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Kaibas Herz

Seto x Joey
von  Idris

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Kapitel 14: Das böse B-Wort oder "Was wir hätten sein können"

Warnungen: Zeitsprünge. Oh Gott, exzessive Zeitsprünge. x____X Es tut mir leid. Ach ja - und Tea. Pornos. Viiiiel Dialog. Das dürfte es gewesen sein.
Viel Spaß.



„Mir ist heiß!“

„Trödel nicht so rum.“

„Aber mir ist heiß!“

„Joey …“

„Oh nein, Kumpel! Nein, nein, nein! Es hat sich ausgejoeyt! Endgültig! Für immer! Das Privileg hast du dir versaut!“

Kaiba schnaubt. „Ich bin nicht dein Kumpel, Wheeler.“

„Das wirst du in diesem Leben auch nicht mehr, du Arsch!“, fauche ich zurück.

Grrrrrr! Kaiba kann mich mal! Für was hält er mich denn? Seinen Sklaven? Seine Sekretärin? Butler? Diener? Botenjunge? Blindenhund?

Ich bin schon seit Tagen so was von angepisst auf ihn – und jetzt bin ich es erst recht. Es ist heiß, mein Shirt klebt an meinem Rücken, Mücken betrachten mich als Gratisbüfett und ich stapfe durch kniehohes Gras. Nebenbei schleppe ich Kaibas Laptop und möchte diesen Bastard erschlagen.
Hat da grade jemand was von Déjà vu gesagt?
Schnauze.

Tatsache – wir sind einmal mehr im Schulgarten. Genauer gesagt in dem Dschungel formely known as our Schulgarten. Ich natürlich nicht freiwillig. Und natürlich ist es wieder Kaibas Schuld.

Bin ich grade zu schnell? Ich bin zu schnell.
Vermutlich macht das ganze mehr Sinn, wenn ich ein paar Tage zurückspule …

Gehen wir zurück zu dieser verhängnisvollen Donnerstagnacht, die ich aufgrund zwingender Umstände in Kaibas Hightech-schickimicki-Superluxusvilla verbracht habe. Nämlich nachdem ich seine Firma lahm gelegt, ihn mit einer Taschenlampe niedergeschlagen und in seinem Büro spontan geküsst habe, in seine Villa eingebrochen bin und später in seinem Bett gepennt habe (ohne meine Schuhe auszuziehen). Ihr wisst ja, wie das ist. Vermutlich fangen viele Beziehungen so an.
Andererseits … vielleicht auch nicht.

Ah, jetzt habe ich das böse Wort gesagt.
Das B-Wort.
Nicht Brüste.
Brüste ist das böse B-Wort, was Tea aufregt.
Beziehung ist das böse B-Wort, das Kaiba aufregen würde, wenn er wüsste, dass ich es im Zusammenhang mit ihm denke. Gedacht habe. Ein bisschen. Vielleicht.
Wie auch immer.

Zurück zu Donnerstag.
Das ist jetzt ziemlich genau vier Tage her. Das und die Tatsache, dass ich mich bereitwillig und sozial erklärt habe, sein, Zitat - ‚schmutziges, kleines Geheimnis’- Zitat Ende, zu bleiben und sein Leben nicht unnötig zu ruinieren. Ich bin ja gar nicht so.

Und jetzt …?
Also, ich weiß ja nicht, wie ihr das seht, aber ‚schmutzig’ hatte ich mir irgendwie … schmutziger vorgestellt.

Inzwischen weiß ich so faszinierende Dinge über ihn, wie die Tatsache, dass er seinen Kaffee immer schwarz trinkt, und zwar nur die extra aus Kolumbien eingeflogene, besonders schonend geröstet Gold-Edition. Oder dass er drei verschiedene Sekretärinnen hat – eine für die Tagesschicht, eine für die Nachtschicht und eine fürs Wochenende. Das weiß ich, weil ich sie andauernd am Telefon habe, wenn ich versuche Kaiba anzurufen.

Noch ein Punkt, von dem ich mir irgendwie mehr versprochen hatte.
Ich bin jetzt stolzer Besitzer von Kaibas Handynummer. Genau. Nicht das Bürotelefon – ich rede von seiner ganz privaten Handynummer. Ich fühlte mich so geliebt.
Das wäre eine wirklich nette Geste von ihm gewesen – wenn er das Scheißding nicht dauernd auf sein verfucktes Bürotelefon umleiten würde, weil er grade mal wieder in einer wichtigen Sitzung ist.
Ich habe inzwischen öfter mit Mika gesprochen als mit ihm. Danke, du Arsch. Das ist toll. Ganz toll.

Langsam kommt mir Dampf aus den Ohren und ich bin noch gar nicht bei den wirklich –wirklich – ätzenden Dingen angelangt.

Eigentlich fing alles gut an.
Kaiba und ich schafften es genau acht Stunden und siebenundzwanzig Minuten lang tatsächlich zivilisiert zueinander zu sein. Minus eine halbe Stunde, die ich in seiner Luxus-Dusche verbrachte und minus weitere dreieinhalb Stunden, die ich irgendwann auf seinem Bett eingeschlafen bin. Es hat einfach was sehr Einlullendes, wenn Kaiba neben dir sitzt und eine Kostenkalkulation berechnet …
So oder so war es eine unerhörte und nie da gewesene Leistung. Seit wir uns kennen, haben wir noch nie mehr als drei Sätze gewechselt ohne uns zu beleidigen, niederzumachen oder herauszufordern.

Wir haben überhaupt nicht mehr so viel geredet. Er hat Berichte geschrieben und ich habe in einem geborgten T-Shirt neben ihm gelegen und ihm dabei zugesehen. Wir waren richtig … friedlich.
Es war, als ob wir die Tage davor so intensiv und ausdauernd gezofft und gestritten hatten, dass einfach keine Luft und keine Energie mehr da war, um so weiterzumachen. Mein Akku war leer … und ich glaube, seiner war es auch.

