machen was ich will, was ich schon immer machen wollte!“ Diese ungebremmste Euphorie in Tusk's Stimme, gepaart mit der Bedeutung seiner Worte, verursachte in Taiji's Herz fast schon einen schmerzhaften Stich. Der Junge klang ja geradezu so als sei seine Mitgliedschaft bei den Sister's no Future nur purer Zeitvertreib aus Langeweile gewesen... Aber er durfte nicht ungerecht sein, das erkannte er im nächsten Augenblick auch und er zügelte seine Gedanken. Tusk hatte ein neues Ziel vor seinen Augen – und dieses Ziel schien nun einmal ausserhalb der Reichweite der Bande zu sein. Endlich hob er seinen Blick, schaute dem Zottelkopf tief in die nachtschwarzen Augen. „Du meinst es wirklich ernst mit dieser Band, hm?“ „Na klar, man! Seiichi und Ken sind großartig!“ Tusk strahlte regelrecht wenn das Thema auf die Band, in der er spielen sollte, fiel. So toll das alles auch für den Gitarristen und Sänger war, so negativ fiel es für Taiji aus. Sollten sie jetzt also, nach all dem was sie gemeinsam durchgestanden hatten, noch ein Mitglied verlieren. Zugegeben, auf nicht ganz so tragische Art und Weise wie es bei Mogwai verlief, aber ein Mitglied weniger war nunmal ein Mitglied weniger. Daran ließ sich nicht rütteln. Aber genauso wenig hätte er Tusk diesen Schritt verbieten können. Ganz einfach weil er sich nicht zwischen die Träume seiner Freunde stellte. Mochten Diese manchmal auch nicht seinen Wunschvorstellungen entsprechen. - Plötzlich spürte er Tusk's Hand an seinem Unterarm. Er blinzelte. Der dunkelhaarige Zottelkopf blickte ihn eindringlich an. „Hey...das heißt nicht, dass wir uns nie mehr sehen. Ich bin nach wie vor für euch da und wir werden uns sehen. Ich werde nur nicht mehr so oft dabei sein wegen unseren Proben und Auftritten.“ Er sprach sanft aber direkt. Er war nicht blöd, natürlich wusste er dass Taiji nicht begeistert war von seinem Plan. Aber um selbst überleben zu können musste man in gewissen Situationen einfach egoistisch handeln. Und hier ging es um das Überleben seines größten Traumes. Taiji lächelte, nickte angedeutet. Er verstand ihn schon. Und insgeheim freute er sich ja auch für ihn, dass er so ein Angebot erhalten hatte. Seit er Tusk kannte hatte Dieser schon immer irgendwas mit Musik am Hut gehabt. Zugegeben, der Junge konnte damals auf der Gitarre noch keinen einzigen Akkord richtig greifen und seine Singstimme klang mehr als schief. Aber egal was irgendwer sagte oder wie sehr jemand spottete, Tusk ließ sich davon nie abbringen, seinen Traum, eines Tages ein richtiger Musiker zu sein, weiter zu verfolgen. Und dafür bewunderte Taiji ihn. Auch wenn er das sicher nie ehrlich zugegeben hätte. Auf einmal öffnete sich die Tür von Taiji's kleinem, oder wie er es auch nannte 'zu kleinem', Zimmer und der Kopf seines ungeliebten, großen Bruders schob sich in den Raum. „Hey Taiji, sag mal hast du meine weißen Socken genommen? Mom sagt, sie hätte alle meine Socken gewaschen aber ein Paar-“ Weiter kam er gar nicht denn Taiji hatte sich derweil schon einen herum liegenden Manga geschnappt und Diesen kraftvoll in Richtung Tür gepfeffert, Welche der ältere Junge sofort wieder schloß um dem Wurfgeschoss aus dem Weg zu gehen. „Verpiss dich!! Was interessieren mich deine scheiß Socken?!“, brüllte der Lockenkopf seinem älteren Bruder noch hinterher. Dann schüttelte er fassungslos seinen Kopf. „Ey, der Kerl hat hundertfünfzig weiße Socken und nervt mich, nur weil ihm ein Paar fehlt! Hat der echt nix Anderes zu tun?“ Tusk grinste. „Wird dir hier zu eng mit deiner Familie, was?“ Taiji blickte ihn angenervt an. „Das ist nicht meine Familie – das sind nur Menschen mit denen ich durch einen unglücklichen Zufall biologisch verwand bin“, brummte er als Antwort. Der Musiker musste leise lachen. „Du solltest ausziehen.“ Ein zynisches Lächeln verirrte sich auf die Lippen des Gleichaltrigen. „Gib mir das Geld – dann bin ich hier sofort weg.“ hide schlurfte in Gedanken versunken von seinem Zimmer durch den Flur Richtung Küche. Seine Mutter war unterwegs, angeblich ein Termin bei der Bank. Irgendwas mit 'nicht ausreichend Geld zur Verfügung' hatte sie gesagt als sie ihm davon erzählte; er hatte da nicht so wirklich hingehört. Er sollte inzwischen auf seinen kleinen Bruder aufpassen, doch seine Gedanken kreisten die ganze Zeit um Kazzy, Mogwai – und X. Die beiden Jungs starben so früh... Auch wenn Mogwai aus der feindlichen Ecke stammte, so hatte er im Nachhinein doch Mitleid mit ihm. Er konnte sich selbst nicht so ganz erklären weshalb. Vielleicht weil sich in seinem Kopf langsam aber sicher der Verdacht bestätigte, dass das hier alles völliger Irrsinn war was sie machten... Es war nicht so dass er noch nie jemanden sterben gesehen hatte; bevor er zu X kam war hide schon mit ein paar anderen Banden unterwegs gewesen und er war dabei schon mehrfach Zeuge von Schießereien und Messerstechereien geworden bei denen Leute starben. Aber erstens waren die Opfer nie so jung gewesen wie Kazzy oder Mogwai und zweitens stammten sie nie aus den eigenen Reihen. hide wusste nur zu gut, dass das Gesetz der Strasse hart war und das es da draussen keine Gnade gab. Aber bisher waren es irgendwie immer die 'anderen' gewesen, die am härtesten einstecken mussten. Klar, Freunde von ihm wurden schwer verletzt, er selbst hatte auch schon so Einiges abgekriegt – seine Hand fasste abwesend an seine Brust, an die Stelle wo noch immer unübersehbar die Folgen des letzten großen Kampfes zwischen ihnen und den Sister's zu sehen waren. Es könnte jeden von ihnen treffen, jeden Tag... Das wusste er schon so lange, und doch wurde ihm erst jetzt so richtig bewusst, was das genau eigentlich bedeutete...! hide's Hände öffneten die Hängeschränke in der Küche und suchten etwas Essbares. Doch was sich ihm presentierte war teilweise gähnende Leere, zumindest was Nahrungsmittel anbelangte. Ihm kamen wieder die Worte seiner Mutter ins Bewusstsein, denen er nur halbherzig zugehört, oder anders ausgedrückt, fast keine Beachtung geschenkt hatte. Doch mittlerweile konnte er sich ausmalen was sie versucht hatte ihm mitzuteilen: Das Geld reichte hinten und vorne nicht und das machte sich jetzt sogar schon beim Essen bemerkbar. hide seufzte leise auf. Es wäre mal wieder Zeit etwas Wertvolles zu klauen um an Geld zu kommen. Und somit auch an was Nahrhaftes. Schließlich wurden seine Hände im letzten Schrank doch noch fündig und sie angelten eine angebrochene Tüte Brot heraus. Nicht unbedingt das Gelbe vom Ei – aber er hatte Hunger. Irgendwo hatte er doch letztens noch Schokobrotaufstrich gesehen.... Der Blondschopf durchstöberte die Arbeitsfläche und wurde schließlich fündig. Rasch beförderte er das braune, süße Zeugs in dicken Schichten auf zwei Scheiben Brot. Seine Augen beobachteten diesen Vorgang, doch wirklich in seinem Hirn ankommen tat das was sie sahen nicht, denn da hatte sich wieder das vorherige Thema abermals breit gemacht. Es ließ ihn einfach nicht mehr los und seit nun feststand, dass es auch Kazzy tödlich erwischt hatte, war er sich überhaupt nicht mehr sicher ob er weiterhin ein Teil dieses Wahnsinns sein wollte. Irgendwie geriet alles plötzlich aus dem Ruder seit sie im Besitz dieser Waffen waren.... Als ob ein Fluch auf den Schusseisen liegen würde der sich auf sie übertrug. War das vielleicht doch eine Nummer zu groß für sie...? Wenn selbst die Yakuza schon Jagd auf sie machte....? Er schob sich die erste Scheibe Brot in die Futterluke und als er selbst aß, fiel ihm auch wieder sein Bruder ein. „Hiroshi?“, rief er mit vollem Mund durch die Wohnung. „Hast du Hunger?“ Doch er erhielt keine Antwort. War der Kleine etwa schon wieder eingepennt? hide stapfte mit seinem Brot in der Hand aus der Küche, ging ins Wohnzimmer, wo er den kleinen Rabauken zuletzt geparkt hatte. Doch das abgewetzte Sofa, auf dem er Hiroshi zuletzt gesehen hatte, war leer. Die helle, weiche Decke des Kindes lag verlassen auf der Sitzfläche. hide stutzte. Wohin war der kleine Racker abgehauen? „Hiroshi? Hey, wo bist du?“ Er biss wieder von seinem Brot ab und ging zum kleinen Badezimmer, steckte dort kurz seinen Kopf rein – Fehlanzeige. „Hiroshi, sag mal 'Piep'!“, versuchte der große Bruder es nun, als er wieder im Flur stand und abermals von seinem Schokobrot abbiss. Auf seine Aufforderung hin hörte er plötzlich gedämpftes Babygebrabbel. Es hörte sich so an als käme es aus der Richtung seines Zimmers und als er seinen Blick dorthin richtete sah er, dass er tatsächlich seine Zimmertür ein Stückchen offen stehen gelassen hatte. Na super, hoffentlich zerfledderte der kleine Hosenscheisser ihm jetzt nicht wieder seine Mangas...! Kauend ging er die wenigen Schritte auf seine Zimmertür zu, stieß Diese mit dem Fuß vorsichtig auf – und sah seinen kleinen Bruder, wie Dieser vor seinem Bett hockte und seine Webley Mk. VI in den kleinen Grabbelhänden hielt. Neugierig nuckelte der Kindermund gerade am Lauf der Waffe. Für einen Moment blieb hide wie erstarrt stehen, ließ den Rest seines angekauten Brotes achtlos auf den Teppichboden fallen. Kalter Schweiß trat ihm rasendschnell aus den Poren. Das durfte nicht........ - Endlich riss er sich los aus seiner Starre und hastete zu Hiroshi, fasste ihn mit leicht zitternden Händen aber doch bemüht sanft an den kleinen Schultern. „Hey, Kleiner...komm, gib mir das Ding.“ Seine Stimme war gewohnt liebevoll, wie sie es immer war wenn er mit seinem Bruder sprach. Die Panik und Angst musste er im Moment verstecken, so gut es ging. Die großen, runden Kulleraugen des kleinen Jungen wanden sich der Waffe ab und leuchteten seinen großen Bruder begeistert an. Was hatte er doch für ein interessantes, neues Spielzeug gefunden! Auch wenn das lange Ding mit dem Loch in der Mitte nicht sonderlich schmeckte... hide ließ seine eigene Hand mit fließenden Bewegungen über die Waffe gleiten, schob sanft die Finger des Jüngeren aus der Nähe des Abzuges weg und wand ihm den Gegenstand schließlich geschickt aus den unerfahrenen Händen. Hiroshi's Augen verfolgten hide's Handeln interessiert, jedoch ließ er es zu dass ihm seine neue Entdeckung so rasch auch schon wieder entwendet wurde und er lachte nur fröhlich auf. hide hingegen war überhaupt nicht nach lachen zu Mute. Er seufzte schwer auf und senkte für einen Moment den Kopf, schloss kurz die Augen. Sein Herz schien ihm in die Hose gerutscht zu sein, zumindest spürte er den Herzschlag im ganzen Körper. Dann sah er wieder in das unschuldige Engelsgesicht seines, noch so wenig von dieser Welt verstehenden, kleinen Bruders. Er hatte seinen Revolver auf dem Bett liegen lassen und Hiroshi hatte ihn gefunden. Und er zwang sich, seinen Kopf dieses Szenario nicht weiter ausmalen zu lassen. „Kleine Brüder machen immer nur Ärger“, stöhnte er mit gespielter, leicht vorwurfsvoller Stimme. „Hast du ein Glück, dass du nur 'nen großen Bruder hast.“ Hiroshi schien dem freudig zustimmen zu wollen mit einem glucksendem, fröhlichem Lacher. Kapitel 22: Flyer ----------------- Sceanna saß auf Kenzy's Bett und streichelte immer wieder dessen Rücken. Das Küken der Sister's hatte seit Mogwai's Tod seine elterliche Wohnung nicht mehr verlassen und war sogar kaum aus seinem Zimmer rauszukriegen. Seine Eltern waren schon ziemlich verzweifelt und Dankbar über jeden einzelnen Besuch seiner Freunde die versuchten, ihn zu trösten und aufzumuntern. Und heute war Sceanna an der Reihe. Doch auch er musste schon sehr bald einsehen, dass Mogwai's Tod in Kenzy etwas verändert hatte, dass nicht mit ein paar Streichlern zu beheben war. „Die Anderen wissen schon gar nicht mehr wie du aussiehst“, scherzte der Rothaarige und versuchte damit wenigstens ein minimales Schmunzeln in Kenzy's Gesicht zu zaubern. Doch das erhoffte Ergebnis blieb aus. Kenzy saß nur da, mit an den Körper angezogenen Beinen, und starrte vor sich hin. „Ihr braucht mich doch gar nicht mehr...“, murmelte er mit einer Stimme die ebenso abwesend klang wie seine Augen aussahen. Diese Aussage verursachte einen spürbaren Stich in Sceanna's Brust. „Was redest du da?“, entgegnete er und er musste sich zügeln, dass seine Verletztheit nicht aggressiv in seine Stimme mit einfloss. „Natürlich brauchen wir dich! Du gehörst zu uns, du bist unser Freund!“ Natürlich wusste er in seinem Innersten, dass Kenzy seine Behauptung nicht aus böser Absicht ausgesprochen hatte. Der Kleine war einfach todtraurig und fühlte sich allein. Das war verständlich. Trotzdem wollte Sceanna nicht akzeptieren, dass ihr jüngstes Mitglied nur noch zurückgezogen vor sich hinvegetierte. „Hey....ich weiß, dass Mogwai dein bester Freund war....“ Bei diesem Satz brachen bei Kenzy wieder alle Dämme und er verfiel im nächsten Moment in herzzerreissendes Schluchzen. Sceanna zog ihn schützend in seine Arme und wog ihn sanft ein bißchen hin und her. Er musste sich selbst auf die Unterlippe beissen um nicht mitzuheulen, war er doch genauso dicht an dem Geschehnis gewesen als Mogwai erschossen wurde. Hatte es ihn doch auch so sehr geschockt und aufgewühlt und hatte er sich doch selbst die erste Zeit stark zurück gezogen – wie die Hälfte der Gruppe. Er mochte Mogwai auch unheimlich gerne, aber zwischen Mogwai und Kenzy bestand ein Band der Freundschaft, welches er selbst nie erreicht hätte. Mogwai und Kenzy waren über die Jahre hinweg die besten Freunde gewesen und die Verbindung zwischen besten Freunden war durch nichts zu ersetzen. Für Kenzy musste es sich also gerade anfühlen, als sei ihm die Hälfte seiner Seele entrissen worden. Er spürte, wie die Tränen des Jüngeren sein Shirt durchweichten und an seine Haut traten. Zärtlich drückte er ihn noch ein Stück fester an sich. „Is' okay, Kleiner“, wisperte er leise um den eigenen Gefühlsstatus durch seine Stimme nicht zu verraten. „Er ist bestimmt bei dir und passt auf dich auf.“ Eigentlich glaubte Sceanna an so einen Quatsch wie Geister nicht, aber aus irgendeinem Grund, er wusste selbst nicht so wirklich aus Welchem, hatte er in diesem Moment das Bedürfnis gehabt, Kenzy das zu sagen. Dieser hob daraufhin langsam seinen Kopf, blinzelte ihn durch einen Tränenschleier aus verheulten Augen an. Scheinbar verwunderte es ihn auch, solche Worte aus Sceanna's Mund zu hören. Er schluckte mehrere Male, dann löste er sich vom Anderen und krabbelte im Schneckentempo von seinem Bett runter. „Ich muss ma' pinkeln...“, schniefte er leise, wischte sich mit dem Unterarm über's Gesicht um wenigstens im Groben die Tränen zu verbergen und schlurfte aus dem Zimmer. Sceanna blieb alleine zurück, schaute noch einige Momente lang auf die nun angelehnte Zimmertür. Dann beugte er sich plötzlich ein Stück auf dem Bett vor und griff unter Kenzy's Kopfkissen. Ein zweites Mal binnen weniger Minuten wusste er nicht warum er das tat, aber irgendwas zog ihn schon die ganze Zeit, seit er hier war und Kenzy tröstete, zu dem Kopfkissen hin. Seine Hand wurde schnell fündig und ertastete etwas Glattes, was sie sofort ans Tageslicht beförderte. Sceanna hatte nun ein gutes Dutzend Fotos in der Hand, von Kenzy und Mogwai. Einige der Bilder mussten schon mehrere Jahre alt sein, denn auf ihnen waren die Zwei noch ziemlich jung, fast Kinder. Er ging die Fotos durch, betrachtete sich jedes Einzelne mit großer Aufmerksamkeit. Welches Bild er sich auch ansah, überall sah Kenzy glücklich aus. Selbst Mogwai war oftmals lachend drauf zu sehen. Ob auf dem Schulhof, im Eiscafé oder irgendwo im Grünen – die beiden Jungs strahlten so eine ungeheure Zusammengehörigkeit aus dass man fast meinen mochte, sie wären Brüder. Bei dieser Erkenntnis wurde Sceanna dafür wieder umso bewusster, was sein jüngerer Freund gerade durchmachen musste... Genau dieser Freund betrat nun wieder das Zimmer und blieb abrupt in Selbigem stehen als er sah, was Sceanna da gefunden hatte. Sceanna schreckte auf und blickte Kenzy mit einem ertappten Gesichtsausdruck an. „Hey...da bist du ja wieder...“, begann er mit leicht wackeliger Stimme, in der Hoffnung diese Worte würden von seiner ungefragten Schnüfflerei ablenken. Er wusste, dass es nicht richtig war einfach so an Kenzy's kleine Schätze ranzugehen. Kenzy jedoch behielt seine aktuelle Position noch einige Augenblicke bei. Sein Blick fiel auf das oberste Foto des Stapels, den Sceanna gerade in Händen hielt. Darauf zu sehen war Mogwai, mit Sonnenbrille auf der Nase und Eistüte in der Hand und einen Arm um Kenzy's Schultern gelegt. Er grinste breit und gut gelaunt, zusammen mit Kenzy, in die Kamera, die auch vom Jüngeren gehalten wurde. Beim Anblick dieses Bildes kamen ihn abermals die lebhaften Erinnerungen an diesen Tag, an dem das Foto geschossen wurde, in den Kopf und seine Augen füllten sich binnen weniger Sekunden bis zum Anschlag mit Tränen. Im nächsten Moment brach er zusammen und fand sich kauernd auf dem Boden wieder, den er sogleich mit heissen Tränen benetzte. Herzzerreissendes Schluchzen drang durch den Raum. Sceanna war sofort aufgesprungen und warf sich dicht vor ihm auf die Knie, zog ihn wieder an sich heran. „Es tut mir Leid, Kleiner!“ Nun konnte auch er ein Schniefen nicht mehr unterdrücken und er presste sein Gesicht an Kenzy's Schulter. „Es tut mir Leid, es tut mir Leid!“, wiederholte er wie ein Mantra. Das wollte er doch nicht! Er war doch hierher gekommen um Kenzy zu trösten, nicht um ihn noch trauriger zu machen! Warum konnte er auch seine Finger nicht still halten...?! Das hatte er nun von seiner Schnüfflerei... Kenzy's Hände pressten sich regelrecht fanatisch auf Sceanna's Schulterblätter, nachdem sie den Weg dorthin gefunden hatten. Er presste ihn so fest an sich als könne die Anwesenheit des anderen Körpers ihm einen Teil des Schmerzes nehmen. „Ich weiß nich' was ich tun soll....“, schluchzte er inmitten von Tränen und Rotz und es klang so hilflos wie von einem kleinen Kind. „Ich....“ Schluckauf. „...ich weiß nich'.....was ich ohne ihn...tun soll....!“ „Er is' bei dir, ich versprech's dir. Er is' immer bei dir...“ Sceanna realisierte in diesen Momenten selbst gar nicht, was er da überhaupt sagte. Er war nur versucht dem Kleinen irgendwie Trost zu spenden und seine eigene Trauer zu unterdrücken. - Wo kamen jetzt diese verfluchten Tränen her die ihm über's Gesicht liefen...?! Kenzy weinte das Shirt des Anderen noch nasser als es von vorhin schon war. Er kam sich vor als sei in seinem Körper eine Dichtung defekt und er fragte sich selbst, wieviel er wohl noch weinen könnte...? Taiji, Tommy und Morrie saßen zu dritt an einem Tisch in irgendeiner dunklen, verrauchten Kneipe. Um den Nikotingehalt der Luft noch ein bißchen anzukurbeln, pafften Tommy und Morrie ihre Zigaretten. Taiji ausnahmsweise nicht. Vor dem stand aber auch schon seit einer halben Stunde sein noch halbvolles Glas Bier, Welches er seit dem nicht mehr angerührt hatte. Es herrschte Krisenstimmung bei den Sister's no Future und das nagte am meißten an Taiji. Schon die letzten zehn Minuten bekam er seinen Blick kaum von der zerkratzten Tischplatte abgewand. „Wir schrumpfen“, murrte er und meinte damit ganz sicher nicht ihre eigene Körpergröße. „Erst Mogwai, dann fällt jetzt auch noch Tusk weg und Kenzy lässt sich auch nicht mehr blicken.“ „X haben mittlerweile auch einen Verlust“, merkte Morrie an. Es war doch ganz praktisch, überall in der Stadt seine Kontakte verteilt zu haben. Taiji hob den Kopf, legte ihn leicht schief und sah den Älteren mit entgeisterter Mine an. „Ja. Einen! Uns fehlen schon drei!“ „Ob Kenzy wirklich flach fällt is' doch noch gar nicht raus“, warf nun Tommy ein, bevor er das nächste Mal an seiner Zigarette zog. „Wenn er was wegstecken kann, kommt er wieder“, war daraufhin nur Morrie's Kommentar. Was zerbrach sich Taiji eigentlich jetzt schon den Kopf? Es war noch gar nichts entschieden – und wer behauptete denn, dass sich die Anzahl der Leute bei X in Zukunft nicht auch noch verringern würde...? Der Kopf des Leaders sank wieder. „Im Moment sieht das ja nicht danach aus....“ Es machte ihn fertig. Sichtlich. Die Sister's waren eine starke Gruppe, er hatte sich immer ein Bein ausgerissen damit es allen gut ging. Sie hatten schon in den düstersten Zeiten zusammen gehalten und jetzt sprang Einer nach dem Anderen ab...? Naja, Mogwai hatte sich das ja nicht ausgesucht... Er schreckte wieder aus seiner trüben Gedankenwelt auf als er plötzlich Tommy's Hand an seiner Schulter spürte. „Kopf hoch, Cowboy“, schmunzelte Dieser. „Wir packen das. So wie wir bisher alles gepackt haben.