Dear Loser von RedSky ================================================================================ Kapitel 4: forthcoming changes ------------------------------ Würde man das Tempo, in welchem seine Mutter die ganze Zeit durch die Wohnung wuselte, etwas anheben, würde sie glatt als Cartoon-Figur durchgehen, waren hide's Gedanken während er mit seinem kleinem Bruder Hiroshi auf dem Arm dastand und seiner Mutter beim packen der letzten paar Sachen zusah. Immer wenn die Zeit knapp wurde, wurde seine Mutter hektisch. hide mochte keine Hektik. Er sah nicht ein weshalb man sich in manchen Situationen beeilen sollte – ausser bei Diebstählen oder wenn die Bullen mal wieder hinter einem her waren. Oder bei Kämpfen. Aber ausserhalb solcher Situationen fand hide Eile überbewertet und unwichtig. Der nächste Tag kam doch sowieso, warum also sich beeilen? Sein Bruder Hiroshi schien es ihm da wohl ähnlich zu gehen denn er saß ganz ruhig auf hide's Armen, besabberte sich zeitweilig seine kleinen Finger, sah seiner Mama beim hin und her huschen zu und zupfte zwischendurch immer wieder vergnügt quietschend an hide's blondierten Haaren. „Und denk bitte dran genug zu essen während ich nicht da bin“, ertönte es im typisch fürsorglichem Muttertonfall von Frau Matsumoto während sie wieder von der Küche ins Wohnzimmer huschte um die drei Lätzchen für Hiroshi in die Reisetasche zu stopfen. hide quittierte diese altbekannte Aufforderung seiner Mutter nur mit einem müden Augenaufschlag und einem angenervtem „Ja, Mama.“ Dass sie scheinbar immer noch dachte, er sei mit seinen achtzehn Jahren nicht in der Lage sich selbst zu versorgen, ging ihm mittlerweile ziemlich auf den Zeiger. Schließlich schien sie alles beisamen zu haben was sie für die Reise brauchte und nahm ihrem ältesten Sohn nun das, seine eigene Faust mampfende, Nesthäkchen ab. Jedoch blieb sie noch einen kurzen Moment vor hide stehen. „Und bitte mach keinen Ärger während ich bei deiner Tante in Sangju bin.“ Dieser Bitte schien sie jetzt, wo sie direkt vor ihm stand, sogar noch größeren Nachdruck zu verleihen als bei der Sache mit dem essen. „Unternimm mit Pata und Toshiki auch mal was Sinnvolles und macht nicht nur Blödsinn.“ Sie wusste dass ihr Sohn sich noch mit mehr als nur diesen zwei Jungs traf, doch waren dies die beiden Einzigen die sie bisher zu Gesicht bekommen hatte. „Er heißt Yoshiki“, erwiederte hide deutlich genervt und mit rollenden Augen. Sie sprach diesen Namen immer falsch aus, er wusste nicht warum sie ihn sich nicht merken konnte. „Ist ja auch egal, Junge.“ Sie tätschelte kurz aber liebevoll seine Schulter. „Pass einfach auf dich auf.“ Kurz bevor sie sich von ihm abwandte griff ihre Hand nach einer der blonden Strähnen, fuhr Diese mit den Fingern entlang bis zu den Spitzen. Sie sagte nichts, doch hide konnte ihre Gedanken an ihrem Blick erkennen. Sie mochte es nicht dass sich ihr Sohn die Haare blond gefärbt hatte, sie fand es zu auffällig und optisch nicht schön. Doch sie wusste auch dass sie nicht mehr genug Einfluss auf ihn hatte als dass sie solche rebellischen Taten von ihm unterbinden könnte. Und hide wusste es auch. Doch es war ihm egal. Er liebte seine Mutter aber er wollte ihrem Lebensstil nicht folgen, wollte eigene Wege ausprobieren. Endlich ließ Frau Matsumoto von ihrem Ältesten ab, griff mit der freien Hand nach der Reisetasche und machte sich gemeinsam mit Hiroshi auf den Weg nach Sangju. Die nächsten paar Tage hatte hide die gesamte Bude also für sich, konnte kommen und gehen wann er wollte ohne sich für irgendetwas rechtfertigen zu müssen. Das gefiel ihm. Ein dumpfes Poltern drang