Dear Loser von RedSky ================================================================================ Kapitel 2: Back Street Delinquent --------------------------------- Seine Finger waren abwechselnd damit beschäftigt die Saiten der Gitarre zu zupfen und mit dem angekautem Bleistift auf einem Blatt Papier zu schreiben. Seine aufmerksamen Augen waren fast ausnahmslos auf die notierten Zeilen und Akkorde geheftet. Immer wieder änderte er vereinzelte Wörter oder schrieb die Griffreihenfolge um, spielte die Änderungen auf der Gitarre nach, notierte etwas Neues und spielte wieder. Schon den ganzen Vormittag saß Tusk in seinem kleinen Zimmer in der Zwei-Raum-Wohnung, mehrere Stockwerke über einer kleinen Kneipe in der unregelmäßig Live-Acts auftraten. Und von einem dieser Live-Acts hatte er auch seine Akkustik-Gitarre gekauft: Eine dreiköpfige Folk-Punk-Band die letzten Sommer dort ihren Auftritt hatten. Das Instrument hatte am Korpus zwar schon diverse Kratzer und Dellen und schien allgemein schon ziemlich abgenudelt zu sein, doch die Saiten gaben allerbesten Klang ab und nur dafür interessierte sich Tusk. Und wenn er sich für nur ein Monatsgehalt eine Gitarre leisten konnte, war das für ihn schon ein Schnäppchen. Zufrieden lächelte er als er nun endlich die Strophe fertig komponiert hatte. Und er hätte sich sofort auch an die nächsten Verse gemacht, wenn nicht plötzlich das schnarrende Geräusch der Türklingel durch die Wohnung gedrungen wäre. Tusk hob seinen Kopf, warf einen Blick auf die rot leuchtenden Zahlen seines Radio-Weckers. Sein Mitbewohner konnte es nicht sein, der verbrachte heute den ganzen Tag in der Uni. Und Taiji konnte es ebensowenig sein, der drückte grundsätzlich drei Mal kurz auf den Klingelknopf. Der angehende Musiker erhob sich somit, stellte seine Gitarre beiseite und schlurfte zur Wohnungstür, wo er den automatischen Türöffner betätigte. Gleichzeitig öffnete er die Wohnungstür und lauschte den Schritten, die die Treppenstufen bis in den dritten Stock hochstolperten. Als er dann wenig später Mogwai vor sich stehen sah staunte er nicht schlecht – mit ihm hatte Tusk nun gar nicht gerechnet. „Hey Kleiner, komm rein!“, begrüßte er den Jüngeren sogleich mit einem Lächeln. Der schmale Junge mit den zerzausten Haaren kam dieser Einladung wortlos nach, seinen Blick bekam er jedoch kaum vom Boden abgewand. Tusk realisierte nun dass irgendetwas nicht stimmte. Er sah sich Mogwai genauer an und plötzlich leuchtete ihm das Rot-Lila, in das sich die Haut um sein linkes Auge herum verfärbt hatte, durch die dunklen, langen Ponyfransen entgegen. Er schob seine Finger unter Mogwai's Kinn und hob dessen Kopf etwas an um ihm besser ins Gesicht blicken zu können. Das Veilchen stellte sich als echt heraus und war kein Schattenspiel. Tusk's Mimik änderte sich schlagartig von freundlich zu ernst. „Wer hat dir das angetan? Waren das Yoshiki's Leute?“ Mogwai schüttelte den Kopf. „Es gab zu Hause etwas Zoff....“, nuschelte er und sein Blick sank wieder zu Boden. Er wirkte erschöpft. Tusk schob den jüngeren Freund sanft in sein kleines Zimmer, Welches er trotz des Chaoses dennoch als gemütlicher für seinen Gast zu empfinden schien als den schmalen Flur. Auf eine Geste des Gastgebers hin setzte Mogwai sich auf die Bettkante, die zerwühlten Laken und Decken im Rücken. Er spürte wie die weiche Matratze unter seinem Gewicht nachgab..... Das Gefühl erinnerte ihn ans schlafen.... Schlafen, was für ihn in den meißten Fällen zur Hölle wurde weil sein Geist im schlafendem Zustand den Alpträumen schutzlos ausgeliefert war. Tusk erkannte wie sehr sich der Freund nach Schlaf sehnte, aber er kannte auch seine Probleme mit eben Selbigem. Er setzte sich neben ihn und strich ihm über den Rücken. Ohne jegliche Aufforderung begann Mogwai von sich aus zu erzählen. „...ich war heute früh schon zu spät dran für die Schule...ich wollte noch was essen, aber mein Vater wollte das nicht......er wollte mich so schnell wie möglich aus'm Haus haben.... Aber ich hatte Hunger!