“ Er sah seinem besten Freund an, dass sich Dieser derzeitig in einer richtigen Krise befand. Eigentlich war Taiji überhaupt nicht der Typ, der den Kopf einfach in den Sand steckte sobald ihm alles zuviel wurde. Aber die negativen Ereignisse stapelten sich im Moment auch. Und da der Lockenkopf grundsätzlich jegliche Hilfe ablehnte und immer alles alleine schaffen wollte, lag jetzt natürlich eine ziemliche Last auf seinen Schultern. Diese Last schien Taiji sich nun mit dem Rest Bier, das er noch übrig hatte, wegspühlen zu wollen denn er trank in einem Zug. Das daraufhin leere Glas stellte er geräuschvoll auf dem Tisch ab. „Wir brauchen 'nen Schlachtplan“, entschied er daraufhin. „Wenn X erst mal mitkriegen, in was für 'ner Lage wir stecken, sind wir geliefert.“ Morrie war nach wie vor der Gelassenste am Tisch, paffte gemütlich weiter und blies den Rauch eines jeden Zuges genüsslich in die Luft. „Vielleicht brauchen wir das gar nicht.“ Tommy und Taiji sahen ihn beide fragend an. Auf Morrie's Lippen, die sonst kaum Emotionen preisgaben, spielte ein kleines, verschmitztes Grinsen. „Der Druck wird auch für Yoshiki und seine Clowns größer....spätestens jetzt seitdem Kazzy tot ist. Und das Gerücht verhärtet sich, dass da die Yakuza hinterstecken sollen.“ Taiji zog bei dem letzten Satz eine Augenbraue in die Höhe. Davon hatte er noch nichts gehört. „Wenn die wirklich die Yak's am Arsch kleben haben, springen zuerst die ab, die die schwächsten Nerven haben.“ Er zwinkerte geheimnisvoll. Taiji sah erst Tommy an, dann wieder Morrie. „An wen denkst du da?“ Der Älteste drückte mit gemächlichen Bewegungen seinen Zigarettenstummel im Aschenbecher aus. Seine Augen verfolgten das klägliche Sterben der Reste des nun im Stich gelassenen Freundes aus Tabak und Papier. „Dieser hide hat nicht gerade die stärksten Nerven...und 'nen kleinen Bruder.“ Sein Blick wanderte entspannt vom Einen zum Anderen. „Yoshiki hat auch 'nen jüngeren Bruder“, warf Taiji ein. „Und die Anderen haben auch jüngere Geschwister.“ „Aber Yoshiki's Bruder ist schon 'n Teenager und die Brüder und Schwestern der anderen Knallköpfe sind auch schon aus dem Hosenscheisseralter raus. hide hat das mit Abstand jüngste Geschwisterchen.“ Sein diabolisches Grinsen nahm langsam zu. „Und er wird sicher nicht zulassen wollen, dass dem was passiert...“ Taiji dachte kurz nach. Er hatte hide ein Mal mit seinem kleinen Bruder auf der Strasse gesehen. Er war damals sehr überrascht darüber gewesen, wie liebevoll der Typ mit dem kleinen Jungen umgegangen war. Regelrecht zärtlich. So eine Seite hatte er hide nie zugetraut. Von daher konnte es stimmen, was Morrie erzählte. Und hide war ein guter Kämpfer; wenn der wirklich gehen würde, hätten X 'nen spürbaren Verlust. Plötzlich vernahm er wieder Morrie's dunkle Stimme. „Und dieser Ryö....das kann auch so'n kleines Sensibelchen sein...“ „Wieso kann?“, hakte Tommy verwundert nach. „Is' er's oder is' er's nicht?“ Das Grinsen in dem Gesicht des Bandenältesten wurde langsam unheimlich. „Is' euch Blindfischen nie aufgefallen, dass der kaum ohne Den unterwegs ist? Der klebt an dem wie Fliegen am Scheißhaufen!“ Abermals wanderten seine Augen von Taiji zu Tommy und wieder zurück. Nein, nach ihren Gesichtsausdrücken zu urteilen war ihnen dieser Punkt noch nie aufgefallen. Diese Grünschnäbel benötigten wirklich noch etwas mehr Beobachtungsgabe, wenn sie auf lange Sicht überleben wollten. „Könnt' mir gut vorstellen, dass dem Kleinen das mit den Yak's auch schnell zu viel wird und wenn der wirklich geht, wird er Den sicher mitziehen. Die Zwei machen doch alles zusammen – die gehen doch sogar zusammen pinkeln!“ Allmählich fasste Taiji wieder neuen Mut. Morrie hatte Recht. Wenn sich die Sachen wirklich so entwickelten wie er es ihnen gerade aufgezeigt hatte, dann könnten X tatsächlich schon früher am Boden liegen als es ihnen recht war. Dann wären sie nicht mehr länger überlegen was die Personenanzahl betraf und vielleicht, wenn man Glück hatte, würde Yoshiki die Niederlage nicht tragen können und X würden endgültig zersplittern. Bei diesem Wunschgedanken schummelte sich nun selbst auf Taiji's Lippen ein sichtlich zufriedenes Lächeln, während seine rehbraunen Augen veträumt ins Leere blickten. Er wusste gar nicht was seine Aufmerksamkeit eigentlich ausgerechnet auf dieses eine Stück Papier gelenkt hatte, als hide durch die Seitenstrassen Seoul's stapfte. Hier in der Gegend lag oft Müll auf den Gehwegen und es wirbelten einem ständig irgendwelche Zettel um die Füße. Dennoch bückte sich der Blonde und griff mit einer Hand nach eben diesem einem Zettel. Es war der Flyer einer Band die, laut Datums- und Zeitangaben, heute Abend im 'Mudcrutch' spielen würde. Inmitten der wilden Schrift des Flyers prangten die drei Gesichter der vermeintlichen Musiker und Einer davon war Tusk. hide's Blick haftete mehrere Sekunden lang auf dem Bild des Zottelhaarigen. Eigentlich war Dieser kaum zu erkennen wenn man nicht wusste wer das war, denn der ganze Flyer war in schlechter Copyshop-Qualität. Professionalität war was Anderes. Und dennoch sah man die Liebe, mit der diese wegwerf-Werbung zusammen gestellt wurde. Tusk hatte es nun also geschafft, ging es hide durch den Kopf. Der Junge spielte in 'ner Band. Wie viele Andere hatte auch hide irgendwann mal Wind bekommen von Tusk's Plänen, sein Leben irgendwann als Musiker zu verbringen. Er hatte auch scheinbar nie ein Geheimnis daraus gemacht. Und nun war es soweit. Es gab also noch ein Leben ausserhalb von Banden... Erneut warf hide ein Blick auf den angekündigten Ort, an dem das Spektakel heute Abend statt finden sollte. 'Mudcrutch'.....verdammt, dass war hier gleich in der Nähe seines zu Hauses – und Pata's. Wenn Dieser ihn dort erwischen sollte, würden die Fetzen fliegen. Andererseits war seine Neugierde aber auch zu groß um dieses angekündigte Ereignis einfach in den Wind zu schießen. Sollte er es wagen und sich heute Abend da blicken lassen...? Kapitel 23: changeover? ----------------------- Er hatte es gewagt. hide schob sich gerade durch die Tür der Kneipe, dessen Name schon einen kleinen Vorgeschmack auf das Innenleben gab: 'Mudcrutch'. Sofort schlugen ihm Nikotinwolken ins Gesicht, kaum dass er seinen Kopf hineingesteckt hatte. Die Luft war heiß und stickig, die Klimaanlage funktionierte fast nie. Seine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an das dunkle, schummrige Licht gewöhnt hatten. Der Laden war gerammelt voll. Die Stimmung schien gut zu sein und die Band spielte schon. Auf dem Flyer, den hide einige Stunden zuvor auf dem Gehweg aufgesammelt hatte, nannte sich die Band 'Zi:Kill'. Was auch immer das bedeuten sollte. Aber ihm gefiel der Name. Und da sah er ihn auch schon: Auf einer sehr kleinen Bühne, ein paar Reihen vor ihm, stand Tusk, das Mikro und den Mikroständer fest im Griff. Neben ihm zwei Saitenzupfer, ein Gitarrist und ein Bassist. Das mussten die anderen Zwei Gesichter vom Flugblatt sein. Irgendwie hatte er die auch schonmal gesehen, ging es ihm durch den Kopf als er sie nun live und in – mehr oder weniger – Farbe erblickte. Irgendwo mussten die schonmal aufgetreten sein. Lediglich der Drummer war ihm völlig fremd. hide drängte sich ungefähr bis zur Mitte vor; er wollte nicht zu weit vorne stehen, auf die Gefahr hin dass Tusk ihn womöglich noch erkennen würde. Aber er wollte sich ein besseres Bild von der Truppe machen. Das Lied, was gespielt wurde als er hier rein kam, war gerade zu Ende und Tusk kündigte kurz und knapp mit scheinbar etwas schüchterner Stimme den nun folgenden Titel an: „Boy & Gun“. Der Rhythmus war schnell und hektisch, der Drummer dreschte auf seine Instrumente ein als versuche er irgendein störendes, kleines Tier zu erschlagen. Tusk's Gesang – oder doch Kampfgebrüll? - ließ nicht lange auf sich warten. „I'd like to leave the foreign town, to this life in my mind. New horizons for everyone, wait for me on a horizon...“ Zumindest glaubte hide, diesen Text da rauszuhören. Tusk's Englisch hatte sich seit dem letzten Auftritt, bei dem er ihn gehört hatte, irgendwie keinen Deut gebessert. Aber das machte nichts. Er bewunderte die Texte und fragte sich, ob Tusk die alle selber schrieb. Er versuchte sich den Anderen beim Schreiben vorzustellen. Woher er wohl die Ideen dafür nahm? Was ihn wohl am stärksten beeinflusste und worüber er am liebsten schrieb? hide fand es schon immer aufregend und spannend, wenn jemand Songtexte schrieb. Manchmal wünschte er sich, er könne das auch. Er hatte es auch schonmal versucht, aber raus kam nur irgendein absoluter Müll von Spaziergängen, giftigen Kuchen und Zitronen-Eiscreme. Er wusste selbst nicht wie er auf soetwas Unzusammenhängendes gekommen war. Aber Tusk's Texte...ja, die gefielen ihm. Dem Blonden war egal ob das Englisch korrekt war oder nicht, er war selbst nie ein Ass in dieser Sprache gewesen. Aber die Worte, die der Dunkelhaarige ins Mikrofon sang, klangen so rebellisch, so aufständisch, so hinterfragend. Und das traf hide's Interessen in der zentralen Mitte. Und dann geschah es: Tusk sah in hide's Richtung und sein Blick verweilte mehrere Momente bewegungslos auf dem Blonden, während er unbeirrt weitersang. hide erstarrte. Er wand den Blick nicht ab, erwiderte ihn sogar. Sein Puls raste, sein Herz donnerte ihm bis zum Kehlkopf. In seinen kühnsten Fantasien sah er Tusk im nächsten Augenblick schon den Finger nach ihm ausstrecken und die Aufforderung ins Mikro brüllen, sie sollten ihn sich alle schnappen. Reflexartig spannte sich jeder einzelne Muskel in seinem Körper an und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Doch der erwartete Angriff blieb aus. Nichts passierte. Nur die dunklen Augen des Sängers ruhten immernoch auf ihn. So hatte hide auch gar nicht mitbekommen, dass der vorherige Song längst zu Ende und beinahe nahtlos in den Nächsten übergegangen war. „Just I kill you. I just in the black box. Just I kill you! But I happy because freedom!“ Warum sah Tusk ihn an? Warum sah er ihn an und sang einfach weiter? Als sei er nur ein ganz normaler Zuschauer, Einer von Vielen. Als würde er ihn nicht kennen. - Doch, jetzt löste sich der Blick Tusk's endlich von ihm und schweifte ziellos über das übrige Publikum. hide war noch immer ganz anders, er fühlte sich komisch. Sollte er den Laden vielleicht doch besser schnell wieder verlassen? Nicht, dass am Ende des Konzerts noch die Sister's aus verborgenen Ecken und Ritzen hervortraten und ihn zu Brei verarbeiteten?! Ganz alleine hätte er nie eine Chance gegen die gehabt. Aber seine Füße blieben still. Das waren wohl auch die einzigen Körperteile an ihm, die sich ruhig verhielten. Sein restlicher Körper war in Aufruhr. Der Auftritt dauerte knapp eine Stunde. Und hide blieb bis zur letzten Sekunde. Als die Band die Bühne verließ und sich was zu trinken bestellte, bemühte hide sich, möglichst unauffällig im Getümmel unterzutauchen. Wahrscheinlich sollte er doch rasch ganz verschwinden, obwohl sich die Sehnsucht in ihm einschlich, sich zu Tusk an die Bar zu setzen und mit ihm zu plaudern. - Ksch, weg da, versuchte der Blondschopf diesen Gedanken ganz schnell wieder aus seinem Hirn zu verbannen. Er hatte die Tür des Clubs fast schon erreicht, jetzt bloß nicht noch unnötig in Gefahr bringen – zu spät. Abrupt blieb hide stehen, denn jemand hatte sich dicht vor ihn geschoben und ihm somit den Weg zur Tür versperrt. Und dieser jemand funkelte ihn aus schmalen, finsteren Augenschlitzen an. „Pata!“, keuchte er tonlos vor Schock. Nein. Nicht jetzt. Nicht schon wieder. Pata stand wie eine Wand vor seinem Freund. Bewegungslos. Stumm. Scheinbar unüberwindbar. Und er kochte. Er sah die Überraschung in hide's Augen und er glaubte sogar ein wenig Furcht in ihnen lesen zu können. Irgendwie tat es ihm auch schon fast Leid, solche Gefühle bei seinem besten Kumpel auszulösen, aber scheinbar lernte es Dieser nicht anders. Er streckte mit einem Mal seine Hand nach ihm aus und packte ihn unsanft an der Schulter. „Komm mit“, zischte er und zerrte den Schmächtigen ungefragt aus der Kneipe hinaus auf die Straße. Ein einziges Augenpaar hatte diese Szene aufmerksam beobachtet und dieses Augenpaar gehörte Tusk. Das Erste, was hide traf als er auf der Straße stand, war Pata's Faust. Sein Kopf wurde durch die enorme Wucht zur Seite geschleudert und er taumelte zwei-drei Schritte nach hinten. Er brauchte eine Weile bis er sich wieder einigermaßen gesammelt hatte. Dann realisierte er den eisernen Geschmack von Blut. Seine Lippe war aufgeplatzt. „Pata...!“, krächzte er erschrocken und starrte ihn geschockt an. „Du kleines Arschloch kapierst auch gar nichts, hä?“ Der Irokese trat wieder dicht vor den Anderen. Es tat ihm weh, hide's glasige Augen zu sehen und zu wissen, dass die blutige Lippe sein Verdienst war. Doch noch mehr Schmerzen empfand er bei dem Gedanken, dass sein bester und wichtigster Freund zu den Sister's überwandern könnte. „Willst du uns alle in Gefahr bringen oder was?“, keifte er weiter. „Du sollst dich von dieser Sackratte fern halten, hatte ich gesagt!!“ Pata war am explodieren. Und das kam nicht oft vor. Wie bekam er hide nur endgültig diesen verfluchten Typen ausgeredet? Musste er wirklich für ihn Babysitter spielen, sollte es tatsächlich nicht anders möglich sein? hide fühlte sich tief verletzt. Pata hatte ihn noch nie zuvor geschlagen...! Er hatte ihn schon ein paar Male angebrüllt, ja okay. Aber er hatte noch nie auch nur seine Hand gegen ihn erhoben. Für den Älteren war das ein sichtlicher Schock und im Moment verstand er die Welt nicht mehr. Er begriff noch soviel, dass Pata es nicht gerne sah wenn er zu Tusk's Auftritten ging. - Aber DAS hier ging über alles hinaus, was er von seinem Freund bisher gewohnt war. „Wieso schlägst du mich? Was hab ich dir getan?“ Seine Stimme war so dünn und so schwach, dass ein Aussenstehender noch nicht einmal ansatzweise den Gedanken gehegt hätte, dass hide einer brutalen Straßengang angehörte und normalerweise selbst zuschlug und zutrat wo es nur ging. Es gelang ihm nur mit Mühe und Not seine Tränen nicht fließen zu lassen, denn die Dämme waren haarscharf davor zu brechen. „Du Schwachkopf läufst ins offene Feuer und merkst es nicht einmal?!“ Pata's Stimme überschlug sich beinahe, was man sonst eigentlich nur von Yoshiki gewohnt war. „Ich hab also 'ne miese, kleine Verräter-Ratte als Freund, hä? Ist das so, hä??“ Seine Faust packte wieder hide's Kragen und zog ihn dicht zu sich heran. „Nein“, wimmerte der Blonde und schniefte, „so ist das nicht!“ „Wie ist es dann? Sag es mir!“ Es wäre in diesen Momenten wahrscheinlich für jeden schwer gewesen zu sagen, ob Pata gerade dabei war seine Kontrolle zu verlieren oder nicht. Denn eigentlich hatte er sich stets bestens im Griff. Es war zu spät. hide schloss seine Augen und die ersten Tränen kullerten ihm über's Gesicht. Er schluchzte. „...ich wollte doch nur wissen wie sie spielen... Ich wollte ihn mir doch nur anhören...!“ An einem Schluchzer verschluckte er sich halb. Sein Kopf sank tief nach unten. „...ich wollte doch nur kucken wie das ist....wenn jemand seinen Traum verwirklicht......“ Seine Stimme wurde immer leiser und klang schon fast so schuldbewusst wie von einem kleinen Kind. Er hatte mit Ärger von Pata gerechnet wenn Dieser ihn hier wieder erwischt hätte. Aber die jetzige Aktion des Rothaarigen verstand er beim besten Willen nicht mehr. Hatte der Andere wirklich so eine ungeheure Wut auf Tusk? Oder war er eifersüchtig, weil hide sich für den Zottelschopf interessierte...? Was davon nun auch zutreffen mochte, er war nicht einmal mehr in der Lage, seine Vermutungen auszusprechen denn seine Stimme versagte ihm und die einzigen akustischen Äusserungen, die noch von ihm kamen, waren leises Wimmern und Schluchzen und ein unregelmäßiges Hochziehen der Nase. Äusserlich schien Pata von diesem Schauspiel kein Deut berührt zu sein denn seine Mine blieb unverändert finster und seine Hand krallte immernoch in hide's Kragen. Innerlich jedoch zerbrach es ihm regelrecht das Herz, seinen Freund so zu sehen und vor allem zu wissen, dass er dieses Bild selbst herbei geführt hatte. Aber er wusste keinen anderen Weg um hide diese Hirngespinste mit Tusk und irgendwelchen Bandträumen aus dem Kopf zu schlagen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er wollte ihn doch nur beschützen...und vor allem wollte er ihn um keinen Preis verlieren...... Plötzlich ließ seine Hand den Kragen los und er drehte sich um, verließ den Ort des Geschehens ohne ein Wort zu sagen. Er schaute kein einziges Mal zurück. hide's Herz blutete. Seine butterweichen Knie versagten ihm und er sank zu Boden. Das nasse Gesicht mit den geröteten Augen verbarg er scheu hinter seinen Händen. Er war nur noch ein Häufchen Elend, zusammen gekauert auf den dreckigen Strassen Seoul's. Die Passanten machten alle einen Bogen um ihn, manche blickten dabei verständnislos auf ihn nieder. Er war völlig allein in dieser kalten, harschen Welt. Er wurde für seine Interessen und seine Neugier mit Einsamkeit und im Stich lassen bestraft. Seine Träume sollten verborgen bleiben, keiner wollte sie hören. „...Pata~.....“ Nicht einmal sein bester Freund. Der einst so brutale und rücksichtslose Straßenkämpfer war gebrochen. Schon als Taiji die Räumlichkeiten der Lagerhalle, ihrem Versteck, betrat, glaubte er zuerst seine Ohren spielten ihm einen Streich. Doch als er weiter hinein ging, wurden die Laute deutlicher und klarer. Babygebrabbel. Das konnte doch nicht...?! Hatte eine Mutter ihr Kind ausgesetzt und dafür ausgerechnet den 'blauen Teufel' ausgewählt? Wie sonst sollte so ein kleiner Wurm an diesem abgelegenen Ort kommen? Aber vielleicht konnte ihm das alles Morrie erklären, der hatte ihn immerhin hierher bestellt. Und kaum trat er in den nächsten Raum, hatte er den Bandenältesten auch schon vor sich stehen. Einige Meter hinter ihm, auf einer großen Kiste, saß das brabbelnde Balg. Taiji's Blick ging ohne Umwege gleich an Morrie vorbei und starrte ungläubig auf den kleinen Jungen, der noch viel zu jung war um richtig sprechen zu können. Er saß einfach nur da, voll bekleidet, und hatte irgendeinen bunten Spielring in der Hand, der ihn ganz offensichtlich höchst faszinierte. Aus seiner sabbernden Schnute traten immer mal wieder die typischen Brabbelgeräusche eines kleinen Kindes. Ein Kind. Ein Krabbelkind. Taiji begriff es immer noch nicht. Er richtete seinen Blick nun endlich auf Morrie. „Was....ist DAS?“, fragte er entgeistert und deutete mit dem Zeigefinger auf den, im wahrsten Sinne des Wortes, Nachwuchs. Morrie grinste breit. „Das ist unser Druckmittel.“ Der Leader schien von der Anwesenheit des Kleinen zu irritiert zu sein und begriff die Antwort nicht sofort. Fragend legte er ansatzweise den Kopf schief. „Hä?“ Dazu reichte es gerade noch. Morrie rollte genervt mit den Augen. Manchmal war ihm sein Boss wirklich zu langsam im Kopf. „Mensch Taiji, jetzt glotz doch mal genauer hin! Das Monster ist der kleine Bruder von hide!“ Daraufhin fielen dem Lockenkopf beinahe die Augen aus den Höhlen. Das konnte nicht sein – Morrie hatte ein Kind entführt? Einfach so?? „Sag mal, spinnst du?“ Diese Tatsache hatte Taiji nun so dermaßen aus dem Konzept gebracht, dass sogar seine Wut einige Momente brauchte, um sich vollkommen in ihm zu entfalten. Dann aber stampfte er auf den Anderen los. „Du hast dich an einem Kind vergriffen??“, brüllte er ihn an. „Scheiße man, hast du sie noch alle? Hab ich gesagt dass du das machen sollst?“ Heute schien der Tag der überdrehten Stimmen zu sein. „Nun reg dich mal wieder ab, Big Boss“, erwiderte Morrie, der sich von der Lautstärke seines Gesprächspartners nicht so schnell beeindrucken ließ wie manch anderer. „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt und wir führen nunmal Krieg. Gegen die Anderen, falls du es schon vergessen hast.“ „Das habe ich nicht vergessen“, fauchte Taiji und sein Gesicht näherte sich dessen Morrie's bis auf wenige Zentimeter. „Aber ein Kind-!