Wenn wir geredet haben, waren wir beinah nett.

Ich bin total geplättet. Wusste nicht, dass du auch ganz normale Klamotten hast …’
‚Was soll das denn heißen?’
‚Na ja … Klamotten ohne Nieten und … äh Schnallen und so …’
‚…’
‚Was? Was?’
‚Joey … du würdest modebewussten Stil nicht mal erkennen, wenn er dir ins Bein beißen würde.’
‚Hey!


Also, beinah nett.
Für unsere Verhältnisse waren wir nicht schlecht. Kaiba hat nur vier Hundesprüche in acht Stunden gebracht. Das finde ich eine ziemlich gute Quote. Sein Bett ist übrigens auch toll … wenn man nicht grade versucht sich darauf mit Kissen zu verprügeln.

Hey Kaiba …?’
‚Hm?’
‚Der Laptop auf deinem Schoß …’
‚Was ist damit?’
‚Machst du dir nie Gedanken um … du weißt schon?’
‚Joey … was versuchst du mir zu sagen?’
‚… wegen der Strahlung …?’
‚… Bitte. WAS?!’
‚Na ja … wegen deinem … deiner … und so … ich mein ja nur …’
‚ …’
‚Hey, es gibt Studien, die belegen … wirklich …’
‚…’
‚Schon gut, ich habe nichts gesagt!


Ich war nicht mal beunruhigt, als er mich am nächsten morgen rausgeworfen hat. (Ich hatte Mathe und er eine Konferenz in New York.)
Ich war nicht mal sauer, obwohl es sechs Uhr morgens war. Nein, ich fühlte mich den ganzen Tag halbduselig vor Glück … bloß weil ich ein zerknautschtes T-Shirt von Kaiba in meinem Rucksack hatte, das er nicht wieder haben wollte.

Nachträglich verstehe ich nicht, wie ich so blöde sein konnte.
Mir hätte klar sein müssen, dass unser Ritt in den Sonnenuntergang nicht SO einfach sein würde. Ich kann nicht mal reiten.

Anders ausgedrückt: Unser Happy End kam mit einem breiten Strahlen um die Ecke geschlendert …
… und Kaiba schlug ihm mitten in die Fresse.

Zurück zum Hier und Jetzt.
Schulgarten. Hitze. Déjà vu.

„Eigentlich solltest du mir dankbar sein.“ Kaibas Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.
Und hier bitte Zeitlupe auf mich und zoomen auf mein Gesicht. Danke.

Ich bleibe stehen – mitten im Gras – und drehe mich langsam um.
„Dankbar?“ wiederhole ich. Ich fasse es nicht. „DANKBAR?!“

Jetzt reicht’s! Das war’s! Schluss mit lustig.

„Du hast keine Ahnung, wie unendlich dankbar, ich dir DAFÜR bin!“, fauche ich und zerre ein zusammengeknülltes Blatt Papier aus meiner Hosentasche, um ihm damit vor der Nase herumzuwedeln. „Ich kann nicht glauben, dass du mir tatsächlich so einen beschissenen Brief schreibst! Oh entschuldige – dass du deinen ANWALT beauftragst, mir so einen beschissenen Brief zu schreiben!“

In einem Anfall von kindischem Jähzorn schleudere ich den Brief nach ihm. Natürlich fängt Kaiba ihn mit einer Hand direkt vor seinem Gesicht ab.

„Du wirkst aufgebracht“, stellt er überflüssig fest und entknüllt das Blatt Papier.

„Aufgebracht ist gar kein Ausdruck!“ Der hat Nerven. „Genauso dankbar bin ich dir für die Tatsache, dass du mich jetzt offiziell zu deinem SKLAVEN gemacht hast! Und das auch noch TOLL FINDEST!“

Der Brief … genau.
Der Brief, müsst ihr wissen, war ziemlich genau der Anfang vom Ende.

Übers Wochenende war Kaiba wie erwähnt in New York. Am Montag kam er wieder und ich erhielt diesen Brief. Per Express.
Man könnte meinen, ich sei wichtig.

Tatsächlich war ich wichtig genug, um Post von seinem Anwalt zu bekommen. Tatsächlich war es eine Liste mit – Haltet euch fest! – offiziellen Verhaltensregeln.
Ich checkte meinen Kalender, aber es war nicht der 1. April.

Mir wurde am Telefon versichert, dass alle von Kaibas „Begleiterinnen“ so ein Schreiben erhielten. Nur dass meins, ich zitiere „den anderen Umständen entsprechend“ leicht modo-… modofi-… also verändert wurde.
Andere Umstände, fragte ich.
Weil ich ein Kerl bin. Und nicht öffentlichkeitstauglich und so. Das Wort stubenrein könnte gefallen sein, aber das war vielleicht auch nur Einbildung. So was würde doch kein Anwalt sagen – oder doch?
Weiter weiß ich nicht, weil ich so wütend wurde, dass ich mein Telefon gegen die Wand schmiss.

Ich meine … Verhaltensregeln!
Geht’s noch? Was stimmt mit diesem Bastard nicht?

„Was ist dein Problem?“ Kaiba runzelt die Stirn und faltet den Brief auseinander. „Keine meiner Begleiterinnen bisher hat …“

„Und genau DAS ist das Problem!“ Aufgebracht hebe ich die Arme. „Ich bin keine Begleiterin!“

Noch ein böses B-Wort.
B-egleiterin.