“ Es dauerte ein paar Momente bis er weiter sprach. „....ich wollte mir was aus dem Kühlschrank holen, aber mein Vater hat mir den Weg dorthin versperrt...... Er hat gesagt, Nichtsnutze hätten nichts zu essen verdient und ich solle mich endlich verpissen... Dann hat er auf mich eingeprügelt.“ Wieder folgten einige Sekunden des Schweigens, bis er noch hinzufügte: „Mama stand nur qualmend daneben...und hat zugesehen.......“ Tusk spürte Mitleid in sich aufkommen. Er wusste in was für kaputten Familienverhältnissen Mogwai lebte, er selbst kam nicht aus Besseren. Aber er hatte es geschafft sich daraus zu befreien – Mogwai hingegen saß fest und es schien wie ein ewiger Teufelskreis in dem er ausharrte. „Warte....“ Ohne ausführlichere Erklärung stand Tusk auf und trabte durch den langen, schmalen Flur in die Küche. Gezielt griff er dort nach seiner letzten Packung Ramen und bereitete das Gericht rasch zu. Diese Entscheidung bedeutete für ihn heute auf's Essen zu verzichten, abgesehen von den letzten paar Billig-Reiscrackern die er noch irgendwo rumzuliegen hatte. Man hatte ihm schon oftmals gesagt er sei zu großzügig und sollte mehr an sich denken, auch von den Anderen aus der Gruppe durfte er sich das schon anhören. Vielleicht hatten sie auch alle Recht, vielleicht besaß er tatsächlich ein zu großes Herz. Aber es war stets seine Entscheidung wieviel Hilfe er anderen anbot und bisher fühlte er sich gut dabei. Nur wenige Minuten später kam er mit einer dampfenden Schüssel zurück zu Mogwai und reichte ihm Selbige. „Danke...“ Die leichte Verwunderung war dem Kleinen anzusehen. Doch er war viel zu hungrig als dass er das Angebot hätte ausschlagen wollen und so futterte er gleich gierig drauf los. Bei dem Tempo mit dem er aß fragte Tusk sich ernsthaft wann der Jüngere zuletzt was in den Magen bekommen hatte. Ebenso wie er sich fragte wieviele blaue Flecken er noch von seinem Vater eingeheimst haben mochte, ausser dem Veilchen und den paar Kratzern im Gesicht. Unbewusst glitt sein Blick über den schmalen Körper Mogwai's, der jedoch von einem schwarzen Pullover und schwarzen Hosen bedeckt wurde und somit keinerlei Aufschluß über mögliche weitere Spuren gab. Er tat ihm Leid und er wusste dass Mogwai irgendwann aus dieser Familie raus musste wenn er sich von seinem Vater nicht eines Tages zu Brei verarbeiten lassen wollte. Doch ebenso wusste er auch dass Mogwai das letztenendes nur selbst entscheiden konnte. Solange er zurück nach Hause ging, würde dieser Alptraum für ihn immer weiter gehen. Tusk kannte das nur zu gut.... Schon den ganzen Tag über hatte Kenzy ein ungutes Gefühl. Es hing damit zusammen dass Mogwai heute nicht in der Schule auftauchte. Mogwai verspätete sich oft, das hing mit seinem Schlafproblem zusammen. Aber wenn er überhaupt nicht in der Schule aufkreuzte und auch nicht als krank gemeldet war...dann war immer irgendwas im Busch und meißt hatte es direkt oder indirekt mit seiner Familie zu tun. Während er so gedankenverloren auf dem Heimweg war und die Straße entlangschländerte, entfloh ihm unwillkürlich ein leiser Seufzer. Er wünschte sich wirklich manchmal, Mogwai hätte noch so ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern wie er es selbst hatte. Seine Eltern waren wirklich fürsorglich und liebevoll. Sie hätten nie zugelassen dass er mal zu wenig zu essen bekäme. Sie schlugen ihn nie und verboten ihm wenig. Gut, sie wussten nichts von seinen drastisch sinkenden Leistungen in der Schule und davon was er manchmal mit seinen Freunden trieb, aber jeder brauchte schließlich seine Geheimnisse. Wenn Kenzy so darüber nachdachte hatte eigentlich niemand seiner Freunde noch solch ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern... Zu spät sah er die drei Jugendlichen in ihrer dunklen Lederkluft auf sich zukommen. Sofort verlangsamten sich seine Schritte und heimlich suchten seine Augen nach einer Nebenstraße in die er noch kurzfristig hätte flüchten können, doch auf diesem Stück der Hauptstrasse zwischen ihm und den anderen gab es keinerlei Nebenstrassen, keinen Fluchtweg. Und die Drei kamen rasch näher. Kenzy erkannte in ihren Gesichtern die Entschlossenheit und in diesen Momenten wusste er, dass es für ihn mehr als unangenehm werden würde. „Kenzy...! Lange nicht gesehen...