“ Der Ältere schnitt ihm den Satz ab. „Komm ma' wieder runter. Wenn du weiter kommen willst in dieser scheiß Welt musst du endlich mal lernen, härtere Geschütze aufzufahren. Wir haben das Balg und X somit erstklassig im Griff. Besser könn' wir's gar nicht haben!“ Doch Taiji ließ sich von dieser Begeisterung noch nicht einmal ansatzweise anstecken. Er funkelte den Dunkelhaarigen nach wie vor düster an, ließ ihn nun nicht mehr aus den schmal zusammen gekniffenen Augen. „Du bringst den kleinen Schreihals sofort wieder zurück“, kam es zischend aus seinem Mund. Der 'kleine Schreihals', der seinem Namen im Moment irgendwie so gar nicht gerecht wurde, schien die ganze Vorstellung für eine tolle Show zu halten denn er lachte und gluckste leise immer mal wieder in die Richtung der zwei Großen und knabberte zwischendurch höchst konzentriert an dem bunten Plastikspielring in seinen Händen. Morrie war von Taiji's Anweisung alles andere als begeistert. Ungläubig starrte er ihn an. „Spinnst du? Sag mal, siehst'e nicht was das hier für 'ne Chance ist?? Wir haben sie! Mit dieser kleinen Ratte können wir alles von X fordern was wir wollen!“, versuchte er ihn erneut auf ihre Möglichkeiten aufmerksam zu machen. Er verstand einfach nicht wie Taiji sein Samariterherz wieder gewinnen lassen und selber leer ausgehen wollte. Taiji atmete einmal tief ein und aus, bevor er erneut ansetzte. „Du. Bringst. Ihn. Sofort. Zurück.“ Seine Stimme war messerscharf. Morrie schüttelte den Kopf. „Du bist echt einfach zu weich. Wie sie alle sagen...“, murrte er und musterte sein Gegenüber. „Sobald dir was zu brenzlig wird, ziehst 'n Schwanz ein. Wie 'n jämmerlicher Feigling.“ Diese Provokationen brachten Taiji, wie erwartet, auf die Palme und er packte Morrie an seinem dunklen Hemd, zog ihn dicht zu sich heran. „Es geht hier um 'n KIND! Ein kleines Kind das noch in die Windeln scheißt!! Glaubst du, der Rotzlöffel kann irgendwas für unsere Kämpfe? Glaubst du, er hat sich ausgesucht der Bruder von hide zu sein???“ Er rüttelte Morrie mehrfach. „Ein KIND!!“, wiederholte er schreiend und seine Wut schien keine Grenzen mehr zu kennen. „Wir vergreifen uns nicht an Kindern! Nie! Auch du nicht!“ Die neue Lautstärke schien für Hiroshi nun doch etwas bedrohlich zu wirken denn er lachte und gluckste schon lange nicht mehr, statt dessen blickten seine Knopfaugen zweifelnd immer wieder von Einem zum Anderen. Er bekam Angst. Morrie lachte leise; waren Taiji's Wutausbrüche doch so schrecklich vorhersehbar. „Schwächling“, hauchte er ihm provozierend ins Gesicht und als er in dessen Augen noch mehr Wut und Hass aufflimmern sah, konnte er nicht widerstehen. Vielleicht war es doch mal an der Zeit einen Machtwechsel anzustreben. „Na komm, schlag doch zu.“ Taiji zögerte eine halbe Sekunde, dann raste seine geballte Faust auch schon auf das Gesicht des Älteren zu. Er traf es mit voller Wucht und Morrie's Kopf wand sich gezwungenermaßen seitlich nach hinten. Ein kurzes, schmerzhaftes Aufkeuchen, ein flüchtiges Blut spucken, dann folgte auch schon die Antwort seiner eigenen Faust und schon war der Kampf entfacht. Der einzige Zuschauer dieses Spektakels saß noch immer auf seiner großen Kiste, schien das laufende Programm aber unheimlich doof zu finden und schrie und weinte, den einst so spannenden Spielring auf den Boden fallen lassend. Kapitel 24: snowwhite innocence ------------------------------- Er rückte sich gerade den dünnen, schwarzen Sommermantel zurecht, als seine Füße die Treppenstufen hinauf stiegen. Die Tränenspuren auf seinem Gesicht hatte er zuvor schon getrocknet und die blonden, langen Haare ließ er sich absichtlich ins Gesicht fallen, damit seiner Mutter gleich nicht die stark geröteten und leicht geschwollenen Augen auffielen. Ein leises Seufzen hallte durch's Treppenhaus und hide nahm sich vor, ohne Umwege sein Bett aufzusuchen und für den Rest des Tages nicht mehr zu verlassen, sobald er seine Wohnung erreicht hatte. Er wollte einfach nur noch die Augen schließen und diese verrückte Welt um sich herum vergessen... Als er im zweiten Stock angelangt war und vor seiner Wohnungstür stand, zog er im Schneckentempo seine Schlüssel aus der tiefen Seitentasche seines Mantels und schloß im gleichen Tempo die Tür auf. Er war müde. Er war enttäuscht. Er war fertig mit den Nerven. Er wollte einfach nur noch Ruhe. Kaum betrat hide den Wohnungsflur, trat das verzweifelte Wimmern seiner Mutter aus einem der Zimmer an sein Ohr. Der Junge blieb leicht verdutzt stehen, schloß die Tür automatisch hinter sich ohne ihr auch nur noch eine Sekunde der Aufmerksamkeit zu schenken. Was war mit seiner Mutter los? Ging es ihr nicht gut? Doch noch bevor er nach ihr rufen konnte, war Diese schon aus dem Wohnzimmer in den Flur geeilt und begrüßte ihren ältesten Sohn mit einem Gesicht das mit verschmiertem Make-up benetzt war und einem, scheinbar schon stark benutztem, Taschentuch in der Hand. In der anderen Hand hielt sie noch irgendwas, es sah aus wie ein Zettel, aber dem schenkte hide noch nicht gesteigerte Aufmerksamkeit. „Mum, was ist los?“, fragte er entsetzt und fasste seine Mutter sanft an den Schultern. Die völlig aufgelöste Frau wedelte nur immer wieder mit dem Stück Papier vor seiner Nase herum. „...Hiroshi......sie haben Hiroshi...!“, schluchzte sie unter einem neuen Schwall von Rotz und Tränen. Und sie hörte nicht auf mit dem Zettel rum zu fuchteln. Da genau diese Geste hide schon nach wenigen Sekunden tierisch auf'n Keks ging, nahm er es ihr ab und las was drauf geschrieben stand: 'Der kleine Scheisser ist in unserem Besitz. SnF' Mehr stand da nicht. Aber mehr war auch nicht nötig um hide klar zu machen, dass die Sister's – unschwer zu erkennen am Kürzel – seinen kleinen Bruder gekidnapped hatten. Seinen kleinen Bruder....der für den ganzen Dreck hier nicht einen Deut konnte. Ihm wurde übel, der letzte Burger, den er vor wenigen Stunden gegessen hatte, kroch ihm wieder die Speiseröhre empor. Sein eh schon blasses Gesicht wurde noch weißer. Fassungslos starrte er seine Mutter an, die unübersehbar ebenso am nervlichem Ende war wie er. Mogwai's Leiche in der Sackgasse. Kazzy's Hand im Karton. Die Prügelei mit Pata. Sein Bruder wurde entführt. Er wollte einfach nur noch Ruhe.... Das dachte sich wohl auch sein Körper denn im nächsten Moment entglitt ihm ausnahmslos alles aus seinem Sichtfeld und er fühlte sich schwerelos. hide vernahm noch von ganz weit weg den erschrockenen Aufschrei seiner Mutter, doch schon den Aufprall spürte er nicht mehr. Keuchend saßen sich beide Jungs gegenüber, versuchten wieder zu Atem zu kommen. Es kam ihnen in der kleinen Fabrik plötzlich unheimlich stickig vor und die Luft roch nach Verachtung und Schweiß. Taiji wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und erntete dadurch eine Blutspur. Zumindest schien sie nicht gebrochen zu sein. Er blinzelte zu Morrie, der wenige Meter von ihm entfernt an der gegenüberliegenden Wand lehnte, und musterte ihn. Ein blaues Auge, blutige Lippen, ein großer violettschimmernder Fleck im Bereich des Wangenknochens....wahrscheinlich sah er selbst im Moment nicht viel anders aus. Taiji erhob sich, biss die Zähne zusammen um das Ächzen zu unterdrücken. Im Hintergrund schrie und weinte noch immer Hiroshi, doch der Leader ignorierte den Lärm gekonnt. Er sah hinab zum Schwarzhaarigen, dessen weiße Ziersträhnen sich mit dem Schweiß in der langen Zottelmähne völlig verfangen hatten. „...und jetzt bringst du ihn zurück....“, keuchte er. Morrie, Verlierer dieses Kampfes, blinzelte nach oben. Er hatte den Lockenkopf hart erwischt, dennoch musste er seine eigene Niederlage eingestehen. Er wartete noch ein paar Atemzüge ab, dann erst erhob er sich, klopfte sich den Staub von Hemd und Hose. „Und wie stellst du Spaßvogel dir das vor?“, knurrte er, unzufrieden mit der ganzen Situation. Dass er verloren hatte war schon schlimm genug; dass Taiji's Sieg nur sehr knapp erlangt wurde, war ihm da auch kein Trost mehr. „Das ist dein Problem“, antwortete der Leader nur trocken. „Ich will nur nicht, dass dem Kind was passiert.“ Und er trat ganz dicht an Morrie heran, berührte ihn jedoch noch nicht. Sein Blick bohrte sich in die Pupillen des Anderen. „Wenn ich von irgendwem erfahre, dass ihm was zugestoßen ist.....“ Er brauchte gar nicht weiter zu sprechen. Er hatte seine Position beweisen können und jeder der ihn kannte wusste, dass es ungemütlich für jeden wurde, der sich seinen Befehlen widersetzte, hatte man nicht einen wirklich guten Grund parat. Mit solch einem Grund versuchte Morrie es noch ein letztes Mal. „Taiji...du lässt dir da echt 'ne erstklassige Chance entgehen. Der Kleine ist für uns Gold wert wenn wir-“ „Geh!“, fuhr der Lockenkopf ihn nur an und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger demonstrativ Richtung Ausgang. Der Ältere schnaubte nur verärgert, ging zu der Kiste auf der sich das kleine Kind inzwischen schon kreischend und zappelnd lang gelegt hatte, schnappte sich den unschuldigen Wurm und verließ die Lagerhalle. Dank seiner Ohnmachtsaktion hatte hide's Mutter seine aufgeplatzte Lippe natürlich in voller Pracht zu Gesicht bekommen. Die geröteten Augen und seine blasse Haut konnte er jetzt natürlich dem Schockzustand bezüglich der Entführung seines kleinen Bruders zuschieben. Und zum Glück war seine Mutter auch wegen der Entführung noch so durch den Wind, dass sie wegen der Prügellippe gar nicht großartig rumfragte. Hatte die Situation gerade also doch noch was Gutes. hide schüttelte den Kopf. Nein, so durfte er gar nicht erst denken... Er saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und hielt sich einen feuchten, kalten Waschlappen gegen die Stirn, während seine Mutter, wie sie es eigentlich immer tat wenn sie aufgeregt oder in Eile war, wie ein aufgescheuchtes Hühnchen durch die Wohnung flatterte. „Wir müssen die Polizei anrufen, Junge! Wo ist das Telefon?!“ Und schon war sie auf der Suche nach dem beschnurtem Kommunikationsmittel. hide sprang sofort auf! „Nein!“, schrie er, wurde sich dann aber der Panik in seiner Stimme bewusst und versuchte Diese im Keim zu ersticken. „Nicht die Polizei... Mama, hör zu, ich glaub ich weiß, wer Hiroshi entführt hat...“ Um Gottes Willen alles – aber nicht die Polizei! Das war, neben der Entführung, das Schlimmste was jetzt noch passieren konnte. Wenn die Polizei dahinter käme wer er war, und das würden sie spätestens bei der Personalaufnahme, wüssten sie wo er überall mit drin hing. Und wenn er sich die Liste von X ins Gedächtnis rief, wieviele Straftaten innerhalb allein der letzten paar Wochen auf ihre Rechnung gingen – inklusive dem Doppelmord an den beiden Bullen – könnte er gleich seine sieben Sachen packen für einen Gefängnisaufenthalt. Oder im allerschlimmsten Falle für eine Ausweisung. Gott, bei dem Gedanken wurde ihm gleich schon wieder fast schwarz vor Augen und er setzte sich schnell wieder hin. Seine Mutter, kaum dass sie die Worte ihres Sohnes gehört hatte, hielt plötzlich in ihren Flatterbewegungen inne und starrte ihn an. „Du kennst die?“, fragte sie völlig fassungslos. Dann eilte sie plötzlich schnurstracks zum Sofa und rüttelte den Blonden an den Schultern. „Du weißt wer deinen Bruder entführt hat und willst nichts unternehmen???“ Ihre Nerven lagen absolut blank und ihre Stimme war grell und kreischend, wie die einer Furie. Sie begriff gar nicht, wie heftig sie an dem schmächtigen Jungen rüttelte und schüttelte. „Mama, hör auf! Du tust mir weh!“, protestierte eben Dieser auch sogleich und versuchte sich aus dem Griff seiner Mutter frei zu winden. Das gelang ihm auch recht schnell. „Ja, ich kenne sie!“, bestätigte er und funkelte die zerbrechliche Frau mit dem Dutt böse an dafür, dass sie ihn so harsch angepackt hatte. Es ging ihm schon zum kotzen – musste sie mit ihrer Hysterie alles nur noch verschlimmern? „Und ich sag dir, wenn wir die Polizei anrufen, kriegen wir Hiroshi nie wieder zurück“, log er. In Wirklichkeit hatte er nicht den leisesten Schimmer, was genau Taiji und seine Leute mit dem Kleinen wohl vorhatten. Aber ihm war jedes Mittel und jede Ausrede recht um die Polizei von sich, und auch den Anderen, fern zu halten. Seine Mutter starrte ihn mehrere Sekunden lang an, starrte ihn an wie eine Schlange die ihr Opfer zu hypnotisieren versuchte. Dann brach sie vor ihm auf dem Sofa zusammen und weinte. „Aber mein armer, kleiner Hiroshi.....! Wie kann er nur entführt worden sein......und warum...?“ hide betrachtete seine Mutter, wie sich ihr schlanker, sehniger Körper vor ihm immer mehr zusammen krümmte und das verzweifelte und hilflose Wimmern und Schluchzen durch ihre, vor das Gesicht geschlagene, Handflächen drang. So wie sie jetzt aussah, hatte er sich vorhin noch auf der Strasse gefühlt, nachdem Pata gegangen war. Da war er auch allein gewesen und keiner hatte ihm geholfen, getröstet. Wie sehr hätte er sich eine helfende Hand gewünscht....? Der Blonde wusste nicht warum, aber aus irgendeinem Grund bewegte ihn nichts dazu, seine Mutter zu trösten, in den Arm zu nehmen oder zu streicheln. Statt dessen behielt er seine Hand nur weiterhin am hellblauem Waschlappen, den er sich noch immer gegen die Stirn hielt. Und dann passierte etwas, was für ihn noch eine ganze Weile lang wie ein Traum erschien. Er hörte Babygeschrei. Aber nicht irgendein Geschrei. Er erkannte es. Es war Hiroshi's Schreien. Seine Mutter war so in ihrer Trauer und ihrer Angst vertieft, dass sie noch einige Momente länger benötigte, um diese so bekannten und im Moment gleichzeitig auch so deplatzierten Laute zu registrieren. Doch als sie sie erkannte, hob sie schlagartig den Kopf. „Hiroshi...“, hauchte sie tonlos und war in der nächsten Sekunde auch schon von der Couch aufgesprungen, rannte durch den Flur und riss voller Schwung die Wohnungstür auf. Und da saß er tatsächlich, mitten vor der Tür, mit leicht verrutschten Klamotten, zerzausten Haaren, tränengenässtem Gesicht und Schnodder, der ihm aus der Nase lief. Die Frau stieß einen Freudenjauchzer aus, der durch's ganze Treppenhaus hallte, griff mit beiden Händen nach ihrem jüngsten Sprößling und presste ihn fest an sich. Der Kleine weinte und schrie noch immer, doch kaum an Mutter's Brust gedrückt, verringerte er zumindest seine Lautstärke. hide hatte sich derweilen auch bis in den Flur bewegt und konnte nicht fassen was er da sah, als das Bild seines Bruders auf seine Netzhäute traf. Er wurde ihnen einfach zurück gebracht? Einfach so, ohne irgendwelche Forderungen? So kurz nachdem er erst entführt wurde? Das war so überhaupt nicht Taiji's Handschrift, aber überhaupt nicht. Das sah eher nach einem Anfänger aus, dem sein eigenes Vorhaben doch zu groß wurde, Schiss bekommen hatte und die Aktion frühzeitig abbrach. Nur.....wie sollte ein Anfänger auf das Kürzel 'SnF' kommen? ...oder steckte doch etwas ganz Anderes hinter all dem? Sollte selbst bei den Sister's mittlerweile vielleicht nicht mehr alles nach Plan laufen? Sollte da inzwischen auch so Einiges aus dem Ruder geraten sein....? Den musste sich selbst eingestehen, dass er irgendwie ein mulmiges Gefühl in der Magengegend hatte, als er auf dem Weg zu der Mauer neben dem Gemüseeckladen, einer von X's Treffpunkten, war. Yoshiki würde alles andere als erfreut über diese Nachricht sein. Aber er hatte es Ryö versprochen. Und er ließ seinen besten Freund nicht im Stich. Nie! Noch einmal rief er sich das letzte Gespräch mit ihm in Erinnerung, auch um sich selbst Mut zu machen. “Wir schmeissen einfach die Schule und suchen uns 'n Job! Wir sind doch eh kaum noch in der Penne!“ Ryö's Augen glitzerten regelrecht vor Tatendrang. Er wollte etwas anders machen in seinem Leben, wollte eine neue Richtung einschlagen. Einen Neubeginn wagen. Den schien noch zu überlegen, sich jede Möglichkeit im Schnelldurchlauf durch den Kopf rauschen zu lassen. Er sah ein, dass X im Moment etwas ausser Kontrolle geraten war und dass es ganz schnell noch schlimmer kommen konnte. Die Zusammengehörigkeit in der Gruppe spaltete sich immer mehr auf, es hatten sich mittlerweile schon 'Grüppchen in der Gruppe' gebildet und eine echte, wahre Verschmelzung wie noch zu Anfang gab es gar nicht mehr. Alles driftete immer mehr auseinander. Schließlich nickte er. „Okay. Aber dann suchen wir uns am besten auch gleich 'ne eigene Bude.“ Er machte eine kurze Pause und warf einen flüchtigen Blick zu seiner Zimmertür, ob Diese auch wirklich geschlossen war. „Ich hab nämlich keinen Bock mehr auf meine Alten“, gestand er dann leise nuschelnd. Ryö konnte das gut nachvollziehen. Er fand Den's Eltern zwar okay, aber er kannte das Gefühl, sich bei seiner Familie nicht mehr wohl zu fühlen. „Okay, abgemacht.“ Er schlug mit Den ein. Sie hatten sich beide auf den Ausstieg aus X geeinigt. Auch wenn die treibende Kraft dafür eindeutig Ryö war. Aber Den war einverstanden gewesen. Nun hatte er jedoch die schwere Aufgabe, Yoshiki das zu erklären. Und kurz darauf stand er auch schon vor ihm. Vor ihm und Toshi, um genau zu sein. Völlig alleine war Yoshiki ja fast nie anzutreffen. „Hey...“, kam von ihm nur die kurz angebundene Begrüßung, als er auf die bunt besprayte Mauer zutrat. Yoshiki lehnte lässig gegen eben Diese und paffte obercool an seinem Glimmstängel. Toshi stand, wie seine Leibgarde, neben ihm. Er musterte den Schwarzhaarigen kurz und unauffällig. Yoshiki sparte sich eine Begrüßung. Er sah Den nur halbwegs durch seine dichten Wimpern an, stieß den Qualm aus seinem Mund. „Was willst du?“ Den hatte seine Hände in den Hosentaschen vergraben um seine Nervosität, die schlagartig anstieg als Yoshiki's kalte Stimme erklang, zu verbergen. Er stand direkt vor dem Boss und schaute ihm ohne Umwege in die Augen. „Wir wollen weg. Ryö und ich.“ Dann herrschte erst einmal eine halbe Ewigkeit Schweigen zwischen den drei Jungs. Zumindest kam es Den wie eine halbe Ewigkeit vor. Yoshiki zog drei oder vier Mal an seiner Zigarette, blies den Qualm immer nur haarscharf an dem Gesicht des Jüngeren vorbei. Schließlich setzte er doch noch zu sprechen ein. „Ihr wollt also raus, ja?“ Toshi's Mine war düster geworden, sehr düster. Es gefiel ihm nicht wenn sich jemand gegen X entschied. Sich gegen X zu entscheiden bedeutete in seinen Augen auch, sich gegen Yoshiki zu entscheiden. Den nickte kurz. „Ja.“ Er zögerte, bevor er noch die knappe Erklärung abgab: „Ryö und ich woll'n uns was Eigenes aufbauen.“ Dass man diese Aussage mehrdeutig auffassen konnte, war ihm in dem Moment nicht bewusst. Er hoffte einfach nur, dass Yoshiki ihre Entscheidung akzeptierte und nicht noch irgendwelche Schwierigkeiten machte. Er hatte in der Vergangenheit mal Geschichten gehört, in denen Yoshiki den Leuten, die sich irgendwann von ihm abwanden und nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten, fürchterliche Verletzungen antat. Das ging von einfachen Schnittverletzungen bis hin zum Abschneiden einzelner Finger. Ob das aber nur Gerüchte waren oder ob doch irgendwas Wahres dran war, hatte er nie rausgekriegt. Yoshiki ließ sich mit einer Reaktion viel Zeit. Er mochte es, Andere zappeln zu lassen und ihnen somit seine Macht zu demonstrieren. Es bestärkte ihn in seiner Position. Seine Zigarette war schließlich fast gänzlich aufgeraucht, als er endlich mal wieder was sagte. „Ihr habt beide keine Schulden bei mir....“, nuschelte er träge. „Wenn ihr wirklich geh'n wollt, geht.“ Toshi's Kopf drehte sich in Windeseile in die Richtung seines Mentors. Wie konnte Yoshiki das einfach so sagen? Wie konnte er es den beiden einfach so, ohne Weiteres, erlauben zu gehen? Ohne jegliche Forderungen oder Bedingungen? Er ahnte ja nicht, wie schwer dem Boss diese Entscheidung fiel. Denn Toshi selbst hatte einen völlig anderen Blick auf alles als der Leader. „Cool, danke“, antwortete Den und die Erleichterung war ihm anzuhören. Sogleich fanden auch seine Hände wieder den Weg ins Freie. Yoshiki nahm seinen letzten Zug, bevor er den Stummel geringschätzig begutachtete und auf den Gehweg schnippste. „Aber du weißt.....Verrat wird trotzdem bestraft. Glaub also nicht, du könntest uns an den Karren pissen nur weil ihr aus X raus seid.“ „Dazu hab ich keinen Grund“, entgegnete der Jüngere aufrichtig. „Ehrlich Yoshiki, so 'ne Scheiße mach ich nicht. Und Ryö auch nicht!