„Offensichtlich nicht“, erwidert er herablassend. „Deswegen wurden die Regeln entsprechend modifiziert.“

„Zehn Meter Abstand in der Öffentlichkeit?!“ Ich habe das Gefühl, ich ersticke gleich vor lauter Wut. „Persönliche Anrufe nur samstags zwischen acht und halb neun?! Kein Blickkontakt im Unterricht?! Was ist dein Problem, Junge?!“

„Mein Problem?“ Kaibas Tonfall wird wenn möglich noch eine Spur herablassender. „Korrigiere mich, wenn ich falsch liege, aber ich bin nicht derjenige, der wegen Sachbeschädigung, Beamtenbeleidigung, Erregung öffentlichen Aufsehens, tätlichen Angriffs auf eine Aufsichtsperson und …“, arrogant hebt er einen Mundwinkel, „… Besitz von pornographischem Material beinah zu Nachsitzen für den Rest seines Lebens verdonnert worden wäre. Nur dein völlig überflüssiger Suizidversuch scheint sie etwas milde gestimmt zu haben.“

„Wie oft denn noch! Das war kein Suizidversuch!“

„Du bist aus dem zweiten Stock gesprungen.“

„Ja, aber ich wollte nicht mich umbringen, sondern DICH! Das ist ein wichtiger Unterschied!“

„Und kein bisschen weniger strafbar.“

„Klappe!“, fauche ich. „Das war alles ganz anders!“

„Darauf wette ich.“

Heute Morgen kam ich in die Schule mit dem festen Vorsatz Kaiba zu erwürgen. Das, oder ihn wenigstens furchtbar zu kompromittieren. Dieses Wort kam auch mehrfach in dem Brief vor. Ich fragte Tea danach. Sie lachte und fragte, wen ich vorhatte bloßzustellen.

An den darauf folgenden Ereignissen war sie dann auch nicht ganz unschuldig … auch wenn ich zugeben muss, dass ich vielleicht ein kleines … ein klitzekleines Bisschen überreagierte.
Film ab.


***


„Klar soweit?“ fragte Tea und kramte in ihrer Tasche.

Ich nickte abwesend und speicherte „kompromittieren“ in meinem geistigen Wörterbuch ab, zwecks späterer Verwendung. Man hatte bei Kaiba einen wichtigen strategischen Vorteil, wenn man intelligente Wörter benutzte, weil er einen dann nicht für blöde hielt und einem eher zuhöre. Und er sollte ja verstehen, wieso ich ihn hasste.

Mein Plan war simpel, aber genial. Ich hatte vor jede einzelne von Kaibas blöden Regeln zu brechen.
Zugegeben, weiter hatte ich das noch nicht durchdacht, aber es erschien mir ein ganz passabler Anfang zu sein.

„Du, sag mal …“ fragte ich beiläufig, während mein Blick aus dem Fenster lauernd über den Schulhof wanderte. Wo steckte der reiche Schnösel? „Was würdest du machen, wenn du jemanden … richtig schlimm kompromittieren wollen würdest? Nur mal so … äh heh heh … theoretisch.“

„Joey!“ Sie warf mir einen strafenden Blick zu und ich wusste, dass sie mich sofort durchschaut hatte. „Du weißt, ich unterstütze diesen kindischen Kleinkrieg zwischen dir und Kaiba nicht. Also, lass mich bloß damit zufrieden.“ Sie warf die Haare zurück und zog ein Buch aus ihrer Tasche.

„Aber rein theoretisch …“, fügte sie nach ein paar Sekunden nachdenklich hinzu, „… würde mir vermutlich irgendetwas einfallen, um seinen Ruf furchtbar zu ruinieren.“

„Aber du verrätst es mir nicht?“

„Seh ich so blöde aus?“ Sie lachte. „Du würdest es doch eiskalt in die Tat umsetzen und dir damit nur eine Menge Ärger einhandeln.“

Damit hatte sie natürlich absolut Recht. Mit einem Kopfschütteln in meine Richtung stützte sie die Ellbogen auf das Fensterbrett und klappte das Buch auf.
Sonnenschein fiel auf ihren nach vorne geneigten Kopf, und genau in diesem Augenblick wurde mir plötzlich bewusst, wie schrecklich gerne ich ihr alles erzählen wollte. Wirklich alles, was in den letzten Wochen passiert war.

Ich meine, ich liebe Tris - auf völlig unschwule, freundschaftliche Kumpel-Art möchte ich betonen -, aber ihm wäre das vermutlich alles irgendwie peinlich. Und wenn Yugi es weiß, dann weiß Yami es auch, und das wäre mir wiederum peinlich.
Aber Tea war klug. Nicht nur in der Schule, sondern auch in alltäglichen Dingen. Wie man am besten mit anderen Menschen umgeht, wie man das Richtige macht und trotzdem Recht behält, so was eben …
Sie würde sich vermutlich einen Ast ablachen und mir dann einen langen Vortrag halten – oder umgekehrt. Aber nie, nie würde sie mir das Gefühl geben, dass ich ein Idiot war.

Wenn ich es diesem Bastard nur nicht versprochen hätte.

Ich versank grade in einer weiteren gedanklichen Hasstirade auf Kaiba, als sie plötzlich ganz unerwartet loskicherte. Überrascht öffnete ich den Mund, um zu fragen, was so komisch war, als mein Blick auf ihr Buch fiel und mein Mund schlagartig offen blieb.

Was zum Teufel LAS sie denn da …?

Ohne zu Fragen, riss ich ihr das Buch aus der Hand.
Hey! Joey, was soll das …“

Der Rest ihres Protestes rauschte ungehört an mir vorbei.

Das war …!


***


„Ja bitte?“ Kaiba hat die Arme verschränkt.

„Es äh …ähm …“, stammele ich. „Mathe! Es waren … die Mathehausaufgaben! Ich war schockiert von dem Schweregrad der Aufgaben und konnte einfach nicht an mich halten und …“

„Ich glaube dir kein Wort.“

„DEIN Problem!“


***


Es war ein PORNO.

„Was …“, ächzte ich und starrte auf die aufgeschlagene Seite, „was machen die denn da …?!“
War das anatomisch überhaupt möglich? War das ein Junge? Okay, er hatte große Kulleraugen und erschreckend lange Wimpern, aber er schien tatsächlich … hektisch blätterte ich um. Scheiße, es WAR ein Junge.
Korrektur, das waren ZWEI Jungs und sie trieben Dinge, die ich bisher nicht mal in ‚1001 Stellungen’ oder ‚Jung, nackt und willig sucht …’ gesehen hatte. Woher kam die ganze Flüssigkeit?

