Dear Loser von RedSky ================================================================================ Kapitel 18: Pata's secret ------------------------- Er dribbelte flink an ihnen vorbei, täuschte vor, dribbelte nach links und warf den Ball zielsicher in den Korb. Treffer versenkt. Sie spielten zwei gegen drei und obwohl Sceanna's Mannschaft nur aus ihm und noch einem Jungen bestand, lagen sie weit in Führung. Allein der letzte Korb war Sceanna's achter Treffer. Er sprühte geradezu nur so vor Energie, doch während des gesamten Spiels zierte eine fast versteinerte Mine sein Gesicht. Über keinen einzigen Korb schien er sich zu freuen. Aber konnte man ihm das in dieser Situation auch verübeln...? Irgendwann verhakten sich die Finger einer Hand in den Maschendrahtzaun, der das Spielfeld umgab. Ein Zuschauer hatte sich dazu gesellt. Dieser warf seinen Blick flüchtig über die fünft Jungs, doch blieb er an Einem haften: An dem Rotschopf Sceanna. Er beobachtete jede einzelne Bewegung des Jugendlichen mit dem zu großem Schlabbershirt. Jede Gestik, jede Mimik. Er wusste warum er so gut spielte. Er kannte ihn. „Sceanna!“ Der Rotschopf drehte sich um, blinzelte in die Richtung aus der sein Name gerufen wurde und schob sich mit einer Hand sein Stirnband zurecht, das ihm mittlerweile auf halb acht hing und sein rechtes Auge mehr oder minder verdeckte. Hinter'm Zaun erkannte er Tusk. Er wand sich von seinen Spielkameraden ab und ging zum Rande des Spielfeldes, krabbelte flink durch ein Loch im Zaun. Schon stand er vor Tusk. „Was gibt’s?“ „Du spielst gut“, antwortete Dieser nur und es schien fast ein wenig ausweichend. Den Eindruck bekam auch der Jüngere und er legte seinen Kopf ein kleines Stückchen schräg. „Bist du nur gekommen und mir das zu sagen?“, murrte er. Tusk zögerte einen Augenblick, musterte ihn wieder. „Ich wollte wissen wie's dir geht.“ Sceanna wand seinen Blick ab. „Prima, siehst du doch“, antwortete er in einem nicht sehr überzeugendem Ton. Tusk hatte Verständnis für die Reaktion des Rotschopfs. Er wusste, dass er das Basketballspiel nur als reine Ablenkung nutzte. „Kenzy war schon seit drei Tagen nicht mehr draussen“, berichtete der Dunkelhaarige. „Er geht nicht mehr in die Penne und essen tut er auch kaum noch was.“ War es wirklich schon drei Tage her? Sceanna kam es manchmal vor wie drei Stunden. „Und das wundert dich?“ Er hob nun wieder den Kopf und blickte Tusk emotionslos an. „Er wird sich auch noch länger verkriechen und die Dreckspenne ist nun eh gestorben! Was soll er denn jetzt auch noch da, ohne Mogwai??“ Seine Stimme wandelte sich immer mehr zu einem abweisendem Keifen. Doch Tusk war nicht der Typ der sich von soetwas beeindrucken ließ. Statt dessen schlang er sanft seine Arme um die Schultern des Freundes. Sceanna schien noch eine Sekunde zu zögern, doch dann gab er seinen Widerstand auf und ließ sich gegen den Körper des Anderen sinken. Die Umarmung erwiderte er jedoch nicht. „Der Letzte, der soetwas verdient hätte, wäre Mogwai gewesen“, nuschelte er gegen Tusk's Brust. „Er hatte schon genug Scheiße am Hals.“ „Ich weiss, Kleiner“, antwortete Tusk und verstärkte die Umarmung, während sein Gesicht in Sceanna's wirres, rotes Haar einzutauchen begann. Sceanna stand ganz ruhig da. Er würde nicht weinen, nein. Auch wenn sein Herz innerlich stark blutete. Aber er zeigte seine Tränen keinem Anderen. Da war er stur. Es waren seine Tränen, die wollte er mit niemand Anderem teilen. Tusk wusste das. Seine Hand strich gleichmäßig über Sceanna's Rücken. Die aggressiven Klänge von „Attitude“ der Kinks dröhnte durch das kleine Jugendzimmer, dessen Wände mit diversen Postern verschiedenster Rockidole tapeziert war. Die Hüllen der letzten fünf gehörten Platten lagen noch auf dem Boden verstreut. Es waren alles Scheiben, die man am besten