“ Diesmal war es nicht seine Angst, die ihn diese Sachen sagen ließ, sondern seine Loyalität. Und Yoshiki wusste, dass Die echt war. Er nickte ihm nur zu. Damit war die Sache für beide Seiten gegessen. Die Anspannung in Den's Gesicht war nun wie verflogen und es schmuggelte sich fast soetwas wie ein Lächeln auf seine Mundpartie. „Okay. Bye!“ Er hob kurz die Hand zum Abschied, dann wand er sich ab und ging. Im Traum hätte er nicht damit gerechnet, dass dieses Gespräch so gut verlaufen würde. Was er nicht mehr sah war, wie Toshi langsam seine schwere Lederjacke öffnete und eine schwarzglänzende Knarre zum Vorschein holte. Im nächsten Moment zielte der Lauf auch schon auf den Jungen, der gerade die Straße überquerte. Ohne mit der Wimper zu zucken drückte der Blonde ab. Ein lauter Schuss dröhnte durch die mittagliche Geräuschkulisse der Umgebung, ein heiseres Röcheln des Getroffenen war zu hören, dann sank das Opfer auch schon zu Boden, mit dem Gesicht zum Asphalt gerichtet. Menschen schrien durcheinander, gerieten in Panik, Autos hupten, konnten plötzlich nicht mehr planmäßig weiter fahren. Lag da doch von der einen Sekunde auf die Andere, völlig ohne jegliche Ankündigung, ein junger Mensch mitten auf der Strasse, mit von sich ausgestreckten Armen. Das unschuldsweiße Hemd präsentierte, am zur Schau gestelltem Rücken, einen roten, unübersehbaren Fleck. Kapitel 25: The warning ----------------------- Ungläubig starrten Yoshiki's aufgerissene Augen auf den bewegungslosen Jungen auf der Strasse. Er hatte ihn doch die ganze Zeit beobachtet, wie er sich von ihnen abgewand hatte und den Gehweg verließ um die Fahrbahn zu überqueren. Und plötzlich lag er einfach da...so leblos.....warum bewegte er sich nur nicht mehr.....? Menschenmassen begannen sich um das Opfer zu scharen, irgendjemand rief, man sollte einen Krankenwagen holen. Das alles sah aus wie im Film, wie in irgendeiner Fernsehserie. Yoshiki war von diesem unvorhersehbarem Ereignis so geschockt, dass sein Hirn auffällig langsam arbeitete. Denn erst mehrere Momente nachdem der Schuss fiel teilte ihm sein Verstand mit, aus welcher Richtung das Geräusch der Waffe gekommen war. Er hatte es direkt neben sich gehabt. Dicht neben sich. Der Leader riss den Kopf herum und starrte Toshi an. „Du Hornochse, was hast du gemacht?“, fauchte er fassungslos und konnte immernoch nicht so ganz vollständig begreifen, dass das wirklich wahr war. Sein eigenes Team streckte sich schon gegenseitig nieder. Toshi, die Pistole natürlich schon längst wieder in der Innenseite seiner Jacke sicher versteckt, schaute den Älteren mit einem Blick aus überzeugter Rechtfertigung an. „Er wollte dich verlassen, Yoshi! Er wollte dich und uns alle im Stich lassen!“ Scheinbar hatte der Blonde in seinen Augen absolut nichts Unrechtmäßiges getan. „Willst du dir das etwa gefallen lassen?“ Yoshiki konnte nicht fassen wie weit sein Freund scheinbar schon von der Realität entfernt war und packte ihn ziemlich grob und hart an den Schultern. „Du ARSCH! Wenn dich Einer gesehen hat?!“ Er schüttelte ihn kurz aber heftig. „Du kannst nicht auf offener Strasse einfach so losballern – schon gar nicht ohne meinen Befehl!“ Es fiel dem Leader sichtlich schwer seine Lautstärke im Zaum zu halten, dessen er sich schließlich auch bewusst wurde. Er sah sich kurz vorsichtig und möglichst unauffällig um, ob schon irgendwer auf sie aufmerksam geworden war, doch alle Menschen im näheren Umfeld hatten im Moment nur Augen für Den. Er blickte wieder zurück in Toshi's Gesicht, funkelte ihn voller Wut an. „Ich geh für dich nicht in den Knast, dass wir uns verstanden haben!“, knurrte er mit ungewöhnlich tiefer Stimme. Noch einmal ließ er seine Blicke um sich schweifen. Inzwischen war gerade ein Krankenwagen eingetroffen. Hilfe war also vorhanden. War nur noch die Frage, ob Den überhaupt noch eine Chance hatte. Nach kurzem Zögern ließ Yoshiki von Toshi's Schultern ab und packte ihn am Arm um mit ihm nun ganz schnell die Flucht anzutreten. Den blinzelte. Es war alles ruhig. Er hörte keinen Ton. Seine Augen schauten sich suchend um. Die Szenerie war in ein seltsames Grün getaucht. Niemand war zu sehen, endlose Weite. Nur ein kleines, weißes, kastenartiges Gebäude, für Menschen zu klein, stand in der Einöde herum. Die Fassade bröckelte bereits sichtbar. Vor dem Gebäude ein großer Stein, über den ein weites, braungemustertes Tuch lag und das Gebilde weitestgehend bedeckte. Vielleicht eine Statue? Große Schatten wurden über das Land geworfen, aber Den konnte nicht ausmachen woher die Schatten kamen; als ob es dafür keine Quelle gab. Dann fielen seinen Augen plötzlich die meterlange, signalrote Lanze auf, die, wie von Geisterhand gehalten, in die einzige fensterartige Öffnung des winzigen Gebäudes hineinragte, mit der Spitze voran. Das Ding war das Auffälligste an diesem Bild – warum sah er sie erst jetzt...? Und dann sah er noch was: Aus der Ferne bewegte sich plötzlich etwas auf ihn zu. Dieses Etwas entpuppte sich bald schon als menschliche Gestalt, ein junger Mann vielleicht. Doch ganz genau konnte Den ihn nicht erkennen denn es schien so als sei dieser Mann unentwegt von einer Art Nebel umgeben. Klare Konturen waren an ihm nicht zu erkennen. Irgendwann blieb er jedoch stehen, nur ganz knapp vor dem weißen Gebäude. Und dann stand er einfach nur da, tat nichts, sagte nichts. Überhaupt wunderte sich Den, dass er immernoch nichts hörte. Nicht einmal der Wind wehte. Gar nichts. Er wollte was sagen, doch er konnte nicht. Er wollte den Mann ansprechen, wollte ihn fragen wo sie hier waren, doch sein Mund gehorchte ihm nicht. Er bekam seine Lippen nicht einmal auseinander. Aber aus irgendwelchen Gründen beunruhigte ihn das keinen Deut. Er verfiel nicht in Panik, er nahm die Situation an, so wie sie war. Etwas Anderes blieb ihm auch gar nicht übrig. Seine Augen musterten den Mann, schauten ihn sich so genau an wie sie konnten. Doch viel zu erkennen gab es nicht, störte ja dieser dichte Nebel, der ihn nach wie vor wie einen Schutzmantel umgab. Und dann, nachdem er eine Zeit lang einfach nur so rumstand, drehte sich der Typ wieder um und verließ im gleichen Tempo den Schauplatz, in welchem er ihn auch besucht hatte. Er wurde am Horizont immer kleiner und schließlich verschwand er ganz. Den war wieder alleine. Sein Blick wanderte abermals zu dem abgedeckten Felsen und blieb wieder an der roten Lanze hängen. Als wenn dieses Ding ihm etwas sagen wolle, dachte er sich. Als wenn sie ihm etwas mitzuteilen hätte......dann wandelte sich das ganze Grün um ihn herum langsam aber zunehmend in Weiß.....Weiß......überall Weiß....bis er nichts Anderes mehr sah........... Ryö war gerade dabei Den's Cassetten-Sammlung durchzuwühlen, als Den's Mutter ins Zimmer trat. „Da ist jemand für dich am Telefon.“ Ryö blickte auf. „Den?“, fragte er knapp mit hörbarer Vorfreude in der Stimme. Doch die Frau schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Nein. Ein Junge. Hat seinen Namen aber nicht genannt.“ Sie mochte Ryö. Sie mochte ihn schon von Anfang an, als sich ihr Sohn und er im Kindergarten kennen gelernt hatten und sie war glücklich darüber, dass die Freundschaft zwischen den beiden bis heute andauerte. Ryö sprang auf und ging neugierig in den Flur, wo das Telefon stand. Er griff nach dem Hörer. „Ja?“ „Hier is' Yoshiki“, kam es von der anderen Seite der Leitung. Sofort verkrampfte sich die Hand des Jüngeren leicht um den Hörer. Er wusste, dass Den bei ihm war um mit ihm über ihren geplanten Ausstieg zu reden. Warum rief der Boss ihn jetzt an...? War das Ganze schlimmer gelaufen als erhofft, wollte er Ryö jetzt auch noch den Marsch blasen nachdem er Den schon zur Sau gemacht hatte? „Hey...was gibt’s?“, fragte er und gab sich Mühe, seine Unsicherheit so gut es ging zu verbergen. Die Antwort ließ sich etwas Zeit, bis sie mal erklang. Dann jedoch trat sie ein wie ein Faustschlag. „Den wurde angeschossen.“ Ryö's Blick glitt sofort ins Nichts. Seine Hände wurden wie auf Knopfdruck schweissnass. Sein Hals fühlte sich ausgedörrt und zugeschnürt an. Den. Wurde angeschossen? „Wa....was...?“, brachte er schließlich nur stammelnd hervor. „W-wo ist er, wie geht’s ihm...?“ Die Worte kamen eigentlich halb automatisch aus seinem Mund; zum wirklichem Nachdenken war er gerade überhaupt nicht im Stande. Yoshiki's Stimme klang kratzig und heiser. „Sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht. Asan Medical Center, glaub ich...weiß nich' genau....“ Yoshiki erwähnte dieses Krankenhaus, weil er, als er noch mit Toshi an der Mauer stand und die ersten Sanitäter eintrafen, in diesem riesigen Stimmengewirr glaubte, diesen Namen rausgehört zu haben. Ausserdem war das eines der am naheliegensten Krankenhäuser gewesen. Ryö war nicht mehr zu halten. Kaum hatte er den Namen des vermeintlichen Krankenhauses, knallte er den Telefonhörer zurück auf die Gabel, griff nach seinen Schuhen und zog sie sich überhastig an. Als Den's Mutter wieder im Flur vorbeikam, fiel ihr die Eile des Braunhaarigen auf. „Na, war es was Wichtiges?“, fragte sie völlig unwissend. Ryö hielt mitten in seiner Bewegung inne, als er die so freundliche Stimme der Mutter seines Freundes hörte. Er starrte sie nur an. Den wurde angeschossen. Wer wusste, wie schwer die Verletzung war. Wer wusste, wer das getan hatte. Wer wusste, ob er überlebte. „Ja“, kam von ihm schließlich nur die mehr als knappe Antwort und stürmte dann auch schon im nächsten Moment aus der Wohnung. Er hatte jetzt nur noch eine einzige Sache im Kopf und das war, so schnell es ihm möglich war zu Den zu gelangen. Wie das alles passiert war, darüber dachte er nicht nach. Ebensowenig darüber, warum Yoshiki's Stimme am Telefon so angeschlagen klang. „Warum hast du ihn angerufen?“ Toshi stand dicht hinter Yoshiki, sein Blick war auf dessen Hinterkopf gerichtet. Yoshiki hatte kaum den Hörer aufgelegt, als Toshi's Frage erklang. Er drehte sich nicht gleich um, verharrte statt dessen noch in der alten Position und atmete ein paar Mal tief durch. Allmählich riss ihm der Geduldsfaden. Er hatte keine Ahnung was sich im Kopf des Blonden abspielte, aber es war definitiv an der Grenze seiner eigenen Toleranz. Nein, eigentlich ging es sogar schon darüber hinaus. Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der verfolgten Toshi und er noch die selben Ziele, gingen in die selbe Richtung. Wo waren diese Zeiten geblieben? Schließlich drehte er sich doch um, aber seine schönen, femininen Augen mit den dichten, schwarzen Wimpern waren zu gefährlich schmalen, engen Schlitzen verformt die die Pupillen kaum noch Preis gaben. Ein leises Grollen drang aus seiner Kehle, doch die Lippen blieben geschlossen. „Du Penner begreifst auch gar nix mehr, hä?“ Es kam selten vor, dass er mit solch einer tiefen und bedrohlichen Stimme zu Toshi sprach. „Ich reiss mir den Arsch auf um X zusammen zu halten und du machst alles nur noch schlimmer...!“ Hart und grob packte er seinen, eigentlich besten, Freund am Kragen, zog ihn ganz nah an sich ran, sodass Diesem der heisse Atem Yoshiki's ins Gesicht schlug. „Ich sag dir Eins: Wenn X wegen dir kaputt geht...bring ich dich um.“ Toshi musste gestehen, so extrem und hautnah hatte ihn der Boss selten seine Wut spüren lassen. Und dennoch – er sah seine Schuld noch immer nicht ein. „Kaputt geht? Wir sind doch nur noch zu viert, mit hide und Pata! Die Anderen sind doch alle schon weg!“ Diese nackte Darlegung der Tatsachen war zu viel für Yoshiki und die Wut brach ungebremst aus ihm heraus. Er schmiss den Jüngeren mit voller Wucht zu Boden, setzte sich auf ihn drauf und schlug mit geballter Faust und wild schreiend immer wieder auf ihn ein! „Du verdammter Hurensohn! Es ist deine Schuld, deine Schuld, deine Schuld!“ Die Verzweiflung, Hilflosigkeit und Trauer, vielleicht sogar Angst, floss durch jede Ader des Leaders und der enorme Druck war zu groß als das er ihm noch Stand halten konnte. Sie musste raus, diese ganze Energie, sie musste einfach irgendwie raus! Und wenn er sie an seinem besten und langjährigsten Freund abreagierte – immerhin hatte Dieser ihn überhaupt erst zum kochen gebracht! Das Spektakel im Flur war nicht zu überhören und so steckte bald schon Hiroki den Kopf aus seinem Zimmer. Er erblickte im ersten Moment jedoch nur ein Bündel aus zwei Menschen; dem Gekreische und Geschrei nach zu urteilen musste einer dieser Menschen sein Bruder sein. Was ging hier nur vor? „Hey! Aufhör'n!“, rief er und hastete kurzentschlossen zu den beiden hin, bemühte sich trotz seiner geringeren körperlichen Kraft die beiden Jungs voneinander zu trennen, oder zumindest zu verhindern, dass Yoshiki Toshi noch totprügelte (was er ihm im Moment durchaus zugetraut hätte). Es war verdammt schwer Yoshiki im Zaum zu halten wenn Dieser in seiner Wut voll aufging und wieder mal der Meinung war, alles und jeden um sich herum zerstören zu müssen. Doch schließlich gelang es Hiroki irgendwie, seinen älteren Bruder unter den Armen zu packen und ihn so mehr oder weniger von Toshi runter zu ziehen. „Willst'e ihn umbringen oder was?“, fragte er mit einem Ton, den eigentlich eher ein großer statt ein kleiner Bruder anschlagen würde. Zum Glück war die Mutter der beiden Jungs gerade nicht zu Hause und musste das Chaos nicht miterleben. Yoshiki strampelte in dem Klammergriff des Dreizehnjährigen noch immer, aber da er wusste dass es sich um Hiroki handelte und er ihn nicht ernsthaft verletzen wollte, nahm seine Kraft schlagartig ab – die restlichen Gefühle aber leider nicht. „Es geht kaputt! Es ist seine Schuld! Er hat es getan!“, waren die wirren Anschuldigungen die nun schluchzend aus Yoshiki's Mund kamen, unterstrichen von einer Tränenflut die sich ihren Weg über sein Gesicht bahnte. Als Toshi ihm so unverblümt die nackten Tatsachen auf den Tisch legte, ihm vor Augen hielt dass ihre einst so große und gefürchtete Bande mittlerweile tatsächlich nur noch auf vier Leute geschrumpft war, da hatte er wirklich einfach nur noch Rot gesehen. Da war jede Sicherung bei ihm durchgebrannt. Die Panik, zu Grunde zu gehen, war zu groß, die Angst zu versagen, zu allmächtig. Toshi, der noch immer, blutend aus Mund und Nase und inzwischen übersäät mit blauen und lilanen Flecken, keuchend am Boden lag, drehte sich langsam und unter Schmerz keuchend zur Seite, froh darüber dass Hiroki ihm seinen Angreifer abgenommen hatte. „Du willst es nicht sehen!“, nuschelte er etwas undeutlich. Seine Zungenspitze tastete vorsichtig einen oberen Schneidezahn ab. Der wackelte verdächtig. Toshi hob seinen Kopf mit der völlig zerzausten, honigblonden Mähne und blickte auf seinen, völlig mit den Nerven am Ende stehenden, Freund. „X muss neu gebildet werden! Die alte Form löst sich auf, verweichlicht! Wir brauchen neue Leute!“ Dann erhob er sich ächzend und verließ die Wohnung, ohne noch irgendein weiteres Wort zu sagen. Ließ die anderen Beiden kommentarlos zurück. Yoshiki konnte nicht mehr. Er hing völlig ausgepowert noch immer in den Armen des Jüngeren, weinte kläglich wie ein kleines Kind und sehnte sich nur noch nach Erlösung. Wie konnte Toshi ihm soetwas nur antun, wie konnte er soetwas nur sagen?! Zweifelte er wirklich an X? Wo war ihre einst gemeinsame Überzeugung hin? Warum löste sich alles um ihn herum auf.....? Vor ein paar Wochen war er noch so fest davon überzeugt gewesen, X's Status noch höher pushen zu können, noch einflussreicher gestalten zu können. Aber kurz danach fingen die Katastrophen an, der ungeplante Polizisten-Mord, Kazzy's Übermut, seine Ermordung und zur Krönung des Ganzen hatte die Yakuza auch noch einen ihrer Stammplätze, Pata's Keller, ausfindig gemacht. Ausgerechnet die Yakuza....hatte er doch geglaubt, mit diesem Kapitel ganz schnell abschließen zu können. Er spürte Hiroki's Finger durch seine zerzausten Haare gleiten, spürte wie sie ihn fürsorglich kämmten. Sein kleiner Bruder.....was auch passierte, wie wenig er auch noch von dieser Welt, in der Yoshiki lebte, verstand – er hielt irgendwie immer zu ihm. Er rannte durch die langen Krankenhausflure, seine hastigen Schritte hallten in den Gängen wieder. Die braunen Augen suchten panisch nach der richtigen Zimmernummer. 114, 115, 116...wie weit war es denn noch?? Ihm kam jede Sekunde wie eine Ewigkeit vor, jeder gehechelte Atemzug wie ein ganzes Leben. Langsam müsste das richtige Zimmer doch mal auftauchen...! Unten an der Rezeption hatten sie ihm gesagt, Den würde im dreizehntem Stock auf Zimmer 125 liegen. Notgedrungen hatte er der Schwester gegenüber behauptet, er sei sein Halbbruder; immerhin sollte eigentlich niemand zu ihm ins Zimmer, ausser die nächsten Angehörigen. An das Standart-Blabla aber wollte er sich jetzt nicht halten – nicht jetzt, wo es um seinen besten und wichtigsten Freund ging. Da! Da war es, Zimmer 125! Ryö hatte Mühe zu bremsen, blieb für wenige Sekunden vor der Tür stehen um kurz Luft zu holen, dann drückte er sie vorsichtig auf. Sein brauner Wuschelkopf schob sich sofort ins Zimmer und blickte sich um. Zwei Betten, eines davon leer. Im Anderen lag ein schwarzhaariger Junge. „Den!“ Als Den seinen Namen hörte, wand er seinen Kopf sofort ein Stückchen in Richtung Tür. Diese Stimme – hier! „Ryö!“ Die Verblüffung aber auch gleichzeitig die Freude schwang deutlich in seiner Stimme mit. Ryö schloß die Tür sogleich wieder hinter sich, dann sprang er wie ein Gummibärchen die wenigen Meter zu Den's Bett und warf sich fast halb auf ihn, während seine Arme sich viel zu fest um den geschwächten Körper schlangen. Er konnte fast gar nicht reden, war er immernoch so sehr ausser Atem und die Freude, seinen Freund lebend wieder zu sehen, zu überwältigend. Den keuchte bei dieser stürmischen Begrüßung sogleich auf. „Vorsicht, Kleiner...! N-nicht da....“ Er versuchte die eine Hand Ryö's vorsichtig weg zu schieben. „...da is' die Wunde...“ „Oh...“ Sofort löste er die Umarmung und musterte Den, war er eben doch so stürmisch hier reingekommen, dass er ihn noch gar nicht richtig angesehen hatte. Den hatte einen kleinen Bluterguss über der linken Schläfe, ansonsten sah er im Gesicht völlig normal aus. Okay, man sah an seinen Augen, dass sein Körper derzeitig nicht ganz fit war, aber das war ja, unter den gegebenen Umständen, völlig normal und zu erwarten gewesen. Ryö setzte sich bequem auf die Bettkante und strich dem Freund ein paar vereinzelte, kurze Haarsträhnen aus der Stirn. „Scheiße man....ich bin so froh, dass du noch lebst....!“ Man konnte förmlich hören, wie der riesen Felsbrocken von Ryö's Herz hinunter fiel. „Ich auch...“, gestand das Opfer und lächelte matt, schloss für einen Moment die Augen. „Ey, ich hatte so scheiße Angst als Yoshiki mich anrief und sagte, du seist angeschossen worden“, berichtete der Braunhaarige. „Ich dachte schon, du seist tot!“ Den blinzelte. „Yoshiki hat dich angerufen?“ Warum Yoshiki...? War er dabei gewesen als das alles passierte...? Er versuchte sich zu erinnern, aber er bekam das Puzzle nicht mehr zusammen. Er wusste nicht mehr, wo er niedergeschossen wurde. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war das Gespräch mit Yoshiki....dass er ihn und Ryö gehen ließ.....er hatte sich von ihm verabschiedet.....wollte nach Hause gehen......dann war alles weg. Ab dem Punkt wusste er nicht mehr weiter. War er noch so dicht in Yoshiki's Nähe gewesen als der Schuss fiel, dass Dieser es mitbekommen hatte und Ryö alamierte...? „Ja, er rief bei dir zu Hause an.“ Ryö's Finger strichen mehrfach fürsorglich durch das pechschwarze Haar des Freundes, bevor sie ihm kurz die Wange liebkosten. Er wollte ihn nicht mehr alleine lassen, er wollte auf ihn aufpassen. Das hatte Den sonst auch immer für ihn getan, nun war er an der Reihe. „Hm...