An dieser Stelle würde ich wirklich, wirklich gerne vorspulen.
Denn dann könnte ich mir und euch jetzt folgende peinliche Szene ersparen.

„Tea!“, japste ich schockiert. „Das ist ein PORNO!“

„Shhhht!“ zischte sie aufgebracht und sah sich ein wenig verlegen um. „Geht es noch ein bisschen lauter, du Brüllaffe?! Das ist kein Porno! Das ist eine sehr dramatische Liebesgeschichte …“

Hah! Ich erkannte einen Porno, wenn ich einen sah …

„Jetzt gib schon wieder her“, befahl sie ungeduldig und zerrte an meinem Arm. „Ich habe vierzehn Bände lang gewartet, dass sie endlich so weit sind!“

„Vierzehn Bände …?“, wiederholte ich ziemlich geistlos, während ich schockiert auf eine Zeichnung starrte, wo der Junge mit den langen Wimpern seine erstaunliche Dehnbarkeit bewies. „Was haben die in den anderen dreizehn Bänden gemacht …?!“

„Na ja, sich gestritten und so.“

„Wie kann man sich dreizehn Bände lang nur streiten? Was ist das für ´ne billige Handlung? Und seit wann liest du so was?“

Ich war schockiert. Ich war entsetzt.
Sie verdrehte die Augen. „Seit immer. Es hat euch doch vorher auch nie interessiert.“

Das ist wahr.
Vielleicht hätte es mal besser. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter, wenn ich daran dachte, dass Mai … oder oh Gott, Serenity … meine unschuldige, kleine Schwester …

„Aber wieso …? Warum …? Herrgott, was macht er da mit seinem Becken?!“

„Ach Joey, jetzt sei doch nicht so verklemmt und gib es wieder her …! Über deine Pornosammlung sag ich auch längst nichts mehr.“

„Aber siehst du nicht, wie er seine Beine …?“

Ich war nicht sicher, ob ich fasziniert oder entsetzt sein sollte. Aufgrund meiner überlegenen Körpergröße hatte Tea keine Chance den Manga zu erreichen und ich konnte hemmungslos darin herumblättern, auch wenn sie aussah, als ob sie mir gleich das Gesicht zerkratzen würde.

„Joey! Gib es zurück! Mach schon … es muss ja nicht unbedingt jeder sehen … Herrgott, ich bin Klassensprecherin!

Und das war der Moment, der Moment, wo Tea lautstark um ihre Karriere fürchtete, wo mir schlagartig bewusst wurde, dass Kaiba und ich Sex haben könnten.

S.E.X.

Es flammte praktisch in Leuchtbuchstaben vor meinem inneren Auge auf.

Ich meine … Sex.
Wie in … Sex.
Abgesehen von der nebensächlichen Tatsache, dass ich ihn grade hasste und umbringen wollte, hätten wir Sex haben können!
Könnten wir theoretisch immer noch …

Ich starrte auf den Manga und versuchte in Gedanken den beiden anonymen Knaben unsere Gesichter aufzusetzen – aber es funktionierte nicht so wirklich. Die sahen nicht wütend genug aus. Die hassten sich einfach nicht genug. Und ihre Körperhaltungen wirkten tierisch schmerzhaft. (So weit konnte doch kein Mensch den Rücken durchdrücken, ohne dass er durchbrach.)
Mir wurde schwindelig.

Wieso hatte ich nie daran gedacht?
Vielleicht war ich einfach ein Idiot oder ich bin einfach nur abgelenkt gewesen von den ganzen anderen Dingen, keine Ahnung. Aber ich hatte nie weitergedacht, als bis zu der Sache mit dem Küssen und dass das eigentlich ganz cool war. Ich bin so stolz darauf gewesen, dass Kaiba mich irgendwie scharf fand, dass ich nicht … dass ich nie … an die logischen Folgen gedacht habe.

Ich verstand nicht, wieso ich nicht darauf gekommen war … ich hatte doch genug Pornos gesehen in meinem Leben.
Großer Gott! Hatte ER daran gedacht?
Ich hatte das Gefühl, mir würden gleich die Beine wegknicken.

Aber wo bekamen wir die ganze Flüssigkeit her? Konnte ich das mit meinem Becken auch machen? Kaiba hatte längere Wimpern als ich – hieß das, er musste automatisch unten liegen? Gab es da überhaupt Regeln, die ich wissen musste?
Und wollte ich das alles überhaupt …?

„Dir wird doch jetzt nicht schlecht, oder?“ Tea klang plötzlich besorgt (was sie nicht davon abhielt, meinen Moment der Schwäche auszunutzen und sich den Porno zurück zu erobern). „Atme tief durch – du bist schon ganz grün im Gesicht.“

„Bin ich nicht.“

„Doch.“ Sie wedelte fürsorglich mit dem Manga vor meinem Gesicht herum. Danke, das half ungemein.

Vielleicht war ich wirklich grün.
Ich kam nicht mehr dazu, großartig darüber nachzudenken, denn aus den Augenwinkeln entdeckte ich eine sehr vertraut aussehende und ebenso verhasste Gestalt, die über den Schulhof schlenderte.
Und statt grün, sah ich sofort rot.

Sie werden angehalten, vermehrten Blickkontakt in der Öffentlichkeit zu meiden.

Sprechen Sie Mr. Kaiba niemals von sich aus an, sondern warten sie, bis er das Wort an Sie richtet.

Vermeiden Sie unter allen Umständen auffälliges oder gesetzwidriges Verhalten, welches Sie oder Mr. Kaiba kompromittieren könnte.


Sex.
Oh Gott, wir hätten Sex haben können …
Ungerechterweise war ich deswegen am allermeisten sauer auf ihn.