laut hörte – und das tat Pata auch schon seit drei Tagen: Sich von Vormittags bis in die Nacht hinein mit lauter Musik beschallen, wobei er am späten Abend meißt Rücksicht auf seinen Onkel nahm, der nach einem harten Arbeitstag um die Zeit zu schlafen pflegte. Der Aschenbecher auf dem Boden, dicht neben Pata's Fuß, wurde ebenfalls seit diesen besagten drei Tagen nicht mehr gelehrt und allmählich stapelten sich die ausgedrückten Kippen darin schon. Doch das störte ihn nicht. Er war mit den Gedanken ganz woanders. In erster Linie bei Toshi. Was fiel diesem Rotzbengel nur ein, ihn aufgrund der Herkunft seiner Eltern zu diskriminieren? Wieso machte der Typ sein vorlautes Maul überhaupt noch auf? Was fand Yoshiki nur an diesem Kerl? Wofür brauchte er ihn, ausser dafür dass er dem Boss immer Recht gab und ihm unüberlegt alles nachsabbelte? Diesen blonden Schreihals konnte doch kein Mensch ernst nehmen. Aber warum taten ihm seine Bemerkungen dann trotzdem weh...? Keiner hatte das Recht, seine Eltern zu verurteilen..... Pata, der mit dem Rücken gegen sein Bett gelehnt auf dem Fußboden saß, legte seinen Kopf nach hinten, wo Dieser auf der Matratze zum liegen kam. Die Anderen hatten doch alle keine Ahnung. Keiner von ihnen wusste wie es ist, den Großteil seines Lebens ohne Eltern aufzuwachsen. Mindestens einen Elternteil hatte noch jeder von ihnen, egal wie sie sich mit ihm verstanden. Sie hatten ihn noch, einen Vater oder eine Mutter. Pata schloss für einen Moment seine Augen, ließ die krachenden Gitarren und den brummenden Bass durch seinen Körper dröhnen. Dann blinzelte er wieder, hob seinen Kopf und stand auf. Sein Weg führte ihn zu einem Regal, auf dem ein kleines Holzkästchen seinen Platz gefunden hatte. Die Hände des schweigsamen Jungen griffen danach und öffneten den kleinen, metallenen Verschluss. Seine Finger glitten hinein und zum Vorschein kam ein Foto, das ein glückliches Pärchen zeigte. Rechts einen grinsenden Japaner, dem seine Verliebtheit überdeutlich anzusehen war. Sein Vater. Links neben ihm war eine junge Frau zu sehen, mit dunklem, gelocktem Haar und einem bezauberndem Lächeln. Sie war Europäerin. Und seine Mutter. Seine Eltern, derren einziges Kind er war, wollten doch nur ein besseres Leben für sich und ihren Nachwuchs. Sie hatten geplant, Pata's Onkel, der als Erster nach Süd-Korea ging, zu folgen. Doch am Hafen gab es plötzlich Probleme und alles ging ganz schnell: Seine Eltern gaben ihn einer fremden, rundlichen Frau mit, die während der Überfahrt auf ihn aufpassen sollte. Seine Mutter versicherte ihm mehrfach, sie würden so schnell wie möglich nachkommen und sich schon ganz bald wieder sehen. Und sein Vater rief ihm immer wieder zu, dass sie es schon schaffen würden. Seine Eltern waren inzwischen schon von mehreren uniformierten Männern umzingelt gewesen, die sie mit sich zerrten. Die dicke Frau, furchtbar nett und nicht zu aufdringlich, hatte sich dem Jungen angenommen und bis zur Ankunft in Süd-Korea auf ihn aufgepasst. Dann musste Pata jedoch alleine weiter. Die Adresse seines Onkels hatte er in seinem kleinen Koffer stecken. Er war gerade mal fünf Jahre alt. Mit abwesendem Blick und den Gedanken noch in der Vergangenheit hängend, legte er das wertvolle Farbfoto zurück in das Kästchen, dessen Deckel sich gleich darauf wieder schloss. Als er das Kästchen wieder zurück auf seinen alten Platz stellte, fiel sein Blick eine Etage tiefer im Regal, wo ein Foto von ihm und hide sein zu Hause gefunden hatte. hide trug dort seine blonden Haare ungestylt und hatte sich statt dessen einen großen, schwarzen Schlapphut auf den Kopf gesetzt und in seinem Gesicht prangte eine geklaute Sonnenbrille. Er posierte mit rausgestreckter Zunge und demonstrativ zur Schau gestellten Mittelfinger für die Kamera. Pata selbst stand nur lachend