“, machte der Patient nur und sein Blick wurde für einige Momente leicht abwesend. Er versuchte sich die ganze Zeit krampfhaft an den Schuss zu erinnern, der ihn so gefährlich in den Rücken getroffen hatte. Aber er konnte sich an keinerlei Schmerzen erinnern, nicht einmal an das Geräusch an sich. Ryö's fürsorgliche Gesten jedoch rissen ihn schon bald wieder in die Gegenwart zurück. Er spürte was für eine ungeheure Angst der Andere sich um ihn gemacht hatte und wie unsagbar dankbar er war, ihn noch zu haben. Den lächelte ihm sanft zu, hob langsam und mit Bedacht einen Arm und strich Ryö über den Kopf, wie er es, gerade in letzter Zeit, oft tat. Eine Geste die immer wieder zeigen sollte, wie sehr er ihn mochte. Wie sehr er ihn liebte. Kapitel 26: one magic moment ---------------------------- Sceanna nahm einen großen Schluck durch den grasgrünen Strohhalm und ließ seine Beine kurzzeitig schlenkern, bevor seine Schuhspitzen wieder am Boden unter dem Stuhl aufsetzten. Seine Faust stützte das Gesicht, die knallroten, langen Haare flossen in Strähnen über Schultern und Arme. Seine skeptischen Augen waren auf Tommy gerichtet. Mit dem hatte er es sich hier im Eis-Café gemütlich gemacht und schlürfte an seinem 'Tropical Breaker'. Eigentlich wären sie zu dritt gewesen, doch Taiji hatte kurzfristig abgesagt; angeblich musste er noch was Wichtiges erledigen – mit anderen Worten, er brauchte Geld und versuchte in diesen Momenten wahrscheinlich, aufbewahrtes Diebesgut zu verticken. „Er kommt nicht wieder“, und damit meinte Sceanna nicht ihren Boss. Tommy blickte ihn über die Ränder seiner Sonnenbrille an. „Bist du sicher?“ Der Rothaarige nickte, nahm wieder einen Schluck. „Kenzy ist völlig fertig...der kommt nicht wieder zurück zu uns.“ Sein Blick sank von Tommy's Gesicht zu dem Innenleben seines, am dahinschmelzenden, Eisbechers. „.....er is' wie gebrochen...“, fügte er schließlich noch leise und fast ein wenig abwesend nuschelnd hinzu. Noch immer musste man zu Kenzy nach Hause gehen, wenn man ihn zu Gesicht bekommen wollte. Das Küken der Sister's zeigte nach wie vor keinerlei Anzeichen davon, sein altes Bandenleben wieder aufnehmen zu wollen. „Es war wohl doch zu viel für ihn, hm?“, hakte Tommy nach. Sceanna's Blick hob sich wieder. Seine Augen sahen irgendwie müde aus. „Ich hab Bilder von den beiden gesehen“, gestand er. „Mit Mogwai ist auch eine Hälfte von Kenzy gestorben.“ Diese Bemerkung klang fast schon ein wenig resignierend. Insgeheim fragte er sich mittlerweile eh schon, wie lange das alles noch gut gehen sollte, wobei der Begriff 'gut' hierbei auch schon Fehl am Platz war. Mogwai's Tod war ein Warnschuss für sie alle gewesen, aber er hatte das Gefühl, dass das nicht alle so ganz realisiert hatten. Der Einzige von ihnen, der wirklich etwas verändert hatte, war Tusk. Auch wenn sein Vorhaben nicht neu gewesen war, wenn er seinen Traum, Sänger zu werden, schon lange verfolgte, so schien er jetzt doch endlich ein Sprungbrett für seine Ziele gefunden zu haben. Und vielleicht sogar gerade zur richtigen Zeit. Aber die restlichen Sister's? Was tat sich da? Wo blieb das Umdenken? Oder sollte er selbst etwa der Einzige sein der ein Umdenken für nötig hielt...? „Sach ma'.....“ Seine Fingerspitzen umfassten den knalligen Strohhalm und rührten damit in dem Gemisch aus schmelzendem Eis und Fruchtsaft, dessen einst strahlende Farben in ein undefinierbares Gemisch übergingen. „Hab gehört, dass Morrie sich an dem kleinen Bruder von hide vergriffen haben soll. Is' da eigentlich was dran?“ Tommy nickte, schob sich mit dem Mittelfinger die Sonnenbrille dichter vor die Augen. „Hat die ganze Aktion aber schnell wieder rückgängig gemacht, nachdem Taiji sich mit ihm geprügelt hat.“ „Hm...“, entwich es Sceanna unbemerkt und sein Blick driftete abermals ins Nichts. Hätte er von der Aktion früher etwas erfahren, hätte er alles dran gesetzt Morrie von dem Vorhaben ab zu bringen. Auch wenn er dann wahrscheinlich in ziemliche Erklärungsnot geraten wäre. Aber hide seinen kleinen Bruder zu entführen.....nein, das hätte er nicht gewollt. Er versuchte sich vorzustellen wie es wohl sein würde, einen kleinen Bruder zu haben. Hatte er selbst ja gar keine Geschwister. Daher gelang es ihm auch nicht wirklich, dieses Gefühl nachzuempfinden, so sehr er sich auch bemühte. Was hide wohl gemacht hatte, als er festgestellt hatte dass sein Bruder entführt wurde...? Von ihnen...? In Sceanna's Kopf wirbelten die unterschiedlichsten Reaktionen seines heimlichen Schwarms, nur die Realität war nicht dabei. Und wieder schwammen seine Gedanken wie Treibholz ungebremst weiter und weiter, bis abermals die Bilder in seiner Fantasie auftauchten, die er stets gut unter Verschluß hielt und das auch weiterhin tun würde. Tun musste. Doch heimlich genoss er diese Bilder....Bilder in denen er Seite an Seite mit hide umherzog, in denen er mit ihm lachte und verrückte Sachen unternahm. Wie zwei Brüder.....ja.....wie toll musste hide als großer Bruder sein.....? Tommy fiel die Abwesenheit des Jüngeren schnell auf. Er beobachtete ihn eine Weile, tippte ihn schließlich mit der Fingerspitze am Oberarm an als der tranceartige Zustand sich in die Länge zog. Sceanna blinzelte. „Huh?“ Tommy schmunzelte. „Soll ich mal raten woran du gerade gedacht hast?“ „Hä? Was meinst du?“ Der Rothaarige verzog das Gesicht, bemühte sich so lässig und cool wie nur irgendmöglich zu wirken. „An hide“, sprach Tommy seine Vermutung aus. Sceanna traf es wie ein Blitzschlag. Doch er zuckte nicht zusammen bei der Namensnennung, wollte sich nichts anmerken lassen. Saß einfach nur bewegungslos und steif da. Und checkte gar nicht, dass eben diese Haltung schon genug über seine Gedanken verriet. „Du magst ihn, hm?“, hakte Tommy mit leiser und sanfter Stimme nach. „Quatsch!“ Hastig umschlossen seine vollen Lippen den Strohhalm und sogen den Eis-Saft-Matsch mit beachtlicher Geschwindigkeit in den Mund. Seine Augen starrten angestrengt auf die Tischplatte. Der Ältere mit dem zweifarbigem Haarschopf konnte ein Grinsen nicht mehr unterdrücken. Es war so offensichtlich und trotzdem setzte Sceanna noch alles daran, nicht aufzufliegen. Das war schon regelrecht niedlich. „Keine Angst, ich verrat's niemandem“, versicherte er ihm und griff nach seinem Glas Orangensaft, das schon die ganze Zeit vor ihm stand. Sceanna hob den Kopf und blickte ihn an. Er schien zu überlegen. Nach einigem Zögern sprach er es dann doch aus: „Woher willst du wissen, ob ich ihn mag?“ Tommy stellte das Glas, Welches er um ein paar Schlucke erleichtert hatte, wieder ab. „Weil es dir auf die Stirn geschrieben steht.“ Er blickte das lilafarbene Tuch an, dass um den Kopf des Anderen gewickelt war, und grinste. „Im wahrsten Sinne des Wortes...!“ Sceanna verstand nur Bahnhof und schenkte Tommy daher nur verdutzte und verständnislose Blicke. Er begriff tatsächlich nicht, dass allein schon sein optisches Erscheinungsbild stark an hide erinnerte. Die Luft war geschwängert von dem Geruch verbrannter Marihuana-Blätter. Sprachgewirr verschiedenster Themen zog sich durch die Dunkelheit, Lichtquellen waren einzig ein paar, in den Räumen verteilte, Kerzen und eine schummrige Glühbirne im hintersten Zimmerchen. Die Flamme einer der Kerzen spiegelte sich in der immer wieder aufklappenden Klinge des Butterfly-Messers, welches Taiji im Rhythmus ständig auf- und zuschnappen ließ. Er war schon lange nicht mehr hier gewesen, in diesem verrückten Keller der irgendwie soetwas wie eine Kombination aus Kuschel- und Kifferhöhle war. Doch verändert hatte sich seit seines letzten Besuches von vor ein paar Monaten nichts; noch immer hingen hier die gleichen schrägen Vögel rum und noch immer konnte man hier gut abhängen wenn einem die Welt da oben mal wieder nicht passte. „Du wirst nicht ewig so weiter machen können.“ Ihm schräg gegenüber saß Morrie, der ihm gerade absichtlich Zigarettenqualm ins Gesicht bließ. Die deutlichen Unstimmigkeiten zwischen dem Leader der Sister's und dem Bandenältesten waren noch immer zum greifen nahe. Taiji hasste es, wenn man ihm mit solchen Gesten demonstrierte, was man gerade von ihm hielt. Er richtete seinen Blick von der Klinge auf Morrie's Gesicht, ohne seinen Kopf auch nur einen Millimeter zu bewegen. „Deine Methoden zu kämpfen beeindrucken heutzutage nicht einmal mehr ein Kleinkind. Du bist verweichlicht, Taiji. Und deine Bande wird es auch, wenn du nicht langsam mal was machst.“ Morrie schien von dem Butterfly nicht einmal ansatzweise beeindruckt zu sein. Er schenkte dem Messer nicht einmal Beachtung. Taiji's Hand schloß sich sogleich noch fester um den Griff der Waffe, behielt das gleichmäßige Ein- und Ausschnappverfahren der Klinge jedoch bei. „Ich werd' nicht so 'n Arsch wie Yoshiki“, knurrte er mißmutig. „Wenn's dir hier nich' gefällt, kannst dich verpissen.“ Morrie lachte leise und aschte kurz am dafür vorgesehenem Behältnis auf dem Tisch ab. „Du willst deinen besten Informanten loswerden? Dann kannst du gleich einpacken, Junge. Denn dann“, er lehnte sich ein Stückchen weiter vor, fixierte Taiji's Augen, „hast du nichts mehr. Deine lächerliche Messersammlung kann dich dann auch nicht mehr retten.“ Taiji musste sich beherrschen, spürte er seine Wut doch schon wieder kurz vor'm Überkochen. Aber er musste langsam lernen, sich gerade von Morrie nicht ständig so schnell auf die Palme bringen zu lassen. Auch wenn Dieser seit Neuestem scheinbar tatsächlich Probleme mit seinem Führungsstil hatte. „Was willst du, Morrie? Muss ich dir nochmal die Fresse polieren um dir zu zeigen wer hier das Sagen hat?“ „Du kannst mir noch tausend Mal Eine reinhauen. Dass du der Chef bist ändert nichts daran, dass ich immernoch erfahrener in dem Milieu bin...“ Seiner dunklen Stimme war anzuhören wie sehr er sich über diese Tatsache und Taiji's Hilflosigkeit amüsierte. Er drückte seinen Zigarettenstummel im Aschenbecher aus, seine Mundwinkel behielten das überlegene Lächeln bei. „Du willst nur das Beste für die Sister's und du willst alle beschützen. Das ist gut und das will jeder Leader“, begann er dann plötzlich. „Aber“, seine Augen fixierten wieder Taiji, diesmal jedoch ohne jeglichen Spott sondern mit ernster Eindringlichkeit, „es können nie alle beschützt werden. Irgendwer bleibt früher oder später immer auf der Strecke! Da kannst du nix gegen tun wenn du nicht selbst bei drauf gehen willst.“ Nun war es Taiji, der dem Blick nicht Stand hielt und ihn lieber wieder auf die glänzende, schlanke Klinge richtete. Es klang plausibel was Morrie ihm versuchte zu erklären – und doch weigerte sich sein Herz gegen diese Realität. Nein, er wollte nicht dass seine Bande weitere solcher Verluste wie den von Mogwai erlitt! Das durfte einfach nie wieder geschehen und eigentlich hätte selbst dieses eine Mal nicht geschehen dürfen! Morrie schien seine Gedanken zu lesen. „Das was da mit Mogwai passiert ist ist scheiße, aber normal. Sowas kommt überall mal vor und es wird nicht die letzte Leiche sein die du zu sehen bekommst.“ „Es geht mir nicht um Leichen – es geht mir darum wer die Leichen sind!“, versuchte der Jüngere sein Problem klarer dazustellen. Der Schwarzhaarige lehnte sich auf seinem Stuhl wieder zurück. „Taiji, was willst du? Willst du die Sister's anführen und ihnen Respekt verschaffen? Dann musst du ab und zu auch mal Opfer bringen. Oder willst du Mutter Theresa spielen? Dann bist du auf der Strasse nur komplett falsch.“ Falsch. Das Ein- und Ausschnappen des Messers verlangsamte sich, die Bewegungen seiner Hand waren nicht mehr so kraftvoll. Sein Blick wurde abwesend. Falsch. So fühlte er sich schon seit Jahren hier in Süd-Korea. Völlig falsch und deplatziert. Er wollte hier gar nicht her, niemand hatte ihn gefragt als seine Eltern mit ihm und seinem großen Bruder von Japan nach Süd-Korea gingen. Okay, er war damals noch ein Baby – aber was machte das für einen Unterschied? Hatte er nicht auch das Recht dort zu sein, wo er sein wollte? Wo er hingehörte? Wo er zu Hause war? Seit frühester Jugend, vielleicht sogar schon davor, empfand Taiji Süd-Korea nie als sein zu Hause. Es war der Ort an dem er wohnte, an dem er zur Schule geschickt wurde und an dem er Freunde kennen lernte. Aber es war nicht sein zu Hause, seine Heimat. Falsch. Er war in diesem Land definitiv falsch. Ob er das auf der Strasse auch war, wusste er nicht..... Sie sahen sich beide erst in letzter Sekunde, keiner hätte dem Anderen noch rechtzeitig ausweichen können. Haarscharf gingen hide und Tusk in dem dichten Menschengedränge aneinander vorbei. Ihre beider Blicke trafen sich im selben Moment und jeder starrte dem Anderen ins Gesicht. hide's nussbraune Augen weiteten sich ein kleines Stück, ebenso Tusk's Tiefschwarze. Es war wie im Film, diese eine kurze Frequenz schien eine halbe Ewigkeit anzudauern. hide sah die Rebellion, das stürmische Vorantreten, die Überzeugung und Entschlossenheit in diesen glänzenden, ebenholzfarbenen Tiefen. Tusk sah die Sehnsucht, Orientierungslosigkeit, Traurigkeit und Unsicherheit in den Seelenspiegeln des Langhaarigen. Beide gingen so nah aneinander vorbei, sie hätten nur die Hand ausstrecken müssen und sich problemlos gegenseitig berühren können, doch sie taten es nicht. Beiden Jungs schien es, als würde sich ihr Tempo drastisch verringern, doch konnten sie nicht beurteilen ob es tatsächlich so war oder reine Einbildung. 'Ich will zu ihm...ICH WILL ZU IHM!', schrie irgendetwas in hide's Innerem, doch er wusste nicht wie er diesem Verlangen nachkommen sollte. Es war so ein mächtiges Gefühl, es haute ihn fast um! Dieser unbeschreibliche Drang.....als sei Tusk ein Magnet der ihn gnadenlos anzog. Der Blonde konnte sich dagegen nicht wehren und doch...machte er keinerlei Anstalten, seiner Sehnsucht nachzugehen. Tusk konnte sie ihm im ganzen Gesicht ablesen, diese Verwirrung. Dieses hoffen, die richtige Entscheidung zu finden. Diese traurige Unzufriedenheit. Da war nicht mehr der Hass und die Abscheu, die sie noch zu Anfang ihrer Rivalität füreinander empfunden hatten. Das war alles schon längst verblasst. Tusk war das sehr wohl aufgefallen und dieser jetzige Moment bestätigte ihm das nur. Er wusste nicht was hide wollte, aber er spürte überdeutlich, dass ihn irgendwas zu ihm hinzog. Am liebsten hätte er alle Vorsicht und Bedenken über Bord geworfen und ihn einfach gefragt. 'Hey hide, was ist los mit dir? Was geht in deinem Kopf so vor?' Doch seine Lippen blieben verschlossen. Und dann war er auch schon vorbei, dieser eine, magische Moment. Jeder ging wieder seiner Wege, wie zuvor auch. Die zwei Jungs wurden wieder von den Menschenmengen um sie herum verschluckt. Keiner schaute dem Anderen nach. Jeder sah nur geradeaus. Als sei nichts geschehen, und doch war was geschehen. Tusk bog gerade um die nächste Ecke bei der Spielhalle – da wurde er auch schon grob gepackt und in Windeseile stand jemand hinter ihm, seine Hände hinter seinem Rücken fest im Griff. Der Sänger wusste auch ohne ihn gesehen zu haben, wer ihn hier gerade überfiel: Es war Pata, unschwer zu erkennen am Griff, an der Art wie er seine Handgelenke festhielt. Er hatte in der Vergangenheit schon ein paar Mal solch ungeliebte Bekanntschaften mit ihm machen dürfen. Ohne langes Zögern wurde er von ihm in eine Seitennische gezerrt die sich zwischen dem Gebäude der Spielhalle und dem benachbartem Haus befand. Pata wollte also bei irgendetwas keine Zeugen haben...das war ein schlechtes Zeichen. Ein sehr schlechtes Zeichen. Und wenige Sekunden später wusste Tusk auch warum: Eine scharfe Klinge wurde an seinen Hals gesetzt, direkt an die Kehle. „Ich sollte dich umbringen, du Bastard!“ Tusk zuckte kaum merklich zusammen; die Stimme seines Angreifers befand sich doch dichter an seinem Ohr als er es erwartet hätte. Und kaum war die Drohung verklungen, erhöhte sich der Druck der Klinge gegen seine Haut. Sie wurde schon bald verletzt, er spürte es. „Du solltest dich vielleicht mal besser um deinen blonden Kumpel kümmern, als mich hier abzuschlachten“, raunte er leise aber eindringlich. Sofort hielt Pata inne. Natürlich wusste er, dass von hide die Rede war – von wem auch sonst. Aber was meinte dieser durchgeknallte Freak damit? „Was ist mit ihm?“, knurrte er, übte keinen verstärkten Druck mehr auf die Klinge aus, behielt sie aber weiterhin an Tusk's Hals. „Das solltest du als sein Freund eigentlich besser wissen als ich.“ Dem Zotteligen war in diesen Momenten nicht wirklich klar, wie sehr er sich hier um Kopf und Kragen quatschte. Doch sein Mundwerk war seinem Verstand derzeitig voraus. Er hatte immernoch die Bilder von vorhin im Kopf, von hide's traurigen, fragenden Augen. Mit dem Jungen war einfach irgendetwas und wenn Pata wirklich so dicke mit hide sein sollte wie immer alle sagten, fragte er sich warum der Irokese seine Zeit damit verbrachte, scheinbar wahllos Andere abzumetzeln während hide todtraurig durch die Massen wandelte. „Du kleine Kanalratte...du hast ihm irgendwelche Flausen in den Kopf gesetzt...!“ Pata ertrug es nicht wie Tusk über ihn sprach – er ertrug es nicht dass er überhaupt über ihn sprach! hide gehörte nicht zu ihm! Die Klinge drückte wieder härter gegen die weiche, helle Haut und das Schlucken wurde schon unangenehm. „Ich hab kein einziges Wort mit ihm geredet – aber ihr ja anscheinend auch nicht, sonst wärst du jetzt bei ihm und könntest ihm helfen anstatt mir die Kehle durchzuschneiden.“ Tusk's Stimme klang direkt und nicht gerade eingeschüchtert. Er überlegte kurz. War es etwa möglich, dass Pata gar nicht wusste, dass hide nur wenige hundert Meter von ihnen entfernt umher wandelte.....? „Halt's Maul, Hurensohn!“, fauchte Pata mit hasserfüllter Stimme, bevor seine Hand in den schwarzen Schopf seines Opfers griff. Er sollte aufhören! Er sollte aufhören! Die Eifersucht zerfraß ihn regelrecht, jedes Mal wenn dieser verfluchte Straßenköter von seinem besten Freund sprach! Jedes Mal wenn er seinen Namen sagte...jedes Mal wenn er nur die geringste Regung von ihm erwähnte.... hide gehörte zu ihm, nicht zu Tusk! Nie! Tusk spürte wie sein Kopf mit einem Ruck nach hinten gerissen, sich seine Kehle der scheinenden Sonne völlig schutzlos presentierte und mit einem schnellen, raschen Schnitt durchtrennt wurde..... Kapitel 27: The red-haired Street Angel --------------------------------------- Die Klinge zog sich scharf durch seine Kehle, durchtrennte Diese und sorgte damit für einen schnellen, lautlosen Tod. Dachte Tusk. Doch der Tod blieb aus. Denn in Wirklichkeit hatte das Messer nur seine Haut eingeschnitten, aber bei weitem nicht tief genug um die Kehle auch nur annähernd zu verletzen. Ihm war all das noch gar nicht richtig bewusst, da wurde er auch schon kraftvoll weggestoßen und konnte nur mit Mühe und Not einen Fall verhindern. „Verpiss dich, Arschloch!!“, brüllte Pata ihn hasserfüllt an. Tusk blinzelte. Seine Hand glitt automatisch zu seinem Hals, tastete mit den Fingerspitzen vorsichtig die Verletzung ab. Sein Blick fiel auf Pata. Der stand noch immer da, mit seinem Messer in der Hand. Er überlegte kurz, ob er zum Angriff übergehen sollte. Sein eigenes Messer hatte er dabei.....und Pata hatte den Fehler gemacht, ihn komplett los zu lassen..... Doch der Verletzte zögerte noch. Sollte er wirklich einen Angriff wagen...? Er war verletzt und Pata hätte ihn noch vor wenigen Sekunden problemlos töten können. Sein Messer befand sich eingeklemmt in seinem Gürtel... - Er entschied sich dagegen. Und ihm war im ersten Moment selbst gar nicht so klar warum. Doch irgendwas in ihm hielt ihn davon ab, nach seiner eigenen Waffe zu greifen. Statt dessen begann er nun langsam, sich von Pata wegzubewegen und sich wieder durch die schmale Nische der beiden Häuser zu schummeln, jedoch nicht ohne seinen Angreifer im Auge zu behalten. Die Unterschätzung von Überaschungsangriffen war einer der tödlichsten Fehler die man auf der Strasse machen konnte. Der wutschnaubende Irokese hatte seinen funkelnden Blick regelrecht an Tusk festgetackert. Er bewegte sich keinen Schritt, doch das Messer mit der blutbefleckten Klinge hielt er noch immer kampfbereit fest im Griff. Seine ganze Körperhaltung sah noch so aus, als würde er jede Sekunde wieder angreifen wollen. Doch es geschah nicht. Seine Augen waren zwar dabei Tusk zu zerfleischen, aber er ging kein zweites Mal auf ihn los. Das fiel auch dem Zottelkopf auf, aber anstatt sich darüber großartig den Kopf zu zerbrechen sorgte er lieber dafür, dass er Selbigen heil hier raus bekam. Ein weiteres Mal in Folge wären seine Schutzengel wahrscheinlich nicht nochmal im Einsatz. Die mussten sowieso schon Überstunden schieben. Wie beschissen er auch geschlafen hatte und wie mies er auch den Krankenhausfraß fand, aber jeden Tag wenn Ryö das Zimmer betrat ging für Den die Sonne auf. Dann waren alle Unzufriedenheiten, alle Wut und alle Sorge wie auf einen Schlag verflogen. So auch an diesem Tag. Kaum öffnete sich die Tür zu seinem Zimmer und der braune Wuschelkopf schlüpfte hinein, erhob Den sich aus seiner mehr oder minder liegenden Position und hiefte sich selbst hoch, um in eine sitzende Stellung zu wechseln. Das ging zwar noch immer nicht wirklich ohne Schmerzen, doch ließ er sich das nicht anmerken. Ausserdem wollte er sich auch nicht ständig an seine Schussverletzung erinnert fühlen, viel mehr wollte er die Zeit mit Ryö genießen, denn spätestens am Abend wäre er wieder fort. „Hey!