„KAIBA!!“ brüllte ich und stürzte mich halb aus dem Fenster, so dass Tea hinter mir erschrocken aufkreischte. „DU BASTARD!“

Endlich bekam ich wieder besser Luft. Schlagartig kehrte Stille auf dem Schulhof ein und ungefähr hundert Augenpaare wandten sich hoch zu mir. Ich war nur zu sauer, gedemütigt und verwirrt, um mich darum zu scheren. Außerdem stellte ich mit gewisser Befriedigung fest, dass ich grade drei seiner Verhaltensregeln auf einmal gebrochen hatte. Go Joey, go!

Kaiba erstarrte und warf mir aus schmalen Augen einen mörderischen Blick zu, bevor er weiterging. Er dachte wohl, er konnte mich einfach ignorieren. Oh nein, Kumpel! Das kannst du vergessen! So was von!

„Joey, geh da weg – du hast doch Höhenangst!“, kreischte Tea.

Auf solche Kleinigkeiten konnte ich keine Rücksicht nehmen – Kaiba entwischte mir! In einer Aufwallung leidenschaftlicher Emotionen griff ich das erste, was mir in die Finger kam (es war zufällig der Manga) und holte aus. Tea klammerte sich an meinen Arm und wir rangelten einen hektischen Augenblick lang miteinander.
„Was machst du denn?! JOEY!“

Ich warf, Tea kreischte.
Da siehst du mal, wie das zwischen uns hätte aussehen können, du reicher, arroganter Sack!
Ähm, also ohne die viele Flüssigkeit und die Wimpern… und ohne die äh Beckenverrenkungen …
Und du hast es versaut, du Arsch!

Zielsicher sauste der schmale Pornoband durch die Luft und knallte – perfekt getroffen – an einen ordentlich gescheitelten Kopf. Yesss! Treffer! Versenkt! Ich wollte jubeln.

Oder auch nicht …

Oh, scheiße … scheiße … scheiße …

Teas wütendes Gezeter erstarb. Mein Triumphgefühl gleich mit.
Wer sich da umdrehte und mit vor Wut (es könnte auch Schmerz sein) verzerrtem Gesicht nach oben sah, war niemand anderes als unser Mathelehrer. Von Kaiba weit und breit keine Spur mehr. Er war abgedampft … entwischt … entfleucht … hatte sich aus dem Staub gemacht, während Tea und ich uns geprügelt hatten … dieser miese, hinterhältige …

„Mein Manga …!“ hauchte Tea und klammerte sich panisch an mich. „Dreizehn Bände lang hab ich gewartet …!“

„Wer zum Teufel …?!“ donnerte es zu uns herauf.

Oh Gott!“ Tea klang beinah hysterisch und begann mich durchzuschütteln. „TU was! Bevor er ihn aufhebt …!“

„WHEELER!“

„JOEY!“ Tea renkte mir vor lauter Verzweiflung beinah den Arm aus. „Dreizehn Bände lang! Und ich bin Klassensprecherin …!

Aus reiner Verzweiflung und weil Tea aussah, als würde sie gleich losheulen, tat ich tatsächlich was. Etwas, was ich vielleicht besser nicht getan hätte.

Andererseits war ab dem Zeitpunkt sowieso alles egal.
Ich sprang.


***


„Du bist aus dem Fenster gesprungen“, wiederholt Kaiba. „Aus dem zweiten Stock. Um Gardners Mathehausaufgaben zu retten?“

Wenn er das so in Worte fasst, klingt das, als hätte ich einen Dachschaden.
„Es waren eben … außergewöhnliche Umstände.“

„Und die Sachbeschädigung?“ fragt er mit skeptisch gehobenen Augenbrauen.

„Ich bin in den Büschen unter dem Fenster gelandet …“, gestehe ich ein wenig widerwillig. Die waren tatsächlich ziemlich lädiert … und es tat ihnen sicher auch nicht besonders gut, dass ich verzweifelt durch sie gerobbt bin, um mir noch rechtzeitig Teas Porno zu krallen. Leider kam ich zu spät.

„Was bist du auch so schnell abgehauen?“ beschwere ich mich. „Ich war noch lange nicht fertig mit dir!“

Er wirft mir einen Blick zu, als sei das vollkommen offensichtlich. „Weil du peinlich warst.“

„Was?!“

„Joey …“

„Hey, ich habe doch gesagt, es hat sich …!“

„… ausgejoeyt. Ja doch.“ Er verdreht die Augen. „Ich wünschte wirklich, du würdest deinen Namen nicht ständig fälschlicherweise in ein Verb verwandeln. Deine Grammatik verursacht mir Schmerzen und ist einfach lächerlich.“

„Das ist überhaupt nicht …!“

Er durchbohrt mich mit einem scharfen, blauen Blick, der mich unwillkürlich zum Schweigen bringt. „Versuch nur nicht mich für dumm zu verkaufen… Wheeler. Denkst du, es fällt mir nicht auf, dass du so verdächtig vage bleibst, was dieses mysteriöse Buch angeht?“

„Äh heh heh heh …“ Ich bekomme einen Hustenanfall. „Also … jetzt unterbrich mich doch nicht dauernd!“


***


„Ich bin unschuldig! Hören sie doch – es war ein Versehen! Ich bin ganz und gar unschuldig Ein Opfer der Umstände!“

„Hören Sie auf zu zappeln, Wheeler. Sie machen es nur schlimmer.“

„Oh man, bitte nicht dahin! Nicht zum Direktor … nicht doch … au, lassen sie gefälligst mein Ohr los!“

„Und geben Sie das gefälligst her!“

„NEIN! Nicht den Porn- … äh das Buch! Bitte! Es gehört nicht mal mir …!“


***


„Es war nicht so komisch“, sage ich säuerlich.