durch das schlecht beleuchtete Lager und ein zweites Poltern folgte gleich darauf. Schwere Kisten wurden gestapelt und zwischendurch fuhr sich Tommy mit dem Unterarm über die feuchtgeschwitzte Stirn. Seinen rot-grün gefärbten Haarschopf hatte er flüchtig zu einem Zopf gebunden damit ihm die langen Zottel bei der Arbeit nicht in die Quere kamen. Es erklang ein leises Keuchen, dann wieder ein Poltern. Und dann lehnte sich Tommy erst einmal mit dem Rücken gegen die soeben aufeinander gestapelten Kartons. Das hier war Ausbeutung. Knallharte Ausbeutung von der er wegkommen musste. Sein Stundenlohn war ein Witz im Vergleich zu seinen Arbeitszeiten und der Härte der Arbeit. Die Bedingungen waren beschissen, ebenso das Betriebsklima. Seinen Kollegen, einem Chinesen, einem Afrikaner, einem Thailänder, einem Europäer von dem er nicht rausbekam aus welchem Land genau er kam, einem Japaner und drei Koreanern erging es nicht anders. Alle schufteten für einen Hungerlohn und keiner von ihnen bekam irgendwann mal auch nur ein 'Danke' für seine Arbeit zu hören. Den Chef bekamen sie auch nur äusserst selten zu Gesicht, im Grunde immer nur dann wenn ihnen ihr Lohn ausgezahlt wurde. Ansonsten fungierte er regelrecht als 'Schattenmann'. Tommy hasste den Job. Nicht weil das Kisten schleppen keine sonderlich anspruchsvolle Tätigkeit war, sondern weil er das Gefühl hatte sich den Arsch für nichts und wieder nichts aufzureissen ohne dafür wirkliche Anerkennung zu erlangen. Der Chef ließ ihn und seine Kollegen arbeiten, tat selbst aber keinen Finger krumm. Ausnutzung. Wie sehr Tommy das gegen seine Person hasste. Er brauchte unbedingt einen neuen Job, soviel stand fest. Der dünne, schweigsame Afrikaner, dessen Name Tommy sich nie merken konnte, knallte eine Kiste neben ihn auf den Boden und nickte ihm zu. „Komm. Wir müssen noch acht Kisten schleppen“, sprach er in gebrochenem Koreanisch. Tommy verdrehte innerlich die Augen. Acht Kisten – nahm dieser Nachmittag denn gar kein Ende? Nach der Arbeit traf Tommy sich, wie verabredet, mit Taiji an ihrem Treffpunkt beim „blauen Teufel“. Der „blaue Teufel“ war ein Graffiti an einer Holztür von einer alten, kleinen und seit Ewigkeiten stillgelegten Fabrik. Die im typischem „Straßen-Stil“ gesprayte Fratze mit dem fies grinsendem, riesigen Mund und den Hörnern zwischen den Ohren bedeckte fast die gesamte Türfläche und wurde von den Jungs meißt dann als Treffpunkt genutzt wenn es um ernste Besprechungen ging. Was Tommy im Moment noch nicht wusste war, dass dieses Gespräch ernster werden würde als ursprünglich von Taiji geplant. Schon aus einiger Entfernung konnte er an der Körperhaltung des schnell aufbrausenden Freundes erkennen dass irgendwas passiert sein musste. Als er ihn schließlich ganz erreicht hatte hob er wie gewohnt ansatzweise die Hand zum Gruß. Taiji, den Kopf leicht gesenkt, blinzelte durch seine ihm ins Gesicht fallenden braunen Locken den Freund an. „Was gibt's?“, fragte Dieser sogleich. „Ärger“, war die mehr als knappe Antwort des Leaders und er hielt ihm einen Zettel vor die Nase, dessen obere Mitte ein schiefer Schlitz zierte. 'Jetzt seid ihr fällig. X' Das 'X' war die unmissverständliche Unterschrift des Verfassers, das war sonnenklar. Nicht so sonnenklar für Tommy war der Grund dieser Kampfansage. „Was ist passiert?“ Taiji nahm die Nachricht wieder an sich und grummelte vor sich hin. „Yoshiki ist ein schlechter Verlierer.“ „Na das ist ja nichts Neues“, fand Tommy und lehnte sich mit einer Schulter gegen das linke Ohr des „blauen Teufels“. „Wo hast den Zettel gefunden?