“, begrüßte Ryö ihn winkend und hüpfte eifrig auf das Bett zu um den Freund fest in die Arme schließen zu können. „Wie geht’s dir?“ „Die Ärzte haben gesagt, ich darf ab morgen auch mal raus in den Garten. Wenn ich's nich' übertreibe.“ Den war anzusehen, dass er noch nicht wieder komplett fit war und die Heilung seiner Verletzung ihm noch Kraft kostete, aber er lächelte tapfer. „Ey geil!“, freute sich Ryö für ihn und drückte ihn sofort noch fester, was ihm jedoch ein Keuchen seines Freundes einbrachte und ihn an die empfindliche Stelle am Rücken erinnerte. Also nahm er seine Arme lieber wieder ganz weg, bevor er noch mehr kaputt machte. „Ich freu mich für dich, ehrlich!“ Ryö's Lächeln war so aufrichtig wie nur das Lächeln eines besten Freundes sein konnte. „Ey, ich hab auch geile Neuigkeiten!“, begann er dann plötzlich und strahlte bis über beide Ohren. „Ich hab 'n Job! Ab morgen arbeite ich in der Schreinerei!“ Den bekam große Augen – noch Größere als er eh schon hatte. „Scheiße man, echt? Oh god, Kleiner, komm her!“ Und sofort streckte er seine Arme nach dem nur wenige Monate Jüngeren aus um ihn gratulierend an sich zu drücken. Wenn auch vorsichtig. Dass das Thema 'Schule' damit endgültig abgehakt war, darüber mussten beide nicht mehr sprechen. „Und 'ne Wohnung such ich uns auch! Ich soll in dem Laden ganz gut verdienen, dann kann ich zu Anfang auch für uns beide bezahlen, so lange bis du wieder auf die Beine kommst.“ Ryö war kaum zu bremsen in seinem jugendlichem Tatendrang. „Boah, Kleiner! Mach nicht zu viel!“, lachte Den. Es amüsierte ihn jedes Mal auf's Neue, was für eine ungeheure positive Energie sein bester Kumpel entwickeln konnte, wenn er von einer Sache überzeugt war. Dieser winkte aber nur ab. „Passt schon“, grinste er, dann wurde seine Mine jedoch schlagartig ernst. „Wenn ich dann ab morgen arbeite, kann ich aber immer erst später zu dir kommen.“ Der Patient lächelte verständnisvoll. „Is' doch kein Drama. Ich lauf hier schon nicht weg.“ Er zwinkerte. Das Zwinkern hatte regelrecht die Funktion eines umgelegten Schalters, denn sofort wandelte sich sein Gesicht wieder zu einem Strahlen. „Und dann kann ich dich auch morgen in den Garten bringen! Oh, und von deinen Eltern soll ich dich auch grüßen und von deinen Geschwistern.“ Ryö's fröhliches Geplappere war gar nicht mehr aufzuhalten und in Gedanken war er schon wieder bei ihrer zukünftigen gemeinsamen Wohnung. Seit Den hier im Krankenhaus lag war sein Verantwortungsgefühl gewachsen und seine Ziele, die zu X's Zeiten noch völlig verschwommen waren und größtenteils gar nicht existierten, wurden nun klarer und greifbarer. Er hatte plötzlich was worauf er hinarbeiten konnte und er konnte sich bei Den für dessen bisherige Fürsorge revangieren – und das tat er auch verdammt gerne. Den bewunderte ihn heimlich für seine scheinbar immer wieder neu aufblühende, positive Energie. Sein Freund, auf den er doch schon seit frühester Kinderzeit immer aufgepasst hatte, wirkte mit einem Mal so reif... So selbstständig und unaufhaltsam..... Natürlich würde ihn das aber nicht davon abhalten, auch in Zukunft auf ihn aufzupassen. Sceanna hörte die Schreie schon von Weitem. Er lauschte neugierig. Irgendetwas klang vertraut. Seine Schritte wurden automatisch schneller, er konnte den abgelegenen, sandigen Platz schon sehen. Und er sah eine Prügelei, die voll in Gange war. Morrie war da, und noch irgendein Anderer. Sceanna kannte ihn nicht, zumindest nicht von hinten. Aber es war keiner von den Sister's. Vielleicht Einer von Morrie's geheimen Informanten? Beide traten immer wieder auf jemanden am Boden Liegenden ein, beschimpften ihn, bespuckten ihn. Der Rothaarige ging noch näher heran. Er wollte wissen, wer sich da fälschlicherweise mit seinen Leuten angelegt hatte. Wahrscheinlich wieder irgendein unerfahrener Typ der dachte, Morrie und den Anderen aufmischen zu können. Oder er hatte einfach einen dummen Spruch zu viel von sich gegeben und durfte jetzt kassieren. Wahrscheinlich wieder irgendein dummer Koreaner... Einer von der Sorte die nie die Fresse halten konnten, sobald sie an einem Japaner oder Andersstämmigen vorbei gingen, der nicht zu ihrem Volk gehörte. Doch plötzlich erkannte er die Hose, die der Typ, der am Boden lag und vermöbelt wurde, trug: Eine enge, schwarze Lederhose....schlanke Beine.....das sollte doch nicht etwa...?! Sceanna näherte sich dem Ort des Geschehens noch ein weiteres Stück, diesmal jedoch bedeutend schneller. Da! Blonde Haare blitzten auf inmitten des Staubes und Drecks! Verdammt...! Die restlichen Meter rannte er. „Halt!“ Ohne lange darüber nachzudenken stürzte er sich auf Morrie, um ihn irgendwie am Weiterprügeln zu hindern. Nur war Dieser leider ein ganzes Stück größer als der Rothaarige und so schüttelte er ihn problemlos ganz schnell wieder ab. Er schien noch nicht einmal registriert zu haben wer sich ihm und seiner Aktion da gerade in den Weg stellen wollte. Er trat nur immer weiter auf den Jungen am Boden ein, lachte und beschimpfte ihn lautstark. „Deine Mutter hätte sich zwei Mal überlegen sollen, ob sie dich auf die Welt bringt!“ Sceanna wusste keinen anderen Ausweg – er warf sich vor den Blonden um die Schläge und Tritte irgendwie von ihm abhalten zu können. - Binnen weniger Sekunden erhielt er dadurch eine blutige Nase. Und das war mal ein Schneidezahn gewesen. Aber er gab nicht nach, er wollte den Anderen schützen. Morrie und sein Kumpel registrierten nicht schnell genug, was sich da gerade vor ihren Augen und Fäusten abspielte. „Sceanna, man!“, erklang es dann aber plötzlich, mit einer Mischung aus Überraschung und Aggression. „Bissu bekloppt?! Verpiss dich!“ Er musste seinen Schlägerkumpel bremsen, damit der nicht auch noch weiter auf Sceanna eindrosch. In diesen Augenblicken, als die Prügelei inne hielt, legte sich die Staubwolke langsam. Der Rothaarige hockte noch immer vor dem Verprügelten, das Blut rann ihm aus der Nase über die Oberlippe, in seiner vorderen Zahnreihe prangte plötzlich eine Lücke. Seine Augen, schmal zusammengekniffen, blitzten mit einer ungeheuren Entschlossenheit hinauf zu den beiden Älteren. Sceanna gab in diesen Momenten das Bild einer Löwenmutter ab, die ihr Junges um jeden Preis beschützte. „Lasst...ihn in Ruhe“, keuchte er mit einem drohendem Knurren. Morrie glaubte nicht was er da sah und hörte. Wollte es nicht glauben. „Sceanna?!“ Er war regelrecht sprachlos. „Hat dir wer ins Hirn geschissen, oder was? Das is' Einer von X! Bist du blind??“ Doch der Jüngere ließ sich von diesen Worten nicht im Geringsten beeindrucken, ganz im Gegenteil: Er blieb bei seiner Aufforderung. „Lasst ihn in Ruhe...!“ Das eigentliche Opfer spürte irgendwann, dass die Schläge und Tritte nachgelassen hatten und plötzlich niemand mehr auf ihn eindrosch. hide blinzelte. Sollte er sich tot stellen? Nur um sicher zu gehen, dass die Zwei auch wirklich nicht noch weiter auf ihn eintraten...? Aber andererseits war er auch neugierig was der Grund für das abrupte Ende des ungleichen Kampfes war. Also entschloss er sich doch dazu, seinen geschundenen Oberkörper mühevoll hochzuhiefen. Vor ihm kniete jemand, hatte ihm den Rücken zugewand. Doch dann hörte er ihn plötzlich sprechen....und er erkannte diese Stimme.....! hide's Augen weiteten sich. Das konnte doch nicht möglich sein! Sein Herz begann wie wild zu pochen, als würde der Kampf wieder weiter gehen. Der kleine Rothaarige hatte dafür gesorgt, dass die anderen Zwei von ihm abließen? Aber der gehörte doch mit zu denen! Er verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte das sein? Wie konnte einer von den Sister's ihn retten wollen? Indessen packte Morrie den Rotschopf am Kragen seines T-Shirts und wollte ihn hochziehen, doch Sceanna machte sich absichtlich schwer. „Hör zu, Kleiner! Ich glaube nicht, dass Taiji es so geil finden wird zu erfahren, dass du zum Feind überläufst“, zischte er im scharfen Ton. „Wenn dir also dein Leben und deine Gesundheit was wert ist, solltest du dich ganz schnell verpissen.“ hide stutzte. Zum Feind überlaufen....genau das hatte ihm Pata doch auch schonmal vorgeworfen.... Dass er die Seiten wechseln würde.... Er musterte die roten, langen Haare und das helle, übergroße Shirt seines Beschützers. Sollte es möglich sein....? Sollte es tatsächlich möglich sein, dass Sceanna gerade Zoff mit den eigenen Reihen riskierte weil ihm etwas an ihm lag....? Warum hatte er sich sonst dazwischen geworfen? Aber...warum....? Warum sollte der Kleine Sympathien für ihn hegen? Er hatte doch nie etwas für ihn getan, geschweige denn sonst irgendwas was ihn hätte beeindrucken können.... Er fühlte sich an sich selbst erinnert und musste an Tusk denken. Tusk hatte ihn mit der Verwirklichung seiner Träume beeindruckt. Aber was mochte Sceanna's Grund gewesen sein...? Doch riss genau dessen Stimme ihn nun wieder aus seinen Gedanken raus. „Taiji würde mich nicht umbringen.“ Und er setzte noch Einen drauf. „Taiji würde niemanden wegen soetwas umbringen. Das weißt du.“ Morrie's Blick bohrte sich bedrohlich tief in die Augen des Jüngeren. Seine Faust hatte den Stoff des Shirts noch immer fest im Griff. „Wozu Taiji nicht in der Lage ist, habe ich keine Probleme mit.“ Sceanna's Hirn brauchte einige Sekunden um zu checken, was diese Drohung zu bedeuten hatte. Doch auch dann noch hielt er dem Blick des Älteren stand. „Dann wirst du mich töten müssen. Denn ich werde ihn euch nicht mehr überlassen.“ Seine Stimme war gedämpft, besaß aber die Schärfe und Überzeugung die er normalerweise nur bei Drohungen gegenüber Feinden anwand. hide schluckte. Warum nur wollte der Kleine sein Leben für ihn opfern? Warum? Morrie funkelte Sceanna noch einige Momente lang an, dann ließ er ihn los. Sein Blick wandelte sich in Verachtung. „Du bist 'n Weichei, Sceanna. Ihr verweichlicht alle unter Taiji's Führung, ich hab's doch gewusst.“ Dann wand er sich von den zwei am Boden Hockenden ab, nahm seinen Kumpel und zog von Dannen. Sceanna saß noch eine ganze Weile nur so da, sah den zwei Jungs nach. Sein Brustkorb hob und senkte sich im Rhythmus seiner Atmung, seine Augenlider schlossen sich gelegentlich kurzzeitig, ansonsten bewegte er sich nicht. Ihm war bewusst, zu was für einen Schritt er sich gerade mit seiner Aktion gewagt hatte. Er hatte gehandelt noch bevor ihm die Tragweite seines Tuns vollständig klar war. Doch er bereute es nicht. Er wusste, was er soeben getan hatte würde Folgen mit sich bringen. Aber er stand dazu. „Was soll das?“ Das heisere Krächzen hinter ihn ließ Sceanna aus seinen Gedanken wieder hochschrecken. Er drehte sich um. Musterte hide. Und konnte sich den Anflug eines kleinen Lächelns nicht verkneifen. „Du sahst so aus als hättest du Hilfe gebraucht“, war die fast schon zu unschuldige Antwort. hide's Augen waren erschöpft, doch behielten sie ihren Blick auf Sceanna bei. „Warum tust du das? Wir sind Feinde.“ Aus seiner Stimme sprach die Erschöpfung. Nun wand sich ihm der Jüngere mit seinem ganzen Körper zu. „Zwei gegen Einen ist unfair. Hab ich von Taiji gelernt.“ Er wich aus. hide fixierte dessen Blick. „Für Yoshiki hättest du das aber nicht getan. Oder für Toshi“, erkannte er richtig. Der Jüngere wurde schwach, senkte seinen Blick als hide's Augen ihn regelrecht zu scannen schienen. „Von denen wäre auch niemand in so 'ne Situation gekommen, die sind doch nie alleine unterwegs“, nuschelte er.Verdammt, sein Herz pochte viel zu schnell. Hoffentlich hörte man ihm das nicht an der Stimme an. Er hob wieder den Blick, doch die Unsicherheit in Selbigem bekam er nicht ganz kaschiert. „Ausserdem seid ihr doch mit viel besseren Waffen ausgestattet...“ Was dieser Spruch sollte, wusste er im nächsten Moment selbst nicht mehr. Dass der Kleine sichtlich in Erklärungsnot geriet, blieb ihm nun auch nicht mehr verborgen. Der Blonde griff mit seiner rechten Hand (das Handgelenk seiner Linken fühlte sich irgendwie seltsam an) nach Sceanna's Unterarm. Er wollte eine Erklärung von ihm haben. „Warum, Sceanna? Ich war einer von denen die damals auf Kenzy eingetreten haben. Warum hilfst du mir jetzt?“ Er mobilisierte all seine noch zur Verfügung stehenden Kräfte, um seine Stimme so eindringlich wie möglich klingen zu lassen. Sceanna's Herz sprang ihm fast aus dem Brustkorb, als er hide's Hand zu spüren bekam. Er starrte angestrengt auf den sandigen Boden dicht neben dem Verletzten, durchkramte seinen Kopf nach irgendeiner halbwegs passenden Antwort. Doch er fand Keine. Keine die ihn nicht sofort verraten würde. „Du brauchst 'nen Arzt.“ Ablenkung war die einzige Flucht. Es brauchte tatsächlich diese Bemerkung um hide über seine körperlichen Schmerzen bewusst werden zu lassen. Er war bis eben noch viel zu irritiert gewesen durch Sceanna's Einsatz, dass er die Schmerzen fast vergessen hatte. Doch nun setzten sie wieder wie ein mächtiger Faustschlag ein, alle auf einmal natürlich. Sein Oberkörper tat weh und es würde ihn nicht einmal wundern wenn seine Rippen was abbekommen hätten. Sein linkes Handgelenk fühlte sich schon die ganze Zeit so komisch an, vielleicht verstaucht oder gebrochen. Seinen Beinen ging es wohl noch mit am besten, obwohl er sich bis jetzt noch nicht aufgerichtet hatte. Die diversen Abschürfungen, Blutungen und blauen Flecken waren bei allem das geringste Übel, auch wenn sie am eindrucksvollsten aussahen. „Ich helf' dir hoch, komm“, meinte Sceanna als er selbst aufstand und hide eine Hand reichte, während sich sein anderer Arm darum kümmerte ihn zu stützen. „Glaubst du, dein Freund fände das gut was du hier gerade machst?“, hakte er nach und sprach damit auf Morrie an. „Jemand der mir droht mich umzubringen, ist nicht mein Freund“, lautete die kühle Antwort. Und bei diesen Worten tat sich irgendwas in hide's Kopf. Er wusste selbst nicht genau was es war, aber es schien so als hätte irgendjemand einen Schalter umgelegt. Als hätte ihm jemand die Definition von 'Freund' neu erklärt. Dennoch musste er einsehen, dass er von Sceanna im Moment nicht die Erklärung erhalten würde, auf die er so scharf war. Da er ihn aber auch nicht verjagen wollte, nahm er dessen Hilfe nun kommentarlos an. Wer wusste, wann man das nächste Mal die Gelegenheit bekäme, alleine mit ihm zu reden. Kapitel 28: pull the trigger ---------------------------- Die Ascheflocken rieselten lautlos zu Boden. Den noch vorhandenen Teil der brennenden Zigarette führte Yoshiki hingegen wieder zu seinen Lippen, um einen weiteren Zug zu nehmen. Den Rauch, den er inhalierte, stieß er nur wenige Sekunden später wieder aus. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. In die Ferne, in der er letztenendes doch nix sah. Wie sollte es nur weiter gehen...? Mit X, mit dem einzigen Halt den er in diesem verrückten Leben noch hatte....? Toshi hatte sich bei ihm nicht mehr blicken lassen, seit der Vorfall mit Den passiert war. Und jedes Mal wenn Yoshiki versucht hatte den Blonden zu Hause oder bei einem ihrer Treffpunkte zu erreichen, war er nie da. Von anderen Leuten hatte er gehört, Toshi sei mit irgendwelchen Typen gesehen worden die er nicht kannte. Alleine mit Fremden..... Yoshiki schmeckte diese Vorstellung nicht. Was hatte sein bester Freund nur vor? Wenn er überhaupt noch sein bester Freund war.... Er kam ins Zweifeln. 'Wir brauchen neue Leute', hatte er gesagt. X würde verweichlichen... Wie konnte Toshi soetwas nur behaupten...? Seine Fingerspitzen spielten an dem herabbrennenden Zigarettenstummel, der weit aus dem Fenster der alten Rohbauruine gehalten wurde, an welches sich Yoshiki gesetzt hatte. Dieses Haus wurde nie fertig gebaut, die Baustelle vereinsamte, kaum dass die Grundmauern standen. Irgendwas war geschehen und hatte den weiteren Bauvorgang gestoppt, alle Beteiligten waren abgezogen und ließen den hässlichen, grauen Kasten mit den leeren Fensteröffnungen alleine zurück. Genau so fühlte sich auch der Anführer von X. Im Stich gelassen, einsam. Gottverflucht, sollte es mit X wirklich genau so enden wie mit diesem unfertigem Haus? Sollte X sich auflösen noch bevor sie überhaupt ihre Glanzzeiten erreicht hatten? Er hatte doch alles dran gesetzt, hatte alles dafür gegeben dass X immer größer und besser wurden, immer mehr Einfluß auf der Strasse bekamen und genügend Respekt erhielten, um die kleineren Banden zu untergraben. Und dann? Was war da plötzlich schief gelaufen....? Warum wurde Einer von ihnen plötzlich umgebracht, warum wollten die Jungs X plötzlich verlassen? X, ihr zu Hause...? Yoshiki nahm einen letzten Zug des Tabakstummels und schnipste ihn von sich, überließ ihn der mehrstöckigen Tiefe unter sich. Er lehnte seinen Kopf zurück, bis Dieser den Betonfensterrahmen als Lehne gefunden hatte. Seine Augen schlossen sich. Der frühsommerliche Abendwind wehte ihm in sanften Brisen um die Nase. Es konnte nicht einfach aus und vorbei sein. Nein, nicht mit X....nicht mit dem woran alles hing. Was sollte er denn ohne seine Anhängerschaft noch machen...? Seinen Schulabschluss nachholen und arbeiten gehen? Auf gar keinen Fall! So wollte er nicht enden, nein! Nicht als gebrochener Ex-Anführer der dem Leben klein bei geben sollte. Nie! Das hatte er sich geschworen, egal was auch immer noch alles passieren sollte, aber ein kleinbürgerliches Spießerleben würde er niemals annehmen! Lieber schmiss er sich vor den nächsten vorbeifahrenden Zug. Es war so still hier, so friedlich. Ausser Toshi gab es noch hide und Pata. Aber Pata war schon seit einiger Zeit so komisch drauf. Als ob irgendwas vorgefallen war wovon er selbst nix mitbekommen hatte. Und hide....ja, eigentlich war hide der Einzige der noch zu ihm stand. Der Einzige der sich noch normal verhielt. Der Einzige.....es waren mal Sechs gewesen. Yoshiki seufzte kaum hörbar. Wo waren diese Zeiten so plötzlich hin? Wo waren sie geblieben, die Tage der Gemeinsamkeit, der Zugehörigkeit? Wer hatte sie ihm gestohlen und wie bekam er sie zurück? Es war als ronn ihm X wie Sand durch die Finger..... Wie Sand den er verzweifelt versuchte wieder aufzufangen, was ihm aber selbst bei größter Anstrengung nicht gelang...... Er ronn immer weiter, bis irgendwann nichts mehr übrig sein würde.... Es war schon das dritte Glas Whiskey das den Weg zu seinen Lippen fand. Doch äusserlich sah man Pata seinen Alkoholkonsum dieses Abends nicht an. Völlig gerade, wenn auch etwas in sich eingesackt, saß er auf dem Barhocker und ließ die betäubende Flüssigkeit durch seine Kehle fließen. Was hatte ihn in dem Moment nur geritten, als er Tusk laufen ließ? Diese Frage hatte er sich schon seit dem ersten Glas gestellt. Und die Antwort schwirrte seit genau dem gleichen Zeitpunkt in seinem Kopf herum. Wegen hide. Alles nur wegen hide. So sehr sein Herz sich auch gegen die Tatsache sträuben wollte, dass Tusk hide am Selbigen lag – sein Verstand hatte das schon längst erkannt. Auch wenn es bitter war. Pata konnte es nicht verstehen, konnte nicht nachvollziehen was sein bester Freund an diesem Kerl nur fand. Aber hätte er Tusk tatsächlich getötet, hätte er damit unwillkürlich auch hide Schmerzen zugefügt und das wollte er nicht. Nicht mehr als er es eh schon getan hatte.... Er fuhr sich mit einer Hand durch's Haar, griff dann wieder zum Glas und tankte nach. Tusk verdankte nur hide sein Leben. Ob er ihn aber auch in Zukunft stets verschonte, darüber war Pata sich noch nicht ganz im Klaren. Wenigstens ihn ordentlich zu verprügeln, ihm ein paar Knochen brechen, ja, darauf hätte er ungemeine Lust. Seinen Frust, seine Wut an ihm abreagieren. Der Typ hatte so schiefe Zähne, da würde es doch gar nicht auffallen wenn er ihm ein Paar rausschlug. Pata grinste bitter. Irgendwie musste man sich den restlichen Abend ja schön reden. Völlig in seiner kleinen Welt aus Hass, Ablehnung, Wut und Eifersucht versunken, bekam er auch gar nicht mit wer soeben die schlecht ausgeläuchtete Kneipe betreten hatte. Das registrierte er erst als sich dieser jemand direkt neben ihn an die Bar setzte und ein Glas Soju bestellte. Pata kannte diese Stimme, diese Tonlage in der er die, und zwar genau die, Bestellung aufgab. Er wand seinen Kopf zur Seite und erblickte hide. Seinen besten Freund. Mit einer netten Sammlung von Blutergüssen und Schürfwunden im Gesicht. Er war sich hundertprozentig sicher, dass er ihm diese Verletzungen bei ihrem letzten Zusammentreffen nicht verpasst hatte. „hide...