„Ich lache auch nicht. Los … ähm, erzähl weiter.“


***

Ich landete also dort, wo ich lieber nicht hinwollte, nämlich im Vorzimmer des Direktors.
Blutübertströmt.
Also zumindest sehr blutend.
Und keiner kümmerte sich um mich.

Teas Porno lag in Greifweite vor mir auf dem Schreibtisch der Sekretärin und ich spielte ein paar Mal mit dem Gedanken aufzuspringen und damit abzuhauen. Oder ihn zu vernichten. Aber erstens warf die Sekretärin mir permanent böse Blicke zu und zweitens war er zu groß, um ihn herunterzuschlucken, so wie ich das mal mit einem Spickzettel gemacht hatte. Da ich keinen Flammenwerfer in der Tasche hatte, waren meine Handlungsmöglichkeiten sehr begrenzt.
Deswegen blieb ich, verletzt wie ich war (Hhatte ich blutend schon erwähnt?), einfach sitzen und bemitleidete mich selbst. Und hasste Kaiba. Dafür war immer noch Zeit genug.

Alles war schrecklich und der Tag war im Arsch und es war noch nicht mal zehn Uhr morgens.

Und dann passierte es.
Das unglaubliche.
Der Tag wurde noch schlimmer. Ja Tatsache. Ich hatte zu diesem Augenblick auch nicht mehr geglaubt, dass es möglich war.

Zeitlupe. Die Tür zum Büro geht auf.
Stimmen ertönen.
Bitte eine Einblende auf mein Gesicht. Danke.
Zoom. Mehr Zoom. Direkt auf meine Augen, die immer größer werden …

„Ich schicke ihnen den Vertrag im Lauf der Woche zu. Meine Sekretärin wird Sie kontaktieren, damit wir …“ Die Stimme stoppte abrupt.

Nein. Nein …! Wieso jetzt? Wieso hier? Wieso ER? Und vor allem … wieso ich?

Ja, ihr ratet richtig. Es war Kaiba. Ja, es war Kaiba, der grade aus dem Büro unseres Direktors stolzierte.

Da war er – wie aus dem Ei gepellt, die Schuluniform tadellos und ordentlich, der Kragen perfekt gestärkt und gefaltet, kein Haar aus seiner disziplinierten Frisur wagte es, aus der Reihe zu tanzen.

Und da war ich. Ohne Worte.
Meine zerzausten Haare dürften inzwischen einem Wischmopp gleichen, meine Uniform sah aus, als wäre ich damit durch den Dreck gerobbt (war ich korrekterweise ja auch), ich hatte kleine Blätter und Äste im Kragen meiner Uniform und eine Schürfwunde auf der Stirn, die ein paar verdächtige rote Flecke auf meinem ehemals weißen T-Shirt hinterlassen hatte. Nicht zu vergessen, dass meine Füße mitsamt den dreckigen, ausgelatschten Turnschuhen immer noch auf dem edlen Kunstleder der Vorzimmerstühle ruhten und ich ihm auch noch einen ungehinderten Blick auf mein lädiertes Knie gewährte.
Zugegeben – ich fand ja auch, dass ich schöne Beine hatte. Aber musste er deswegen gleich so darauf starren?

***

„Mach dich nicht lächerlich. So toll sind deine Beine auch wieder nicht.“

„Hey, Klappe zu, ja? Das ist MEIN Drama!“

***

Jede Sekunde meiner Demütigung schien sich grade auf das Tausendfache ihrer üblichen Länge auszudehnen, denn dieser Moment nahm einfach kein Ende.

„Wheeler …!“, unterbrach Herr Kisaki endlich das Schweigen. Er klang auch nicht wirklich begeistert. „Ich hatte ernsthaft gehofft, Sie für den Rest des Schuljahres nicht mehr hier sehen zu müssen.“

Kaiba und ich starrten uns immer noch an. Wie zwei Autos kurz vorm Zusammenstoß.

„Straßenköter sollten nicht ohne Leine herumlaufen“, bemerkte Kaiba schließlich sachlich. Er sagte es zum Direktor, aber sah mich dabei an. „Sie verbreiten sonst Tollwut.“

„WAS?!“ stieß ich aufgebracht hervor, sekundenlang vergessend, wo ich mich grade befand. „Du aufgeblasener, arroganter …!“ Ich war kurz davor aufzuspringen und ihm an die Kehle zu gehen, aber mein schmerzendes Knie hielt mich davon ab.

„Reißen Sie sich zusammen, Wheeler. Sie wollen doch nicht noch mehr Ärger bekommen.“ Kisaki klang mehr resigniert, als wütend. Ich musste ihm zugute halten, dass er sich nie wirklich darüber freute, mir einen neuen Eintrag zu schreiben. Na ja, es war nicht so, als ob ICH mich darüber freute.
„Weswegen sind Sie diesmal hier?“

Ich machte Anstalten, mich zu rechtfertigen, als seine übereifrige Sekretärin sich hastig räusperte.
„Tätlicher Angriff auf eine Aufsichtsperson“, zählte sie verzückt auf. „Ungebührliches Verhalten in der Öffentlichkeit. Springen aus dem Fenster im zweiten Stock. Beschädigung von Schuleigentum. Oh ach ja …“ Sie lächelte süffisant. „Der Besitz und das in Umlauf bringen von pornographischem Material. Alles schwere Verstöße gegen die Schulregeln.“

„Das ist alles gar nicht …!“ brauste ich auf.

„Lieber Gott, Wheeler!“ japste Kisaki. „Ich bin entsetzt von Ihnen! Was ist denn in Sie gefahren …?“

Kaiba wandte den Kopf zur Seite und gab ein ersticktes Geräusch von sich, das er elegant als Räuspern tarnte. Aber mich konnte er nicht täuschen. Der hatte gut lachen. Das war doch alles seine Schuld!

„Warten sie kurz hier.“ Kisaki seufzte resigniert. „Ich hole ihre Akte.“

„Sieh an, sieh an. Besitz von pornographischem Material …“, wiederholte Kaiba völlig überflüssig.