“ „Als ich hierher kam hing der Zettel mit einem Messer am Teufel“, lautete die Erklärung. Man brauchte kein Bandenmitglied zu sein um zu erkennen dass Taiji gerade sichtlich nervös war und es in seinem Kopf auf Hochtouren ratterte. „Die planen 'nen Angriff mit der ganzen Gruppe, ich schwör's dir...“ Er stiefelte unruhig auf und ab. „Verdammt! Ausgerechnet jetzt, wo Kenzy ausfällt!“ Plötzlich blieb er stehen und schaute Tommy direkt an. „Dabei wollte ich mit dir über etwas ganz anderes reden. Das mit X wusste ich bis vor fünf Minuten selber noch nicht.“ Tommy fummelte sich mit einer routinierten Bewegung seine Zigarettenschachtel aus der Innentasche seiner Jacke und angelte sich einen Glimmstengel heraus, bevor er Taiji die Schachtel anbietend hinhielt. Dieser nahm knapp dankend an und zündete sich den kleinen Suchtbegleiter mit dem eigenem Feuerzeug an, was er im fließendem Übergang auch bei Tommy tat. Es war eine typische Handlung der Beiden, sie ergänzten sich gegenseitig ohne verbaler Absprache. Das taten sie oft, nicht nur beim Nikotinkonsum. Taiji trat von einem Bein auf's Andere. „Hör zu, wir müssen uns was wegen Mogwai überlegen.“ Tommy bließ den ersten Zug in den Wind. „Ich weiß, ich hab gehört dass er wieder von seinem Vater verprügelt wurde und was da gestern in der Schule abging.“ Die Strassengangs in und um Seoul hatten allesamt ein verdammt gut organisiertes Nachrichtensysthem und das brauchten sie auch wenn sie überleben wollten. So sprach sich jedes Vorkommnis innerhalb der Banden sehr schnell rum und meißt waren auch immer ein paar gute Informationen über die jeweiligen Gegner dabei. Von Mogwai's Ausfällen bekamen die Sister's daher immer was mit, selbst jetzt wo Mogwai's Erstbezugsperson, Kenzy, noch zu Hause seine Verletzungen auskurierte. Allerdings konnten die Sister's sich auch ausrechnen dass die Jungs von X ebenfalls diese Information erhielten..... Taiji sah ihm in die Augen. „Er muss da raus. Er hat sonst keine Chance.“ Seine Stimme war leise aber fest und bestimmend, wie so oft wenn es um ernste, interne Dinge ging. „Tusk meinte, Mogwai macht nicht mehr lange, wenn sich nichts ändert. Er kann ihn aber nicht bei sich aufnehmen, du weißt selbst wie winzig sein Zimmer ist.“ Er wendete den Blick nicht von Tommy's Augen ab. Und Dieser verstand die Geste. „Er soll bei mir wohnen, hm?“ Taiji nickte knapp. „Zumindest vorübergehend. Er kann auch alle paar Wochen zu jemandem anderen von uns, Hauptsache er kommt aus seinem Elternhaus raus. Die bringen ihn da sonst echt noch um.“ Nun war es Tommy der nickte. „Schon klar....“ Sein Blick driftete in die Ferne, seine Zigarette war schon halb abgebrannt. „...ideal wäre es, er hätte 'ne eigene Bude...“ „Nein!“, fiel ihm Taiji nun abruppt ins Wort. „Es ist nicht gut wenn er länger alleine ist. Erstens schon wegen seiner Alpträume und zweitens würde sein Vater garantiert versuchen ihn wieder zurück nach Hause zu holen und wenn Mogwai alleine ist wird ihm das wahrscheinlich auch gelingen.“ Taiji nahm den vorletzten Zug seines Zigarettenstummels. „Nein, das dürfen wir nicht riskieren...“ Sein Blick fiel auf den Sandweg, in Welchem er mit seiner Stiefelspitze schmale, geschlungene Bahnen zog. Den schnippste gerade seinen Zigarettenstummel lachend auf den Gehweg, während die restliche Fraktion von X sich noch über die drei, soeben vorbeigehenden jungen Koreanerinnen lustig machten. Die wiederum versuchten schnell Land zu gewinnen denn dass junge Schülerinnen in der Gegenwart von X nicht sicher waren hatte sich schon in der halben Stadt rumgesprochen. Umso unpassender schien das Bild als Ryö mit einem sichtlich unglücklichem Gesichtsausdruck als Letzter zu der lachenden und pöbelnden Gruppe an der besprayten Mauer, ihrem Stammtreffpunkt und von ihnen allen oftmals als „The Wall“ betitelt, eintraf. Er steuerte sofort zielstrebig auf Den zu und zog ihn, kaum dass er ihn erreicht hatte, ohne zu zögern etwas zur Seite. Seine Hand an Den's Ärmel zitterte, seine Augen waren glasig. Den bekam regelrecht einen Schreck als er in das ängstliche Gesicht des besten Freundes sah und sofort war für ihn klar dass irgendwas nicht stimmte. „Ryö, hey, was ist los?