“ Und damit legte sich auch schon der Arm des Blonden um seine Schultern. Es war Toshi, Yoshiki's rechte Hand. Man konnte ihn schon fast als zweiten Anführer von X bezeichnen, so entschlossen waren seine Handlungen – oder seine Ausführungen von Yoshiki's Befehlen. Kenzy spürte schlagartig einen krampfartigen Schmerz in der Magengegend als Toshi ihm so nahe war und sich nun auch noch die beiden anderen, Pata und hide, so dicht zu ihm stellten. Sie hatten ihn erbarmungslos eingekesselt. „Hat dir unser Auftreten die Sprache verschlagen oder was?“, fragte Toshi nachdem Kenzy auf seine Begrüßung hin bis jetzt immer noch nichts gesagt hatte. Doch Kenzy ließ auch jetzt noch kein Wort verlauten, blickte Toshi nur in die glitzernden Augen. Seine Angst konnte er dabei nicht mehr verbergen. „Der Kleine macht sich doch schon in die Hosen bevor wir ihn mitgenommen haben“, grinste Pata und nahm einen kurzen Zug seiner Zigarette. „Das kann uns egal sein, solange er sonst keinen Ärger macht und brav mitkommt“, entgegnete Toshi und schenkte ihrem Opfer ebenfalls ein Grinsen. Damit setzte sich die kleine Gruppe in Bewegung und Kenzy wurde, ob es ihm passte oder nicht, einfach mitgeschoben. Den Weg bestimmten die Anderen und er musste sehen was als Nächstes passierte. Diese Gelegenheit ließ auch nicht lange auf sich warten denn es dauerte keine fünf Minuten und die Jungs bogen in eine schmale Seitenstraße ein die sich nach einer weiteren Biegung als Sackgasse entpuppte. An einer mit Graffitti beschmierten Backsteinwand lehnte Yoshiki, seelenruhig, die glimmende Zigarette zwischen den Zähnen geklemmt. Als er seine Kollegen kommen hörte wand er seinen Kopf in derren Richtung und nahm die Zigarette aus dem Mund, die daraufhin ohne weitere Beachtung auf dem Boden landete. Als Kenzy diese kleine Bewegung bemerkte atmete er innerlich auf. Brandwunden durch eine brennende Zigarette würden sie ihm also schonmal nicht zufügen. Aber verschont blieb er deswegen ganz bestimmt nicht. Schon gar nicht wenn Yoshiki mit solch einer Ruhe langsam und gemächlich auf ihn zuschritt wie in diesen Momenten. Jetzt stand er gefährlich dicht vor ihm und grinste ihn nur breit an. Die Hände lässig in den Hosentaschen steckend. „Du kuckst also gerne zu wenn dein Boss mir Eine reinhaut, hä?“ Sein Grinsen nahm immer diabolischere Züge an und sein Gesicht näherte sich dem von Kenzy bis auf wenige Zentimeter. Der Jüngere spürte den Atem des Anderen auf seiner Haut. Die Fratze des dürren Leaders vor sich, den eisernen Griff Toshi's um seine Arme und Pata's und hide's Anwesenheit links und rechts von sich – es gab aus dieser Situation kein Entkommen mehr, das wusste er. X hatten mit ihren Opfern nie Gnade und noch weniger Skrupel. Er wartete regelrecht auf den ersten Schlag. Und dieser sollte auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. „Du kleiner, dreckiger Bastard“, wisperte Yoshiki mit zu schmal verengten Augenschlitzen und spuckte ihm daraufhin ins Gesicht. Dann machte er ein, zwei Schritte zurück und gab Toshi mit einem kaum wahrnehmbarem Kopfnicken ein Zeichen. Dieser drückte den Jungen daraufhin sofort brutal zu Boden, hielt dessen Handgelenke erbarmungslos auf den Rücken über Kreuz und fixierte das wehrlose Bündel indem er seinen schweren Stiefel zwischen Kenzy's Schulterblättern presste. Nun konnten hide und