„Das war nicht … das ist nicht …!“ stammelte ich wütend. Natürlich konnte ich Tea vor dem Direktor nicht verpetzen. Sie hing so an ihrem Klassensprecherposten und dem blütenweißen Image. (Außerdem wusste sie Dinge über mich, die ziemlich peinlich werden könnten, wenn sie an die Öffentlichkeit gelangen.)

„Nimm es nicht persönlich“, Kaibas Stimme war ätzend wie Säure, „aber du siehst wirklich erbärmlich aus, Wheeler.“

Statt einer Antwort, biss ich mir auf meine ohnehin schon blutende Unterlippe und knurrte ihn nur finster an. Was machte er überhaupt hier? War er jetzt Stammgast und persönlicher bester Freund unseres Direktors? Hah! Ich wusste immer, dass seine gesamten Ausnahmen und Extrawürste nicht von ungefähr kommen! Korrupte Schule …!

„Wheeler, ich weiß wirklich nicht, ob es diesmal nur mit Nachsitzen getan ist …“ Herr Kisaki machte ein strenges Gesicht, als er wieder aus seinem Büro auftauchte. „Das ist jetzt die siebenundzwanzigste Ermahnung in diesem Jahr.“

Oh Gott nein … bitte nicht. Bitte, schmeißt mich nicht von der Schule!
Ich spürte wie mir kalter Schweiß ausbrach bei dem Gedanken.

„Warten sie! Ich könnte den Schulhof kehren“, bot ich hastig an. „Oder die Schulordnung fünfzig mal abschreiben. Hundert mal …? Oder Kekse auf dem Schulfest verkaufen. Oder …Blutspenden! Zu Gunsten der neuen Bibliothek. Oder … “

Ich ging nun echt nicht gerne zur Schule. Aber ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte, wenn sie mich hinauswarfen. Vermutlich musste ich Stricher werden. Das wäre zwar ein Gewinn für den Rest der Welt, aber ein herber Schlag für Yugis und Teas gesammelte Erziehungsversuche.

Während ich noch in Horrorszenarien meiner näheren Zukunft schwelgte, sagte Kaiba die schicksalhaften Worte, die uns wieder ins Hier und Jetzt und in den Schulgarten führten.

„Entschuldigung, wenn ich unterbreche …“ Es klang kein bisschen entschuldigend. „Aber was halten sie davon, Joey Wheeler für die nächsten Wochen zu meinem persönlichen Leibsklaven zu machen?“


***

„Du halluzinierst! Das habe ich nie gesagt!“

„Hast du wohl!“

Wir funkeln uns wütend an, so lange bis Kaiba entnervt aufstöhnt und beginnt, sich mit einer Hand die Schläfe zu massieren. „Wheeler … wieso erzählst du mir das? Erstens war ich dabei … und zweitens stellst du das alles vollkommen falsch dar.“

„Weil … weil …“ Ich fuchtele nachdrücklich mit den Armen. „Weil ich gelitten habe wie ein Tier und will, dass das endlich mal jemand zur Kenntnis nimmt!“

„Du bist so eine Dramaqueen“, bemerkt er kühl. „Außerdem habe ich nie darum gebeten, dass du mein persönlicher … Leibsklave wirst.“ Er verzieht angewidert von so viel Geschmacklosigkeit das Gesicht.

Okay, vielleicht hat er Recht und ich übertreibe. Ein klitzekleines Bisschen. Ich beschließe auf das eigentliche Thema zurückzukommen und wedele anklagend mit seiner beschissenen Laptoptasche. „So, und was ist damit?! Du hast mich versklavt, Kaiba!“

Zugegeben. Vielleicht ist das Wort „Sklave“ so direkt nicht gefallen. Aber es läuft darauf hinaus, dass ich die Wahl hatte, die nächsten Wochen über Kaiba bei seinem neuen Finanz-Projekt zu unterstützen oder mich freiwillig von der Schule zu entfernen und nie wieder aufzukreuzen.

„Korrektur - ich habe dich vor hundert Jahren Nachsitzen gerettet. Aus reiner philantrophischer Großzügigkeit.“

„Versklavt!“

„Gerettet.“

„VER-…!“

„Zum Teufel mit dir, Wheeler! Das ist doch albern.“

„Albern? ALBERN?!“

Das ist nicht albern. Das ist ein Desaster.
Bitte schön - jetzt bin ich ganz offiziell Kaibas Taschenträger und Laufbursche! Und das vermutlich bis zu meinem bitteren Ende oder wenigstens bis zu meinem in weiter – WEITER! - Ferne liegenden Schulabschluss!
Es grenzt fast an ein Wunder, dass Herr Kisaki sich dazu hat breitschlagen lassen … aber wenn Kaiba seinen Killerblick auspackt, ziehen eben die meisten Leute den Schwanz ein.

Ich hasse ihn. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich ihn hasse.
Und dabei hätten wir Sex haben können.

Zum Glück weiß er das nicht. Andererseits will ich beinah, dass er es weiß, damit er endlich kapiert, was er versaut hat.

„Weißt du was? Mir reicht´s!“ knurre ich wütend und zerre die Tasche von meiner Schulter. „Da hast du deinen Laptop wieder. Wieso fragst du nicht eine deiner Begleiterinnen, ob sie dir hilft – die wären bestimmt liebend gerne deine willige Sklavinn! Denen müsstest du nicht mal einen Brief mit Verhaltensregeln zukommen lassen. Ich wette, die benehmen sich eh immer wie … wie … so wie du sie haben willst!“ Und das ist eigentlich auch schon die schlimmste Beleidigung, die mir einfällt.

Wütend drehe ich mich um und stapfe davon. Oder versuche es zumindest, denn bevor ich auch nur drei Schritte weit gekommen bin, hält Kaibas unterkühlter Tonfall mich auf.