“ Der Blonde sah Pata an. Ohne Scheu, ohne Vorwurf, nur irgendwie müde. Er hatte keine Angst vor ihm, auch nicht davor, dass er wieder ausrasten und ihn womöglich nochmal schlagen könnte. Es war Pata, der da neben ihm saß. Und es war das erste Mal, dass sie sich wieder sahen, seit er ihm den Schlag verpasst hatte. „Hey....“ Ganz simpel, ganz einfach. Eine Begrüßung, als sei nie irgendwas zwischen den beiden vorgefallen. Nur etwas erschöpft klang er. Pata musterte ihn. „Was is' mit dir passiert?“ Der Junge sah wirklich nicht gut aus.... Sein linkes Handgelenk zierte ein weißer Verband und auch oberhalb der Brust meinte er, knapp über dem ausgeleiertem, weiten Ausschnitts des Shirts soetwas wie einen Verband zu erkennen. Auf der Stirn prangte ein unübersehbahres, fettes Pflaster. Und überall diese blutverkrusteten Schürfwunden und blauen und lilanen Flecke...an den Händen, im Gesicht, sogar am Hals... hide machte eine knappe, wegwerfende Handbewegung, als seien seine Verletzungen nicht der Rede wert. „Kleine Prügelei mit den Sister's.“ Sein Soju kam und er nahm den ersten, großen Schluck. Pata traf es innerlich wie ein Schlag. Abgesehen davon, dass er hide das 'klein' nicht abnahm, aber....die Sister's... Seine Hand, mit der er sich am Whiskeyglas festhielt, verkrampfte sich. Finstere Wut kroch rasendschnell wieder in ihm hoch. Diese Dreckstruppe hatte hide vermöbelt und er selbst hatte noch Gnade mit Tusk gehabt...? …..hätte er ihn nur abgemetzelt...! Hätte er ihm nicht nur die Kehle durchgeschnitten sondern auch noch gleich das Gesicht unkenntlich gemacht...! Oder am allerbesten Arme und Beine abgetrennt! Wobei er für Letzteres nicht das passende Werkzeug dabei gehabt hätte. Gottverdammt, wie verfluchte er sich doch in diesen Momenten dafür, es nicht getan zu haben! Er hatte tatsächlich mal mit einem Opfer Gnade gezeigt, was er normalerweise nie tat und der Dank dafür war, dass diese Flachwichser seinen Freund verprügelten?? Das konnte nicht sein! Das durfte nicht sein! Sie würden dafür bluten, sie würden dafür bezahlen! Pata hob das Glas, schüttete sich die letzten Schlucke Alkohol übereifrig in den Rachen und stellte das durchsichtige Gefäß mit einer unüberhörbaren Wucht zurück auf den Tresen, dass der junge Aushilfskellner schon leicht erschrocken in seine Richtung schaute. Dann stand er auf. „Hab noch was zu erledigen“, nuschelte er und wand sich dem Ausgang zu. hide sah ihm verblüfft hinterher. Was sollte das nun wieder? Ging er wegen ihm? Wollte er ihm aus dem Weg gehen? Er war froh, Pata endlich gefunden zu haben und er hatte ihm gegenüber nicht den kleinsten Vorwurf rausgebracht – und doch verließ er ihn so rasch wieder? hide konnte in diesen Momenten seine Enttäuschung nicht leugnen. „Hey...wo willst du hin?“, fragte er ihn noch um wenigstens zu wissen, wo er ihn finden konnte wenn er sich hier ausreichend selbst abgefüllt hatte und höchstwahrscheinlich stockbesoffen aus dem Laden torkelte. „Yoshiki“, lautete die knappe Antwort. Er hob kurz die Hand zu einem angedeutetem Winken zum Abschied, doch er drehte sich dabei noch nicht einmal dem Älteren zu. hide blieb allein zurück. Abermals. Er starrte auf sein halb leeres Soju-Glas, als Pata den Laden verlassen hatte. Jemand, von dem er es nicht erwartet hatte, kehrte ihm mehr und mehr den Rücken zu und jemand, von dem er es ebenfalls nicht erwartet hatte, tat genau das Gegenteil. Ein seltsamer Tag heute. Er leerte die noch vorhandene Hälfte des Trinkgefäßes und bestellte sich sofort ein Neues, kaum dass der letzte Tropfen durch seinen Hals floss. Es war bereits der zweite Tag, an dem Den raus in den Garten des Krankenhauses durfte und trotzdem hasste er diesen Rollstuhl noch genauso wie am Tag zuvor. Er wollte sich einfach nicht an dieses Gefährt auf vier Rädern gewöhnen und würde Ryö Diesen nicht schieben, wäre er schon längst aufgesprungen und hätte darauf bestanden, den Weg zu Fuß zu beschreiten. Doch seines Freundes zu Liebe versuchte er sich zu beherrschen. Es war ein schöner Tag, die Luft war klar und warm, der Himmel blau und nur kleine, vereinzelte Wattewölkchen zogen an Ihm entlang. Der Garten war schon fast ein Park, groß und in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt. Es gab unheimlich viel Grün und Den hatte die Natur bisher selten so genossen wie in diesen Momenten. Ryö steuerte eine Holzbank neben einem großen, mächtigen Baum an. Kaum hatte er Diesen erreicht, parkte er den Rollstuhl und war drauf und dran, Den aus Selbigen raus zu helfen. Der Schwarzhaarige winkte jedoch ab. „Das kann ich alleine, Kleiner.“ Er zwinkerte ihm zu um seine Bemerkung nicht zu abweisend klingen zu lassen. „Sie ha'm mir in den Rücken geschossen, nicht in die Beine.“ Es bereitete ihm zwar noch Schmerzen sich gerade aufzurichten, aber die nahm er gerne in Kauf wenn er ein paar weitere schöne Stunden mit Ryö verbringen konnte, solange er noch Patient in diesem Krankenhaus war. Bald schon saß er, mit einem weichen Kissen im Rücken, auf der Bank, Ryö dicht neben sich. „Sag mal....du weißt nicht wer eigentlich auf dich geschossen hat, oder...?“, fragte Dieser nach einiger Zeit des Schweigens, in der ihrer beider Blicke durch den Garten geschweift waren und zwei Gärtnern beim Anlegen eines neuen Beetes zusahen. „Mh-mh“, verneinte Den, ohne seinen Blick vom Himmel abzuwenden, in Welchen er jetzt am liebsten eintauchen würde. Dieses Blau....dieses endlose Blau.....so rein und tief.... Sie sah so schön aus, diese Farbe. „Aber es is' mir auch egal...“ Ryö blinzelte irritiert. Hatte er das gerade tatsächlich gesagt? Das klang ja mal so gar nicht nach seinem alten Kumpel. Er hatte damit gerechnet, dass Den früher oder später auf Rache sannen würde, dass er unbedingt rauskriegen wollen würde wer ihm das angetan, wer ihm fast sein Leben genommen hatte. „Du...willst es gar nicht wissen?“, hakte er nochmal vorsichtshalber nach. „Weißt du es denn?“, lautete die gelassene Gegenfrage. „Nein! Natürlich nicht! Sonst hätte ich's dir doch schon längst gesagt.“ Den wand seinen Kopf nun doch vom Himmel ab und blickte Ryö an. „Weißt du, ich bin einfach nur froh, dass ich noch lebe...“ Er zögerte kurz. „Hätte nämlich auch anders kommen können.“ Er musste kurz an den seltsamen Traum denken, den er zwischen dem Schuss und seinem Erwachen im Krankenhaus gehabt hatte. Ryö nickte nur brav. Er bemühte sich, Den's Ansichten zu teilen, doch ganz konnte er seine Irritation wohl nicht verbergen. Den strich ihm mit dem Finger zärtlich über die Wange. „Ich bin so froh, dass ich dich habe.“ Die Worte klangen so dankbar aus seinem Mund. Er legte einen Arm um Ryö's Schultern, zog ihn sanft etwas dichter an sich ran und gab ihm einen Kuss auf die Haare. Ryö verspürte ein ganz leichtes Kribbeln um sein Herz herum als er den Kuss empfing. Er mochte die Gesten, die Den ihm immer gab um seine Freundschaft zu symbolisieren. Oder was auch immer das war was sie verband. Vielleicht war es neben Freundschaft auch noch irgendetwas anderes, wen kümmerte das schon. Wichtig war nur, wie Den schon sagte, dass sie sich gegenseitig hatten. „Und ich bin auch froh, dass wir bei X ausgestiegen sind.“ Das verblüffte Ryö nun aber wirklich! Er hatte immer angenommen, Den würde das nur ihm zu Liebe tun aber nicht aus eigenen Beweggründen. „Aber...ich dachte immer...du wolltest eigentlich bleiben“, stotterte der Braunhaarige und sah ihn mit fast kindlich naiven Augen an. Den grinste. Es war so ein typisches Grinsen. „Ganz zu Anfang ja...aber ich hab gemerkt was du für Bedenken hattest und dass du dir immer mehr Sorgen gemacht hast“, gestand er und ließ den Blick nun über das saftig grüne Gras schweifen. Warum hatte ihm noch niemand gesagt, dass Gras so schön aussehen konnte? So frisch und so lebensbejahend? „Dann bereust du es nicht?“, wollte der Jüngere von beiden wissen. Den wuschelte ihm daraufhin nur kurz lachend durch die Haare. „Wie könnte ich es je bereuen, deinem Weg zu folgen?“ Das strahlende Lächeln, was sich ihm daraufhin offenbarte, war so wunderschön und mit eines der schönsten Dinge, die er je in seinem Leben gesehen hatte. Es dauerte fast eine Woche bis es X gelang, Taiji alleine abzufangen. Tommy, der oftmals mit Taiji zusammen war, wäre zwar keine große Bedrohung gewesen, aber Yoshiki legte in diesem Falle besonders viel Wert auf den Psychoterror; er wollte nicht nur hide sich rächen lassen, er wollte ausserdem seinem Erzfeind das Gefühl zu spüren geben wie es ist, komplett alleine da zu stehen...alleine und verlassen, in der Unterzahl und zum verlieren verurteilt. Er ging kaum an dem alten, verlassenem Gebäude am Autofriedhof vorbei, da schossen auch schon zwei Arme auf ihn zu und hatten ihn in Windeseile fest im Griff: Der Eine schlang sich wie eine Würgeschlange um seinen Hals, die Hand des Anderen hielt eine schussbereite Pistole, deren Lauf gegen seine Schläfe gepresst wurde. Taiji keuchte schmerzvoll auf. „Arschloch!“, brachte er mühevoll hervor bevor er auch schon mutwillig mitgeschliffen wurde. „Maul, Sackgesicht!“, fauchte Yoshiki nur zurück, der regelrecht kurz davor war den Lauf seiner 44er Colt Army in Taiji's Schädel zu bohren. „Aber du wirst eh noch früh genug zum schweigen gebracht...für immer“, fügte er grinsend hinzu und genoss seine Macht wie schon lange nicht mehr. Taiji verrenkte sich halb die Augäpfel um Yoshiki's Hand an der Pistole zu sehen. Er hielt sie komisch. Das war ihm schon von Anfang an aufgefallen, seit er ihn das erste Mal mit so 'nem Ding hat rumlaufen sehen. Er hielt die Kanone irgendwie seltsam...als wenn er nicht wüsste wie man sie richtig hielt. Sie lag viel zu locker in seiner Hand. Diese Tatsache nutzte der Sister's Anführer jedoch zu seinem Vorteil und in einem günstigen Moment ging er plötzlich ansatzweise in die Knie um seine Körpergröße zu verringern und schlug Yoshiki die Waffe mit einer gekonnten Bewegung aus der Hand. Dass der Schuss, der sich dabei löste, Taiji nur um sprichwörtlich Haaresbreite verfehlte, spürte Dieser an dem Luftzug der seine blondbraune Lockenmähne streifte. Die 44er fiel in einigen Metern Entfernung in den staubtrockenen Sand. „Bastard!!“, keifte Yoshiki erzürnt, hatte jedoch noch in der selben Sekunde seine Zweitwaffe, einen kleinen aber regelmäßig geschärften Dolch, in der Hand. Taiji war nach dieser Aktion leider nicht mehr ganz so schnell und so wich er Yoshiki's Knie nicht rechtzeitig aus, dass sich daraufhin tief in seine Magengrube rammte. Der Lockenkopf wollte laut aufschreien, doch der Schmerz war so überwältigend, dass ihm in den ersten Momenten tatsächlich die Luft weg blieb. Er krümmte sich zusammen und fiel letztendlich zu Boden, wo er nochmals zwei Tritte von Yoshiki's schweren Stiefeln in seine Magengegend kassieren durfte. So heftig hatte X's Leader ihn schon lange nicht mehr erwischt. Der Schmerz zog sich durch seinen gesamten Oberkörper und hatte ihn voll im Griff. Trotz allem ließ es sich Yoshiki nicht nehmen, seinen unbeliebten Gegner noch kampfunfähiger zu machen und rammte ihm ordentlich die Klinge seines Dolches in den Schenkel. Das brachte Taiji seine Stimme wieder und er stieß einen fürchterlichen Schmerzensschrei aus der sich über den gesamten Autofriedhof zog. Yoshiki jedoch stand nur breitbeinig und grinsend über seinem Opfer und sah zufrieden auf ihn herab. „hide“, brüllte er dann plötzlich, „dein Auftritt!“ Taiji's Hirn war zu sehr mit Schmerzen vernebelt als dass er diese Worte, die da plötzlich ausgerufen wurden, sinnvoll zusammen hätte puzzlen können um deren Inhalt zu verstehen. Was er jedoch realisierte, als er seine vor Schmerzen zugekniffenen Augen zwischenzeitlich mal öffnete, war der schmale Junge mit der Zimmerpflanzenfrisur, der mit gezückter und frontal auf ihn gerichteter Waffe langsam auf ihn zu ging. Irgendwo, von einer anderen Seite aus, gesellte sich dann auch noch Pata zu seinem Freund. Was war das hier nur gerade für ein Alptraum, ging es Taiji immer wieder durch den Kopf. Was hatten die Drei mit ihm vor – oder kämen gleich noch mehr aus ihren Verstecken rausgekrochen? Lag es Yoshiki gar nicht daran ihn umzubringen? Warum sonst hörte Dieser plötzlich damit auf ihn weiter fertig zu machen, jetzt, wo er blutend und schmerzhaft verletzt am Boden lag? hide hielt die Waffe anfänglich noch mit beiden Händen, als er auf der Bildfläche auftauchte und mit langsamen aber zielsicheren Schritten auf Taiji zusteuerte, ließ die linke Hand dann jedoch bald schon sinken und hielt seine Pistole nur noch mit rechts. Den Verband um sein Handgelenk hatte er schon vor Tagen wieder entfernt, er wollte nicht dass man seine Schwächen so deutlich erkennen konnte. Doch es fühlte sich nach wie vor nicht wirklich wieder gut an. Yoshiki's Grinsen wurde immer breiter. Er schaute hide an. „Hier hast du ihn!“, rief er laut, als müsse er ihm ihn präsentieren. „Erschieß ihn!“ Taiji gefror das Blut in den Adern. hide sollte ihn töten? Ausgerechnet hide? Warum er? War Yoshiki bisher nicht immer scharf drauf gewesen, ihn höchstpersönlich zur Strecke zu bringen? Was lief hier? Was war der Hintergrund für diesen Umweg? hide befand sich mittlerweile nur noch wenige Schritte von seinem Boss und seinem vermeintlichem Opfer entfernt. Den Lauf immernoch auf Taiji's Kopf gerichtet. Seine Mine war wie versteinert, zeigte nicht die geringste Emotion. Hier und jetzt konnte er alles beenden.... Es waren die Sister's die seinen kleinen Bruder entführt hatten (auch wenn er ziemlich schnell wieder zurück gebracht wurde). Es waren die Sister's die ihn vor einigen Tagen an ihrer Reviergrenze überfallen und niedergeprügelt hatten (auch wenn Einer von ihnen ihm als offizielles Mitglied nicht bekannt war). Jetzt hatte er den Kopf ihrer Erzfeinde direkt vor sich, hatte eine geladene Waffe und den Finger am Abzug. Er brauchte nur eine winzige Bewegung zu machen, brauchte nur abzudrücken, und diese Drecksbande hätte keinen Anführer mehr. Für wie viel von seinem Leid aus den letzten Wochen, aus den letzten Monaten mochte dieser Kerl verantwortlich sein? Und er könnte ihm jetzt alles heim zahlen, mit nur einem Schuss. Er sah Taiji in die rehbraunen, vor Schmerz glasig gewordenen Augen. Er sah die Verwirrung und das nicht verstehen in seinem Gesicht. Er sah die Hilflosigkeit und Schwäche an seinem ganzen Körper. 'Zwei gegen Einen ist unfair. Hab ich von Taiji gelernt.' Sceanna's Stimme schoss ihm durch den Kopf. Und er hatte keine Ahnung, warum es ausgerechnet dieser Satz war. „Nun schieß doch endlich“, drängte Pata, der schräg hinter hide stand. Die Atmung des Opfers wurde plötzlich ruhiger, verlor den hektischen Rhythmus. Der Schmerz aus seinem Brustkorb zog sich ganz langsam wieder zurück. Sein Bein pochte. Waren das jetzt also tatsächlich seine letzten Lebenssekunden? Die letzten Momente bevor er starb? Ohne vorher auch nur noch ein Mal seine Heimat Japan gesehen zu haben? „hide, mach! Er kann dir nichts mehr tun! Er wird dir nie wieder etwas tun! Jetzt jag ihm schon das Blei in den Schädel!“ Yoshiki stachelte seinen blonden Schützling an. Wollte endlich die Leiche zu seinen Füßen liegen haben. „Tu es“, kam es auch abermals wieder von Pata der nicht verstand, weshalb hide noch zögerte. Günstiger konnte es nicht mehr kommen, warum erledigte er ihn nicht einfach? hide's eiskalte und emotionslose Augen starrten immer noch auf Taiji. Auf den Kerl der sich scheinbar nie brechen ließ und jetzt so hilflos am Boden lag wie ein kleines Schäfchen. Wehrlos. Alleine. Verloren. Er drückte ab. Ein gellender Schrei tönte über den verlassenen Schrottplatz. Doch entsprang dieser Schrei nicht Taiji's Kehle, sondern Yoshiki's. Denn ihn hatte die Kugel getroffen. Kapitel 29: new world, new life ------------------------------- Der Lauf hatte die Kugel abgefeuert. Sie hatte ein anderes Opfer getroffen als ursprünglich geplant war. Der Einzige, der das gewusst zu haben schien, war der Schütze selbst. In hide's Gesicht gab es kein Zucken, keine Emotion. Als ginge ihn das alles gar nichts an, blickte er hinab auf das was er angerichtet hatte. Sein Boss war zusammengebrochen und hielt sich unter Gejaule und Schmerzensschreie die blutende Schulter. Der rote Saft quoll ihm über die hellen Finger. hide wand sich diesem Szenario ab und entfernte sich mit sicheren, gleichmäßigen Schritten. Parallel dazu öffnete er, ohne hinzusehen, die Revolvertrommel seiner Webley und ließ die übrigen fünf Patronen ungeachtet auf den Boden fallen. Anschließend folgte ihnen auch die Waffe selbst. Der Blondschopf verließ den Schrottplatz, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Nicht einmal Pata schenkte er noch Beachtung. Er ging einfach fort. Zurück blieben ein verdutzter Taiji, ein noch verdutzterer Pata und ein wimmernder und sich vor Schmerzen krümmender Yoshiki. Der Schuss hatte ihn ohne Umwege mitten in der Schulter getroffen und die Schmerzen zogen sich durch seinen gesamten Arm bis hin zur Brust. Noch nie wurde er angeschossen und die Schmerzen, die er gerade durchlitt, hatte er sich auch noch nie vorzustellen gewagt. Ebensowenig wie die Möglichkeit, von einem seiner besten Kämpfer angegriffen zu werden. Von hide. hide hatte auf ihn geschossen. Diese Tatsache war viel zu unerwartet gekommen und verstörte ihn zu sehr, als dass sein Hirn das wirklich realisieren konnte. Pata stand da wie vom Donner gerührt. Blickte hide nach, der den Gehweg entlang ging als sei nichts gewesen. ….was war da gerade vor seinen Augen abgegangen....? Und es war vor seinen Augen passiert, nicht vor seinem inneren Auge. Sein bester Freund hatte....aber das konnte doch gar nicht sein?! „HIDE!“ Doch der gebrüllte Name brachte ihm auch keine Antworten auf seine Fragen. Als hide in der Ferne immer kleiner wurde, drehte er sich zurück und blickte auf Yoshiki, der da jammernd auf dem Boden saß. Der ebenfalls verletzte Taiji saß dicht neben ihm, beugte sich nun sogar vor um die Schusswunde zu begutachten. Taiji griff nach Yoshiki's inzwischen völlig blutbesudelter Hand und drückte sie beiseite, anschließend schob er den Shirtärmel mehr oder minder behutsam hoch um sich die Verletzung besser ansehen zu können. Das Einschussloch war sauber, die Patrone musste mitten in seiner Schulter feststecken. Ein glatter, gezielter Schuss. Das war kein Versehen, hide war nicht die Waffe verrutscht. Das war Absicht. Als er registrierte dass Pata noch anwesend war, wies er ihn sofort an. „Was glotzt du so blöde? Ruf 'nen Krankenwagen! Beeil dich mal!“ Völlig perplex starrte der Rothaarige abwechselnd auf die blutüberströmte Schulter und in Taiji's Gesicht. Seine Fäuste ballten sich. Er wollte keine Befehle von diesem Kerl ausführen. Er ließ sich doch nicht von der gegnerischen Seite herum kommandieren! Doch dann machte ihm Yoshiki's Jaulen wieder den Ernst der Lage bewusst. Sein Boss benötigte wirklich rasch Hilfe. Er zögerte noch einen kurzen Moment, dann lief er los zur nächsten Telefonzelle. Yoshiki selbst wusste kaum wie ihm geschah. Da fummelte dieser Typ, den er bis vor wenigen Momenten noch tot sehen wollte, an seiner verletzten Schulter herum. Jetzt zog er sich sogar auch noch das Shirt aus und presste es ihm auf die Wunde! Yoshiki kam sich vor wie im falschem Film und schrie sogleich nochmal lauter auf, als er den Druck gegen die frische Schusswunde spürte. „Zappel nicht so rum!“, fuhr Taiji ihn an und bemühte sich, sein Shirt, trotz Yoshiki's Herumgewinde, auf die Wunde gepresst zu halten. Seine eigene Stichverletzung im Schenkel hatte er völlig vergessen. Yoshiki's glasige Augen starrten den Jüngeren fragend an. „Warum bringst du mich nicht um?