Pata ohne Mühe beginnen auf ihr Opfer einzutreten und das taten sie auch – ohne jegliche Scheu. Als würden sie nie etwas anderes tun. Kenzy's Schmerzensschreie erfüllten den kleinen Hinterhof für den sich keiner zuständig fühlte und der Straßenlärm auf der Hauptstrasse sorgte für den Rest dass niemand etwas von dieser Tat mitbekam. Yoshiki stand da und beobachtete das Spiel mit großer Genugtuung und einem zufriedenem Ausdruck in den Augen. Bald wäre der Kleine wenigstens für's Erste erledigt, das dürfte ihm und auch den anderen Sister's no Future-Mitgliedern Warnung genug sein. Und seine Rachegelüste befriedigte dieser Anblick auch. Es war ein für die Jahreszeit ungewöhnlich warmer Tag, deutlich wärmer als gestern. Die Sonne schien grell vom wolkenlosen Himmel und der trockene Sand und Staub haftete an Yoshiki's schwarzen Stiefeln. Der Autofriedhof, der früher angeblich mal eine Autohandlung gewesen sein soll, war wie ausgestorben. Selbst über aufgescheuchte Obdachlose, die manchmal in den teils stark zerfallenen Autowracks hausten, stolperte man heute nicht. Yoshiki war das nur recht. Er mochte sich mit dem Pennervolk nicht unnötig auseinandersetzen, ausser man konnte einem schlafendem Penner die Wodkaflasche entwenden oder ihm ein paar Münzen aus den Taschen klauen. Wobei gerade Letzteres nicht wirklich seinem Stil entsprach. Er verachtete Penner, den wertlosen Dreck der Straßen. Die, die es zu absolut nichts gebracht hatten, nichts hatten und auch nie etwas haben würden. Verlierer. Und er hasste es sich an Verlierern die Hände schmutzig zu machen. Während er über den großen Platz und zwischen den abgestellten Autos herumwuselte und auf dem Weg zu einem Treffen mit seinen Jungs war, realisierte er nicht dass er schon eine ganze Weile heimlich verfolgt wurde. Sein Verhängnis war der Moment in dem er eine geklaute Armbanduhr aus seiner Jackentasche zog und sich das gute Stück nochmal besah. Diese Tat ließ ihn seine Aufmerksamkeit von seiner Umgebung abwenden und genau diese Unachtsamkeit nutzte sein Verfolger, schlich sich lautlos an ihn heran und packte blitzschnell seine Arme, bevor er ihn um die nächste Ecke mit dem Gesicht an eine alte Mauer presste. Die Uhr fiel dabei zu Boden. „Du elender Feigling! Vier gegen Einen, hä?“, knurrte er ihm ins Ohr. Yoshiki erkannte die Stimme sofort – genau wie den festen Griff um seine Arme. Taiji. „Seine Schuld wenn er alleine unterwegs ist“, keuchte er und versuchte sich verbissen aus den Klauen des Anderen zu befreien. Taiji jedoch wusste mittlerweile wie man den Boss von X festhalten musste damit dieser möglichst unbeweglich blieb. Je häufiger man aneinander geriet desto eher lernte man die Schwächen seines Gegners kennen... „Ihr habt Kenzy aufgelauert! Er ist euch nicht zufällig vor die Füße gelaufen und das weißt du auch, du Ratte!“ „Fick dich, du kleiner Moralapostel!“, fauchte Yoshiki und startete einen erneuten Befreiungsversuch, doch noch bevor Dieser auch nur ansatzweise gelingen konnte spürte er plötzlich eine schwarfe Klinge an seinem Mittelfinger und einen von Taiji's Fingern als Gegendruck. Abrupt hielt er inne. Wollte dieser Irre ihm etwa seinen Finger kürzen? Mit finsterer Miene blickte er auf Yoshiki's Finger, den er in seiner Gewalt hatte, und auf die glänzende, scharfe Klinge seines Messers die so gefährlich angesetzt war. Jetzt hatte er ihn, jetzt konnte er ihm zurück zahlen was er Kenzy angetan hatte. Konnte ihm weh tun, konnte ihm ein Zeichen setzen.....ein Zeichen Welches er nie wieder leugnen könnte weil es unübersehbar wäre. Ein Zeichen Welches die körperlichen Schmerzen überleben würde und ihn für den Rest seines Lebens verfolgen würde. Er könnte ihm ein Stück Finger abschneiden. Als Strafe. Die metallene Klinge blitzte ihm aufmunternd zu, als wolle sie ihm sagen 'Tu es, ja, tu es....' Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)