„Hast du nicht etwas vergessen, Wheeler?“

„Leck mich!“ Ich drehe mich trotzdem um. „Was soll das sein?“

Eine Hand hat er elegant in seine Manteltasche geschoben, die andere hebt er in einer nachlässigen Bewegung und schwenkt damit etwas hin und her. Ich erstarre.
Nein. Nein …!

„Könnten das eventuell …“ seine Stimme klingt maliziös, „… deine Mathehausaufgaben sein?“

Verdammt. Fuck. Fuck. FUCK!

„Gib das her!“ In wenigen Sätzen bin ich bei ihm und stürze mich auf ihn.
Wieso hat er den Manga? Der wurde doch konfisziert!

Ich erlebe eine Art seltsames Déjà-vu, als wir um den Porno rangeln, nur dass ich dieses Mal größenmäßig eindeutig die Arschkarte gezogen habe. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Wieso ich? Wieso passiert so etwas nur mir?
Okay, vielleicht ist es meine Schuld. Vielleicht hätte ich Tea einfach Porno lesen lassen sollen. Vielleicht hätte ich nicht versuchen sollen, unsere Gesichter da einzusetzen. Vielleicht hätte ich keinen Mordanschlag auf Kaiba planen sollen.

Die Umstände waren einfach gegen mich.

Jetzt weiß ich, wie Tea sich gefühlt hat, als ich mit dem Manga vor ihrer Nase herumgewedelt habe, nachdem sie dreizehn Bände darauf gewartet hatte, dass sie endlich so weit sind. Ich fühle mich grade genau so.

„Gib ihn her, du Bastard!“ fauche ich, während ich vergeblich versuche ihm den Arm auszukugeln. „Das ist nicht mal meiner!“

„Ich kann nicht fassen“, bemerkt er kühl, „dass du mich damit beworfen hast. Das ist sogar für deine Verhältnisse stillos.“

„Du hast ihn GELESEN?!“ keuche ich entsetzt. Oh Gott. Oh Gott!

„Gelesen?“ Er packt mich am Handgelenk und nutzt meinen Moment der Unaufmerksamkeit, um mir den Arm auf dem Rücken zu verdrehen. Nicht schmerzhaft, nur so, dass ich mich nicht mehr bewegen kann. Ich jaule trotzdem.
„Bring mich nicht zum Lachen. Da gab es nicht viel zu lesen, Wheeler.“

Aus reiner Verzweiflung lasse ich meinen Ellenbogen nach hinten schnellen und treffe ihn direkt in die Rippen. Er atmet zischend ein, der Griff um mein Handgelenk lockert sich unwillkürlich und ich reiße mich ruckartig los.

Nach Luft schnappend bringe ich einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen uns und reibe mein malträtiertes Handgelenk, während ich ihm vorwurfsvolle Blicke zuwerfe.
„Das hat wehgetan.“

Er hat eine Hand auf die Rippen gepresst und zieht eine unfreundliche Grimasse. „Das auch, du Idiot.“

Unsanft schleudert er mir den Manga vor die Füße.
Die beiden Jungs auf dem Titelbild sehen sich verliebt in die Augen, während er und ich uns aufgebracht anfunkeln.
Alles ist so vollkommen verkehrt in unserer Welt.

„Der gehört Tea“, sage ich schließlich, weil ich irgendwie wichtig finde, das klarzustellen.

„So?“

„Ja man.“

„Darf ich auch fragen, wieso du Gardners obszöne Lektüre nach mir wirfst?“
Ierks. Wieso wusste ich nur, dass die Frage irgendwann auftauchen würde?

„Ich war sauer …“, murmele ich und senke den Blick. „Deine Scheißregeln kannst du dir sonst wohin …“

„Danke, Wheeler, keine Details.“ Er winkt unwirsch ab.

Danach schweigen wir minutenlang.
Ich sehe ihn nicht an. Stattdessen starre ich auf den Manga zu meinen Füßen. Auf die beiden Jungen mit den langen Wimpern und den flatternden Rosenblättern im Haar, und denke … scheiße, das sind wir nicht.
Wir werden nie so sein. Keine Rosenblätter für uns. Und das ist okay, denn ich kann Blumen eh nicht viel abgewinnen.
Aber das heißt, ich muss mich auch an keine Regeln halten.

„Wir hätten Sex haben können …“, murmele ich schließlich.

„Bitte?“

Ich hebe den Kopf und hole tief Luft. „Ich sagte … wir hätten Sex habe können.“

Kaiba starrt mich an, als rede ich rückwärts.

„Wir hätten Sex haben können!“ fauche ich, diesmal etwas lauter, weil ich gereizt bin und das ganze megapeinlich ist. „Du. Ich. Sex. Ich hab es nur nicht gepeilt … und jetzt hast du es versaut!“ Unsicher fummele ich in meinen Haaren herum und schiebe sie unsanft aus meinem Gesicht. „Ist auch egal.“ Brütend starre ich zu Boden. „Vermutlich hast du eh nie an so was gedacht …“

Natürlich erwarte ich, dass er ‚Nein’ sagt.
Wir reden hier immerhin von Kaiba, der ungefähr so sexuell aktiv ist wie Teas Hamster und so verklemmt wie meine alte Deutschlehrerin in der siebten Klasse.

Aber zu meinem grenzenlosen Entsetzen wendet er das Gesicht ab und es passiert etwas, was ich noch nie gesehen habe, und vermutlich auch nie wieder sehen werde. Ein wahrhaft historischer Augenblick. Nahaufnahme auf sein Gesicht, bitte.

Kaiba wird rot.
Sprachlos starre ich ihn an. Es ist nur ein zarter, rosa Hauch auf seinen Wangen, aber so unübersehbar da, wie der Porno zu meinen Füßen.

„Um ehrlich zu sein …“ er räuspert sich und sieht plötzlich seltsam steif aus. „Ja, der Gedanke ist mir gekommen … Joey.“

Uh …?!
Häh …?!
Wie jetzt …?



^tbc^


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