“, schluchzte er unter Schmerzen. Im Moment wünschte sich X's Leader tatsächlich nichts anderes als einfach zu sterben. Sein bester Freund arbeitete gegen ihn, hide hatte ihn eiskalt verraten....er fühlte sich komplett alleine. Grauenhaft alleine. Und dieses Gefühl in seinem Herzen war genauso schmerzhaft wie die Kugel in seinem Fleisch. Das erste Mal, seit der Schuss gefallen war, sah er seinem ursprünglichem Erzfeind direkt in die Augen. Sie waren mit Tränen gefüllt und mit purer Verzweiflung. Doch die Verzweiflung bezog sich nicht nur auf die Verletzung. Taiji konnte sich nicht daran erinnern, zuvor so viel Menschlichkeit in diesen Augen gesehen zu haben.... „Ich prügel auf niemanden ein der schon am Boden liegt, das weißt du.“ Er registrierte, dass Yoshiki trotz seiner sitzenden Position immer wieder mit dem Oberkörper leicht zur Seite schwankte. Der Kreislauf ist angeschlagen, ging es ihm durch den Kopf und kurzerhand setzte er sich breitbeinig hinter Yoshiki, um ihm mit seinem eigenem Körper eine Stütze zu bieten. Yoshiki bekam davon nur noch die Hälfte mit. Seine allgemeine Wahrnehmung schien irgendwie leicht eingeschränkt zu sein...wo kamen diese lustigen, schwarzen Punkte her, die ständig vor seinen Augen tanzten und ihn scheinbar ärgern wollten? Plötzlich spürte er, dass er mit dem Rücken und Kopf gegen irgendwas Warmen lehnte.....irgendwas was sich bewegte...... „...Taiji....“ Wo war dieser Bastard hin...? Hatte er ihn jetzt auch noch im Stich gelassen? Warum verließ ihn jeder...? Wo waren sie alle....? Waren es nicht mal so viele........? Er fühlte sich so einsam................ „Hey, Yoshiki....“ Taiji klatschte ihm, mehr oder minder behutsam, gegen die Wange als er bemerkte, dass der Junge wegdriftete. „Jetzt wird nicht geschlafen! Wach auf! Hey!!“ Er rüttelte ihn, verpasste ihm noch ein paar Backpfeifen. Doch erfolgte darauf keine Reaktion. Umso erleichteter war er jedoch, als er mit einem Mal die Sirenen des herannahenden Krankenwagens vernahm. Und da bog er auch schon auf den Schrottplatz ein. Noch bevor der Wagen ganz stand, sprangen die ersten beiden Rettungssanitäter raus und überwanden die letzten paar Meter Distanz zu den Beiden zu Fuß. Taiji blinzelte. Wo war Pata abgeblieben? Sein Blick schweifte über den sandigen Platz. Die Sanitäter wuselten um ihn und Yoshiki herum. Er bekam deren Fragen zuerst gar nicht mit, war er immernoch damit beschäftigt, Pata ausfindig zu machen. Doch der war nicht da. „Hey!“ Taiji spürte wie ihn jemand an der Schulter rüttelte. Er blickte hoch und sah in das Gesicht eines jungen Sanitäters. „Was ist passiert?“, wollte Dieser wissen. „Wir sind überfallen worden und er wurde an der Schulter angeschossen“, log Taiji mit leicht monoton klingender Stimme. „Sind sie auch verletzt?“, hakte der Helfer nach und deutete mit einem leichten Kopfnicken auf Taiji's blutbefleckte Jeanshose. Der Wuschelkopf folgte mit den Augen der Kopfbewegung des Mannes und erblickte nun seine eigene Stichwunde. „Uhm...ja....“, murmelte er halb abwesend. Er war mit seinem Gedanken überall gewesen, nur nicht bei seinem eigenem Bein. Jetzt erst, wo er die Verletzung sah, spürte er den Schmerz Stück für Stück wieder durch seine Nervenbahnen jagen. Als Yoshiki das erste Mal wieder erwachte, fühlte er sich wie in Watte gebettet. Träge blinzelte er mehrere Male, sah Licht, aber nichts Klares. Stimmengewirr kam langsam aber unaufhaltsam immer näher – und plötzlich registrierte er die leicht schaukelnden Bewegungen, denen sein Körper ausgeliefert war. Er lag auf einer Trage, dicht neben sich eine Rettungskraft kleben. Sein betäubtes Hirn benötigte noch ein paar weitere Anläufe bis er begriff, dass er sich hier in einem Krankenwagen befand. Auf der schmalen Seitenbank sah er jemand Vertrauten sitzen. Taiji. Die übrigen Leute um ihn herum waren alles Sanitäter. Nur Taiji war da..... Ausgerechnet er....... Ihrer beider Blicke trafen sich. Yoshiki war zu müde um ihm auszuweichen. Er versuchte in den Augen seines vermeintlichen Gegners eine Antwort zu finden. Doch so sehr er sich auch bemühte – er fand sie nicht. Er sah keinen Hass, sah keinen Hohn, sah keinen Spott. Alles was er sah war....Sorge. Yoshiki verstand es nicht, verstand es nicht......und dann übermannte ihn die Narkose auch schon wieder....... „Was hast du dir dabei gedacht??“ Pata starrte sein Gegenüber nur fassungslos an. Nachdem er bei der Telefonzelle den Notruf abgegeben hatte, begab er sich ohne zu zögern auf die Suche nach hide. Damit hatte er auch Glück gehabt, er fand ihn kurz vor ihrem zu Hause. Der Blonde war nicht schnell genug gewesen. Nun standen sie sich in Pata's Keller gegenüber. Er wollte Antworten haben. „Du solltest Taiji erschießen, verdammt, nicht Yoshiki! Taiji!! Bist du blind geworden oder was?“ Der Rothaarige hatte wieder eine Lautstärke eingeschlagen, die er in letzter Zeit öfters anwand. hide jedoch beeindruckte dies inzwischen nicht mehr. Er stand fast bewegungslos da, ließ den Jüngeren um sich herumtigern und sich beäugeln. Und genau diese Ruhe, diese völlige Teilnahmslosigkeit, verstand Pata nicht. Er packte ihn hart am Kragen und schüttelte ihn durch. „Verfuckte Scheiße, hast du überhaupt 'ne Ahnung was das für dich bedeutet?? Für uns??“, fauchte er ihm ins Gesicht. hide sagte noch immer kein Wort. Wich den Blicken jedoch auch keine Sekunde lang aus. Pata verzweifelte. „Verdammt nochmal hide! Du machst alles kaputt!“ „Es ist schon alles kaputt!“ Die lauten Worte des Blonden klangen schon fast befremdlich, so eindringlich war sein Schweigen seit dem Schrottplatz geworden. „Wem willst du denn noch was vormachen, Pata?“ Er ging in die Offensive. „Der Scheiß hier geht schon lange den Bach runter! Glaubst du, Ryö und Den sind nur einfach so ausgestiegen? Glaubst du, Kazzy wurde nur einfach so getötet?“ Seine jungen, rebellischen Augen blitzten vor neuer Energie regelrecht auf. „Selbst Toshi entfernt sich schon von X! Merkst du das nicht?“ „Aber X ist unsere Familie!“ Die Verzweiflung wurde immer deutlicher hörbar. „X ist nicht mehr meine Familie!“ hide's Stimme wurde getragen von einer ungewöhnlichen Überzeugung. Dieser Satz traf Pata wie ein Stachel im Herzen. Nein.... „Wie kannst du soetwas nur sagen?“ Es geschah äußerst selten, aber in diesem Moment geschah es: Seine Stimme wurde heiser, heiser durch den sich zuschnürenden Hals. Schwach und filigran. hide legte ihm beide Hände auf die Schultern. „Es tut mir Leid. Aber ich will einfach nicht mehr. Ich will das alles hier nicht mehr...“ Es tat ihm weh den Schmerz in den Augen seines Freundes aufflackern zu sehen. Aber sein Entschluss stand fest. Trotz allen Schmerzes. Pata schüttelte ansatzweise den Kopf. „...wie kannst du das nur sagen...?“, wiederholte er mit gebrochener Stimme. „Wir waren immer zusammen, wir haben alle gegenseitig auf uns aufgepasst...“ Erinnerungen aus seiner Überfahrt von Japan nach Süd-Korea vermischten sich mit den Zeiten mit X. Dann bäumte er sich noch ein Mal auf, mobilisierte all seine Kraft. „Wir können immernoch was erreichen! Wir haben noch Einfluss, wir können uns neue Leute-“ hide schnitt ihm den Satz ab. „Was willst du denn hier erreichen mit so einer Bande wie X?“, brüllte er ihm entgegen, in der gleichen Lautstärke wie er ihn soeben auch angefahren hatte. „Ich will einfach nicht mein Leben lang mit Straßenprügeleien und Raub verbringen und nach jedem Ding auf der Flucht vor den Bullen sein!“ Er riss sich von Pata los, trat ein paar Schritte von ihm entfernt, schaute ihn aber wieder an. „Ich will leben, verdammt!“ Sein ganzes Gesicht spiegelte die Sehnsucht wieder, die schon die ganze Zeit tief und fest in ihm schlummerte. „Ich will meine Träume verwirklichen, ich will Ziele haben! Echte Ziele!“ Seine ausdrucksstarken Augen ließen nicht von Pata ab. „Ich will Musik machen, ich will 'ne eigene Band haben, ich will auf der Bühne stehen – das will ich! Und nicht kleine Kinder abzocken und Zeitungsläden überfallen!“ Es sprudelte alles auf einmal aus ihm heraus; alles was zuvor niemand wissen, geschweige denn hören wollte, drängte sich regelrecht aus seinem Mund, um endlich an die Freiheit zu gelangen. „Darum war ich ständig bei Tusk's Auftritten! Weil er es getan hat, weil er seinen Träumen gefolgt ist! Und das will ich auch!“ Bei Tusk's Namen verfiel Pata gleich wieder in neuen Unmut. „Du läufst jemanden von den Sister's hinterher – dabei haben die dir diese Verletzungen zugeführt!“ Und er zeigte mit ausgestrecktem Finger auf hide. „Die Sister's haben mich angegriffen – aber die Sister's haben mich auch gerettet!“ Der Rothaarige stutzte – und verstand nun gar nichts mehr. Es reichte lediglich noch zu einem völlig irritiertem „Hä?“ „Morrie und noch so'n Kerl haben mich überfallen und mich vermöbelt, ja. Aber Sceanna, der Kleine, hat sich dazwischen geworfen. Er hat mir geholfen und dafür gesorgt, dass die anderen Zwei aufhören.“ Das zerstörte nun endgültig Pata's bisheriges Weltbild. Hätte hide jetzt wieder von Tusk angefangen, hätte er geglaubt es handele sich nur wieder um Wunschdenken seines Freundes oder weil er sein Idol beschützen wollte. Aber zu Sceanna hatte hide keinerlei Verbindungen – soweit er wusste – weswegen es keinen Sinn machen würde, würde er sich diese Geschichte nur ausdenken. Der Rothaarige ging wie in Trance zwei, drei Schritte rückwärts bis er die kalte Steinwand im Rücken spürte. An Dieser ließ er sich dann in Zeitlupe hinabrutschen bis er auf dem Boden saß. Sein Blick war ins Leere gerichtet. Er sah seine Welt bildlich zerbrechen. hide kniete sich vor ihm hin. „Pata.....X is' schon lange kaputt. Wir waren nur noch die Überreste.“ Er liebkoste ihm mit einer Hand die Schulter. Er wusste, dass er Pata mit all dem soeben desillusioniert hatte, aber er hielt es für nötig. Zum Einen um sich selbst die Tatsachen nochmal klar zu machen und zum Anderen, um Pata nicht ins Leere laufen zu lassen. Denn das hatte sein bester Kumpel einfach nicht verdient. Und diesem besten Kumpel stiegen gerade Tränen in die immernoch leicht verstörten Augen. Es ging für ihn alles so schnell...er hatte so lange hartnäckig an X festgehalten und nun, innerhalb von weniger als einer Stunde, zerbrach diese Welt völlig in Scherben, riss ihm den Boden unter den Füßen weg. Er legte die Stirn auf seine angewinkelten Knie. Die Tränen liefen. hide genügte diese Position, er musste Pata's Gesicht nicht sehen um zu wissen, dass er weinte. Beschützend schlang er seine Arme um den verzweifelten Jungen und schmiegte sich vertraut an ihn. So häufig hatte Pata ihn trösten müssen, hatte ihn in Schutz genommen. Jetzt war hide dran. „Shhhhh.......alles wird gut......“, wisperte er beruhigend und begann den Anderen leicht hin und her zu wiegen. „Ich bin ja da......ich lauf nicht weg....“ Pata's Finger suchten irgendwann den Weg zu einem Arm des Blonden und verkrallten sich schließlich in dem dünnen, schwarzen Mantelstoff. Er brauchte Halt. „You now the times are changing the going, could get rough. I've lost and I've gained!“ Die Band spielte bereits den letzten Song und das Publikum war völlig aus dem Häuschen. Zi:Kill kamen mit jedem Auftritt immer besser an und es sprach sich in der Gegend schnell rum. Diese Band würde ihren Durchbruch noch schaffen, da waren sich alle sicher. Als Tusk und seine Jungs nun den letzten Song beendet hatten und sich beim Publikum für den tobenden Beifall bedankten, schlugen ihnen das erste Mal eindeutige „Zugabe“-Rufe entgegen. Tusk wollte zuerst seinen Ohren nicht trauen, sah verblüfft zu Ken und Seiichi, die mit ihren Instrumenten ein Stück hinter ihm standen. Die Leute wollten mehr, sie wollten tatsächlich mehr! Nach kurzem Zögern und einer knappen Absprache spielten sie die gewünschte Zugabe - „Nonfiction“, auch wenn dieses Lied nun schon zum zweiten Mal an diesem Abend ertönte. Aber die Band hatte einfach noch nicht so viele Songs im Gepäck. Schadete ihnen aber im Moment noch nicht denn dieser Song kam beim Publikum auch beim zweiten Mal noch wahnsinnig gut an. Dann war aber wirklich Schluss. Die Jungs stöpselten ihre Geräte ab und verließen die Bühne. Tusk begab sich mit Gitarrist Ken daraufhin sogleich an die Bar, die anderen beiden verschwanden in einem Hinterzimmer. Die Bar war auch ebenso das angesteuerte Ziel einer ihrer größten Fans und eben dieser Fan ließ es sich nicht nehmen und packte die Chance nun endlich am Schopf. Er parkte sich auf den nächsten Barhocker direkt neben Tusk. „Ihr wart richtig gut!“ Tusk wand seinen Kopf zur Seite und schaute geradewegs in hide's Gesicht. Das war für die ersten paar Sekunden auch die einzige Reaktion des Sängers. In seinem Kopf sortierten sich ein paar Regeln gerade neu. Doch davon bekam man von aussen nichts mit. „Danke“, kam endlich die Antwort und ein seichtes Lächeln folgte. Die Zeiten hatten sich geändert, die Rollenverteilung war neu ausgewürfelt worden. Es war zwar in diesen Momenten immernoch ein leicht seltsames Gefühl, jemanden mit friedlichen Absichten so dicht neben sich sitzen zu haben, gegen den man bis vor wenigen Wochen noch angekämpft hatte, aber trotzdem hatte Tusk ein gutes Gefühl. Und er war froh über dieses Gefühl. „Hey, ich hab gehört du kannst auch Gitarre spielen. Kannst du mir 'n bißchen darauf beibringen?“ Trotz hide's so lässigem Tonfall bubberte sein Herz ein bißchen doller als er seine Frage aussprach. Tusk nahm sein bestelltes Getränk in Empfang und nickte knapp. „Klar.“ „Cool!“ Nun war auch der Rest Zweifel und der letzte Funken Unsicherheit über Bord geworfen. „Sach ma', braucht ihr zufällig noch Verstärkung in eurer Band?“ Nun konnte Tusk ein breites Grinsen nicht mehr verbergen. „Ey, gründe deine eigene Band!“, lachte er und buffte hide freundschaftlich gegen den Oberarm. Sein Blick fiel dabei über hide's Schulter und sein Grinsen wurde daraufhin noch breiter. „Und dein erstes Mitglied lässt auch nicht lange auf sich warten“, stellte er fest und winkte die Person, die er da in der Menschenmenge entdeckt hatte, zu sich ran. „Huh?“ hide drehte sich um um erkennen zu können was Tusk meinte. Und er staunte nicht schlecht als er jemanden auf sie zukommen sah. Mit einem leicht schiefem Grinsen auf den rotbemalten Lippen und einem Hauch von Schüchternheit im Gesicht, gesellte sich Sceanna zu den Zweien. „Hi“, lautete die knappe und leicht heiserne Begrüßung. Sein Blick blieb dabei auffallend lange an hide haften. „Hey...alles wieder okay?“, fragte er, für seine Verhältnisse, recht leise. Das Grinsen von Tusk steckte an und so zogen sich auch hide's Mundwinkel in die Breite. „Ich lebe noch.“ Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass er bei dem kleinen Rotschopf verdammt beliebt war. Doch noch ein weiterer Rotschopf sollte die junge Truppe vergrößern: Er hatte sich ihnen lautlos genähert und stand nun etwa einen halben Meter hinter Sceanna. Als hide sich gerade beim Barkeeper was bestellt hatte und seinen Kopf wieder zurück in die alte Position brachte, weiteten sich seine Augen vor Überraschung. „Pata!“, schrie er vor lauter Freude aus, sprang von seinem Hocker runter und dem Anderen direkt an den Hals. Seit ihrem letzten Gespräch waren gut zwei Wochen vergangen und seit dem hatte er ihn kaum noch zu Gesicht bekommen. Doch nun stand er hier, bei ihnen, und auch wenn sein Gesichtsausdruck keine strahlende Freude präsentierte, so war er doch alles andere als kampflustig. „Hey....... - hide, du erwürgst mich!“ Unter Keuchen versuchte Pata den Freund von sich abzupflücken, was bei Tusk und Sceanna zur allgemeinen Belustigung beitrug. Kaum ließ hide nun wieder von seinem Kumpel ab, erschlug er ihn dafür mit seinen neuesten Plänen. „Du spielst auch mit!“ „Was? Wo?“ Pata's Gesicht glich gerade einem einzigem Fragezeichen, woraufhin Tusk nicht mehr konnte und die ersten kleinen Tränchen lachte. Was war das nur für ein verrückt schräges Duo, die beiden? „In meiner Band!“, erwiderte hide mit einem Ton, als hätte er dies schon seit Urzeiten geplant. „Sceanna ist dann auch dabei und schon machen wir Zi:Kill Konkurenz!“ „Äääääääähh......“, war die vorläufige Antwort des Irokesen auf diese leicht überdrehten Pläne seines leicht überdrehten Freundes. Sein Blick ging etwas hilflos durch die Runde, bevor er mit etwas kleinlauter Stimme fragte: „Kann ich darauf erst mal was trinken?“ Taiji stapfte die Straße entlang, zog immer mal wieder an seiner Zigarette, als er plötzlich eine ihm vertraute Person auf sich zukommen sah. „Hey Yoshi!“ Er hob die Hand, die den Glimmstängel zwischen den Fingern eingeklemmt hielt, zum Gruß. Yoshiki durchzog ein leichtes Kribbeln als er Taiji's Stimme hörte. Seit Toshi hatte ihn niemand mehr so genannt. Ausser sein kleiner Bruder. Aber diesen Kosenamen aus dem Mund seines ehemaligen Erzfeindes zu hören war für ihn immernoch etwas seltsam. Doch er ließ sich das nicht anmerken und erwiderte statt dessen die Begrüßung. „Hey! Wie geht’s dem Bein?“ Sie standen sich mittlerweile gegenüber. „Is' noch dran“, war die lässige Antwort des Lockenkopfs. „Und was macht deine Schulter?“ „Eingeschränkt aber vorhanden“, und Yoshiki bemühte sich, noch lässiger zu klingen als der Andere. „Aber sie wird wieder ganz, oder?“ Taiji sah ihn mit wachen Augen interessiert an. „Die Ärzte meinten, mit etwas Glück kann's klappen.“ Er zwinkerte. „Und du, wieder auf'm Weg zum Lovehotel 'Cherries'?“ Die letzten beiden Worte betonte er absichtlich übertrieben da er wusste, wie sehr Taiji diesen Laden und seinen Job verabscheute. „Boah ey, hör auf! Ich such mir echt was Anderes“, kam die halb schief gegrinste Antwort. Es hatte sich definitiv schon zu weit rumgesprochen, womit man ihn am schnellsten aufziehen konnte. Trotzdem schloss er Yoshiki in eine brüderliche, lockere Umarmung – natürlich darauf bedacht, seiner verletzten Schulter nicht zu nahe zu kommen. Und als seien die zwei Jungs schon ihr Leben lang Freunde gewesen, erwiderte Yoshiki diese Geste des Vertrauens und Vertragens, wenn auch nur einarmig, um seine Schulter nicht zu sehr zu belasten. „Ey, mach's gut, man.“ „Mach's besser.“ Taiji löste sich wieder aus der Umarmung und ging an ihm vorbei um seinen Weg zur Arbeit fortzusetzen. „Wir seh'n uns!“ „Bye!“ Auch Yoshiki ging wieder seiner Wege. Waren das auch nicht mehr die Wege von X denn X war Geschichte. Nachdem Toshi sich nach ihrer letzten Prügelei nicht mehr bei ihm blicken ließ und er von Dritten erfuhr, dass sein ehemaliger bester Kumpel sich offenbar eine eigene Bande zusammen zu trommeln versuchte, hatte sich kurz darauf auch Pata von ihm gelöst. Zusammen mit hide wollte er irgendeiner verrückten Bandidee nachgehen, er war mit der Sprache nicht so wirklich rausgerückt. Jedenfalls gab es, ausser Yoshiki selbst, niemanden mehr und da der Zerfall bei den Sister's ähnlich aussah (Morrie hatte sich ebenfalls einer anderen Gruppe angeschlossen und Tommy war Taiji's bester Freund, akzeptierte dessen Entscheidungen und war zudem nie großartig nachtragend) und sich nach der Sache auf dem Schrottplatz die Karten eh neu gemischt hatten, entschied man sich dazu, das Kriegsbeil zu begraben. Eine Entscheidung, die wenige Tage zuvor noch undenkbar gewesen wäre und die weder Taiji noch Yoshiki gebilligt hätten. Doch dass Taiji sich, nach hide's Amoklauf, regelrecht fürsorglich um Yoshiki gekümmert hatte (ohne dass er dieses Handeln selbst wirklich hätte erklären können), das hatte in Beiden etwas grundlegend verändert. Ihre ganzen Ansichten, ihre Gefühle – auch ihre Gefühle zueinander. Sicherlich fiel es Taiji leichter, diesen neuen Weg einzuschlagen als Yoshiki, doch in Anbetracht der Tatsachen, dass Yoshiki seit Anbeginn seines Bandenlebens eine völlig andere Philosophie verfolgte als der Jüngere, war es auch wenig verwunderlich. In den ersten Tagen, als er im Krankenhaus lag und von den Ärzten zu hören bekam, dass Taiji ihn mehrfach besucht hatte – immer wenn er schlief – glaubte er noch, der Andere würde auf eine günstige Gelegenheit warten ihn doch noch umzubringen. Doch als er Taiji dann schließlich an seinem Krankenbett sitzen sah als er wach war und sie sich Ewigkeiten nur gegenseitig ansahen und anschwiegen, da war ein Umdenken unausweichlich gewesen. Selbst Yoshiki wurde das an dem Tag klar. Die Veränderungen waren nun zum greifen nahe, sie waren unausweichlich. Und womöglich waren diese Veränderungen der Anfang einer neuen Sache, eines neuen Weges. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)