daneben; vermutlich hatte hide kurz zuvor wieder irgendeinen seiner Witze gerissen. Der Irokese lächelte verträumt als er sich dieses Bild ansah. Er hatte sich immer einen Bruder oder eine Schwester gewünscht. Doch obwohl seine Mutter mit ihm ziemlich schnell schwanger geworden war, hatte es danach kein zweites Mal funktionieren wollen – hatte ihm sein Onkel erzählt. - In hide hatte er den Bruder gefunden, den er leiblich nie hatte. Und genau aus dem Grund konnte er es nicht zulassen, dass hide eines Tages die Fronten wechselte und zum Feind überlief. Da war es ihm auch egal ob dieser Tusk Gitarre spielte und mit seiner Musik auftrat – er gehörte zu ihren Erzfeinden und da wollte Pata hide nicht sehen! Nie würde er es schaffen gegen seinen Freund zu kämpfen. Lieber würde er sich eigenhändig das Herz rausreissen. Yoshiki, Toshi und Kazzy hatten ihre Gesichter in Schals und Bandanas gehüllt, als sie spät am Abend den kleinen Supermarkt betraten. Um diese Uhrzeit war hier nicht mehr viel los: Im Supermarkt befand sich nur eine Handvoll Kunden, bestehend aus einer alten Dame, einem jungen Pärchen und einem einsamen Typen. Es hatte nur eine Kasse geöffnet und der Junge dahinter war kaum älter als Yoshiki oder Toshi; vielleicht war er Student. Die Strasse, in der der Laden lag, war eine nicht sonderlich belebte Seitenstrasse. Die drei jungen Täter zögerten nicht lange, zogen ihre Waffen und schossen gekonnt auf die Überwachungskameras. Sofort brach Panik aus. „Alle auf den Boden!“, brüllte Yoshiki unter seinem Schal, der ihm seine Identität bewahren sollte. Jeder kam dieser Aufforderung sofort nach. Als auch der junge Kassierer sich auf den Boden legen wollte, richtete Yoshiki seine 44er Colt Army auf ihn. „Du nicht!“, fauchte er und trat mehrere Schritte auf ihn zu. „Los, mach die Kasse auf und rück die Kohle raus!“ Seine Stimme war harsch und bestimmend. Den Revolver hielt er sicher in beiden Händen, den Zeigefinger am Abzug. Seine Augen, die zwischen dem Schal hindurchblitzten, hatten sein Opfer fest im Blick. In diesen Momenten wäre jeder davon ausgegangen, dass er den Jungen sofort abknallen würde, wenn Dieser seinem Befehl nicht nachkommen würde. Dass Yoshiki's Puls gerade raste wie nix Gutes und sein Herz viel zu schnell gegen seinen Brustkorb hämmerte, davon bekam niemand etwas mit. Der arme Kassierer öffnete mit zitternden Fingern die Kasse und begann die Geldscheine heraus zu fischen. Sein ängstlicher Blick wechselte dabei immer wieder zwischen seiner eigenen Tat und Yoshiki. Toshi und Kazzy hielten unterdessen die übrigen Geiseln in Schach. Wobei Toshi's Augen zwischendurch immer wieder Richtung Yoshiki und Kasse huschten um sich zu vergewissern, dass sein bester Freund keine Unterstützung benötigte und vom Kassenjungen nicht über's Ohr gehauen wurde. Sollte das nämlich der Fall sein, wäre das der letzte Fehler gewesen, den der Typ begangen hätte. Seinen Freund und Boss haute man nicht über's Ohr. Toshi war mit seinen Gedanken so sehr bei Yoshiki, dass er gar nicht realisierte dass sein Blick immer mehr Zeit bei Diesem und dem Jungen verbrachte als bei den vier Geiseln. Was alle Beteiligten genauso wenig realisierten wie Yoshiki's rasenden Herzschlag, war Kazzy's fanatisches Lächeln, ja fast Grinsen, das jedoch von dem schwarzen Bandana im Verborgenem gehalten wurde, das sein Gesicht bis unter die Augen verdeckte. Diese Augen hatten mittlerweile ein annähernd wahnsinniges Glitzern angenommen. Sein Adrenalinspiegel war ungewöhnlich hoch und ein seltsames Gefühl breitete sich unaufhaltsam in seinem jungen Körper aus. Es war viel stärker als in den Momenten, in denen er seine Geilheit mal wieder an den Nutten der Stadt abreagierte. Es füllte ihn viel schneller und viel intensiver aus und hätten Yoshiki und Toshi das Grinsen sehen können, hätten sie selbst in diesen Momenten an ihrem jüngsten Mitglied gezweifelt. „Okay! Und jetzt gib mir die Tüte!