“ Nun begannen auch noch Ryö's Lippen zu beben. „Meine Familie will umziehen........nach Boseong.“ Der junge Japaner mit der blondbraunen Mähne war den Tränen nahe. Den's eh schon große Augen weiteten sich vor Entsetzen. „WAS? Das ist nicht dein Ernst?!“ Doch Ryö nickte, versuchte die aufkommenden Tränen hinunter zu schlucken. „Meine Mutter und meine Tante haben Verwandte dort und die Wohnung hier können meine Eltern nicht mehr bezahlen“, versuchte er mit brüchiger Stimme zu erklären. Den hielt ihn an den Schultern fest als er spürte wie Ryö zu taumeln begann. Der Schock war für seinen Freund mindestens genauso groß wie für ihn selbst. „Du musst mir helfen, Den! Ich will nicht nach Boseong!“ Nun flossen aus seinen flehenden Augen doch die ersten Tränen. „Ich will bei euch bleiben!“ Noch nie in seinem Leben hatte Ryö solch eine Angst vor etwas Bevorstehendem gehabt. Selbst in den härtesten Bandenkriegen hatte er sich stets stärker gefühlt als in diesem Moment. Jetzt fühlte er sich einfach nur klein und schwach. Dass ihm seine jüngeren Zwillingsbrüder ständig mit allem was sie taten und sagten auf die Nerven gingen, damit konnte er leben. Dass sein Vater ihm dauernd vorhielt er solle sich in der Schule gefälligst mehr anstrengen hatte Ryö bereits gekonnt zu überhören gelernt. Dass seine Mutter und seine Tante, die mit der Familie in einer Wohnung lebte, immernoch verzweifelt versuchten aus ihm einen gehorsamen und folgsamen Jungen zu machen, darüber amüsierte er sich mittlerweile schon regelrecht. Das waren alles Umstände mit denen er leben konnte, auch wenn er täglich in den Augen seines Vaters lesen durfte dass Dieser ihn heimlich schon als Verlierer sah. Doch mit dieser Familie, in der er sich schon lange nicht mehr geborgen fühlte, ans andere Ende von Süd-Korea zu ziehen, irgendwo zwischen Teeplantagen und Bergen, weit weg von seinen Freunden – seiner wahren Familie, wie er X nannte – das war etwas was er auf keinen Fall wollte! In X herrschte ein Zusammenhalt wie er ihn von seiner Familie nie kennen gelernt hatte und Den war für ihn wie ein Bruder – mehr als es die Zwillinge je sein würden. Den zog den Gleichaltrigen in seine Arme und drückte ihn beschützend an sich. Das wollte er nicht zulassen, dass seine Familie ihn mit nahm nach wohin auch immer. Ryö gehörte zu ihnen und ganz besonders zu ihm. Niemand würde das gegen seinen Willen ändern können. Seit dem Kindergarten waren er und Ryö unzertrennliche Freunde gewesen und das würde auch kein Geld der Welt je ändern können, egal was für Wohnverhältnisse Ryö's Familie sich leisten konnte oder nicht. „Du ziehst zu mir. Wir schaffen das“, flüsterte er ihm ermutigend ins Ohr. Ryö hob seinen Kopf, den er bis eben noch an Den's Schulter gelehnt hatte, und blickte ihn mit einem Hoffnungsschimmer in den glasigen Augen an. „Zu dir?“ Seine Stimme war derweilen tränenerstickt. Er konnte sich nicht ganz ausmalen wie sein Freund sich das vorstellte. Doch Dieser nickte bloß mit einem feinen Lächeln auf den sanft geschwungenen Lippen. „Wir kriegen das schon hin.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)