“, hallte plötzlich die Aufforderung Yoshiki's durch den Raum, nachdem der Kassierjunge das gesamte Geld – inklusive dem Kleingeld – in eine Plastiktüte getan hatte. Er befolgte auch jetzt noch kommentarlos dem Befehl Yoshiki's und streckte ihm zitternd seinen Arm entgegen um ihm die Tüte zu reichen. Der Leader griff danach und hielt im nächsten Moment ihre Beute sicher in der Hand. Geschafft. Jetzt nur noch so schnell wie möglich und unerkannt hier raus. - Plötzlich dröhnte ein Schuss durch den Supermarkt, dicht gefolgt von einem geschocktem Aufschrei. Yoshiki blinzelte. Was war geschehen? Was oder wen hatte er übersehen? Er blickte neben sich, wo ihm eben noch der Junge das Geld gegeben hatte und woher der Aufschrei erklang. Der Junge stand nicht mehr dort. Er lag blutend am Boden. Mit aufgerissenen Augen warf Yoshiki seinen Blick zu Toshi und Kazzy. Kazzy hielt seine Waffe noch immer in die Richtung der Kasse. Er stand ganz ruhig da. Aber seine Augen sahen seltsam aus. „Verdammt, was hast du Schwachkopft gemacht?“, schrie Yoshiki fassungslos. Er starrte auf den Jungen am Boden, der vor Schmerzen winselte, dann wieder zu Kazzy, der immernoch in der selben Pose verharrte. Auch Toshi blickte ungläubig auf den jüngeren Kollegen. Warum hatte Dieser geschossen? Es lief doch alles bestens – bis zu diesem Moment. Auch die Geiseln, die noch immer ängstlich auf dem Boden kauerten, ahnten mittlerweile, dass hier etwas gewaltig ausser Kontrolle geriet. Der Einzige, der sich gerade großartig fühlte, war Kazzy. Er konnte die Waffe gar nicht mehr runter nehmen, es fühlte sich einfach zu gut an. Mit so einem Revolver besaß man so unsagbar viel Macht... Es war so simpel seine Gegner kampfunfähig zu machen. So viel simpler und schneller als mit einem albernem Messer. Er würde in Zukunft nie wieder Messer benutzen, nur noch diese herrliche Wunderwaffe. Wenn eine der Nutten sich mal wieder quer stellte, hielt er ihr in Zukunft einfach den Lauf seiner 44er Magnum in den Nacken. Das würde sie sicher mehr beeindrucken als eine lächerliche Klinge. Oh Gott, die Welt stand ihm offen! Er konnte sich von nun an alles erlauben denn er besaß die Macht dafür. „Scheiße man, weg hier!“, befahl Yoshiki seinen beiden Leuten und stürmte voran aus dem Laden. Toshi packte kurzerhand Kazzy am Kragen und zerrte ihn mit sich, da Dieser noch immer wie in Trance dastand. Schließlich erwachte er jedoch wieder zum Leben und lief eigenständig die dunkle Straße entlang. Ob ihm der aktuelle Ernst der Lage gerade bewusst war, war fraglich aber zumindest hatte sein Hirn gecheckt, dass im Moment Flucht auf dem Plan stand. Yoshiki hatte die Tüte mit dem Geld unter seine Jacke gestopft und seine Füße trugen ihn so schnell sie konnten. Parallel dazu lauschten seine Ohren auch schon die ganze Zeit aufmerksam, ob nicht irgendwo doch schon eine Sirene aufheulte. Zudem rutschten seine Gedanken auch immer wieder zu dem verletzten Jungen. Ob er die Verletzungen überleben würde? Oder ob er vielleicht in diesen Momenten schon tot war? Hätte er nicht besser doch einen Krankenwagen rufen sollen – anonym? Es war nicht geplant, dass es so weit kam. Genauso wenig wie es vor ein paar Tagen geplant war, die zwei Bullen umzunieten. Bei denen hatten sie jedoch keine andere Wahl, redete er sich immer wieder ein um sein eigenes Gewissen zu beruhigen. Doch der Junge hatte alles getan, was er ihm gesagt hatte. - Was, zum Teufel nochmal, war in Kazzy's Kopf nur vorgegangen?? Verdammt, er hatte sich den Überfall einfacher vorgestellt. Jetzt waren sie nicht nur wegen Diebstahls auf der Flucht, sondern möglicherweise auch noch wegen Mordes. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)